Leif - Marten Petersen - E-Book

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Marten Petersen

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Beschreibung

Eine vernichtende Nordseeflut zerstört die Heimat von Erk, Gyde und Folkbert. Als Waisen flüchten sie nach Haithabu, wo sie auf Leif aus Südschweden treffen. Hier nimmt das gemeinsame Leben voller Abenteuer seinen Lauf. Liebe und Freundschaft werden auf die Probe gestellt. Folkbert sucht seinen Weg zwischen heidnischem Glauben und der neuen Lehre der Christen. Erk und Leif müssen ihren Mut und ihre Stärke auf Beutezügen beweisen. Die Naturgewalten des Nordens, das Treiben der Götter und Trolle, die Abenteuerlust der Nordmänner bestimmen den Weg der jungen Leute. Der erfolgreiche Überfall auf die gräfliche Burg der Udonen füllt die Bäuche der Schiffe mit Silber. Der dreiste Kampf mit dem Herzog von Essex und ein geschickter Vertrag mit König Ethelred am Londoner Hof legen den Grundstein für künftige erfolgreiche Handelsbeziehungen.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Prolog

Sturmflut an der friesischen Küste

Teil 1

Kapitel 1: Auf dem Björnhof in Südschweden

Winter auf dem Hof

Leifs Traum wird wahr

Vorbereitung auf die große Fahrt

Aufbruch zum Sigurdhof

Der Marsch zur Küste

Die „Feuerschlange“

Anschlag auf Sigurd

Leifs Fahrt mit der Feuerschlange über die Ostsee

Angriff auf die Wagrier

Ankunft in Haithabu

Kapitel 2: Neue Freunde

Leifs romantisches Jagdglück

Der Machtkampf

Gyde in Gefahr

Nach Haithabu!

Die Weberin

Nacht in der Herberge

Rückkehr

Erks Starrsinn

Erks Mutprobe

Streit und Unsicherheit

Leben in Haithabu

Teil 2

Kapitel 3: Von der Ostsee zur Nordsee

Es geht auf Beutefahrt!

Mit der Feuerschlange übers Land

Trygges Tod

Leif übernimmt Kommando

Die Herausforderung

4. Kapitel: Nordseefahrt

Sturm vor Dithmarschen

Der „Wellenhengst“

Reiche Beute

Elbeinfahrt

Kapitel 5: Überfall auf die Udonen

Nebel auf der Elbe

Der Angriff auf die Udonen

Eroberung der Udonenburg

Die Lösegeldforderung

Das Silber der Udonen

Neue Abenteuer rufen

Abschied der Norweger

Teil 3

Kapitel 6: Gyde und Folkbert in Haithabu

Das Weberhandwerk

Folkbert in Todesgefahr

Timme der Schmied

Die Kräuterfrau

Timmes Hinterlist

Die Seherin

Folkbert im Haus der Perlenmacherin

Die Drohung

Teil 4

Kapitel 7: Nach Britannien

Überfahrt nach Westen

Sven Gabelbart und seine Flotte

Der Herzog von Essex

Bei König Ethelred

Im Londoner Hafen

Kapitel 8: Ortbergas Weg

Hochzeit auf dem Sigurdhof

Ortberga wird Witwe

Kapitel 9: Im Norden Englands

Bei Harald in Jorwik

Im Nordmeer

Gen Heimat!

Teil 5

Kapitel 10: Herbst in Haithabu

Ragnhilds Geheimnis

Herbststurm

Timme ruft das Thing an

Nachricht von der Feuerschlange

Ragnhild beim Statthalter Thorleif

Folkbert im Donishaus

Kapitel 11: Gyde allein in Haithabu

Winter

Julfest

Die Raunacht

Timme vor dem Thing

Die neue Mutter

Die Thingversammlung

Bruder Lukas

Teil 6

Kapitel 12: Zurück in der Heimat

Ankunft auf dem Sigurdhof

Das Wiedersehen!

Kapitel 13: Hochzeit in Möre

Die Hochzeitsvorbereitungen

Leif und Gyde heiraten – Das Fest

Epilog

Glossar

Vorbemerkung

Ein Anliegen des Autors ist es, das gängige Bild über die Wikinger zu korrigieren. Sicher sind die nordischen Seefahrer bei ihren Beutezügen äußerst brutal vorgegangen. Aber die allermeisten Skandinavier waren nicht auf Schiffen unterwegs, sondern sesshafte Bauern, Handwerker und Kleinhändler.

Nicht das Raufen und Saufen, das Vergewaltigen und Morden prägte das Leben der Menschen in den nordeuropäischen Regionen, sondern der tägliche Kampf um Essen und Trinken, um das Überleben der Familie, um die Sicherung einer Lebensgrundlage.

Trotz aller Recherchen ist es nach Tausend Jahren nicht möglich, das gesellschaftliche Leben der Friesen und der Wikinger originalgetreu nachzuzeichnen. Die Stellung der Frauen war um die erste Jahrtausendwende vermutlich sehr viel schlechter, als hier im Buch dargestellt. Ob es damals zu so romantischen Liebesbeziehungen wie zwischen Leif und Gyde kommen konnte, ist ungewiss. Personen- und Ortsnamen wurden seinerzeit anders ausgesprochen und geschrieben, als der Autor es gemacht hat. Die Handlungsorte im südschwedischen Möre und bei Haithabu wurden sorgfältig recherchiert. Der Herkunftsort der drei friesischen Geschwister dagegen ist rein fiktiv.

Um einen spannenden Roman aus alter Zeit für die heutige Generation zu schreiben, musste der Autor hin und wieder Kompromisse zwischen Erzählkunst und dem Kenntnisstand von Historikern eingehen.

Prolog

Sturmflut an der friesischen Küste

»Wir müssen hier weg!«

Erk schlug wütend mit dem Stock in die Pfütze. Das Wasser spritzte auf. Ein paar Tropfen landeten in seinem kantigen Gesicht. Ärgerlich wischte er sie mit einer hastigen Bewegung fort, wobei die langen blonden Haare nur so flogen.

»Aber wohin? Unsere Familie hat doch immer hier gelebt.« Gyde sah zu ihrem großen Bruder hinüber. Wut und Verzweiflung hatten seinen Blick verdüstert. Als Ältester fühlte er sich für die beiden Geschwister verantwortlich.

»Ja, sie hat hier gelebt, die meisten von ihnen sind hier viel zu früh gestorben, alle in dieser gierigen Nordsee.« Erk machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach:

»Von unseren Urahnen wird erzählt, dass sie aus dem Süden hergezogen sind. Schlimmer als hier kann es da auch nicht gewesen sein.«

»Wohin, Erk?«, bohrte das Mädchen weiter. Eine steile Falte hatte sich auf der Stirn gebildet und stand im Widerspruch zu ihrem sonst so glatten Mädchengesicht.

