Legendtopia – Im Bann der Zauberin - Lee Bacon - E-Book

Legendtopia – Im Bann der Zauberin E-Book

Lee Bacon

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Beschreibung

Als Kara einen Klassenausflug in das kitschige Märchenrestaurant ›Legendtopia‹ macht, stolpert sie zufällig durch einen kaputten Kühlschrank in die Märchenwelt. Dort lauern Drachen, Monster und eine böse Zauberin. Doch zum Glück begegnet sie dort auch dem abenteuerdurstigen Prinz Fred. Er weiß, wie man mit Zauberwesen umgehen muss, aber von der geheimnisvollen Welt der Menschen mit ihrer sogenannten »Technik« hat er keine Ahnung. Neugierig folgt er Kara durch eine magische Tür in dieses Land namens »Erde«. Doch die böse Zauberin ist ihnen auf den Fersen und bevor das Portal sich schließt, schlüpft sie hindurch … Dunkle Magie dringt in die Welt der Menschen. Ein düsteres Zeitalter bricht an. Das Schicksal zweier Welten liegt in den Händen von Kara und Fred. Ein lustiges Fantasyabenteuer in zwei Bänden voller Action, Humor und Magie!

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Seitenzahl: 247

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Lee Bacon

Legendtopia – Im Bann der Zauberin

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Inhalt

WidmungPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredKaraPrinz FredDanksagung

Für all die Bibliothekare und Bibliothekarinnen da draußen.

Ihr seid die Magier.

Ihr öffnet die Türen

zu einer unendlichen Zahl von Welten.

Prinz Fred

Kennt ihr die Legende?

Es gibt eine Legende über eine andere Welt. Eine Welt aus Magie und Wundern. Eine Welt, in der Kutschen ohne Pferde fahren und geflügelte Maschinen höher als jeder Vogel fliegen. Eine Welt, in der alle Informationen aus allen Bibliotheken in eurer Handfläche Platz finden. Eine Welt, in der das Licht von tausend Kerzen mit einem einzigen Schalterklick entfacht werden kann.

Eine Welt, die als Örde bekannt ist.

Der Legende nach trennt eine Tür meine Welt von Örde. Eine kleine hölzerne Tür, nur halb so hoch wie jede normale Tür.

Doch wenn ihr versucht, die Tür zu öffnen, wird sie sich weigern.

Versucht es noch einmal und zieht erneut dran. Sie wird sich auch diesmal nicht rühren. Denn ihr müsst wissen, diese Tür kann nur von jemandem auf der anderen Seite geöffnet werden. Also von jemandem aus Örde.

Im Lauf der Jahre hat es unzählige Versuche gegeben, die Tür zu öffnen. Die stärksten Männer des Königreichs haben mit aller Kraft gezogen. Die mächtigsten Magier haben ihre wirkungsvollsten Zaubersprüche angewendet.

Aber kein Zauber hat gewirkt.

Solange die Erinnerung zurückreicht, war die Tür immer zu. Verschlossen. Ein Rätsel.

Bis zu dem Tag, als ein Mädchen namens Kara hindurchkam und für immer mein Leben veränderte.

Kara

Das wird super.

Zumindest meint Marcy das. Sie sitzt im Bus neben mir und hüpft so aufgeregt herum, dass die ganze Bank wackelt.

»Super, super, super!«, kreischt sie.

Heute fahren wir Schüler der Jahrgangsstufe sechs mit der Englischlehrerin in ein Restaurant, wo alles unter dem Motto Fantasy steht. Das Lokal heißt Legendtopia. Ich war noch nie dort. Ehrlich gesagt stehe ich nicht so auf Fantasy. Marcy dagegen … Sie liest ständig irgendwelche Bücher mit Elfen und Einhörnern auf dem Cover. Ihre letzte Geburtstagsfeier stand unter dem Thema »Hobbit«. Den ganzen Nachmittag über trug sie so komische Füße aus unechtem Fell.

In der letzten Woche haben wir uns im Englischunterricht nur noch mit Volksbräuchen und alten Sagen beschäftigt. Es ging ständig um irgendwelche heroischen Taten und Zaubergestalten. Wie gesagt, ich steh eigentlich nicht besonders auf Fantasy. Also hab ich mich so lange ausgeklinkt, bis Mrs Olyphant plötzlich ein Wort sagte, das mich aufhorchen ließ:

Ausflug.

Sowenig mich das Thema auch reizt – alles ist besser, als in der Klasse herumzuhocken.

»Ich hab eine halbe Ewigkeit gebettelt, dass meine Eltern mit mir ins Legendtopia gehen!«, sagt Marcy grinsend und präsentiert dabei ihre komplette Zahnspange. »Aber irgendwie hat es nie geklappt.«

»Wahrscheinlich, weil es total öde ist«, sagt Trevor Fitzgerald, der vor uns sitzt.

