Lettres d'Amour - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Lettres d'Amour E-Book

Ernst-Günther Tietze

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Drei Frauen durfte Wolfgang Faber lieben und sie haben ihn mit ihrer Liebe glücklich gemacht. Zwei von ihnen nahm ihm der Tod, die erste schon nach einem Jahr, die zweite nach 45 Jahren inniger Gemeinschaft. Dass ihm im Alter noch einmal eine wundervolle Liebe geschenkt wurde, ist die frohe Botschaft dieses Buches, eine romantische Erinnerung an das Leben des Autors. Jede dieser Liebesbeziehungen begann damit, dass die Partner weit entfernt voneinander lebten. Aber gerade der dadurch notwendige intensive schriftliche Austausch machte sie viel vertrauter miteinander, als wenn sie sofort ständig beieinander gewesen wäre. Ausgewählte Abschnitte aus dem Briefwechsel mit "Diethild", "Kerstin" und "Rosana" und kurze Berichtspassagen geben ein bewegendes Bild von Beginn und Bestand der wundervollen Liebesbeziehungen zu diesen Frauen. Die Auswahl beginnt mit dem Finden einer neuen dritten Liebe 15 Monate nach dem Tode von Wolfgangs erster Ehefrau, seiner zweiten großen Liebe, und setzt sich dann im Wechsel mit den Erinnerungen an die ersten Liebesbeziehungen fort. Angesichts der großen Zahl langer Briefe und Mails aus 51 Jahren kann hier nur eine kleine Auswahl der schönsten und wertvollsten von ihnen dargestellt werden. Die Liebe zu den verstorbenen Frauen wird über einen Zeitraum von 48 Jahren in der Vergangenheitsform dargestellt, die ersten 16 Monate der neuen dritten Liebe, die auch nach 12 Jahren noch wundervoll blüht, steht in der Gegenwartsform. Liebe ist das Einswerden von Seele, Geist und Leib. Immer wenn ein Mensch einem anderen in Liebe begegnet, ist Gott in ihm. Nie kommt seine Würde, seine Innigkeit, seine ureigenste Bestimmung schöner zum Ausdruck als in diesem Moment, und das geschieht gleichermaßen im Handeln des Samariters wie im Koitus.

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Seitenzahl: 448

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Ernst-Günther Tietze

Lettres d’Amour

Romantische Erinnerungen

Briefsammlung

© Copyright 2011 Ernst-Günther Tietze, Hamburg

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-4541-9

Inhalt

Prolog

20. September 2002

Januar 1953

21. September 2002

Dezember 1953

25. September 2002

März 1956

4. Oktober 2002

Dezember 1956

26. Oktober 2002

Juli 1957

31. Oktober 2002

April 1958

Januar 2003

Juli 1980

Juni 2003

Mai 1991

August 2003

März 2000

November 2003

Juli 2001

Personenverzeichnis

Ab 1953

Wolfgang Faber (Fyps)Student, dann Ingenieur

Diethild TrefelWolfgangs verunglückte Freundin,

Hildegard Trefel ihre Mutter

Hermann RübelCVJM-Mitglied

Kerstin Elsner dann FaberWolfgangs Freundin, dann Ehefrau

Andreas Faber

Kyria Faber Wolfgangs und Kerstins Kinder

Stephan Faber

Barbara Faber

Lydia FaberAndreas‘ Ehefrau

Leonard di ToroKyrias Lebensgefährte

Aiyana Faber-di Toroihre Tochter

Jeroen van den BergBarbaras Ehemann

Nadine van den Bergihre Tochter

Elfriede MahnkeWolfgangs Tante

Klaus DehlerCP-Führer

Bringfried Baumann (Kaekke)CP-Führer, Wolfgangs Freund

Ingrid Hellerseine Freundin, dann Ehefrau

Peter Schütze (Nuddle)Schüler, CP-Führer

Jutta Schütze, dann Mahlerseine Schwester

Uwe Mahlerihr Ehemann

Rolf Köhler (Nepf)CPer, Wolfgangs Freund

Trudi KöhlerRolfs Ehefrau

Mathias Köhlerihr Sohn

Gerd AdlerWolfgangs Chef bei der HEW

Heiner SchülerWolfgangs Kollege bei der HEW

Frauke Schülerseine Ehefrau

Ab 2002

Heiderose HenkeWolfgangs zeitweilige Freundin

Rosana Böttcher (Löwin)Wolfgangs Freundin, dann Ehefrau

Hans-Jörg BöttcherRosanas Sohn

Prolog

Drei Frauen durfte Wolfgang Faber lieben und sie haben ihn mit ihrer Liebe glücklich gemacht. Zwei von ihnen nahm ihm der Tod, die erste schon nach einem Jahr, die zweite nach 45 Jahren inniger Gemeinschaft. Dass ihm im Alter noch einmal eine wundervolle Liebe geschenkt wurde, ist die frohe Botschaft dieses Buches, das eine romantische Erinnerung an das Leben des Autors darstellt.

Jede dieser Liebesbeziehungen begann damit, dass die Partner weit entfernt voneinander lebten. Aber gerade der dadurch notwendige intensive schriftliche Austausch machte sie viel vertrauter miteinander, als wenn sie sofort ständig beieinander gewesen wären.

Ausgewählte Abschnitte aus diesen Briefen und kurze Berichtspassagen geben ein bewegendes Bild von Beginn und Bestand der wundervollen Liebesbeziehungen zu diesen Frauen. Die Auswahl beginnt mit dem Finden einer neuen dritten Liebe 15 Monate nach dem Tode von Wolfgangs erster Ehefrau, seiner zweiten großen Liebe, und setzt sich dann im Wechsel mit den Erinnerungen an die ersten Lieben fort.

Angesichts der großen Zahl langer Briefe und Mails aus 51 Jahren kann hier nur eine kleine Auswahl der schönsten und wertvollsten von ihnen dargestellt werden. Die Liebe zu den verstorbenen Frauen wird über einen Zeitraum von 48 Jahren in der Vergangenheitsform dargestellt, die ersten 16 Monate der neuen dritten Liebe, die auch nach 12 Jahren noch wundervoll blüht, steht in der Gegenwartsform.

Liebe ist das Einswerden von Seele, Geist und Leib. Immer wenn ein Mensch einem anderen in Liebe begegnet, ist Gott in ihm. Nie kommt seine Würde, seine Innigkeit, seine ureigenste Bestimmung schöner zum Ausdruck als in diesem Moment, und das geschieht gleichermaßen im Handeln des Samariters wie im Koitus.

20. September 2002

Ich suche einen lieben Partner, ab 62/1.75/NR, der zu mir passt, mit dem ich Pferde stehlen kann und für den ich die Richtige bin, auch wenn der Weg noch so weit ist, Löwin

Beruf Buchhändlerin, Wohnort Dresden,

Jahrgang 1938, 1 Kind, 1 Enkel

Motto: Sage nie nie; Es ist immer später als du denkst

Hobbies: Natur und Kultur

Elektrisiert springt Wolfgang Faber auf, als er diese Zeilen im Forum für Senioren liest. Da sucht eine Frau einen lieben Partner zum „Pferde stehlen“ und offenbart dabei ihr ganzes Wesen in der kurzen und prägnanten Vorstellung des gesuchten Mannes. Wie Glockenklang weckt der Text die Erinnerung an die vielen glücklichen Jahre mit Kerstin, die er nach aufregenden Erlebnissen immer gelobt hat, man könne mit ihr Pferde stehlen. Eine Weile nach ihrem Tod hat Wolfgang sich mit Heiderose Henke angefreundet und sie auch geliebt, aber inzwischen hat er gemerkt, dass er mit dieser oft unbeherrschten Frau nie glücklich werden kann.

Seit Wolfgang 1990 zum ersten Mal in Dresden war, liebt er diese Stadt. Die Löwin ist zwar sieben Jahre jünger als er, aber er fühlt sich, weiß Gott, noch nicht wie 71 und ihr Beruf zeugt von Geist und Kultur. Und sie ist eine Mutter, ein Gefühl, das der kinderlosen Heiderose immer unverständlich war. Ohne lange zu zögern schreibt er eine ebenso nüchterne Antwort. Sein Pseudonym im Forum ist sein alter Pfadfindername Fyps:

Hallo, Löwin,

Ihr Inserat im Forum interessiert mich. Schauen Sie doch mal in meine Webseite, ob das Interesse auf Gegenseitigkeit beruht. Ich bin gespannt. Gruß, Fyps

Dann kann er lange nicht einschlafen. Könnte diese Frau wirklich für ihn die „Richtige“ sein, würde er zum dritten Mal in seinem Leben eine Frau finden, der er seine ganze Liebe schenken kann und die ihn mit ihrer Liebe glücklich macht? Wundervoll war die Liebe der beiden Frauen, die ihm der Tod genommen hat, seine erste Freundin Diethild Trefel schon vor 48 Jahren, und dann vor 15 Monaten seine Frau Kerstin, die ihm 45 Jahre zur Seite gestanden hat. Ganz von selbst gehen seine Gedanken zurück zu dem Mädchen, das ihm zum ersten Mal in seinem Leben Liebe schenkte.