»Ich weiß nicht, nur weg von dieser verdammten Küste. Die Fluten holen zu viele von uns. Jetzt sind auch unsere Eltern tot.« Trauer hatte sich in Erks Stimme geschlichen und die Wut verdrängt.

»Der Priester vom Donishaus hat doch von der großen Stadt im Osten berichtet. Wir könnten das Notwendigste packen und dorthin gehen. In ein paar Tagen sind wir da.« Das war Folkbert, der Jüngste der Geschwister. Er war für einen Dreizehnjährigen groß und breit gebaut, und er redete wie ein Erwachsener. Seine Sprache klang behäbig, die meist langsamen Bewegungen unterstrichen diesen Eindruck. Oft hatte er den klugen Mann in seiner Einödkirche im Moor besucht. Erst hatten die christlichen Ansichten des Mannes ihn verwirrt. Je mehr er sich damit beschäftigt hatte, umso deutlicher wurde ihm die Bedeutung der Botschaften.

Gyde und Erk schauten den Bruder an, der versucht hatte, in den Resten ihrer Hütte sein Schnitzwerkzeug zu finden. Folkbert zeigte nach Osten und sagte mit Nachdruck: »Dort, dort drüben ist unsere neue Heimat!« Erk sprang auf. »Das ist eine gute Idee, Folkbert. In der Stadt finden wir sicher Arbeit. Als Bauer oder Handwerker. Ich bin stark und kann alles machen. Und du, Gyde, wirst für uns sorgen.«

Die Zuversicht bestimmte jetzt seine Stimme.

Das Mädchen war einverstanden: »Gut, wir werden gehen. Aber Erk, ich finde auch eine Arbeit.«

Der junge Mann lächelte. Den eisernen Willen seiner Schwester kannte er schon.

»Und was willst du arbeiten? Du bist doch noch ein Kind«, neckte er sie wie so oft schalkhaft.

»Mit fünfzehn ist man kein Kind mehr. Ich werde das Weberhandwerk lernen. Vielleicht möchte ich auch färben. Dann haben wir immer etwas anzuziehen. Ich kann Kleidung verkaufen, oder gegen etwas anderes Nützliches eintauschen.«

»Eine sture Träumerin bist du.«

»Nur durch Beharrlichkeit werden Träume wahr«, meinte Gyde.

»Oho, ich glaube sogar, dass du es schaffen wirst.

Morgen machen wir uns auf den Weg.«

Erk wandte sich beim Abendessen an Folkbert, während Gyde mit den Töpfen herum hantierte. Es war ihnen trotz der Feuchtigkeit gelungen, ein Feuer zu entzünden und die Vortagsreste der Suppe zu erwärmen. »Nicht viel, aber etwas Warmes«, mit diesen Worten hatte Gyde jedem einen Holzlöffel gegeben. Sie hatten direkt aus dem Tontopf gegessen.

»Der Priester hat dir doch einmal gesagt, dass es die neue Religion der Christen seit fast tausend Jahren gibt. Wenn der Gott so gut ist, wie es heißt, warum lässt er uns dann hier im Meer ertrinken?«

»Kann sein, dass er erst hilft, wenn wir getauft sind. Aber vielleicht hat er bereits geholfen, indem er uns auf die Stadt im Osten aufmerksam gemacht hat?«

Erk gab sich damit zufrieden. Er hielt nicht so viel vom Christentum, wie sein Bruder. Trotzdem fragte er abschließend: »Du willst den neuen Glauben annehmen, oder?«

»Ja, das ist mein Ziel. Ich will Christ und Priester werden.«

»Worüber redet ihr?«, fragte Gyde und setzte sich zu den Geschwistern.

»Über die Zukunft. Wie siehst du dein Leben, Gyde?«, fragte Erk.

»Bin ich eine Seherin?«, entgegnete das Mädchen, fuhr dann aber fort. »Im Ernst, ich möchte nichts anderes als eine Familie, in der es mir gut geht. Aber nicht mit dem Bauern, den Vater für mich ausgesucht hat. Und eine Arbeit, am besten als Weberin.«

»Na, ihr habt klare Vorstellungen«, meinte Erk. »Dann will ich euch verraten, was ich möchte.«

Gyde und Folkbert sahen ihn erwartungsvoll an. »Ich möchte zur See fahren. Als Fischer oder als Räuber!« Er musste selbst lachen. »Nein, das war Spaß. Aber aufs Wasser will ich allemal. Ich werde allen zeigen, dass nicht das Meer uns beherrscht, sondern wir das Meer.«

Am nächsten Morgen suchten sie zusammen, was die Sturmflut von ihrer Habe übrig gelassen hatte. Viel war es nicht. Das Haus war zerstört. Der Frühlingssturm hatte ganze Arbeit geleistet, und was er nicht genommen hatte, war mit den hohen Wellen verschwunden. Das Meer hatte auch das Vieh mitgerissen. Der Erdkeller war mit Salzwasser und Schlamm gefüllt. Alles halbwegs Brauchbare, was sie in den Resten von Haus und Hof entdeckten, konnten sie in Tücher wickeln oder am Körper tragen. Es waren nur zwei Töpfe, ein paar Kellen, ein Krug, sowie ein kleines Beil und ein Hammer. Sie fanden noch ein bisschen durchnässtes Brot und etwas Speck. Beides wickelten sie in ihre Tücher, die sie am Körper trugen. Das Brot würde trocknen und wieder genießbar sein.

Erk, Gyde und Folkbert waren zuversichtlich und bereit, neue Schritte zu wagen. Sie vertrauten auf ihre eigenen Kräfte und in die Zukunft. Nach den Schrecken der letzten Tage hatten sich ihre Mienen aufgehellt. Sie freuten sich auf ein Leben ohne die vielen Stürme und Überflutungen, die alles zunichtemachten, was sie und ihre Eltern aufgebaut hatten.

»Du bist geschickt und wirst schnell lernen, Gyde. Sicher gibt es in der Stadt genug zu tun.«

»Du bist stark. Du und Folkbert könnt eine neue Hütte für uns bauen.« Gyde klatschte in die Hände. Sie strahlte ihre Brüder an.

Selbst auf Folkberts sonst so ernstem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.

»Ja, wir werden es schaffen.«

Die drei jungen Leute waren in Lumpen gekleidet, alte abgetragene Sachen, die sie bereits seit Tagen am Leibe trugen. Gydes braunes Wollkleid war zerrissen und verschmutzt. Folkberts hatte ein altes, abgelegtes Wams seines großen Bruders an, Flickreste übersäten die zerrissene Hose. Erks Hose und Wams sahen nicht besser aus. Wo das Hosenbein fehlte, waren die Beine mit alten Stoffresten umwickelt. Alles andere war von der Flut vernichtet worden.

Die Sonne durchbrach die graue Wolkendecke.

»Ein gutes Zeichen«, sagte Erk, »wir machen uns auf den Weg.«

Die drei Geschwister waren reisefertig.

»Wir wissen nicht, was uns erwartet. Unsere Zukunft kann nur besser werden, als das, was wir bisher erlebt haben«, sagte Gyde.

