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Ein Liebesroman in acht Bänden aus dem 2. Jahrhundert.
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Seitenzahl: 272
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Leukippe
Achilleus Tatios
Inhalt:
Achilleus Tatios - Kurzbiografie
Leukippe
Erstes Buch
Zweytes Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebentes Buch
Achtes Buch
Leukippe, Achilleus
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849603595
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com
Griech. Romandichter aus Alexandria, im 6. Jahrh. n. Chr., ist Verfasser eines Romans in 8 Büchern, von den Abenteuern des Liebespaares Kleitophon und Leukippe, in der Form nicht ohne Anmut, doch oft mit gelehrtem Beiwerk überladen (hrsg. in den »Scriptores erotici graeci« von Hirschig, Par. 1856, und von Hercher, Leipz. 1858).
Erstes Kapitel
Am Meere der Assyrier liegt Sidon, die Mutterstadt der Phöniker, von welcher die Thebäer abstammen. Der Meerbusen faßt einen doppelten Hafen von weitem Umfang in sich, der das Meer allmählich einschließt; denn da, wo sich der Busen nach der rechten Seite zu krümmt, geht eine zweyte Mündung ins Land, in welche sich das Wasser wiederum ergießt, und bildet einen zweyten Hafen, so daß die Schiffe in diesem Vorhafen den Sommer über, und in jenem im Winter sicher liegen.
Hierher gelangte ich nach einem heftigen Sturm, und brachte der Göttin der Phöniker, welche die Sidonier Astarte nennen, das Opfer für meine Erhaltung. Ich gieng um die Stadt herum, und betrachtete die Weyhgeschenke.
Unter andern sah ich hier ein Gemählde aufgestellt, auf dem das Land von Sidon und das Meer der Phöniker abgebildet war; der eigentliche Gegenstand desselben war Europe. Auf dem Lande war eine Wiese und ein Chor von Mädchen. Auf dem Meere schwamm ein Stier, auf dessen Rücken ein schönes Mädchen saß, das nach Kreta zu schiffte. Viele Blumen, mit Bäumen und Gesträuchen dicht verschlungen, schmückten die Wiese. Die Bäume standen dicht, die Blätter bedeckten einander; die Zweige verknüpften die Blätter; und diese Verflechtung des Laubes bildete ein Dach für die Blumen. Unter die Blätter hatte der Künstler auch den Schatten gemahlt; und die Sonne ergoß sich, so weit sich die Umschattungen des Laubes öffneten, unterhalb in zerstreuten Strahlen auf die Wiese hin. Die ganze Wiese umkränzte eine Umzäunung von Rohr. Unterhalb der Blätter der Bäume standen Blumenbeete in Reihen, auf denen Narkissen, Rosen und Myrrhen blühten. Mitten durch die Wiese des Gemähldes floß Wasser, das theils aus der Erde hervorquoll, theils sich über die Blumen und Gesträuche ergoß. Ein Mann mit einer Hacke stand über dem einen Graben gedrückt, und bahnte dem Flusse den Weg.
An das Ende der Wiese, da, wo sich das Land ins Meer hinzog, hatte der Künstler die Mädchen gestellt. Ihr Aeußeres drückte Freude und Furcht aus; ihre Stirn war mit Kränzen umwunden, und ihr Haar floß von den Schultern herab. Die Beine waren entblößt, oben vom Gewande, und unten von der Sohle; der Gürtel zog das Gewand bis über das Knie herauf. Ihr Gesicht war bleich, ihre Wangen verzogen, die Augen auf das Meer gerichtet, ihr Mund etwas geöffnet, als wollte sie aus Furcht schreyen, und ihre Hände streckten sich nach dem Stier aus. Sie schritten auf das Meer zu, so, daß die Fluth ihre Fußsohlen etwas bedeckte; und schienen auf den Stier zulaufen zu wollen, aber vor dem Meere sich zu scheuen.
Das Wasser war von doppelter Farbe: nach dem Lande zu röthlich, und nach dem Meere hin grünlich. Auch hatte der Mahler den Meeresschaum, Felsen und Fluthen dargestellt; die Felsen ragten über das Land hervor; der Schaum färbte die Felsen weiß, und die Fluth stieg sich krümmend empor, und lößte sich nach dem Felsen hin in Schaum auf. Der Stier war in der Mitte des Meers auf den Fluthen schwimmend abgebildet; wie ein Berg erhob sich die Fluth; und daher krümmte sich der arbeitende Schenkel des Stiers.
