Leni Behrendt Bestseller 55 – Liebesroman - Leni Behrendt - E-Book

Leni Behrendt Bestseller 55 – Liebesroman E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Mit einem konventionellen Lächeln sah die junge Frau der stattlichen Dame entgegen, die nach Anmeldung des Dieners das luxuriöse Zimmer betrat. Hüben wie drüben ein forschender Blick, und dann umschlang ein Band von Sympathie die beiden ungleichen Frauen. »Seien Sie mir herzlich willkommen«, sprach die jüngere zaghaft. »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind.« »Wie formell!« lachte die andere. »Den Ton wollen wir erst gar nicht zwischen uns aufkommen lassen, mein Kind. Du bist immerhin die Frau meines Neffen, und ich bin daher die Tante Beate, die sogar auf deiner Hochzeit war.« »Entschuldige bitte, Tante Beate, aber da waren so viele. Bitte, nimm Platz. Darf ich dir eine Erfrischung anbieten?« »Gegen eine Tasse Kaffee hätte ich nichts einzuwenden«, ließ Frau Beate Norber sich in einen der tiefen Sessel sinken, die den Kamin umstanden. »Es ist so ein richtiges Hubberwetter draußen, das bis auf die Knochen geht. Da ist ein heißer Kaffee schon angebracht. – Praktisch«, meinte sie, nachdem die junge Frau durch das Haustelefon die Bestellung aufgegeben hatte. »Da braucht man die dienstbaren Geister nicht erst herbeizuklingeln. Du hast es überhaupt wunderschön hier.«

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Leni Behrendt Bestseller – 55 –

Törichte Herzen

Leni Behrendt

Mit einem konventionellen Lächeln sah die junge Frau der stattlichen Dame entgegen, die nach Anmeldung des Dieners das luxuriöse Zimmer betrat. Hüben wie drüben ein forschender Blick, und dann umschlang ein Band von Sympathie die beiden ungleichen Frauen.

»Seien Sie mir herzlich willkommen«, sprach die jüngere zaghaft. »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind.«

»Wie formell!« lachte die andere. »Den Ton wollen wir erst gar nicht zwischen uns aufkommen lassen, mein Kind. Du bist immerhin die Frau meines Neffen, und ich bin daher die Tante Beate, die sogar auf deiner Hochzeit war.«

»Entschuldige bitte, Tante Beate, aber da waren so viele. Bitte, nimm Platz. Darf ich dir eine Erfrischung anbieten?«

»Gegen eine Tasse Kaffee hätte ich nichts einzuwenden«, ließ Frau Beate Norber sich in einen der tiefen Sessel sinken, die den Kamin umstanden. »Es ist so ein richtiges Hubberwetter draußen, das bis auf die Knochen geht. Da ist ein heißer Kaffee schon angebracht. – Praktisch«, meinte sie, nachdem die junge Frau durch das Haustelefon die Bestellung aufgegeben hatte. »Da braucht man die dienstbaren Geister nicht erst herbeizuklingeln. Du hast es überhaupt wunderschön hier.«

»Ja, das habe ich.«

Es klang so sonderbar, daß Beate ihr Gegenüber forschend betrachtete. Und was sie da sah, ließ sie betroffen werden.

»Bist du krank, Elonie?« fragte sie leise. »Oder hat dein – verzeih – erbärmliches Aussehen einen anderen Grund?«

»Nichts von beiden, Tante Beate«, kam es bitter über die zuckenden Lippen. »Ich war und bleibe eben ein verzärteltes Treibhauspflänzchen.«

Mitleidig sah Beate in das durchsichtig weiße Gesichtchen. Unter den verschleierten Augen lagen tiefe Schatten. Die Gestalt konnte man mit verhungert bezeichnen. Selbst das einst so wunderschöne lichtbraune Haar hatte seinen goldigen Glanz verloren. Nichts, aber auch gar nichts war von der bezaubernden Braut übriggeblieben, die sie vor einem halben Jahr gewesen. Die Augen hatten gestrahlt, der Mund gelacht. Eine zaubersüße Braut, die man entzückt betrachtet hatte.

Der Eintritt des Dieners riß Beate aus ihren Gedanken. Er schob den Servierwagen vor sich her, mit einer Miene, die etwas Herablassendes hatte.