Januar 1953

Stuttgart, den 24. 1. 53, Lieber Fyps!

Ich habe mich über Deine schnelle Antwort gefreut, da kann ich mir eine Scheibe abschneiden. So langsam merke ich, wie schön die Zeit mit Euch in Berlin war! Von meinem ersten Geld will ich mir eine Klampfe kaufen, denn Klampfe spielen ist eine gute Pille gegen so ein blödes Gefühl, wenn einem die Gedanken nach Hause weglaufen. ... Heute haben wir ein herrliches Wetter, warm und wie im Frühling. Da juckt es einen nur so, den Affen zu packen und hinaus zu gehen. Hoffentlich habe ich später Glück mit meiner Stelle, dass mir mal ein Wochenende bleibt, um Schwarzwald und schwäbische Alb zu bewandern, wie es seinerzeit meine Eltern getan haben. ... Drück‘ mir am 30. 1. die Daumen, da habe ich mein Beschäftigungsexamen! Und nun Schluss für heute.

Viele Grüße, Deine Diethild

Mit Diethild Trefel hatte Wolfgang bei den Pfadfindertanzstunden in Berlin-Zehlendorf am liebsten getanzt, doch das Verhältnis war stets kameradschaftlich geblieben. Nach Diethilds Umzug von Kleinmachnow nach Stuttgart hatte er eine Karte von ihr kurz beantwortetet. Doch jetzt nach diesem Brief fühlte er zum ersten Mal eine Zuneigung zu diesem Mädchen, das war ganz neu für ihn.

Wolfgang stand kurz vor dem Abschluss einer Maschinenbaulehre, die er nach dem Abitur begonnen hatte. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er 10 war. Nach dem Freitod seiner Mutter vor vier Jahren hatte er bei den Christlichen Pfadfindern eine neue Gemeinschaft gefunden. Der 7 Jahre ältere Gruppenführer Klaus forderte die Jungen streng, gab aber Wolfgang die Zuwendung und Charakterbildung, die er noch dringend brauchte. Dabei spielte die Achtung gegenüber Mädchen eine wesentliche Rolle. Im drei Jahre jüngeren „Kaekke“ fand Wolfgang einen vertrauten Freund.

Auf Wanderfahrten mit Schlafen im Zelt lernten die Jungen Kameradschaft und Selbstbeherrschung, und die Abende am Lagerfeuer mit Liedern und Geschichten waren unvergessliche Erlebnisse für sie. Bei den wöchentlichen Gruppennachmittagen lernten sie Volkslieder und beschäftigten sich mit interessanten Themen, wobei Bibel und christliche Ethik einen wesentlichen Anteil hatten. An der Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde hatte Wolfgang begonnen, eine „Siedlung“ mit zwei Gruppen aufzubauen.

Berlin, den 4. 2. 53, Liebe Diethild!

... So schreibfaul bist Du gar nicht. Deine Antwort hat doch lediglich 20 Tage gedauert. Ich war früher ebenso. ... Deinen Wunschauf Daumen drücken am 30. 1. habe ich befolgt. Und nun bitte ich Dich um das Gleiche für meinen Lehrabschluss, obwohl mir der Prüfungsrummel etwas lächerlich vorkommt.

... Wenn ich fertig bin, werde ich erst mal in vollen Zügen die Freiheit genießen. Über Ostern bin ich bei meiner Tante in Hamburg, dann geht’s auf große Tour quer durch Deutschland. Da werde ich auch bestimmt in Stuttgart vorbeikommen. ... Sei herzlich gegrüßt, Dein Wolfgang

Stuttgart, den 18. 2. 53, Lieber Fyps!

... Du bist schon zu beneiden, dass Du noch so viel Schönes sehen darfst, ehe Du an die Kette gelegt wirst. Genieße es nur recht. ... Für Fastnacht hatte ich dieses Jahr gar keine Zeit, ich musste ganz brav lernen und konnte nur sehnsüchtig den Ausführungen anderer Leute lauschen. Habt Ihr immer noch die Tanzstunden? ... Für heute viele Grüße und alles Gute zur Prüfung, Deine Diethild

Berlin, den 4. 3. 53, Liebe Diethild!

Jetzt bin ich mitten drin in der Prüfung. Äußerlich tat ich ja immer ruhig und behauptete, die ganze Prüfung komme mir lächerlich vor. Aber als es gestern so weit war, hatte ich doch ziemliches Herzklopfen. Feilen, feilen, feilen heißt die Devise, und man muss sich mächtig beeilen, um mit der Zeit auszukommen. Morgen ist die dritte Runde. ... Ich hatte nie geglaubt, dass Du auch Interesse an Fastnacht haben könntest. Du warst doch sonst so ein „Mauerblümchen“.

Meine Siedlung gab ich Sonntag ab. Wenn ich mir jetzt als Außenstehender das Fazit meiner 1½ Jahre Führertum ziehe, kann ich nur sagen: „Allzu viel habe ich nicht erreicht.“ Irgendetwas fehlte an dem Ganzen, und ich habe mich vergeblich bemüht, das zu finden. Ich weiß nur, dass ich ab und zu Klaus hätte um Rat fragen sollen. Der ist uns allen doch immer noch gewaltig über. Seine klare und einfache Denkart ist manchmal verblüffend und er kann einem mit ein paar Worten zeigen, was man jahrelang falsch gemacht hat.

Wachse doch mal über Dein Einheitsbriefformat hinaus und lass mich nicht so lange auf Antwort warten. Herzliche Grüße und alles Gute, Dein Wolfgang

Stuttgart, den 6. 3. 53, Lieber Wolfgang!

Als ich eben nach der mündlichen Prüfung nach Hause kam, fand ich Deinen Brief. Und da habe ich mich erst mal mächtig gefreut, dass Du vor der Prüfung ein Herzklopfen zugibst, wie Du beim vorigen tatest, als könnte Dir nichts passieren, worüber ich mich geärgert habe. ... Ich denke oft an die netten und ungezwungenen Tanzabende mit Euch CP-Führern. Na und „Mauerblümchen“ (hm, hm!)!

Es ist Quatsch, wenn Du sagst, Du hättest in Deiner Siedlung nicht viel erreicht. Du warst doch Deinen Jungen Vorbild, und ich nehme an, kein schlechtes. Und Du hast Dich mit allem, was Du hast, dafür eingesetzt, dass Ihr innerlich wachst. Meinst Du denn, Klaus hat gleich das Richtige gefunden, als er anfing? Und letzten Endes lernt man doch aus Erfahrungen. Sieh mal, ich bin ja klein und dumm und hässlich, aber ich habe in den letzten Tagen viel über Deine Briefe nachgedacht, dabei auch über mich und meine Lebensauffassung. Wenn ich könnte, würde ich Dir gerne helfen. Ich freue mich, wenn Du nach Stuttgart kommst, da können wir über alles viel besser sprechen. Viele herzliche Grüße, Deine Diethild

Berlin, den 12. 3. 53, Meine liebe Diethild!

... Ich habe mich mächtig gefreut, dass Du den Fyps abgelegt hast. Ich vergesse ja sonst, dass ich noch einen anderen Namen habe. ... Auch ich habe viel darüber nachgedacht, warum ich Dir das alles schreibe, was mich so bewegt. Es ist für mich eine Erleichterung, wenn ich manches zu Papier bringen kann und weiß, dass jemand das auch liest. Aber das muss ich auch sagen, es macht mir große Freude, Dir zu schreiben, und dafür habe ich auch immer Zeit, weil ich glaube, Du verstehst mich.

Es ist so gut wie sicher, dass ich Ende April in Stuttgart eintreffe. Ich möchte zu gerne mal wieder mit Dir tanzen. Weißt Du noch, wie vor uns alles die Flucht ergriff? ...