Das Mädchen saß mitten auf seinem Rücken, nicht reitend, sondern seitwärts gerichtet; zur Rechten hiengen ihre Beine herab; mit der linken Hand hielt sie das Horn, wie ein Wagenlenker den Zügel; auch wendete sich der Stier dahin, wohin ihn die leitende Hand zog. Ein Gewand bedeckte die Brust des Mädchens bis zur Schaam; und von da umhüllte ein Obergewand den untern Theil des Körpers. Das Unterkleid war weiß, und das Obergewand purpurn; der Körper aber strahlte durch die Kleidung hindurch. Ihr Nabel war tief, der Unterleib platt, die Dünnen schmal; ihr Busen stieg in eine Erhöhung herab, und erweiterte sich; die Brüste ragten sanft über dem Busen hervor. Der Gürtel, der das Gewand zusammenhielt, verschloß auch die Brüste, und das Gewand war der Spiegel des Körpers. Ihre beyden Hände waren ausgestreckt, die eine nach dem Horne zu, die andere nach dem Schwanze. Von beyden Seiten der Schultern über dem Kopfe herab hieng der Schleyer, der sich rings um die Schultern ausbreitete. Der Busen des Gewandes war von allen Seiten gekrümmt und ausgespannt; dadurch hatte der Mahler den Wind angedeutet. Sie saß auf dem Stiere, wie auf einem Schiff, und das Gewand diente ihr gleichsam zum Segel.
Auf den Stier zu tanzten Delphine, um ihn spielten Eroten; und selbst ihre Bewegungen schienen dargestellt zu seyn. Ein Eros zog den Stier, ein anderer, als kleiner Knabe gebildet, breitete seine Flügel aus. Auf seinem Rücken hieng ein Köcher, und in der Hand hielt er die Fackel. Er wendete sich zum Zeus, und lächelte, um ihn gleichsam zu verspotten, daß er durch ihn ein Stier geworden sey.
Zweytes Kapitel
Unter andern, was mir am Gemählde gefiel, sah ich vorzüglich mit Aufmerksamkeit auf den Eros, der den Stier führte – denn ich huldige der Liebe – und sagte: wie mächtig beherrscht nicht ein Knabe Himmel und Erde und Meer?
Da ich dieß sagte, sprach ein Jüngling, der auch dabey stand: ich weiß davon zu reden; ich habe schon oft die Gewalt der Liebe empfunden. –
Wie so, mein Lieber? sagte ich zu ihm. Auch spricht dein Gesicht eben nicht für eine Unbekanntschaft mit den Mysterien des Gottes. – Ach! erwiederte er, du rufst mir eine Menge von Begebenheiten wieder hervor, die sich so wunderbar durchkreuzen, daß sie den Fabeln gleichen.
Weigere dich nicht, mein Bester, sagte ich, ich beschwöre dich beym Zeus und dem Eros selbst, durch ihre Erzählung mich um so mehr zu vergnügen, wenn sie den Fabeln gleich kommen.
Mit diesen Worten faßte ich ihn bey der rechten Hand, und führte ihn in ein benachbartes Wäldchen, wo Platanen in großer Menge und sehr dicht standen; ein kaltes und durchsichtiges Wasser, wie vom Schnee, der eben geschmolzen ist, floß vorbey. Ich wies ihm einen Sitz an; setzte mich selbst neben ihn, und sagte: jetzt wär' es schicklich, deine Erzählung zu beginnen; ein solcher Ort ist gewiß sehr anmuthig, und einer Liebeserzählung nicht unwürdig.
Drittes Kapitel
Er fieng nun an, so zu erzählen. Ich bin von Geburt ein Phöniker; Tyros ist meine Vaterstadt; ich heiße Kleitophon, mein Vater Hippias, und meines Vaters Bruder Sostratos. Sie waren nicht leibliche Brüder, sondern nur von Einem Vater erzeugt; denn die Mutter des Sostratos war aus Byzantion und die Mutter meines Vaters aus Tyros. Jener lebte die ganze Zeit in Byzantion, wo ihm seine Mutter viele Besitzungen hinterlassen hatte. Mein Vater aber lebte in Tyros. Meine Mutter hab' ich nicht gekannt; denn sie starb, da ich noch ein Kind war. Mein Vater verband sich bald darauf mit einem andern Weibe, mit dem er eine Tochter, Nahmens Kalligone, zeugte. Er befand für gut, uns durch das Band der Ehe noch mehr zu verknüpfen; aber das Schicksal, das mächtiger, als die Menschen ist, hatte für mich ein anderes Weib aufgehoben.
Oft pflegt der Dämon der Menschen im Schlafe die Zukunft vorher zu sagen; nicht, damit sie sich vor dem Unglücke hüten sollen, denn das einmal bestimmte Verhängniß können sie nicht besiegen – sondern, um es leichter zu ertragen, wenn es ihnen begegnet. Denn das, was schnell, auf einmahl und unerwartet geschieht, betäubt die Seele, indem es sie plötzlich befällt, und versenkt sie in die Fluth des Unglücks; dadurch aber, daß man den Unfall, noch eh' er uns trifft, erwartet und schon vorher auf ihn denkt, wird seine Heftigkeit vermindert.