»Ist gut, Jan, Sie können gehen«, wurde er von der Herrin verabschiedet, die dann den niedrigen Tisch zwischen den Sesseln deckte, ihren Gast aus der Maschine mit Kaffee versorgte und den Teller mit Gebäck vor ihn hin stellte.

»Bitte, Tante Beate, greif zu«, sagte sie mit einem Lächeln, das der menschenkundigen Frau mehr verriet als viele Worte es vermocht hätten. Hier saß ein Mensch, der Weg und Steg verlor und den sie spontan in ihr mitfühlendes Herz schloß.

»Der Kaffee ist gut«, schlug sie absichtlich einen munteren Ton an. »Wie geht es Diederich?«

»Ich weiß es nicht, Tante Beate«, kam es ziemlich gleichgültig zurück. »Er war vier Wochen unterwegs. Ich glaube, er ist heute nacht zurückgekehrt.«

»Aber, aber, hat er dich denn nicht begrüßt?«

»Nein.«

»Auch heute früh nicht?«

»Ich pflege bis elf Uhr zu schlafen.«

»Und wer kümmert sich um den Hausstand?«

»Ein Phänomen von Hausdame und ein ebensolcher Diener. Sie sind länger als ich in diesem Haus und ihrem Herrn treu ergeben. Iß doch bitte, Tante Beate.«

»Nein, mein Kind!« Sie stellte energisch die Tasse auf den Unterteller. »Mir würde der Bissen im Hals steckenbleiben. Denn wer dich früher gekannt hat und dich heute sieht, dem muß sich das Herz krümmen vor Jammer. Wie konntest du nur so herunterkommen?«

»Das liegt an mir«, erfolgte die Antwort wie eingelernt. »Zu essen gibt es hier in Hülle und Fülle.«

»Und was gibt es noch?«

»Alles das, was zu einem Luxusgeschöpf gehört. Ein Faulenzerleben, schöne Kleider, Schmuck, Reitpferd, Auto.«

»Und einen goldenen Käfig«, warf Beate trocken ein, »an dessen Stäben du wahrscheinlich solange gerüttelt hast, bis du erschöpft zusammenbrachst. Du mußt raus von hier, Elonie, sonst gehst du ganz kaputt. Halb bist du es nämlich schon.«

»Sicherlich legt Diederich es darauf an«, zuckte sie gleichmütig die Achseln. »Dann wird er wenigstens die Last auf anständige Art los, die er sich vor einem halben Jahr in einer Anwandlung von Edelmut aufbürdete.«

»Kind, es ist doch fürchterlich, was du da sagst.«

»Aber es ist die Wahrheit, ungetünchte Wahrheit. Denn der reiche Industrielle Diederich Brendor übernahm mit dem verkrachten Konkurrenzunternehmen des Herrn Reigerts auch dessen Tochter, dieses von maßloser Elternliebe überzüchtete Treibhauspflänzchen, weil er doch nun mal ein großmütiger Mensch ist.«

»Na du, nach Großmut sah es mir bei eurer Hochzeit nicht aus. Man war allgemein der Ansicht, daß der Bräutigam ganz gehörig in seine bezaubernde Braut verliebt sei. Es gab wohl keinen, der nicht eine glückhafte Ehe prophezeite.«

»Doch, einen gab es.« Die Mundwinkel zogen sich spöttisch nach unten. »Ich habe nämlich selbst gehört, wie ein männlicher Gast zu dem anderen sagte: ›Ziemlich gewagt von dem guten Brendor, sich nach all den feurigen Granatblüten seines bewegten Junggesellenlebens eine feine weiße Lilie als Hüterin seines Heims und Herdes zu wählen. Wenn die Ehe man gutgeht.‹ – Damals war ich natürlich empört«, setzte sie hinzu. »Doch heute geb’ ich dem Mann recht. Und nun wollen wir das Thema fallenlassen, Tante Beate. Es ist unerquicklich und führt zu nichts.«

»Also gedenkst du hier immer weiter zu vegetieren. Denn leben kann man das wohl nicht gut nennen.«

»Ich will ja auch gar nicht leben.«

»Sondern? »

»Sterben.«

»Großer Gott, Kind, du bist wohl nicht recht gescheit! Dieser Gedanke ist direkt frevelhaft für ein blutjunges Geschöpf.«