Und nun wieder ganz herzliche Grüße von Deinem Wolfgang

Stuttgart, den 13. 3. 53, Lieber Wolfgang!

Heute habe ich Dir viel zu erzählen. Ich habe nämlich eine Radtour nach dem 60 km entfernten Kloster Lorch gemacht, wo meine Großeltern im Altersheim wohnen. Es war eine wunderschöne Fahrt. Hier ist jetzt schon richtig Frühling. Im Wald blühen Blumen, die ich bisher nur vom Erzählen gekannt habe, wie Anemonen, Himmelsschlüsselchen und viele, viele andere. Als ich einmal mein Rad schieben musste, fand ich abseits des Weges eine echte Quelle. Das war das erste Mal, dass ich aus einer Quelle getrunken habe. Ein seltsamer Kontrast waren hier und da Schneeflecken, die an den Straßenrändern noch nicht weg getaut waren, und unmittelbar daneben blühten Schlüsselblumen.

Viele herzliche Grüße bis bald, Deine Diethild

Nach der Facharbeiterprüfung begann Wolfgang seine Fahrt durch Westdeutschland und schrieb viele Ansichtskarten an Diethild.

Köln, den 17. 4. 53, Liebe Diethild!

... Gestern Abend habe ich einen Bummel am Rheinufer entlang gemacht, und dieser breite, ruhige Strom hatte in der Dunkelheit eine ganz eigenartige Wirkung auf mich. Ich war wie verzaubert und musste die Hände falten und danken, dass ich leben und hier stehen darf. Wie groß und gewaltig ist doch Gottes Schöpfung und Güte! In einer Woche bin ich in Stuttgart und freue mich mächtig, Dich zu sehen.

Lass Dich ganz herzlich grüßen von Deinem Wolfgang

Als Wolfgang Samstag abends in Stuttgart ankam, begrüßte Diethild ihn freundlich und sagte, sie habe sich sehr auf seinen Besuch gefreut. Sonntag gingen sie tanzen. Beim ersten Walzer verging alles andere für Wolfgang – endlich konnte er sie wieder in den Armen halten und fühlte sich viel mehr zu ihr hingezogen, als früher in Zehlendorf. Auch sie schaute ihm in einer Weise in die Augen, wie er es noch nie erlebt hatte. Als sie sich zum Abschied die Hände fest drückten, fiel ihnen beiden die Trennung schwer. Ganz leicht strich Diethild ihm über das Haar, dann war sie schnell im Haus. Wolfgang lag noch lange wach, tief in seiner Seele wusste er, dass ihm dieses Mädchen so viel bedeutet, wie kein Mensch bisher in seinem Leben! Noch verdrängte er den Begriff „Liebe“, er durfte doch als Pfadfinder kein Mädchen lieben, aber was zog ihn denn sonst zu ihr? Und er hatte auch gemerkt, dass er ihr so wenig gleichgültig war, wie sie ihm. „Gott, gib, dass wir näher zueinander finden“, war sein Nachtgebet.

Schramberg, den 2. 5. 53, Meine liebe Diethild!

Ich möchte Dir herzlich zu Deinem 20. Geburtstag gratulieren und Dir alles Gute wünschen. Viel Glück und Freude mögen Dich begleiten, wo Du auch immer bist. Ich habe Dir noch ein kleines Geschenk zugedacht, das bringe ich im Sommer mit. Ich besuche Dich nämlich auf jeden Fall, wenn ich dann in die Schweiz fahre.

Von Freiburg aus wanderte ich ganz alleine und brachte die letzte Nacht in einer unbewohnten Hütte zu. In solcher Situation merkt man erst, was wirklich alleine sein heißt. Ein Gedicht fiel mir ein:

Allein bin ich in tiefer Nacht;

weiten Weg hab ich heut gemacht.

Die Hütte steht am Waldesrand –

allein bin ich – in Gottes Hand.

Allein bin ich, weil ich es will;

die Menschen fragten mich zu viel.

So zieh ich schweigend durch das Land –

allein bin ich – in Gottes Hand.

Allein bin ich, heut und auch morgen;

ich weiß noch, dass sich um mich sorgen,

die Freunde, die mich gut gekannt –

und doch: allein in Gottes Hand.

Weißt Du, ich habe viel an die schönen Stunden gedacht, die wir in Stuttgart zusammen verbrachten. Ich denke täglich immer wieder an Dich und freue mich schon mächtig auf den Sommer, wenn wir uns wieder sehen. ... Schreib mir recht oft, wenn ich wieder in Berlin bin und sei vielmals recht herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang

Stuttgart, den 11. 5. 53, Lieber Wolfgang!

Jetzt will ich Dir erst mal für alles, alles danken. Ich habe mich ja so über Deinen Besuch gefreut. Ebenso freue ich mich schon auf das nächste Mal, wenn Du wieder herkommst. Auch für die vielen Reisegrüße bin ich Dir dankbar, weil ich doch sonst in punkto „Post erhalten“ wirklich nicht verwöhnt bin. ... Mutti sagte, ich hätte mich sehr verändert, besonders wegen meiner spontanen Einsicht, dass ich in Hauswirtschaft schnellstens meine Bildungslücken füllen müsste. Ich sei auf dem besten Wege, eine biedere, hausbackene Schwäbin zu werden. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man mir sagen kann. Bitte, lieber Wolfgang, schreib‘ mir doch mal Dein ehrliches Urteil, denn noch ist es Zeit, umzubiegen. Ich möchte doch kein Spießbürger werden, auch, wenn ich ab 4. 5. Hausgehilfin bin. Ich glaube, dass Du mir in dieser Sache am besten helfen kannst, und ich bin Dir dankbar, wenn Du mir mal darüber schreibst.

Nun alles Gute und viele herzliche Grüße! Deine Diethild

Berlin, den 19. 5. 53, Meine liebe Diethild!

Herzlichen Dank für Deinen Brief. Er erwartete mich, als ich gestern Abend nach Hause kam, und es war wirklich das Schönste am ganzen Abend, dass unter der vielen Post auch etwas von Dir war. ... Zu der Beurteilung Deiner Mutter: Ich habe Dich in Stuttgart nur in einer Beziehung verändert gefunden, Du bist ruhiger und überlegender geworden. Aber gerade das halte ich für äußerst wertvoll. Jungen gibt es nämlich genug, da braucht nicht noch ein Mädchen ein halber Junge zu sein. Das warst Du aber in Berlin. Ich bemerkte diese Veränderung schon aus Deinen Briefen. Deshalb setzte ich alles daran, nach Stuttgart zu kommen, und deshalb freue ich mich so sehr auf unser nächstes Zusammensein, weil ich Dich als Mädel schätze und – liebe. ...

Was die Hauswirtschaft anbetrifft, als Kindergärtnerin brauchst Du sie bestimmt. Aber ich glaube, Du willst nicht als alte Jungfer sterben, sondern selbst einmal einen Haushalt führen. Wenn Du jetzt gründlich Haushaltsführung lernst, kannst Du das im Leben mindestens ebenso gut gebrauchen wie Kinderpsychologie. Es ist natürlich schwer für Dich, jetzt Dienstmädchen zu spielen, das ist aber ein Kurzschluss. Auch mir ging es bei Siemens gegen die Ehre, als Abiturient ebenso mit „Du“ angeredet zu werden, wie die anderen Lehrlinge, die „nur“ die Volksschule besucht hatten. Doch dann merkte ich, dass diese Volksschüler mich verdreschen konnten, dass sie im Praktischen zum Teil besser waren als ich und dass einige von ihnen prima Kameraden waren. Und heute freue ich mich, dass ich diese Lehre gemacht habe. Denn ich kenne die Probleme und Sorgen dieser Leute, wenn ich später mal Betriebsingenieur bin. Deswegen bin ich für diese Zeit so dankbar, wenn ich auch offen sage, dass ich sie nicht noch einmal machen möchte. Doch genug davon. Ich wollte Dir nur sagen, dass ich Dich als Kindergärtnerin ebenso gern habe wie jetzt als Dienstmädchen. Und Du hast ja auch mit mir getanzt, als ich noch Lehrling war.

Schreib mir nur recht oft, denn ich freu’ mich doch so toll über jede Nachricht von Dir. Ich denke immer an Dich und unser Zusammensein. ... Meine liebe Diethild, sei recht herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang

Stuttgart, den 25. 5. 53, Lieber Wolfgang!

