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Beschreibung

Der Sammelband »Lesen gefährdet die Dummheit. Gedanken zur Demokratie« enthält die wichtigsten grundlegenden Texte zur Demokratie. Mit klassischen Texten von Platon, Aristoteles, Cicero, Augustinus von Hippo, Thomas von Aquin, Marsilius von Padua, Machiavelli, Montesquieu, Rousseau, John Locke, Immanuel Kant, Alexis de Tocqueville, John Stuart Mill, Jean Louis de Lolme, Walt Whitman und vielen mehr. Anregende Lektüre und perfektes Geschenk für alle klugen Köpfe.

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Lesen gefährdet die Dummheit

Gedanken zur Toleranz

FISCHER E-Books

Herausgegeben von Robert Schlepütz

Inhalt

ToleranzAus der französischen EnzyklopädieBrief über die ToleranzDas politische TestamentBürgerliche ToleranzÜber die Toleranz.Über die FreiheitTexte über ToleranzZum »intellektuellen Gewissen«Jenseits von Gut und Böse Drittes Hauptstück. Das religiöse WesenParänesen und MaximenVon rassischer und religiöser ToleranzZitateQuellenverzeichnis

Mark Aurel

Toleranz

Mark Aurel (121–180) war ein römischer Kaiser und einer der bedeutendsten Herrscher Roms. Während seiner Herrschaftszeit von 161 bis 180 hatte Caesar Marcus Aurelius Antoninus Augustus zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen an den Grenzen seines Reichsgebietes zu bestehen. Weltruhm erlangte Mark Aurel besonders durch seine philosophischen Schriften. In seinem Werk »Selbstbetrachtung« verfasste Mark Aurel Aphorismen im Tagebuchstil, die ihn als bedeutenden Repräsentanten der stoischen Schule ausweisen. Er verwendete zwar den Begriff Toleranz nicht als Terminus, da dieser etymologisch betrachtet zu seiner Lebenszeit noch anders verwendet wurde, jedoch lassen sich in den folgenden Auszügen zahlreiche Toleranzgedanken lesen.

Den hier ausgesprochenen Lebensregeln möge noch eine beigefügt werden: Von jedem Gegenstand, welcher in den Kreis deiner Vorstellungen fällt, bilde dir einen genauen bestimmten Begriff, sodaß du denselben nach seiner wirklichen Beschaffenheit unverhüllt, ganz und nach allen seinen Bestandteilen anschaulich erkennen und ihn selbst sowohl, als auch die einzelnen Merkmale, aus denen er zusammengesetzt ist und in die er sich wieder zerlegen läßt, mit ihren eigentümlichen Namen zu bezeichnen vermögest. Denn nichts ist für die Weckung eines hohen Sinnes so förderlich als die Geschicklichkeit, jeden Gegenstand, der uns im Leben aufstößt, nach einer richtigen Methode zu untersuchen und ihn stets von der Seite ins Auge zu fassen, wo es uns zugleich einfällt, in welchem Zusammenhange er stehe, welchen Nutzen er gewähre, welchen Wert er für das Ganze, welchen für den einzelnen Menschen habe, als Bürger jenes höchsten Staates, zu dem sich die übrigen Staaten nur wie die einzelnen Häuser zur ganzen Ortschaft verhalten. Sprich bei dir selbst: Was ist denn das, was jetzt diese Vorstellung in mir erregt? Aus welchen Teilen ist es zusammengesetzt? Wie lange kann es seiner Natur nach bestehen? Welche Tugend muß ich ihm gegenüber geltend machen? Etwa Sanftmut? Mannhaftigkeit? Wahrheitsliebe? Hingebende Einfalt oder Selbstgenügsamkeit oder irgend eine andere Tugend? Daher muß man bei jedem einzelnen Ereignisse also sprechen: Dies kommt von Gott, jenes von der durchs Schicksal gefügten Verkettung der Umstände und auch von einem zufälligen Zusammenflusse von solchen, oder endlich, es rührt von einem Genossen unseres Stammes, Geschlechtes und Umganges her, der jedoch nicht weiß, was für ihn naturgemäß sei. Aber ich bin damit nicht unbekannt. Daher behandle ich ihn, wie es das natürliche Gesetz der Gemeinschaft verlangt, wohlwollend und gerecht, nehme jedoch auch in gleichgültigen Dingen auf ihn nach Maßgabe derselben Rücksicht.

 

 

Alles, was geschieht, geschieht mit Recht. Wenn du sorgfältig beobachtest, wirst du es so finden; ich sage nicht nur der natürlichen Ordnung, sondern vielmehr der Gerechtigkeit gemäß, und wie von einem Wesen ausgehend, das alles nach Würdigkeit verteilt. Fahre nun fort zu beobachten, wie du begonnen hast, und was du nur tust, das tue mit dem Bestreben, gut zu sein, gut in der eigentlichen Bedeutung des Worts! Das halte fest bei deiner gesamten Tätigkeit!

 

 

Nimm die Dinge nicht so, wie sie dein Beleidiger beurteilt oder von dir beurteilt haben will; sieh dieselben vielmehr so an, wie sie in Wahrheit sind!

 

 

Behalte die Kunst, welche du gelernt hast, lieb und suche in ihr deine Ruhe! Durchwandere den Rest deines Lebens als ein Mensch, der alle seine Angelegenheiten von ganzer Seele den Göttern überlassen hat und gegen keinen andern Menschen sich als Tyrann oder Sklave gebärdet!