»Tante Beate, ob man da zwanzig Jahre zählt oder achtzig. Wenn man lebensmüde ist, will man eben sterben. Wäre ich nicht so feige, hätte ich längst diesem Leben ein Ende gemacht. Aber es wird auch so klappen, denn mein Herz schlägt immer träger.«

»Hast du denn einen Herzfehler?«

»Wahrscheinlich.«

»Was sagt Diederich dazu?«

»Nichts, weil er keine Ahnung hat.«

»Elonie, du mußt es ihm sagen.«

»Dazu habe ich keine Gelegenheit, weil er sich fast ständig auf Reisen befindet. Und wenn er mal hier ist, steckt er im Werk.«

»Hast du wenigstens einen netten Bekanntenkreis?«

»Nein.«

»Besuchst du Vergnügungen?«

»Nein.«

»Treibst du Sport?«

»Nein.«

»Betätigst du dich im Haushalt?«

»Nein.«

»Ja, um alles in der Welt, womit vertreibst du dir denn die Zeit?«

»Ich schlafe lange, lese, musiziere, stümpere ein bißchen Handarbeit und gehe mit den Hühnern zu Bett.«

»Und das mit zwanzig Jahren. Kind, du bist mir direkt unheimlich. Könntest du nicht wenigstens in ein Bad fahren, das dir wahrscheinlich notwendig ist?«

»Gewiß könnte ich das.«

»Und warum tust du es nicht?«

»Weil ich nicht will.«

Der Fernsprecher schlug an, sie hob den Hörer ab, meldete sich und sprach gleich darauf:

»Guten Tag, Diederich. Ja, es geht mir gut. Eine Verabredung hast du für heute abend und ißt daher außerhalb? Wäre mir schon recht. Aber wir haben einen Gast. Tante Beate Norber. Da wirst du dich schon herbemühen müssen. Gut, ich gebe den Hörer an sie ab.«

Sie tat es, und Beate sprach:

»Jawohl, Diederich, ich bin’s höchstpersönlich. Ich muß dich sprechen, daher bin ich hier. Nein, am Telefon kann ich dir das nicht sagen, es handelt sich um eine Familienangelegenheit. Du kommst, das ist nett. Tu es aber bald. Ich muß heute noch nach Hause zurückfahren. Also bis nachher.«

*

Zehn Minuten später trat er ein. Ein Typ von Mann, auf dien die Frauen sozusagen fliegen. Hochgewachsen, blond, blauäugig, markantes Gesicht, hartgeschnittener Mund, um den es humorvoll, aber auch ironisch zucken konnte, mit dem herrischen Gebaren des Gebieters und dem Fluidum des Mannes von Welt. Das war der Industrielle Diederich Brendor. Im Werk beliebt, von der Konkurrenz gefürchtet.

Ganz artig begrüßte er die Schwester seiner Mutter, für die Gattin hatte er einen ebenso flüchtigen Handkuß wie auch Blick, was Beate nicht gerade wenig empörte. Diesem arroganten, sehr selbstherrlichen Menschen mal die Meinung sagen zu dürfen, eine wahre Wonne müßte das sein.

»Darf ich mich verabschieden, Tante Beate? Hab Dank für deinen lieben Besuch, hoffentlich wiederholst du ihn«, sagte Elonie.

Ehe die Dame noch etwas erwidern konnte, war die erschreckend schmale Gestalt verschwunden wie ein Schemen. Mit einem unterdrückten Seufzer wandte Frau Norber sich dem Mann zu, der sich ihr gegenüber niederließ und bedauernd sagte:

»Ich habe dich wohl beim Kaffeetrinken gestört, Tante Beate.«

»Nein, das hast du nicht«, entgegnete sie kühl. »Laß bitte abräumen, ich genieße sowieso nichts mehr.«

Er beorderte den Diener, der lautlos seines Amtes waltete und ebenso lautlos verschwand. Unbehaglich zog Beate die Schultern hoch.