Ich war eben 19 Jahre alt, und mein Vater hatte die Hochzeit auf das folgende Jahr festgesetzt, als das Schicksal mein Drama anfieng. Es träumte mir, der untere Theil meines Körpers sey bis zum Nabel mit meiner Schwester zusammengewachsen, der obere aber von ihr getrennt; eine furchtbare, große Frau mit wildem Gesichte, blutigen Augen, zurückschreckenden Wangen und Schlangenhaaren stand gegen mich gerichtet, mit einer Sichel in der Rechten, und einer Fackel in der Linken. Zornig fiel sie auf mich ein, streckte die Sichel aus, ließ sie auf die Hüfte herunterfallen, da, wo unsre beyden Körper vereinigt waren, und hieb das Mädchen von mir los.
Voll Furcht über das Schreckbild sprang ich auf. Ich sagte zwar niemanden etwas davon; aber für mich ahndete ich böse Dinge.
Unterdessen ereignete sich Folgendes. Mein Vater hatte, wie ich schon gesagt habe, einen Bruder, Nahmens Sostratos. Von ihm brachte jemand einen Brief von Byzantion folgendes Inhalts:
»Sostratos grüßt seinen Bruder
Hippias.
Meine Tochter Leukippe und meine Gattin Panthia kommen zu dir, weil ein Krieg mit den Thrakern die Byzantier beunruhigt. Bewahre mir die theuersten meiner Familie bis zum Ausgange des Kriegs.«
Viertes Kapitel
Mein Vater las dieses, sprang auf, eilte ans Meer, und kam kurze Zeit darauf wieder zurück, von einer großen Anzahl Sklaven und Dienerinnen begleitet, die Sostratos seiner Gattin und Tochter zur Begleitung gegeben hatte. In ihrer Mitte befand sich eine große Frau in einem kostbaren Gewande. Als ich meinen Blick auf sie richtete, zeigte sich mir zur Linken Seite ein Mädchen, und blendete mir durch ihr Antlitz die Augen. So sah ich einst Europen auf dem Stier abgebildet. Ihr Auge flößte mir ein süßes Schaudern ein. Ihr Haar war blond und krause, die Augenbraunen ganz schwarz, die Wange weiß, die Weiße röthete sich aber nach der Mitte zu und glich dem Purpur des Elfenbeins, wie es die Lydierinnen färben. Ihr Mund war die Blume der Rosen, wenn die Rose die Lippen der Blätter zu öffnen anfängt. So wie ich sie sah war ich gleich außer mir. Die Schönheit verwundet heftiger, als Pfeile, und stießt durch die Augen in die Seele hinab; denn das Auge ist der Weg für die Liebeswunde.
Alles erfüllte zugleich meine Brust: Wohlgefallen, Erstaunen, Zittern, Scheu und Kühnheit; ich fand Wohlgefallen an ihrer Größe, erstaunte vor ihrer Schönheit, zitterte in meiner Brust, warf kühne Blicke auf sie, und scheute mich, gefesselt zu werden. Ich bestrebte mich mit Gewalt, meine Augen von dem Mädchen abzuziehen; sie widerstanden mir aber, richteten sich, von dem überredenden Reize der Schönheit angezogen, von selbst auf sie bin, und siegten endlich.
Fünftes Kapitel
Darauf wurden sie zu uns geführt. Der Vater wies ihnen einen Theil der Wohnung an, und besorgte das Gastmahl. Dann tranken wir zusammen, zwey und zwey auf einem Lager; denn so hatte es der Vater angeordnet. Er selbst und ich hatten das mittlere Lager inne, die beyden Mütter das zur linken, und die beyden Mädchen das zur rechten Hand.
Ich hätte meinen Vater küssen mögen, da ich diese schöne Anordnung vernahm; denn er hatte das Mädchen gerade mir gegenüber gesetzt. Was ich aß, wußte ich bey den Göttern nicht; denn ich aß wie im Traume. Ich stützte meinen Arm auf das Lager, neigte mich nieder, und richtete mein Gesicht ganz auf das Mädchen hin, indem ich zugleich ihren Anblick verstohlen auffieng; dieß war meine Speise.
Nach der Mahlzeit trat ein Jüngling, ein Diener meines Vaters, mit der Githarre ins Zimmer. Er schlug erst bloß mit den Fingern auf die Saiten, und lockte unter Begleitung seiner Finger eine Melodie hervor; darauf aber berührte er die Saiten mit dem Plektron, und zwar ganz leise, indem er dazu sang. Er sang von Apollon, wie er über die fliehende Daphne klagte, sie verfolgte und schon ergreifen wollte; wie das Mädchen ein Gewächs wurde, und Apollon sich mit dem Gewächse bekränzte.