 

 

Werde nicht verdrießlich; laß deinen Eifer und Mut nicht sinken, wenn es dir nicht vollständig gelingt, alles nach richtigen Grundsätzen auszuführen; fange vielmehr, wenn dir auch etwas mißlungen ist, von neuem an, und sei zufrieden, wenn die Mehrzahl deiner Handlungen der Menschennatur gemäß ist, und behalte das lieb, worauf du zurückkommst! Kehre daher auch zur Philosophie nicht als zu einer Zuchtmeisterin wieder, sondern wie die Augenkranken zum Schwamm oder zum Ei, oder ein anderer zum Pflaster oder zur Begießung! Denn alsdann wird dich nichts zwingen, der Vernunft zu gehorchen, vielmehr wirst du dich ihr vertrauensvoll anschließen. Bedenke doch nur, daß die Philosophie nur das verlange, was auch deine Natur verlangt. Du aber wolltest etwas anderes, etwas Naturwidriges? Denn was ist anziehender als jenes? Und täuscht uns nicht die Lust ebenfalls durch den Schein davon? Sieh doch einmal zu, ob nicht Hochherzigkeit, Geistesfreiheit, Einfalt, Billigkeit und Unsträflichkeit doch anziehender seien? Oder was ist anziehender als eben die Einsicht, wenn du darunter die Fertigkeit des Vermögens der Erkenntnis und des Wissens verstehst, in allem ohne Anstoß und glücklich seine Zwecke zu erreichen?

 

 

Zürnst du etwa dem, der nach Schweiß riecht, oder einem, dessen Atem widerlich ist? Was wird es dir helfen? Er hat nun einmal solch einen Mund und hat solche Armhöhlungen; es muß also solche Ausdünstung von derlei Gliedern ausgehen. »Aber der Mensch hat Vernunft«, sagt einer, »und kann also bei einiger Aufmerksamkeit wohl einsehen, worin er sich vergehe.« Ganz richtig. Mithin hast auch du Vernunft; erwecke also durch deine vernunftmäßige Stimmung die gleiche Stimmung bei dem andern! Belehre! Ermahne! Denn wofern er darauf hört, wirst du ihn heilen und brauchst dann nicht zu zürnen, noch zu jammern oder hoffärtig zu sein.

 

 

Laß dich nicht so ganz von deinen Einbildungen hinreißen, sondern komm anderen nach Vermögen und Verdienst zur Hilfe. Sollten sie auch in Mitteldingen geschmälert werden, so stelle dir darunter doch nicht sogleich einen Nachteil vor; denn das ist eine schlimme Angewöhnung; sondern wie jener Greis, der seinem Zöglinge einen Kreisel abforderte und dann weiter ging, wohl wissend, daß es nur ein Kreisel sei, so verfahre du auch hier! Wenn du aber vor dem Volke auf der Rednerbühne sprichst, Mensch, vergißt du, was es damit auf sich habe? »Ja, aber darauf verwendet man eben doch so vielen Fleiß.« Mußt du also deshalb auch so ein Tor werden? Sprich vielmehr: »Ich war, wo auch immer verlassen, doch einmal ein glücklicher Mensch!« Glücklich aber ist, wer sich selbst ein glückliches Los bereitet hat. Das glückliche Los aber besteht in guter Gemütsstimmung, in guten Meinungen und guten Handlungen.

 

 

Auf den Turnplätzen ritzt uns einmal jemand mit dem Nagel, bringt uns auch wohl durch einen Stoß am Kopf eine Beule bei; aber wir äußern deshalb kein Mißfallen, werden auch nicht ärgerlich, noch für die Zukunft argwöhnisch gegen ihn, als trachte er uns nach dem Leben. Doch nehmen wir uns vor ihm in acht, aber nicht als vor einem Feinde oder einem verdächtigen Menschen, sondern wir gehen ihm nur gelassen aus dem Wege. Ebenso benimm dich denn auch in den übrigen Verhältnissen deines Lebens und laß uns über vieles bei denen hinwegsehen, welche sozusagen mit uns turnen; denn, wie gesagt, es steht dir frei, ohne Argwohn und Groll auszuweichen.

 

 

Eitle Prachtliebe, Bühnenspiele, Herden von Klein- und Großvieh, ein Lanzenrennen, ein Knochen unter junge Hunde, ein Bissen in einen Fischbehälter geworfen, die mühsame Lastträgerei von Ameisen, das Hin- und Herlaufen erschrockener Fliegen, bewegliche Gliederpuppen haben im Grunde einerlei Wert. Mitten in diesem Getreibe nun muß man freundlich und leidenschaftslos dastehen und erkennen, daß jeder Mensch denselben Wert habe wie die Gegenstände seiner Bemühungen.

Denis Diderot und Jean-Edme Romilly

Aus der französischen Enzyklopädie

Der bedeutende französische Schriftsteller und Universalgelehrte Denis Diderot (1713–1784) übernahm gemeinsam mit Jean-Baptiste le Rond d’Alembert die Herausgabe einer monumentalen französischen Enzyklopädie und verfasste selbst zahlreiche Artikel. Er setzte die Arbeit alleine fort, nachdem d’Alembert seine Mitarbeit aufgrund des Widerstands von kirchlicher und staatlicher Seite einstellte. Diderots Ziel war es, erstmals die Summe des europäischen Wissens zu sammeln und zu veröffentlichen. Ein weiteres Anliegen war für ihn, die Programmatik der Aufklärung zu entwickeln und zu verbreiten; dabei unterstützten ihn die größten Denker ihrer Zeit wie bspw. Voltaire, Rousseau oder Jaucourt.

Im Folgenden ist zunächst der Artikel »Tolérance« des Genfer Pfarrers Jean-Edme Romilly (1739–1779) wiedergegeben. Er unterstreicht in diesem zentralen Artikel die Bedeutung der religiösen Toleranz für das menschliche Zusammenleben in einer staatlichen Gemeinschaft. Romilly bezieht den Atheismus nicht in die Duldsamkeit gegenüber Andersdenkenden ein. Aus diesem Grund liegt es nahe, die abschließenden Zeilen des Artikels mit dem Verweis auf Bayles »Traktat von der allgemeinen Toleranz« als redaktionellen Zusatz von Diderot zu lesen, der damit die Auffassung Romillys konterkariert – denn Bayle spricht sich in seinem Traktat für die Toleranz gegenüber Atheisten aus. Diderot greift diesen Gedanken in seinem Artikel »Intolérance« auf, der hier im Anschluss an Romillys Text folgt.