»Gräßlicher Kerl! Falsch und hintergründig. Nicht eine Stunde möchte ich ihn um mich haben. Na ja, nun paß mal auf, Diederich. Ich bin hier, um mit dir über Tante Henriette zu sprechen. Ist die dir überhaupt ein Begriff?«

»Ja. Ein verhutzeltes Weibchen, das ständig Pillen schluckte. Was ist mit ihr?«

»Sie ist vor einer Woche gestorben, ohne ein Testament zu hinterlassen. Somit treten die gesetzlichen Erben an, und das sind wir beide.«

»Wieviel Pillen hat sie denn zu vererben?« fragte er lachend, doch sie winkte unwirsch ab.

»Laß den Spott, Diederich.«

»Aber Tante Beatchen, warum denn so knurrig? Darf ich dir ein Glas Wein anbieten, damit du gemütlich wirst?«

»Nein, danke. Laß uns zum Ende kommen, meine Zeit ist knapp bemessen. Es handelt sich nicht um Pillen, sondern um einen Strumpf.«

»Um was, bitte?«

»Um einen Strumpf«, mußte sie jetzt über sein verdutztes Gesicht lachen. »Um eine Männersocke, grau, selbstgestrickt und mit Goldstücken halb gefüllt. Wir fanden sie im Strohsack. Mein Junge, sieh doch nicht so dämlich drein.«

»Du verlangst wahrscheinlich viel von mir, Tante Beate. Welcher Mensch schläft heute noch auf einem Strohsack?«

»Henriette tat’s, das muß dir genügen. Sie war nämlich sehr konservativ. Trug Kleider aus dem vorigen Jahrhundert und einen Kapotthut.«

»Ach du liebes Bißchen! Wie alt war sie denn, als sie starb?«

»Vierundneunzig.«

»Dann allerdings. Wer hat sie gepflegt?«

»Da gab es nichts zu pflegen. Am Abend war sie noch munter wie ein Wiesel, morgens fanden wir sie tot im Bett.«

»Beneidenswert. Und was ist nun mit dem Strumpf?«

»Der liegt jetzt beim Notar. Gleichfalls eine Zigarrenkiste, in der sich kostbarer Schmuck befindet und ihr Sparkassenbuch, in dem mehr als fünftausend Mark vermerkt sind.«

»Und das alles befand sich im Strohsack?«

»Ja. Nun erwartet der Notar die beiden Erben.«

»Auch das noch«, hob er abwesend die Hände. »Hab’ Erbarmen und verschone mich.«

»Das geht nicht, Diederich. Du gehörst nun einmal mit zu den Erben.«

»Hab’ ich eben gehört.« Er hielt ihr sein kostbares Zigarettenetui hin.

»Danke, ich rauche nicht.«

»Dann darf ich?«

»Bitte.«

Er steckte eine Zigarette in Brand, legte sich im Sessel zurück, schlug ein Bein über das andere und sah nachdenklich auf die Frau, die wie das blühende Leben vor ihm saß. Groß, kräftig, mit einem vollwangigen Gesicht, hellen blauen Augen unter blondem Haar, glich sie einer Gestalt aus den alten Sagen. Seine Mutter hatte ganz anders ausgesehen. Zierlich, brünett, mondän.

»Nun starr mich nicht so an, sondern entscheide dich«, wurde die Tante nervös. »Wann könnten wir zusammen zum Notar gehen?«

»Ich muß morgen früh wieder eine längere Reise antreten, Tante Beate. Also wird vor Weihnachten kaum etwas aus der Regelung des Nachlasses werden. Aber es eilt damit auch wohl nicht sehr, nicht wahr?«

»Nein, obwohl ich es recht gern erledigt hätte. Doch deine Zusage ist auch schon was wert. Und die habe ich doch?«

»Ja.«

»Danke. Es wäre ja nun an der Zeit, mich zur Bahn zu begeben«, stellte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr fest. »Nun, wenn es einen Zug später wird, schadet es auch nichts. Ich möchte nämlich mit dir über deine Frau sprechen. Fahr nicht hoch, laß mich erst reden. Hinterher kannst du mich meinetwegen zurechtweisen oder auch hinauswerfen. Diederich, als ich heute Elonie sah, war ich entsetzt, was aus dem strahlend schönen Geschöpf in einem halben Jahr geworden ist. Sie ist krank, ernstlich krank. Und wenn nichts unternommen wird, löscht sie langsam, aber sicher aus wie ein trübes Licht. Hast du denn wirklich nicht gewußt, wie krank sie ist, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch?«