Marcy hört auf herumzuhüpfen und wirft Trevor einen bösen Blick zu. »Woher willst du das wissen?«

»Bin letzten Sommer da gewesen«, antwortet Trevor. »Total enttäuschend.«

Aber Marcy will davon nichts wissen. »Ich hab gehört, es gibt dort einen Drachen. Und Menschenfresser, die sogar sprechen.« Sie dreht sich zu mir um. »Jetzt sag doch auch mal was, Kara. Freust du dich nicht?«

Ich zögere. »Ich freu mich, endlich mal keinen Fraß aus der Kantine essen zu müssen.«

Freuen ist echt untertrieben. Gestern gab es Pommes mit Schimmelbeilage.

Aber mein Kommentar ist keine große Unterstützung für Marcy. Und plötzlich verlässt die Begeisterung sie. Marcy sinkt in ihren Sitz zurück und verschränkt die Arme.

Auch wenn sie es manchmal mit diesem Fantasy-Kram echt übertreibt, mag ich nicht, wenn sie enttäuscht ist. Wir kennen uns seit der ersten Klasse. Vor den Sommerferien haben wir beide bei der alljährlichen Aufführung von Schneewittchen und die sieben Rentiere mitgetanzt. Sie hat das Streifenhörnchen gespielt, ich war der tanzende Busch. Seitdem sind wir Freundinnen.

Ich lege eine Hand auf ihre Schulter. »Das Legendtopia hat einen Drachen?«

Marcy nickt.

»Und Menschenfresser?«

Sie nickt noch einmal. »Die sprechen.«

»Ich finde, das klingt echt super.«

In Marcys Gesicht kehrt ein Lächeln zurück. »Sag ich doch.«

Während der Bus weiter durch die Stadt rumpelt, schaue ich aus dem Fenster und drehe dabei meine Eulenkette zwischen den Fingern. Das ist so eine Angewohnheit von mir. Manche kauen an den Nägeln oder nagen an ihren Haaren rum. Ich hab meine Kette. Der Anhänger ist eine kleine Eule. Die Sonne lässt den spitzen Schnabel und die runden Augen aufleuchten.

Die Kette war ein Geschenk von meinem Dad. Das letzte, was ich von ihm bekommen habe.

Als der Bus um eine Kurve schwankt, rutscht mir die Eule aus den Fingern. Plötzlich taucht draußen vor dem Fenster das Legendtopia auf. Glaubt mir, das Ding ist echt nicht zu übersehen. Es soll wie eine alte Burg aus Europa wirken, auch wenn ich nicht weiß, ob es in Europa Burgen mitten in Einkaufscentern gibt, eingezwängt zwischen einer Bank und einem Elektronikmarkt.

Unsere Klasse steigt aus dem Bus und folgt Mrs Olyphant in Richtung Restaurant. Künstliche Steintürme erheben sich schief und krumm über den Parkplatz. Eine Mini-Zugbrücke, die einen Goldfischteich überquert, führt zum Eingang.

Dort werden wir von einer Ritterrüstung begrüßt. Ich zucke zusammen, als die Rüstung plötzlich die Arme ausbreitet und anfängt zu sprechen. »Wruppmmh umphh lummmphha worrggh lummmph ummpphemummphh.«

»Wie bitte?«, fragt Mrs Olyphant.

Der Mensch in der Rüstung hebt seinen quietschenden Handschuh und schiebt das Visier hoch. Unter dem Helm steckt ein pickliger Teenager. Er wiederholt, was er unter der Blechklappe gesagt hat, und diesmal ist er ein ganzes Stück besser zu verstehen:

»Willkommen im Legendtopia, wo Legenden auferstehen.«

Der Typ führt uns in das Restaurant. Es ist schwer zu verstehen, was er sagt – die meisten Geräusche kommen von seiner Rüstung.

»Meine edlen Damen und Herren, folgen Sie mir in eine andere Welt.« SCHEPPER! QUIETSCH! »Eine verzaubernde Welt …« RUMMS! »… voller Magie.« KNIRSCH! KLACK! »Zu Ihren Tischen geht es hier lang.«

Wir folgen dem Ritter durch einen gewölbten Eingang, wo sich verstaubte Plastikranken an den Wänden emporwinden. Wir kommen an einem Schild vorbei, auf dem steht:

VORSICHT

MENSCHENFRESSER KREUZEN

Marcy stößt Trevor an. »Siehst du, hab ich dir doch gesagt, dass es hier Menschenfresser gibt.«

»Oooh, schlotter. Ich krieg echt Angst.«

»Wart’s ab«, antwortet Marcy. »Mit Menschenfressern willst du dich bestimmt nicht anlegen.«

Ihr kleiner Streit verstummt, als sich plötzlich quietschend eine verborgene Tür öffnet. Heraus schießt ein Menschenfresser. Selbst Marcy würde zugeben müssen, dass das Ding nicht sehr angsteinflößend aussieht. Schon wegen der Drähte, die ihm aus den Ohren ragen, und der Wattefüllung, die aus den aufgerissenen Nähten quillt.

