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Louvet de Couffrays Roman aus der höfischen Welt des 18. Jahrhunderts galt damals nicht nur als ein Meisterwerk des Intrigenspiels sondern auch als unzüchtig.
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Seitenzahl: 1302
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas
Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Inhalt:
Jean Baptiste Louvet de Couvray – Biografie und Bibliografie
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas
Erster Band
Einleitung und Biographie
Erstes Buch
I. Kapitel.
II. Kapitel.
III. Kapitel.
IV. Kapitel
V. Kapitel
VI. Kapitel.
Zweites Buch
I. Kapitel
II. Kapitel
III. Kapitel.
Zweiter Band
Drittes Buch
I. Kapitel.
II. Kapitel.
III. Kapitel
Viertes Buch
I. Kapitel
Fünftes Buch.
I. Kapitel.
Dritter Band
Sechstes Buch
Siebentes Buch
Achtes Buch
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas, J. B. Louvet de Couvray
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849630904
www.jazzybee-verlag.de
Franz. Schriftsteller und Revolutionsmann, geb. 11. Juni 1760 in Paris, gest. daselbst 25. Aug. 1797, machte sich durch den schlüpfrigen Roman »Les aventures du chevalier Faublas« (Par. 1787–90 u. ö.; 1894, 5 Bde.; deutsch von Wieland, mit Vorrede von Kotzebue, Leipz. 1805–10, 2 Bde.) bekannt, wurde nach Beginn der Revolution in den Jakobinerklub aufgenommen, zeichnete sich im Konvent als Redner aus und wagte es, 29. Okt. 1792 Robespierre des Strebens nach der Diktatur förmlich anzuklagen. Mit den Girondisten 2. Juni 1793 geächtet, entfloh L. und kehrte erst nach Robespierres Sturz (im März 1795) in den Konvent zurück. Eine Schilderung dieses Zeitraums seines Lebens enthalten »Quelques notices pour l'histoire« (1795), auch in seinen »Mémoires sur la Révolution française« (hrsg. von Aulard, Par. 1889, 2 Bde.) abgedruckt.
So wohlthuend wie für den ermüdeten Pilger die erfrischende Oase, berührt den Leser inmitten der schrecklichen Ereignisse der französischen Revolution die poetische und tief empfundene Schilderung des Chevalier Faublas von seiner einzigen wahren Geliebten Sophie, die er uns in lieblichster Form vor die Augen führt.
In einer Zeit, wo jedermann mit der rasenden Schnelligkeit des Blitzes auf einen andern Pfad versetzt wird, wo Alles von dem wilden Tosen des Aufruhrs und Hasses übertönt wird, lauscht man mit Interesse den innigen Liebesworten des jungen galanten Chevalier's. »O meine Sophie!« ruft er in Kummer und Elend, in der schrecklichsten Gefahr und selbst in der Bastille aus. Überall bei seinen galanten Abenteuern begleitet ihn ihr Bild. Und Sophie ist es denn auch allein, welche ihn über alles Unedle und Niedrige erhoben hält und nach allen Prüfungen des Lebens geläutert, zu sich emporhebt und endlich in wahrer Liebe als ihren Gatten empfängt.
Ich glaube, dass man vergebens einen zweiten Roman suchen würde, der vollendeter in seiner Durchführung, seiner in der Auffassung, und im besseren Zusammenhange ist, als Louvet's Faublas. Ein eleganter Stil, die spannende und logische Handlung, stempeln Faublas zu einem der vorzüglichsten Romane.
Es muss vorzüglich hinzugesetzt werden, dass dieser Roman mit den hunderttausenden Alltagsromanen, die, ich glaube wohl! jährlich, und hauptsächlich in unserer Zeit, geschrieben werden, in keiner Weise verglichen werden kann.
Der Roman Faublas ist ein vollständiges, abgeschlossenes Ganze, und kann überhaupt nur mit solchem Vollkommenen, in welcher Richtung es auch sei, verglichen und beurtheilt werden.
Wir bewundern in diesem Roman den mit allen Vorzügen der Natur ausgezeichneten Chevalier Faublas, der ob seiner Begabung und seiner Vorzüge, seiner Lebhaftigkeit, seiner chevaleresken Großherzigkeit und Großmuth, durch Erziehung und Natur zu seinem Lebenslauf vor und ausgebildet, ich möchte fast sagen, vom Schicksal in eine Zeit versetzt wurde, die kurz vor der großen französischen Revolution sich gerade in ihrer Verderbtheit kennzeichnet. Faublas hat einen thatsächlich historischen Hintergrund, wie wir später sehen werden, und der Roman ist für die Kulturgeschichte von größtem Wert, da er uns die damaligen Zeiten auf das wahrste und glänzendste schildert.
Man kann sein Mitgefühl der schönen, geistreichen, muthigen und emancipierten Frau von B... in ihrer Aufopferung nicht verfügen. Den größten Antheil nimmt man an der betrogenen reizenden Eleonore, Gräfin von Lignolle, in ihrer Liebe; und all' unser Antheil in Freud und Leid concentriert sich wieder in Faublas Sophie, der jungen, schönen, zarten Frauengestalt in ihrer erhabenen Reinheit. Diese vier Personen sind es auch, welche die Hauptrollen dieses Romans spielen.
Faublas und Sophie, die zwei vorzüglichsten Geschöpfe der Natur, die nach ihrer Vereinigung streben; Frau von B ... und Eleonore, als die feindlichen Mächte, welche eine missgünstige Göttin geschaffen hat, die Schicksalsfäden zu durchwirren und den Sieg der wahren Liebe zu verhindern. Die göttliche Allmacht und Liebe ist aber gerecht, und so sehen wir, wie sich dieses Schicksal nicht an seiner Bestimmung hindern lässt, und wie es sich zu rächen weiß, indem es die feindlichen Mächte aufopfert und die bestraft, welche vom Wege der Tugend und Reinheit abweichen.
Die übrigen Charaktere des Romans sind meisterhaft geschildert und können natürlich nur solche sein, welche der Handlung und der Zeit des Romans entsprechen; sie sind mit der größten Wahrheit geschildert. Der Roman ist interessant in allen Details, und nicht ein frivoles oder unanständiges Wort ist in demselben enthalten; dagegen wurde der Phantasie eines jeden Lesers der weiteste Spielraum gelassen. Wie vorzüglich ist der Vater Faublas', als echter französischer Edelmann seiner Zeit geschildert; wie treffend jener ausschweifende Rone Rosambert, und endlich der sein Vaterland Polen so heiß, so innig liebende Duportail-Lovzinski; welch' reizende, aufblühende Knospe erkennen wir in Faublas' Schwester, und welch' einen verschmitzten, hübschen Unhold in »Justinchen«! der physiognomienhafte Marquis von B..., und der Charaden machende und lösende Graf von Lignolle, der treue Jasmin, die pikante Schauspielerin, und all' die Figuren und Gestalten eben so wahr, als interessant! – über alle waltet das mächtige Schicksal und über alle ergeht es sich in treffendster und verhängnisvollster Weise. Wie sinnig und tiefgehend zum Beispiel selbst im kleinsten, wenn Faublas das schöne Kleid der Marquise, seiner lieben Mama, wie er sie zu nennen pflegt, das er und sie in Glanz und Wonne einst selbst getragen, später bei der gemeinsten Dirne wiederfindet, und wie er mit und in diesem Kleide durch den Straßenkoth von Paris nach der Prefectur wandern muss! – oder wenn der Verfasser durch Schicksalsbestimmung die Marquise nach der von Rosambert an ihr begangenen That noch von Faublas selbst rächen lässt, indem der Chevalier mit des Grafen künftiger Frau kurz vor der Heirat zufällig bekannt wird, und sie beide sich in Liebe zugethan sind! – welch' heilige und wahre Vaterlandsliebe wird uns geschildert in der großen Erzählung Lovzinski's! Sie allein macht uns schon den Roman wert, denn die Liebe zum Vaterland darf in keines Menschen Brust fehlen, die Vaterlandsliebe, in welcher wir in erster Reihe den inneren Halt eines jeden Staates erblicken können.
Wie rührend ist es, wenn Eleonora in ihrem Wohlthätigkeitssinn dem alten armen Herrn von Saint-Prée 6000 Mark aus ihrer Cassa zuschreibt, da nicht er die wohlverdiente Pension erhalten hat, sondern ihr eigener schon in Überfluss lebender Mann, oder wenn sie den alten Bastian auf den früheren Pacht setzt! welch wunderbarer Stil in der Schilderung der Fahrt nach Frommonville, und dann in der Scene, wo Faublas von seinem Vater und seiner Schwester begrüßt wird, und wie er seine Sophie nicht mehr findet.
Was drastisch, was schön, was edel, gemüthvoll ist: dies alles finden wir in diesem Roman in der vorzüglichsten Weise wiedergegeben, verbunden mit gesundem Humor und prickelnder Satyr, in anständigster Weise, in elegantem Stil und in spannendster Handlung, zugleich der Kulturgeschichte und der goldenen Moral Rechnung tragend.
Johann Baptist Louvet van Couvray, geboren 1764 zu Paris, studierte, wie es ihm bestimmt worden war, Jura, widmete sich aber nur der schönen Literatur. 1787 trat er zum erstenmal mit seinem Roman »Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas« auf und war damit so glücklich, dass sein Werk zu einem »Modebuch« wurde, welches in ganz Paris jedermann bekannt war; bald auch verbreitete sich dieser Roman wohl über alle Länder der Welt.
