Letzte Ausfahrt Giesing (eBook) - Leonhard M. Seidl - E-Book

Letzte Ausfahrt Giesing (eBook) E-Book

Leonhard M. Seidl

4,8

Beschreibung

Ich glaube, München ist eine Hose mit Bügelfalten, bei der jemand den Schlitz offen gelassen hat. Da musst du schauen, wo du bleibst. Er ist geradlinig an der Grenze zur Unverschämtheit, ehemaliger Polizist und ein echter Münchner. Seit Neuestem außerdem: Privatdetektiv; im Fernlehrgang absolviert. Beste Voraussetzungen für Valentin Gaukler, um sich eines seltsamen Falles anzunehmen, bei dem der Sohn einer Freundin Zeuge wird und anschließend verstummt. Bei seiner Recherche stößt der scharfzüngige Privatdetektiv zunächst nur auf eine Mauer des Schweigens. Doch dann folgen eingemauerte Leichen: Die Gentrifizierung in München fordert ihre Opfer. Dass er bald eigene Leichen im Keller liegen hat, ist da noch das geringste Problem …

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Letzte AusfahrtGiesing

 

 

Kriminalroman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage Februar 2014)

 

© 2014 by ars vivendi verlag

GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Stephan Naguschewski

Umschlaggestaltung: ars vivendi verlag unter Verwendung einer Fotografie von Rookie10/photocase.com

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-450-5

 

Wir betreten die Nachtseite der Vernunft.

Es wird dreckig.

Hör auf zu lesen, bevor du kotzt.

Jammer nicht rum.

Hab dich gewarnt.

 

1

Ich bin Valentin. Valentin Gaukler.

Bulle. Geschasster Bulle. Rausgeschmissen. Angeschissen.

Wegen einer Kleinigkeit – das könnt ihr mir glauben. Ich lüge nicht. Lügt ein Bulle? Nein, ein Bulle lügt nicht.

Größe 1.83, Alter 39, Gewicht 81 Kilo. Ach ja: Halsweite 41, Slipgröße 6 und Schuhgröße 43.

Dass ich meine blonden Strähnen beim Figaro immer wieder mal mit Locken aufmotzen lasse, geht keinen was an. Manche Girls sagen, ich gleiche dem frühen Robert Redford.

Falsch ist nicht, dass er immer sagt, was er denkt. Valentins Fehler ist, dass er denkt, was er sagt. Aussage meines Vorgesetzten auf der Dienststelle.

Idiot.

Ihr wollt wissen, wie es war, damals, vor eineinhalb Jahren, als mich die Polizei rausgeschmissen hat?

The rest of the story?

Von mir aus. Aber sagt nachher nicht, ihr hättet nix gewusst.

Ich hatte einen Partner. Rothaarig. Ich hasse rothaarige Partner. Schon immer. Aber gut. Man soll auf Minderheiten nicht rumhacken.

Rudi Mangold, so hieß er, war mit mir unterwegs. Wir alle auf der Schicht sagten Weißgold zu ihm, weil er rote Haare hatte – klingt nicht unbedingt logisch, ist aber so.

Als das Handy sang, waren wir auf unserem Rundgang am Sendlingertorplatz in München. Eine Ecke in der Innenstadt, wo immer was los ist.

Wir standen direkt vor dem Vodafone-Laden. Drinnen war es dunkel. Jedenfalls dachte ich, es sei dunkel.

War es aber nicht. Eine Taschenlampe funzelte. Meine grüne Swatch zeigte mir halb zwei. Morgens.

Weißgold sagt ins Handy, wir stehen schon davor. Vor dem Laden.

Ich sag, was ist los mit dem Laden?

Bruch, sagt Weißgold.

Ich seh das Loch in der Scheibe, die Eingangstür ist aufgehebelt. Drin funzelt die Taschenlampe. Der Kerl hat vielleicht Nerven.

Wer geht rein?, frag ich.