»Nein.« Seine Brauen zogen sich zusammen. »Ich habe sie seit einem Vierteljahr kaum zu sehen bekommen. Ich war viel unterwegs, und wenn ich zwischendurch nach Hause kam, stand ich vor verschlossener Tür.«

»Sie scheint ernstlich auf den Tod zu warten und könnte, wenn sie des Wartens müde ist, durch irgend etwas nachhelfen.«

»Ach was, dummes Geschwätz!«

»Diederich, ich warne dich, diese Angelegenheit zu bagatellisieren. Es hat sich schon manch ein Mensch in einem unzurechnungsfähigen Augenblick das Leben genommen, du mußt mit Elonie sprechen.«

»Erst können«, lachte er hart dazwischen. »Dann müßte ich erst die verschlossene Tür einschlagen, denn gutwillig öffnet sie mir diese nicht. Was will sie überhaupt? Geht es ihr hier nicht gut? Sie hat doch alles, was nur ein Mensch haben kann.«

»Nur dich nicht, Died.«

»Könnte sie auch haben, wenn sie nicht so entsetzlich halsstarrig wäre.«

»Du hast sie zuviel allein gelassen.«

»Das geschieht anderen Frauen auch, die einen Geschäftsmann geheiratet haben. Aber die sind vernünftig, während meine Frau verbohrt ist.«

»Nicht verbohrt, sondern krank. Am besten ist, du bringst sie in ein Sanatorium.«

»Dazu müßte ich Gewalt anwenden, und das widerstrebt mir.«

»Soll ich mal mit ihr sprechen?«

»Wenn dir das gelingt, wäre ich dir sehr verbunden. Aber ich fürchte, daß sie dich genauso schroff abtun wird wie alle anderen, die sich ihr zu nähern wagten. Sie hat es nämlich erstklassig raus, die Menschen vor den Kopf zu stoßen.«

»Na du, mein Kopf ist hart. Der verträgt schon einen gehörigen Puff. Sollte jedoch der ihre noch härter sein, habe ich dann wenigstens versucht, mein Möglichstes zu tun. Willst du hier warten?«

»Leider nicht. Ich habe eine Besprechung.«

»Ach was!« winkte sie unwillig ab. »Jetzt geht mal erst deine Frau vor.«

»Bitte. Ich werde dich hier erwarten.«

*

Als Beate durch die Halle ging, stieß sie auf eine Dame, die sie auf der Hochzeit hier kennengelernt hatte und die ihr schon damals unsympathisch gewesen war. Doch nun sie in das süßlächelnde Gesicht sah, verstärkte sich das Gefühl noch, wurde zur Abneigung. Sie mochte wohl eine hervorragende Hausdame sein, aber bestimmt auch eine solche Intrigantin.

»Guten Tag, gnädige Frau«, grüßte das lange, hagere, tadellos gekleidete Wesen katzenfreundlich. »Suchen Sie jemanden?«

»Ganz recht, die Herrin des Hauses.«

»Die wird leider nicht zu sprechen sein.«

»Das überlassen Sie gefälligst mir. Ich bin nämlich die Tante der gnädigen Frau, falls Sie das noch nicht wissen sollten.«

»O ja, das weiß ich, gnädige Frau.«

»Also!«

Brüsk wandte sich Beate ab, etwas vor sich hin murmelnd, das ganz nach ›ekelhafte Viper‹ klang. Langsam stieg sie die Treppe hinauf, die mit Läufern belegt war, in denen der Fuß fast versank. Überall wohin man auch schaute, Glanz und Pracht, und doch war die Herrin all der Herrlichkeit ein armes, bemitleidenswertes Geschöpf, ein flügellahmes Vöglein in einem großen goldenen Käfig.

In der ersten Etage, die viele reichgeschnitzte Türen aufwies, mußte Beate erst an verschiedene klopfen, bis hinter einer eine unwillige Stimme hörbar wurde:

»Ich möchte nicht gestört sein!«

»Auch nicht von mir, Elonie? Du läßt mich doch sicher nicht wie einen Bettler vor der Tür stehen?«

Das half. Ein Schlüssel wurde gedreht, die Tür spaltbreit geöffnet, und flugs schob Beate sich hindurch.