Nach »Marquis von Lauraguais« ist Faublas identisch mit dem Abbé von Choisi, der zur Zeit Ludwigs XIV. lebte.
Der Frau von Maintenon überreichte dieser Priester einst eine Übersetzung der »Nachfolge Jesu Christi« und schrieb darauf folgendes Motto: »Concupiscit rex decorum tuum.«
»Deine Reize haben die Lüsternheit des Königs erweckt!« erklärte er der Frau von Maintenon, »können diese Worte nur bedeuten.« – Unter dem Namen »Memoiren der Gräfin von Barres« schrieb Choisi seine Memoiren.
Louvet lebte lange Zeit auf dem Lande in ärmlichen Verhältnissen bei einer Frau, die er von frühester Zeit an liebte, und die er auch schließlich trotz mancher Hindernisse heiratete. Lodoiska hieß sie, und Louvet hat derselben ein ehrendes Denkmal in seinem Roman »Faublas« gesetzt.« Im Oktober 1789 wurde er in Folge einer Brochüre, die er gegen Maunier, Mitglied der constituirenden Versammlung, schrieb, in den Jakobinerklub aufgenommen, in welchem sich damals nur wahre Patrioten und Talente zeigen durften.
In dieser Zeit schrieb er »Emil von Varmont« und »Liebesabenteuer des Pfarrers Sevin«, worin er die Ehescheidung und die Ehe der Priester als unbedingt nothwendig hinstellte; auch einige, allerdings nur sehr unbedeutende Komödien wurden von ihm in derselben Zeit verfasst.
Madame »Roland«, die berühmte Frau, schildert ihren Freund, wie folgt: »Louvet ist klein, schwächlich, er hat einen gesenkten Blick und ist in der Kleidung nachlässig, dem oberflächlichen Beobachter, der den Adel seiner Stirne und das glänzende Feuer seiner sprechenden Augen nicht bemerkt, erscheint er als gewöhnlicher Mensch. Die Leute von Bildung aber kennen seine Romane, und die Politiker zollen seinen Einsichten hohe Achtung. Es ist unmöglich, mehr Geist mit mehr Anspruchslosigkeit und Bonhomie zu vereinigen; muthig wie ein Löwe und sanft wie ein Kind, ein gefühlvoller Mensch, ein guter Bürger, ein lebenskräftiger Schriftsteller, kann er auf der Tribüne Catilina zittern machen und bei Bachaumont zu Nacht speisen.«
Louvets »Memoiren«, die er auf der Flucht in den wilden Höhlen des Jura verfasste, und die fast in alle europäischen Sprachen übersetzt wurden, sind in seiner charakteristischen, wahren und lebendigen Weise geschrieben; sie sind ein höchst interessantes, wertvolles Werk für die Geschichte der französischen Revolution. Louvet gehörte zur gemäßigten Partei und redigierte auf Antrag seines Freundes, des Ministers Roland, die »Sentinelle«. Louvet sprach bei der Verurtheilung Ludwig XVI. nachdrücklich für die Appellation an das Volk und war einer derjenigen, welche gegen dessen Tod stimmten. Er hasste besonders Robespierre, und als derselbe sich gegen die Anklage des Strebens nach der Diktatur von seiten Rolands vertheidigte, fiel ihm Louvet ins Wort: »Robespierre, ich klage Dich an, lange die reinsten Patrioten verleumdet zu haben, zu einer Zeit, wo Deine Verleumdungen wahre Achtserklärungen waren; ich klage Dich an, die Vertreter der Nation, so viel in Deiner Macht stand, verkannt, herabgesetzt und verfolgt, ich klage Dich an, zugegeben zu haben, dass man Dich in Deiner Gegenwart als den einzigen tugendhaften Mann bezeichnet, der Frankreich retten könnte, und dieses selbst zu verstehen gegeben zu haben; ich klage Dich an, die Wahlversammlung auf alle möglichen Arten tyrannisiert, ich klage Dich endlich an, offenbar nach der höchsten Gewalt gestrebt zu haben; ich klage Dich an: und für Deine Überführung wird Dein Betragen lauter sprechen als ich.« –
Louvet gehörte zu den entschiedensten Föderalisten, welche die Kluft zwischen Berg und Gironde mehr und mehr erweiterten. Die Katastrophe zwischen beiden Parteien musste eintreten, Louvet wurde bereits am 2. Juni 1793 in Anklagezustand versetzt. Die Flucht und die Strapazen, welche er während seiner Verbannung erlitten, genau hier zu beschreiben, würde mich zu weit führen. Ich wäre nicht im Stande es so wahrheitsgetreu wiederzugeben, wie es Louvet in seinen Memoiren selbst gethan hat.
Am 9. Thermidor 1795 erst konnte Louvet in sein Vaterland zurückkehren, und am 8. März wurde er wieder in den Convent aufgenommen. Mit der größten Erbitterung, die von unserem Standpunkt aus in keiner Weise gebilligt werden kann, verfolgte er den Rest der Jakobiner; ja leider war er es auch selbst, der sogar edle Republikaner auf's Schafot brachte. Am 19. Juni wurde er Präsident des Convents und am 3. Juli gehörte er dem Wohlfahrtsausschuss an.
Am 20. Mai 1797 musste er wieder aus dem gesetzgebenden Körper austreten. Die Regierung ernannte ihn zum Consul von Palermo, und hier war es auch, wo er nach kurzer Zeit am 5. August 1797 verschied, nachdem er schon längere Zeit durch ungemeine geistige und körperliche Anstrengungen krank gewesen war.
Meine Ahnen waren, wie man mir gesagt hat, in ihrer Provinz angesehene Leute; sie besaßen fortwährend ein bedeutendes Vermögen und einen sehr hohen Rang. Mein Vater, der Baron Faublas, brachte seinen alten Adel unverfälscht auf mich; meine Mutter starb sehr früh.
Ich hatte noch nicht das sechzehnte Jahr erreicht, als meine Schwester, die achtzehn Monate jünger war, nach Paris in ein Kloster gegeben wurde. Mein Vater, der sie dorthin führte, ergriff mit Vergnügen die Gelegenheit, seinem Sohne, bei dessen Erziehung er bis jetzt nichts vernachlässigt hatte, die Hauptstadt zu zeigen.
Im Oktober 1783 kamen wir in Paris an und stiegen in der Vorstadt St. Marceau ab. Mein Auge betrachtete neugierig die prachtvolle Stadt, von der ich so glänzende Beschreibungen gelesen hatte, ich erblickte aber nichts als garstige hohe Hütten und lange, enge Straßen, Unglückliche mit Lumpen bedeckt, und einen Haufen halbnackter Kinder.
Ich sah eine zahlreiche Bevölkerung und ein großes Elend. Ich fragte meinen Vater, ob dies Paris wäre? er antwortete kalt, es sei nicht gerade das schönste Stadtviertel, doch würden wir morgen Zeit haben, ein anderes zu besuchen. Es war beinahe Nacht; Adelheid, so heißt meine Schwester, gieng in ihr Kloster, wo sie erwartet wurde.
Mein Vater und ich bezogen in der Nähe des Arsenals das Haus des Herrn Duportail, seines vertrautesten Freundes, von dem in diesen Memoiren öfter die Rede sein wird.
Am folgenden Tage hielt mein Vater sein Versprechen. Ein schnell dahinrollender Wagen brachte uns in einer Viertelstunde auf den Platz Ludwigs XV. Hier stiegen wir aus und ein prachtvolles Schauspiel blendete meine Augen. Zur Rechten die Seine, die an majestätischen Schlössern vorbeifloss, zur Linken herrliche Paläste, hinter mir entzückende Spaziergänge und vor mir ein prächtiger Garten. Wir giengen weiter, und ich erblickte den Palast der Könige. Meine Verwunderung lässt sich leichter vorstellen als beschreiben. Mit jedem Schritte zogen neue Gegenstände meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich bewunderte bald die kostbaren Moden, bald den eleganten Aufputz und die feinen Sitten. Auf einmal fiel mir wieder die Vorstadt St. Marceau ein, und mein Erstaunen wurde immer größer; ich konnte nicht begreifen, wie ein und derselbe Ort so ganz entgegengesetzte Dinge enthalten könne. Die Erfahrung hatte mich noch nicht gelehrt, dass die Paläste überall Hütten verbergen, dass der Luxus Elend erzeugt, und der unmäßige Reichthum einiger Weniger die bitterste Armut vieler Anderer zur Folge hat.
Wir brauchten mehrere Wochen, um die Merkwürdigkeiten von Paris zu besehen. Der Baron zeigte mir eine Menge im Auslande berühmter Monumente, auf welche die Besitzer fast gar keinen Wert legen. Diese Meisterwerke alle, die mich anfangs in Erstaunen gesetzt hatten, flößten mir bald nur noch kalte Bewunderung ein.
Wie sollte auch ein Jüngling von fünfzehn Jahren den Ruhm der Kunst und die Unsterblichkeit des Genius zu schätzen verstehen? Nur lebendige Schönheiten können das junge Herz erwärmen und in glühende Bewegung setzen.
