Lethal Vacation - Josephine Lessmann - E-Book

Lethal Vacation E-Book

Josephine Lessmann

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Beschreibung

Nach der großen Enttäuschung von Albany bringt Corporal Railey die Reisegruppe nach Poughkeepsie, wo sie im Hotel eines Freundes eine vorübergehende Heimat finden. Hier hoffen sie, sich von den Strapazen und Verlusten der letzten Wochen erholen zu können. Schnell müssen sie feststellen, dass der Tod nicht nur vor Tür nachsetzt. Er lauert auch in den eigenen Reihen. Dennoch geben Ivy und Sebastian nicht auf. Unerwartet lässt sie das Glück einen alten Weggefährten und dessen Kolonie finden. Als sie den mysteriösen Funkspruch eines Fremden empfangen, der ihnen die langersehnte Rettung verspricht, bricht die Zweckgemeinschaft endgültig auseinander. Ivy und einige andere aus der Gruppe folgen dem Aufruf sich zur Küste zu begeben … … dorthin, wo die ›Tiefen Wurzeln‹ verankert sind …

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Seitenzahl: 448

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar

1.Auflage

Covergestaltung:

© 2019 Josephine Lessmann

Coverfoto:

© 2018 David Bartus

Impressum

Copyright: © 2019 Josephine Lessmann

c/o AutorenService.de, Birkenallee 24, 36037 Fulda

Druck: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.deISBN siehe letzte Seite des Buchblocks

Kapitel 1

Interstate 87, Poughkeepsie

28.September, 2012

Railey fuhr den Bus entlang des Hudson Rivers durch verlassene Städte und trostlose Gegenden. Er war innerlich aufgebracht und biss sich nervös auf der Unterlippe herum, während er konzentriert den Bus auf der Straße hielt. Haben sie tatsächlich Albany weggebombt. Ich hoffe nur, dass meine Idee wirklich gut ist. Wir brauchen einen Ort, der uns zur Ruhe kommen lässt und sicher ist. Die anderen brauchen genauso eine Pause wie ich. Es ist einfach zu viel passiert, in den letzten Tagen.

Die Infizierten säumten verstärkt ihren Weg. Die Gebäude in den Ortschaften waren zum Teil in Brand gesteckt worden. Nur noch ihre verkohlten Grundmauern waren übriggeblieben.

Gebannt sahen sie auf die Ruinenstädte und ihre Hoffnungen schwanden auf den Nullpunkt. Ratlos und verzweifelt wanderten ihre Blicke zueinander und niemand vermochte das auszusprechen, was jeder vermutete: War die Reise für umsonst? Wo sollen wir hin?

Ivys verzweifelte Augen klebten an der Scheibe und sie war den Tränen nah. Der Drang vor Wut und Hoffnungslosigkeit zu Schreien wurde einzig durch ihre Machtlosigkeit gebremst.

Auf der Landstraße fanden sie viele verlassene und geplünderte Autos, Krankenwagen, aber auch Trucks der Army vor. Nach etwa einer Stunde fuhren sie an einem Ortsschild vorbei.

»Pog- … was? Wo sind wir?«, stutzte Klaas und sah Railey mit großen fragenden Augen an.

»Poughkeepsie. Ein Freund wohnt hier … Wenn er noch am Leben ist«, seufzte Railey skeptisch und lenkte konzentriert den roten Briten geschickt durch die Straßen der Stadt. Einzelne Infizierte torkelten durch die verlassene Örtlichkeit. »Er wollte hier ein Baumhaushotel eröffnen«, fügte der Corporal nach einer Weile hinzu.

Verblüfft, aber dennoch zweifelnd ob dies eine gute Idee sein wird, guckten sich die Mitglieder der Zweckgemeinschaft an.

»Ein Baumhaushotel?«, amüsierte sich Rupert zweifelhaft. »Ist er denn auch fertig geworden?«

»Ich hoffe es«, lächelte Railey. »Wir sind bald da!«

Er lenkte den Bus im Slalom durch die Geisterstadt und die aufgeschreckten Kreaturen auf der Straße schauten fauchend dem Roten hinterher, als wollten sie mitfahren oder hätten ihre nächste Mahlzeit ausgemacht.

*

Nach einer halbstündigen Irrfahrt durch die Gemeinde überquerten sie eine Brücke und fuhren aus der Ortschaft in ein dicht bewachsenes Gebiet. Die hohen, mächtigen Bäume wirkten ehrfürchtig auf sie. Nach eineinhalb Meilen im Wald bog Railey auf einen kleinen asphaltierten Weg ein.

Neugierig blickten sich alle, verteilt auf die zwei Etagen des Busses, aus den Frontfenstern und erspähten eine hohe Mauer aus Bruchstein sowie ein schwungvolles Eisentor. Ein Flügel stand offen.

Railey hielt den Bus an und musterte die Männer der Gruppe. »Jemand muss den anderen Flügel öffnen«, ließ der Corporal die Anweisung im Raum stehen.

Es war keine Frage.

Thomas und Klaas nickten sich zu und übernahmen diese Aufgabe. Sie schnappten sich ihre Messer und Railey öffnete ihnen die Tür des Briten. Vorsichtig traten sie heraus und lugten hinter die Flügel. Auf dem Gelände liefen einzelne Kreaturen apathisch umher.

»Die erledigen wir gleich, wenn der Bus durch ist und wir das Tor schließen können«, schlug Thomas entschlossen vor und zusammen öffneten sie den anderen Einfahrtsflügel. Der Doppeldecker konnte sie passieren, worauf sich die beiden beeilten das schwere Tor wieder zu schließen. Nun konnten sie sich der Bedrohung widmen, zückten ihre Messer und liefen auf die Wesen zu, die das Fahrzeug mittlerweile bemerkt hatten. Nervös dachten sie an den Nahkampfunterricht.

Die beiden teilten sich auf der Grünfläche auf um die Untoten auseinander zu treiben. Sie traten den Kreaturen die Beine weg, sodass sie zu Boden fielen und schlugen ihnen die Messer in die Schädel. Der Gestank des spritzenden Blutes kroch in ihre Nasen, doch zum darüber nachdenken war keine Zeit. Fauchend traten die anderen Wesen auf sie zu und schlugen mit ihren verfaulten Gliedmaßen nach ihren Körpern aus.

Klaas hackte einem dem Arm weg, sodass dieser ins Straucheln kam. Das Blut schoss aus der Wunde und er rammte ihm die Klinge in den Kopf.

»Klaas!«, rief Thomas ängstlich gedämpft, als ein Infizierte ihn packte und ihn in die Knie zwang.

Beherzt schlug er dem Toten das Metall in den Hinterkopf und streckte ihn zu Boden.

Sichtlich erleichtert stützte sich Thomas auf seine Knie, nickte seinem Gefährten dankend zu, atmete tief durch und wandte sich den letzten ungebetenen Gästen zu.

*

Der Rote fuhr auf ein zweistöckiges, längliches Gebäude zu, welches auf dem Dach eine große Solarfläche installiert hatte. Das Mauerwerk des Hauses schien ebenso aus Bruchstein hochgezogen worden zu sein, wie die Geländeumrandung. An den Hausecken wuchsen Efeuranken in Richtung Dach. Railey hielt an, öffnete die Bustür und die Passagiere stiegen wachsam aus.

Der Ort schien verlassen, keine Menschenseele, außer den nun getöteten Infizierten, war auf dem Außengelände zu sehen.

Wortkarg betrachteten sie die große Grünfläche, an der sie vorbeigefahren waren, als sie zu dem Gebäude gelangten. Am Parkplatz vor dem Bauwerk standen schwere Kübel, die schon lange keine Zuwendung mehr erhalten hatten.

»Gehen wir rein?«, wollte Christoph angespannt wissen und sah zu Railey, der die Seesäcke mit den Waffen aus dem Kofferraum holte.

Er schüttelte den Kopf und begann fachmännisch die Schalldämpfer auf die Läufe der Pistolen zu schrauben. »Nein, erst riegeln wir das Gelände ab«, beschloss er und reichte die fertigen Pistolen an jedem weiter.

Sie schlichen, sich gegenseitig schützend, um das Gebäude und waren schier sprachlos von den anmutigen Baumhäusern, die sich dahinter befanden. Zwischen den Geästen der mächtigen Laubbäume waren die Häuser aufgebaut. Auf anderen waren nur Plattformen und Gerüste der unfertigen Behausungen zu sehen.

»Wow, der Typ hatte recht gehabt«, staunte Elmar.

Skeptisch liefen die übrigen Mitglieder auf die Domizile zu.