Dieser Gesang setzte nun vollends meine Seele in Flamme; denn eine Liebeserzählung entzündet unvermerkt die Begierde; und wenn man sich auch selbst zur Sittsamkeit und Mäßigung auffordert, so wird man doch durch das Beyspiel zur Nachahmung gereizt, und vorzüglich, wenn uns das Beyspiel eines Bessern vorgehalten wird; denn eben seine Würde flößt uns die Dreistigkeit ein, das zu thun, wovon uns sonst eine gewisse Schaam zurückhält.
Ich sagte daher zu mir selbst: sieh! auch selbst Apollon liebt ein Mädchen, und schämt sich der Liebe nicht, sondern verfolgt das Mädchen; und du trägst Bedenken, und schämst dich, und willst so zur Unzeit den Enthaltsamen spielen? Du bist doch nicht besser, als der Gott?
Sechstes Kapitel
Da es Abend wurde, begaben sich die Frauen zuerst in ihr Schlafgemach, und bald darauf auch wir. Die übrigen hatten ihren Magen mit dem vollen Maase der Lust gesättigt, ich meine Augen; denn sie waren mit dem Antlitz des Mädchens erfüllt; ich genoß der unvermischten Beschauung bis zur Trunkenheit, und entfernte mich dann von Liebe berauscht. Als ich in mein Schlafgemach kam, konnt' ich nicht einschlafen; denn auch die Wunden des Körpers, so wie die Krankheiten, pflegen des Nachts heftiger zu seyn, sich mehr zu äußern, und mehr Schmerzen zu erregen, wenn wir ruhen. Wenn der Körper nehmlich ruht, hat die Wunde Muße hervorzubrechen. Aber die Wunden der Seele schmerzen noch weit mehr, wenn der Körper nicht in Bewegung ist; denn den Tag über wird die Heftigkeit der Krankheit dadurch vermindert, daß sich die Augen und Ohren mit vielen Dingen zu beschäftigen machen, so daß sie der Seele keine Zeit lassen, die Schmerzen zu empfinden. Wenn aber der Körper von Ruhe gefesselt ist, so bleibt die Seele allein; und dann bestürmen sie die Fluthen des Uebels; denn alles, was bisher schlummerte, wird aufgeregt: in der Brust der Traurigen der Gram, der Sorgenvollen die Sorgen, in der Brust derer, die in Gefahr schweben, die Furcht, und im Busen der Liebenden das Feuer der Liebe.
Gegen Morgen brachte mich ein mitleidiger Schlaf kaum etwas zur Ruhe. Aber auch da nicht wollte das Mädchen aus meiner Brust weichen; alle meine Träume waren – Leukippe: ich sprach mit ihr, scherzte und aß mit ihr, betastete sie, und genoß noch größeres Vergnügen, als am Tage – denn ich küßte sie auch; und der Kuß war wahrhaftig – so daß ich mit dem Diener, da er mich so zur ungelegenen Zeit weckte, schmählte, daß er mir einen so süßen Traum entriß.
Nachdem ich aufgestanden war, gieng ich absichtlich außerhalb der Wohnung vor den Augen des Mädchens herum. Ich hielt ein Buch in der Hand, neigte meinen Kopf auf dasselbe und las; und wenn ich an der Thüre war, schielte ich hinauf. Nachdem ich nun einigemahl so auf und nieder gegangen war, und durch ihren Anblick meiner Liebe Nahrung zugeführt hatte, begab ich mich mit verwundeter Seele weg. So zeigte ich mich ihr drey Tage lang.
Siebentes Kapitel
Ich hatte einen Vetter, Nahmens Kleinias, der verwaist und zwey Jahr älter, als ich, war. Er war in der Liebe eingeweiht; aber er liebte einen Jüngling. Diesen schätzte er so sehr, daß er ihm ein Pferd, welches er eben gekauft hatte, sogleich schenkte, da der Knabe sein Wohlgefallen an ihm bezeugte. Ich verspottete ihn oft wegen seiner Unbesonnenheit, daß er seine Zeit mit der Liebe hinbringe, und sich von ihrer Lust so fesseln lasse. Er schüttelte aber den Kopf und sagte mir lächelnd: auch dir wird sie einst Fesseln anlegen. –
Ich gieng nun gleich zu ihm hin, grüßte ihn, und setzte mich zu ihm nieder. »Kleinias, sagte ich, ich habe für die Verspottung gebüßt; auch mich hält die Liebe jetzt gefangen.«
Er schlug die Hände zusammen, stieg lachend auf, küßte mir das Gesicht, welches ihm die Schlaflosigkeit der Liebe verrieth, und sagte: du liebst, wahrlich, du liebst! dieß sagen deine Augen.
Kaum hatte er dieß gesprochen, als Charikles – dieß war der Nahme des Jünglings – ganz bestürzt hereingelaufen kam mit den Worten: ich bin verlohren, Kleinias! Kleinias wehklagte mit ihm, so auf seine Reden gespannt, als hieng' er an seiner Seele, und sagte mit zitternder Stimme: du tödtest mich, wenn du schweigst! was betrübt dich! was giebt es zu bekämpfen?