Im Kloster meiner Schwester Adelheid sollte ich den anbetungswürdigen Gegenstand zum ersten Male erblicken, mit dem mein wahres Leben eigentlich erst beginnt. Mein Vater, der meine Schwester liebte, besuchte sie fast alle Tage im Sprechzimmer. Alle Mädchen von guter Erziehung wissen, dass man im Kloster gute Freundinnen hat; gar manche von unseren schönen Damen versichern, dass man sie selten wo anders findet, kurz meine Schwester, ein gemüthreiches Mädchen, hatte bald ihre Wahl getroffen. Eines Tages erzählte sie uns von Fräulein Sophie von Pontis mit großen Lobeserhebungen, die wir übertrieben halten. Mein Vater war begierig, die Freundin seiner Tochter kennen zu lernen; eine süße Ahnung durchbebte mein Herz, als der Baron Adelheid bat, Fräulein von Pontis mitzubringen. Meine Schwester gieng und brachte ... eine vierzehnjährige Venus. Ich wollte vortreten, sie grüßen, sprechen; allein ich blieb mit starren Augen und herabhängenden Armen unbeweglich stehen.
Mein Vater bemerkte meine Verwirrung und hatte seine Freude daran.
»So machen Sie doch wenigstens Ihr Compliment,« sagte er. Meine Verlegenheit wurde immer größer und ich machte eine äußerst linkische Verbeugung.
»Mein Fräulein,« sagte jetzt der Baron, »ich versichere Sie, dass dieser junge Mensch einen Tanzmeister gehabt hat.«
Dies brachte mich vollends ganz außer Fassung. Mein Vater sagte Sophie viel Schönes, sie antwortete bescheiden und mit einer zarten Stimme, die im Innersten meines Herzens wiederhallte. Ich machte große Augen und hörte mit größter Aufmerksamkeit zu, doch war ich nicht im Stande, einige zusammenhängende Worte zu sprechen. Zum Abschied umarmte mein Vater seine Tochter und grüßte Fräulein von Pontis. Ich in einem Zustand gänzlicher Bewusstlosigkeit grüßte meine Schwester und wollte Sophie umarmen. Ihre alte Gouvernante aber, die mehr Geistesgegenwart hatte als ich, machte mich auf meinen Irrthum aufmerksam. Mein Vater sah mich erstaunt an, Sophie's Gesicht überzog eine liebenswürdige Röthe, doch flog ein leichtes Lächeln über ihre rosigen Lippen.
Wir kehrten zu Herrn Duportail zurück; man setzte sich zu Tisch; ich aß wie ein verliebter Jüngling von fünfzehn Jahren, d. h. schnell und lang. Nach dem Essen schützte ich eine leichte Unpässlichkeit vor und begab mich auf mein Zimmer. Hier konnte ich mich meinen Gedanken an Sophie und ihre Reize ungestört überlassen. »Welche Grazie, welche Schönheit!« rief ich aus; ihr reizendes Gesicht ist voll Geist, und ihr Geist, das bin ich gewiss, entspricht ihrem Gesicht. Ihre großen schwarzen Augen haben mir, ich weiß nicht was eingeflößt; ... gewiss ist es die Liebe! – ach, Sophie, das ist Liebe und ewige Liebe! – Als ich wieder zur Besinnung kam, erinnerte ich mich, in einigen Romanen von den wunderbaren Wirkungen eines unerwarteten Zusammentreffens gelesen zu haben; der erste Blick einer Schönen war hinreichend, die Gefühle eines zärtlichen Liebhabers zu fesseln, und die Geliebte selbst wurde durch einen einzigen sieghaften Zug im Gesicht des Freundes unwiderruflich hingerissen. Doch hatte ich auch gelesen, wie tiefsinnige Philosophen in langen Abhandlungen die Macht der Sympathie leugneten und dieselbe eine Chimäre nannten. »Sophie,« rief ich aus, »ich fühle deutlich, dass ich Dich liebe; aber ob Du wohl meine Verwirrung und meine Unruhe getheilt hast?« Die Art, wie ich mich betragen, war nicht sehr geeignet, Vertrauen auf meinen Geist einzuflößen; aber ihre schöne, anfangs zitternde Stimme, der sie nur mit Mühe nach und nach Festigkeit zu geben wusste, das sanfte Lächeln, womit sie meinen Irrthum zu billigen, und mich für meine Entbehrung trösten zu wollen schien ...!
Ich fasste Hoffnung, und es kam mir sehr wahrscheinlich vor, dass die Philosophie in Herzensangelegenheiten nichts verstehe, und in dieser Beziehung nur die Romane recht haben.
Ich hatte mich zufällig an das Fenster gestellt und sah von da aus den Baron und Herrn von Duportail mit großen Schritten im Zimmer auf und abgehen. Mein Vater sprach mit Feuer, sein Freund lächelte von Zeit zu Zeit; beide richteten hie und da ihre Augen auf mein Fenster, woraus ich schloss, dass ich der Gegenstand ihrer Unterhaltung sei, und mein Vater meine entstehende Leidenschaft vielleicht bemerkt hatte. Dieser Gedanke beunruhigte mich, mehr jedoch der an die Abreise meines Vaters, die ich nahe glaubte.
Meine Sophie verlassen, ohne zu wissen, wann ich das Glück werde haben können, sie wiederzusehen! mehr als hundert Meilen zwischen sie und mich stellen! ich konnte nicht ohne Zittern daran denken. Tausend traurige Betrachtungen beschäftigten mich den ganzen Abend; ich speiste mit schwerem Herzen zu Nacht; ich kannte die Freude der Liebe noch nicht und schon fühlte ich ihre tödtlichen Bekümmernisse.
Ein Theil der Nacht verlief in dieser Unruhe. Endlich schlief ich ein in der Hoffnung, meine Sophie morgen zu sehen; ihr Bild verschönerte meine Träume; die Liebe war meinen Wünschen hold und verlängerte den angenehmen Schlaf. Ich erwachte erst spät und erfuhr zu meinem großen Verdruss, man habe mich schlafen lassen, weil mein Vater früh ausgegangen sei und erst am Abend nach Hause kommen werde. Ich war untröstlich, meine Schwester nicht besuchen zu können, als Herr Duportail in mein Zimmer trat. Er überhäufte mich mit Artigkeiten und fragte, wie es mir in der Hauptstadt gefalle; ich versicherte ihm, dass ich nichts so sehr fürchte, als sie wieder zu verlassen. Er erklärte mir, ich solle mich deshalb nicht kümmern; mein Vater, dem alles daran gelegen sei, dem einzigen Erben seines Namens die sorgfältigste Erziehung zu geben und über das Glück seiner geliebten Tochter in der Nähe zu wachen, habe sich entschlossen, sich auf einige Jahre in Paris niederzulassen und da standesgemäß ein Haus zu führen. Diese angenehme Nachricht machte mir so große Freude, dass ich dieselbe nicht verhehlen konnte. Herr Duportail mäßigte jedoch diese Freude durch die Bemerkung, dass man mir zum guten Anfang einen tüchtigen Hofmeister und einen treuen Bedienten ausgesucht hatte. In diesem Augenblick kündigte man Herrn Person an.
Ein bleiches, ausgetrocknetes Männchen trat herein, dessen ganzes Aussehen den üblen Eindruck, den schon sein Titel auf mich gemacht hatte, vollkommen rechtfertigte. Er näherte sich mit ernster gesetzter Miene und begann in langsamem, süßlichem Tone: »Mein Herr, Ihr Gesicht ...« Zufrieden, so viel herausgebracht zu haben, hielt er inne und besann sich, was er weiter sagen sollte. »Ihr Gesicht entspricht Ihrer Person.« Ich beantwortete das schöne Compliment äußerst trocken. Da mir das Glück, meine Sophie zu sehen, versagt war, wusste ich mir nicht anders zu helfen, als indem ich mir das Vergnügen machte, an sie zu denken, und diesen Trost sollte mir jetzt der Herr Abbé rauben. Ich beschloss daher, ihn zur Verzweiflung zu bringen, und es gelang mir schon am ersten Tage ziemlich.
Abends bestätigte mir mein Vater in eigener Person die Veränderung, die er zu treffen gesonnen sei, und bedeutete mir zugleich, dass ich von nun an nicht ohne meinen Hofmeister auszugehen habe. Dies war für mich ein Wink. Es lag mir jedoch daran, ihn zu schonen und mich zu fügen. Meine Lage wurde kritisch und meine Liebe durch die Hindernisse, die sich ihr in den Weg stellten, nur gesteigert. Ich hatte ziemlich gute Studien gemacht, und jetzt sollte ich einen eingebildeten Hofmeister zur Seite haben, unter dessen Anleitung ich sie zu vollenden hätte; glücklicherweise bemerkte ich schon nach der ersten Lection, dass der Schüler dem Lehrer zum mindesten gewachsen war.