»Diese leeren Plattformen … Die können wir doch zu Häusern ausbauen, oder?«, schlug Bryan unsicher vor.

»Anscheinend war das auch der Plan der Bauherren«, vermutete Rupert grübelnd und zeigte auf eine Scheune, deren Tor offenstand und voller Baumaterialien war.

»Das Areal ist übersichtlich und die Mauern hoch«, befand Railey, sein taktisches und militärisches Wissen einsetzend. Er wandte sich ernst an Ivy: »Bis wir eine Lösung für euch gefunden haben, wird das unser neues Zuhause sein.«

Ivy nickte sichtlich angespannt und beobachtete die anderen, die sich erkundend zwischen den Bäumen verteilt hatten.

*

Melanie schritt auf eines der Baumhäuser zu und stieg langsam die seitlich angebrachte Treppe nach oben. Auf den Weg zum Haus fühlte sie die knorpelige dicke Rinde des Baumes, welche eine gewisse Wärme ausstrahlte. Sie erklimm den Pfad vorsichtig und hörte auf jedes Geräusch, was eventuell auf einen ungebetenen Gast hinwies. Oben angekommen, öffnete sie vorsichtig die Tür und trat in einen kleinen, lichtdurchfluteten Raum. Kein Infizierter war zu sehen und eine Last fiel von ihren Schultern. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie roch das verarbeitete Holz und spürte die angenehme Wärme der Sonne auf ihrer Kleidung. Mit vorsichtiger Neugier begann sie das Haus zu erkunden. Ein kleines Sofa und eine Nische, in der sich die Küchenzeile befand, gaben dem Zimmer eine gewisse Gemütlichkeit. Hinter einer Falttür fand sie ein kleines Bad mit einer Dusche und einer Toilette. Die hellen Fliesen schienen sie regelrecht zu blenden. Zögerlich trat sie herein und betätigte den Wasserhahn. Zu ihrem Erstaunen kam tatsächlich sprudelndes, sauberes Nass heraus. Sie lachte laut, drehte den Hahn zu und sah sich weiter um. Über eine kleine Wendetreppe gelangte sie nach oben, zum Schlafbereich, der sich direkt unter dem Dach befand. Ein einfaches Bettgestell mit einladenden Bettdecken und weichen Kissen, ausreichend für zwei Personen. »Das ist wie ein Zuhause«, sagte sie zu sich selbst. Sie ging auf den Balkon und spähte zu den anderen, die am Fuße des Baumhauses standen. »Das müsst ihr euch ansehen!«, rief sie ihnen zu. »Endlich haben wir wieder Privatsphäre!«

Ivy und Sebastian schnellten die Treppe des Baumhauses als erstes empor, welches sich direkt neben dem von Melanie befand. Als Sebastian die Tür langsam öffnete, betraten sie ebenfalls das Wohnzimmer mit einer Kochnische. Die große Fensterfront, von der aus sie die Rückseite des Hauptgebäudes sahen, ließ den Raum im hellen Licht erstrahlen. Ein Kamin sollte im Winter für Wärme sorgen und hinter der Falttür verbarg sich ebenso das Bad mit einer Dusche und der Toilette. Die Bodenfliesen waren schwarz und eine dunkelrote Bordüre schlang sich an der Wand entlang. Auf einem Hocker lagen Handtücher. Kleine Fläschchen mit Duschgel und Shampoo warteten nur auf ihre Benutzung. Ivy sah Sebastian unglaubwürdig an. »Wir passen nicht zusammen da rein, aber wir werden nicht mehr stinken.« Amüsierte drückte sie ihn einen Kuss auf den Mund.

Ihre Augen funkelten und schöpften neue Hoffnung.

Ebenfalls über eine Wendetreppe erreichten sie die Schlafnische, die unterhalb eines Erkers lag. Zusammen traten sie, Arm in Arm auf den Balkon, der sich um das halbe Gebäude schlängelte.

Ivy winkte Melanie kindlich erfreut zu, die ebenfalls auf dem Anbau stand.

»Wir haben ein vorläufiges neues Zuhause, Leute!«, rief Sebastian und gab Ivy erneut einen zufriedenen, befreiten Kuss auf die Wange.

Alle noch am Boden verbleibenden Paare suchten sich in der unmittelbaren Nähe ein fertiges Baumhaus um es zu beziehen.

»Hey, Mel … Ist deine Couch noch frei?«, erkundigte sich Christoph neckisch grinsend.

»Vorausgesetzt du duscht und wäschst deine Unterwäsche, ja«, entgegnete sie ihm Augen zwinkernd zu.

Während Rupert, Bryan und Thomas das letzte der fertigen Baumhäuser inspizierten, wandte sich Railey ab und wollte das Hauptgebäude inspizieren.

*

Die Hintertür stand offen. Leise betrat er das Gebäude und durchquerte den angrenzenden Aufenthaltsraum mit der kleinen Kantine. Die Tische und Stühle standen immer noch an ihren Plätzen. Durch die bodentiefen Fenster konnte er zu den Baumhäusern sehen. Innehaltend horchte er durch ein Geräusch alarmiert auf und vernahm ein leises Fauchen. Railey schlich zur Tür, lugte hinter der Zarge hervor und beobachtete sechs Infizierte vor dem Rezeptionstresen wanken, die ihn nicht registrierten.

Anscheinend haut der Service nicht hin., dachte er mit Galgenhumor und schlich in gebückter Haltung hinter ihnen entlang um den Rezeptionstresen. Er wägte sich in Sicherheit, schnellte hoch und rammte jeden von ihnen nacheinander das Messer in den Schädel, als sie sich über den Tresen beugten um ihn zu packen. Das Blut besudelte in feinen Spritzern die Theke und seine Jacke. Ihre toten Körper fielen plump auf den Boden und Railey blickte nach getaner Arbeit über den Ladentisch auf sie hinab. Aufmerksam hörte er Schritte auf sich zukommen.

Die zu ihm stoßende Reisegruppe hielt erschrocken inne, als sie die Leichen sahen. Angewidert wandte sich Ava von dem Anblick ab.

Der Corporal hörte ein weiteres Poltern in einem der Zimmer hinter ihm. Angespannt sah der Wachmann zu der Gruppe, hielt stumm den Finger vor den Mund und schritt zur Tür. Zögernd umfasste er den Knauf, drehte ihn leise und riss abrupt den Eingang auf.

»NEIN!«, schrie ein Mann verzweifelt und hielt sich schützend die Arme vor das Gesicht.

Die anderen ließen ebenso einen Aufschrei des Erschreckens von sich und klammerten sich verängstigt aneinander.

Railey begann indessen zu lachen und nahm die Waffe runter. »Oh, mein Gott! Aiden!«, rief er freudig und der Mann lunzte verängstigt hinter seinen Armen hervor. Railey breitete die Arme aus und grinste ihn überglücklich an.

Der Fremde stand mit zitternden Knien auf, sah verwirrt zu dem Corporal und der Reisegruppe. »Was … Railey?!«, stotterte er und musterte ihn unglaubwürdig, als er ihn erkannte. Plötzlich brach er in Tränen aus und stürzte sich erleichtert in die Arme seines wiedergefundenen Freundes.

Die Mitglieder der Gruppe versammelten sich um den Tresen, den Ekel vor den Leichen vergessend und beobachteten skeptisch den gebrochenen Mann, der einen Moment später sich versuchte zu beruhigen.

Der Fremde schniefte, atmete mehrmals tief ein und aus, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Erleichtert sah er Railey an. Seine Kleidung war eingerissen, die blonden Haare standen ihm zu Berge. »Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals jemanden wiedersehe, den ich kenne«, japste er erleichtert und klopfte dem Corporal dankbar auf die Schulter.

Er beäugte argwöhnisch die Gruppe, die vor ihm standen.

Railey bemerkte seinen Blick. »Das ist Aiden, ein guter Freund aus der Schulzeit«, stellte er den Fremden vor. »Diese Leute sind Überlebende des Flüchtlingscamps in Dallas.«

Verblüfft musterte ihn sein Schulfreund. »Ihr kommt aus Dallas?«, stotterte er und Railey nickte. Seine wirren Blicke schweiften zwischen den Menschen umher.

»Vielleicht sollten wir die Leichen entsorgen und erst einmal zur Ruhe kommen«, schlug Elmar vor und Aiden nickte eindringlich.

***

Kapitel 2

Poughkeepsie, Baumhaushotel, Gemeinschaftsraum

28. September 2012, 17:30 Uhr

Railey parkte den Bus hinter dem Hauptgebäude, während die restlichen Männer die Leichen vor das Tor brachten. Es überraschte sie wie schwer doch ein lebloser Körper war. Ihre Gedanken sperrten sich davor diese Hüllen als Menschen anzusehen.