Mein Vater, erwiederte Charikles, will mich verheyrathen, und dieß an ein häßliches Mädchen, um das Uebel zu verdoppeln; denn schon ein schönes Weib ist etwas Lästiges, und, wenn ein Mädchen noch dazu das Unglück hat, häßlich zu seyn, so ist das Uebel doppelt. Aber mein Vater sieht auf ihren Reichthum, und betreibt daher die Heyrath. Durch ihr Geld werde ich ihr überliefert, um durch die Ehe ihr Sklave zu werden.
Achtes Kapitel
Bey dieser Nachricht wurde Kleinias bleich. Er reizte den Jüngling noch mehr auf, die Heyrath von sich abzulehnen, und schmähte auf das weibliche Geschlecht. Dein Vater will dich schon verheyrathen? Was hast du Böses gethan, daß dir Fesseln angelegt werden sollen? Hörst du nicht, was Zeus sagt:
Ihnen aber verleih' ich, anstatt des Feuers, ein Uebel,
Dessen sich all' im Gemüth erfreuen, ihr Uebel umarmend.
So reizt das Uebel, das man mit den Sirenen vergleichen könnte; denn auch sie tödten durch den Zauber ihres Gesanges. Du kannst schon von der Zurüstung der Hochzeit selbst auf die Größe des Uebels schließen. Das Rauschen der Flöten, das Schlagen der Thüren, die Erleuchtung der Fackeln! wenn jemand ein so großes Geräusch hörte, würde er nicht sagen: ist dem Bräutigam etwas widerfahren? Ich glaube, man will ihn in den Krieg schicken! Und wenn du in den schönen Künsten unerfahren wärest, so würden dir wohl die tragischen Handlungen der Weiber unbekannt seyn; so aber würdest du selbst andern erzählen können, wie viel Stoff zu Dramen die Weiber gegeben haben; z.B. das Armband der Eriphyle, das Gastmahl der Philomele, die Verläumdung der Sthenoboia, der Diebstahl der Aerope, und der Mord, den Prokne verübte. Wenn Agamemnon nach der schönen Chryseis Verlangen trägt, bewirkt er den Hellenen die Pest; und schmachtet Achilles nach der schönen Briseis, so bereitet er sich selbst Trauer zu. Kandaules hat ein schönes Weib, und das Weib tödtet den Kandaules; die Hochzeitfackel der Helene setzte Troja in Brand und die keusche Gattin Penelope, wie viel Freyer hat sie ins Verderben gestürzt? Den Hippolytus tödtete die liebende Phaidra; Klytaimnestra aber den Agamemnon, ohne ihn zu lieben. Oh! die ihr jeden Frevel verübt, ihr Weiber! auch wenn sie lieben, tödten sie, und wenn sie nicht lieben, tödten sie. Der schöne Agamemnon, mußte sterben, dessen Schönheit himmlisch war:
Er, an Augen und Kopf dem Blitz sich erfreuenden Zeus gleich.
Und diesen Kopf, o Zeus, hieb ein Weib ab!
Dieß könnte man über die schönen Weiber sagen, wo doch das Unglück nur mäßig ist; denn die Schönheit gewährt Linderung des Uebels, und sie ist Glück im Unglücke. Wenn aber, wie du sagst, das Mädchen nicht schön ist, so ist das Uebel doppelt. Und wie könnte dieß jemand ertragen? zumahl ein schöner Jüngling? Nein, bey den Göttern, Charikles, laß dich nicht fesseln; vernichte nicht vor der Zeit die Blüthe der Jugend. Denn zu den Unannehmlichkeiten der Heyrath kömmt auch noch diese, daß sie die Blüthe der Jugend verdorren läßt. »O Charikles, ich bitte dich, laß mir nicht die schön gebildete Rose verdorren, laß sie nicht von einem häßlichen Landbebauer pflücken.«
Dieß wird, erwiederte Charikles, meine Sorge und die Sorge der Götter seyn; und bis zum Hochzeittage haben wir noch Zeit; vieles kann auch in Einer Nacht geschehen; wir wollen es mit Muße überlegen. Jetzt aber will ich weggehen und reiten; denn seitdem du mir das schöne Pferd geschenkt hast, habe ich von deinem Geschenke noch keinen Gebrauch gemacht; diese Uebung wird mir die Traurigkeit der Seele erleichtern. Er gieng zum letzten Mahle hinweg, um das erste und letzte Mahl zu reiten.
Neuntes Kapitel
Ich erzählte nun dem Kleinias, was mit mir vorgegangen sey; was ich für sie empfinde, wie ich sie in unser Haus habe führen sehen, daß ich mit ihr gespeist habe, und prieß die Schönheit des Mädchens. Endlich fügte ich noch hinzu, da ich einsah, daß meine Erzählung ihm etwas lästig sey: ich ertrage den Schmerz nicht, Kleinias; denn die Liebe hat sich meiner ganz bemächtigt, und verscheucht mir den Schlaf von den Augen; überall sehe ich das Bild der Leukippe; keiner ist noch so unglücklich gewesen; das Unglück wohnt selbst bey mir.