»Herr Abbé,« sagte ich zum ihm, »Sie können mich gerade so viel lehren, als ich zu lernen Lust habe. Warum uns gegenseitig genieren? glauben Sie mir! lassen wir die Bücher, über denen wir ohne Nutzen erbleichen würden; wir wollen meine Schwester im Kloster besuchen, und wenn Fräulein Sophie von Pontis ins Sprechzimmer kommt, dann werden Sie sehen, wie hübsch sie ist.«
Der Abbé wollte anfangs böse werden, allein ich benutzte den Vortheil, den ich hatte, und sagte: »Sie lieben, wie ich sehe, den Spaziergang nicht; nun gut, so bleiben wir zu Hause! Allein noch diesen Abend erkläre ich dem Herrn Baron, dass ich ein außerordentliches Verlangen habe, in meinen Studien weiter zu kommen und dass Sie durchaus nicht der Mann sind, meine Geschäfte zu leiten; und wenn Sie leugnen, so verlange ich eine Prüfung, die Herr Duportail mit uns anstellen wird.« Das Gewicht dieser letzten Beweisgründe schlug den Abbé zu Boden; er machte eine abscheuliche Grimasse, nahm sein Stöckchen und seinen niedrigen Hut, und wir eilten ins Kloster. Adelheid kam ins Sprechzimmer, bloß von ihrer Gouvernante, die Manon hieß, begleitet. Dieses Mädchen war in den Diensten unserer Mutter gestanden und hatte uns erzogen; ich bat sie uns allein zu lassen, was sie gerne that.
Nun blieb noch der fatale Hofmeister übrig, der sich unmöglich auf die Seite schaffen ließ. Meine Schwester beklagte sich, dass man sie mehrere Tage lang nicht besucht habe; mit Erstaunen hörte ich, dass der Baron sie ebenfalls nicht besucht habe; wir dachten uns, seine neuen Pläne müssen ihm viel zu schaffen machen, dass er seine liebe Tochter nicht besucht und vernachlässigen konnte.
»Aber Sie, Faublas,« sagte Adelheid, »wer hat denn Sie diese ganze Zeit zurückgehalten? zürnen Sie Ihrer Schwester und ihrer lieben Freundin? dies wäre undankbar! Fräulein von Pontis ist ausgegangen; besuchen Sie uns morgen wieder, aber hüten Sie sich vor Missgriffen! Sophie will sich Mühe geben, Sie mit ihrer alten Gouvernante zu versöhnen, die Ihnen Ihre Zerstreutheit noch nicht verziehen hat.«
Ich sagte zu meiner Schwester, ich müsse von dem Herrn Abbé Urlaub erhalten, der sehr auf ununterbrochene Arbeit halte. Adelheid, welche das für baare Münze nahm, wandte sich jetzt an meinen ernsten Lehrer mit der dringendsten Bitte, worin ich in demselben Tone einstimmte. Er ließ sich den Ton meines Spottes gutmüthiger, als ich geglaubt hatte, gefallen, und bemerkte sogar, als ich von Heimgehen sprach, dass es noch sehr früh sei; eine Gefälligkeit, die mich gänzlich mit ihm aussöhnte.
Mein Vater erwartete mich bei Herrn von Duportail, um uns in ein sehr schönes Hôtel zu führen, das er in der Vorstadt Saint-Germain gemietet hatte. Ich wurde noch an demselben Abend in den Besitz des für mich bestimmten Appartements gesetzt. Dort traf ich Jasmin, den Bedienten, von dem man mir gesagt hatte. Es war ein großer hübscher Bursche, der mir auf den ersten Blick gefiel.
»Zürnen Sie Ihrer Schwester und Ihrer Freundin? dies wäre undankbar!« hatte Adelheid zu mir gesagt. Ich wiederholte diesen Vorwurf hundertmal und deutete ihn auf die verschiedenste Art. Es war also von mir die Rede gewesen, man hatte mich erwartet, man hatte mich gewünscht. Wie lang erschien mir die Nacht, wie tödtlich lang der Morgen! welche Qual, die Stunden schlagen zu hören und das Erscheinen derjenigen, die uns mit dem geliebten Gegenstand zusammenführt, nicht beschleunigen zu können. Endlich kam der ersehnte Augenblick! Ich sah meine Schwester, ich sah Sophie, eben so schön, ja noch hübscher als das erste Mal. In ihrem einfachen Anzug lag etwas noch anziehenderes und verführerisches, das ich nicht zu bezeichnen vermag.
Bei diesem zweiten Besuche verschlangen meine Augen, so zu sagen, ihre Reize, und mehr als einmal begegneten sich unsere Blicke während dieser angenehmen Beschäftigung. Ich bewunderte ihre langen schwarzen Haare, die mit der seinen, blendend weißen Haut auffallend kontrastierten; ihre elegante, schlanke Taillie, die ich mit meinen zehn Fingern hätte umfassen können; die zauberische Grazie, die über ihrer ganzen Person ausgebreitet war; ihre niedlichen Füße, deren glückliche Vorbedeutung ich noch nicht kannte; besonders aber ihre Augen, diese schönen Augen, die zu sagen schienen: Ach! wie wollen wir diesen fesselnden jungen Mann lieben, der es verstehen wird, uns zu gefallen.
Ich machte dem Fräulein von Pontis ein Compliment, das ihr umsomehr schmeicheln musste, je leichter sie merken konnte, dass ich es nicht lange vorbereitet hatte. Die Unterhaltung drehte sich anfangs um Gegenstände von allgemeinem Interesse; Sophies Gouvernante mischte sich darein; ich sah, dass man die Alte schonte und dass sie gern plauderte; ich fand daher die abgeschmackten Erzählungen, womit sie uns übertäubte, entzückend.
Während sich Herr Person mit meiner Schwester unterhielt, richtete ich mit leiser Stimme hundert Fragen und hundert Complimente an meine Sophie. Die Alte erzählte ununterbrochen ihre schönen Geschichten, auf die wir nicht mehr hörten, bis sie endlich merkte, dass ihre vielen Worte in den Wind giengen. Dann stand sie plötzlich auf und sagte zu mir: »Mein Herr, Sie lassen mich eine Erzählung anfangen und hören sie nicht bis zu Ende; das ist sehr unartig.« Sophie tröstete mich beim Scheiden mit einem zärtlichen Blick.
Wir hörten einen Wagen rollen; der Baron trat herein. Adelheid beklagte sich über die Seltenheit seiner Besuche, worauf er in etwas gezwungenem Tone von den vielen Geschäften sprach, die eine Wohnorts-Veränderung mit sich führe. Er unterhielt sich mit uns einige Minuten mit befangener Miene, stand dann rasch auf mit einem merklichen Zeichen der Ungeduld und kehrte ins Hotel zurück.
Am Thore trafen mir eine glänzende Equipage. Der Schweizer sagte dem Baron, dass ein dicker schwarzer Herr ihn seit einer Stunde erwarte, und eine schöne Dame soeben angekommen sei. Mein Vater schien freudig überrascht und stieg eilig die Treppe hinauf; ich wollte ihm folgen, allein er bat mich, auf mein Zimmer zu gehen. Jasmin, den ich fragte, ob er den dicken schwarzen Herrn und die schöne Dame kenne, antwortete: »Nein.«
Begierig dieses Geheimnis zu enthüllen, und gereizt, dass es eines für mich war, stellte ich mich an einem Fenster meiner Wohnung, das auf die Straße gieng, auf die Lauer. Bald sah ich einen dicken schwarzen Herrn, der mit vergnügtem Gesichte sich mit sich selbst unterhielt. Eine Viertel Stunde darauf sah ich eine junge Dame sich leicht in den Wagen schwingen; der Baron wollte es ihr nachmachen und brach beinahe das Genick; ich erschrak, allein das schallende Gelächter aus dem Innern des Wagens beruhigte mich wieder vollkommen. Ich wunderte mich, dass mein Vater, der etwas aufbrausender Natur war, keine Empfindigkeit zeigte; er stieg ruhig ein, sah zum Schlag heraus, erblickte mich am Fenster und schien etwas verlegen. Ich hörte, wie er den Bedienten den Befehl gab, mir zu sagen, dass er in Geschäften ausgefahren, und dass ich ihn beim Nachtessen nicht zu erwarten brauche. Ich theilte meine Neugierde Jasmin mit, der mein Vertrauen zu verdienen schien. Dieser fragte gelegentlich die Bedienten des Barons aus und noch an demselben Abend erfuhr ich, dass mein Vater die Theater besuche und die öffentlichen Blätter lese; er hatte in der Opera eine Maitresse, und durch die petites affiches einen Haushofmeister gefunden. Ich schloss daraus, mein Vater müsse sehr reich sein, da er diese Doppellast auf sich nehme; doch war dieser Gedanke nur vorübergehend. Ich liebte, ich hatte Hoffnung zu gefallen, – wer wird im Frühling seines Lebens nach irdischen Gütern fragen?
In kurzer Zeit machte ich meiner Schwester viele Besuche; Fräulein von Pontis begleitete sie fast immer ins Sprechzimmer. Die alte Gouvernante grollte nicht mehr, weil ich sie ihre Geschichten endigen ließ, und Adelheid ihr von Zeit zu Zeit kleine Geschenke machte. Herr Person war nicht mehr der strenge Hofmeister, er hatte nicht mehr die Manie, wie viele seiner Amtsgenossen, Sachen zu lehren, die sie selbst nicht verstehen. Er war wie so viele andere, ein kleiner rosenfarbener Pedant, mit stets sauber frisierten Haaren, in seinem Anzug bis zur Kleinigkeit pünktlich, in seiner Moral lax, bei den Damen entwickelte er eine gründliche Gelehrsamkeit und gab sich bei Männern das Ansehen, bloß die Oberfläche zu berühren. Ebenso sanft und gefällig, als er sich anfangs rauh und störrig gezeigt hatte, schien er keinen andern Wunsch zu haben, als den meinigen zuvorzukommen; und wenn ich von einem Besuch im Kloster sprach, so war er immer so schnell dazu bereit als ich.