Sie lagerten die Lebensmittel aus ihrem Vorrat im Kühlhaus der Kantine, welches noch in Betrieb war. Ihre persönlichen spärlichen Sachen brachten sie in die ausgesuchten Baumhäuser.

*

Aiden wollte für alle kochen und bediente sich aus den nun aufgestockten Vorräten. Es wurde ein einfacher Eintopf von dem sie sicher mehrere Tage zehren konnten. Als es fertig war, stellte er das Gefäß auf die gestellte Tafel im Gemeinschaftsraum. Sichtlich zufrieden über die neue Gesellschaft reichte er jedem einen gefüllten Teller.

Railey erzählte in Kurzversion von ihrer Reise und Aiden saß verstummt zwischen ihnen.

Nach einer Weile räusperte er sich und strich laut schnaufend durch sein wirres Haar. »Es tut mir wirklich leid … Was ihr alles durch gemacht habt, ist wahrlich furchtbar.« Mitfühlend blickte der Hotelbesitzer seufzend zu den Reisenden.

Rupert schaute durch die bodentiefen Fenster zu den Baumhäusern, dachte nach und wandte sich an Aiden.

»Diese Baumhäuser sind fantastisch. Ein Wunder, dass sie die perfekte Form für solch einen Umbau hatten«, staunte er, das Thema wechselnd.

Aiden schmunzelte. »Ich wollte meinen Gästen etwas bieten. Abenteuer und trotzdem sollten sie auf bestimmte Dinge nicht verzichten müssen - fließend Wasser und Strom. Was aussieht wie ein Baum, ist eine Konstruktion aus Beton und Stahl, in der sich alles verbirgt, was die Versorgung der Häuser bedarf.«

»Das sind gar keine echten Bäume?!«, hakte Elmar sichtlich verblüfft nach.

»Aber die Rinde … Die fühlte sich so echt an!«, warf Melanie überrascht dreinblickend ein.

Aiden nickte mit stolzem Blick. »Es hat zwei Jahre gedauert, diese acht Unterkonstruktionen zu bauen. Detailgetreu war mir wichtig. Es ist nicht echt, aber es versprüht dennoch einen gewissen Charme.«

»Was bekomme ich denn, wenn ich hier einchecke?«, erkundigte sich der Doktor neugierig.

»Funktionierende Toiletten, warmes Wasser aus der Leitung, Strom. Ich hatte einen Shuttlebusservice um die Gäste zu den Attraktionen der Umgebung zu bringen«, erklärte er, während er sich noch einmal etwas zu Essen auf seinen Teller drapierte. »Ich habe ein ökologisches Klärsystem installiert und beziehe den Strom von den Solarflächen. Außerdem stelle ich den besten Apfelsaft in der Umgebung her. Meine Plantage ist nicht weit weg. Und frische Eier gibt es fast täglich!«

»Und in diesen Zeiten sind die Mauern das Beste, was uns passieren konnte«, warf Bryan ein, der sich ebenfalls Nachschlag aus dem Topf nahm.

Die anderen nickten ihm zustimmend zu.

»Da der Plan, sie nach Albany zu bringen, fehlschlug, würden wir gern hierbleiben, bis wir eine Lösung gefunden haben«, bat Railey.

»Ihr seid herzlich willkommen«, lächelte sein alter Freund und sah jeden einzelnen an.

»Wir können die anderen Baumhäuser fertig bauen«, schlug Sebastian vor. »Und Gemüse anpflanzen … Wie richtige Farmer.«

»Bald kommt der Winter und die sind recht kalt und Schneereich. Aber für das nächste Jahr können wir uns das vornehmen«, wiegelte Aiden ab. »Bevor wir anfangen, die Häuser fertig zu bauen, sollten wir uns um die Vorräte kümmern. Die meisten Leute sind nach Albany und den anderen Evakuierungszentren gegangen. Es gibt noch genug Lebensmittel im Ort. Das sollte als erstes angegriffen werden …«, schlug er indessen vor.

Die anderen brauchten nicht lange über seine Worte nachzudenken und nickten ihm zustimmend zu. »Alles andere ist in der Nähe, beziehungsweise im Lager. Ich habe sogar die Möbel für die neuen Häuser hier. Hat mich ein Vermögen gekostet«, schwelgte er in Gedanken und seufzte erneut. »Hier im Hauptgebäude befindet sich im ersten Obergeschoss meine Wohnung. Ihr könnt auch dort schlafen, wenn es an Platz mangelt …«

Rupert und Thomas erhoben sogleich die Hände und nickten ihm zu.

»Wenn wir hierbleiben, sind die Mauern auch sicher?«, wisperte Ava verängstigt Aiden entgegen.

»Die Mauern sind drei Meter hoch«, erwiderte er.

»Wir müssen das Tor blickdicht machen, damit die Infizierten uns nicht mitbekommen«, erwiderte Railey mit strategischem Blick. »Die Schießübungen, die wir gemacht haben, müssen ausreichen.«

»Was ist eigentlich in Albany passiert?«, erkundigte sich Thomas schließlich und stellte die Frage, die jedem im Kopf herumschwirrte.

Aiden überlegte einen Moment und begann zu reden. »Der Plan, die Touristen nach Europa zu bringen, war ein Fehler … Auch die Bewohner der umliegenden Städte kamen. Sie wollten einfach nur weg.« Bekümmert hielt er inne. »Die Docks wurden überrannt, Albany wurde überrannt. Die Army setzte Napalm ein und brannte alles nieder … Zu viele Menschen auf engstem Raum waren ein gefundenes Fressen für den Virus. Im Nu verwandelten sich die Toten und griffen die Schutzlosen an. Selbst das Militär konnte da nicht viel ändern. Ihr solltet die Evakuierungszentren meiden. Dort sind die meisten Toten eingepfercht«, empfahl Aiden und untermauerte es mit einem eindringlichen Nicken.

Seufzend sahen sie sich an und waren innerlich froh, dass sie zu spät kamen.

All die Menschen, die aus Hoffnung dort hinkamen und gestorben sind. Nur gut, dass wir zu spät kamen., dachte Ivy betrübt und Sebastian, der ihre Gedanken förmlich erriet, nahm liebevoll ihre Hand.

»Wir sollten uns vielleicht alle in unsere Betten legen und die erste ruhige Nacht genießen«, schlug Rupert vor, erhob sich und watschelte zur Tür. »Ich hole meine Sachen aus dem Haus.«

»Ich denke oft an die Menschen, die in den Zentren waren«, klagte Aiden nachdenklich. »Schiffe, die bereits abgelegt hatten, wurden versenkt, weil sich Passagiere verwandelten … Es gab keine Überlebenden. Alle sind mit den Schiffen untergegangen …«

»Gibt es noch andere Menschen, die hier in der Gegend leben?«, wollte Jerome wissen, aber Aiden schüttelte stumm den Kopf. »Wir sollten vielleicht vorsorgen und am Eingang Wachtürme aufbauen. Solch ein Ort könnte vielleicht auch für andere interessant werden.«

»So etwas muss richtig geplant werden«, unterbrach Railey ihn und blickte ihn mit kritischen Augen an.

»Aber bitte erst morgen«, erwiderte Melanie, schob den Stuhl nach hinten und streckte ihren schmerzenden Rücken. »Ich danke dir für das Essen, Aiden. Ich möchte einfach nur schlafen und mal an keine Toten denken.«

*

Auch Ivy und Sebastian verschwanden in ihrem Häuschen. Lediglich in Unterwäsche gekleidet, wackelten sie die Treppe empor. Erleichtert aufstöhnend ließen sich beide in das Bett fallen.

So muss es sich anfühlen, wenn man auf einer Wolke liegt!, dachte Ivy und genoss die weiche Matratze unter ihrem geschundenen Rücken. Und innerlich erwartete sie, dass das Bett sich genauso ruckelnd hin und her bewegte, wie es im Bus der Fall war. Nur tat es dies nicht. Erschöpft sah sie Sebastian an und begann zu grinsen.

»Das ist seit langem ein Lächeln, was nicht gequält aussieht«, schwärmte er und gab ihr einen Kuss. »Vielleicht sollten wir diesen ersten Abend besonders genießen.« Schelmisch zuckte er mit den Augenbrauen.

Ivy schmunzelte und rückte näher an ihn heran. »Nein. Ich bin einfach nur kaputt, aber glücklich mal nicht mit allen in einem Raum zu schlafen. Und das Bett bewegt sich auch nicht. Du kannst mich in den nächsten Tagen gern nochmal fragen.«

Sie gaben sich einen langen, innigen Kuss, bevor Ivy ihm den Rücken zu wandte.