»Soweit wäre es ja nun geschafft«, bemerkte sie gemütlich, dabei scharf die junge Frau musternd, die zitternd vor ihr stand, sie mit großen, bittenden Augen ansah.

»Verzeih, Tante Beate, ich konnte ja zuerst nicht wissen, daß du es bist.«

»Schon gut. Geh ins Bett zurück. Und dann wollen wir beide mal miteinander reden wie Mutter und Tochter. Denn eine Mutter hast du bestimmt nötig, du armes Kind.«

Da wandte Elonie sich schweigend ab, legte sich ins Bett, auf dessen Rand die Tante sich niederließ. Ihr Blick schweifte durch das Zimmer, das man als luxuriös bezeichnen konnte, bis der prüfende Blick an dem Nachttisch hängenblieb, auf dessen Platte einige Fläschchen und Tablettenröhrchen zu sehen waren.

»Großer Gott, Kind, das schluckst du doch nicht womöglich alles?« fragte die Arztfrau entsetzt.

»Doch, Tante Beate.«

»Also bist du doch nicht zu feige, um dich langsam umzubringen. Aber das werde ich verhindern, verlaß dich darauf.«

Damit griff sie nach den Medikamenten, steckte sie in die Handtasche und besah sich kopfschüttelnd das junge Geschöpf, das da halbverhungert in den spitzenüberrieselten Kissen lag.

»Armes Ding«, sagte sie mitleidig. »Hast du Vertrauen zu mir?«

»Ja, Tante Beate.«

»Na, Gott sei Dank, damit ist schon viel gewonnen. Um selbst zu handeln, dafür bist du viel zu elend, daher werde ich es für dich tun. Zuerst kommst du einmal in ein Sanatorium.«

»Nein, Tante Beate, nein!«

»Ja, warum denn nicht? Da bist du bestimmt besser aufgehoben als hier.«

»Aber ich will doch nicht in ein Sanatorium«, wehrte sie sich verzweifelt. »Da käme ich ja nie wieder heraus!«

»Na, nun schlägt’s dreizehn. Deine Hirngespinste sind ja noch ärger, als ich dachte. Ein Sanatorium pflegt die Patienten nur so lange zu behalten, wie es erforderlich ist.«

»Oder sie ins Irrenhaus zu überweisen.«

»Gott in deine Hände, Elonie! Du bist doch nicht allein, du hast doch einen Mann.«

»Der mich gern los sein möchte.«

Ja, da war die kluge Beate mal erst am Ende mit ihrer Weisheit. Ratlos sah sie auf die junge Frau, die das Gesicht ins Kissen gedrückt hatte und so jammervoll weinte, daß der weichherzigen Beate auch die Tränen kamen. Angestrengt dachte sie nach, wie dem verirrten jungen Menschenkind wohl zu helfen sei. Endlich fiel ihr etwas ein, zu dem sie sich spontan entschloß.

»Sei still, Elo«, beschwichtigte sie mit tränendunkler Stimme. »Sei ganz still, ich nehme dich mit nach Hause. Dort wirst du Menschen finden, denen du vertrauen kannst. Die dich verstehen und liebhaben, du verirrtes Seelchen, du. – Paß mal auf: Da bin zuerst einmal ich. Dann Onkel Fritz, ein ebenso guter Mensch wie Arzt. Dann gibt es noch die Itt mit den lachenden Blauaugen und den langen blonden Zöpfen. Zehnjährig, manchmal unartig, aber größtenteils lieb. Unser großer Bengel ist ein lustiger Studiosus, der sich öfter mal zu Hause einfindet, um sich an Mutters Fleischtöpfen gütlich zu tun. Dann ist da Huschchen, ein liebes Altjüngferlein, das alles päppelt und es auch bei dir tun wird, bis du aus allen Nähten platzt. Else, das Hausmädchen, ist gut, fleißig und treu. Dann haben wir noch einen Hund, eine Katze, allerlei Geflügel und das alte Doktorhaus. Es ist längst nicht so pompös wie dieser Palast, aber es ist ein Haus, in dem die Liebe immer wohnt.«

Schon längst war das Weinen verstummt. Der Blick zweier großer, flackernder Augen hing gespannt an den Lippen der Erzählenden. Und als die Stimme schwieg, sprach die andere in fliegender Hast:

