Und hat die Lieb' gelogen - Leni Behrendt - E-Book

Und hat die Lieb' gelogen E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. »Oh, diese dummen Strümpfe!« Baronesse Loma Greiffling war dem Weinen nahe, sah verzweifelt auf den hellen Seidenstrumpf nieder, an dessen Ferse sich eine Masche gelöst hatte, die nun mit fabelhafter Geschwindigkeit nach oben lief, einen breiten Streifen zurücklassend. »Was mache ich nun?« stieß sie hervor und weinte nun wirklich. »Wäre ich endlich mal aus dieser Unglückslage, in der ein zerrissener Seidenstrumpf eine Katastrophe bedeutet!« Der harte, böse Zug, der sich in ihre Mundwinkel grub, war ihrer Schönheit gewiß nicht günstig, und hätte die eitle Lona das gewußt, hätte sie sich bestimmt nicht so gehen lassen. Ihre Schwester, die ebenso wie sie beim Ankleiden war, sah ungerührt zu ihr hinüber; ihr waren diese Bitterkeitsausbrüche nichts Neues. »Wenn du einen ganzen Juwelierladen an deinen Fingern hast, dann wundere dich nicht, wenn du dir die dünnen Strümpfe zerreißt«, meinte sie achselzuckend. »Du weißt doch: Habe keinen Ring am Finger, denn die zarten, feinen Dinger –« »Hör auf!« unterbrach die Schwester sie böse. »Gib mir lieber deine Strümpfe!« »Damit du die auch noch zerreißt? Ach nein –« »Wo nur das Fräulein bleibt!« murrte Lona. »Das braucht Mutti selbstverständlich wieder einmal ganz allein für sich, und ich kann sehen, wie ich fertig werde.« »Na, Ehrensache, Lona. Wenn man über fünfzig Jährchen zählt wie unsere alte Dame, dann braucht man schon mehr Sorgfalt –«

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Leni Behrendt Bestseller – 58 –

Und hat die Lieb’ gelogen

Leni Behrendt

»Oh, diese dummen Strümpfe!«

Baronesse Loma Greiffling war dem Weinen nahe, sah verzweifelt auf den hellen Seidenstrumpf nieder, an dessen Ferse sich eine Masche gelöst hatte, die nun mit fabelhafter Geschwindigkeit nach oben lief, einen breiten Streifen zurücklassend.

»Was mache ich nun?« stieß sie hervor und weinte nun wirklich. »Wäre ich endlich mal aus dieser Unglückslage, in der ein zerrissener Seidenstrumpf eine Katastrophe bedeutet!«

Der harte, böse Zug, der sich in ihre Mundwinkel grub, war ihrer Schönheit gewiß nicht günstig, und hätte die eitle Lona das gewußt, hätte sie sich bestimmt nicht so gehen lassen.

Ihre Schwester, die ebenso wie sie beim Ankleiden war, sah ungerührt zu ihr hinüber; ihr waren diese Bitterkeitsausbrüche nichts Neues.

»Wenn du einen ganzen Juwelierladen an deinen Fingern hast, dann wundere dich nicht, wenn du dir die dünnen Strümpfe zerreißt«, meinte sie achselzuckend. »Du weißt doch: Habe keinen Ring am Finger, denn die zarten, feinen Dinger –«

»Hör auf!« unterbrach die Schwester sie böse. »Gib mir lieber deine Strümpfe!«

»Damit du die auch noch zerreißt? Ach nein –«

»Wo nur das Fräulein bleibt!« murrte Lona. »Das braucht Mutti selbstverständlich wieder einmal ganz allein für sich, und ich kann sehen, wie ich fertig werde.«

»Na, Ehrensache, Lona. Wenn man über fünfzig Jährchen zählt wie unsere alte Dame, dann braucht man schon mehr Sorgfalt –«

»Aber, Maja!«

Sie wandte sich hastig um und sah in das Gesicht der Mutter, die soeben das Zimmer betreten hatte.

»Na, wenn schon«, brummte sie verlegen, und das süße Gesichtchen überzog sich mit heißer Glut. Aber die Strafpredigt blieb aus, denn die Älteste belegte die Mutter sofort mit Beschlag und zeigte ihr den Strumpf, dessen Anblick auch bei der Mutter Bestürzung hervorrief.