... Ich glaube, Du hast mich ein bisschen falsch verstanden, wenn Du glaubst, ich hielte mich zu fein für die Arbeit. Es ist nur verletzend, wenn man nur als minderwertiger Mensch, als blöde Unschuld vom Lande angesehen wird. Dabei könnte ich es geistig mit allen Frauen in unserem Hause aufnehmen, nur in Haushaltsführung nicht. Ich bin so froh, dass ich jemanden wie Dich habe, dem ich alles auspacken kann, weil ich das Gefühl habe, Du verstehst mich.

Heute war ich wieder mal wütend: Wir haben abscheuliches Regenwetter, und der Gärtner, ein alter Mann von 65 Jahren bekam bei uns Mittag. Frau Barth sagte zu mir: „Sehen Sie doch mal nach, ob es gerade regnet, sonst bringen Sie ihm die Suppe hinaus.“ Stell Dir vor, in der Nässe und Kälte auf so ‘nem dreckigen triefenden Gartentisch sollte der alte Mann essen. „Er sitzt doch sonst auch an dem Tisch“, hieß es. Und warum das alles? „Er hat so dreckige Schuhe.“ Da solltest Du mal sehen, mit welchen Dreckquanten die Kinder durch die frisch geputzte Küche latschen. Und wie sorgfältig der alte Mann seine Stiefel an einem Bodenlappen abputzt. Ich glaube, ich muss wieder in die DDR, wenn ich ab und zu solche kommunistischen Anwandlungen bekomme.

Viele herzliche Grüße und viele gute Wünsche Deine Diethild

Berlin, den 6. 6. 53, Meine liebe Diethild!

... Am Abend hatten wir ein edles Lagerfeuer mit Erzählungen von Fahrten und dann ging ich drei Stunden mit Kaekke durch die Gegend. Weißt Du, es ist schön, solch einen Freund zu haben. Und wir hatten uns viel zu erzählen, ich von meiner Fahrt und von Dir, ich hatte ja nicht nur viel gesehen und erlebt, sondern vor allen Dingen viel nachgedacht, auch über Dich und mich. Kaekke hatte in dem Heim, wo er hospitiert, so viel gesehen und erlebt, dass er den Entschluss gefasst hat, Pfarrer zu werden. Du wirst Dir denken können, dass die drei Stunden wie im Fluge vergingen. Aber solche Abendstunden, wo man hinterher nicht mehr weiß, wer gesprochen hat, der Freund oder ich, gehören zu den schönsten Erinnerungen. ... Sei ganz herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang

Stuttgart, den 21. 6. 53, Mein lieber Wolfgang!

Es ist völlig ungewiss, ob ich am 25. 7. noch hier sein werde. Was wird nun aus unserem Zusammenkommen? Ich möchte Dich bitten, wenn es geht, nicht kurz vor oder nach dem Umzug zu kommen, da ich bei der vielen Arbeit meine Gedanken zusammen halten muss. ... Ich freue mich sehr, dass Du Kaekke zum Freund hast. In seiner ruhigen Art ist er der richtige Ausgleich für Dich. Ganz herzliche Grüße, Deine Diethild

Berlin, den 27. 6. 53, Meine liebe Diethild!

... Ich habe Arbeit! Endlich! Ich bin Hilfsarbeiter in einer Drahtzaunfabrik. Meine Arbeit: hauptsächlich Zaunpfähle anstreichen. Jetzt machst Du wahrscheinlich „Oooch!“ Aber ich finde, Dienstmädchen und Hilfsarbeiter passen auch ganz gut zusammen. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn man abends nicht wusste, was man am nächsten Morgen zu essen hat, jetzt in den Laden zu gehen und zu kaufen, was einem schmeckt.

Ich werde schon am 18. 7. bei Dir sein, gleich nach der Aufnahmeprüfung für die Ingenieurschule. Du brauchst also nicht unglücklich zu sein. ... Samstag soll ich mit der 18 jährigen Jutta Schütze zum Tanzstundenball gehen. Sie ist die ältere Schwester von Nuddle, auf den ich einige Hoffnung als Führer setze. Seine Mutter veranstaltet manchmal Tanzabende in ihrer Wohnung, Was meinst Du, gehe ich hin? Doch ich muss wohl der Mutter den Gefallen tun. Jetzt sind es nur noch drei Wochen, bis ich wieder bei Dir bin.

So lange sei herzlichst gegrüßt von Deinem Wolfgang

Stuttgart, den 4. 7. 53, Mein lieber Wolfgang!

... Ich freue mich, dass Du Deinen Fahrplan ändern konntest. ... Hoffentlich hast Du Dich auf dem Tanzstundenball mit Jutta wohl gefühlt und gut amüsiert Und das nicht nur Nuddles Mutter zuliebe, Du oller Mönch! ... So, für heute mache ich Schluss. Herzliche Grüße, Deine Diethild

Berlin, den 9. 7. 53, Meine liebe Diethild!

... Drück mir bitte am 16. und 17. die Daumen, ich sitze in der Prüfung für die Ingenieurschule, von der viel für mich abhängt. ... Ich machen jetzt Schluss, damit der Brief noch den Nachtbriefkasten kommt und Du ihn vor dem Wochenende hast. ... Ich grüße Dich ganz herzlich, Dein Wolfgang

Am 18. 7. erreichte Wolfgang abends Stuttgart und Sonntag konnte er endlich wieder mit Diethild tanzen. Es war herrlich, dieses wunderbare Mädchen im Arm zu halten. Ganz anders als noch im Frühjahr wusste er, dass er sie nie wieder lassen würde. Und als sie nach dem Tanz vor ihrer Haustür standen, überwand er sich und drückte seine Lippen auf ihren weichen Mund. Wie im Himmel fühlte er sich, als sie ihm liebevoll über die Wange strich. Eine Stunde lief er durch die Nacht, er musste einfach alleine sein. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er ein Mädchen geküsst. Der „Page von Hochburgund“ kam ihm in den Sinn, sie war die Königin seiner Liebe! „Danke, Gott für dieses Mädchen“, flüsterte er vor dem Einschlafen.

München, den 20. 7. 53, Meine liebe Diethild!

Noch sind keine 24 Stunden vergangen, dass wir voneinander Abschied genommen haben. Ich habe über die Notwendigkeit solcher Trennungen nachgedacht und finde, dass sie nötig sind, damit man erkennt, wie viel man sich gegenseitig bedeutet. Mir ging heute den ganzen Tag ein Gedicht durch den Kopf: „Der Page von Hochburgund“ von Börries Freiherr von Münchhausen, ahnst Du, warum?

Meine liebe Diethild, ich möchte Dir noch einmal herzlich für den schönen Tag in Stuttgart danken. Weißt Du, man hat es ja als Junge unheimlich schwer, durch diesen ganzen Wust der Entwicklung hindurch zu kommen, ohne sich Schrammen und Risse zuzuziehen. Da sind Alte und Junge, von denen man wegen seiner Einstellung verachtet und verlacht wird, da sind Mädchen, die im Gegensatz zu der Würde, die man von weiblichen Wesen erwartet, ihre Reize in aufstachelnder Form spielen lassen, und da ist nicht zuletzt der innere Schweinehund, der einem manchmal auch ganz schön zusetzen kann. Deshalb bin ich Dir so dankbar, für Deine Art, für das Bewusstsein, dass Du da bist und mir unsichtbar in diesem Kampf hilfst.

So sei nun vielmals herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang

Ich bin der Page von Hochburgund

und trage der Königin Schleppe.

Heut lachte ihr Mund, heut sprach ihr Mund

auf marmorner Pfeilertreppe:

„Page, was führtest du heimlicherweis’

zum Munde der Schleppe Spitzen?

Page, ich glaube du küsstest leis’

am seidenen Saum die Spitzen!“

Auf meine Knie warf ich mich hin

und bat um Gnade mit Stocken,

da lachte die junge Königin und zauste in meinen Locken:

„Die Heide dampft und die Stute stampft,

zur Strafe – darfst du mit jagen.

Den Falken, der um die Hand sich krampft,

meinen Falken, den sollst du tragen!“

Und wir ritten von dannen, fern blieb das Gefolg’

und ein Lachen lag mir im Blute;

an meiner Seite tanzte der Dolch

und unter mir tanzte die Stute.

Ich bin der Page von Hochburgund,

und trage die weiße Seide;

ich küsste heut’ einer Königin Mund

beim Reiterzug auf der Heide.

Stuttgart, den 22. 7. 53, Mein lieber Wolfgang!