»Ist das auch alles wahr, Tante Beate? Gibt es denn wirklich so was wunderbar Schönes?«

»Das Doktorhaus liefert den Beweis.«

»Der Student und die Itt, sind das deine Kinder?«

»Ja. Knut ist ungefähr so alt wie du, und Birgit ist ein Nachkömmling.«

»Und Onkel Fritz?«

»Ist der gute Onkel Doktor. Der wird in dem Städtchen verehrt von jung und alt.«

»Oh, Tante Beate, nimm mich mit! Bitte, nimm mich mit. Fahren wir gleich?«

»Na, nun mal langsam. Ich muß doch erst bei deinem Mann die Erlaubnis einholen.«

»Ach ja.« Elonie ließ sich entmutigt in die Kissen zurücksinken. »Er wird bestimmt dagegen sein.«

»Abwarten. Ich gehe jetzt zu ihm. Indes kannst du dich anziehen.«

»So sicher bist du, Tante Beate?«

»Jawohl, so sicher.«

Wenig später betrat sie das Zimmer, wo der Herr des Hauses ihr skeptisch entgegensah.

»Diederich, ich habe Elonie versprochen, sie mit mir nach Hause zu nehmen.«

»Das habe ich geahnt«, entgegnete er zu ihrer Überraschung gelassen. »Und Elonie will tatsächlich mit dir gehen?«

»Ja. Hast du etwas dagegen?«

»Nein. Ich halte es jedoch für meine Pflicht, dich darauf aufmerksam zu machen, daß du mit Elonie einen Störenfried in euer harmonisches Familienleben bringen würdest.«

»Inwiefern?«

»Weil sie unnachgiebig und eigensinnig ist. Sie wird alle beherrschen wollen, und wenn sie auf Widerstand stößt, wird sie die gleichen Methoden anwenden wie hier: trotzen, sich einschliessen und in den Hungerstreik treten.«

»Trotzdem möchte ich es mit ihr versuchen.«

»Na schön. Aber ich habe dich gewarnt. Und wie soll ich mich weiter verhalten?«

»Das wird dir Onkel Fritz sagen, der, wie du ja weißt, ein ganz guter Psychiater ist. Und wenn er einen Sanatoriumsaufenthalt für erforderlich hält, wird er dafür sorgen, daß Elonie einer zuteil wird.«

»Also sei es. Es bleibt mir ja auch nichts anderes übrig, als eure großmütige Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich mit meiner Frau nicht fertig werde. Wann wollt ihr fahren?«

»Möglichst bald.«

»Bist du mit dem Auto gekommen?«

»Nein, mit der Bahn. Das Auto muß Onkel Friltz jederzeit zur Verfügung stehen. Aber Elonie hat ja wohl ihren eigenen Wagen?«

»Den hat sie. Doch es wäre nicht ratsam, sie in ihrer miserablen Verfassung ans Steuer zu lassen, zumal sie seit Monaten nicht mehr gefahren ist. Der Chauffeur kann euch mit meinem Wagen hinbringen.«

»Brauchst du ihn denn nicht?«

»Das schon. Da muß ich mich heute eben behelfen, und morgen, wenn ich abreisen muß, sind ja Wagen und Fahrer wieder zur Stelle.«

In dem Moment trat die Zofe ein, die Beate genauso mißfiel wie Hausdame und Diener.

»Was wollen Sie, Kathi?« fragte ihr Herr kurz.

»Die gnädige Frau läßt fragen, was für Sachen sie einpacken soll.«

»Darum werde ich mich kümmern«, erklärte Tante Beate unfreundlich. »Sie brauchen dabei nicht zu helfen.«

»Du bist ja kurz angebunden«, meinte Diederich unbehaglich, nachdem das Mädchen gekränkt abgewippt war.

»Das bin ich immer, wenn ich eine so freche Visage sehe. Ich gehe jetzt, um Elonie beim Packen der notwendigen Sachen zu helfen.«

Als sie nach geraumer Zeit zurückkehrte, sagte sie aufatmend:

»Das wäre nun auch geschafft. Jetzt möchte ich noch meinen Fritz sprechen, um ihn auf unseren Gast vorzubereiten. Darf ich den Apparat benutzen?«