ToléranceToleranz

(Enzyklopädische Ordnung: Theologie, Moral, Politik)

Die Toleranz ist im allgemeinen die Tugend jedes schwachen Wesens, das dazu bestimmt ist, mit Wesen zusammen zu leben, die ihm gleichen. Dem Menschen, der durch seine Intelligenz so erhaben ist, sind zugleich durch seine Irrtümer und seine Leidenschaften so enge Grenzen gesetzt, daß man ihm den anderen gegenüber nicht genug von jener Toleranz und jener Hilfe einflößen kann, deren er selbst so sehr bedarf und ohne die man auf der Erde nur Unruhen und Streitigkeiten sehen würde. In der Tat hat man diese sanfteren versöhnlichen Tugenden aber geächtet, gereichten zahlreiche Jahrhunderte den Menschen mehr oder weniger zur Schande und zum Unglück; und hoffen wir nicht, daß wir ohne sie unter uns Ruhe und Wohlstand jemals wiederherstellen können!

Man kann zweifellos mehrere Quellen unserer Zwietracht feststellen. Wir sind in dieser Hinsicht leider nur zu fruchtbar. Da sich aber vor allem in Fragen der Gesinnung und der Religion die verheerenden Vorurteile besonders zwingend und scheinbar mit mehr Recht durchsetzen, ist dieser Artikel auch dazu bestimmt, sie zu bekämpfen. Wir begründen zunächst auf den evidentesten Prinzipien die Richtigkeit und Notwendigkeit der Toleranz und entwerfen dann auf Grund dieser Prinzipien die Pflichten der Fürsten und Herrscher. Wie traurig ist freilich die Aufgabe, den Menschen Wahrheiten beweisen zu müssen, die so klar und bedeutsam sind, daß man seine Natur abgelegt haben muß, um sie nicht zu erkennen! Wenn es aber sogar in unserem Jahrhundert noch Menschen gibt, die ihre Augen der Evidenz und ihr Herz der Menschlichkeit verschließen, wie könnten wir dann in unserem Werk darüber feiges und sträfliches Stillschweigen bewahren? Nein. Wie immer es auch um den Erfolg bestellt sein mag, wagen wir zumindest, die Rechte der Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu fordern, und versuchen wir noch einmal, dem Fanatiker seinen Dolch zu entreißen und dem Abergläubischen seine Augenbinde abzunehmen. […]

Ziehen wir also den folgenden Schluß: Wenn überall Intoleranz herrschte, so würde sie alle Menschen gegeneinander bewaffnen und auf Grund der verschiedenen Anschauungen immer wieder Kriege heraufbeschwören; denn selbst wenn man annähme, daß die Ungläubigen nicht Verfolger aus religiösen Prinzipien wären, so wären sie es doch zumindest aus politischen und eigennützigen Gründen. Da die Christen diejenigen, die ihre Vorstellungen nicht annehmen, nicht dulden können, so würde man sehen, wie sich mit Recht alle Völker gegen sie verbündeten und den Untergang dieser Feinde des Menschengeschlechts beschlössen, die unter dem Schleier der Religion nichts Unrechtmäßiges darin erblicken würden, es zu peinigen und zu unterjochen. In der Tat stelle ich die Frage: Was hätten wir einem Fürsten in Asien oder in der Neuen Welt vorzuwerfen, wenn er den ersten Missionar, den wir zu ihm schickten, um ihn zu bekehren, aufhängen ließe? Besteht die höchste Pflicht des Herrschers nicht darin, Frieden und Ruhe in seinen Staaten zu sichern und aus ihnen jene gefährlichen Menschen wohlweislich zu verbannen, die zuerst ihre Schwäche unter scheinheiliger Sanftmut verbergen, dann aber, sobald sie die Macht dazu haben, barbarische und aufrührerische Lehren zu verbreiten suchen? Mögen die Christen es also sich selbst zuschreiben, wenn die anderen Völker, denen ihre Lehren bekannt sind, sie nicht dulden wollen, wenn sie in ihnen nur die Mörder Amerikas oder die Ruhestörer Indiens sehen und wenn ihre heilige Religion, die sich auf der Erde verbreiten und Früchte tragen soll, wegen ihrer Ausschreitungen und ihres Wütens mit Recht von ihnen verworfen wird.

Übrigens erscheint es uns unnütz, den Intoleranten die Prinzipien des Evangeliums entgegenzuhalten, das nur die Prinzipien der natürlichen Billigkeit verbreitet und entwickelt, ihnen die Lehren und das Vorbild ihres erhabenen Meisters, der immer nur Milde und Nächstenliebe verkündete, ins Gedächtnis zurückzurufen und ihnen das Verhalten jener ersten Christen vor Augen zu führen, die nur den Segen zu erteilen und für ihre Verfolger zu beten verstanden. […] Man sieht wohl ein, daß wir in einem Artikel eine so reichhaltige Materie nur flüchtig behandeln können: So haben wir jetzt, nachdem wir die Prinzipien, die uns am allgemeinsten und am einleuchtendsten erschienen, ins Gedächtnis zurückgerufen haben, nur noch die Aufgabe zu erfüllen, die Pflichten der Herrscher gegenüber den religiösen Sekten, welche die Gesellschaft spalten, kurz zu umreißen. […]

Allgemeine Regel: Achtet unverbrüchlich die Rechte des Gewissens in allem, was die Gesellschaft nicht beunruhigt. Spekulative Irrtümer sind für den Staat belanglos; Verschiedenheit in den Anschauungen wird immer unter Wesen herrschen, die so unvollkommen sind wie der Mensch; die Wahrheit bringt Ketzereien hervor wie die Sonne Schlacken und Flecken. Verschlimmert also nicht ein unvermeidliches Übel, indem ihr es mit Feuer und Schwert auszurotten sucht; bestraft Verbrechen, aber habt Mitleid mit dem Irrtum und verleiht der Wahrheit niemals andere Waffen als Sanftmut, Vorbildlichkeit und Überzeugungskraft. In Dingen der Änderung des Glaubens wirken Ermunterungen stärker als Strafen; letztere haben immer nur zerstörerisch gewirkt.