Aber zumindest in einem hat Marcy recht: Der Menschenfresser spricht.

Mehr oder weniger jedenfalls.

»GRRR! ICH WERDE EURE KNOCHEN FRESSEN!«, knurrt das Monster. Seine Stimme ist so elektronisch entstellt, dass sie eher wie ein Toaster klingt, der nicht mehr richtig funktioniert.

Wir gehen weiter. Marcy wirft einen enttäuschten Blick über die Schulter. »Was für ein Menschenfresser war das denn?«

»Ein öder Menschenfresser!«, sagt Trevor mit triumphierendem Grinsen. »Genau wie ich gesagt hab.«

»Vergiss es.« Ich packe Marcys Arm und führe sie von Trevor weg. »Hör nicht auf ihn.«

»Er hat ja irgendwie recht«, grummelt Marcy vor sich hin.

»Ach, weißt du … Ich wette, der Rest vom Legendtopia ist besser.«

Doch als ich mich in dem Restaurant umschaue, bin ich mir da nicht so sicher. Alles wirkt total wie Attrappe. Der Königsthron ist aus Styropor. Das Einhorn ist ein ausgestopftes Pferd, dem mit Klebeband ein Horn am Kopf befestigt wurde.

Das Legendtopia ist wirklich legendär.

Ein legendärer Reinfall.

Aber Marcy hat noch nicht ganz aufgegeben, was den Laden betrifft. Als ein wildes Brüllen den Gang entlangdröhnt, muntert sie das wieder auf.

Vorn bleibt der Ritter scheppernd stehen. »Was ist das für ein Geräusch, das ich vernehme? Es klingt nach … dem Drachen!«

Marcy wirft mir ein aufgeregtes Grinsen zu. »Ich wusste doch, dass es hier einen Drachen gibt.«

Wir beide zucken zusammen, als es erneut brüllt. Rauch wabert in den Raum. Der Schauer des Unbekannten liegt schwer in der Luft. Die Atmosphäre des Bedrohlichen. Das muss es sein, was Marcy so an den Fantasy-Geschichten reizt. Dass alles möglich ist.

Ein dunkler Schemen zeichnet sich im Rauch ab. Auch wenn ich weiß, dass alles nur Fake ist, schlägt mein Herz plötzlich doch ein Stück schneller. Ich packe Marcys Ellenbogen etwas fester. Die dunkle Gestalt windet sich durch den Dunst näher und näher auf uns zu, bis wir – endlich – einen Blick auf das Ding erhaschen …

Und es sieht überhaupt nicht nach Drache aus.

Mehr wie ein übergroßes Huhn.

Marcy stampft mit dem Fuß auf. »Das ist doch kein Drache!«

Der Einzige, der Angst vor dem großen purpurnen Huhn zu haben scheint, ist unser pickliger Ritter. Er zieht sein Plastikschwert und fuchtelt damit herum.

»Schnell, lasst uns von hier verschwinden!« SCHEPPER! PLONK! »Bevor uns der Drache verschlingt!«

»Ja, lasst uns vor dieser grausigen Hühner-Attrappe die Flucht ergreifen«, johlt Trevor, während wir weiterlatschen.

Marcy zuliebe hoffe ich, dass das Ganze besser wird, sobald wir unseren langen Holztisch erreicht haben. Aber keine Chance. Als wir sitzen, tritt torkelnd eine Frau mit spitzem Hut und weitem Mantel heran.

»Seid willkommen«, verkündet sie. »Ich heiße Gerlaxia, und ich bin die mächtigste Hexe im ganzen Land! Doch für heute bin ich eure Kellnerin!«

Der Hut der Frau hat lauter Senfflecken, und unter dem Mantel blitzen ihre Converse-Schuhe vor.

»Macht euch auf phantastische Hexenwerke und packende Zaubereien gefasst. Aber als Erstes – darf ich euch die Karte präsentieren.«

Gerlaxia wirbelt einmal mit den Händen, und schon fallen mehrere Menükarten aus ihrem Ärmel.

»Upps«, murmelt die Hexe.

Nachdem sie die Karten vom Boden aufgesammelt hat, geht sie um den Tisch herum und fragt, was wir trinken wollen. Zu mir kommt sie zuletzt. Als sich Gerlaxia vorbeugt, verhakt sich die Krempe ihres spitzen Huts an meiner Eulenkette. Als sie sich umdreht und gehen will, reißt der Verschluss ab. Die Kette löst sich von meinem Hals und hängt an ihrem Hut fest.

Gerlaxia stolziert davon, und ich bin am Tisch eingekeilt. Während ich sehe, wie die unechte Hexe aus meinem Blickfeld verschwindet, macht sich in mir das Gefühl breit, den letzten kleinen Fitzel von meinem Vater, den ich bisher noch besaß, verloren zu haben.

»Die kommt bestimmt gleich zurück«, sagt Marcy.