... Ich weiß, dass es für einen Jungen ungleich schwerer ist, anständig zu bleiben, als für ein Mädchen. Deshalb schätze ich Deine saubere Art, in der Du mir gegenüber getreten bist, sehr hoch. Das habe ich bisher noch bei keinem Jungen so erlebt, und deshalb habe ich auch so großes Vertrauen zu Dir. Auch wenn Du von anderen verspottet wirst, darfst Du immer wissen, dass ich Deinen Kampf achte und würdige. ...

Und nun viele herzliche Grüße, ganz allein Deine Diethild

Das Pfadfindertreffen in der Schweiz dauerte zwei Wochen. Um danach die Freundin am Chiemsee zu besuchen, trampte Wolfgang Samstag früh los. Mehr als 600 km lagen vor ihm. Als er Sonntagmittag an Innsbruck vorbeikam, hätte er gerne seine Schwester besucht, doch ihm kam das Bibelwort in den Sinn: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen.“ An die Fortsetzung „und sie werden sein ein Fleisch“, dachte er nicht, das war noch unendlich weit entfernt. Um 20 Uhr erreichte er endlich den Chiemsee und sie hatten sich gefunden. Er hätte Diethild liebend gern wieder geküsst, aber wollte sie das auch? Als er sie verlegen anschaute, blickte sie ihm liebevoll in die Augen und dann auf den Mund. Das war ihr „Ja“ zu ihm, das sie ihm in der feinen Art edler Frauen gab! Er umarmte die geliebte Freundin, presste die Lippen auf die ihren und ohne dass sie es gelernt hatten, spielten ihre Zungen miteinander. Lange und immer wilder wiederholten sie dieses wundervolle Spiel und waren sich einig, nie vorher so glücklich gewesen zu sein. In tiefem Ernst gelobten sie sich Treue, weil sie beide wussten, dass Liebe zwischen ihnen war.

Endorf, den 11. 8. 53, Mein lieber Wolfgang!

... Es war ja so wunderschön, dass Du doch noch gekommen bist. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn ich den ganzen Tag umsonst gewartet hätte. Das mindeste wäre ein Anfall von Idiotie gewesen. Nun muss es aber wieder lange vorhalten! Ich möchte auf keinen Fall, dass Du alles Geld, in einer Stuttgartreise anlegst und Dich meinetwegen so verausgabst, nicht nur geldlich, sondern auch kräfte- und zeitmäßig. Ich behalte Dich immer gleich lieb, auch wenn ich Dich sehr lange nicht sehen kann. Schreib mir bitte recht oft. ... Nun noch viele liebe Grüße, und ich habe Dich ganz schrecklich lieb! Deine Diethild

Berlin, den 14. 8. 53, Mein liebes Mädel!

Zuerst einmal eine ganz große Freude: Ich habe die Aufnahmeprüfung bei der Ingenieurschule bestanden. Ach, ich bin so froh, denn diese Prüfung hat mir ziemliche Kopfschmerzen bereitet. Und eine halbe Stunde später hatte ich dann Deinen lieben Brief in Händen. Da war die Freude vollständig. Ich danke Dir dafür. ... Ich weiß nicht ob es Dir ebenso gegangen ist, mir fiel die Trennung viel leichter als der Abschied vor drei Wochen in Stuttgart. Aber damals war es der Abschluss einiger schöner Stunden, jetzt eine Trennung auf einige Zeit, aber mit dem bestimmten Bewusstsein, dass uns nichts mehr voneinander trennen kann. ... Du schreibst, ich solle mich Deinetwegen für eine Reise nach Stuttgart nicht unnötig verausgaben. Weißt Du, wenn ich komme, ist es nämlich nicht nur, damit Du etwas von mir hast, sondern auch umgekehrt. Wir haben uns lieb und werden uns wiedersehen. Ach könnte ich Dir doch nur sagen, wie sehr ich Dich liebe!

Sei herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang

Berlin, den 23. 8. 53, Meine liebe Diethild!

... In den letzten Tagen habe ich alle Deine früheren Briefe noch mal gelesen. Aber obwohl sie alle notwendig sind als Glieder in einer Entwicklung, atmen sie noch unsere Pfadfinderkameradschaft, wenn sie auch etwas enger geworden war. Dieser Abend in Endorf, dieser wunderbare Abend heute vor zwei Wochen – mir ist, als lägen Monate dazwischen – war ja noch nicht gekommen. Diese Briefe sprechen von diesem und jenem, sie sprechen vielleicht sogar von der Sorge um den anderen, aber sie sagen nichts von unserer Liebe. Und diese wird jetzt über jedem Brief stehen, ja durch sie wird es jedes Mal ein Fest sein, wenn wir wieder einmal zusammen sein dürfen.

Wir beide wissen, dass wir uns gerne haben, dass wir über die Pfadfinderkameradschaft hinaus gewachsen sind. Doch müssen wir auch sehen, dass unsere Liebe noch wachsen und immer stärker werden muss, damit sie allen Bewährungsproben standhält. Ich meine, dass in der Zeit, die vor uns liegt, unsere Liebe immer wieder auf die Probe gestellt werden wird. Eine große Zerreißprobe ist schon, dass wir so weit voneinander entfernt sind, dass wir uns kaum einmal zu Gesicht bekommen. Aber ich glaube, und Du weißt ja, dass mir nichts so fern liegt, wie das Unken, dass dies nicht die einzige Probe bleibt. Erstens werden an jeden von uns Anfechtungen heran treten, die etwas ins Ohr flüstern. Und zweitens wird es Menschen genug geben, die unsere Verbindung verurteilen. Ganz sicher weiß ich, ich habe Dich fest im Herzen. Und ich bin Dir unendlich dankbar, dass Du Dich dafür gegeben hast.

Ich kann heute Abend nichts anderes mehr schreiben, ich kann Dich nur bitten: bete für mich. Es ist so schön zu wissen, dass ein geliebter Mensch für einen betet. Ich tue es für Dich schon lange. Ich weiß nicht, ob morgen Post von Dir kommt, ich schreibe dann noch mal. Heute voll tiefer Liebe Dein, immer Dein Wolfgang

Endorf, den 25. 8. 53, Mein lieber, lieber Wolfgang!

Nachdem ich heute Deinen lieben Brief erhielt, für den ich Dir so dankbar bin, habe ich keine Ruhe mehr, ich muss Dir heute Abend noch schreiben. Ich habe Dich ja so lieb und möchte Dir nie wehtun. Könntest Du doch all die Gedanken empfinden, die immer, immer zu Dir gehen! Es fällt mir doch so schwer, über mein Innerstes zu sprechen und zu schreiben. Weißt Du, es ist alles so nie bisher gekannt, so neu. Eines weiß ich ganz gewiss, dass ich keinen Menschen so liebe oder geliebt habe wie Dich. Ich kann mir auch nichts denken, was mächtig genug wäre, die Liebe zu Dir aus mir heraus zu reißen, solange Du Dir treu bleibst. Und das wirst Du, das glaube ich ganz fest. Und auch Du wirst mir immer unsichtbar zur Seite stehen, wenn ich einmal in eine Versuchung komme.

Ich liebe Dich schon sehr lange, freilich nicht so tief wie heute. Damals hielt mich immer eine Scheu davon ab, Dir einen noch so kleinen Einblick in mein Innenleben zu geben. Ich meine, zu der wahren, echten Liebe gehört doch auch die Sorge für den anderen, die Du als ein Stück Kameradschaft ansiehst. Wer soll denn sonst für Dich sorgen? Ich bin doch in Gedanken immer wieder bei Deinen Problemen.

Wenn ich denke, dass die Zehlendorfer Pfadfinderinnen Dich jeder Zeit sehen können, kann ich nur mit Mühe den Neid unterdrücken. Ich muss wohl noch viel lernen, Geduld zu haben. Ich möchte Dir immer mehr von mir geben, aber ich habe kaum noch etwas, das Du nicht schon besitzt. Dass Du für mich betest, erfüllt mich mit Freude und Dank. Was kann mir noch Schlimmes widerfahren? Der Gedanke daran macht mich ruhig und zuversichtlich. Ich bete auch schon lange für Dich. ... Ich habe Dich immer lieb und bin nur Deine Diethild

Berlin, den 29. 8. 53, Mein liebes Mädel!