Ohne einen Blick zurückzuwerfen, machten sie sich auf den Weg nach Osten. Mit jedem Schritt ließen sie die Trostlosigkeit ihres bisherigen Lebens hinter sich. Sie wussten genau, dass sie nicht nur diesen nassen und vom ewigen Wind gepeinigten Ort verließen, sondern auch in eine vollkommen neue Zukunft aufbrachen.

Bereits nach einer Stunde Wanderzeit hatten sie das Küstenland verlassen. Mit ihm war die Wasser- und Schlammwüste verschwunden. Der Himmel zeigte sich heute in strahlendem Blau. Die Sonne hatte schon Kraft, die feuchten Kleider trockneten rasch. Das erste Frühlingsgrün auf den Wiesen machte den jungen Leuten Mut. Ein Vogel sang am Wegesrand.

Die drei vertrauten auf ihr Gefühl und folgten den ausgetretenen Pfaden und schlechten Wegen. Einige Stunden später trafen sie auf den Fluss, der die Schiffe von der Nordsee nach Haithabu brachte. Unweit der Treenau verlief ein schmaler Handelsweg über das Land. Sümpfe, Buchenwälder oder auch Heideflächen wechselten sich ab und säumten den Weg, der später auf den Großen Heerweg stoßen würde, der von Dänemark kommend ins Reich der Franken führte. Von hier konnte es nicht mehr weit sein, bis zu der großen Stadt. Dort sollte das neue, ihr besseres Leben beginnen. Die todbringende See würden sie ein für alle Mal hinter sich lassen.

Teil 1

Kapitel 1: Auf dem Björnhof in Südschweden

Winter auf dem Hof

Leif sprang wütend vom Tisch auf, sodass der Hocker hintenüber kippte. Runa, Leifs Mutter, ließ vor Schreck den Kessel fallen.

»Ich werde doch zur See fahren, genauso wie Harald«, rief Leif, »und du hältst mich nicht davon ab, Vater!« Björns Gesicht rötete sich vor Zorn, die Stirnader schwoll an. »Setz dich!«, donnerte er, und als Leif nicht gleich folgte, ging er auf seinen Sohn zu. »Ich habe gesagt, du sollst dich setzen«, presste er mit leisem, drohendem Unterton zwischen den Zähnen hervor. Sein Bart zitterte vor Erregung.

Obwohl Leif erst achtzehn Jahre zählte, hatte er schon die Größe seines Vaters erreicht. Mit wildem Blick starrte Leif ihn einige Sekunden an. Zögernd fügte er sich den Worten. Er hob den Hocker auf und setzte sich.

»Du hast gehört, was Runa und ich besprochen haben. Der Björnhof muss die ganze Familie ernähren, und da brauchen wir deine Hilfe. Du hast noch vier Schwestern und einen kleinen Bruder. Sollen wir die ganze Arbeit mit ihnen allein schaffen? Du bist nach mir der Mann im Haus. Hast du das verstanden?«

Leif überlegte sich seine Antwort gut, denn er wusste, dass es besser war, nicht zu widersprechen.

»Vater, wir arbeiten jahraus, jahrein, und was bleibt übrig? Im Winter gehen uns die Vorräte aus und wir müssen hungern. Ich bin kein Kind mehr, aber ein guter Kämpfer. Das weißt du. Ich könnte es Harald gleichtun.«

»Wir warten auf deinen Bruder. Wenn er zurückkehrt, wird alles besser. Und jetzt ist Schluss«, sagte Björn.

Die Mutter weinte. Zwei Sommer und zwei Winter hatten sie nichts mehr von Harald gehört. Er war zu den Wikingern gegangen, und keiner wusste, wohin sie gefahren waren und ob sie jemals zurückkommen würden. Es blieb nur die Hoffnung, dass er als reicher Mann nach Hause kommen und es so der Familie besser gehen würde.

»Hoffentlich lebt der Junge ...«, sagte sie.

»Ja, Runa, er lebt noch. Ich spüre, dass die Götter bei ihm sind. Allerdings sollte er sich ohne gute Beute nicht nach Möre trauen!«

Der Vater verließ den Raum und stiefelte mit schwerem Schritt zum Schweinestall hinüber.

Obwohl sie nur einen kleinen Bauernhof bewirtschafteten, schien die Arbeit kein Ende zu nehmen. Der Acker musste ständig von unzähligen Felsen geräumt werden, um die nutzbare Fläche zu vergrößern. Er wollte im Frühjahr bestellt und im Sommer bearbeitet werden. Und meist zeigte die Ernte im Herbst, dass es auch in diesem Jahr nicht reichen würde, die große Familie über die langen Wintermonate zu versorgen. Ständig war am Haus oder an den Schuppen und Zäunen etwas auszubessern. Lose Bretter klapperten im Wind, der ungehindert in die Behausung dringen konnte. Spätestens der nächste Regen zeigte, wo wieder eine Dachschindel verrottet oder weggeflogen war. Aus den Angeln gerissene Luken ließen die Tiere davonlaufen, kleine Rinnen mussten ausgehoben werden, um das Regenwasser ablaufen zu lassen.

Täglich wollten die Schweine gefüttert werden, ebenfalls die beiden Kühe. So viel Arbeit für ein bisschen Milch! Die wenigen Schafe versorgten sich im Sommer überwiegend selbst, verlangten aber regelmäßig danach, gemolken zu werden.

Die Wochen vergingen, der Winter wurde härter. Von den eingelagerten Lebensmitteln war kaum noch etwas übrig geblieben. Die Bewohner vom Björnhof bei Tveta konnten sich nur mühsam von den Resten ernähren. Die Kälte forderte von der Familie auf dem Hof ihr Opfer.

»Was soll aus uns werden, Björn?«

Verzweifelt wartete Runa auf eine Antwort, aber ihr Mann schüttelte nur den Kopf.

»Noch nie war der Winter so hart. Nicht, solange ich denken kann. Wir sollten Freya und Thor etwas opfern, damit sie unser Herdfeuer immer am Leben erhält und unseren Topf füllt. Mit ihrer Hilfe werden wir es schaffen. Was soll man mehr machen?«

Björn war genauso ratlos wie seine Frau. »Ja, wir gehen zur Quelle und opfern den Göttern jeder eine Handvoll Getreide. Das wird uns helfen, dass die nächste Ernte gut wird und wir wieder zu Kräften kommen.«

»So viel? Aber wir haben doch nur noch wenig Getreide, das brauchen wir zum Brotbacken.« Runa sah ihren Mann zweifelnd an.

»Das müssen wir tun, sonst hat das Opfer keinen Sinn. Meinst du, Thor gibt sich mit ein paar Körnern zufrieden?«

Zusammen gingen sie zum Opferstein an der Quelle und legten das Getreide nieder. »Das wird uns helfen«, sagte Björn zuversichtlich.