»Und was, wenn die Kette runterfällt?« Ich drehe mich zur Seite, schaffe es aber auch jetzt nicht, mich aus der Bank zu zwängen. »Ich muss sie zurückholen!«

Marcys Gesicht zieht sich zusammen. »Dann weißt du ja, was du zu tun hast?« Die Beleuchtung des Legendtopia schimmert in ihren Augen. »Du musst deine Kette vor der bösen Hexe retten! Das ist deine Heldenmission!«

Marcy hilft mir, die Bank vom Tisch wegzuschieben. Diesmal schaffen wir es mit vereinten Kräften, und ich klettere rüber.

»Möge deine Reise erfolgreich sein!«, ruft Marcy hinter mir her.

Ich eile an einem weiteren ferngesteuerten Menschenfresser vorbei (wobei dieser ein XXL-Shirt mit der Aufschrift ICH HATTE EINE LEGENDÄRE ZEIT IM LEGENDTOPIA trägt). Dann entdecke ich plötzlich einen purpurnen Mantel mit passendem Hut. Die Kellnerin schiebt sich durch eine Tür, auf der ZUTRITT NUR FÜR ZAUBERPERSONAL steht. Ich beeile mich, ihr zu folgen, doch der Eingang wird von einem Kobold bewacht. Und mit Kobold meine ich einen Kerl mit angeklebten Spitzohren.

»Du kannst hier nicht rein«, sagt der Kobold mit gelangweilter Stimme.

»Ich muss nur was von unserer Kellnerin zurückkriegen«, erkläre ich ihm. »Sie ist vor zwei Sekunden durch diese Tür durch. Erinnerst du dich? Die Hexe?«

Der Kobold deutet auf das Schild. »Tut mir leid. Nur für Zauberpersonal.«

Ich balle die Hände zu Fäusten. Gerlaxia entschwindet. Genau wie meine Kette.

Plötzlich schwingt die Tür auf, und der Ritter tritt heraus. Sich an den Kobold wendend, sagt er: »Eine Frau hat gerade Nachos über das Einhorn gekippt. Der Chef will, dass du das wegputzt.«

Den Rest der Unterhaltung kriege ich nicht mehr mit. Denn gerade als die Tür wieder zuschwingt, schlüpfe ich schnell hindurch. Wie es scheint, befinde ich mich in so einer Art Backstage-Bereich. Überall stehen Regale mit Kostümen und Perücken. Es gibt auch einen Haufen mit Plastikranken. Feen aus Pappmaché baumeln an Angelleinen von der Decke.

Ich fliehe in den nächsten Raum. Die Küche. Ich ducke mich und husche an brutzelnden Pfannen und dampfenden Öfen vorbei. Hinter mir geht die Tür auf. Der Kobold und der Ritter stolpern herein.

Ich springe hinter einen riesigen silbernen Kasten. An der Tür des Kastens steht:

BEGEHBARER KÜHLSCHRANK

DEFEKT

Es ist eindeutig der größte Kühlschrank, den ich je gesehen habe. Groß genug, um sich darin zu verstecken. Ich reiße die Tür auf und springe hinein. Das Innere sieht aus wie ein riesiger Metallschrank mit leeren Fächern, abgesehen von verstreuten Überresten alter Lebensmittel. Ich nehme an, dass der Kühlschrank schon lange ohne Strom ist, denn er ist überhaupt nicht kalt.

Und noch etwas fällt mir an dem begehbaren Kühlschrank auf: Das ganze Innere riecht nach verdorbenem Gemüse.

Bäh!

Doch wie es aussieht, werde ich mich mit dem Gestank abfinden müssen. Zumindest so lange, bis ich nicht mehr Gefahr laufe, von dem Ritter und dem Kobold erwischt zu werden.

Ich ziehe die Tür weiter zu. Alles wird pechschwarz.

In dem Dunkel zaubert mir meine Phantasie die Eulenkette vor die Nase. Große silberne Augen und ein kleiner spitzer Schnabel. Ich erinnere mich an den Abend, als mein Dad sie mir schenkte. Damals schien es merkwürdig, dass er mir einfach so ein Geschenk machte. Ich hatte weder Geburtstag noch war Weihnachten oder sonst ein besonderer Tag. Als ich Dad darauf hinwies, nahm er mir den Schmuck wieder weg.

»Vielleicht hast du recht«, sagte er. Sein Akzent ließ die Worte wie Musik klingen. Jeder Satz hörte sich bei ihm an, als könnte im nächsten Moment eine Tango-Party ausbrechen. »Wahrscheinlich sollte ich besser warten.«

Er tat so, als würde er die Kette wieder einstecken.

»Neiiiin«, quengelte ich und griff danach.