Er schüttelte lächelnd den Kopf und kuschelte sich an sie.

Sie hielt den Tschechen fest im Arm und schlief völlig erschöpft zügig ein.

***

Kapitel 3

Poughkeepsie, Baumhaushotel

7.Oktober 2012, 9:30 Uhr

Sie richteten sich in den folgenden Tagen die Baumhäuser ein und fuhren mit Aidens Auto in die Stadt um Lebensmittel und Kleidung für den kommenden Winter zu besorgen. Es war ein komisches Gefühl in die Läden zu gehen, ohne gleich von aufdringlichen Verkäufern bedrängt zu werden. Stattdessen mussten sie darauf gefasst sein, dass hungrige Infizierte hinter jeder Ecke stehen könnten, die ihnen ihre stinkenden Hände in die Bäuche schlagen würden. Angst begleitete sie jeden Tag. Sie saß ihnen regelrecht auf den Schultern und flüsterte tückische Gedanken in ihre Köpfe, die sie nachdenklich werden ließ.

Was würde passieren, wenn eine Horde die Gegend überrennen würde, so wie damals am Bus? Würden die Mauern standhalten? Welche Möglichkeiten würden sich ihnen bieten, nach Hause zu kommen? Wird es überhaupt einen Weg geben? Gibt es noch andere Gruppen, die eventuell ein Auge auf das Areal geworfen haben?

Eine gewisse Art von Paranoia entwickelte sich in ihren Köpfen.

Der anfängliche innere Konflikt, die Kreaturen zu töten, die einst Menschen waren, verblaste allmählich. Es wurde zu einer Art Normalität die wenigen Infizierten, die ihren Weg kreuzten zu erledigen, als hätten sie nie etwas anderes gemacht.

Sie füllten das Lager mit Holz und trafen bereits Vorbereitungen für den geplanten Anbau im Frühling. Ein Teil der Grünfläche wurde umgegraben und für den Ackerbau vorbereitet.

Mit den Baumaterialien im Lager konnten sie zwei Baumhäuser fertigstellen und beziehen. Rupert bezog sein Domizil, ebenso wie Bryan und Thomas, die sich eines teilten. Nur Christoph suchte weiterhin Asyl in Melanies Haus.

*

Ivy befand sich in ihrem vertrauten Zuhause. Sie wusste instinktiv, dass das Haus menschenleer war und trotzdem musste sie in allen Zimmern nachschauen, auch in jedem kleinsten Winkel, ob die Kinder sich nicht doch irgendwo versteckten. Aber sie fand niemanden. Ihr fiel ein, dass sie gar nicht in ihrem Zuhause sein konnten, sondern bei ihren Eltern waren. Nach draußen stürmend rannte sie auf die Straße. Von ihrem Platz aus konnte sie sehen das in ihren Garagen keine Autos standen, weder bei ihr noch in der von Sebastian. In der ganzen Allee standen keine Fahrzeuge. Sie bekam durch ein schlechtes Gefühl in ihrer Magengegend plötzlich Panik, hetzte zum Schuppen, holte ihr Fahrrad und fuhr so schnell sie konnte zum Haus ihrer Eltern. Auf dem Weg dahin bemerkte sie wie in einem vorbeirauschenden Film, dass sie keine Menschenseele sah; keine Nachbarn, keine alte Dame, die am Fenster saß und den Autos zusah, wie diese vorbeifuhren, einfach niemanden. Noch nicht einmal den dämlichen Nachbarhund, der ständig kläffte. Als ob die Zeit still stand.

Ivy sprang förmlich von ihrem Drahtesel, rannte auf das Haus ihrer Eltern zu und stürmte hinein. Als sie in den Flur trat, schien eine Art Schleier über dem Haus zu liegen. Die Sonne schien durch das große Flurfenster und die kleinen Staubpartikel vollführten einen geheimnisvollen Tanz. In der Küche standen benutzte Töpfe und eine Pfanne auf dem Herd. Dreckige Teller stapelten sich auf dem kleinen Tisch. Ungewöhnlich für ihre Mutter, welche eine sehr reinliche Frau war, die es hasste, wenn dreckiges Geschirr herumstand. Stutzig betrachtete sie das Essen, welches verdorben war. Ein dichter Flaum hatte sich auf dem Gericht gebildet.

Im nächsten Raum den sie vom Flur einsehen konnte, dem Wohnzimmer mit angrenzendem Wintergarten, war ebenfalls niemand zu finden. Die Kissen und Decken lagen wild verstreut, als ob sie gerade erst genutzt worden waren. Ivy ging um die Wohnlandschaft herum. Oft saßen Hailey und Konrad dahinter und spielten dort. Aber keiner versteckte sich hinter dem Sofa. Sie schritt in den Wintergarten, schaute unter den massiven Esstisch und fand keine Menschenseele. Langsam kroch das ungute Gefühl ihre Wirbelsäule herauf.

Ivy öffnete die Balkontür, trat heraus und lauschte. Ihr Wunsch nur irgendein Lebenszeichen von irgendjemanden zu erhalten ließ sie schaudern. Für einen Moment hielt sie inne, aber sie hörte einfach nichts. Als stünde sie in einen luftleeren Raum. Kein Vogel, kein Hund, kein Wind, der durch die Bäume streifte, war zu vernehmen. Sie schloss die Tür von innen und schritt nach oben.

Im Spielzimmer der Kinder war es still, das Spielzeug lag herum und das Licht in dem kleinen Puppenhaus brannte. Ivy machte es durch Gewohnheit aus und lugte in das angrenzende Schlafzimmer ihrer Eltern. Die Betten waren nicht gemacht und im Arbeitszimmer war auch niemand.

Sie fasste sich ein Herz, huschte nach unten und obwohl sie den Keller hasste, schlich sie hinunter und suchte weiter. Aber da war niemand. Sie spürte wie das schlechte Gefühl ihre Wirbelsäule nach oben kroch und ihren ganzen Körper schüttelte. Seufzend, um dieses Gefühl zu verdrängen, schaute sie noch im letzten Zimmer nach und auch dort fand sie keinen ihrer Angehörigen.

Nachdenklich setzte sie sich auf die Treppe hinter dem Haus und betrachtete den Garten. Sie rauchte eine Zigarette und sah der Glut Gedanken verloren zu, wie sie sich langsam zum Filter fraß. Normalerweise hörte sie den Verkehr von der angrenzenden Straße. Aber es war einfach nichts. Plötzlich polterte etwas hinter ihr und sie horchte erschrocken auf. Ihr Herz begann zu rasen. Sie schnipste die Zigarette in den Garten, stand auf und schlich noch einmal vorsichtig in den Flur. Sie vernahm wieder ein Poltern und sie machte es in dem kleinen Wohnzimmer aus. Sie streckte ihre Hand nach der Türklinke aus und ...

*

»Ivy, wach auf!«, rief Sebastian am unteren Fuße der Treppe.

Erzürnt und noch halb verschlafen von ihrem Alptraum warf sie ihm das Kissen über die kleine Brüstung nach unten.

Elegant fing er es auf und warf es sogleich nach oben. »Wir müssen aufstehen. Der Tag wird lang!«, rief er erneut und sah grinsend die Treppe hoch.

»Du kannst mich mal!«

»Gerne, aber wir müssen los«, erwiderte er keck.

Wütend, aber frech grinsend zeigte sie für ihn ungesehen den Mittelfinger. »Ich stehe gleich auf«, brummte sie.

»Gut, ich bin schon unten bei den anderen«, erwiderte er, ging raus und kam sogleich wieder rein. Er stellte ein Glas löslichen Kaffee auf den Tresen der kleinen Küche und verließ das Haus.

Ivy blieb indes grüblerisch im Bett liegen, schloss die Augen und versuchte den Traum zu Ende zu träumen. Aber es gelang ihr nicht, an die Stelle zurückzukehren, als Sebastian sie geweckt hatte. Es ärgerte sie. Schließlich stand sie auf und trottete müde zur Toilette. Nachdem sie sich erfrischt hatte, schlürfte sie in die Küche. Sie fand den kleinen Wasserkocher, der nur 600 Milliliter Fassungsvermögen hatte, niedlich. Als ihr Kaffee fertig war, trat sie auf den Balkon und schaute sich das Areal an. Der Herbst hatte die Blätter bunt gefärbt und es war nicht mehr so heiß, wie vor drei Wochen.