»Aber Lona, Kind, du bist auch gar zu unvorsichtig! Was machen wir nun? Die Geschäfte sind bereits geschlossen.«

»Schlimm genug, daß man von einem Paar Strümpfen abhängig ist!«

»Mein Gott, Lona, kannst du dich denn nicht zufrieden geben?« seufzte die Mutter. »Es ist nun mal nichts daran zu ändern. Vater tut doch, was er kann, es fällt ihm wirklich nicht leicht, eine Familie zu ernähren. Es geht dir doch auch tatsächlich nicht schlecht. Nimm dir ein Beispiel an Maja, die klagt nie!«

»Würde mir auch herzlich wenig nützen«, brummte die Jüngere.

Die Mutter lachte, und heller Stolz leuchtete ihr aus den Augen, als sie die Tochter ansah. Unglaublich süß und reizend sah sie wieder einmal aus, obgleich ihr Kleidchen einfach und billig war. Hellbraunes Lockenhaar umrahmte Wangen von zarter rosiger Farbe. Und die großen Blauaugen leuchteten wie zwei Sterne. Zierlich und biegsam war die Gestalt, ganz leicht und graziös.

Und die Mutteraugen wanderten weiter, zu der älteren Tochter hin. Die war eigentlich schöner, eigenartiger. Die Garderobe, die sie trug, kostete wohl das Dreifache wie die der Schwester, denn die schöne Lona wollte glänzen. Tiefdunkle Augen träumten in dem schmalen bräunlichen Gesicht – Augen voll Glut und Leidenschaft. Dazu stand das helle Haar, das dick und lockig den Kopf umgab, in eigenartigem Kontrast. Hoch und schlank war die Gestalt, gerade und wundervoll gewachsen.

O ja, die stolze Lona war eigentlich die schönere der beiden Schwestern. Und doch gab es Menschen, die Maja mehr bewunderten, und die waren sogar in der Mehrzahl. Sie vermißten bei Lona das Taufrische, Unberührte, das Maja eigen war, denn von der schönen Lona ging etwas Schwüles, Herzbeklemmendes aus. So etwa wie ein sinnbetörender Duft, der sich schwer auf Herz und Hirn legte.

»Lona, nun mach doch endlich, daß du fertig wirst!« ermunterte die Mutter. »Der Vater wird jeden Augenblick kommen, und er wartet nicht gerne.«

»Ich kann doch nicht barfuß zum Fest gehen! – Befiehl Maja, daß sie mir ihre Strümpfe leiht!«

»Befehlen kann ich das nicht, Lona; wir können deine Schwester höchstens darum bitten.«

Ihr Blick suchte die jüngere Tochter, doch diese schüttelte ­energisch den Kopf.

»Nein, Mutti –«

»Aber, Majalein, du hilfst deiner Schwester aus sehr großer Verlegenheit.«

»Sie würde mir ihre auch nicht leihen.«

»Das kannst du gar nicht wissen, Maja!«

»Und wenn sie auch meine zerreißt?«

»Dann bekommst du neue Strümpfe.«

»Wer das glaubt!« entgegnete Maja spöttisch. »Als wenn für mich etwas übrigbliebe – zuerst kommt doch der Herzensliebling Lona.«

»Maja, nun fängst du auch noch an!«

Der vorwurfsvolleTon, in dem die Mutter sprach, machte Maja verlegen. Brummend ging sie zu dem großen Wäscheschrank und suchte nach den begehrten Strümpfen. Sie warf sie der Schwester zu, die sie geschickt auffing.

»Etwas höflicher könntest du auch sein«, meinte Lona ärgerlich. Doch Maja sah sie böse an.

»Kein Mensch ist höflich, wenn er etwas von seinen Sachen verleihen muß und es nicht gern tut«, erwiderte sie schroff.

»Daß ihr euch absolut nicht vertragen könnt!« seufzte die Mutter wieder. »Ich würde mich viel leichter in alles hineinfinden, wenn ihr mir das Leben nicht so schwer machen wolltet.«

»Ich wünschte, ich wäre fort von hier, ich kann das armselige Leben kaum noch ertragen«, stieß Lona zwischen den Zähnen hervor. »Ich verstehe gar nicht, warum ich so knapp gehalten werde. Meiner Ansicht nach verdient Vati viel Geld.«

Die Baronin wurde nervös. Sie war eine etwas korpulente, bequeme Frau, die nichts so sehr liebte wie ihre Ruhe. Der Streit, der immer zwischen ihren Töchtern herrschte, machte sie verdrießlich.