Dad lächelte. Er hatte ein Lächeln, das sämtliche Birnen im Zimmer ein bisschen heller strahlen ließ. »Na gut, Hija. Dann probier sie mal an.«

Als er mir die Kette um den Hals legte, roch ich eine Mischung aus Öl und verschmorten Kabeln. Dad war Elektriker. Manchmal, wenn er abends von der Arbeit kam, ließ er seine Werkzeugkiste einfach mitten im Wohnzimmer fallen und gab der Familie eine kleine Vorstellung. Mit dem Dreh eines Schraubenziehers konnte er eine Leiterplatte einen Song von Frank Sinatra summen lassen. Oder er ließ Magnete über dem Teppich schweben und kreiseln. Indem er zwei Drähte zusammendrückte, erzeugte er auf dem Kaffeetisch eine Mini-Version des großen Feuerwerks, das wir jedes Jahr zum Unabhängigkeitstag bestaunten.

Diese Darbietungen gingen gewöhnlich so lange weiter, bis wir entweder ins Bett mussten oder das Sofa Feuer fing – je nach dem, was zuerst eintrat.

Aber an jenem Abend, als er mir die Kette schenkte, gab es weder eine Werkzeugkiste noch irgendwelche Zaubertricks. Nur die kleine silberne Eule, die an der Kette hing.

»Wie schön«, sagte ich.

»Genau wie du, Hija.« Dad lächelte. Die Birnen glühten so hell, dass ich dachte, sie würden jeden Moment platzen. »Wenn du die Kette bei dir trägst, wird sie dich mir näherbringen.«

Damals wusste ich es nicht, doch es war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Am nächsten Tag ging Dad zur Arbeit und kam nie mehr zurück.

Das ist inzwischen über drei Jahre her. Ich habe die Kette seitdem immer getragen. Es gibt Momente, in denen ich beinahe spüren kann, wie die kleinen Metallflügel gegen meine Haut schlagen. Immer dann, wenn ich die Eule ganz fest in der Hand halte und mir vorstelle, dass mein Dad noch bei mir ist.

Und jetzt konnte die Eule überall sein. In die Suppe von jemand gefallen oder am Horn eines Einhorns hängengeblieben. Aus Versehen in einen Mülleimer geworfen oder auf der Toilette unter ein Klo gekickt.

Weg.

Ich darf das nicht zulassen. Ich muss raus aus dem Kühlschrank.

Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, sehe ich plötzlich das Licht.

Ein schwacher, flackernder Schein vom anderen Ende des begehbaren Kühlschranks.

Vielleicht ist es ein zweiter Ausgang.

Ich krieche in seine Richtung. Als ich einen Pappkarton mit verschimmelten Zitronen zur Seite schiebe, wird das Licht heller. Ich muss mich klein machen, um unter das Fach zu passen, so als wenn ich in eine Höhle steigen wollte.

Plötzlich spüre ich, wie mir ein kühler Luftzug Gänsehaut verursacht. Als ich den Kühlschrank betrat, war alles aus Stahl gewesen. Doch jetzt scheinen die engen Wände aus … Ziegelsteinen gemauert zu sein.

Weiter vorn entdecke ich den Ursprung des Lichts. Und traue fast meinen Augen nicht. Flackernde Fackeln. Sie sind an der Ziegelwand befestigt. Und zwischen ihnen gibt es …

Eine Tür.

Eine kleine Holztür.

Das wirft ein paar entscheidende Fragen auf: Wohin führt mich dieser Tunnel? Was ist hinter der Tür? Und wie groß ist dieser begehbare Kühlschrank eigentlich?

Ich krieche weiter, bis ich nahe genug bin, um die Wärme zu spüren, die von den Fackeln rührt. Die Flammen zittern und flackern. Mein Schatten tanzt auf der Ziegelwand.

Die Tür ist direkt vor mir. Die Fackeln zischeln und murmeln. Fast als würden sie flüstern: Mach schon. Drück die Klinke.

Und genau das tue ich.

Die kleine Tür öffnet sich knarrend.

Ich gehe in die Hocke und schiebe mich hindurch.

Prinz Fred

Erlaubt mir bitte, mich ordentlich vorzustellen.

Mein Name ist Frederick Alexander Siegfried Maria Thorston XIV, Prinz von Heldstone und Thronerbe unseres Königreichs. Aber wenn euch das lieber ist, könnt ihr mich einfach Prinz Frederick der Vierzehnte nennen.

Und bitte – darauf muss ich bestehen – nennt mich nicht Prinz Fred.

Mein Tag beginnt wie die meisten anderen Tage. Am Morgen helfen mir meine vielen Diener dabei, mich anzuziehen. Sie legen mir die Strümpfe zurecht, knöpfen mir das Wams zu und binden mir die Schnürsenkel meiner seidenen Hausschuhe. Darauf folgt eine Stunde lang Körperpflege. Das sorgsame Zupfen der Augenbrauen, das Polieren der Fingernägel und das Frisieren der Haare.

Es ist nicht einfach, so majestätisch und gut auszusehen, wie es bei mir der Fall ist.

Wenn ich meine Diener fortgeschickt habe, stehe ich allein am Fenster meines Schlafgemachs. Ich schiebe die Samtvorhänge zur Seite und lasse den Blick über den Zauberwald schweifen. Diese grüne Weite. Nachts tanzen die Bäume miteinander wie Gäste in einem Ballsaal.