Indes überließ sich mein Vater den rauschenden Vergnügungen der Hauptstadt und empfieng viele Besuche in seinem Hause. Das schöne Geschlecht schenkte mir viele Aufmerksamkeit, man gab mir Winke, die ich nicht verstand. Besonders eine alte Gräfin versuchte die ganze Macht ihrer verblichenen Reize an meinem jugendlichen Herzen; man stellte sich kindisch, man erlaubte sich reizende Frivolitäten: allein ich begriff die Bedeutung von all' dem nicht. Ich sah auf der ganzen Welt nichts als meine Sophie; eine unschuldige und reine Liebe gegen sie erfüllte mein Herz, und ich wusste noch nicht, dass es auch eine andere Liebe gäbe.
Seit mehr als vier Monaten sah ich meine Sophie fast täglich; die Gewohnheit, beisammen zu sein, war für uns ein Bedürfnis geworden. Bekanntlich erfindet die Liebe, so lange sie sich ihrer selbst nicht bewusst ist, oder sich zu verhehlen sucht, freundliche Namen für die weit süßeren Benennungen, die sie im Hintergrund sieht und erwartet.
So nannte Sophie mich ihren jungen Vetter, ich nannte Sophie mein schönes Bäschen. Unsere gegenseitige Zärtlichkeit schimmerte aus unseren geringsten Handlungen hervor, unsere Blicke drückten sie aus; mein Mund hatte das Geständnis noch nicht gewagt, und meine Schwester ahnte es in stillem Herzen. Den ersten Eindrücken der Natur blindlings mich überlassend, war ich weit entfernt, ihr geheimes Ziel zu errathen. Zufrieden mit Sophie zu sprechen, glücklich sie zu hören und ihre schöne Hand bisweilen zu küssen, wünschte ich noch etwas mehr, hatte jedoch nicht sagen können, was ich wünschte.
Doch der Augenblick nahte heran, wo die flatterhafte und galante Liebe die Finsternis, die mich umgab, zerstreuen und mich in ihre süßesten Geheimnisse einweihen sollte.
Es war die lärmende Jahreszeit, wo Vergnügungen im Bunde mit der Narrheit die Hauptstadt beherrschen: Momus hatte das Zeichen zum Tanzen gegeben.
Der junge Graf Rosambert, seit drei Monaten der Gefährte bei meinen Leibesübungen, den mein Vater mit Artigkeiten überhäufte, machte mir schon seit einigen Tagen Vorwürfe über mein stilles, zurückgezogenes Leben.
Ob ich mich denn lebendig in meines Vaters Hause begraben und meine Spaziergänge auf alberne Besuche bei Nonnen beschränken wolle, um wen? – meine Schwester zu besuchen! es sei endlich Zeit, aus meiner Kindheit, die man absichtlich verlängere, heraus und in die große Welt zu treten, wo ich mit meiner Gestalt und meinem Geiste einer günstigen Aufnahme gewiss sein könne. »Morgen,« setzte er hinzu, »will ich Sie auf einen reizenden Ball führen, den ich viermal wöchentlich besuche; dort werden Sie gute Gesellschaft finden.« Ich weigerte mich.
»Er ist blöde wie ein Mädchen,« fuhr der Graf fort; »fürchten Sie denn, Ihre Ehre möchte Gefahr laufen? So kleiden Sie sich als Frau! Unter einem Gewande, das man respektiert, ist sie gewiss sicher.«
Ich fieng an zu lachen, ohne zu wissen, warum.
»Wahrhaftig,« sagte der Graf, »dies würde Ihnen trefflich anstehen! Sie haben ein sanftes, feines Gesichtchen und kaum ein wenig Flaum um das Kinn; es wäre entzückend ... und dann ... ja, ich will eine gewisse Person necken ... ja, Chevalier, Sie kleiden sich als Dame; es wird uns Spass machen ... gewiss, das wird prächtig werden! ...«
Dieser Gedanke gefiel mir. Ich versprach mir vielen Genuss davon, Sophie in den Kleidern ihres Geschlechtes zu sehen.
Am anderen Tage brachte mir ein geschickter Schneider, den Graf Rosambert bestellt hatte, einen vollständigen Amazonenanzug, so wie ihn die englischen Damen zu Pferde tragen.
Ein gewandter Haarkräusler schlug mein Haar in reizende Locken und setzte mir ein allerliebstes Hütchen auf. So gekleidet, gieng ich zu meinem Vater; er kam mit unruhiger Miene auf mich zu, blieb dann plötzlich stehen und sagte lachend: »Ach! ich hielt Sie anfangs für Adelheid.«
Ich bemerkte ihm, dass er mir sehr schmeichle.
»Nein, ich habe Sie für Adelheid gehalten und besann mich bereits, was sie wohl veranlasst habe, ihr Kloster ohne meine Erlaubnis zu verlassen und in diesem seltsamen Aufzug hierher zu kommen. Hüten Sie sich übrigens, auf diesen kleinen Vortheil stolz zu sein! ein hübsches Gesicht ist bei einem Manne der geringste Vorzug.« Herr Duportail, der zugegen war, rief: »Sie spotten, Baron, wissen Sie nicht ...« Mein Vater sah ihn an, und er schwieg.
Mein Vater drückte zuerst den Wunsch aus, mit mir ins Kloster zu gehen. Meine Schwester erkannte mich erst nach einigen Minuten aufmerksamer Betrachtung. Der Baron, über die außerordentliche Ähnlichkeit zwischen meiner Schwester und mir entzückt, überhäufte uns beide mit Liebkosungen und umarmte uns nacheinander. Indes bereute Adelheid, allein ins Sprechzimmer gekommen zu sein.
»Wie schade,« sagte sie, »dass ich meine Freundin nicht mitbrachte! wie sehr hätten wir uns an ihrer Überraschung ergötzt! erlauben Sie, lieber Papa, dass ich sie hole?«
Der Baron willigte ein. Beim Hereintreten sagte Adelheid zu Sophie: »Meine liebe Freundin, umarmen Sie meine Schwester.« Sophie sah mich bestürzt an und blieb stehen; sie war in der größten Verwirrung.
»Umarmen Sie doch das Fräulein,« sagte die Gouvernante, durch die Verkleidung getäuscht.
»Mein Fräulein, umarmen Sie doch meine Tochter,« fügte der Baron hinzu, dem die Sache Spass machte.
Sophie erröthete und nahte sich zagend; mein Herz schlug hoch. Ich weiß nicht, welcher geheime Instinkt uns zusammenführte, ich weiß nicht, wie es uns gelang, unser Glück den Blicken der aufmerksamen Zuschauer zu entziehen; sie glaubten bei dieser zarten Umarmung hätten bloß unsere Wangen sich berührt, allein ... meine Lippen hatten Sophien's Lippen gedrückt! ... Es war der erste Kuss der Liebe.
Zu Hause trafen wir den Grafen Rosambert, der mich erwartete.
Der Baron sah bald, um was es sich handle, und erlaubte mir, bereitwilliger, als ich geglaubt hätte, die ganze Nacht auf dem Ball zuzubringen. Sein Wagen brachte uns an den Versammlungsort.
»Ich will Sie,« sagte der Graf, »einer jungen Dame vorstellen, bei der ich viel gelte; ich habe ihr vor zwei Monaten ewige Liebe geschworen und gebe ihr seit sechs Wochen Beweise davon.«
So räthselhaft mir diese Sprache war, so fieng ich doch bereits an, mich meiner Unwissenheit zu schämen und lächelte mit schlauer Miene, um Rosambert glauben zu machen, ich hätte ihn verstanden.
»Oh, wie will ich sie quälen!« fuhr er fort, »stellen Sie sich nur recht verliebt in mich, Sie werden sehen, wie sie sich geberdet! Vor Allem sagen Sie ihr ja nicht, dass Sie kein Mädchen sind ... Oh! wir werden sie zur Verzweiflung bringen.«
Sobald wir in den Gesellschaftssaal traten, wandten sich alle Blicke auf mich; ich gerieth darüber in Verwirrung, ich fühlte, dass ich roth wurde, und verlor alle Fassung. Anfangs dachte ich, vielleicht habe irgend eine Unordnung in meinem Anzug oder eine falsche Stellung mich verrathen; bald aber überzeugte mich das allgemeine Hindrängen der Herren und das sichtliche Missvergnügen der Frauen, dass dem nicht so war.
Die eine sah mich spöttisch an, eine andere maß mich mit verächtlichen Blicken; die Fächer rauschten, man flüsterte leise zusammen und rümpfte die Nase, kurz mir wurde die ehrenvolle Aufnahme einer Nebenbuhlerin zu Theil, die sich zum erstenmale in einem großen Zirkel zeigt.