Diesen Prinzipien wird man die Nachteile, die sich aus der Vielzahl der Religionen ergeben, und die Vorteile der Einheitlichkeit des Glaubens in einem Staate entgegensetzen. Wir antworten darauf zunächst mit dem Verfasser des Geistes der Gesetze: »Diese Ideen von der Einheitlichkeit machen unfehlbar auf die gewöhnlichen Menschen tiefen Eindruck, weil sie darin eine Art Vollkommenheit finden, die darin nicht zu entdecken unmöglich ist: gleiche Gewichte in der öffentlichen Ordnung, gleiche Maße im Handel, gleiche Gesetze im Staate, gleiche Religion in allen seinen Teilen. Aber ist das immer und ausnahmslos angebracht? Ist das Übel, etwas zu ändern, immer weniger groß als das Übel, etwas zu ertragen? Und würde die Größe des Genies nicht vielmehr darin bestehen, zu erkennen, in welchen Fällen die Einheitlichkeit und in welchen Fällen die Verschiedenheit angebracht ist?«[1] Warum soll man denn Anspruch auf eine Vollkommenheit erheben, die mit unserer Natur unvereinbar ist? Es wird unter den Menschen immer verschiedene Meinungen geben; die Geschichte des menschlichen Geistes ist dafür ein kontinuierlicher Beweis, und das trügerischste Vorhaben wäre, die Menschen zur Einheitlichkeit in ihren Anschauungen bringen zu wollen. Dennoch, sagt ihr, erfordere das politische Interesse, daß man diese Einheitlichkeit schafft, daß man mit Bedacht jede Meinung verbannt, die zu den im Staate anerkannten Meinungen im Widerspruch steht; das heißt, man muß den Menschen darauf beschränken, nur noch ein Automat zu sein, nur Meinungen zu lehren, die in seinem Geburtsort gelten, ohne jemals zu wagen, sie zu prüfen und auszuloten, und die barbarischsten Vorurteile, etwa solche, wie wir sie bekämpfen, untertänig zu achten. Aber wie viele Übel und welche Zwietracht hat die Vielzahl der Religionen in einem Staate zur Folge! Euer Einwand verwandelt sich in einen Beweis gegen euch, da die Intoleranz selbst ja die Quelle dieser Übel ist; denn wenn die verschiedenen Parteien einander duldeten und nur in der Vorbildlichkeit, der Schicklichkeit der Sitten, der Liebe zu den Gesetzen und zum Vaterland miteinander zu wetteifern suchten, wenn das der einzige Beweis wäre, den jede Sekte zugunsten ihres Glaubens vorbrächte, so würden im Staate trotz der Verschiedenheit der Anschauungen bald Eintracht und Friede herrschen, so wie in der Musik Dissonanzen den Zusammenklang des Ganzen nicht beeinträchtigen.

Man beharrt indes auf seinem Standpunkt und behauptet, der Wechsel der Religion habe oft Umwälzungen in der Regierung und im Staate zur Folge. Darauf antworte ich wieder, daß das, was an dieser Bezichtigung so abscheulich ist, allein zu Lasten der Intoleranz geht; denn wenn die Neuerer geduldet oder nur mit den Waffen des Evangeliums bekämpft würden, so würde der Staat nicht unter dieser geistigen Gärung leiden. Aber die Verteidiger der herrschenden Religion erheben sich wütend gegen die Sektierer, bringen die Inhaber der Gewalt gegen sie auf, veranlassen sie zu blutigen Erlassen, säen in allen Herzen Zwietracht und Fanatismus und legen dreist ihren Opfern die Unruhe zur Last, die allein sie gestiftet haben.

Was die betrifft, die unter dem Vorwand der Religion nur versuchen, die Ruhe der Gesellschaft zu stören, Aufruhr zu schüren und das Joch der Gesetze abzuschütteln, so unterdrückt sie mit Strenge, wir sind nicht ihre Apologeten; aber verwechselt mit diesen Schuldigen nicht diejenigen, die nur Gedankenfreiheit verlangen sowie die Freiheit, sich zu dem Glauben zu bekennen, den sie für den besten halten, und die im übrigen als treue Untertanen des Staates leben!

Aber, werdet ihr wieder einwenden, der Fürst sei doch der Verteidiger des Glaubens; er müsse ihn in seiner ganzen Reinheit erhalten und sich mit Entschiedenheit all denen widersetzen, die ihm Abbruch tun; wenn Vernunftgründe und Ermahnungen nicht fruchteten, so trüge er nicht umsonst das Schwert, sondern vielmehr deshalb, um den, der unrecht tut, zu strafen und die Aufrührer zu zwingen, in den Schoß der Kirche zurückzukehren. Was willst du denn, du Barbar? Deinen Bruder umbringen, um ihn zu retten? Aber hat Gott dich mit dieser schrecklichen Aufgabe betraut? Hat er in deine Hände die Sorge für seine Rache gelegt? Woher weißt du, daß er geehrt sein will wie die Teufel? Geh, Unglücklicher, dieser Friedensgott mißbilligt deine gräßlichen Opfer; sie sind nur deiner würdig!

Wir unternehmen es nicht, hier die genauen Grenzen der Toleranz festzulegen, die barmherzige Duldung, wie sie Vernunft und Menschlichkeit zugunsten der Irrgläubigen verlangen, von jener verwerflichen Gleichgültigkeit zu unterscheiden, die uns alle Anschauungen der Menschen unter demselben Aspekt sehen läßt. Wir predigen indes die praktische Toleranz, nicht aber die spekulative; und man begreift wohl, welcher Unterschied zwischen der Duldung einer Religion und ihrer Billigung besteht. Wir verweisen die wißbegierigen Leser, die diesen Gegenstand tiefer erforschen wollen, auf den philosophischen Kommentar Bayles, in dem dieses großartige Genie sich nach unserer Ansicht selbst übertroffen hat.  JEAN-EDME ROMILLY

Der Genfer Pfarrer Jean-Edme Romilly (1739–1779) unterstreicht wie andere Enzyklopädisten in diesem zentralen Artikel die Bedeutung der religiösen Toleranz für das menschliche Zusammenleben in einer staatlichen Gemeinschaft. Wenn er die Intoleranz für inneren Unfrieden und kriegerische Auseinandersetzungen verantwortlich macht, so gewinnt die Toleranzforderung über die leidvollen historischen Erfahrungen der Religionskriege und Hugenottenvertreibungen hinaus an aktueller Brisanz angesichts der gerade um die Mitte der 60er Jahre wieder aufgeflammten Verfolgungen Andersdenkender in Affären um Calas (1762), Sirven (1764) und La Barre (1765), für die sich Voltaire in regelrechten Meinungskampagnen engagierte.