Du sprichst thöricht, erwiederte Kleinias, da du bey deiner Liebe so glücklich bist; denn du brauchst nicht vor eine fremde Thür zu gehen, noch einen Diener anzusprechen. Das Glück hat dir die Geliebte selbst in die Hände gegeben und in dein Haus gesetzt. Einem andern Liebhaber genügt schon der Anblick des geliebten Mädchens, und er hält dieß für das größte Gut, wenn er nur einen Blick empfängt; und die glücklichern Liebhaber preisen sich selig, wenn sie mit ihr sprechen können; du aber siehst und hörst sie immer, speisest und trinkest mit ihr; und du klagst noch bey diesem Glücke? Du erkennst nicht das Geschenk der Liebe; du weißt nicht, was es schon für ein Glück ist, die Geliebte nur zu sehen; das Vergnügen, das du da empfindest, ist größer, als der Genuß der Liebe selbst; denn die Strahlen der Augen brechen sich einander, und stellen so das Bild der Körper, wie in einem Spiegel, dar; der Abfluß der Schönheit fließt durch die Augen in die Seele, und bewirkt eine Vereinigung, selbst beym Abstande der Körper von einander; die Vereinigung der Körper hingegen dauert nur kurze Zeit; denn sie ist nichtig. Ich sage dir aber vorher, daß du bald auch zum vollkommenen Genusse gelangen wirst; denn der beständige Umgang mit der Geliebten trägt sehr viel dazu bey, sie zu überreden. Das Auge nehmlich giebt der Vertraulichkeit Nahrung, und die tägliche Gemeinschaft erfleht Gunstbezeugungen; denn wenn auch die wilden Thiere durch gewöhnlichen Umgang zahm werden, sollte nicht ein Mädchen weit eher durch ihn erweicht werden? Auch hat die Gleichheit des Alters mit dem Liebhaber für das Mädchen etwas Anlockendes; der Naturtrieb zur Zeit der Blüthe, verbunden mit dem Bewußtseyn, daß man geliebt werde, erzeugt öfters Gegenliebe. Ein jedes Mädchen will nehmlich schön seyn, freut sich, wenn sie geliebt wird, und findet am Geliebten Wohlgefallen wegen des Zeugnisses ihrer Schönheit, das er ihr durch seine Liebe ablegt; liebt sie niemand, so hält sie sich nicht für schön. Nur eines will ich dir rathen: suche sie zu überzeugen, daß du sie liebest, und bald wird sie dir es nachthun.
Aber, erwiederte ich, wie kann dieses dein Orakel in Erfüllung gehen? Gieb mir die Mittel dazu an; denn du bist ein älterer Priester, als ich, und mit den Geheimnissen des Gottes vertrauter. Was soll ich sagen? was thun? wie kann ich ihre Gunst erlangen? Ich kenne die Art und Weise nicht.
Zehntes Kapitel
Suche dieß nicht, sagte Kleinias, von einem andern zu erfahren: Eros ist ein Sophist, er bedarf nicht fremdes Unterrichts. Und so wie niemand den neugebohrnen Kindern ihre Nahrung zeigt – sie lernen sie von sich selbst in den Brüsten der Mutter finden – so bedarf auch der Jüngling, der mit der ersten Liebe schwanger geht, keines Unterrichts im Gebähren; denn nahen die Geburtsschmerzen heran, und tritt der Tage der Noth ein, so wird das Gebähren, und sollt' es auch das erste Mahl seyn, unter Beystand des Gottes, ohnfehlbar glücklich von statten gehen. Was ich dir aber jetzt sagen werde, betrifft ganz gemeine Dinge, die weiter keines glücklichen Zufalls bedürfen. Erwähne beym Mädchen nichts von den Freuden der Liebe, und suche sie im Stillen zu genießen; denn der Jüngling und das Mädchen besitzen gleiche Schaamhaftigkeit, und von der Gabe der Aphrodite, wenn sie auch wissen, wie sie sich hingeben, wollen sie nichts hören. Sie glauben, das, dessen man sich schäme, liege in den Worten. Den Weibern freylich gewähren auch die Reden Ergötzung –; die Mädchen aber dulden zwar die Angriffe von außen, wodurch sie die Liebhaber versuchen, und genehmigen sie sogleich durch Winke. Wenn man aber gerade mit der Forderung an sie geht, so betäubt man mit seiner Stimme ihre Ohren; sie erröthen, hassen die Reden, und halten sich für beschimpft. Ja, möchten sie auch wohl den Genuß der Liebe versprechen wollen, so verbietet es ihnen doch die Schaam; denn sie glauben, je mehr sie durch die Reizungen der Reden dazu versucht werden, sich um so mehr dem Mann hinzugeben. Versuche sie auf eine andere Art; mache sie dir erst folgsam, dann kannst du dich ihr voll Zuversicht nahen; doch mußt du das meiste, wie in Mysterien, verschweigen, nur leise dich ihr nähern und sie küssen. Der Kuß, den der Liebhaber seiner Geliebten mit ihrer Genehmigung giebt, ist eine stille Bitte; weigert sie sich aber, so ist er ein Opfer, das ihr der Liebhaber bringt, ihre Gunst zu erflehen; und sollt' auch schon zwischen ihnen ein Vertrag gemacht seyn, so will sie doch, wenn sie es gleich selbst wünscht, dazu gezwungen zu seyn scheinen, um durch den Schein des Zwanges die Schaamhaftigkeit, die mit einer freywilligen Hingebung verbunden ist, zu entfernen. Werde daher nicht unwillig, wenn du sie widersträuben siehst; sondern beobachte nur, wie sie widersträubt; auch hierin ist Klugheit nöthig. Beharrt sie bey ihrem Widerstande, so brauche keine Gewalt; denn sie wird sich dir nicht ergeben; willst du dir sie aber nachgiebiger machen, so wende Verstellung an, sonst verfehlst du deinen Entzweck.