Eine sehr schöne Dame trat herein, es war die Geliebte des Grafen; er stellte mich ihr als seine Verwandte vor, die soeben das Kloster verlassen habe. Die Dame (sie nannte sich Marquise von B...) empfieng mich äußerst freundlich; ich setzte mich neben sie, und die jungen Herren stellten sich im Kreise um uns herum. Um die Eifersucht seiner Geliebten rege zu machen, gab mir der Graf einen ausgezeichneten Vorzug. Die Marquise sichtlich erzürnt über seine Koketterien und entschlossen, ihn dadurch zu strafen, dass er sich keinen Ärger darüber ansehen ließ, verdoppelte ihre Artigkeit und Freundschaft gegen mich.
»Wie behagt Ihnen das Klosterleben?« fragte sie mich.
»Ich würde schon Geschmack daran finden,« antwortete ich, »wenn es viele Personen gebe, die Ihnen gleichen.«
Die Marquise belohnte mich für dieses Compliment mit einem Lächeln, sie richtete mehrere andere Fragen an mich, schien über meine Antworten entzückt, überhäufte mich mit all' den Liebkosungen, womit Frauen einander ihre Freundschaft zu verstehen geben, sagte zu Rosambert, dass er sich glücklich schätzen solle, eine solche Verwandte zu haben, und gab mir endlich einen zärtlichen Kuss, den ich höflich erwiederte.
Dies passte durchaus nicht in Rosambert's Plan, der sich etwas ganz anderes versprochen hatte. Zur Verzweiflung gebracht durch die Lebhaftigkeit der Marquise und noch mehr durch die Aufrichtigkeit, womit ich ihre Liebkosungen annahm, entdeckte er ihr leise das Geheimnis meiner Verkleidung.
»Wie unwahrscheinlich!« rief die Marquise, nachdem sie mich einige Augenblicke betrachtet hatte. Der Graf betheuerte, er habe die Wahrheit gesagt. Sie sah mich auf's neue an.
»Welcher Unsinn, es ist unmöglich!« und der Graf wiederholte seine Betheuerungen.
»Welcher Einfall!« sagte jetzt die Marquise leise zu mir, »wissen Sie, was er sagt? er will mir weiß machen, Sie wären ein verkleideter Jüngling.«
Ich antwortete schüchtern und mit gedämpfter Stimme, er habe die Wahrheit gesagt. Die Marquise warf mir einen zärtlichen Blick zu, drückte mir sanft die Hand und stellte sich, als habe sie mich falsch verstanden, und sagte ziemlich laut: »Ich wusste es wohl! es hatte nicht die geringste Wahrscheinlichkeit für sich;« dann sich an den Grafen wendend: »Aber mein Herr, wozu diesen schlechten Spass?«
»Wie!« antwortete dieser voll Erstaunen. »Das Fräulein behauptet? ...«
»Wie! ob sie behauptet? sehen Sie doch! ein so liebenswürdiges Kind! ein so artiges Mädchen!«
»Was?« wiederholte der Graf ...
»Ach, mein Herr, hören sie doch auf,« entgegnete die Marquise in sehr gereiztem Tone, »Sie halten mich für närrisch und sind selbst der Narr.«
Jetzt glaubte ich im Ernste, sie hatte mich nicht verstanden, und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich bitte um Entschuldigung, Madame! ich habe mich vielleicht falsch ausgedrückt, ich bin nicht, was ich scheine; der Graf hat Ihnen die Wahrheit gesagt.«
»Ich glaube Ihnen ebensowenig als ihm,« antwortete sie in noch leiserem Tone und drückte mir die Hand. –
»Ich versichere Sie, Madame ...« »Schweigen Sie doch, Sie sind ein Schelm! aber Sie sollen mich ebensowenig zum besten haben, als er,« und sie umarmte mich auf's Neue. Rosambert, der uns nicht gehört hatte, war wie versteinert.
Die jungen Herren, die uns umgaben, schienen ebenso neugierig als ungeduldig die endliche Erklärung eines für sie räthselhaften Gesprächs zu erwarten, allein der Graf, aus Furcht seiner Geliebten zu missfallen, wenn er sich selbst dem Spott preisgebe, und in der Hoffnung, ich werde dem Spass bald ein Ende machen, biss sich in die Lippen und wagte kein Wort mehr zusprechen. Zum Glück sah die Marquise die Gräfin ..., ihre Freundin hereintreten. Ich weiß nicht, was sie ihr in's Ohr flüsterte, aber die Gräfin machte sich sogleich an Rosambert und verließ ihn nicht mehr.
Indes hatte der Ball begonnen. Ich machte einen Contredanse mit, und der Zufall wollte, dass die Gräfin und Rosambert gerade hinter meinen Platz zu sitzen kamen. Die junge Dame sagte zu ihm: »Nein, nein, das hilft nichts, ich habe mich Ihrer auf den ganzen Abend bemächtigt und trete Sie an niemand ab. Eifersüchtiger als ein Sultan lasse ich Sie mit keinem Menschen reden. Sie werden entweder gar nicht, oder nur mit mir tanzen! und wenn es Ihnen mit all' den Artigkeiten, die Sie mir sagen, ernst ist, so verbiete ich Ihnen, sowohl mit der Marquise als mit ihrer Nichte auch nur ein Wort zu sprechen.«
»Ach, mein junges Bäschen,« unterbrach sie der Graf, »wenn Sie wüssten ...«
»Ich will nichts missen! Ich verlange nur, dass Sie bleiben. Heda!« fügte sie in scherzhaftem Tone hinzu.
»Ich habe vielleicht Absichten auf Sie, wollen Sie dann den Grausamen spielen?« – mehr hörte ich nicht; der Contredanse gieng schon zu Ende. Die Marquise hatte mich keinen Augenblick aus den Augen verloren; als ich ausruhen wollte, fand ich neben ihr einen Platz. Wir fiengen jetzt auf's neue das alte Spiel an und unterhielten uns sehr lebhaft, was oft durch ihre Liebkosungen unterbrochen wurde, im ganzen merkte ich deutlich, dass ich sie auf einem Irrthum lassen müsse, der ihr zu gefallen schien.
Der Graf beobachtete uns unaufhörlich mit sichtbarer Unruhe; die Marquise schien es nicht zu merken.
»Ich habe nicht im Sinn,« sagte sie endlich zu mir, »die ganze Nacht hier zuzubringen, und ich rathe auch Ihnen, Ihre Gesundheit besser in acht zu nehmen. Nehmen Sie bei mir ein leichtes Abendessen an, Mitternacht ist vorüber; der Herr Marquis wird sogleich zu mir kommen, wir speisen in meiner Wohnung zu Nacht, und ich begleite Sie dann selbst in Ihr Hotel zurück.« Sie nahm eine nachlässige Miene an und sagte: »Mein theuerer Gemahl ist ein Sonderling, Sie brauchen vor ihm das Märchen von Ihrer Verkleidung nicht zu wiederholen. Es gibt Zeiten, wo er sehr zärtlich gegen mich ist, er überhäuft mich mit Aufmerksamkeiten, die ich ihm gern erlassen würde.
Er hat zuweilen auch die lächerlichsten Anfälle von Eifersucht, ich aber kann mich auf seine Treue, die er mir schwört, durchaus nicht verlassen; im Übrigen bekümmere ich mich wenig darum. Es wäre mir angenehm, seine Treue auf die Probe zu stellen, ich habe so meine kleine Kriegslist.
Er wird Sie sehen, er wird Sie reizend finden, kommen Sie ihm daher ein wenig entgegen.«
Ich fragte die Marquise, was dies heiße?
Sie lachte aus vollem Herzen über meine Naivität, sah mich gerührt an und sagte dann:
»Hören Sie, es ist klar, Sie gehören meinem Geschlecht an, das ist reizend und somit sind alle die Liebkosungen, die ich Ihnen erwiesen habe, bloße Zeichen von Freundschaft, wenn Sie aber wirklich ein verkleideter junger Mann wären, und ich hätte in dieser Überzeugung Sie ebenso behandelt, so möchte man dies ein Entgegenkommen nennen und zwar ein starkes.«
Ich versprach ihr, dem Marquis entgegenzukommen.
»Sehr gut! lächeln Sie über seine Einfälle; sehen Sie ihn mit einem gewissen Ausdrucke an, aber lassen Sie sich nicht einfallen, ihm die Hand zu drücken, wie ich Ihnen thue, und ihn zu umarmen, wie ich Sie umarme; dies wäre für Sie nicht schicklich.«
Während unseres Gespräches, trat der Marquis zu uns. Er schien noch jung und nicht übel gebaut zu sein; nur war er etwas klein und kleinlich in seinen Manieren.
Er hatte eine lächelnde Miene.
»Hier stelle ich Ihnen,« sagte die Marquise zu ihm, »Fräulein Duportail vor (dies war mein angenommener Name), eine junge Verwandte des Grafen; Sie werden mir Dank wissen, dass ich Ihnen diese Bekanntschaft verschafft, sie wird die Güte haben, mit uns zu Nacht zu speisen.«
Der Marquis sagte mir die lächerlichsten Artigkeiten und ich dankte ihm mit übertriebenen Komplimenten.
»Ich bin sehr erfreut, mein Fräulein,« sagte er zu mir mit einer langweiligen Miene, »dass Sie mir die Ehre erweisen, bei mir zu speisen. Sie sind anmuthig und hübsch wie ein Engel.«
Ich beantwortete das Kompliment mit einem verbindlichen Lächeln.