Im Gegensatz zu Deleyre, Diderot und d’Holbach schließt der Protestant Romilly den Atheismus in die Duldsamkeit gegenüber Andersdenkenden nicht ein. Es liegt daher nahe, die letzten Zeilen des Artikels mit ihrem Verweis auf Bayles Commentaire philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ: Contrains – les d’entrer (1686, Traktat von der allgemeinen Toleranz) als redaktionellen Zusatz Diderots zu verstehen, der damit diese Auffassung konterkariert: Denn Bayle verficht gerade auch in diesem Traktat die Toleranz gegenüber Atheisten – wie Diderot in seinem Artikel Intolérance.

IntoléranceIntoleranz

(Moral)

Unter dem Wort Intoleranz versteht man im allgemeinen jene blutrünstige Leidenschaft, die dazu führt, alle im Irrtum befangenen Menschen zu hassen und zu verfolgen. Aber um zwei grundverschiedene Dinge nicht zu verwechseln, müssen wir zwei Arten der Intoleranz unterscheiden: die kirchliche und die staatliche.

Die kirchliche Intoleranz besteht darin, jede andere Religion als die, zu der man sich bekennt, für unwahr zu halten und dies überall auszuposaunen, ohne sich von irgendeiner Befürchtung, irgendeiner menschlichen Rücksicht zurückhalten zu lassen, sogar auf die Gefahr hin, das Leben zu verlieren. Es handelt sich aber in unserem Artikel nicht um diesen Heldenmut, der zu allen Zeiten der Kirche so viele Märtyrer hervorgebracht hat.

Die staatliche Intoleranz besteht darin, jeden Umgang mit denen abzubrechen, die über Gott und dessen Verehrung anders denken als wir, und sie mit allen möglichen Gewaltmitteln zu verfolgen. […]

Es ist gottlos, dem Gewissen, dem allgemeinen Maßstab für unsere Handlungen, Gesetze auferlegen zu wollen. Man muß es aufklären, darf es aber nicht unterdrücken.

Die Menschen, die sich guten Glaubens irren, sind zu beklagen, niemals aber zu bestrafen.

Man darf weder die Aufrichtigen noch die Unaufrichtigen verfolgen, sondern muß das Urteil über sie Gott überlassen.

Wenn man das Band zu dem zerreißt, den man gottlos nennt, so wird man auch das Band zu dem zerreißen, den man habgierig, schamlos, ehrgeizig, jähzornig, lasterhaft nennt. Man wird auch den anderen zu diesem Bruch raten, und so werden drei oder vier Intolerante ausreichen, um die ganze Gesellschaft zu zerreißen.

Wenn man dem, der anders denkt als wir, ein Haar krümmen darf, so wird man auch über seinen Kopf verfügen, weil es keine Grenzen für die Ungerechtigkeit gibt. Das Interesse, der Fanatismus, der Augenblick oder die Umstände werden über das Mehr oder Weniger an Unrecht entscheiden, das man sich erlaubt.

Wenn ein ungläubiger Fürst die Missionare einer intoleranten Religion fragte, wie sie mit denen verfährt, die nicht an sie glauben, so müßten sie Abscheulichkeiten eingestehen oder lügen oder ein beschämendes Stillschweigen wahren. […]

Welches ist die Stimme der Menschlichkeit? Ist es die des Verfolgers, der zuschlägt, oder die des Verfolgten, der sich beklagt?

Wenn ein ungläubiger Fürst einen unbestreitbaren Anspruch auf den Gehorsam seines Untertanen hat, so hat ein ungläubiger Untertan einen unbestreitbaren Anspruch auf den Schutz seines Fürsten. Das ist eine gegenseitige Verpflichtung.

Wenn der Fürst sagt, der ungläubige Untertan sei des Lebens nicht wert, ist dann nicht zu befürchten, daß der Untertan sagt, der ungläubige Fürst sei es nicht wert zu regieren? Ihr Intoleranten, ihr Blutdürstigen, seht doch die Folgen eurer Prinzipien und erzittert! Ihr Menschen, die ich liebe, ich habe für euch, was immer eure Gesinnung sei, diese Gedanken gesammelt und beschwöre euch, darüber nachzudenken. Denkt ihr darüber nach, so werdet ihr ein so schreckliches System verwerfen, das weder mit der Aufrichtigkeit des Geistes noch mit der Güte des Herzens im Einklang steht.

Wirkt auf euer Heil hin! Betet für das meinige und glaubt, daß alles andere, was ihr euch herausnehmt, in den Augen Gottes und der Menschen eine abscheuliche Ungerechtigkeit ist!  DIDEROT

John Locke

Brief über die Toleranz

John Locke (1632–1704) war ein englischer Philosoph, Psychologe und Pädagoge. Er war der Begründer des Empirismus und ein bedeutender Vorreiter der Aufklärungsphilosophie. Zu seinem hauptsächlichen Untersuchungsthema gehörten u.a. die Gründe und Grade von Glauben und Meinung. Seine politische Philosophie beeinflusste maßgeblich die Verfassung der Vereinigten Staaten und die Verfassung des revolutionären Frankreichs. John Locke stellt in seinem »Brief über die Toleranz« (1685/1686) den Staat als eine Institution dar, deren ausschließliche Aufgabe im Schutz von Leben, Besitz und Freiheiten seiner Bürger besteht. Die Handlungen der Bürger – insbesondere in Glaubensfragen – sind für ihn schutzwürdig, soweit sie dieser Aufgabe nicht widersprechen. Die Toleranzforderung gegenüber dem Staat ist nach Locke demnach auf ein Freiheitsrecht gegründet. Den Religionen billigt er das Recht zu, sich durch Praxis zu bewähren, ohne Verfolgung befürchten zu müssen, sofern sie nicht den Staat gefährden.

Mein Herr!