»Gewiß, dein Vater hat erhebliche Einnahmen«, erwiderte sie gereizt. »Doch vergiß bitte nicht, daß er viele Schulden abzuzahlen hat. Ich finde dich entsetzlich undankbar, Lona. Du bist immer unzufrieden.Glaube nur nicht, daß es deinem Vater so leicht fällt, das Geld zu verdienen. Er ist ein anderes Leben gewohnt. Und sein größer Kummer ist, daß seine Töchter immer noch nicht standesgemäß versorgt sind.«

»So soll er uns doch einen Mann beschaffen!«

Die Mutter wurde von Minute zu Minute nervöser.

Maja war empört.

»Nun hör aber endlich auf, Lona!« fuhr sie die Schwester an. »Du hast ja Freier gehabt, warum hast du sie abgewiesen? Aber ich weiß, die waren dir alle nicht gut genug. Verpasse den Anschluß nur nicht, du steuerst bedenklich auf die Dreißig zu.«

Das war etwas, was die schöne Lona am wenigsten hören wollte. »Mutti, verbiete doch dem dummen Ding derartige Frechheiten!« rief sie entrüstet. Doch die Mutter wehrte ab.

»Maja, sei du doch wenigstens vernünftig!« bat sie nervös.

»Wo ist eigentlich das Fräulein?« fragte Lona. »Die hat mir doch beim Ankleiden zu helfen.«

»Nötig hat sie es wirklich nicht, Lona«, stellte die Mutter die Sache richtig, »es ist nur ihr guter Wille, wenn sie es tut.«

Sie schwieg, denn sie sah, wie Lona sich aufrichtete und wie ihre dunklen Augen funkelten. Es würden wieder Vorwürfe kommen, daß sie ein Recht auf Bedienung hätte, anklagen würde sie, daß sie überhaupt lebte, wenn ihre Eltern ihr kein anderes Dasein bieten könnten – es würde wieder kein Ende nehmen.

»Bitte, Maja, ruf doch das Fräulein«, sagte die Mutter schnell, bevor noch Lona ihre Litanei begonnen hatte. Maja öffnete die Tür, rief hinaus: »Fräulein –!«

Eine Antwort kam aus dem Büro des Vaters.

»Fräulein, kommen Sie nach unserm Zimmer und bringen Sie den Tuschkasten mit!«

»Bist du verrückt geworden?« fuhr die Schwester sie an. »Die Person ist schon anmaßend genug und setzt sich viel zu sehr aufs hohe Pferd!«

»Soll ich noch daran erinnern, daß sie die Flasche mit dem Wasserstoffsuperoxyd nicht vergißt?« bemerkte Maja ungerührt. »Dein Haar ist bestimmt noch nicht grün genug.«

»Ach, Kinder, es ist nicht zum Aushalten mit euch«, schalt die Mutter, nun wirklich ärgerlich. »Ich werde überhaupt nicht mehr zu euch ins Zimmer kommen!«

Sie erhob sich und sah die jüngere Tochter mißbilligend an.

»Ich habe dich für vernünftiger gehalten, Maja.«

»Warum soll ich als Jüngere vernünftiger sein?« meinte sie gelassen.

Baronin Greiffling verließ das Zimmer, und gleich darauf trat das Fräulein ein. Die junge Dame wußte selbst nicht so recht, welches eigentlich ihre Hauptstellung in diesem Hause war. Sie war wohl in erster Linie die Privatsekretärin des Barons, außerdem aber noch Gesellschafterin und Zofe, je nach Bedarf. Sie und ein ältliches Mädchen, das Köchin und Stubenmädchen war, besorgten den Haushalt und bedienten die anspruchsvollen Damen. Den schwersten Stand hatte das Fräulein zweifellos bei der ältesten Tochter. Die hatte immer noch nicht gelernt, ohne Hilfe fertig zu werden. Sie hätte Fräulein Trus zu gern als Zofe betrachtet, wenn das nur angängig gewesen wäre. Doch der Baron litt das nicht. Denn zweifellos stammte die junge Dame aus vornehmem Hause; Aussehen und Benehmen ließen darauf schließen. Man war eigentlich nur davon unterrichtet, daß sie eine Mutter in der Stadt hatte, bei der sie auch übernachtete.