»Mein liebes Kind,« sagte die Marquise zu mir, indem sie mit mir zur Seite trat, »Sie haben mir Ihr Wort gegeben und sind zu artig, es zurück zu nehmen; übrigens können wir den Marquis zu entfernen trachten, sobald er Ihnen langweilig wird. Sie drückte mir die Hand, der Marquis sah es.
»Ach!« sagte er, »wie sehr wünschte ich eine dieser niedlichen Hände in den meinen zu haben!«
Ich warf ihm einen strafenden Blick zu.
»Gehen wir, meine Damen, gehen wir!« rief er mit fröhlicher sieghafter Miene und entfernte sich, um seine Leute herbeizurufen.
Der Graf, der dies hörte, kam auf uns zu, so viele Mühe sich auch die Gräfin gegeben hatte, ihn zurückzuhalten.
»Der junge Herr befindet sich ohne Zweifel sehr wohl in seinen galanten Kleidern und hat, wie es scheint, nicht im Sinne die Marquise zu täuschen.«
Ich antwortete in demselben Tone, nur etwas leiser:
»Mein lieber Vetter, wollen Sie denn Ihr Werk so bald zerstören?«
Hierauf wandte er sich zur Marquise:
»Madame, ich halte es für eine Gewissensfrage, Ihnen zu sagen, dass nicht Fräulein Duportail die Ehre haben wird, bei Ihnen zu Nacht zu speisen, sondern der Chevalier Faublas, mein sehr junger und theuerer Freund.«
»Und ich, mein Herr,« war die Antwort, »erkläre Ihnen, dass Sie allzulange auf meine Leichtgläubigkeit gerechnet haben. Haben Sie die Güte, mich mit diesem unsinnigen Gerede zu verschonen, oder mir sehen uns nie wieder –«
»Zu beidem, was Sie so streng sind mir zusagen, habe ich den Muth, Madame; es würde mich untröstlich machen, wenn ich Ihr Vergnügen durch meine Indiskrezion stören, oder durch meine Zudringlichkeit hindern sollte.«
In diesem Augenblick kehrte der Marquis zurück, klopfte Rosambert auf die Schulter und sagte, ihn beim Arme fassend:
»Wie, Du speisest nicht mit uns zur Nacht? Du überlassest uns Deine Verwandte, weißt Du, dass sie hübsch ist. Deine Verwandte? aber unter uns gesagt, ich glaube, sie ist ein wenig ... lebhaft!«
»O, ja! sehr hübsch und sehr lebhaft,« antwortete der Graf mit bitterem Lächeln, »sie ist wie viele andere,« und als hätte er das bevorstehende Schicksal dieses guten Ehemannes geahnt, sagte er zu ihm: »Ich wünsche Ihnen gute Nacht!«
»Wie!« versetzte der Marquis, »glaubst Du, ich behalte Deine Verwandte zu ...? höre doch, wenn sie es wünschte!«
»Ich wünsche Ihnen gute Nacht!« wiederholte der Graf und entfernte sich lachend.
Die Marquise behauptete, Herr von Rosambert sei närrisch geworden.
»Ich fand ihn sehr unartig.«
»Nicht im Geringsten,« sagte der Marquis zuversichtlich zu mir; »er liebt Sie rasend; er hat gesehen, dass ich Ihnen den Hof mache, er ist eifersüchtig.«
In fünf Minuten waren mir im Hotel des Marquis. Man trug sogleich auf; ich kam zwischen der Marquise und ihrem galanten Gemahl zu sitzen, der nicht müde wurde, alles was er nur Artiges wusste, mir vorzuplaudern.
So lange ich nur mit der Befriedigung meines Appetits beschäftigt war, antwortete ich nur mit den Augen.
Sobald aber mein Hunger gestillt war, applaudierte ich ohne Unterschied allen seinen Albernheiten, die er zum besten gab, und seine schlechten Witze trugen ihm tausend Komplimente ein, die ihn entzückten.
Die Blicke der Marquise belebten sich sichtbar, sie betrachtete mich mit der größten Aufmerksamkeit, und sie bemächtigte sich einer meiner Hände.
Um zu sehen, wie weit sich die Macht meiner falschen Reize erstrecke, überließ ich die andere dem Marquis, der sie mit unaussprechlichem Entzücken ergriff.
Die Marquise schien über etwas Wichtiges nachzudenken; ich sah sie abwechslungsweise erröthen und zittern; und ohne ein Wort zu sagen, drückte sie meine rechte Hand leicht in der ihrigen.
Meine linke Hand war in einer minder angenehmen Gefangenschaft, der Marquis drückte sie, dass ich hätte schreien mögen.
Entzückt über seine Eroberung, ganz stolz auf sein Glück, und erfreut über die Gewandtheit, womit er seine Gemahlin vor ihren Augen hintergieng, stieß er von Zeit zu Zeit lange Seufzer aus, die mich betäubten, und brach unmittelbar darauf in lautes Gelächter aus; um dasselbe zu unterdrücken, vielleicht auch in der Meinung, mir eine Artigkeit zu erweisen, biss er mich in die Finger.
Endlich erwachte die schöne Marquise aus ihrer Träumerei und sagte zu mir: »Fräulein Duportail, Sie hätten die ganze Nacht auf dem Balle verweilen sollen, man erwartet Sie vor acht oder neun Uhr morgens nicht zu Hause; bleiben Sie daher bei mir! Jeder andern Freundin würde ich mein Gastzimmer angeboten haben. Ihnen steht mein eigenes zu Diensten.
»Ich muss,« fügte sie in schmeichelndem Tone hinzu, »heute Mutterstelle an Ihnen vertreten und kann nicht zugeben, dass meine Tochter in einem andern Zimmer schlafe, als ich; ich will für Sie ein Bett neben dem meinigen aufschlagen lassen.«
»Wozu noch ein Bett?« fiel der Marquis ein, »in dem Ihrigen ist wohl Raum für zwei; habe ich Sie je geniert, wenn ich Sie darin besuchte? ich schlafe in einem fort und Sie auch.«
Zur guten Letzte gab mir der verliebte Marquis einen derben Fußtritt unter dem Tische; ich erwiederte diese Galanterie auf der Stelle mit einer ähnlichen, und zwar so kräftig, dass er laut aufschrie.
Die Marquise stand erschrocken auf.
»Es ist nichts,« sagte er, »ich habe nur mein Bein an den Tisch gestoßen.«
Ich wollte vor Lachen ersticken, die Marquise konnte sich ebensowenig enthalten, und ihr Gemahl fieng, ohne zu wissen warum, noch lauter, als wir beide, zu lachen an.
Als unsere zügellose Lustigkeit sich ein wenig gelegt hatte, erneuerte die Marquise ihren Antrag.
»Nehmen Sie doch das Bett von Madame an,« rief der Marquis, »nehmen Sie es an, auf mein Wort, Sie werden sich gut darin befinden. Ich komme sogleich zurück, aber nehmen Sie es an.«
Er gieng hinaus.
»Madame,« sagte ich zu ihr. »Ihre Einladung ist für mich ebenso ehrenvoll als schmeichelhaft, aber gilt sie dem Fräulein Duvortail oder dem Herrn von Faublas?«
»Immer noch diesen schlechten Spass des Grafen, kleiner Schelm! und Sie wiederholen ihn! habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ich es nicht glaube?«
»Aber Madame ...« »Still, still,« versetzte sie, ihren Finger auf meinen Mund legend, »der Marquis wird sogleich kommen, er darf uns keine solche Tollheiten plaudern hören. Dieses reizende Kind (sie umarmte mich zärtlich), wie es so schüchtern und bescheiden ist! aber zugleich wie so boshaft! kommen Sie, kleiner Schelm, kommen Sie!«
Sie bot mir die Hand und wir giengen in ihr Schlafgemach. Nun sollte ich mich auskleiden; die Frauen der Marquise boten mir ihre Dienste an, aber ich bat sie sich mit ihrer Gebieterin zu beschäftigen, indem ich allein fertig werden könnte.
»Ja,« sagte die Marquise, die alle meine Bewegungen aufmerksam beobachtete, »geniert sie nicht! das ist noch eine Ziererei vom Kloster her; lasst das Fräulein machen!« Ich schlüpfte schnell hinter die Vorhänge, war aber in der größten Verlegenheit, wie ich mich der ungewohnten Kleider entledigen sollte. Ich zerriss Bänder und Schleifen, und stach und ritzte mich an allen Nadeln.
Ich hatte gerade den letzten Rock fallen lassen, als eine Kammerfrau an mir vorbeigieng. Voll Angst, sie könnte die Vorhänge öffnen, stürzte ich mich in das Bett, erstaunt über das sonderbare Abenteuer, das mich hierher führte, und ohne alle Ahnung der neuen Erfahrungen, die ich hier machen sollte. Die Marquise folgte mir ungesäumt nach. Ihr Gemahl, der in der Nähe war, ließ sich hören:
»Die Damen werden mir doch erlauben, ihnen beim Auskleiden zu helfen?« Er trat ein. »Wie, schon im Bett?«
Er wollte mich umarmen. Die Marquise stellte sich ernstlich böse. Das veranlasste ihn, den Vorhang meines Bettes selbst zu schließen.