Nach Osten die primitiven Lehmhütten von Grok, wo Tausende von Trollen hausen. Nach Westen Valpathia, die Hauptstadt von Heldstone. Die Sonne funkelt von den hoch aufragenden Denkmälern und prächtigen Häusern.

In Heldstone herrscht geschäftiges Treiben. Ein Pferdegespann rattert an einer Hexenfamilie vorüber, die am Straßenrand unechte Heilsäfte feilbietet. Eine Drachenmutter jagt durch den Himmel. Ihr folgen, noch unbeholfen im Fliegen, drei kleine Drachenkinder. Unten am Boden kehrt eine Reihe von Rittern aus einer Schlacht heim. Händler transportieren ihre Waren auf hölzernen Karren. Elfen streiten mit ein paar Zwergen wegen irgendetwas.

Es ist wahrlich ein wundervolles Königreich. Ich freue mich schon darauf, es irgendwann selbst zu regieren.

♢ ♢ ♢

Im Palast geht es zu wie in einem Bienenstock. Morgen beginnt der Sternenball, das größte Fest des gesamten Jahrzehnts. Sieben Tage lang Paraden, Feste und Tanz. Alle sind deshalb mit den Vorbereitungen beschäftigt. Waschfrauen schütteln die seidenen Laken aus, Diener entstauben die wertvollen Möbel. Doch urplötzlich flieht das Personal vor dem Geräusch strammer Schritte auf dem Marmorboden in sämtliche Richtungen auseinander.

Die Zauberin.

Sie kommt um die Ecke. Ihr langes dunkles Haar verschmilzt übergangslos mit ihrem langen dunklen Kleid. Die Haut so bleich wie Gletschereis. Lippen so rot wie Blut.

Sofern die Zauberin einen Namen besitzt, kennt ihn im Palast jedenfalls niemand. Seit Jahren hat sie als königliche Hexenmeisterin gedient, als mächtigste Zauberin des gesamten Reichs. Sie ist schön. Atemberaubend schön. Geradezu unnatürlich schön. Als wenn die begabtesten Künstler des Königreichs ihre Züge in Marmor gemeißelt hätten.

Außerdem hat sie ein angsteinflößendes Wesen. Was wahrscheinlich der Grund ist, weshalb die Diener beim Klang ihrer Schritte davongelaufen sind.

Und noch ein Punkt in Sachen Zauberin: Sie verachtet mich.

Als der Prinz unseres Reichs bin ich es nicht gewohnt, dass mich jemand nicht mag. Alle andern im Königreich scheinen mich sehr zu mögen. Wann immer ich auf der Terrasse stehe, um Goldmünzen über die Palastmauern zu werfen, jubeln die Menschen. Wann immer ich meine Diener nach ihrer Meinung über mich frage, reagieren sie äußerst schmeichelhaft.

»Bin ich ein würdevoller Prinz?«, frage ich.

Und meine Diener antworten jedes Mal unausweichlich: »Ihr seid der edelste Prinz in der Geschichte des Königreichs.«

»Ja, aber bin ich auch tapfer?«

»Euer Mut ist ohnegleichen, Hoheit.«

»Aber vielleicht esse ich zu viel. In letzter Zeit merke ich, dass ich ein bisschen … dicklich wirke.«

»Seid unbesorgt, Prinz Frederick! Ihr seid der graziöseste Junge, den es je gab!«

Versteht ihr, was ich meine? Alle lieben mich!

Außer der Zauberin.

Vielleicht hat es ja etwas mit dem Vorfall zu tun, der sich vor ein paar Wochen ereignet hat. Ich kam gerade vom Nachmittagsunterricht beim königlichen Erzieher zurück, als mir der Eingang zu der Zauberkammer auffiel. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Das hatte ich noch nie erlebt. Normalerweise schließt die Zauberin immer ab.

Wie eine Fackel war plötzlich die Neugier in mir entfacht. Leise näherte ich mich der schweren Eichentür und spähte hinein.

Die Zauberkammer stand mit allen möglichen Zauberinstrumenten und sonstigen seltsamen Objekten voll. Und gegenüber, am anderen Ende des Raums, sah ich die Zauberin. Sie stand mit dem Rücken zu mir, nach vorn gebeugt neben einer blubbernden Messingurne. Vor ihr war die Tür.

Die winzige Holztür.

Die Tür zu Örde.

Die Zauberin fasste in die Urne und schöpfte eine Handvoll blubbernder, qualmender Flüssigkeit heraus. Dann schmierte sie die Substanz auf die winzige Türklinke.

Ich beugte mich vor. Würde es funktionieren? War das der schicksalhafte Moment, in dem sich endlich die geheimnisvolle Tür öffnen würde? Würde es der Zauberin diesmal gelingen –

PLUMPS!

Ich musste mich wohl ein wenig zu weit in den Raum gebeugt haben. Denn in diesem Moment fiel ich nach vorn und stürzte in die Zauberkammer hinein.