Der Winter blieb hart und unerbittlich. Zwei Töchter waren an bösem Husten gestorben, auch der kleine Bruder. Die eisige Kälte war durch Ritzen in den Wänden und die undichten Fensterläden gekrochen. Der Winter hatte es sich im Haus bequem gemacht. Das alte Paar war mit Ortberga, der ältesten Tochter, Leif sowie der kleinen Schwester Svenja allein.

Der Frost hatte Bäume zerbersten lassen. Zwei Schweine waren verendet. Der Hunger hatte die Wölfe in die Nähe des Hofes getrieben. Täglich hörte man sie heulen. Sie lebten sonst weiter im Norden, wo selbst im frühen Sommer noch Eis und Schnee herrschten. Eines Nachts erwachte Leif vom ängstlichen Blöken der Schafe. Er sprang aus dem Bett und warf sich seinen wollenen Umhang um. Leif rannte hinaus in die Kälte. Mit einer Heugabel, die der er ergriffen hatte, stach er dem Wolf in den weichen Leib. Mit wildem Heulen versuchte das verwundete Tier davonzukommen. Leif versetzte ihm mit der Axt den todbringenden Schlag. Blut tränkte den Schnee. Inzwischen war der Vater herbeigeeilt und rückte dem zweiten Wolf, der gerade zum Sprung auf Leif ansetzte, mit einer Pike zu Leibe. Leif wirbelte herum und warf die Axt. Sie traf das Tier zwischen die Augen und zertrümmerte ihm den Schädel. »Gut mein Junge, du bist ein geschickter Kämpfer«, lobte der Vater und zog die Pike aus dem Rücken des Wolfs.

Leif lächelte stolz und sagte: »Ohne deine Hilfe hätte es böse ausgehen können.«

Die beiden Männer gingen ins Haus zurück.

»Jetzt wird geschlafen. Morgen früh ziehen wir den beiden Wölfen den Pelz ab.«

Leifs Traum wird wahr

Leif hatte mehrfach mit den Eltern über seine Pläne gesprochen, aber das hatte immer im Streit geendet.

Eines Tages kam ein Reiter auf den Hof galoppiert. Der Mann überbrachte eine Nachricht des mächtigen Bauern vom Sigurdhof.

»Was willst du?«, fragte Björn. Er hielt das Pferd an den Zügeln und schaute zu dem Boten hinauf.

»Ich habe eine Nachricht von Sigurd. Er hat Wichtiges zu besprechen. Alle Bauern der Umgebung sollen zusammenkommen.«

»Wann soll die Versammlung stattfinden?«

»Am Abend des nächsten Vollmondes auf unserem Hof. Wirst du kommen?«

»Ja, ich werde da sein.«

Sigurd war der größte Bauer der ganzen Gegend. Seine Meinung galt viel, und die meisten Männer hörten auf ihn. Runa war neugierig, was Sigurd vorhatte. »Das werden wir sehen, wenn ich zurück bin,« sagte Björn, »und nun gib Ruhe«. Er blieb zwei Tage und eine Nacht fort. Erst als er zurückkam, berichtete Björn seiner Frau und Leif über das Ergebnis der Verhandlungen. Als Runa von Sigurds Reiseplänen erfuhr, fragte sie erstaunt: »Will er denn ein Seekönig werden und seinen Hof verlassen?« Runa warf ihrem Mann einen spöttischen Blick zu. Der wies Runa mit einem Blick zurecht. Runa schwieg und senkte den Kopf.

»Sigurd will unser Häuptling sein. Bestimmt hat er weitere Pläne, das kann unser Vorteil werden. An der Mündung des Flusses Em lässt er ein Schiff ausrüsten. Es soll auf Beutefahrt gehen. Er hat einen erfahrenen Seemann zum Schiffsführer ernannt. Jeder Hof soll einen Sohn als Ruderer stellen.«

»Ich bin dabei, Vater!«, rief Leif.

»Du bist still!« Die Mutter sah ihren Sohn mahnend an.

»Weiter, Vater. Was habt ihr noch besprochen?« Leif merkte, dass sich das Blatt zu seinen Gunsten wendete.

»Nach der Rückkehr wird die Beute geteilt, wie es die Regeln vorsehen. Außerdem soll jeder Hof für den Notfall einen Mann zum Schutz des Sigurdhofes abstellen. Sollten Feinde uns angreifen, können wir dort Schutz suchen. Sigurd und die Schutzmänner wollen einen Verteidigungswall und einen Graben um den Hof ziehen. Dafür wollen wir Sigurd zum Anführer aller Familien des Tales wählen.«

»Eine befestigte Schutzburg also. Will er denn Jarl werden?«, fragte Leif.

»Ob er unser Jarl wird und damit in die Reihe der Kleinkönige aufgenommen wird, hängt vom Erfolg der Reise ab. Um seine Burg zu befestigen und zu halten, muss er reich sein.«

»Er soll bloß aufpassen, dass sich sein Schiffsführer nicht das Schiff unter den Nagel reißt und auf eigene Rechnung auf Beutefahrt geht«, wagte Runa eine weitere Bemerkung. Björn sprach weiter, jetzt an seinen Sohn gewandt: »Sein Plan geht aber nur auf, wenn ihr erfolgreich von der Reise zurückkommt.« Als er dies sagte, schaute Björn seiner Frau fest in die Augen. Sie fügte sich und sagte nichts.

»Wir? Das heißt, ich kann mitfahren?« Vor Begeisterung überschlug sich Leifs Stimme.

»Ja, das habe ich so beschlossen, Sigurd vertraut auf dich«, sagte er zu Leif.

»Björn, wie sollen wir die Arbeit auf dem Hof schaffen, ohne Leif?« Runa sah ihren Mann zweifelnd an.

»Es wird hart für uns. Aber künftig sitzt ein Esser weniger am Tisch. Wir müssen durchhalten bis Harald und Leif mit Beute zurück sind. Sigurd wird uns für die Zeit einen Sklaven abstellen, der uns helfen wird.«

»Einen Sklaven? Warum macht Sigurd das, warum tut er uns so viel Gutes?«, fragte Runa.

Björn lächelte, als er fortfuhr. »Es ist entschieden, Runa. Und noch etwas haben wir verabredet.« Björn stand auf. »Sigurd will, dass sein Sohn Ulf unsere Tochter Ortberga zur Frau bekommt. Deswegen wird er den Sklaven zur Arbeit bei uns abstellen. Sigurd hat ihn und ein paar andere auf dem Markt in Skåne gekauft. Du siehst, wir haben an alles gedacht.«

Bei diesen Worten hellte sich Runas Gesicht wieder auf. Ihre alten blauen Augen strahlten.

»Das ist wirklich eine gute Nachricht, Björn. Ich werde alles mit Ortberga besprechen. Sie wird eine gute Herrin auf dem Sigurdhof werden. Ein großer Hof, eine Jarlsburg sogar, und unsere Tochter wird die Schlüssel am Gürtel tragen als Zeichen für ihre hohe Stellung im Haus und in der Familie.« Stolz schwang aus der Stimme der Mutter, und auch Björn sah zufrieden aus.