Für Deinen Brief zu danken, fehlen mir die Worte. Ich habe ihn immer und immer wieder gelesen, solche Freude brachte er mir. Weißt Du, solche Briefe sind kostbare Perlen. Wenn es aber der Perlen viele gäbe, verlören sie an Wert. Wäre alle Tage Sonntag, wüsste man ihn nicht zu schätzen, aber man liebt sich ja auch die Woche über. Versteh mich bitte recht: Schon die früheren alltäglichen Briefe waren – nur für uns beide erkennbar – Zeugnisse unserer Liebe. Es ist schwer zu sagen, wann ich zum ersten Mal wusste, dass ich Dich liebe. Ich weiß, dass ich früher schon lieber mit Dir tanzte als mit den anderen, ganz bestimmt aber fing ich bei unserem Tanz in Stuttgart Feuer, und klopfenden Herzens hauchte ich zum Abschied einen Kuss auf Deine Lippen. Als Du dann liebevoll meine Wange streicheltest, war ich glücklich. Davon lebte ich bis Endorf, dem Höhepunkt unserer Liebe.

Ich glaube, zur wahren, echten Liebe gehört, dass man sich vollständig kennt, bevor man sich entschließt, ein Leben lang miteinander zu gehen. Und deshalb ist die uns aufgetragene Wartezeit sehr gut. Was weißt Du schon von mir, was weiß ich von Dir? Es gehört sehr viel dazu, sich immer tiefer in das Wesen und die Art des anderen zu versenken, ehe man vor den Altar tritt, um dem anderen auch das letzte, das „Ich“ zu geben. Meine liebe Diethild, hab‘ immer wieder Dank für Deine Liebe. Wenn Du wüsstest, was Du mir damit geschenkt hast.

Ich wünsche Dir weiter alles Gute, ach, wenn ich Dich jetzt nur einmal küssen könnte! In Liebe, Dein Wolfgang

Stuttgart, den 31. 8. 53, Mein lieber Wolfgang!

... Wie Du siehst, bin ich wieder in Stuttgart. Der Heimweg im Auto war wunderschön. Es soll ja Menschen geben, die behaupten, die Welt und das Leben seien nicht mehr schön. Die Armen! Es gibt an der Autobahn so viele, viele Schönheiten zu sehen, und ich habe es sehr bedauert, dass wir mit 120 Sachen daran vorbei gebraust sind. ... Jetzt ist es schon wieder 1 Uhr. Für diesmal viele, viele gute Wünsche für alles, was Du tust, und sei vielmals in Liebe gegrüßt von Deiner Diethild

Berlin, den 2. 9. 53, Meine liebe Diethild!

... Die Tanzstunden gehen wieder los. Denkst Du noch an den ersten Tanzkurs, bei dem Ihr uns auf den Leim gingt, und wo wir dann EMP aus Euch machten? ... Übrigens führe ich die Siedlung Ernst-Moritz Arndt wieder, da sie ohne meine Führung noch schlimmer dahin gedümpelt ist als vorher. Wir wollen einen neuen Anfang versuchen. Kaekke gab mir den wesentlichen Rat: „Versuche Schwierigkeiten nicht selbst zu lösen, sondern besprich sie mit uns. Wir stehen zu dir und können dir helfen oder zumindest raten.“ Da begriff ich, was ich bisher falsch gemacht hatte, aus Unsicherheit hatte ich gemauert. Nun von Herz zu Herz liebe Grüße, Dein Wolfgang

Stuttgart, den 4. 9. 53, Mein lieber Wolfgang!

... Du bist, wie eine Mumie, die vor 10.000 Jahren schief gewickelt wurde, sich aber bis heute weigert, sich wieder gerade wickeln zu lassen. Glaubt doch endlich mal, dass es Eurer Tanzstunde nicht bedurft hätte, dass wir EMP wurden. So unwiderstehlich wart Ihr ja nun auch wieder nicht als Tanzstundenjünglinge. ... In Wirklichkeit bin ich ja gar nicht so aggressiv, aber Du hast mich doch mächtig in Harnisch gebracht. Das musste ich erst mal postwendend abreagieren. Also bitte, nimm mir nichts krumm, ich hab Dich ja so lieb! Deine Lästereien nehme ich natürlich auch nicht ernst, wie ich Dich überhaupt nicht ernst nehme, ... Und nun 1.000 liebe Grüße und gute Wünsche, Deine Diethild

Berlin, den 6. 9. 53, Mein liebes Mädel!

Eigentlich wollte ich Dir ja gar nicht mehr schreiben. Du hast mich nämlich in Deinem letzten Brief schwer gekränkt, weil Du neben meinen Lästereien auch mich nicht ernst nimmst. Zuerst wollte ich gleich in die Krumme Lanke gehen, aber dann fiel mir ein, dass ich ja zu dem Fest gebraucht werde, und so beschloss ich, mich furchtbar zu rächen. Ich holte Jutta Schütze zum Fest ab, um ihr dadurch für ihre Mühe mit meinem Kostüm zu danken. Sie hat es nämlich genäht. Dann flatterte ich von Blume zu Blume wie ein Schmetterling. Aber damit nicht genug. Ich brachte dann Jutta nach Hause. Und heute Nachmittag hatte sie drei Mitschülerinnen da, mit denen ich mich angeregt unterhalten habe. Mutter Schütze plant wieder ein Hausfest mit Tanzabend. Dazu sollen die Mädels kommen und außer mir noch einige Jungen. Du siehst also, dass mich andere ernst genug nehmen.

Wenn ich mir den Brief so durchlese, merke ich, viel „Salz“, viel tiefer Gehalt ist nicht drin. Aber ich glaube, das liegt auch am Thema. Wir werden auch wieder tiefgründigere Briefe schreiben. Ich habe Dich ja immer gleich lieb, und meine Gedanken sind oft, oft bei Dir, Deinem Leben, Deinen Problemen und Deiner Arbeit. Meine liebe Diethild, der Tag und die Briefbogenränder gehen langsam aber sicher zur Neige. Ich grüße Dich von Herzen. Du weißt, wie sehr ich Dich liebe. Alles, alles Gute, Dein Wolfgang

Stuttgart, den 10. 9. 53, Mein Freund und Kupferstecher!!

Jetzt muss ich Dir doch mal die etappenweisen Reaktionen beim Lesen Deines Briefes schildern. Erst nach einer ganzen Weile konnte ich mich für in mein Gemach stehlen und mit schlechtem Gewissen den ersten Satz lesen. Da war ich doch drauf und dran, Dich ausnahmsweise mal ernst zu nehmen. Mein erster Gedanke war: „Du meine Güte, was hab ich da nur angestellt!“ Während der nächsten Stunde schimpfte ich teils auf mich, teils auf Deine scheinbare Empfindlichkeit. Dann erst konnte ich wieder einen illegalen Abstecher machen und die erste Seite fertig lesen. Ich muss sagen, ich war bedient und wollte Dir den Brief postwendend zurück schicken. Mir wurde ganz schlecht angesichts solcher vielen Schandtaten. Aber freu Dich nur nicht zu früh, meinst Du, ich hätte nicht bemerkt, wie froh Du warst, dass Du ein so harmloses Scherzchen von mir dazu gebrauchen konntest, Deine moralisch unmöglichen Ausschweifungen rechtfertigen zu können? Dass Du armer Schmetterling ruhelos von Blume zu Blume irren musstest, lag ja wohl daran, dass die richtige Blume nicht zu finden war. So langsam legte sich dann beim weiteren Lesen Deines Briefes der Sturm im Wasserglas, und ich habe jetzt auch genug geschimpft. Ich freue mich riesig, dass Euer Fest so nett geworden ist, und dass alles geklappt hat.

Nun noch viele liebe Grüße, Deine Diethild

Berlin, den 12. 9. 53, Meine liebe Diethild!

Gestern habe ich mich auf Pfiffis Klassenfest mächtig geärgert: Ich habe nur 20 Tänze mitgemacht, die einzigen, die als Tänze zu erkennen waren, alles andere schrägster Boogie. Leider fehlte auch die Art Mädels völlig, die uns liegt. Entweder waren es trübe, Tassen oder Pöbel. Ich habe mich in der letzten Zeit wohl selten so nach Dir gesehnt, wie auf diesem „Fest“. Draußen war ein herrlicher Sturm. Wenn ich es gar nicht mehr aushielt, ging ich hinaus, und ließ meine Gedanken in die Ferne reiten. Weißt Du, wohin sie ritten?

Mein liebes Mädel, viele liebe Grüße, Dein Wolfgang

Stuttgart, den 14. 9. 53, Mein lieber Wolfgang!

