Lichtlose Tiefen - Michael Aufleger - E-Book

Lichtlose Tiefen E-Book

Michael Aufleger

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Beschreibung

Dies ist der zweite Teil der Kurzgeschichtensammlung des Fantastic Aid Projekts. Dieses wurde ins Leben gerufen, um Hobby- und Nachwuchsautoren eine Bühne und eine Möglichkeit zur Veröffentlichung zu bieten, und gleichzeitig einen Beitrag im Kampf gegen den Krebs zu leisten. 16 spannende Geschichten tummeln sich in dieser Sammlung, deren gesamter Erlös der Deutschen Kinderkrebshilfe zugute kommt. Vom kurzen Drama bis hin zur Horrornovelle wird dem Leser hier alles geboten, was das literarische Herz begehrt. Mit Geschichten von: Michael Aufleger, Heiko Birner, Alexander Blumtritt, Martin Braune, Robert Grains, Eileen Grunert, Stephan M Gert, Johannes Harstick, Mora K Joslyn, Philipp Knespel, Hagen Neumann, Philipp Riedel, Anke Säurig, Christopher Schmidt, Christopher Schuch, Ingo Spang

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 506

Veröffentlichungsjahr: 2021

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„Die größte Gnade auf dieser Welt ist, so scheint es mir, das Nichtvermögen des menschlichen Geistes, all ihre inneren Geschehnisse miteinander in Verbindung zu bringen. Wir leben auf einem friedlichen Eiland des Universums inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es ist uns nicht bestimmt, diese weit zu bereisen.“

Howard Phillips Lovecraft

Lektorat:

Janina Horstkötter

Philipp Riedel

Artwork:

Darkmoon Art (Cover)

Stephan M. Gert (Seite 1)

Eileen Grunert (Intermezzo)

Philipp Riedel (Hrsg.)

Lichtlose Tiefen

Eine Kurzgeschichtensammlung des „Fantastic

Aid Projekts“ zur Unterstützung der Deutschen

Kinderkrebshilfe

„Kein Vater sollte sein Kind zu Grabe tragen.“

König Théoden von Rohan,

Der Herr der Ringe

mit Geschichten von:

Michael Aufleger

Heiko Birner

Alexander Blumtritt

Martin Braune

Robert Grains

Eileen Grunert

Stephan M. Gert

Johannes Harstick

Mora K. Joslyn

Philipp Knespel

Hagen Neumann

Philipp Riedel

Anke Säurig

Christopher Schmidt

Christopher Schuch

Ingo Spang

Inhalt

Vorwort

Ingo Spang

Polyp

Stephan M. Gert

Die rote Krone

Martin Braune

Wächter des Abgrunds

Hagen Neumann

Abfahrt Magdeburg

Christopher Schmidt

Lichter in der Nacht

Anke Säurig

Die Schatten des Herrn Kemali

Heiko Birner

The Case

Philipp Knespel

Ludwigs Suche

Mora K. Joslyn

Mönk!

Johannes Harstick

Ich bin ein Mensch

Eileen Grunert

Strandgut

Michael Aufleger

Schauernebel

Christopher Schuch

Das Ticken in den Wänden

Robert Grains

Unsere Stadt bei Nacht

Philipp Riedel

Nachtangeln

Alexander Blumtritt

Der Cerithiolith

Kontaktdaten

Ein weiteres Vorwort und ein erneuter Dank

von Philipp Riedel

Hätte man mir vor zwei Jahren gesagt, dass ich nicht nur eine, sondern sogar zwei Kurzgeschichtensammlungen für den Kampf gegen den Krebs ins Leben rufen würde, hätte ich denjenigen wahrscheinlich für einen hoffnungslosen Optimisten gehalten.

Doch genau dies ist nun eingetreten. Nach der tollen Resonanz auf die erste Sammlung „Jenseits der Sterne“, haben sich nicht nur einige neue Autoren bei diesem Projekt eingefunden, sondern auch viele Teilnehmer der ersten Runde sind auch dieses Mal wieder mit dabei.

Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Beteiligten bedanken. Ohne eure Kreativität, eure Hilfsbereitschaft und auch ohne eure Geduld wäre dies hier nicht zustande gekommen. Danke!

Aber was ist das Fantastic Aid Projekt eigentlich?

Im Kern verfolgt dieses Projekt zwei Ziele: Es soll jungen Nachwuchsautoren die Möglichkeit bieten, ihre Kunst einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren, und dies soll zu einem guten Zweck geschehen, da ich mich nicht an der Kreativität Anderer bereichern möchte. Zudem liegt es mir besonders am Herzen, einen Beitrag zur Bekämpfung einer der größten Geißeln der Moderne zu leisten: Krebs.

Was für das Mittelalter die Pest war, ist diese Krankheit für die Neuzeit, und man kann gar nicht genug in Forschung, Pflege und Unterstützung der Patienten investieren. Besonders die Kinder haben unter dieser tückischen Krankheit zu leiden. Darum habe ich mich für die Kinderkrebshilfe entschieden.

Der Vorteil eines zweiten Teils besteht darin, dass die Kontakte bereits vorhanden sind. War die „Rekrutierung“ der Autoren für den ersten Teil anfangs noch relativ mühsam, konnte ich bei dieser Sammlung nicht nur auf eine Vielzahl talentierter Autoren zurückgreifen, sondern hatte zudem auch schon reichlich Möglichkeiten gehabt, das Projekt zu bewerben, sodass auch neue Autoren rasch dazu stoßen konnten.

Auch dieses Mal war die sogenannte Creepypasta Szene, die sich unglaublich vielfältig auf Youtube tummelt, ein reichhaltiger Quell an tollen Geschichten.

´Mein besonderer Dank geht an dieser Stelle an Yuggothian Records, die Lauschecke, Lucifers Dream, Johliest, und natürlich Michaela und Gregor von der GM Factory für die großartige Unterstützung meines kleinen Projekts.

Zu der Sammlung selbst ist zu sagen, dass ich auch dieses Mal ganz bewusst auf ein enges inhaltliches und formelles Korsett verzichtet habe. Lediglich der Oberbegriff „Spannung“ stand im Vordergrund, was ein Spektrum vom Krimi bis zur Horrorgeschichte umfasst. Dies führt dazu, dass sich in dieser Sammlung Geschichten aus vielen verschiedenen Genres in unterschiedlichster Länge tummeln. Da ist vom kurzen Essay bis zur mittellangen Novelle alles dabei, was das Herz begehrt. Da der thematische Schwerpunkt der Geschichten dieses Mal auf geographischen und menschlichen Abgründen liegt, ergab sich der Titel 'Lichtlose Tiefen' beinahe von selbst.

Wer sich in Zukunft über den weiteren Verlauf des Projekts, den Erfolg der Aktion und über weitere Projekte der beteiligten Künstler auf dem Laufenden halten möchte, dem lege ich die Facebook Seite des „Fantastic Aid Projekts“ ans Herz, zu finden am Ende der Sammlung auf der letzten Seite. Dort stehen auch die Kontaktdaten der Deutschen Kinderkrebshilfe, so dass man sich auch beim Empfänger unserer Spenden über deren Projekte weiter informieren kann.

Wer möchte, ist an dieser Stelle auch herzlich eingeladen, dort einen zusätzlichen Beitrag im Kampf gegen den Krebs zu spenden. Ein entsprechendes Spendenkonto für dieses Projekt wurde bereits eingerichtet, womit an dieser Stelle auch noch einmal ein Dank an Frau Michelle Arck von der Deutschen Kinderkrebshilfe geht, die dies ermöglicht hat.

Im Gegensatz zur ersten Veröffentlichung, habe ich dieses Mal aus zwei Gründen auf eine genauere Vorstellung der Autoren verzichtet. Beide Gründe behagen mir nicht sonderlich, aber leider war dies nicht anders zu lösen. Zum Einen habe ich von manchen Autoren nicht mehr als einen Namen, zum Anderen würde eine genaue Vorstellung aller Autoren enorm viel Platz einnehmen, den ich lieber für die Geschichten nutzen wollte. Leider ist die Größe des Buches durch die Druckerei begrenzt, und ich wollte ungern auf eine der Geschichten verzichten. Bei den Autoren, die bereits in irgendeiner Form ihre Werke veröffentlicht haben, sei es nun in schriftlicher Form oder als Vertonung, habe ich sämtliche mir verfügbaren Informationen ans Ende der jeweiligen Geschichte gestellt.