 

Auf die von demselben mir vorgelegte Frage, was von der Toleranz oder Erduldung und Vertragung der Christen untereinander zu halten sei, antwortete ich kürzlich, dass mir selbige das vornehmste Kennzeichen der wahren Kirche zu sein scheine. Denn was auch andere immer rühmen mögen von Autorität und Ansehen des Altertums, Namens und Ortes oder von der Zierde und Vortrefflichkeit ihres Gottesdienstes, andere von Reformation und Verbesserung der Kirchenzucht und Ordnung – alle insgesamt aber von dem orthodoxen Glauben, das ist von den rechten und wahren Meinungen (denn ein jeder ist sich selber orthodox und rechtgläubig) – alles dieses und dergleichen mag vielmehr ein Kennzeichen einiger um den Vorzug und die Oberherrschaft streitenden Menschen als der Kirche Christi sein. Weil, wenngleich einer alle dergleichen Dinge wahrhaftig besitzt, dabei aber ohne Liebe ist, ohne Sanftmut, ohne Milde und ohne Gutherzigkeit gegen alle Menschen insgesamt, geschweige solche, die doch den christlichen Glauben eben auch bekennen, so ist er gewiss noch nicht einmal ein Christ. Die weltlichen Könige herrschen usw. ihr aber nicht also, sagt der Heiland, dessen Königreich nicht von dieser Welt ist, zu den Seinigen Lk 22. Hat es also mit der wahren Religion und Kirche eine ganz andere Art und Beschaffenheit, welche nicht zu einem äußerlichen Pomp und Pracht, nicht zu einer kirchlichen Herrschaft und Regierung, endlich gar nicht zur Gewalt leitet und führt, sondern bloß sein Leben recht und gottselig anzustellen und zu führen. Wer ein Streiter Jesu Christi in seiner Kirche sein will, muss zuallererst den Hochmut und die Wollust seiner eigenen Laster bekämpfen. Anders wird er ohne Heiligkeit des Lebens, Ehrbarkeit der Sitten, Güte und Milde des Gemüts, sich des christlichen Namens vergeblich anmaßen. Wenn du erst bekehrt bist, so stärke und bekehre nachher deine Brüder, sagt dort Christus zu Petrus Lk 22. Denn schwerlich wird derjenige, der seine eigene Seligkeit nicht mit Ernst und Eifer wahrnimmt, einen anderen bereden, dass er sich dessen Heil sorgfältigst angelegen sein lasse. Niemand kann mit Wahrheit und aus redlicher Absicht seine Mühe und Kräfte dahin anwenden, andere zu Christen zu machen, der die Religion Christi selbst noch nicht mit seinem Herzen und Gemüt wahrhaftig angenommen noch mit seinem Leben, seinen Werken und seinem Wandel profitiert und bekennt. Da, so wir dem Evangelium und den Aposteln glauben, ohne die Liebe, ohne den Glauben, der durch die Liebe, nicht aber durch Zwang und Gewalt tätig und wirkend ist, niemand ein Christ sein kann. Ob nun diejenigen, die unter Vorwand der Religion andere plagen, peinigen, berauben, verjagen, würgen usw. solches aus einem freundlichen liebreichen Herzen tun? Will ich sie hiermit auf ihr Gewissen gefragt haben, will es auch alsdenn glauben, wenn ich solche Eiferer auf gleiche Art und Manier ihre Freunden und Verwandten, die offenbar wider die Regeln des Evangeliums handeln, werde bestrafen und bessern sehen, und wenn ich wahrnehme, dass sie ihre Religionsgenossen und Anhänger, die in allen Lastern und fleischlichen Wesen stecken, hinfolglich ohne Änderung und Besserung auch ganz gewiss verloren gehen, ebenfalls mit Feuer und Schwert zurechtzubringen suchen, und also auch diesen die Liebe und Begierde zu ihrer Seligkeit mit allerlei Arten der Grausamkeit und Marter beweisen werden. Denn so sie, ihrem Vorgeben nach, aus Liebe und Eifer für der Seelen Wohlfahrt und Erhaltung die zeitliche Glückseligkeit und Güter einem rauben, den Körper mit Gefängnis, Pein und Qual martern, ja gar das Leben nehmen, um gläubig und selig zu machen, warum können sie dann Hurerei, Geiz, Betrug, Schalkheit und andere offenbar heidnischen Laster nach dem Zeugnis des Apostels Röm 2 unter den Ihrigen, ohne dergleichen Strenge und Schärfe zu gebrauchen, allgemein verbreitet sein gehen lassen? Da doch solche und dergleichen Dinge der Ehre Gottes, der Reinigkeit der Kirche und dem ewigen Heil der Seelen mehr schädlich und zuwider sind, als ein Irrtum des Gewissens den kirchlichen Schlüssen und Satzungen zuwiderläuft oder ein Fehler und Mangel im äußeren Gottesdienst, bei welchem sich jedoch eine Unschuld des Lebens und Wandels findet. Warum ist dieser für Gott, für die Kirche, für das Heil der Seelen bis zur lebendigen Verbrennung entbrannte Eifer in Bestrafung und Verbesserung solcher Sünden und Laster, die, wie alle einstimmen, der Prozession und dem Bekenntnis des Christentums gerade entgegen sind, so kalt und erfroren? Und lässt seine Hitze und Kräfte nur daran aus, eine andere subtile Opinion oder Meinung, davon der gemeine Mann nichts versteht, zu widerlegen oder festzusetzen und diese oder jene Zeremonie aufzudringen? Welche unter den beiden widrigen und über solchen Dingen streitenden Parteien richtig liegt und recht habe, welche einer Spaltung oder Ketzerei zu beschuldigen sei, ob die obenliegende oder unterliegende Partei? Das muss alsdenn erst klar werden, wenn die Bewegursache der Absonderung untersucht wird. Denn wer Christus nachfolgt, seine Lehre an- und sein Joch auf sich nimmt, derselbige ist kein Ketzer, obgleich er Vater und Mutter, väterliche Weisen und Satzungen, öffentliche Versammlungen und Haufen dieser oder jener Menschen verlässt.