Du, sagt Weißgold, und ich geh rein, die Knarre im Anschlag.

Drin steht der Augendübler und grinst mich an.

Was machstn du hier?, sagt er.

Lächelt mir ins Gesicht. Ich kann seine Fahne bis ins Stammhirn riechen.

Hau ab, sagt er, ich arbeite hier.

Du arbeitest bald woanders, sag ich und wedle mit der Knarre.

Er wirft mir eine protzige Anlage der Telekom ins Gesicht und einen Karton mit Samsungs hinterher. Ich weiche aus.

Dann kommt ein Geschenkset mit einem Galaxy-S4 für die Kids angesegelt. Trifft mich in die Eier. Ich geh in die Knie. Die Knarre bleibt in meiner Hand.

Hör zu, Redford, sagt der Augendübler. Ich zahl dir 200, wenn du mich in Ruhe lässt.

Ich sag, und mein Kumpel draußen? Was ist mit dem? Der wird schon ganz unruhig!

Dein Kumpel geht mich einen Scheißdreck an, Bulle.

Er schmeißt zwei Scheine hin und rennt hinaus. Ich starre auf die Scheine und höre den Schuss. Den Augendübler hats am Ohr erwischt.

Weißgold hätte fast danebengeschossen. War nie ein besonders guter Schütze. Weißgold lag immer unter der Norm.

Ist ja auch egal.

Jedenfalls trifft er den alten Augendübler am linken Ohr. Ist für ein paar Sekunden taub.

Orientierungslos.

Rennt auf die Straße, während ich die Scheine wegstecke. Nix dabei für Weißgold, den miserablen Schützen. Wär ja noch schöner.

Ich lass mir die Galaxy in die Klöten schmeißen, und Weißgold kassiert die Hälfte meines Ruhegeldes?

So läuft das nicht.

Reifen quietschen. Der Augendübler ist in eine Pizzaladung gelaufen.

Der Punto stellt sich quer. Vergisst die Fahrbahn, schlingert über den Gehsteig, kommt schräg, kippt in Zeitlupe. Kotzt Pizza Margherita, Pizza Salami, Pizza Irgendwas.

Alles aufs Pflaster. Um 2.00 Uhr früh. Die Stadtstreuner rennen hin und prügeln sich um den Itakerdreck.

Der Augendübler liegt auf der Straße. Hält sich die Lauscher. Schreit nach Mutti. Ist aufs Hirn gefallen.

 

So war das. Der Augendübler hat ausgepackt, als sie ihn vom Asphalt kratzten. Er sagte, ich hätte immer pünktlich mein Ruhegeld gekriegt. Bar auf die Kralle. Damit er in Frieden arbeiten kann. Und jetzt das.

Wo führt das hin, wenn nicht einmal den Langfingern zu trauen ist?

Was sollte ich sagen?

Der Augendübler konnte zwar nichts beweisen, oder glaubt ihr wirklich, ich wäre so bescheuert gewesen, ihm auch noch eine Quittung für seine halbseidenen Alimente zu geben?

Es reichte auch so. Sie hatten mich am Arsch.

Als der Augendübler von Schmerzensgeld für eine geringfügige Verletzung, die er mir angeblich zugefügt hatte, faselte, überprüften die Säcke mein Konto bei der Bank. War ja nicht bloß die Kohle vom Augendübler, was sich da angesammelt hatte. Leg dein Geld niemals bei einer deutschen Bank an, Kumpel. Lauter Halunken.

Man fand das teure Fotolabor in meiner Bude. Der neue BMW stand vor der Tür.

Da wussten sie Bescheid.

Ich war raus. Ich war nicht nur raus. Ich war sozusagen rausraus. Dafür ist der Augendübler noch immer im Knast.

Beinah wär ich ihm gefolgt.

 

Und Weißgold?

Weißgold bekam einen neuen Partner. Das Leben ändert sich nicht. Nur dich. Nur dich ändert das Leben.