Nun aber genug der Vorrede... Ich bedanke mich im Namen aller Autoren und aller Unterstützer bei Ihnen, lieber Leser, dass sie diese Sammlung erworben haben, und möchte nun die Bühne frei machen für sechzehn spannende Geschichten.

„Lange Tage und angenehme Nächte. Und mögen sie

Euch doppelt vergönnt sein!“

Grußsegen in 'Innerwelt'

Stephen King, Der Dunkle Turm

Ingo Spang

Polyp

gewidmet Freya, Leif, Franziska und Matthias

Mein Verstand versinkt in tiefstem Grauen,

durch das Grauen, das ich in der Tiefe sah,

denn in jener grauenvollen Tiefe

sind es Höllenqualen, die mein Geiste mir gebar

Seitdem ich mich erinnern kann, habe ich denselben immer wiederkehrenden Alptraum, der mich bis aufs Tiefste verstört und allmählich in den Wahnsinn treibt. Jede Nacht erwache ich schweißgebadet und völlig benommen. Unfähig mich zu regen, unfähig mich zu bewegen. Ich kann dieses wirre Durcheinander aus Bildern und Farben nicht deuten, denn es ist vielmehr ein vor-existentes Gefühl meiner Selbst. Eine widerwärtige Ausgeburt aus dicken, wulstig pulsierenden Gedärmen und irr ineinander geschlungenen Hirnwindungen, die mich gefangen halten.

Jede Nacht umschlingen sie meine Kehle, klebrig aufgeblähten Tentakeln gleich, die sich langsam um meinen Hals winden, in mich eindringen und mir unerbittlich die Seele aus dem Leib pressen.

Doch heute weiß ich welches krebserregende, Abgas-geschwängerte Geschwür für all meine Qualen verantwortlich ist, nämlich jener düstere Ort, dessen Namen ich nur unter äußerster Abscheu und größtem Widerwillen auszusprechen vermag.

Erneut kehren meine Gedanken an diesen Ort zurück und es führt mich unausweichlich zu jenen Tagen, an die ich mich mit Grauen erinnere, und an keinen Tag zuvor…

„Östlich von Arkham, dort wo der Flusslauf des Miskatonic sein nach Verwesung stinkendes Wasser in den Atlantik ergießt, befindet sich, unweit des schroffen, steil aufragenden Küstenstreifens, die alte stillgelegte Bohrplattform Innsmouth 1. Ein Bauwerk aus längst vergangenen Tagen, von dem heute keiner mehr sagen kann, wer es eigentlich erbaut hat.

„Sie war schon immer da.“, sagten die Einen.

„Unsinn, Frank Fontaine hat sie geschaffen.", behaupteten die Anderen.

Einst war die Bohrinsel ein architektonisch gefeiertes Meisterwerk, doch heutzutage ist sie nur noch ein heruntergekommenes und bedrohlich wirkendes Eisengeflecht, korrodiert und dem Untergang geweiht.

Seit der Katastrophe vor knapp 50 Jahren traut sich niemand mehr auf der Bohrplattform zu arbeiten, die sich, aus der Ferne betrachtet, vor den gewaltigen, Blitz-zerfurchten Gewitterwolken und den schnell vorbeiziehenden fetzenhaften Nebelschwaden wie ein gigantisches, eisernes Monstrum in den düsteren, sturmgepeitschten Himmel erhebt.

Die unzähligen aus den stählernen Verankerungen gerissenen Leitungen und Schläuche, aus denen in unregelmäßigen Intervallen schmieriges Öl tropft, erinnern an aufgeplatzte Adern und abgerissene Sehnen. Riesige, verrostete Metallplatten hängen krumm und schief von den Verbindungsstreben herab und wanken bedrohlich im Sturm.