 

Sind Sekten und Trennungen dem Heil der Seelen so schädlich, so sind Ehebruch, Hurerei, Unreinheit, Geiz, Bilderabgötterei und dergleichen nicht minder Werke des Fleisches, von welchen der Apostel Paulus ausdrücklich schreibt, dass die solche Dinge tun, das Reich Gottes nicht ererben werden Gal 5. Wären also diese mit nicht geringerem Fleiß, Schärfe und Eifer zu tilgen und auszurotten als die Ketzereien und Sekten, wo einer um das Reich Gottes ernstlich und wahrhaftig bekümmert sein wollte, und es als seinen Beruf erachtete, sich dessen Ausbreitung und Beförderung zu widmen. Handelt er aber anders, und bezeigt sich gegen die Andersglaubende hart und feindselig, schont hingegen und verfährt mild mit den Gottlosen, Sündern und Lasterhaften seiner Partei, die doch des christlichen Namens allerdings unwürdig sind, so zeigt er damit öffentlich an, dass er, obwohl er ein großes Geschrei und Wesens von der Kirche macht, ein anderes als Gottes Reich suche.

 

Wäre jemand, der eines anderen Seelenheil so eifrig suchte und wünschte, dass er ihn auch durch allerhand Marter noch unbekehrt in die andere Welt zu schicken gedächte, so werde ich, und andere mit mir, mich höchlich darüber verwundern müssen, weil niemand irgendwo wird glauben können, dass ein solches aus Liebe, Erbarmung und gutgeneigten Herzen herrühre. Gewiss so die Menschen mit Feuer und Schwert, Gefängnis und Strafen zu Annehmung gewisser Lehren zu bringen und zu einem äußerlichen Gottesdienst zu zwingen sind. Da indessen von deren Leben und Sitten weiter keine Frage ist: So einer die Ketzer und Irrgläubigen also zum Glauben bekehrt, dass er sie zwingt dasjenige zu bekennen, was sie doch im Herzen nicht glauben noch für wahr halten, im Übrigen aber ihnen gestattet solche Dinge zu tun, die das Evangelium keinem Christen und ein wahrer Gläubiger sich selbst nicht erlaubt. Von dem ist es wohl gewiss, dass er einen großen Anhang und gleiches mit ihm bekennenden Haufen suche, dass er aber damit Christus eine Gemeinde und Kirche zu sammeln gedächte, wer wird das glauben können? Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass solche sich keiner christlichen Waffen bedienen, da sie, was sie auch vorgeben, nicht für die wahre Religion und Kirche Christi streiten. Wären sie, wie der Herzog unseres Heils, in Wahrheit nach der Seelenerhaltung begierig, so würden sie in seine Fußstapfen treten und seinem besten Beispiel nachahmen, er als ein Friedensfürst, seine Diener und Trabanten nicht mit Büchsen und Degen noch mit jeglicher menschlichen Gewalt bewaffnet, sondern sie mit dem Evangelium, mit der Botschaft des Friedens, mit heiligem Leben und Beispiel ausgerüstet und gesandt, die Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu bringen und in die Kirche zu versammeln. Da er doch ganze Legionen himmlischer Heerscharen zu seinem Dienst noch besser hätte brauchen können als jetzt irgendein weltlicher Machthaber seine Scharen und Truppen (der Leibes- und Seelenmörder, gottloser Soldaten und Pfaffen), wenn die Ungläubigen mit Waffen zu bekehren, die Blinden durch Soldaten von dem Irrweg zurückzurufen und die Widerspenstigen durch Gewalt zu beugen wären. Die Toleranz und Erduldung derjenigen, so in Religionsmeinungen und Übungen von uns abgehen, ist der gesunden Vernunft und dem Evangelium so gemäß, dass man es als etwas Monströses ansehen muss, wie doch die Leute bei so hellem und klarem Licht noch immer so blind sein können. Ich will hier nicht der einen Hochmut und Stolz, noch der anderen Ungestüm und heftigen lieblosen Eifer beschuldigen und ausschelten, denn dergleichen Gebrechen sind bei menschlichen Handlungen fast unabsonderlich, dabei aber so beschaffen, dass niemand sich derselben will beschuldigen lassen. Ein jeder der davon eingenommen und getrieben ist, sucht gleichwohl selbige mit einem anderen Schein und guter Gestalt zu bemänteln, dass sie für etwas Lobwürdiges durchgehen möchten. Doch damit niemand die Staats- und Reichsgesetze und die Wohlfahrt der Republik zum Vorwand und Deckmantel seiner unchristlichen Grausamkeit und Wüterei nehmen, andere hingegen unter Prätext und Namen der Religion sich nicht eine ungezäumte und unziemende Freiheit zu leben und zu sündigen herausnehmen mögen, oder damit niemand unter dem Namen eines treuen Untertanen und Dieners des Fürsten noch unter dem Namen eines treuen Gottesdieners sich und andere bekriege,[2] so lasst uns hier vor allen Dingen unter Zivil- und Religionssachen, unter bürgerlichen und Gewissensdingen genauen Unterschied machen, und die Grenzen zwischen der Kirche und der Republik deutlich beschreiben. Denn wo dieses nicht geschieht und in Acht genommen wird, kann den Zänkereien weder Maß noch Ziel unter denen gesetzt werden, welche um die Wohlfahrt der Seelen oder der Republik entweder ernstlich und wahrhaftig besorgt und beschäftigt sind, oder es doch zu sein vorgeben.

 

Ein Staat oder eine Republik scheint mir eine solche Gesellschaft der Menschen zu sein, die sich nur darum und dahin zusammen verbunden haben, um die bürgerliche Glückseligkeit zu erhalten und zu befördern.

 

Bürgerliche Glückseligkeit nenne ich: Leben, Freiheit, Frieden, Gesundheit und Schutz des Leibes und Besitz aller zeitlichen Dinge, die zu diesem irdischen Leben gehören wie Haus, Hof, Geld, Hausrat und dergleichen.