So ist das.

Weißgolds neuer Partner stinkt aus dem Maul. Hat mir Weißgold erzählt. In der Kneipe, wo ich jetzt arbeite. Hatte so einen wehmütigen Zug um den Mund, der Weißgold. Wird ihm wohl bleiben.

Was soll ich machen?

Ich musste die Mücken einfach nehmen. Ich glaube, München ist eine Hose mit Bügelfalten, bei der jemand den Schlitz offengelassen hat. Da musst du schauen, wo du bleibst.

Das Schmerzensgeld war erstunken und erlogen. Der Augendübler hätte mich nie erwischt, die alte Trantüte. Bin schneller als er. Meine Beinarbeit ist erstklassig. Meine Uppercuts sind tödlich.

 

2

Jedenfalls residiere ich jetzt im Blauen Ochsen.

Zweites Nebenzimmer rechts, neben dem Pissoir.

Admiralstraße 34, Untergiesing.

Bürgerliche Gegend. Ruhig. Jedenfalls am Tag. Nachts wirds laut. Aber das stört mich nicht.

Hab einen Fernlehrgang zum Privatdetektiv absolviert. Darf wieder eine Knarre tragen.

Ich liebe das Leben.

Hab einen Ausweis und einen Schlapphut.

Zu Sherlocks Pfeife hats nicht gereicht.

Rauche noch immer Salem ohne, die in der grünen Packung. Vermächtnis von meinem Alten. Der rauchte auch Salem ohne. Starb früh. Nicht am Lungenkrebs. An einem Hühnerknochen.

So war das.

Jetzt hocke ich hier am Schreibtisch. Vor mir das Handy. Daneben der Block mit Stift. Der Block ist leer, der Stift ist voll. Aufträge Fehlanzeige. Man muss Geduld haben.

Einen ganzen Container Geduld.

Neben dem Block steht eine Plastikvase mit drei Nelken aus Bast. Weihnachtsgeschenk meiner Tante. Tante Josefine hat mich gesponsert. Als es bei der Polizei mit der Kohle noch nicht lief.

Tante Josefine aus Unterunsbach ging vor einem Jahr über den Jordan. Gott hab sie selig. Die Unterstützung blieb aus. Zeit für den Augendübler und Konsorten. Den Rest kennt man.

Neben der Plastikvase steht ein trübes Glas Kamillentee. Gegen mein Halsweh. Kennt ihr dieses kratzende, schmierende Gefühl direkt hinter der Zunge? Es nervt. Es nervt so, dass ich dem Kamillentee immer etwas Bauerntrank beifüge.

Nicht viel.

Die Dosis macht das Gift. Bauerntrank ist meine Medizin. Billig und schnell. Hat knappe siebzig Umdrehungen. Durchsichtig wie Quellwasser. Guter Stoff. Hilft auch bei Depressionen. Aber davon werde ich selten geplagt. Ich stehe positiv im Leben. Hab ich von Mutti.

So schnell wirft mich nix um.

Freundin hab ich keine. Warum, sagt Weißgold, soll ich eine Kuh kaufen, wenn mir ein Liter Milch genügt?

 

Ludwig reißt die Tür auf.

Ludwig reißt immer die Tür auf. Ludwig ist der Wirt vom Blauen Ochsen. Netter Kerl. Etwas breithüftig. Hustet viel. Liegt an der Weißen Eule, diesem gottverdammten stinkenden Zeug.

Ich sag, warum reißt du die Tür so auf? Das geht doch leiser auch.

Er sagt, schau mal auf die Uhr.

Ich schau auf die Uhr. Halb zehn. Die Bude brummt. Ich ahne, was Ludwig will.

Ich sag, Küche oder Gäste?

Küche, sagt er und prügelt die Tür in die Angeln, dass die Plastikvase kippt.