... Dass Pfiffis Klassenfest nix war, tut mir für Euch leid. Ich kann Euch das gut nachempfinden, wie enttäuscht Ihr gewesen seid. Deshalb habe ich ganz still gehalten und weiter gelesen, als Du auspacktest. ... Neulich traf ich den älteren Bruder meiner Mutter, der Gärtner ist. Er ist durch einen Unfall heute noch etwas sonderbar. Ich möchte am liebsten alle Menschen gern haben und ihnen helfen, aber man lebt so schnell aneinander vorbei. Man müsste sich die Ruhe nehmen, sich in den anderen Menschen hinein zu versetzen, dann findet man so vieles, was ihn liebenswert macht. Rein gefühlsmäßig fällt es mir ja nicht bei allen Menschen so leicht, sie zu lieben und zu verstehen wie Dich. Man müsste sich gegenüber anderen Menschen die guten Vorsätze vergegenwärtigen und den Egoismus abstellen. ...

Sei vielmals herzlich gegrüßt von Deiner Diethild

Berlin, den 16. 9. 53, Mein liebes Mädel!

... Ich war sehr froh, dass heute Dein Brief kam, denn gestern Abend war wieder Tanzstunde und irgendwie wirbelt mich solch ein Abend mehr auf, als gut ist. Du schreibst, man müsse alle Menschen gern haben und verstehen, ob sie einem sympathisch sind oder nicht. Gewiss, das ist schwer, aber umgekehrt ist es auch schwierig. Es ist das Problem, dass sich in einem, wenn man einer sympathischen jungen Dame gegenüber tritt, immer wieder der Eros meldet. Das geht mir erst so, seit ich mit Dir zum ersten Mal ein weibliches Wesen erkannt habe.

Mein Mädel, wenn alles gut geht, komme ich im Oktober mal übers Wochenende – mit einem geliehenen Motorrad. Ich halte es einfach nicht mehr aus, noch 2½ Monate zu warten. Drück beide Daumen, die Sache ist sehr unbestimmt.

Nun alles, alles Gute und viele liebe Grüße, Dein Wolfgang

Stuttgart, den 21. 9. 53, Mein Lieber!

... Ich muss Dir etwas sagen, was sicher hart für Dich ist. Schlage Dir die Sache mit deinem Besuch im Oktober bitte aus dem Kopf! Freilich wäre es schön, wenn wir uns so bald wieder sehen könnten. Aber sieh, es liegen noch mindestens drei Jahre vor uns, die wir getrennt verbringen müssen. Da müssen wir sehr stark und tapfer sein, wenn es auch schwer ist. Und was soll aus uns werden, wenn Du es jetzt schon nach sechs Wochen nicht mehr aushältst? Je länger und tiefer wir uns lieben, desto stärker wird in uns die Sehnsucht, und wir dürfen nicht nachgeben, wenn wir auch meinen, es nicht mehr aushalten zu können. Ein anderer Grund ist, dass Dein Studium jetzt wirklich vor allem geht. Ich freue mich ja so, dass Du im Oktober anfangen darfst. Du brauchst Deine ganze Zeit und Kraft für den Start, und durch Deine abendliche Nebenarbeit wirst Du schon mehr als genug abgelenkt.

Ich bitte Dich, glaube nicht, ich wollte Dich nicht hier haben! Sondern gerade, weil ich Dich so lieb habe, möchte ich Dir Enttäuschungen und Verluste fern halten. Wenn Du erst von einer geordneten Tätigkeit gefesselt wirst, wird Dir die Wartezeit auch kürzer erscheinen, bis wir uns wiedersehen. Für dieses Mal viele gute Wünsche und herzliche Grüße, auch an das übrige Volk, In Liebe, Deine Diethild

Berlin, den 27. 9. 53, Meine liebe Diethild!

Hab vielen, vielen Dank für Deinen lieben Brief. Ich muss schon sagen, ich war erst mal geklatscht, als ich ihn gelesen hatte. Nicht vor Ärger oder Enttäuschung, nein, weil ich mich schämte. Mit meinen eigenen Worten hast Du mir das gesagt, was nötig war: Unsere Liebe muss immer tiefer und stärker werden, deshalb dürfen wir nicht nachgeben. Jetzt, wo Du mir geschrieben hast, ist es auch leichter zu warten, aber ich habe manchmal so Stimmungen, wo ich wirklich denke, es geht nicht mehr. Ich kann mir denken, wie schwer es Dir geworden ist, das zu schreiben, und weil Du so viel tapferer bist, will ich auch folgen. Also: Hab Dank, dass Du mir das so offen geschrieben hast. ... Ich bin ja gespannt, wie die Schule wird. Was werden mir diese 3 Jahre bringen? Es ist alles offen, aber ich mache mir absolut keine Sorgen. Pass auf, in drei Jahren wundern wir uns, wie schnell die Zeit herum ist.

Nun sei von Herzen gegrüßt von Deinem Wolfgang

Stuttgart, den 1. 10. 53, Mein lieber Wolfgang!

Nun hast Du ja den Start ins Studium schon hinter Dir. Da bin ich in Gedanken bei Dir und hoffe, dass alles klappt. ... Heute erhielt ich einen Brief von Tina, den ersten aus Kleinmachnow. Und nun habe ich ein Attentat auf Dich vor: Tina wohnt doch in der DDR und kann daher nicht so frei erzählen. Kannst Du Dich nicht mal mit ihr treffen? Bei der Gelegenheit würdest Du dann auch meine beste Freundin kennen lernen. Für den Fall, dass es klappen sollte, muss ich Dir noch eine Warnung geben: Tina knackt mühelos die Herzen von Chefs, Kollegen, Nachbarsbuben. Also, Vorsicht ist geboten, wenn meine Wäsche schön trocken bleiben soll. ... Sei nun recht herzlich gegrüßt und wisse, dass ich Dich immer lieb behalte. Mit vielen guten Wünschen, Deine Diethild

Berlin, den 8. 10. 53, Meine liebe Diethild!

Wenn Du doch wüsstest, wie sehr ich mich jedes Mal über Post von Dir freue! Aber Du weißt es ja! Vielen herzlichen Dank für den letzten Brief. ... Nun gehe ich schon eine Woche zur Schule. Es ist ganz interessant, so eine Mischung zwischen Universität und Oberschule, halb Vorlesung, halb Schulbetrieb. Ich bin ja weiter gespannt. ... Über Deine Warnung vor Tina habe ich herzlich gelacht. Weißt Du, ich spiele eigentlich ganz gerne mit dem Feuer. Ich bin jedenfalls bannig gespannt auf das „Herzen knacken“. Sie müsste dann ja noch ein gut Teil raffinierter vorgehen, als Du es getan hast. Mein liebes Mädel, sei ganz herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang.

Stuttgart, den 12. 10. 53, Mein Lieberle!

Gelt, so lange hast Du schon lange nicht mehr auf Nachricht von mir warten müssen, doch jetzt muss ich erst mal meine Zentnergewichte von der Seele rollen: Gestern hat mich ein verflossener Klassenkamerad besucht, das war ein bisschen gemischt für mich. Erst haben wir von daheim erzählt, aber dann wurde er komisch und wollte mich küssen, da habe ich mich mit Händen und Füßen gewehrt, worauf er mich eine Kratzbürste nannte. Gelt, ich bin keine? Dann erklärte er mir, dass ich ihm mehr als andere bedeute. Ich fiel aus allen Wolken. Er hatte mir immer von seiner Freundin in Kleinmachnow erzählt, was mich unheimlich beruhigte. Ach, was bin ich doch für ein dummes kleines Mädchen. Als ich sagte, dass ich schon vergeben sei, machte er mir Vorwürfe, dass ich das nicht gleich gesagt habe. Ich kann ja wohl nicht gleich sagen: „Grüß Gott, komm mir nicht zu nahe, ich habe einen Freund!“ Aber erwähnt habe ich Dich immer wieder im Gespräch. Ich glaube auch, ihm in nicht anders entgegen gekommen zu sein, wie eben alten Schulkameraden. Wie bin ich doch froh, dass ich weiß, ich gehöre zu Dir und keinem anderen. Dadurch bleibt mir die Entscheidung erspart, ob ich ihn lieben kann oder nicht, was mir wegen des Mitleids Kopfzerbrechen machte. ... Nun sei von Herzen gegrüßt und lass Dir sagen, dass ich Dich immer lieb habe trotz aller Schulkameraden und sonstigem Geziefer. Viele gute Wünsche für Schule und alles andere, Deine Diethild

Berlin, den 14. 10. 53, Meine liebe Diethild!