»Ja, es werden bessere Zeiten kommen! Über das Brautgeld werden wir bald verhandeln. Noch im Sommer sollen sie verheiratet sein.«

Leifs Vater ging nach draußen zu den Ställen, um das Vieh zu füttern. Runas Gedanken wirbelten durcheinander. Es gab so viel zu bedenken. Leif und Ortberga würden beide das Haus verlassen. Sie und ihr Mann würden mit der kleinsten Tochter Svenja allein zurückbleiben. Die Mutter war traurig, wenn die beiden gehen würden, aber die Freude über die gute Verbindung mit Ulf und die Hoffnung auf eine reiche Beute bei Leifs Rückkehr überwogen. Sie hoffte inständig, dass auch Harald eines Tages als reicher Mann von seiner langen Fahrt zurückkehren würde.

Runa würde gleich mit Ortberga reden. Wo war sie eigentlich? Wahrscheinlich auf der Jagd, oder beim Fischen. Eine junge Frau, die mit der Axt und Pfeil und Bogen auf Jagd ging. Aber so war ihre Tochter seit frühester Jugend. Schon als Kind hatte sie den ersten selbst erlegten Hasen nach Hause gebracht. In Ortberga steckte mehr von einem harten Mann als von einer weichen Frau. Ulf würde sich früh genug wundern, wen er sich zur Frau genommen hatte. Er würde es nicht leicht haben mit Ortberga.

Runa fand ihre Tochter am nahegelegenen Fluss. Obwohl noch Winter herrschte, schien die Sonne an diesem Tag und schickte ihre ersten wärmenden Strahlen ins Tal. Es war Anfang des dritten Mondes im Jahr, des Lenzings, aber das Eis auf dem Bach war bereits geschmolzen. Ortberga hatte ihren langen Rock ausgezogen, und stand barfuß und mit nackten Beinen auf einem Felsen, der aus den Stromschnellen ragte. Runa blieb stehen und betrachtete ihre Tochter. Sie war groß und hatte kräftige Oberarme. Die ausgeprägten Schultern und das ebenso breite Becken betonten ihre kraftvolle Figur. Ulf und Ortberga werden ein schönes Paar abgeben!

Mit einer selbst gebastelten hölzernen Lanze hatte Ortberga bereits mehrere Fische gefangen und in ihren Flechtkorb gelegt. Trotz des Rauschens des Wassers hatte sie längst bemerkt, dass ihre Mutter sich näherte. In diesem Moment stieß sie wieder mit der Lanze zu und durchbohrte einen der glitzernden Fischleiber. Triumphierend hielt sie ihn in die Höhe und zeigte ihn der Mutter. Sie tötete den Fisch mit einem Schlag auf den Kopf und legte ihn zu anderen in den Korb. Geschickt sprang sie von Stein zu Stein und ging zu ihrer Mutter.

»Setz dich zu mir«, sagte Runa und deutete auf einen großen Felsen, »ich habe dir etwas zu sagen.«

Sie berichtete ihrer Tochter, was Björn mit Sigurd besprochen hatte. Ortberga hörte sich alles in Ruhe an, schließlich sah sie ihre Mutter an.

»Ulf wird mir ein guter Ehemann sein, oder ...«, sie zögerte, bevor sie ernst und mit fester Stimme fortfuhr.

»... oder er wird untergehen.«

Erschrocken sah Runa ihre Tochter an. »Was meinst du damit, Ortberga?«

Die junge Frau schaute gedankenverloren über das aufspritzende Wasser. »Ach, nichts Mutter, gar nichts. Mach dir keine Sorgen!«

Als Runa dies von ihrer Tochter hörte, schauderte ihr. Ob diese Ehe zwei so starke Menschen aushalten konnte? Ortberga und Ulf standen sich an Kraft und Willen in nichts nach.

»Komm nach Hause, Tochter.«

Vorbereitung auf die große Fahrt

Für Leif vergingen die nächsten Wochen viel zu langsam, er war voller Ungeduld. Zu groß war die Vorfreude auf die bevorstehende Reise. In welche Länder würde sie ihn führen? Britannien? Friesland? Oder gar zu den Mauren? Was würde er alles erleben? Er hatte viele Geschichten über die zur See fahrenden Wikinger gehört. Sie sahen so viel mehr als ein Bauer. Ob es zu Kämpfen kommen würde? Er stellte sich vor, mit wertvoller Beute nach Hause zurückzukehren. Ihm drohte auch der Tod, das war ihm klar. Doch im Kampf zu sterben war eine Ehre. Dann würde er als Held, als Einherjer, in Walhall einfahren und sich von den Walküren verwöhnen lassen.

»Du musst dich in der Kriegskunst üben, damit du vorbereitet bist, wenn ihr auf Feinde trefft. Schnell wie der Wind musst du sein, und stark wie ein Ochse.«

Leif folgte dem Rat seines Vaters und eignete sich verschiedene Kampftechniken an. Er warf das Messer und schwang die Axt, bis er immer besser ins Ziel traf. Mit dem zielgenauen Werfen hatte er keine Schwierigkeiten, denn seit seiner Kindheit übte er mit kleinen Pfeilen, die er selber gebastelt hatte. Aus festem Lärchenholz und feinen Klingen aus geschnitzten Knochen stellte er die kleinen Wurfgeschosse her. Die fingerlangen Schneiden hatte er mit eigener Hand scharf und spitz geschliffen. Hunderte Male warf er damit und verbesserte ihre Form und das Gewicht so lange, bis er absolut zufrieden war. Er hatte eine so große Fertigkeit mit den kleinen Pfeilen erlangt, dass er auf zehn Fuß Entfernung zielgenau einen Käfer am Baumstamm festnageln konnte. Leif hatte immer eine Handvoll seiner Geheimwaffen im Gürtel stecken. Eines Tages, da war er sich sicher, könnte er sie im Kampf einsetzen. Seine Kameraden verspotteten ihn: »Damit wirst du jeden Kampf gegen einen Hasen gewinnen!« Er kümmerte sich nicht um das Lachen der Jungs.

Leif stemmte Steine und Holzstämme, um seine Kraft zu steigern. Er übte sich im schnellen Laufen, er schlug Haken, um wendiger zu werden. Vater und Mutter verzichteten heimlich auf einen Teil ihrer Nahrung und steckten es Leif zu. Er bildete mehr Muskeln aus und verbreiterte seine Schultern. Bald strotzte er vor Kraft und Tatendrang. Der sprießende Bart unterstrich seine Männlichkeit.