Er schied von uns mit demselben Wunsche, den ihm der Graf mitgegeben hatte:
»Gute Nacht!«
Einige Augenblicke herrschte tiefe Stille.
»Schlafen Sie schon, schönes Kind?« fragte die Marquise mit unsicherer Stimme.
»O nein, ich schlafe nicht!«
Sie stürzte sich in meine Arme und drückte mich an ihren Busen.
»Ihr Götter!« rief sie jetzt mit Überraschung, die wenn sie auch geheuchelt war, doch wenigstens sehr natürlich klang, »ein Mann!« Und mich heftig von sich stoßend rief sie: »Wie! mein Herr, ist's möglich?«
»Madame, ich habe es Ihnen ja gesagt,« versetzte ich zitternd.
»Sie haben mir es wohl gesagt, aber wer hätte es glauben sollen? Sie hätten es nicht bloß sagen, Sie hätten nicht bei mir bleiben ... oder wenigstens nicht hindern sollen, dass man ein Bett für Sie aufschlug ...«
»Ach, Madame, daran bin ich nicht schuldig, sondern der Herr Marquis.«
»Aber, mein Herr, sprechen sie doch leiser. Sie hätten nicht bei mir bleiben, Sie hätten gehen sollen.«
»Nun gut, Madame, ich gehe!«
Sie hielt mich am Arm zurück. »Sie wollen gehen, und wohin denn, mein Herr? was wollen Sie thun? meine Frauen aufwecken, einen Scandal machen? allen meinen Leuten zeigen, dass ein Mann in meinem Bett gewesen ist; dass man so mit mir umgeht?«
»Madame, ich bitte um Verzeihung; zürnen Sie nicht, ich will mich in einen Armsessel werfen.«
»Ja, in einen Armsessel, das müssen Sie thun! – aber wozu würde dies führen? (mich immer am Arme haltend) müde, wie Sie sind, bei diesem Frost! sich erkälten! Ihre Gesundheit zerstören! ... Sie hätten freilich diese harte Behandlung verdient ... Doch bleiben Sie da! aber versprechen Sie artig zu sein.«
»O, gewiss, Madame, wenn Sie mir verzeihen!«
»Nein, ich kann Ihnen nicht verzeihen! aber ich habe mehr Aufmerksamkeit für Sie, als Sie für mich. Wie kalt Ihre Hand schon ist!« und aus Mitleid legte die Marquise sie auf ihren schneeweißen Hals. Geleitet durch Instinkt und Liebe, gleitet meine glückliche Hand ein wenig abwärts; ich wusste nicht, welche Aufregung mein Blut kochen machte.
»Ist jemals eine Frau in solcher Verlegenheit gewesen?« fuhr die Marquise in sanfterem Tone fort.
»Ach! Verzeihen Sie mir doch, meine theuere Mama.«
»Ja, Sie haben viele Ehrfurcht für Ihre liebe Mama, kleiner Taugenichts!«
Ihre Arme, die mich anfangs zurückgestoßen hatten, zogen mich jetzt sanft an sich. Bald fanden wir uns so nahe beisammen, dass unsere Lippen sich begegneten; ich hatte die Kühnheit einen glühenden Kuss auf die ihrigen zu drücken.
»Faublas, haben Sie mir das versprochen?« sagte sie mit ersterbender Stimme. Ihre Hand verirrte sich, ein verzehrendes Feuer rollte durch meine Adern ...
»Ach! Madame, verzeihen Sie, ich sterbe!«
»Mein lieber Faublas! ... mein Freund! ...«
Ich blieb regungslos liegen. Endlich hatte die Marquise Mitleid mit meiner Verlegenheit, die ihr nicht missfallen konnte, und kam meiner blöden Unerfahrenheit zu Hilfe.
Mit freudiger Verwunderung erhielt ich eine entzückende Lektion, die ich mehr als einmal wiederholte.
Wir brachten mehrere Stunden mit dieser angenehmen Unterhaltung zu, und ich fieng bereits auf dem schönen Busen meiner schönen Freundin einzuschlafen, als ich das Geräusch einer Thüre hörte, welche sich leise öffnete. Man trat ein, man näherte sich auf den Fußspitzen. Ich war ohne Waffen, in einem Hause, welches ich nicht kannte, ich konnte mich des Schreckens, der sich meiner bemächtigte, nicht erwehren.
Die Marquise, welche die Ursache errieth, sagte mir ganz leise:
»Nehmen Sie meinen Platz ein und überlassen Sie mir den Ihrigen.« Ich gehorchte.
Kaum hatte ich mich auf den Rand des Bettes niedergelegt, als die Vorhänge auf der Seite, die ich soeben verlassen, geöffnet wurden.
»Wer stört meine Ruhe?« sagte die Marquise. Die Person blieb einige Augenblicke stehen und machte sich dann ohne Worte verständlich.
»Welch ein Einfall!« sagte die Marquise, »Sie wählen Ihre Zeit sehr schlecht, ohne Rücksicht auf mich und auf die Unschuld eines Kindes, das vielleicht nicht schläft, oder leicht erwachen könnte! Sie sind nicht bei Sinnen, ich bitte Sie, entfernen Sie sich!«
Der Marquis beharrte auf seinem Verlangen und brachte lächerliche Entschuldigungen vor.
»Nein,« sagte sie zu ihm, »ich will nicht, es kann nicht sein! ich bitte Sie dringend, gehen Sie zurück.«
Sie schwang sich aus dem Bette, nahm ihn beim Arme und führte ihn an die Thüre.
Meine schöne Freundin kam lachend zurück und sagte:
»Finden Sie mein Betragen nicht lobenswert? sehen Sie, was ich um Ihretwillen ausgeschlagen habe.«
Ich fühlte, dass ich ihr eine Entschädigung schuldig war, erbot mich feurig dazu, und sie wurde mit Dank angenommen.
Eine fünfundzwanzigjährige Frau ist so gefällig, wenn sie liebt, und die Natur in einem Neuling von sechzehn Jahren so unerschöpflich reich!
Jedoch bei den armen Sterblichen hat Alles seine Grenzen, und ich versank bald in einen tiefen Schlaf.
Als ich erwachte, drang der Tag bereits durch die Vorhänge des Zimmers. Ich dachte an meinen Vater ... ach! ich erinnerte mich an meine Sophie, und eine Thräne trat mir in die Augen. Die Marquise bemerkte dies. Bereits einiger Verstellung fähig, schrieb ich meine peinliche Unruhe dem Schmerz über unsere bevorstehende Trennung zu.
Sie umarmte mich zärtlich. Ich sah sie in ihrer ganzen Schönheit! Die Gelegenheit war so verlockend! ... einige Stunden Schlaf hatten mir neue Kräfte gegeben ... Die glühende Leidenschaft verscheuchte die Reue der Liebe. Endlich mussten wir an unsere Trennung denken.
Die Marquise machte meine Kammerfrau, und ohne die vielen Zerstreutheiten wäre meine Toilette bald fertig gewesen. Als wir glaubten, dass nichts mehr an meinem Anzuge fehle, läutete die Marquise ihren Frauen.
Der Marquis hatte uns schon über eine Stunde erwartet und sagte mir viele schmeichelhafte Complimente.
»Gewiss, Sie haben eine vortreffliche Nacht gehabt!« und ohne mir Zeit zur Antwort zu lassen, fuhr er fort: »und doch sieht sie erschöpft aus! sie hat so matte Augen! – aber das kommt vom Tanzen her. Geschwind eine Stärkung für das reizende Kind, dann wollen wir sie nach Hause führen.« Dieses bestimmte Wort »nach Hause führen«, versetzte mich in die größte Unruhe.
Ich sagte, es wäre genug, wenn die Frau Marquise mich nach Hause brächte; allein er blieb beharrlich.
Wie groß auch unsere Bemühungen waren, ihn von dieser Idee abzubringen, so mussten wir dennoch seine Begleitung annehmen; er antwortete, dass es Herrn Duportail unmöglich missfallen könne, wenn er ihm in Gesellschaft der Marquise seine Tochter zurückführe, und er wünsche den Vater eines so liebenswürdigen Kindes kennen zu lernen.
Mir bangte, und ich begann dem Abenteuer, das unter so günstigen Aussichten begonnen hatte, ein unglückliches Ende zu weissagen. Ich konnte nichts anderes thun, als dem Kutscher des Marquis die wirkliche Adresse des Herrn Duportail angeben. »Zu Herrn Duportail,« sagte ich, »neben dem Arsenal.« Die Marquise theilte meine Verlegenheit; es war mir noch kein Ausweg eingefallen, als mir vor dem Hause meines angeblichen Vaters ankamen.
Er war zu Hause, man meldete ihm, der Marquis und die Marquise von B... brachten ihm seine Tochter zurück.
»Meine Tochter!« rief er in der heftigsten Aufregung, »meine Tochter!« und stürzte uns entgegen. Ohne ihm zu einem einzigen Worte Zeit zu lassen, fiel ich ihm um den Hals.
»Ja,« sagte ich, »Sie sind ja Witwer und haben eine Tochter.«
»Sprechen Sie doch leiser,« antwortete er lebhaft, »sprechen Sie leiser! wer hat es Ihnen gesagt?«
»Ach, mein Gott! verstehen Sie mich nicht? ich bin Ihre Tochter.«