Eilftes Kapitel
Darauf erwiederte ich: du hast mir vieles an die Hand gegeben, und ich wünschte, Kleinias, mein Ziel zu erreichen; jedoch befürcht' ich, das Glück möchte mir der Anfang größeres Unglücks seyn, und noch stärkere Gluth in mir entzünden. Wenn sich nun das Uebel verstärkt, was soll ich thun? Heyrathen würde ich sie doch nicht können; denn ich bin an ein anderes Mädchen gebunden; mein Vater liegt mir mit dieser Heyrath an, und thut eine billige Forderung an mich, nicht ein fremdes, nicht ein häßliches Mädchen zu heyrathen; noch verkauft er mich, wie es mit dem Charikles geschieht, an ein reiches Weib, sondern er giebt mir seine Tochter, die vorher schön war, o ihr Götter! ehe ich Leukippen sah; jetzt aber bin ich für ihre Schönheit blind, und habe nur für Leukippen Augen. Ich werde von zwey Seiten bestürmt: die Liebe und mein Vater kämpfen gegen einander; er steht gegen mich, und ist mächtig durch Ehrfurcht; sie aber hält den feindlichen Ort besetzt und verheert mit Feuer. Wie soll ich den Streit entscheiden? Zwang kämpft mit Natur; ich will dir zwar Recht widerfahren lassen, Vater; aber dann hab' ich noch einen heftigeren Gegner; er foltert den Richter, steht mit Pfeilen gerüstet, und urtheilt mit Feuer; geb' ich ihm nicht nach, Vater, so verzehren mich seine Flammen.
Zwölftes Kapitel
So sprachen wir unter einander von der Liebe, als plötzlich ein Sklave des Charikles herbeygelaufen kam, dessen Gesicht Unglück verkündete, so daß Kleinias aufschrie, so bald er ihn sah: »ach! dem Charikles ist ein Unglück begegnet!« Der Diener fiel mit den Worten in seine Reden ein: Charikles ist todt!
Den Kleinias verließ bey dieser Nachricht die Stimme, und er blieb unbeweglich, von der Rede, wie von einem Sturme, zu Boden geschlagen. Der Diener erzählte dann: »er setzte sich auf dein Pferd, Kleinias, und ritt anfangs langsam; da er zwey- oder dreymahl herumgeritten war, hielt er inne, wischte dem Pferde mit streichelnder Hand den Schweiß ab, und ließ dabey den Zügel außer Acht; da er auch vom Sitze den Schweiß abwischte, entstand von hinten ein Geräusch; das Pferd sprang scheu auf, bäumte sich, und stürzte blindlings fort; es biß in den Zügel, krümmte den Nacken, sträubte das Haar empor und flog, von Furcht in Wuth gesetzt, durch die Luft. Die Vorderfüße sprangen in die Höhe, die hintern eilten den vordern zuvorzukommen, verfolgten und trieben sie zum Laufen an. Das Pferd krümmte sich beym Streite der Füße, sprang in die Höhe und wieder herab, so wie die Vorderfüße es drängten, und sein Nacken wogte gleich einem Schiff' im Sturme. Der arme Charikles schwankte auf dem Pferde, das, wie ein Schiff auf der Fluth, in die Höhe stieg und niedersank, und wurde, wie ein Ball, aus seinem Sitze geworfen, indem er bald nach dem Schweife zu herabgleitete, bald auf den Nacken vorstürzte: so übermannte ihn der Sturm der Wogen. Da er nun die Zügel nicht mehr in seiner Gewalt hatte, überließ er sich dem blinden Laufe, ein Spiel des Zufalls. Das Pferd lief mit voller Kraft fort, kam vom Wege ab, sprang in einen Wald, und zerschlug den unglücklichen Charikles an einem Baume; wie durch eine Wurfmaschine daran geschleudert, wurde er aus seinem Sitze geschlagen, und schändete sich mit den Zweigen des Baumes das Gesicht; es wurde mit so vielen Wunden geritzt, als Spitzen der Bäume waren. Die Zügel waren um ihn geschlungen, und wollten den Körper nicht loslassen, sondern zogen ihn zurück, und rissen ihn mit sich auf den Weg des Todes. Das Pferd aber, durch den Fall noch mehr erschreckt und durch den Körper in seinem Laufe gehemmt, schlug den Unglücklichen, und suchte sich durch Ausschlagen von der Fessel der Furcht zu befreyen. – Den Charikles würde wohl niemand wieder erkennen!«
Dreyzehntes Kapitel
Kleinias hörte dieß, und schwieg eine Zeit lang vor Bestürzung. Bald aber kam er wieder zu Besinnung; dann schrie er heftig auf, und eilte zu dem Leichnam. Ich folgte ihm, und suchte ihn, so gut ich konnte, zu trösten.