Was ich Dir jetzt schreibe, passt wie die Faust aufs Auge zu Deinem letzten Brief. Ich weiß nicht, was mich damals, zwei Wochen nach Endorf zu den Worten veranlasst hat, unsere Liebe werde noch durch manche Stürme gehen. Das war jetzt auch bei mir der Fall:

Im Tanzkurs spielt ein Mädel eine wichtige Rolle, nämlich die „Tanzlehrerin“ Ingrid Heller, Alter ca. 18 Jahre. Sonntag ging ich mit ihr aufs Oktoberfest im Zoo. Wir fuhren zusammen Achterbahn, Schiffsschaukel und Flugsalto. Nach vier Stunden fuhren wir nach Hause, da meinte sie, es sei direkt wohltuend, mal mit einem Jungen zu gehen, der ihr nicht irgendwie zu nahe trete. Äußerlich war ich wohl so korrekt, aber in mir brannte es lichterloh und für den Kilometer von ihrer Wohnung bis zur Juttastraße brauchte ich 1½ Stunden. Selbstverständlich warst Du auch noch da, aber eben dieser Kampf in mir, der Eindruck, den dieses Mädel auf mich gemacht hatte und die Liebe zu Dir quälten mich sehr. Wir haben uns doch Liebe und Treue versprochen, wie konnte mich dann schon nach einem harmlosen Abend ein anderes Mädel beeindrucken? ... Aus Verzweiflung las ich alle Deine Briefe noch einmal. Du hattest geschrieben, dass Du keinen Menschen so liebst wie mich und fest glaubst, dass ich mir treu bleibe. Da war dann plötzlich alles wieder im natürlichen Licht, Du standest vor mir und ich wusste, dass ich nur Dich liebe. Der Nachmittag mit Ingrid war eine nette Episode.

Ich glaube, solche Versuchungen sind notwendig und werden nie aufhören, nur stärker werden. Sehr gut ist da die volle gegenseitige Offenheit, denn dafür schließen sich ja zwei liebende Menschen zusammen um sich gemeinsam in dieser Welt zu behaupten. Mein liebes Mädel, ich liebe Dich von ganzem Herzen, und weiß, dass nur wir zusammen gehören. Sei vielmals gegrüßt und herzlich geküsst von Deinem Wolfgang

Stuttgart, den 16. 10. 53, Mein lieber Wolfgang!

... Du, ich bin Dir ja so dankbar, dass Du mir so offen über Deine innerlichen Nöte schreibst. Ich kann Dir gut nachfühlen, wie Dir während dieser Tage zumute war, soweit das eine Frau überhaupt nachfühlen kann. Ach, ich bin ja so froh und dankbar, dass Du über diese Versuchung Herr geworden bist, und ich will für Dich beten, dass Gott Dir immer neue Kraft gibt. Wenn es wieder über Dich kommt, dann schreibst Du mir, und dann will ich versuchen, Dir zu helfen. Ich habe Dich ja so lieb! Für heute lass Dich tausendmal herzlich küssen und Dir’s gut gehen! Deine Diethild

Berlin, den 22. 10. 53, Geliebtes Mädel!

... Dienstag schnitt ich mit Ingrid Tonbänder für den Tanztee morgen Abend. Dabei meinte sie, ich würde wohl nicht alleine mit einem Mädel tanzen gehen. Ich erzählte, dass ich es in Westdeutschland schon getan habe, worauf sie staunte. Ich habe jetzt das Gefühl, dass ich ihr nicht gleichgültig bin. Ich benehme mich korrekt und aufmerksam wie jedem Mädel gegenüber, glaube aber, dass das auch schon genügt. Kannst Du mir einen Rat geben? Du weißt doch besser mit dem Innenleben verliebter Mädchen Bescheid. ...

Mein Mädel, Du weißt, wie sehr ich Dich liebe. Sei von Herzen gegrüßt, Dein Wolfgang

Stuttgart, 25. 10. 53, Mein lieber, lieber Wolfgang!

... Wenn Ingrid jetzt anfängt, Feuer zu fangen, ist die Sache schon schlechter. Aber ich glaube, man kann sie nicht davon abbringen, solange sie glaubt, Du seist noch „zu haben“. Einerseits ist es ja dumm, wenn Du es ihr sagen musst, aber ich sehe keine andere Lösung, als ihr Klarheit zu schaffen. Trotzdem musst Du selbst am besten wissen, ob es wirklich schon gefährlich ist bei ihr. Wenn sie nämlich nur kameradschaftlich zu Dir steht, verletzt Du sie, wenn Du ihr andere Gefühle „unterschiebst“. ... Nun sei recht herzlich gegrüßt und mit guten Wünschen berieselt, In Liebe, Deine Diethild

Berlin, den 31. 10. 53, Mien seute Deern!

... Ingrid gegenüber konnte ich jetzt ein wenig Klarheit schaffen. Ich ging mit ihr in die Oper (Orpheus und Eurydike – wie gerne wäre ich mit Dir gegangen!). Auf dem Heimweg sagte ich: „Ihr nehmt diese Dinge zu ernst. Ich habe in der letzten Zeit etwas mehr mit dir unternommen, als mit den anderen. Wenn Du das aber ernst nimmst, muss ich damit aufhören“. Da bräuchte ich keine Angst zu haben, war ihre Antwort.

Der Klatsch des Arndtkreises spricht von dem „Verhältnis“ zwischen Ingrid und mir. Die Sache kommt von zwei Arndtkreismädeln, die sich so dämlich benahmen, dass Klaus sie rausschmiss. Ich werde die beiden mal etwas bezirzen. Sei ganz herzlich gegrüßt und in Liebe geküsst, Dein Wolfgang

Stuttgart, den 4. 11. 53, Mein lieber Freund!

... Weißt Du, ich glaube, es ist nicht die richtige Art, Mädchen erst weich und dann zu Pfadfinderinnen zu machen. Wenn das so ist, will ich nie eine gewesen sein, weil dieses programmmäßige „Becircen“ in meinen Augen eine unlautere Sache ist. Du weißt, ich will gar nicht, dass Du Dein Dasein irgendwie mönchisch führst. Aber ich finde, es ist nicht Deine Aufgabe als Pfadfinder, derart Anhänger für die Pfadfinderei zu suchen. Vielleicht sehe ich die Dinge auch etwas sehr krass, aber ich kann ja nur nach Deinen Briefen und nicht nach meinem Urteil gehen. Also schreib mir doch bitte, wenn es nur halb so gefährlich ist, damit ich mich nicht unnötig zermartere. ... Nun viele herzliche Grüße und Wünsche an Dich, mein Lieberle, Deine Diethild

Berlin, den 6. 11. 53, Meine liebe Diethild!

... Meinst Du wirklich, es entspricht auch nur im Geringsten unserer Art, Mädel zu becircen, um sie zu Pfadfinderinnen zu machen? Wenn Du das allen Ernstes aus meinen Briefen heraus gelesen hast, muss ich mich dümmer ausgedrückt haben, als die Polizei erlaubt!

Zwei Dinge haben wir allerdings schon immer mit den Tanzstunden verfolgt:

a) Unseren Jungen anständige Mädel zu zeigen, weil sie sonst kaum Gelegenheit haben, sich um die Geschöpfe mit den langen Haaren zu kümmern.

b) Den Mädchen den pfadfinderischen Gedanken nahe zu bringen, weil wir der Ansicht sind, dass unser Volk auch solche Frauen braucht, die nicht bloß in einem lahmen Bibelkreis aufgewachsen sind.

Gerade mit dieser Haltung würde es sich aber nicht vertragen, wenn wir den Mädchen den Kopf verdrehten. Ich glaube, es ist auch deutlich aus meinen Briefen hervor gegangen, dass ich, wo Ansätze davon auftraten, mich stets bemüht habe, ganz schnell zu bremsen. Entschuldige bitte diese klaren Worte, die meiner Liebe zu Dir keinen Abbruch tun sollen.

Viele herzliche Grüße, Dein Wolfgang

Landstuhl, den 18. 11. 53, Mein lieber, lieber Wolfgang!

Soeben komme ich vom Bach-Konzert. Das ist das größte Erlebnis meines Urlaubs hier. Lange schon habe ich mir gewünscht, wieder so etwas mit zu singen, und jetzt nach zwei Jahren hat es geklappt. Wir sangen u. a. die Kreuzkantate, den Schlusschoral aus der Matthäuspassion und „Wachet auf, ruft uns die Stimme“.