 

Nun dann einen rechtmäßigen und geruhsamen Besitz und den Genuss solcher zum Wohl des äußerlichen Lebens gehöriger Dinge dem ganzen Volk und einem jeden Untertanen zu verschaffen, zu erhalten und zu befördern, das ist es, was der weltlichen Obrigkeit Amt und Pflicht ist[3] und zu welchem Zweck sie Gesetze und Ordnungen allen und jedem vorschreiben kann, und wenn solche jemand mutwilliger Weise wider Recht und Billigkeit zu übertreten sich unterstehen wollte, so muss die Drohung und Furcht der Strafe dessen Kühnheit zurückhalten, welche Strafe dann entweder in gänzlicher Verlierung und Wegnahme oder doch in Verminderung solcher Güter und zeitlichen Glückseligkeiten besteht, die er sonst hätte genießen können und sollen. Weil aber niemand gerne und freiwillig einen Teil seiner Güter und zeitlichen Glückseligkeiten, viel weniger Freiheit und Leben zur Strafe hingibt und verliert, so ist eben darum die Obrigkeit und Gewalt bewaffnet, nämlich mit den Kräften und dem Beistand aller übrigen Untertanen, um solche Strafen, denen, die eines anderen Recht kränken und Gewalt üben, nach Verdienst aufzulegen.

 

Dass nun das ganze Amt und Recht weltlicher Obrigkeit nur über gedachte bürgerliche Güter gehe und alle bürgerliche Gewalt, Herrschaft und Regierung bloß und allein auf deren Beobachtung und Beförderung sich erstrecke, keineswegs aber bis zur ewigen Seligkeit und Wohlfahrt der Seelen zu erweitern und auszuspannen sei, solches scheinen mir nachfolgende Gründe zu erweisen.

 

1. Weil der weltlichen Obrigkeit nirgends eine speziellere und größere Sorgfalt für die Seelen[4] anbefohlen ist als anderen Menschen und zwar erstlich, nicht von Gott, weil man nirgends findet, dass Gott eine solche Macht und Gewalt einem Menschen über und gegen andere gegeben, dass sie andere zur Annahme ihrer Religion sollten zwingen können und dürfen. Anders kann auch von den Menschen selbst der Obrigkeit keine solche Gewalt aufgetragen und übergeben werden, weil sich niemand der Sorgfalt um seine eigene Seligkeit dergestalt begeben kann, dass er schlechthin eines anderen Vorschrift im Glauben und Gottesdienst notwendig folgen wollte, denn niemand kann schlechterdings nach eines anderes Meinung glauben, ob er schon gern wollte. In dem inneren Glauben aber besteht die ganze Kraft und der Kern der wahren und selig machenden Religion. Indem, was einer auch mit dem Mund bekennt und in äußerlichen Gottesdiensten verrichtet, wo er nicht davon in seinem Herzen gänzlich überzeugt ist, dass es recht, gut und gottgefällig sei, so nützt es ihm nicht nur nichts zur Seligkeit, sondern es schadet ihm auch noch dazu.[5] Da auf diese Weise zu den anderen Sünden, deren Versöhnung man durch die Religion sucht, noch hinzugetan wird die Vortäuschung der Religion selbst und die Verachtung Gottes, indem du Gott einen solchen Dienst leistest von dem du doch glaubst, dass er ihm missfalle.

 

2. Die Sorgfalt und Aufsicht der Seelen kann weltlicher Obrigkeit nicht zugehören, weil deren Macht und Gewalt bloß in einem äußerlichen Zwang besteht. Da nun die wahre und selig machende Religion den innersten Herzensgrund und Glauben erfordert, als ohne welche nichts vor Gott gilt das menschliche Gemüt und Verstand aber von solcher Natur und Art ist, dass ihm keine äußerlichen Gesetze können aufgelegt noch er durch äußerliche Gewalt gezwungen werden, anders zu erkennen und zu urteilen, als er für sich selbst erkennt und urteilt, noch anders zu wollen, als er von selbst will, so mag man dann einem die Güter hinwegnehmen oder den Leib mit Gefängnis und allerlei Marter belegen, wird es doch alles umsonst sein, mit dergleichen Torturen die Meinung und Urteil des Gemüts zu verändern.

 

Sprichst du: Doch kann die Obrigkeit Grund und Beweis brauchen und damit die Irrigen auf den Weg der Wahrheit bringen und also selig machen.

 

Wohl! Alles dieses hat die Obrigkeit mit allen anderen Menschen gemein, so sie lehrt, unterweist, mit Beweisgründen die Irrenden zurückruft, so tut sie freilich was einem gütigen und Gutes für seinen Nächsten suchenden Mann zusteht. Es ist aber darum nicht Not, dass die Obrigkeit die Person, Natur und Pflicht eines Menschen und Christen von sich werfe.[6] Also ist ein anderes Bereden, ein anderes Befehlen, ein anderes mit Beweisgründen und ein anderes mit Gesetzen und Edikten Handeln, dieses ist ein Werk der weltlichen Macht, jenes der menschlichen Gutwilligkeit. Denn es steht einem jeden Menschen frei einen anderen zu ermahnen, zu bewegen, des Irrtums zu überzeugen und mit guten Gründen auf seine Meinung zu bringen suchen. Aber mit Gesetzen gebieten und mit Strafen zwingen, gehört bloß und allein weltlicher Obrigkeit zu und ist nur in weltlichen und bürgerlichen Sachen zu praktizieren. Und das ist es nun, was ich sage, nämlich dass die Obrigkeit nicht könne noch solle Glaubensartikel und Lehren noch Art und Weise Gott zu dienen mit Gesetzen und Befehlen aufdringen. Denn ohne dazu gesetzte Strafen und Drohungen verlieren die Gesetze ihre Autorität und Kraft, setzt man aber Strafen darauf, so sind sie ganz gewiss unnütz und überzeugen oder bereden nicht, weil einer, ehe er eine Lehre oder einen Gottesdienst annimmt, zuvor von Herzen glauben muss, dass die Lehre wahrhaftig und der Dienst Gott angenehm und gefällig sei. Zwang und Strafen also sind weder geschickt noch vermögend eine solche Überzeugung einem zu geben. Ein helleres Licht, größere Einsicht und Erkenntnis tut es allein, die Meinung und Urteil des Gemüts zu ändern, welche aber durch Leibesstrafen gar nicht gegeben noch zuwege gebracht werden.[7]

 

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