Der Lärm erschreckte die Zauberin. Sie warf die Urne um. Eine giftige grüne Brühe ergoss sich in alle Richtungen und löste zischend die Bodendielen auf.

Die Zauberin wirbelte herum und sah mich. Ihre bleichen Züge verzerrt vor Wut. »Was macht Ihr in meinen Gemächern, Ihr nichtsnutziger Wurm?«, schrie sie.

Ich versuchte auf die Beine zu kommen und rannte hinaus. So weit wie möglich fort von der Zauberkammer

Seither habe ich alles getan, um die Zauberin zu meiden.

Bis jetzt.

Bis genau zu diesem Moment.

Die Zauberin kommt auf mich zu. Ihr Kleid weht hinter ihr her wie ein Schatten.

Mein Herz hämmert in meiner Brust. Ich spüre die Angst, sie könnte mich mit einem bösen Zauber belegen. Was, wenn mir auf einmal Brokkoli-Triebe aus den Nasenlöchern wachsen? Oder sie meinen Kopf in das Hinterteil eines Trolls verwandelt?

Aber nichts dergleichen geschieht. Stattdessen formen die wunderschönen Lippen der Zauberin ein wunderschönes Lächeln. Sie verbeugt sich. Und mit höflicher, respektvoller Stimme sagt sie: »Guten Morgen, Euer Hoheit. Ihr seht wie immer großartig aus.«

Gleichzeitig ertönt eine weitere Stimme in meinen Ohren. Eine Stimme, die von nirgends und überall kommt. Die Stimme der Zauberin. Und ihre Worte hallen in meinem Kopf.

Eure Strafe wird sich bald erfüllen, Ihr nichtsnutziger Wurm.

Ich stehe nur da. Sprachlos. Unfähig, genau zu sagen, wie viel Zeit vergeht. Eine Minute? Eine Stunde? Ich komme erst wieder zu Sinnen, als meine Eltern im Flur erscheinen. Sie sehen so elegant aus wie ihre Porträts, die überall im Palast hängen. Brillanten und Rubine funkeln in Vaters Krone. Neben ihm steht meine Mutter, in einen purpurfarbenen Federumhang gehüllt.

»Ah, Frederick! Da steckst du!« Mutter fährt mir mit ihrer juwelengeschmückten Hand durchs Haar. »Aber solltest du nicht längst beim Unterricht sein?«

»Beim Unterricht?« Mir ist, als wenn die Zauberin mein Hirn geleert hätte. Es dauert eine weitere Sekunde, ehe ich mich erinnere, was ich vor meiner Begegnung mit ihr gemacht habe. »Die Ritter. Sie trainieren im Burghof. Ich wollte mich ihnen anschließen.«

Mutter schnieft verächtlich. »Warum solltest du so etwas wollen?«

»Um meine Schwertkunst zu trainieren.«

Vater runzelt die Stirn. »Ich glaube nicht, dass das eine kluge Idee wäre.«

»Ich auch nicht«, sagt Mutter.

Meine Schultern sacken nach unten. »Nein?«

»Du bist jung«, sagt Vater. »Und Schwerter sind gefährlich.«

»Wir können nicht riskieren, dass unser einziger Sohn verletzt wird«, sagt Mutter.

Ich schaue flehend von Mutter zu Vater. »Aber wie soll ich es jemals lernen?«

»Überlass die Schwerter und Schilde den Rittern«, antwortet Vater.

Mutter tätschelt mir den Kopf. »Du bist ein Prinz. Du bist dazu bestimmt, Armeen zu befehligen. Nicht, in ihnen zu kämpfen. Und jetzt beeil dich. Der königliche Erzieher erwartet dich.«

Es hat keinen Sinn, die Diskussion weiterzuführen. Wenn deine Eltern König und Königin sind, gewinnen sie sowieso jede Auseinandersetzung.

Ich trete in die Gemächer des königlichen Erziehers. Der alte Mann sitzt mit dem Rücken zu mir. Die dünnen Strähnen seines weißen Haars schimmern im Kerzenlicht. Er hat sich über einen alten Tisch gebeugt. Eine seiner runzligen Hände liegt auf einem zerlesenen Blatt Pergament.

Als ich herantrete, spähe ich über die Schulter des Lehrers, um einen besseren Blick zu bekommen. Es scheint ein Gedicht zu sein. Geschwungene Schrift, geschrieben mit schwarzer Tinte …

Er kam aus einem fernen, unbekannten Land,

behauptete, dass er auf Reisen sich befand.

Man lief von nah und fern herbei, ihm zuzuhören,

ließ sich von dem Elektrozauberer betören.

Es gibt weitere Zeilen, doch sie werden von der Schulter des Lehrers verdeckt. Als ich noch einen Schritt näher trete, knarrt die Diele unter meinem Fuß und der alte Mann rührt sich. Er dreht das Pergament um.