Fräulein Trus wurde nicht gerade mit besonderer Zuvorkommenheit, aber doch freundlich behandelt. Nur Lona konnte sie nicht leiden. Die junge Dame war nämlich von einer ungewöhnlichen Schönheit und hatte alles das, was die eitle Lona so heiß begehrte, vor allem wundervolles Blondhaar, das sich in natürlichen, dicken Wellen um das schöne Köpfchen legte – dieses Blondhaar, wie es Lona liebend gern selbst besessen hätte. Sie war auch blond, doch nicht von diesem satten, schimmernden, wunderbaren Blond. Sie griff zu allerlei Mittelchen, wollte die Natur dadurch zwingen, ihr das zu geben, was sie verlangte. Doch der Erfolg war nicht befriedigend. Ihr Haar wurde glanzlos und brüchig; Maja hatte recht, es hatte einen grünlichen Schimmer. – Und dann die Figur! Diese biegsame, unendlich graziöse, zarte Gestalt von Fräulein Trus war ihr Geschmack. Solche Mädchen sehen immer fabelhaft jung aus. Und Baronesse Lona haßte ihre achtundzwanzig Jahre und neidete dem Fräulein ihre dreiundzwanzig. Jedenfalls verschlechterte sich Lonas Laune, sobald sie nur das Fräulein sah, und sie begriff nicht, wie ihre Mutter eine solche Schönheit im Hause dulden konnte, wenn sie selbst zwei unverlobte Töchter hatte. Und es prickelte und reizte sie, dieses Mädchen, das den Eindruck eines Fürstenkindes machte, zu quälen und zu demütigen. Sonst war Lona eigentlich kein gehässiger Charakter, sondern verfügte sogar über eine gewisse Gutmütigkeit. Und wäre das Fräulein ein unscheinbares Menschenkind, vielleicht gar noch von einer bedauernswerten Häßlichkeit gewesen, nie hätte sie sich über die Baronesse zu beklagen gehabt. Lona hatte, obgleich das ja im Grunde recht töricht war, in Fräulein Trus’ Gegenwart immer das Gefühl, als drohe ihr von dieser Seite irgendein Unheil.

Auch heute sah sie das Fräulein gehässig an. Wie schön die Person wieder aussah, trotz des einfachen Kleidchens!

»Fräulein, die Frisur von heute früh hat aber gar nicht gehalten«, sagte sie unfreundlich. Fräulein Trus blieb sehr ruhig, griff zu der Bürste und gab sich Mühe, die wirren, struppigen Haare in glatte Wellen zu bringen.

»Au – passen Sie doch besser auf, Sie reißen mir ja die Haare aus!« fuhr Lona sie an. Fräulein Trus entschuldigte sich in ihrer gelassenen Weise, und Maja, die längst fertig war, empörte die Unfreundlichkeit der Schwester der überbürdeten Angestellten gegenüber.

»Fräulein Sigrid, lassen Sie sich das doch nicht gefallen!« entrüstete sie sich. »Mag sie doch sehen, wie sie allein fertig wird, wenn sie so gräßlich ist.«

Mit der größten Gemütsruhe ließ sie die schroffen Worte über sich ergehen, die die Schwester daraufhin für sie hatte. Diese wäre damit wohl so bald nicht zu Ende gekommen, wenn nicht die Eltern das Zimmer betreten hätten. Der Vater war schon im Gesellschaftsanzug.

»Du bist immer noch nicht fertig, Lona?« fragte er unwillig. Diese schwieg. Sie wußte aus Erfahrung, es war nicht ratsam, dem Vater zu widersprechen oder sich gar gegen seinen Willen aufzulehnen.

»Fräulein Trus verrichtet hier wieder einmal Zofendienste – hast du sie etwa dazu aufgefordert, Lona?«

Nun wurde sie trotzig.

»Wie soll ich denn allein fertig werden?«

»Genauso, wie deine Schwester fertig wird«, schnitt er ihr das Wort ab, ernst und bestimmt.