»Dir fehlt ein Schwert, Leif. Geh flussaufwärts zum Waffenschmied. Er wird dir einen guten Preis für ein solides Schwert nennen. Sage ihm den doppelten Preis zu, wenn er sein Silber erst nach deiner Rückkehr von der Fahrt bekommt. So haben beide einen Vorteil von dem Handel.«

Der Ruf des Waffenschmieds war in der ganzen Gegend bekannt. Kein anderer konnte so starke Klingen schmieden. In jungen Jahren war er ins Frankenreich gegangen und hatte dort bei den Meistern sein Handwerk erlernt. Daher wusste er auch, wo er das beste Eisen kaufen konnte. Minderwertige Waffen verkaufte er nicht. Das hatte seinen Ruhm begründet, und so bekam er Aufträge aus dem ganzen Land Möre, das am Fluss Em lag.

Noch am selben Tag machte Leif sich auf. Nach einer Stunde kam er beim Schmied Toke an. Schon von Weitem hörte er die schweren Hammerschläge. Leif betrat die Werkstatt und sah dem hünenhaften Mann bei der Arbeit zu. Er schwang den Schmiedehammer, während ein Gehilfe den Blasebalg bediente. Er schnaufte und quietschte wie ein waidwunder Keiler. Auf dem Kopf hatte der Schmied nur wenige Haare, aber sein roter Bart reichte ihm bis zur Brust. Toke trug außer Schuhen und einer Hose aus Leder keine Kleidung, und im Feuerschein der Esse sah Leif das Spiel seiner Muskeln.

»Sei gegrüßt, Toke. Mit dir möchte ich nicht in Streit geraten!«

»Nun, auch du siehst kräftig aus für deine Jugend. Ich denke, du wirst mir nicht viel nachstehen«, sagte der Schmied und legte den schweren Hammer zur Seite.

»Was willst du?«

»Ich bin Leif Björnsson von Tveta. Ich brauche ein gutes Schwert, da ich auf Beutefahrt nach Westen fahre.«

»Soso, auf Raubzug soll es gehen. Die meisten aus dieser Gegend fahren nach Osten und nach Süden, ins Land der Rus.«

»Mein Bruder Harald ist seit langer Zeit im Westen unterwegs. Wir wissen, dass man dort am meisten erbeuten kann.«

»Ja, dann ist es klar, dass du ein Schwert brauchst. Wir können es gleich schmieden, wenn du möchtest. So hast du noch genügend Zeit, die Waffe auszuprobieren, bevor du im Kampf auf sie angewiesen bist. Ein richtiger Wikinger muss nicht nur mit dem Schwert kämpfen können, sondern sollte auch wissen, wie es hergestellt wird.«

Leif freute sich über das Vertrauen, dass der Schmied in ihn setzte.

»Das will ich gern lernen. Einen besseren Lehrmeister als dich kann ich nicht bekommen«, antwortete Leif, »dann kann ich das Schwert morgen mitnehmen?«

»Sicher.« Der Schmied drehte sich um und nahm einen Eisenrohling zur Hand. »Das wird deine Waffe, Leif.« Mit diesen Worten legte er das Eisen ins Feuer. Er reichte Leif eine schwere Zange. »Wenn das Eisen rot glüht, packst du es am oberen Ende und ich werde es bearbeiten.«

Der Schmied wischte sich den Schweiß von der Stirn. Auch Leif schwitzte und zog sein Wams aus. Er ergriff das Eisen mit der Zange. »Festhalten!« Dem ersten kräftigen Hammerschlag - klong – gingen ein paar leichte Schläge – kling, kling – auf den Amboss voraus. Als der Hammer mit Wucht auf das glühende Eisen traf, stoben die Funken und tauchten die sonst dunkle Werkstatt in helles Licht. Die Glut ließ die schweißnassen Oberkörper der Männer rötlich erscheinen. Leif hielt fest, aber seine Hand vibrierte von der Kraft des Mannes. Immer wieder musste Leif das Eisen im Wasser abkühlen, um es erneut zum Glühen zu bringen. Kling, kling, klong – Schlag auf Schlag folgte, und die Eisenstange verformte sich, wurde platt und breit, in der Mitte dick, an den Rändern dünn. Bald war die Form des Schwertes erkennbar, beidseitig waren die Schneiden zu erkennen, aber noch grob und ungeschliffen. Leif befolgte die Befehle des Schmieds, sodass der den Griff formen konnte. »Tauche dein Schwert ein letztes Mal ins Wasser.«

Leif packte die Zange fest und tauchte das Schwert – sein Schwert! – ins kalte Wasser. Es zischte und Wasserdampf füllte die Schmiede. Stolz betrachtete Leif seine Waffe. Liebevoll strich er über die Klinge, dann wandte er sich Toke zu: »Bald werde ich das Schwert ausprobieren können.« »Es ist spät. Du kannst bei uns zu Abend essen und übernachten. Morgen machen wir die Feinarbeit am Schwert, entgraten und schleifen es. Danach kannst du es mit nach Hause nehmen.«

Leif bedankte sich und schwang die Waffe ein paar Male spielerisch hin und her.

»Du kannst es wohl kaum abwarten, wie?«

»Nein, ich werde zu Hause noch damit üben, damit ich das Schwert im Ernstfall besser einsetzen kann.«

»So ist es recht, mein Junge. Du wirst Tyr ein ehrenhafter Kämpfer sein.«

Beim gemeinsamen Essen besprach er mit dem Schmied die Bezahlung. Leif handelte, wie es ihm sein Vater vorgeschlagen hatte.

»Das ist ein merkwürdiger, aber ein guter Vorschlag Leif. Ja, du kannst nach deiner Rückkehr bezahlen. Das wird ein gutes Geschäft für uns beide, hoffe ich.«

Leif ergriff die vom vielen Arbeiten schwielige Hand, die Toke ihm hinhielt.

Der Schmied zeigte Leif noch einen Holzschild. Er hatte es vorne mit einem halbrunden Eisen, einem Buckel, versehen, damit die Waffe des Gegners abrutschen konnte.

»Du kannst ihn nehmen, ich schenke ihn dir. Der Mann, der es bestellt hat, hat es nie abgeholt. Er ist schon früh zu Odin gefahren.«

»Ich danke dir, Toke, und auch Thors Dank sei dir sicher.«

Am nächsten Vormittag machte Leif sich stolz auf den Weg, bewaffnet und beschützt mit Schwert und Schild.

Sollten unterwegs Räuber kommen, er war vorbereitet! Eine Scheide würde er sich zuhause selber machen.