Weit und breit waren keine Infizierten zu sehen. Zumindest nicht hier. Nur außerhalb hörte sie ein leises Fauchen und Scharren. Sie ignorierte es einfach, weil sie sich der Sicherheit der Mauer um das Grundstück bewusst war. Im Schlafanzug, bestehend aus T-Shirt und Boxershorts, genoss sie ihren Kaffee, rauchte eine Zigarette, bevor sie sich schließlich anzog. Sie folgte ihrem Mann in den Gemeinschaftsraum und kam zum Gespräch hinzu.

*

»Guten Morgen, du siehst ja richtig erholt aus«, staunte Bryan und lächelte ihr neckend zu.

»Ich sehe immer erholt aus, wenn mir morgens keiner auf die Nerven geht«, zwinkerte sie ihm zu, nahm sich ihren zweiten Kaffee und setzte sich neben Melanie.

»Der Holztrupp muss heute die Speere an der Mauer verteilen«, ordnete Railey an, trank einen Schluck aus seiner Tasse, während er mit strengem Blick das Klemmbrett inspizierte. »Der Bautrupp geht nachher an die Arbeit. Ich fände es schön, wenn wir das letzte Haus noch vor dem Winter fertigbekommen würden. Melanie, Rupert, Ava, Thomas und Ivy sind die Speertruppe, der Rest der Bautrupp«, fasste er noch einmal zum Verständnis zusammen und die anderen nickten.

*

Mit einem Handwagen voller Werkzeug und Macheten bewaffnet begab sich der Speertrupp vorsichtig vom Gelände, während die anderen zur Baustelle gingen.

Sebastian wandte sich noch einmal seiner Frau zu, zog sie an sich und schaute sie mit seinen warmherzigen braunen Augen an. Er beugte sich herab und küsste sie liebevoll. »Pass auf dich auf, hörst du?«, bat er sie und strich ihr über die Wange.

Ivy seufzte. »Ich schlüpfe durchs Tor, wenn was ist.«

Er nickte und lief zu dem Bautrupp, der sich bereits an die Arbeit machte.

Sie sah ihm hinterher und wandte sich danach dem Außenbereich zu, der vorerst von Wildschlag befreit werden musste. Mit ihren Macheten schlugen sie eine Schneise vor der Mauer frei und begannen eine Schutzvorrichtung aufzubauen.

Schon Tage zuvor fertigten die Männer mehrere ›spanische Reiter‹ an. Einige junge Bäume hatten sie dafür im umliegenden Wald gefällt und die Speere x-förmig daran befestigt. Die Infizierten sollten daran stecken bleiben. Die blickdichten Flügel des Tores sollten mit einem halben spanischen Reiter versehen werden. Sobald diese geöffnet wurden, würden die Kreaturen an den Pfählen aufgespießt werden.

Auch wenn die derzeitigen Temperaturen bedeutend angenehmer waren, so kamen sie beim Freischlagen der Mauer tüchtig ins Schwitzen. Ächzend kämpfte sich die Gruppe durch das Dickicht.

Rupert hielt für einen Moment inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick schweifte an der Mauer entlang. Zwei Infizierte stolperten, angelockt durch das krachende Geäst, auf die Gruppe fauchend zu. »Wir kriegen Besuch«, meinte er und holte schnaufend Luft.

Ivy und Melanie schauten auf, nickten sich zu. Entschlossen stapften sie zu den Infizierten und rammten ihnen die Klingen in die aufgeweichten, halb verwesten Schädel. Das dickflüssige, schwarze Blut spritzte aus der Austrittswunde, als sie die Klingen herauszogen.

»Langsam bekommt man Übung darin«, meinte Melanie abgeklärt und wischte das Blut am T-Shirt des Toten ab.

Ivy nickte ihr zu. »Ja, es wird zur Gewohnheit ...«

Ava beobachtete die beiden, wie sie mit Leichtigkeit die Infizierten erledigten. Grübelnd hielt sie inne und seufzte sorgenvoll. Wie soll ein Kind in dieser Welt nur ohne Kummer aufwachsen können? Was ist, wenn das Würmchen krank zur Welt kommt oder es andere Komplikationen gibt? Wenn es nur schreit und ich es nicht versorgen kann?, dachte sie bekümmert zu Boden blickend. Ich kann es Jerome einfach nicht sagen. Ich bin einfach nicht soweit, Mutter zu sein.

»Hey Ava!«, rief Thomas und riss sie aus ihren Gedanken. »Reich mir doch bitte die Gewindestangen«, bat er freundlich.

Verwirrt schaute Ava um sich und wusste nicht, was er meinte. Ahnungslos glotzte sie ihn an und er zeigte auf den Handwagen. Dennoch wusste sie nicht, was er von ihr haben wollte und zuckte mit verzogenem Gesicht mit den knöchernen Schultern.

Schließlich kam Thomas selbst zum Handkarren und holte die Stangen für das Tor. Augenzwinkernd zeigte er ihr die Stäbe.

Rupert hievte einen der halbierten Stämme mit aller Kraft an die vorgezeichnete Linie ans Tor.

Thomas schlug die Gewindestange mit dem Gummihammer in die vorgesehenen Löcher. Einmal links, einmal rechts des Flügels.

Nachdem der Stamm fixiert war, schlug Rupert die Bolzen in die vorgebohrten Hohlräume. Als alle Löcher mit Gewindestangen versehen waren, wiederholten sie die Befestigung des halbierten Stamms am anderen Flügel. Rupert schraubte die Muttern auf die Stangen und schob sie bis zum Anschlag durch, während Thomas von der anderen Seite die Überlänge mit dem Winkelschleifer abschnitt.

Als Ivy, Melanie und Ava das Dickicht freigeschnitten hatten, trugen Melanie und Ivy die fertigen spanischen Reiter nach draußen und stellten sie versetzt in Position. Zufrieden gaben sie sich ein High Five.

»Aber für das Tor brauchen wir noch Speere«, bemerkte Melanie die Hände in die Hüfte stemmend.

Erschöpft innehaltend stützte sich Ava auf ihre Oberschenkel.

»Wir sind soweit fertig mit allen. Du kannst auch ins Haus gehen, wenn du willst«, schlug Ivy ihr vor.

Ava nickte ihr stumm zu und ging ohne ein weiteres Wort zu sagen auf das Gelände.

Thomas und Rupert schauten der Französin nach, wunderten sich über ihr gehen jedoch nicht, denn am heutigen Tage sah sie sehr blass aus.

*

Das Hämmern und Sägen des Bautrupps hallte zu ihnen.

Ivy schritt vorsichtig ins Dickicht und schlug junge Bäume ab, während Melanie ihr indessen Deckung gab und vier Infizierte erschlug, die auf die Brünette zu torkelten.

Als diese erledigt waren, trugen sie die abgeschlagenen Bäume zum Handkarren, legten sie darauf und wiederholten die kleinen Holzfällarbeiten.

Thomas, der die Gewindestangen auf der Innenseite abgeschnitten und mit Muttern fixiert hatte, hörte plötzlich ein lautes Pfeifen. Fragend schaute er hinter sich und erspähte Aiden, der sie zu sich winkte.

»Hey Leute«, rief er nach draußen. »Feierabend!«

*

Der Bautrupp hatte ganze Arbeit geleistet. Die Außenwände und der Dachstuhl des Baumhauses standen bereits. Sie hatten aus dem Schnittresten ein Lagerfeuer angezündet.

Es war immer wieder verwundernd, wie schnell doch die Zeit verging, wenn sie bauten.

Aiden hatte aus dem Lager den Kessel geholt, ihn über das Feuer gehangen und Doseneintopf hineingefüllt. Die Hühner rannten gackernd über das Areal und suchten nach Futter. Neugierig liefen sie auf die Runde zu, pickten an den Stämmen, die sie zu Bänken zugesägt hatten, und ließen sich sogar streicheln.

»Wie weit seid ihr gekommen?«, wollte Aiden wissen.

»Die Reiter sind platziert, aber es fehlen noch Speere für das Tor«, antwortete Ivy. »Das heben wir uns für morgen auf.«

»Wir sollten über die Aussichtsplattformen am Tor sprechen«, begann Sebastian und Railey nickte ihm zu.

»Hast du Ferngläser?«, wandte sich Elmar Aiden zu.

»Leider nein.«

»Im Bus sind zwei. Die sollten für die Außenposten reichen«, warf Railey ein und aß etwas vom Eintopf.

»Zwei je Plattform wären besser«, befand Aiden. »Wir benötigen noch diverse Dinge um das letzte Haus fertig zu bauen und um die Posten hochzuziehen.«

»Was denn?«, wollte Ava wissen, die an Jerome gelehnt auf der Holzbank saß.