»Ich tue es gern, Herr Baron«, ließ sich die klare, weiche Stimme Fräulein Trus’ vernehmen.

»Du hast Lona verzogen«, wandte sich der Baron an die Gattin, »eine strengere Zucht wäre ihr dienlicher gewesen, und dir wäre viel Ärger erspart geblieben.«

»Aber Achim, ich bitte dich, Lona hat dieselbe Erziehung erhalten wie Maja«, verteidigte sich die Gattin.

»Na, lassen wir das«, winkte er ab. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß er mit seiner Frau niemals über diesen Punkt sprechen konnte, ohne eine große Szene heraufzubeschwören. »In zehn Minuten erwarte ich dich, Lona, ich habe keine Lust, das Mietauto warten zu lassen.«

Er verließ das Zimmer, und nun wurde in fliegender Hast Lonas Toilette beendet, bei der nicht nur Fräulein Trus, sondern auch die Baronin und Maja Hand anlegten.

Endlich war Lona fertig, und es war höchste Zeit, denn von der Straße her ließ der wartende Chauffeur bereits die Hupe ertönen.

»Liebes Fräulein, vielleicht schaffen Sie in dem Zimmer etwas Ordnung«, bat die Hausherrin noch schnell und eilte ihren Töchtern nach.

*

Weiche, einschmeichelnde Musik, Stimmengewirr und frohes Lachen drangen dem Baron und seiner Familie entgegen, als sie den Ballsaal betraten. Es waren dieselben Menschen, denen sie auf allen Festen begegneten. Und es würde heute so sein wie bei allen früheren Veranstaltungen. Man würde mit den Herren der Gesellschaft tanzen, die zum Teil schon verheiratet, vergeben oder langweilig waren. Für die Familie Greiffling boten die Feste der mittelgroßen Stadt schon lange keinen Reiz mehr.

Doch nein – heute gab es eine kleine Abwechslung. Kommerzienrat Kellter brachte zwei Herren mit, die er auch Greifflings vorstellte. Und sofort wich der gelangweilte Ausdruck aus Lonas Gesicht, und ihre dunklen Augen leuchteten auf.

Das waren ja Erscheinungen, die überall Aufsehen erregen mußten – und gar erst in dem langweiligen Städtchen! Hoch und schlank waren die beiden Gestalten, vornehm, rassig, mit der freien Bewegung des Weltmannes. Beim flüchtigen Hinsehen hätte man sie für Zwillinge halten können. Aber nein, der eine war doch anders. Er war größer, sein welliges Haar war blonder, der Kopf schmaler und rassiger, härter und markanter die Züge des Antlitzes, das die südliche Sonne gebräunt zu haben schien. Graugrün die Augen, scharf und durchdringend der Blick – aber voll Arroganz und Spott, wenn er unter halbgeschlossenen Lidern hervorkam.

»Herr Ferdi – Herr Albrecht«, stellte der Kommerzienrat vor, und Lona war verblüfft. Sie hätte darauf wetten mögen, daß es Herren der Hocharistokratie wären. Sie war bitter enttäuscht, denn ein Mann, der bürgerlich war, verlor für sie an Wert, kam überhaupt nicht in Frage. Sie schienen gar keinen Titel zu besitzen, sonst hätte der Kommerzienrat sicherlich einen solchen bei der Vorstellung genannt.

Forschend ruhten die graugrünen Augen auf ihr; scharfe, durchdringende Jägeraugen –

Merkwürdig, der Mann mußte ihre Gedanken erraten haben, denn in sein Gesicht trat ein Lächeln grausamsten Spottes.

»Liebe junge Freunde von mir«, hörte sie den Kommerzienrat sagen, »zwei unverbesserliche Weltenbummler, die die Ebbe ihres Geldbeutels in die Heimat zurücktrieb. Doch nun wollen sie seßhaft werden, werden beide von mir in meinem Werk angestellt, beide hervorragende Zeichner mit Anspruch auf besondere Behandlung«, setzte er augenzwinkernd hinzu.

Greifflings rückten an ihrem Tisch zusammen, und die Kommerzienrätin Kellter sowie die drei Herren nahmen Platz. Es war wohl Zufall, daß Herr Albrecht sich an Lonas Seite setzte, während Herr Ferdi seinen Platz an Majas Seite fand.