 

Bis 4.00 Uhr morgens stehe ich in der Küche. Teller rein in den Spülautomaten, Teller raus aus dem Spülautomaten. Zweimal verbrenne ich mir die Pfoten, weil ich nicht warten kann. Teller rein in den Spülautomaten. Teller raus aus dem Spülautomaten.

Rein raus rein raus.

Wisst ihr, wie das ist?

Altes Bratfett in der Nase.

Ludwig brüllt.

Der Koch schimpft mit der Salaterin.

Ich steh an der Maschine. Teller rein und Teller raus.

Prima Leben! Aber in jedem Leben fällt mal Regen.

 

Um zehn nach vier kommt Ludwig zu mir und sagt, da sitzt eine draußen. Die will was von dir.

Ich sag zu ihm, Kundschaft? Er zuckt mit den Schultern. Ich sag, soll morgen wiederkommen.

Er schmeißt sie raus.

Es ist nach fünf, als ich mich in die Koje haue. Im Blauen Ochsen, zweites Nebenzimmer rechts. Admiralstraße 34 in Untergiesing.

Ruhige Gegend, wie gesagt.

 

3

Um drei nach sieben singt das Handy sein beschissenes Lied. Ich öffne ein Auge. Öffne das zweite. Prügle den Wecker an die Wand.

Das Handy singt.

Ich tippe auf den Knopf und melde mich. Verdammter Mist. Das ist Nudel. Der hat mir gerade noch gefehlt.

Nudel heißt Helmut Sikora und läuft mit weißem Schal und schwarzem Mantel durch die Gegend. Auf seinem Kopf sitzt ein alter, weißer Hut, und unter den Augen wohnen Tränensäcke, so groß wie Teebeutel. Der Nudel ist Schriftsteller. Seit zweiunddreißig Jahren ist der Nudel Schriftsteller.

Hey, Vali, wie gehts denn sooo?, säuselt er. Dabei tönt sein o wie das Echo vom Königssee, mit einem leichten Schwung nach oben: Wie gehts denn soooi?

Und ich, die Mütze voller Schlaf: Bist du verrückt, Mann, mich mitten in der Nacht anzurufen?

Er redet dagegen, ich sags dir, es ist eine Sensation.

Mich drückt die Blase. Ich leg das Handy ab, geh aufs Klo. Giftgrüne Pisssteine beglotzen meinen Schwartenmichl.

Wie ich zurückkomme, feixt der Nudel noch immer wie ein Mönch beim Wichsen.

Zurzeit arbeitet er an der Kulturgeschichte der Spaghettinudel. Zuvor warens die Tagliatelle, die Bandnudel, die Schmetterlingsnudel und die chinesische Glasnudel.

So weit zum Nudelschriftsteller.

Er lebt von Klara Imhof. Sie war Näherin bei Karstadt. Kürzte Hosen und Röcke und anderes Zeug und säumte sie ein.

War lang arbeitslos.

Mit ihrem Ersparten hat sie unten im Haus ein Nagelstudio eröffnet. Läuft zäh. Untergiesing ist die falsche Gegend für so was.

Der Nudel sagt das auch. Aber er ist halt ein ewiger Nörgler.

Ungefähr zweimal die Woche zieht Klara Imhof aus der gemeinsamen Wohnung im 3. Stock aus, weil der Nudel keine Nudeln isst.

Er sagt, er forscht zwar über Nudeln und alles, was damit zusammenhängt, aber essen tut er sie nicht.

Nudeln machen dick.

Ein dicker Dichter ist dem Nudel ein Graus.

Das lässt Klara nicht gelten. Bevorzugt am Sonntag versucht sie dem Nörgler eine Teigwarenkreation unterzujubeln. Das geht jedes Mal schief, denn der Nudel riecht den Braten und verweigert die Nahrungsaufnahme. Darum schaut er auch drein wie Rasputin nach der Mauser. Dürr und halbgar, ausgefranste Haare bis zu den Schultern.