»Dämmwolle für die Wände, Dachpappe, Brenner, Holz, Lasuren … Nägel, Schrauben, Gewindestangen … Fenster und Türen … Kaminöfen und vieles mehr. Vielleicht können wir eine Vorrichtung bauen, sodass das Tor über eine Winde geöffnet werden kann«, zählte Aiden auf.

»Und wo kriegen wir das alles her?«, hakte Klaas neugierig nach.

»Wenn wir Richtung Stadt gehen, biegen wir an der Kreuzung rechts ab und kommen auf ein Gewerbegebiet zu. Dort gibt es unter anderen einen Baumarkt. Wenn wir Glück haben, finden wir auch entsprechende Fahrzeuge für den Transport«, erklärte der Hotelbesitzer.

»Also laufen wir dahin?«, stutzte Ava verängstigt.

»Ich würde vorschlagen, dass unser einziger Arzt und die Frauen hierbleiben, während die anderen zum Baumarkt laufen«, schlug Railey vor und erntete entrüstete Blicke von Melanie und Ivy.

»Die Weibchen bleiben also hier, während die Männchen auf die Jagd gehen?«, scherzte Melanie mit argwöhnischem Blick.

Railey konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Mir egal, wer mit kommt … Aber ihr müsst zupacken und ich denke, dass Barbie da drüben«, dabei zeigte er auf Ava. »… innerhalb kürzester Zeit japsend an der Seite liegen wird.«

Grimmig sah die Französin ihn an, während ihr Mann sich ein Grinsen verkniff. Beleidigt erhob sich Ava und marschierte gekränkt in ihr Haus.

»Die Weibchen und der alte Mann bleiben hier und schnitzen die Speere fertig, wenn euch das hilft«, befand Ivy und salutierte dem Corporal grinsend zu. Sie ignorierte einfach diesen veralteten und sexistischen Spruch.

***

Kapitel 4

Poughkeepsie, Baumarkt

8.Oktober, 9:00 Uhr

Aufmerksam beobachteten die Männer die Wälder, während sie auf der Straße entlangliefen. Je näher sie dem Gewerbegebiet kamen umso mehr fanden sie verlassene Autos. In zwei von ihnen saßen immer noch Infizierte, die fauchend ihre blutigen Hände gegen die Scheiben schlugen. Aber sie erlösten sie nicht. Die Kugeln sollten nur abgefeuert werden, wenn es wirklich nötig war.

Ein kleines Fort der Army war auf einer Brachfläche aufgebaut. Die Zelte waren von Wind und Wetter stark in Mitleidenschaft gezogen worden.

Scheinbar hatte die Army hier einen kleinen Stützpunkt aufgebaut um die Leute zu koordinieren, mutmaßte Railey gedanklich mit seinem militärischen Gespür.

Einzelne Kreaturen liefen ihnen entgegen. Mutig schlugen sie ihnen die Klingen ihrer Handwaffen in die teils weichen Schädel und ließen ihre Leichen am Straßenrand liegen.

Schließlich erreichten sie den Baumarkt. Auf dem Parkplatz standen die Einkaufswagen verstreut herum.

Die Eingangstür war mit einem Schloss verriegelt. Elmar brach es mit einem Bolzenschneider auf und gemeinsam traten sie vorsichtig durch die Tür herein. Es schien, als ob noch nichts entwendet wurde. Die Regale waren voll und niemand war zu sehen.

»Wow!«, staunte Bryan überrascht, »Das ist ja alles noch da!«

»Das Ding ist eine Goldgrube!«, stimmte Thomas ein.

»Wie kriegen wir das alles weg?«, wollte Sebastian wissen und begutachtete die Regale.

»Vielleicht finden wir in der Transportfirma noch ein funktionsfähiges Fahrzeug«, mutmaßte Aiden. »Die Straße runter war früher eine.«

»Gute Idee. Bryan und ich werden uns das mal ansehen«, schlug Railey vor und nickte Bryan zu.

Die restlichen sahen sich um und wussten auf Grund der riesigen Auswahl nicht, wo sie anfangen sollten.

Aiden prustete sichtlich überfordert die Wangen auf. »Am besten nimmt sich jeder einen Einkaufswagen und grast die Regale ab.« Er faltete eine Liste auseinander. »Sucht auf jeden Fall nach Gasflaschen, Nagelpistolen und den passenden Nägeln, Gewindestangen, Winkel, Sägen, Brenner … wenn ihr in die Fensterabteilung geht, bitte nicht über einen Meter Breite und Höhe. Dämmung und Dachpappe sind auch wichtig.«

*

Nach einer Stunde hatten sie zwanzig Einkaufskörbe vollgepackt und im Lager Dämmwolle, Zubehör für die Kaminöfen sowie Türen und Fenster zusammengepackt. Elmar, Klaas und Thomas brachten noch Fliesen, Wasch- und Klobecken zum Sammelpunkt.

Verwundert horchten sie auf, als sie Motorengeräusche hörten. Angespannt öffnete Thomas das geschlossene Rolltor. Verblüfft betrachteten die Männer zwei Transporter, die von Bryan und Railey gefahren wurden.

»Kann der Tag noch besser werden?«, jauchzte Jerome und schlug euphorisch in die Hände.

Sie schoben die gepackten Einkaufswagen hinein, stapelten OSB Platten, Planen, Elektrokabeltrommeln, Fliesenkleber, Kellen und Maurerfässer darauf.

Railey und Bryan zogen noch einmal los und holten zwei weitere Transporter, die sie ebenso bis zum Dach mit Baumaterialien füllten.

Elmar erkundete derweil das Außenlager und lief hinter dem Gebäude entlang. Verblüfft blieb er stehen und begann den Kopf zu schütteln.

*

Während die Männer mehr als erfolgreich waren, spitzten Rupert, Ivy und Melanie in aller Ruhe die Speere an für die spanischen Reiter. Ivy lud die fertigen Lanzen auf den Handkarren und wurde auf Ava aufmerksam, die gedankenverloren auf ihrem Balkon saß, mit dem Rücken zu ihnen gewandt. Seufzend drehte sich Ivy wieder den anderen zu und erledigte weiter ihre Aufgabe. »Langsam mache ich mir wirklich Sorgen um Ava«, bemerkte sie. »Sie klinkt sich vollkommen aus, als wolle sie von all dem nichts wissen.«

»Dabei machen wir das auch für sie und nicht nur für uns«, bekräftigte Melanie leicht aufgebracht. »Das ist so egoistisch!«

»Sie ist ein verängstigtes, kleines Mädchen«, lenkte Rupert lapidar ein, während er weiter mit dem Messer hantierte.

»Rupert, ich bitte dich! Jeder macht sich hier die Finger schmutzig, damit es sicher ist«, unterbrach Ivy leicht genervt die Schnitzerei.

»Das war schon auf den Hinweg so und wird sich in Zukunft definitiv nicht ändern«, warf die Rothaarige ein. »Ich meine, als du schwanger warst, hast du dir doch auch nicht alles an den Arsch tragen lassen, oder?«

»Ava ist schwanger?!«, platzte es aus Rupert verblüfft raus.

Melanie bemerkte ihren Ausrutscher und hielt sich ertappt die Hand vor den Mund.

Peinlich berührt sah Ivy Rupert an. »Ähm … ja, ist sie …«, stammelte sie. »Sie ist noch so ziemlich am Anfang der Schwangerschaft.«

Rupert lächelte freudig auf. »Wie wundervoll! Sie wird schon wieder werden. Sie ist sehr zart besaitet und braucht Unterstützung von ihrem Mann.«

»Ha, wenn er es wüsste, würde er es bestimmt auch tun!«, amüsierte sich Melanie, schnitzte in sich hinein grinsend weiter.

Rupert sah die Singlefrau mit großen Augen an.

»Lasst uns eine Pause machen. Ich habe im Lager Spaghetti gesehen und hab' da jetzt Bock drauf«, schlug Ivy das Thema wechselnd vor, rieb sich den Bauch, stand auf und putze sich die Späne von der Kleidung.

Rupert und Melanie folgten ihr in den Gemeinschaftsraum.

*

In einem Topf erhitzte Ivy zwei große Büchsen Spaghetti mit Tomatensoße, beobachtet von Melanie und Rupert, wie sie mit dem Kochlöffel im Topf umher rührte. »Als wir noch jung und knackig waren und regelmäßig zu Festivals fuhren, waren Dosenspaghetti und Ravioli die Hauptnahrungsmittel«, grinste die Brünette, hob den Kochlöffel und schnupperte daran.

Rupert und Melanie schmunzelten in sich hinein.