Diese beiden wurden auch recht bald gut Freund, während Lona ihrem Herrn gegenüber nicht den richtigen Ton finden konnte. Er allein sprach; Lona beschränkte sich darauf, dem Klang seiner vollen dunklen Stimme zu lauschen. Merkwürdig – diese Stimme war die eines Gebieters und nicht die eines titellosen Zeichners.

Er kam für die stolze Lona gar nicht in Frage, gewiß nicht. Doch ein kleines Abenteuer war nicht zu verachten, ein Spielzeug, das ihr die Langeweile des Alltags vertrieb.

»Heißen Sie wirklich nur Albrecht?« fragte sie ihn bei den ruhigen Schritten eines Tangos. »Haben Sie nicht jemand in der Familie, der aus unseren Kreisen stammt?«

Doch gleich bedauerte sie ihre Worte, denn der Blick, der unter halbgeschlossenen Lidern hervorbrach, wurde ihr unbehaglich. Und dann diese Stimme mit dem merkwürdigen Ton. –

»Nein, bedauere sehr, Baronesse. Es tut mir unendlich leid, daß ich in Ihren schönen Augen dadurch verliere, doch ich kann es wirklich nicht ändern.«

Eben schwieg die Musik, und er führte Lona an den Tisch zurück, an dem ihre Eltern saßen. Es lag etwas in seiner Haltung, das vorher nicht bemerkbar gewesen war, und das auf die Baronesse fast einschüchternd wirkte.

Nun kam auch Herr Ferdi mit Maja vom Tanz zurück. Er war tatsächlich viel liebendwürdiger und zugänglicher als Albrecht, das mußte Lona immer wieder feststellen – und doch – Albrecht gefiel ihr besser.

Ach, wäre er doch ein Aristokrat gewesen! –

Ihr flimmernder Blick suchte den interessanten Fremden, der sich eine Dame ihrer Bekanntschaft zum Tanze geholt hatte. Er schien sich angeregt mit ihr zu unterhalten, denn als das Paar vorübertanzte, hörte sie das lustige Lachen der Dame. Diese war ihr bisher sehr gleichgültig gewesen, doch nun haßte sie plötzlich das hübsche, frische Mädchen.

Und Maja?

O ja, die war klüger als sie. Ohne Skrupel und Zweifel. Die amüsierte sich wieder einmal köstlich, kostete jede Minute aus, die sie über den Alltag hinweghob. Sie tanzte ununterbrochen mit Ferdi, und ihre tiefblauen Augen strahlten ihn an. –

Und sie kehrte auch hochbefriedigt von dem Fest nach Hause zurück, während Lona unruhig und verstimmt war. Es ärgerte sie fürchterlich, daß Maja eine Tanzmelodie vor sich hinsummte.

»Gib doch Ruhe!« fuhr sie sie an. »Ich verstehe gar nicht, was dich in so rosige Stimmung versetzt hat. Es war wieder einmal sträflich langweilig auf dem Fest.«

Maja blieb beim schroffen Ton der Schwester sehr gelassen. Sie summte die Melodie unentwegt weiter, als Lona in immer schroffer werdendem Tone energisch Ruhe verlangte, da pfiff sie sogar. Sie beendete ihre Nachttoilette schnell und flüchtig und schlüpfte ins Bett. Von dort aus betrachtete sie die Schwester, die an ihren Kleidern zerrte und riß.

»Oh, diese armen Kleider! Die haben doch wirklich nichts verbrochen, daß du deine Wut an ihnen ausläßt. Die können doch bestimmt nichts dafür, daß dein galanter Ritter von heute abend ein einfacher Herr Albrecht – und kein Aristokrat ist, mit klingendem Namen, ellenlanger Ahnenreihe und dem nötigen Geldbeutel dazu.«

Zu ihrer Verwunderung fuhr Lona nicht auf. Im Gegenteil, es schien ein Thema zu sein, das ihr erwünscht war. Und sie lächelte sogar – ein vielsagendes Lächeln.

»Als Ehekandidat kommt er für mich selbstverständlich nicht in Frage. Ich bin nicht so geschmacklos wie du, daß ich mich mit einem Glück im Winkel begnügen würde.«

Das spöttische Lachen der Schwester ließ sie schweigen.