Aufbruch zum Sigurdhof

Als der Schnee nach einigen Wochen zu schmelzen begonnen hatte, war es Zeit, zum Sigurdhof zu gehen. Leif schnürte sein Bündel mit Proviant. Zwei Messer und die Bartaxt verstaute er am Gürtel. Schwert und Schild trug er stolz in der Hand. »Du bist mir auf den Leib geschnitten, nicht zu schwer, mit der richtigen Länge. Ich werde dich Feindestod nennen.« Leif freute sich über seinen Einfall. Dieser Name würde seinem Schwert Schlagkraft und den nötigen Schwung geben. So ausgerüstet, trat er stolz vor seine Eltern und sagte:

»Bevor ich mich auf den Weg mache, gehe ich noch zu Odin. Ich werde ihn um Mut und Erfolg bitten. Er wird die Kraft meines Schwertes stärken. Ich weiß, mit seiner Hilfe werde ich bald mit viel Silber und noch mehr Ehre zurückzukommen.«

»Das machst du richtig, mein Sohn, suche immer die Unterstützung der Götter, wie es schon unsere Väter taten. Rufe nicht nur Odin an, auch Tyr soll dir helfen.«

Von seinen Schwestern verabschiedete er sich nur kurz, Ortberga wünschte er eine gute Ehe, denn die Hochzeit sollte im Sommer stattfinden, während er noch unterwegs war.

»Führe dein Schwert gut und halte den Schild sicher. Sigurd wird dich bestimmt noch mit einer Lanze bewaffnen«, meinte Björn und klopfte seinem Sohn zuversichtlich auf die Schulter.

Runa konnte gar nichts sagen. Schluchzend umarmte sie Leif und wandte sich schnell ab. Leif hob ein letztes Mal grüßend die Hand und machte sich auf den Weg.

Die heilige Quelle befand sich in einem kleinen Hain oberhalb des Gehöftes. Mit festen Schritten erreichte Leif die geweihte Odinsquelle. Er kniete nieder und trank einige Schlucke des eiskalten Wassers, das aus der Erde sprudelte. Nachdem er sich erfrischt hatte, griff er in die Tasche und entnahm ihr eine Handvoll Getreide, das er auf den Opferstein warf.

»Odin, ich will dir ein guter Kämpfer sein. Hilf mir, im Kampf zu bestehen, damit ich erfolgreich zurückkehre. Wenn ich fallen sollte, werde ich stolz als Held in deine Halle einreiten. Und du, Tyr, wirst mir Kraft und Geschicklichkeit geben. Darum bitte ich dich.« Leif trat zu der mächtigen Buche, deren Krone die Quelle überdeckte. Sie war von den Göttern geweiht und spendete demjenigen Kraft, der sich ihr anvertraute. Sie spürte, welche Wünsche der Suchende hatte, nahm diesen Wunsch auf und half ihm, das zu erreichen. Er berührte die glatte Rinde mit Stirn und beiden Händen, um die Verbindung zwischen sich und der magischen Buche herzustellen.

Gestärkt begab Leif sich auf den Weg zum Sigurdhof.

Ein leichter Wind begleitete Leif auf seinem Weg. Es war Mitte des Mondes, der der Göttin Ostara gewidmet war. Viele der Vögel, die den Winter über im Süden geweilt hatten, waren zurück und kündeten mit ihren Gesängen die Zeit der Paarung an. Leif lauschte und nahm ihre Begleitung als gutes Omen. Der Weg war nicht weit, aber es dauerte im sumpfigen Wald bis Mittag, ehe er am Großhof ankam.

Insgesamt hatte Sigurd zwölf junge, kräftige Männer anwerben können. Sie waren meist die erstgeborenen Söhne der umliegenden Höfe, und hofften auf Abenteuer und Reichtum. Leif sah seine Mitstreiter der Reihe nach an. Sie schienen alle älter zu sein als er. Das schüchterte ihn aber nicht ein. Im Gegenteil, es erfüllte ihn mit Stolz, mit so jungen Jahren bei den Erwachsenen mitmachen zu können.

Die Kleidung der künftigen Seefahrer bestand aus groben Stoffen. Am Gürtel trugen sie Hämmer oder Äxte, und unter den Kleidern konnte man so manches geschliffene Messer vermuten. Nicht jeder hatte ein Schwert, wie Leif feststellte. Stolz legte er seine Hand an den Knauf seines Schwerts. »Feindestod«, sagte er zu seinem Schwert, »wir werden gute Freunde sein, denn du wirst mich immer beschützen.«

Sigurd rief seine Leute zusammen. Breitbeinig stand er vor der Mannschaft.

»Nun ja, wie richtige Wikinger seht ihr noch nicht aus, aber das wird noch. Hauptsache, ihr seid stark wie Ochsen und mutig wie Bären. Dann kann uns nichts passieren.«

»Nur zwölf Männer, Sigurd?«

Die Frage kam von einem untersetzten Mann, der als einziger zusätzlich zu Schwert oder Axt noch einen Wurfspeer trug. Neidisch schaute Leif auf die leichte Waffe mit der keilförmigen Klinge und dem Quereisen. Es hieß, die Klinge komme aus dem Reich der Franken. Eine solche Waffe würde er auch gern besitzen. Vielleicht würde er bald eine erbeuten?

»Ja, Trygge, zwölf seid ihr. Die Anderen sind bereits am Hafen und nehmen letzte Ausbesserungen an Segel und Ruder vor, damit das Schiff im besten Zustand ist. Die Männer kommen von der Küste und kennen die Seefahrt von Kindesbeinen an, als Fischer.«

»Das ist gut«, antwortete Trygge, »und wohin fahren wir, Seekönig?«

»Du nennst mich einen Seekönig. Das ist nicht richtig. Ich rüste nur das Schiff aus und versorge euch mit allem, was ihr für die Fahrt braucht. Du, Trygge, wirst das Kommando führen. Ich begleite euch zwar bis zum Hafen, kehre aber zurück zum Hof. Ich garantiere den Schutz eurer Familien und ihrer Höfe.«

»Das ist eine große Ehre für mich. Warum fiel deine Wahl auf mich?«

»Du bist erfahren, Trygge, und kennst den südlichen Teil unseres Ostmeeres. Deswegen habe ich dich zum Schiffsführer ausersehen. Ihr werdet nach Haithabu fahren, und von dort weiter nach Westen, nach Friesland und Britannien. Wir haben von anderen Seefahrern die Wegbeschreibungen, Land- und Seemarken, und wir wissen, wie viele Tagesfahrten jeweils benötigt werden. Dort wartet reiche Beute auf euch, glaubt mir!«

»Warum nehmen wir nicht den Weg durch die dänischen Inseln und von dort ins Westmeer?«

»Der Weg ist mir wohl bekannt, daher weiß ich, dass er gefährlich ist. Die Seeländer und die Jüten sind ebenfalls auf Beute aus, sie werden versuchen, unsere Schiffe zu kapern und euch als Sklaven rudern zu lassen. Wir wollen uns die Jüten nicht zu Gegnern machen.«

»Aber bringen viele Gegner nicht viel Ehre?«

»Willst du damit sagen, ich würde den Feinden aus dem Wege gehen?« Sigurds Stimme nahm einen drohenden Unterton an.

»Nein, so nicht ...«

»Die Küsten der Nordsee sind das Ziel. Dort werdet ihr viele Gelegenheiten bekommen, ehrenhaft zu kämpfen. Reiche Beute wird euer Lohn sein. Gold und Silber die wertvolle Fracht auf der Rückfahrt.«

Trygge setzte zu einer Antwort an, aber Sigurd kam ihm zuvor: »Ich bestimme, wohin es geht, und du wirst die Mannschaft führen, verstanden?«

Sigurd schaute Trygge fest an, bis der nickte.