»Vielleicht finden wir irgendwann eine Kuh oder eine Ziege«, sinnierte Rupert und rieb sich über seine kleine Wohlstandsplauze. »Wegen Ava … Ihr solltet sie dazu bewegen mit ihrem Mann über die Schwangerschaft zu sprechen. Sie kann es nicht für sich behalten.«

Skeptisch sahen sich die beiden Frauen an.

»Es ist ihre Entscheidung und ich werde mich nicht reinhängen«, wiegelte Melanie entschieden ab.

Ivy sagte gar nichts dazu und reichte beiden einen Teller mit Essen, tat sich selbst etwas auf und gesellte sich zu ihnen an den Tisch.

***

Kapitel 5

Poughkeepsie, Baumhaushotel, Gemeinschaftsraum

8.Oktober 2012, 14:00 Uhr

Das entspannte Beisammensein ließ sie die Zeit vergessen. Gemeinsam philosophierten sie über ihr Weiterleben auf dem Areal, bis sie eine Lösung gefunden haben nach Hause zu kommen. Es war ein gutes Gefühl, etwas zu erschaffen, was Sicherheit bietet.

Während die drei im Gemeinschaftsraum saßen, kam die Kolonne zurück.

Christoph und Bryan trugen die spanischen Reiter an die Seite, öffneten das Tor und ließen die Transporter und den Truck reinfahren. Als der Konvoi durchgefahren war, sicherten sie alles, bemerkten die Infizierten, die auf das Tor zu kamen und schlossen es schnell.

Die Kreaturen spießten sich tatsächlich an den spanischen Reitern auf. Die Speere drangen durch ihre fauligen Körper, doch sie fauchten dennoch wütend der Pforte entgegen und streckten ihre Arme aus, als würden sie sich vorwärtsbewegen.

Railey ließ die Hupe kurz ertönen. Einen Augenblick später kamen Melanie, Rupert und Ivy aus dem Vordereingang des Hauptgebäudes. Die drei stutzten über die Anzahl der Fahrzeuge und dem Sattelschlepper, der eine komplette Holzladung auf den Anlieger geladen hatte.

»Das ist ja der Wahnsinn!«, rief Rupert euphorisch und bestaunte den Inhalt des Transporters, dessen Plane von Christoph geöffnet wurde.

Mit stolz geschwellter Brust stolzierte Sebastian auf seine verblüfft dreinschauende Frau zu und nahm sie glücklich in die Arme.

»Das habt ihr alles im Baumarkt gefunden?«, hakte Ivy unglaubwürdig nach und Sebastian nickte ihr mit einem breiten Grinsen zu.

»Oh ja! Ich fühle mich gerade wie ein erfolgreicher Jäger oder so was in der Art!«

»Da können wir die Häuser fertig bauen und die Außenposten am Tor!«, jubelte Aiden vor Freude. »Und es ist immer noch was dort … Wenn uns doch noch etwas fehlt, nehmen wir die Transporter und holen das, was wir brauchen.«

Jerome schaute die drei Schnitzer an und wurde stutzig. »Wo ist Ava?«, fragte er achtsam, während er auf die drei zu schritt.

»Die war heute den ganzen Tag in ihrem Baumhaus. Seit ihr weggefahren seid, haben wir sie nicht groß gesehen«, erwiderte Ivy.

Besorgt nickte Jerome. »Ich bin gleich zurück.« Der Franzose lief am Hauptgebäude entlang zu den Baumhäusern. Ava ist schon seit Tagen komisch. Mal ist sie weinerlich, dann wieder aufbrausend und launisch. Ich sollte mit ihr reden.

Die beiden Frauen sahen ihm nach und wandten sich unbekümmert den Errungenschaften des Bau-Teams zu.

»Vor allem bin ich stolz auf unseren Elmar hier!«, lobte Railey den sanften Hünen und klopfte ihn beherzt auf die Schulter. »Wenn er nicht so neugierig gewesen wäre, hätten wir nie den vollbeladenen Sattelzug hinter dem Gebäude gefunden!«

Begeistert klatschte Railey zum Applaus und Rupert und Bryan stimmten ein.

Leicht beschämt nickte Elmar vor sich her. »Naja … In mir steckt halt immer noch der neugierige, kleine Lausbub von früher.«

»Hervorragendes Holz«, bemerkte Aiden und strich über die Maserung des Baustoffes. »Der Hänger muss definitiv ins Lager, so, wie er ist. Ich hab' irgendwo noch Regale, die wir aufbauen können. Vielleicht können Ivy oder Melanie eine Inventurliste anfertigen.«

»Gute Idee. So wissen wir, was da ist und was wir für später brauchen«, pflichtete Bryan bei.

Die beiden Frauen nickten ihnen bereitwillig zu.

»NEIN!«, hallte es plötzlich auf dem Gelände.

Die Gruppe horchte erschrocken auf und ihre Herzen pochten ihnen bis zum Hals. Sie erstarrten förmlich.

»NEIN, BITTE NICHT!«, kreischte wieder jemand aus Leibeskräften und der Schrei ließ das Blut in ihren Adern gefrieren.

*

Sie ließen alles stehen und liegen und rannten zu den Unterkünften. Doch sie blieben erschüttert stehen. Geschockt hielt sich Melanie die Hand vor den Mund. Es lief ihnen eiskalt den Rücken hinunter.

Ava hing mit einem Seil um den Hals am Baum. Ihre Beine zuckten und sie hörten ihren röchelnden Atem. Die Arme waren verkrampft und ließen ihre Finger brechen.

Jerome versuchte krampfhaft ihre Beine zu fassen. »Helft mir!«, flehte er.

Elmar und Christoph stürmten zu ihn, während Railey mit schnellen Schritten die Treppe des Baumhauses empor rannte, auf den Ast kletterte und versuchte, das Seil vom Auswuchs zu schneiden.

Avas Körper begann zu schwingen. Die Schlinge um ihren Hals hatte sich bis zum Maximum zugezogen.

»Achtung!«, rief Railey und schnitt die letzte Faser des Seils durch.

Jerome und Elmar fingen die Französin auf und legten sie behutsam auf den Boden. Die Hände ihres Mannes zitterten. Ratlos sah er den leblosen Körper seiner Frau an.

Rupert eilte ihm zu Hilfe, konnte nur schwer die Schlinge um ihren Hals lösen und suchte einen Puls, als die Schlaufe gelöst war. Verängstigt sah Jerome ihn an und der Halbgott in Weiß begann mit erschütterten Knopfaugen langsam den Kopf zu schütteln.

Er stieß einen Schrei der Fassungslosigkeit aus seinen Lungen. Jerome kniete neben ihr, nahm ihren leblosen Körper in die Arme, wiegte sie behutsam und berührte zaghaft ihren wackelnden Kopf.

»Sie ist tot«, Rupert sprach geschockt aus, was die anderen, die bestürzt um sie herumstanden, schon geahnt hatten.

Railey kam hinzu und sah sich die Leiche an.

Erneut stieß Jerome einen Aufschrei des Schmerzes und der Verzweiflung aus, presste heulend Avas Leichnam an sich und strich immer wieder durch ihre Haare. Etwas, was sie nie leiden konnte.

Ivy wurde von Sebastian in den Arm genommen, Melanie lehnte an Christoph. Bryan, Thomas und Aiden blickten stumm zu Boden, während Elmar Klaas an sich drückte.

Als Rupert Jerome so sah, dachte er an Evelyn. Ich sehe Evelyn vor mir liegen, im heißen Staub. Und wie ich ihren leblosen Körper hielt und um sie weinte. Tief bewegt wandte sich der Arzt von dem Trauerspiel ab.

Nach einer gefühlten Ewigkeit legte Jerome seine Frau behutsam auf den Boden, kniete über ihren Kopf und küsste immer und immer wieder ihre Stirn. »Pourquoi as-tu fait ça?«, jammerte er in seiner Muttersprache. »Du kannst mich doch nicht einfach allein lassen.« Seine Tränen tropften auf ihr lebloses Gesicht. Achtsam stützte er mit einer Hand ihren baumelnden Kopf, strich mit der anderen ihre Wange und brummte etwas in seinen Bart.

Erschüttert blickten die anderen auf die Tragödie hinab.

Nicht nur Ivy erinnerte sich an Rupert, wie er Evelyn in seinen Armen hielt, wie er sie küsste und ihre Haare streichelte. Es war beinahe das gleiche Bild, eine Art Déjà-vu.

Niemand bemerkte die kleinen feinen Äderchen, die sich wie ein Netzwerk auf ihrer hellen, makellosen Haut ausbreiteten. Langsam verfärbte sich ihre rosige Haut in ein helles grau. Seufzend strich der Ehemann über ihr Gesicht, ergriff erneut ihre Hand, streichelte sie behutsam.