»Wenn du dich nur nicht irrst, meine anscheinend vom Größenwahn befallene Schwester! Der Mann sieht mir nicht danach aus, als wenn er mit sich spielen ließe.«

Eine wegwerfende Handbewegung der Schwester unterbrach sie.

»Nun, ich werde dir beweisen, daß der Mann sehr bald zu meinen Füßen liegt«, meinte sie so ruhig und sachlich, als handele es sich um die selbstverständlichste Sache von der Welt.

»Verrückt bist du ja und zu allem fähig, wenn es heißt, deiner blödsinnigen Eitelkeit zu schmeicheln«, sagte Maja immer empörter. »Doch tu, was du nicht lassen kannst; meine Sorge soll es nicht sein. Ich verstehe nur nicht, warum du dir gerade Albrecht dazu aussuchst, ich finde Ferdi entschieden zugänglicher und weniger schwierig zu behandeln.«

»Den überlasse ich dir«, entgegnete Lona mit einem Lächeln, das der anderen das Blut in die Wangen trieb. »Du hast jedenfalls die Aussicht, unter den vorher geschilderten Verhältnissen recht altmodisch glücklich zu werden.«

»Wie schlau du doch bist, schöne Lona! Vielleicht strengst du einmal dein bißchen Grips, von dem ja herzlich wenig vorhanden zu sein scheint, an, dann wirst du zu der Erkenntnis kommen, daß Kommerzienrat Kellter nur erstklassige Künstler in seiner Fabrik als Zeichner anstellt. Außerdem ist er dafür bekannt, daß er seine Angestellten höchst anständig besoldet – und diese Herren sind sogar noch Freunde von ihm, die in der Fabrik entschieden eine bevorzugte Stellung einnehmen werden. Und ich würde dir den guten Rat geben, dir den schönen und wahnsinnig interessanten Albrecht recht warm zu halten. Du bist acht­undzwanzig Jahre, mein Kind, wirst in Kürze gar neunundzwanzig – bist also bestimmt kein Backfisch mehr. Dazu arm, Schönheit so lá, lá, Charakter mies – ich wüßte nicht, zu welchen Ansprüchen du eigentlich noch berechtigt bist. Doch nun gute Nacht.«

Damit drehte sie das Gesicht zur Wand. Lona raste und tobte – bis es ihr selbst zuviel wurde und sie schließlich aufhörte.

*

Baron Greiffling saß seiner Gattin am Frühstückstisch gegen­über. Die Baronin hätte gern noch geschlafen, denn sie waren immerhin erst um fünf Uhr nach Hause gekommen. Doch der Gatte legte Wert auf ihre Gesellschaft beim Frühstück, und sie war gewohnt, seine Wünsche zu respektieren. Ihre Laune war alles andere als glänzend.

»Wo bleiben die Mädels?« fragte er.

»Die schlafen noch.«

»Na, ich meine, um zehn Uhr könnten sie ausgeschlafen haben. Mir gefällt das Drohnendasein, das sie führen, schon lange nicht.«

»Aber, mein Gott, Achim, was sollen die Kinder denn anfangen?«

»Sehr viel. Sie können ihre Talente weiterbilden. Wer weiß, ob sie nicht früher oder später einen Beruf ergreifen müssen. Ich werde nicht ewig leben.«

»Die Kinder werden heiraten«, sagte die Baronin zuversichtlich.

»Also auch du bist eine Mutter, die auf Schwiegersöhne lauert«, entgegnete er spöttisch. »In dieser Zeit heiraten nur die Mädchen, die eine vernünftige Erziehung erhalten haben, aber nicht solche Luxusgeschöpfe wie unsere Töchter. Die Männer haben ganz einfach nicht das Geld dazu, um sich derartige Frauen leisten zu können.«

»Was du nur immer an ihnen zu tadeln hast«, erregte sie sich immer mehr. »Lona ist ja anspruchsvoll und verwöhnt, ich gebe es zu. Doch was du an Maja auszusetzen hast, ist mir unverständlich.«

Der Gatte lächelte über den Eifer, mit dem sie ihre Kinder verteidigte.

»Nun ja, Maja ist ein ganz vernünftiges Mädel«, gab er zu. »Doch daß Lona nicht viel wert ist, das wirst du sicherlich nicht bezweifeln wollen.«