Unterdessen brachte man den Charikles getragen, ein erbarmenswürdiger, kläglicher Anblick. Denn sein Körper war Eine Wunde; und keines der Anwesenden konnte sich der Thränen enthalten.
Sein Vater fieng mit erschütternder Stimme an zu jammern: »o Sohn, bist du so von mir weggegangen? Kömmst du so mir wieder zurück? O das verwünschte Reiten! Nicht, wie andere, entriß dich mir der Tod; du erscheinst nicht im Tode noch schön; die andern Todten behalten doch noch Spuren ihrer Bildung, an denen man sie erkennen kann; und haben sie auch die Blüthe des Gesichts verlohren, so behalten sie doch noch ein Bild davon, und trösten den Betrübten, indem sie Schlafenden gleichen; die Seele zwar entreißt der Tod, im Körper jedoch bewahrt er den Menschen. Aber an dir hat das Schicksal auch dieses vernichtet; du starbst mit einen doppelten Tod, an der Seele und am Körper; so ist auch der Schatten von deinem Bilde gestorben: denn die Seele ist von dir geflohen, und ich finde dich nicht einmahl im Körper wieder. Und die Heyrath? – Ach, du unglücklicher Reiter und nur halber Bräutigam! Das Grab ist nun dein Brautgemach, der Tod deine Hochzeit, der Leichengesang dein Brautgesang, und dieses Wehklagen deine Brautlieder. Ich hoffte, dir andere Fackeln anzuzünden, o Sohn; aber diese hat das neidische Schicksal mit dir ausgelöscht; es zündet dir die Fackeln des Unglücks an. O die verhaßten Flammen, die dich jetzt erwarten! Der Brautzug unter Fackelbegleitung wird dir zum Leichenzuge.«
Vierzehntes Kapitel
So jammerte der Vater; von der andern Seite aber Kleinias, – und Vater und Liebhaber wetteiferten gleichsam im Wehklagen. – »Ich habe meinen Gebiether verlohren! O warum gab ich ihm auch ein solches Geschenk! Nicht eine goldene Schale, der er sich beym Ausgießen, als eines Geschenks von mir, hätt' erfreuen können, gab ich ihm, sondern – ich Unglücklicher! schenkte dem schönen Jüngling ein Thier, und zierte das verderbliche Thier mit Brustriemen, Stirnbinden, mit prächtigem Gehänge und goldnem Zügel. O Charikles! Ich, ich schmückte deinen Mörder mit Gold; und du, Pferd, du wildestes unter allen Thieren, du verderbliches, undankbares und für die Schönheit gefühlloses! Dir wischte er streichelnd den Schweiß ab, versprach er noch reichlicheres Futter und prieß deinen Lauf; und du tödtetest den, der dich lobte! Du empfandst keine Achtung, keine Ehrfurcht, da dich ein solcher Körper berührte! du warst nicht stolz auf einen solchen Reiter, sondern warfst, o liebloses Thier! die Schönheit zu Boden. O ich Unglücklicher! Ich kaufte deinen Mörder, das mörderische Roß!«
Fünfzehntes Kapitel
Nach dem Begräbnisse eilte ich gleich zum Mädchen. Sie war im Luftgarten des Hauses. Dieser war ein Hayn, ein großer, erfreulicher Anblick für das Auge! Um den Hayn lief eine ziemlich hohe Mauer, und jede von ihren Seiten, deren vier waren, war von einer Säulenreihe bedeckt. Unter den Säulen im Garten standen dichte Bäume. Die Zweige blühten, und einer fiel auf den andern. Die benachbarten Aeste waren in einander verflochten, die Blätter umschlangen sich und die Früchte waren gepaart: so eine Gemeinschaft herrschte unter den Gewächsen.