Jerome schaute plötzlich mit verweinten Augen auf, als er ihre Hand hielt.

»Tu avais tort, Rupert!«, sagte er hoffnungsvoll in seine Richtung. »Du hast dich geirrt, mein Freund!«

Stutzig blickten sie ihn an und sahen seinen hoffnungsvollen Augen, der zwischen der Leiche seiner Frau und seinen Freunden hin und her wanderte.

»Sieh doch«, jauchzte er voller Freude und präsentierte ihre Hand, die auf seiner lag.

Ihre Finger zuckten in unregelmäßigen Abständen in seiner Handinnenfläche, als würde sie Klavier spielen.

Vor Freude wischte er sich eine Träne von seiner Wange und seine Gefühlswelt schwankte zwischen Verzweiflung und Glück, dass sie doch nicht tot war.

Ihre Mundwinkel begannen nervös zu zucken.

Railey betrachtete argwöhnisch ihr Gesicht.

Ihre Beine traten nervös um sich.

Unglaubwürdig sahen sich die anderen an und konnten nicht verstehen, was sie sahen.

»Das ist nicht möglich!«, raunte Rupert in seinen Rauschebart. »Ich habe keinen Puls gefunden. Da bin ich mir absolut sicher!«

»Du hast dich geirrt!«, wiederholte Jerome glücklich. »Sie lebt!«

Plötzlich riss die Französin ihre Augen auf, holte rasselnd tief Luft, als wäre ihre Luftröhre verschleimt. Ihre Augenfarbe hatte sich verfärbt. Eine Art Schleier hatte sich wie ein Schatten auf ihre Augäpfel gelegt, die Jerome anblickten. Er ließ zitternd ihre Hand los und streichelte freudig ihr Gesicht.

»Ava … Ich bin da«, flüsterte er behutsam und strich immer wieder durch ihren blonden Bob. »Du hast überlebt … Jetzt wird alles wieder gut.«

Aber sie antwortete nicht. Sie fauchte ihn wütend an. Ihre Hände griffen nach seinen Armen, packten seine Ärmel so fest, dass er ihre Fingernägel durch den Stoff spürte. Ihr Mund begann nach ihm zu schnappen.

Sie verhält sich wie der Infizierte in der Mall, schoss es durch Ivys Kopf und beobachtete, wie die anderen auch, verwirrt das Schauspiel. Sie alle hörten das Fauchen und Gurren, welches ein Bestandteil ihrer neuen Welt geworden war. Sie alle kannten dieses Geräusch nur zu gut.

Verständnislos starrte Jerome auf seine Frau hinab, spürte den Schmerz ihrer versteiften Finger, die sich immer mehr in seinen Unterarmen vergriffen hatten. »Du tust … mir weh, mein Schatz«, stammelte er verängstigt. Er bekam Angst, höllische Angst.

»Hat … hat sie … sich verwandelt?«, stotterte Bryan und sprach das aus, was die Gruppe sich die ganze Zeit fragten, aber sich nicht trauten auszusprechen.

»Kann nicht sein!«, behauptete Ivy. »Sie hat das Gelände nie verlassen! Wie konnte sie dann gebissen worden sein?«

Ihr Fauchen wurde immer lauter und ließ das Blut in ihren Adern gefrieren.

Jerome konnte sich aus ihrem Griff befreien, drückte ihre Arme nach unten, um ihre Hände zu fixieren. Ihre Beine strampelten wütend umher, ihr Körper wandte sich, wollte aufstehen. Er sah die anderen verängstigt an. »Tut doch was!«, flehte er sie mit verzweifeltem Blick.

Railey zückte entschlossen sein Messer, kniete nieder und rammte Ava die Klinge in die Stirn.

Ihre Bewegungen erstarrten, das Fauchen hörte abrupt auf. Ihre Hände fielen leblos auf den Boden, ihre Beine hörten auf zu zappeln.

Jerome sah zitternd auf seine Frau, blickte die anderen an und konnte nicht glauben, was gerade geschah. Stille Tränen liefen über sein Gesicht.

Die Reisegruppe musterte Railey, der neben dem Leichnam hockte und das Messer herauszog.

Nervös begann Jerome ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Er wollte die Bissspuren sehen, die Ava zu dem gemacht hatten, was sie nun war. Aber er fand keine. »Da sind keine Bissspuren«, weinte er verzweifelt und sah Railey an. »Wie kann es sein, dass sie sich verwandelt, wenn sie nicht gebissen wurde?!«, wollte er wissen und guckte ihn verzweifelt an.

Auch die anderen warfen ihm fragende Blicke zu.

Plötzlich packte der Franzose den Corporal am Kragen und zog ihn an sich heran. »WIE!?«, schrie er ihn an und brach in Tränen aus. Er ließ ihn los und warf sich weinend auf die leblose Hülle.

Railey stand betroffen auf, spürte die stechenden Blicke der Gruppe und seufzte. »Wir alle … verwandeln uns, wenn wir sterben«, antwortete er mit belegter Stimme.

»WAS?!«, riefen sie fassungslos im Chor.

Jerome raffte sich weinend auf, nahm Ava auf seine Arme und trug sie fort. Sein Weg führte den Franzosen zu den Bäumen, die in der Nähe der Mauer wuchsen.

Betroffen schaute die Reisegruppe ihm nach.

»Es ist vollkommen egal, wie wir sterben. Sicher ist, dass, wenn wir sterben, wir uns in sie verwandeln«, erklärte er in ruhigem Ton und sah Jerome nach. »Nur ein Stich in den Kopf beendet das Ganze.«

Rupert hielt inne und dachte an Evelyn. Sie hat das alles schon lange vor uns gesehen. Deswegen hat sie sich per Kopfschuss umgebracht. »Dann ist es ja ähnlich wie mit dem Herpes Virus«, sinnierte Rupert und erntete fragende Gesichter. »Es braucht einen Trigger, einen Auslöser, um zum Vorschein zu kommen. Im Fall des Virus ist es der Tod. Der Biss beschleunigt den Vorgang durch die auftretende Infektion.«

»Wie lange wusstest du das schon?«, fragte Melanie und schritt langsam auf den Corporal zu.

»Schon von Anfang an. Es gab die Anweisung von ganz Oben, uns nicht beißen zu lassen«, antwortete er.

Wütend schlug sie ihn mit der flachen Hand ins Gesicht und sorgte bei den übrigen für großes Erstaunen.

Railey atmete tief ein und ertrug den Schmerz ohne mit der Wimper zu zucken.

»Du Arschloch! Du hättest uns das sagen müssen!«, schrie sie ihn an.

»Und was hätte es geändert?«, brüllte Railey zurück. »Gar nichts hätte sich geändert.«

»Evelyn wusste es«, erwiderte Rupert bedrückt. »Sie wusste, was passiert, wenn man stirbt …«

Railey nickte betroffen und rieb sich seine Wange.

Aiden beobachtete Jerome, wie er ihren Körper an der Mauer lehnte und um sie weinte. Stumm ging der Hotelbesitzer ins Lager und holte ein weißes Laken für den Leichnam. Aber er brachte es ihm nicht, sondern hielt sich dezent zurück.

Elmar nahm das Tuch, ging zu Jerome und legte es ihm vor die Füße. Die Gruppe beobachtete ihn dabei, wie er eine kurze Unterhaltung mit dem trauernden Ehemann führte. Jerome schüttelte den Kopf und Elmar ging wieder zurück. »Er will es allein machen«, seufzte der sanfte Hüne und nahm seinen Mann in den Arm.

***

Kapitel 6

Poughkeepsie, Baumhaushotel, Jeromes Haus

8.Oktober, 20:30 Uhr

Am Abend ging Ivy voller Sorgen noch einmal zu Jerome und hielt eine Schüssel Ravioli in den Händen. Zögernd betrachtete die Brünette die Tür, fasste sich ein Herz und klopfte seufzend.

Einen Moment später öffnete sich diese langsam und der Witwer beäugte sie stumm. Er hatte den Zopfgummi aus seinem Haar genommen und die schwarze Mähne hing ihm im Gesicht. Ohne ein Wort zu sagen, ließ er sie herein und setzte sich auf die Couch.

Sie stellte das Essen auf den kleinen Tisch und hielt inne. »Darf ich mich setzen?«, erkundigte sie sich vorsichtig und er nickte. Sie nahm Platz und pausierte einen Moment. Schließlich nahm sie stumm seine Hand und streichelte sie. »Es tut mir so unendlich leid …«