Und rostige Zähne. Grantig, unzufrieden und elend arbeitsscheu.

Das eigentliche Problem ist Klaras Sohn Friedrich Karl Alexander, Kurzform Frika, der unbedingt Trompeter werden will.

Die Trompete ist eine Kindertrompete, aber der Lärm, den Frika damit veranstaltet, übertönt ein ganzes Blasorchester.

Frika ist ein lieber, aber eigenwilliger Bub. Tagelang bleibt er verschwunden. Klara wird verrückt mit ihm. Frikas rechter Arm ist verstümmelt. Er endet knapp unter dem Ellenbogen. Es gibt keinen Unterarm, keinen Handballen, keine Finger. Für einen kräftigen vierzehnjährigen Burschen ist das grausam und unverständlich. Klara sagt, bei Frikas Geburt ist was schiefgelaufen. Ein Assistent in der Klinik hat dem Säugling die Hand abgerissen. Seitdem ist Frika ein Krüppel.

Weil der Bub Trompeter werden will, ist Klara Imhof von Pontius zu Pilatus gelaufen, um Geld für eine Prothese aufzutreiben. Vor knapp vier Monaten hatte sie das Geld zusammen und konnte den Kunstarm kaufen. Obwohl die Prothese eine Arme-Leute-Version ist, trägt Frika das Teil wie eine Trophäe und zeigt es jedem.

Frikas Mutter ist eine wahre Kämpfernatur. Schwarzes Haar, üppige Figur, großer Busen und breite Hüften. Immer ein Lächeln auf den Lippen. Ihre Stimme ist etwas laut, aber das kommt von Frika und dem Nudel, der nie zuhört, wenn sie was sagt. Klara Imhof ist ein Klasseweib und nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel.

Eine von uns.

Kommt es hart auf hart, ist sie da.

 

4

Dem Nudel ist das alles wurscht. Frika ist nicht von ihm. Er mag den Buben nicht. Der stört ihn bei der Erschaffung seines Nudelwerkes. Ist Frika laut, muss er in den Keller. Mitsamt der Trompete. Es kommt vor, dass der Nudel ihn vergisst. Klara muss den Buben aus seinem Gefängnis holen.

Das gibt jedes Mal Ärger. Denn Frika ist Klaras Ein und Alles. Der Nudel ist mit Klara nur deshalb zusammen, weil er ihr Geld braucht. Klara schafft mit ihrem Nailshop die Kohle ran, und er lebt davon. Ich glaube, der Trottel ist nicht mal krankenversichert.

Indes arbeitet er unbeirrt am Katalog samt Index zur Sandnudel der australischen Aborigines. Inzwischen ist er auf Seite 812 angelangt. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Leo Birnbaum ist öfter bei Klara, will sie unbedingt dazu bringen, mit Frika zum Vertrauenslehrer zu gehen. Birnbaum selber ist der Vertrauenslehrer, aber er will mit Klara direkt in der Schule reden. Das ist mehr offiziell, sagt er.

Ich glaub ihm das, Klara leider nicht.

Der Nudel quatscht noch immer.

Was denn für eine Sensation, sag ich, und er, hast du gewusst, dass die Nudel in ihrer Urform sogar aus Senf hergestellt werden kann?

Mich interessiert das nicht, und ich sage, das interessiert mich nicht.

Siehst du, Vali, siehst du, nörgelt er dazwischen.

Was soll der Scheiß mit dem Senf um 7.00 Uhr morgens?

Er lässt nicht locker.

Wissen, mein lieber Valentin, Wissen richtet sich nicht nach der Uhrzeit. Wissen ist allgegenwärtig. Und ich sage dir noch etwas, Bruder im Geiste …

Ludwig reißt die Tür auf. Brüllt was vom alten Birnbaum, der draußen wartet. Bevor er die Tür wieder zudreschen und ich endlich in meine Hosen hüpfen kann, steht Leo selber da.