»Prinz Frederick!« Der königliche Erzieher erhebt sich schwankend und starrt mich mit milchigen Augen an. »Ich habe Euch gar nicht hereinkommen hören!«

»Was lesen Sie da?«

»Nichts, was Euch kümmern muss, Sire.« Der Alte tätschelt das umgeschlagene Pergament. »Die Spione Eures Vaters haben eine Botschaft abgefangen, die im Stamm der Thurphenwalder kursierte.«

»Das Gedicht handelt von einem Reisenden. Glauben Sie, dass er aus Örde stammt?«

Die schmächtige Brust des Lehrers hebt und senkt sich. »Örde ist heute nicht unser Unterrichtsthema.«

»Aber es liegt hinter dieser Tür. Dieser kleinen Holztür. Nicht wahr?«

»So wird es in der Legende behauptet.«

»Bitte. Erzählt mir mehr.«

Der alte Mann seufzt. »Der Legende nach ist Örde nicht würfelförmig. Örde ist vollkommen rund. Wie eine Murmel. Die Bewohner von Örde führen ihre Kriege nicht mit Schwertern und Äxten. Stattdessen verwenden sie –«

»Stöcke, die Feuer schießen!«, sage ich ungeduldig. Diese Geschichte habe ich schon tausendmal gehört.

»Das ist richtig.«

»Und was ist mit den Zauberröhren?«

»Äh, ja. Die. Anstatt sich am Feuer zu wärmen, drehen die Leute aus Örde an einem Schalter, der aus Zauberröhren warme Luft freisetzt. Oder wenn man in die andere Richtung dreht, sehr kalte.«

»Ich will nach Örde!«

Er schüttelt den Kopf. »Ich fürchte, das ist unmöglich.«

»Aber was ist mit dem Gedicht?« Ich zeige auf das Pergament. Es behauptet, dass der Elektrozauberer –«

»Genug von dem Elektrozauberer. Es wird Zeit, dass wir mit der heutigen Lektion beginnen.«

Ich stöhne. Der Lehrer hebt ein dickes verstaubtes Buch vom Regal und wirft es auf den Tisch.

Genau auf das Pergament.

»Wir setzen unseren Unterricht über die Ahnengeschichte fort.« Der Lehrer schlägt das Buch an einer Seite mit einem Holzstich auf, der einen Mann zeigt. Über seinem gekrönten Haupt ist ein Schwert zu sehen. »Das ist König Frederick der Neunte. Dein Urururgroßvater. Auch bekannt als König Frederick der Starke. Während der Schlacht von Broggincout tötete er eigenhändig fünfzehn Trolle.«

Der königliche Erzieher blättert weiter.

»Und das hier ist König Frederick der Achte. Dein Ururururgroßvater. Allgemein bekannt unter dem Namen Frederick der Riesen-Schlächter. Während seiner Regentschaft wurden sämtliche Riesen ausgelöscht …«

Während er weiter über die Ahnengeschichte schnarrt, horche ich auf die Geräusche, die von draußen kommen. Das Klirren von Eisen gegen Eisen. Stöhnen, Jubel und Gelächter. Als ich einen Blick aus dem Fenster werfe, sehe ich unten im Burghof die Ritter, die mit ihren Eisenschwertern trainieren.

Wenn ich nur mitmachen dürfte!

Wie soll ich jemals die Heldenhaftigkeit meiner tapferen Vorfahren erreichen, wenn ich meine Tage mit einem alten Lehrer zubringe und eine langweilige Unterrichtsstunde nach der andern ertrage? Hat König Frederick der Starke sein Talent zum Trolle-Metzeln in der Halle des Lernens erworben? Hat König Frederick der Riesen-Schlächter seine Kampffähigkeiten in den Seiten eines verstaubten alten Buchs geschärft?

Natürlich nicht!

Ich wende mich vom Fenster ab. Meine Aufmerksamkeit kehrt zu dem Lehrer zurück.

»… was uns zu Eurem Ururururururururururgroßvater bringt. Heute unter dem Namen König Frederick der Kühne bekannt. Von ihm heißt es, dass er zu seinem Vergnügen Bären niederrang. Als er sich in eine Meerjungfrau verliebte, brachte er sich selber bei, unter Wasser zu atmen, um ihr näher zu sein …«

Eine Welle des Neids überkommt mich. Wie werde ich je den Leistungen meiner Trolle metzelnden, Riesen tötenden, Bären niederringenden, Meerjungfrauen liebenden Vorfahren gerecht werden? Meine Eltern werden mir nicht erlauben, mit dem Schwert zu trainieren. Der Lehrer weigert sich, mir mehr über Örde zu erzählen. Und wenn ich auch nur in die Nähe der kleinen Tür kommen sollte, wird die Zauberin meine Haare in Seetang verwandeln!

Wenn das alles so weiterläuft, werde ich den Rest meines Lebens eingesperrt in den dicken Gemäuern dieses Palastes verbringen.

Gehegt, gepflegt und in Sicherheit …

Und zu Tode gelangweilt.