»Eine Frage habe ich noch. Wir sollen und wollen kämpfen, aber unsere Männer sind nicht für einen richtigen Kampf ausgerüstet. Es fehlt so manches Schwert, vor allem Lanzen. Nicht jeder hat einen Schild oder gar ein Kettenhemd. So wird es nicht leicht sein, siegreich heimzukehren.«

»Da hast du recht. Deshalb werdet ihr diesen Wagen«, Sigurd zeigte auf einen zweiachsigen Pferdewagen mit Holzrädern, »mitnehmen. Er ist mit Pelzen aus dem Norden beladen. Gegerbte Felle von Bären, Füchsen und Rentieren. Die könnt ihr in Haithabu gegen Waffen und Schilde eintauschen. Das wird zwar ein paar Tage dauern, dient aber eurer Sicherheit. Das Pferd werde ich bei eurer Abreise mit zurücknehmen.«

Trygge nickte zufrieden. »Das war ein guter Gedanke, Sigurd. Ich glaube, unsere Fahrt steht unter einem guten Stern. Du scheinst an alles gedacht zu haben.«

»Dann sind wir uns einig? Oder habt ihr noch Fragen?« Der Schiffseigner schaute fragend in die Runde der Männer. Die nickten zustimmend.

»Gut, so ist alles vorbereitet. Heute Abend werden wir gut und kräftig essen, wir haben extra ein Schwein geschlachtet.

Es ist reichlich Bier da. Morgen früh brechen wir auf zum Meer. Das Schiff ist von den anderen hoffentlich schon seeklar gemacht worden. Dort erfahrt ihr, was jeder von euch zu tun hat.«

Der Marsch zur Küste

Der Weg zum Meer war beschwerlich. Neben der eigenen Verpflegung und den Waffen führten die Männer noch Fässer mit Met und Bier sowie Beutel mit Hartbrot und Fleisch mit sich. An schwersten hatte es das Pferd, das den Wagen mit den Pelzen und Fellen zog. Oft mussten die Männer mit Hand anlegen und das Gefährt schieben. Zum Glück brach kein Rad. Sie folgten einem Pfad, den ihre Väter und Großväter gefunden und ausgetreten hatten. Im Grunde wanderten sie an einem Flusslauf entlang. Aber der Fluss, den sie Em nannten, war unberechenbar. Auf seinem Weg aus den höher gelegenen Gegenden zum Meer veränderte er oft seinen Wasserstand und seine Breite. Moore, Seen und morastige Flächen säumten die unzähligen Windungen des Em. Wege, die man im vergangenen Jahr noch benutzt hatte, waren heute nicht mehr auffindbar, weil der Strom sich einen neuen Weg gesucht und die alten Flächen überflutet oder fortgespült hatte. Immer wieder mussten die Männer neue Pfade nehmen, um doch auf den alten Weg zurückzukehren. Manchmal versanken sie bis zu den Knien im schlammigen Grund. Sie waren froh, wenn sie festen Boden unter den Füßen hatten und die noch zaghafte Sonne ihre Kleider halbwegs trocknete. Oft mussten sie über Felsen und umgestürzte Bäume klettern oder diese umgehen. Wahre Heerscharen von Mücken setzten den Männern so zu, dass sie von Einstichen übersät waren. Sie fluchten und schimpften. Die Schläge, die sie sich selbst versetzten, ließen ihre Oberkörper rot werden.

»Verflucht, warum haben wir keine Flöße gebaut und uns damit zum Meer tragen lassen?«, fragte einer der Männer in die Runde, ohne jemanden direkt anzusprechen. Es war Trygge, der Antwort gab: »Du hast dich dein ganzes Leben scheinbar nur auf eurem Hof rumgetrieben, sonst wüsstest du, dass es viele Stromschnellen und Wasserfälle gibt. Gerade jetzt nach der Schneeschmelze ist der Fluss unberechenbar. Wir hätten die Flöße entladen und ganze Strecken über Land tragen sollen. Erst das letzte Ende des Flusses ist sicher und schiffbar.«

Der Mann gab sich hiermit zufrieden. Das Lachen seiner Kameraden nahm ihm den Mut zu einer Antwort.

Stunde um Stunde zogen sie weiter, immer in einigem Abstand zum Ufer.

»Aaaaah!«

Leif hörte den Schrei seines Vordermannes. Er hob den Kopf und sah, wie der andere vom Felsen abrutschte und in das quirlige Wasser stürzte. Der Mann wurde von der Strömung erfasst und trieb davon. Leif warf sein Gepäck ab und sprang behände vom Ufer auf die Felsen im Fluss.

»Ein Seil!«, schrie er. »Wer hat ein Seil?«

Die meisten Männer hatten das Unglück nicht bemerkt und waren weiter gegangen. Sie waren schon so weit weg von der Gruppe, dass keine Hilfe kam.

»Dort vorn ist ein Baumstamm. Halte dich daran fest!«

Aber schon war der Verunglückte an dem rettenden Stamm vorbeigetrieben. Die grobe wollene Kleidung hatte sich voll Wasser gesogen, und das Gewicht zog ihn erneut in die Tiefe. Prustend kam er ein letztes Mal an die Oberfläche, bevor er unterging. Leif hetzte hinterher. Dann sah er, wie der Körper sich an einem Ast verfing. Sein Kamerad saß fest, die Strömung zerrte wild an ihm.

Leif kletterte auf einen Felsen, der aus dem Wasser ragte. Er legte sich flach auf den Stein und versuchte, den Arm des Verunglückten zu erreichen. Als er weiter vorrückte, verlor er beinahe das Gleichgewicht. Plötzlich spürte er, wie Hände seine Beine fassten und ihn festhielten.

»Du schaffst das!«, rief Trygge.

Endlich gelang es Leif, den Mann zu packen und zu sich heranziehen. Weitere Männer kamen zu Hilfe und gemeinsam hievten sie den schweren Körper ans Ufer.

Leif beugte sich über den Geretteten. Er atmete noch.

Sie zogen ihm die vollkommen durchnässten Kleider aus.

»Die letzten Sonnenstrahlen werden ihn wärmen. Der wird sich bald erholen!« Trygge wandte sich an die Umstehenden. »Wir machen Rast, es wird sowieso bald dunkel. Zündet ein Feuer an.«

»Sein Blut muss in Gang kommen, damit sich sein Körper erwärmt. Gib mir trockenes Gras!«

Jemand reichte Leif eine Handvoll. Mit kreisenden Bewegungen massierte er den Brustkorb des Kameraden, bis die Haut krebsrot war. Als er die die Augen aufschlug, johlten die Männer.

»Schwimmen musst du noch lernen!«, sagte Leif zu ihm und schlug ihm auf die Schulter.