Ludwig sieht ihn mit dieser ihm eigenen lässigen Verkniffenheit an, wendet sich ab und drischt die Tür ins Schloss.

Ich sage dir, die Nudelwelt wird das Nahrungsgewerbe revolutionieren. Revolutionieren, mein Freund. Und weißt du auch, warum?

Hör zu, Nudel, ich habe Besuch.

Wer ist es, Vali? Lass mich raten. Ist es Frauke? Hast du gewusst, dass die alte Schnepfe über fünfzig ist und ein künstliches Hüftgelenk hat? Hast du das gewusst, Valentin? Schmeiß die Mistfliege raus. Dies hier ist ein literarisches Gespräch. Da haben die Triebe zu schweigen.

Mein Blick fällt auf Birnbaum, der auf der Bettkante hockt und herunterzurutschen droht. Wilde Verzweiflung bricht aus seinen Augen.

Ich beende das Gespräch und schnaufe durch. Der Tag wird lang, das kenne ich. In spätestens zehn Minuten ist der Nudel da, um mir von Angesicht zu Angesicht den Rest der Senfnudel um die Nase zu winden. Der Nudel ist einfach ein übler Typ.

Valentin, es ist eine Katastrophe passiert, sagt Leo mit Grabesstimme.

Leo Birnbaum, der gute alte Leonhard Birnbaum, Lehrer an der hiesigen Brems-Gotthardt-Grundschule, erster und zweiter Bubenjahrgang, zwickt die Augen zusammen. Leo ist knapp sechzig und wirds nicht mehr lang schaffen. Die Kids machen ihn fertig. Er hat den großen Burn-out. Ist längst reif für die Insel.

Eine geradezu kriminelle Wut steigt in mir hoch, wenn ich ihn da sitzen sehe. Irgendeine Sauerei ist passiert, und Leo Birnbaum, ein Weltklassemann in Deutsch und Musik, weiß sich nicht mehr zu helfen.

Ich hocke mich zu ihm und sag so ruhig, so ruhig es halt geht:

Was ist los, Leo?

Du glaubst nicht, was ich heute früh im Bubenklo gefunden hab.

Gebrauchte Pariser? Wichsbilder? Heroinspritzen? Sags mir, Leo, sag ich, und er sagt: Pulver.

Pulver? Was für Pulver?

Keine Ahnung. Weiß. Überall.

Und weiter?

Daneben stand ein Kasten Limonade. Die Flaschen waren geöffnet. Ich befürchte, dass das Pulver in der Limonade gelandet ist. Hast du eine Ahnung, was das bedeutet, Valentin? Es ist ein Attentat auf meine Buben. Ein Terrorangriff auf die Gesundheit meiner armen Kinder!

Leo Birnbaum, der gute Hirte, spricht nicht von Schülern oder Kids. Er ist vom alten Schlag. Er redet über seine Buben, über seine Kinder, wie es alle Junggesellen tun, die keinen eigenen Nachwuchs auf die Beine gestellt haben.

Hast du das Zeug weggesperrt?

Was?

Ob du den Limo-Kasten weggesperrt hast, damit keiner drankommt?

Oh Gott!

Ja oder Nein?

Nein, um Himmels willen. Ich bin ein solches Arschloch, Valentin! Ich habs total vergessen.

Komm, Leo, wir müssen.

Ich stopfe das T-Shirt in die Hose, zieh Boots und Windbluse über, und draußen sind wir. Ich muss noch mal zurück, das Handy holen. Ludwig steht in der Eingangstür und spuckt was vom Gemüseholen auf dem Viktualienmarkt.

 

5

Auf dem Schulhof tobt das Leben. Es gackert und gluckst und pfeift und brüllt und dröhnt – das ist Crystal Speed, dieses verdammte Drecksgift. In der Mitte, umringt von Kindern, Rudolf Blickseder, der viel zu junge Rektor. Ich weiß nicht, was sich die Leute in den oberen Etagen dabei denken, einen solchen Grünschnabel in den Kampf auf den Schulhof zu schicken. Aber ich bin kein studierter Herr mit einem Schmiss auf der Backe.

Blickseder, den sie im Kollegium den Tauchsieder nennen, weil er das Wasser für seinen Früchtetee während des Unterrichts mit dem Tauchsieder wärmt, dreht sich um die eigene Achse. Der Mann ventiliert hyper.

Immerhin hat es Blickseder offenbar noch fertiggebracht, den infizierten Limoträger an sich zu nehmen, bevor noch mehr passiert.

Ich springe in den Tumult, fege die Kinder links und rechts zur Seite. Es gibt eine Schneise, die sich hinter mir und Leo Birnbaum sofort wieder schließt. Wir sind gefangen.

Blickseder schwitzt aus allen Poren. Wir verständigen uns mit Handzeichen. Blickseder will die Polizei rufen, Birnbaum, der an das Gute im Menschen glaubt, will das nicht.

Ich denke dazwischen.

Wir brauchen Beweise. Ist das Limo mit Crystal vergiftet, ist der Fall eindeutig. Eine beschissene kriminelle Handlung. Vielleicht gibts Fingerabdrücke.

Ist das Gesöff nicht vergiftet, haben wir die Pferde scheu gemacht, und die Kids toben nur deshalb so rum, weil die erste Stunde ausgefallen ist.

Ein Test.

Wer von den Lehrern macht den Test? Meine Handzeichen sind eindeutig. Blickseder muss, als Direktor. Er wendet sich ab.

Ich versuchs bei Leo Birnbaum. Leo wird bleich, als er mein Ansinnen begreift.

Verdammter Mist.

Was soll ich tun? Ich schnappe eine Flasche und gieße das Zeug auf ex in mich rein. Plötzlich wirds ruhig. Alle schauen mich an, als wär ich, Herrgott noch mal, der Papst. Dabei bin ich nicht mal katholisch.

Der Himmel über mir schillert. Kippt nach hinten weg.

Mein Handy singt.

Hoyla ist dran. Harry Hoyla, der in Haidhausen ein paar Pferdchen laufen hat.

Harry faselt was von Edda aus Finnland, die ihm heut Nacht abgehauen ist. Mit einem Kunden. Er wird den Kunden kastrieren, wenn er ihn erwischt, und dem Mädchen die Fresse neu schnitzen. Wenn ich sie finde.

Ich falle um vor Lachen.

Der erste Auftrag an diesem jungen Tag, und ich bin high. Ich treibe auf dem grünen Dampfer. Auf dem grünen Dampfer im türkisfarbenen Meer. Der grüne Dampfer ist höher als das gesprengte AGFA-Hochhaus.

 

Nach zwei Stunden erscheint Weißgold und hebt liebevoll mein Kinn. Vorsichtig öffne ich die Augen. Das AGFA-Hochhaus ist einem Krankenzimmer gewichen.

Weißgold sagt, du hattest recht, Valentin, die Limonade war voll mit Stoff.

Ich dreh meinen Kopf nach links und nach rechts und nach oben und nach unten und sag, in welchem verdammten Scheißhaus bin ich hier gelandet?

Weißgold grinst und sagt, bei den Armen Schulschwestern in Harlaching.

Wo gibt es denn in Harlaching verdammt noch mal Arme Schulschwestern, frage ich. Er zuckt mit den Schultern, geht zur Tür, sagt: Wir haben den Kerl.

Dann bin ich allein.

Ich reiß mir den Nachtkittel vom Leib, geh zum Fenster, schau hinaus.

Ich gebe ja zu, mir ist flau im Magen und die Knie zittern. Aber deswegen gleich in Quarantäne zu den Armen Schulschwestern nach Harlaching, wo ich Harlaching mit seinen Bonzen eh nicht mag.

Pack meine Klamotten und verlasse das christliche Haus.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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