Der gewaltige Bohrturm, einst das Herzstück der Insel, mit dessen Hilfe das schwarze Gold aus den Tiefen des Atlantiks an die Oberfläche gepumpt wurde, ist auf halber Höhe abgeknickt, verbogen und droht nun über die Plattform hinweg ins Meer zu stürzen.

Ein unheimliches, metallenes Quietschen und Knarren liegt in der Luft und man spürt, dass das Konstrukt unter enormer Spannung steht, sich wie ein Ungeheuer reckt und streckt und bei jedem Wellenschlag auseinander zu brechen droht.

Die damalige Katastrophe ereignete sich völlig unerwartet.

Der abgesetzte Notruf des Kommandanten war durch den heftigen Novembersturm stark gestört, und die Worte, die man zu verstehen glaubte, brachten nichts als weitere Spekulationen hervor. Jegliche Bemühungen, erneuten Kontakt mit der Bohrinsel herzustellen blieben erfolglos, und alle Funksprüche, ebenso wie Morsezeichen oder Lichtsignale unbeantwortet.

Ein Aufklärungstrupp sollte die Lage vor Ort schnellstmöglich ergründen, und als der Sturm sich gelegt hatte, wagte man die Überfahrt. Doch zu aller Entsetzten musste man feststellen, dass die Katastrophe weitaus schlimmer war, als man zunächst angenommen hatte. Ein gigantischer Ölteppich schob sich schwerfällig stinkend auf den Küstenstreifen nahe Martin's Beach zu, seine schmierigen, Tentakel-förmigen Ölschlieren nach hilflosen Lebewesen ausstreckend.

Der gesamte Küstenstreifen wird wohl auf ewig unbewohnbar bleiben, denn das unterirdische Leck in der Ölleitung konnte nicht gestopft werden. Die austretende, todbringende Pest vergiftete die umliegende Vegetation über Monate hinweg, bis der zähflüssige Auswurf nach knapp einem Jahr langsam abebbte.

Vögel und Fische, Krebs-, und Schalentiere verendeten auf qualvolle Weise. Giftig, beißende Dämpfe wabern nach wie vor unheilvoll in der Luft und verursachen schwere Atemwegserkrankungen. Wenn die allabendliche Dunkelheit herein bricht, erstrahlt die gesamte Bucht in einem kalten, unheimlichen, Petroleum-farbenen Licht, das die Bewohner des nah gelegenen Küstenortes Nacht für Nacht aufs Neue erschaudern lässt.

Auf einer Länge von 30 Meilen wurde das Küstengebiet vollkommen kontaminiert, zum Sperrbezirk erklärt und abgeriegelt. Riesige, ins Meer eingelassene Betonklötze und davor gelagerte engmaschige Netze, die bis auf den Grund des Meeres hinabreichen, sollen eine Ausbreitung des Ölteppichs verhindern, da das Erdöl nach wie vor wie eine blutende Wunde aus dem Leck heraus suppt und seinen Weg an die Meeresoberfläche sucht.

Der Ozean rings um die Bohrinsel ist in einem Radius von einer Meile mit einer seltsam knirschenden, krustig rostfarbenen Schicht überzogen, die sich auf unerklärliche Weise in die See gefressen hat und mit ihr ebenso verankert ist, wie das gesamte Konstrukt mit dem Meeresgrund.

Doch was genau hatte zu der Havarie geführt und was war mit der Besatzung der Innsmouth 1 geschehen?

Überall an der Außenhaut der Bohrplattform, sowie an unzähligen Leitungen und Rohren klebte eine undefinierbare, leicht fluoreszierende Substanz, die stark nach Fisch roch, organisch zu sein schien und sich nicht von den Oberflächen entfernen ließ.

Zur Verwunderung des Aufklärungstrupps war die gesamte Bohrinsel vollkommen verlassen. Weder auf der Brücke, noch in der Kantine gab es eine Spur der Besatzungsmitglieder. Mit gemischten Gefühlen stieg man hinab in die wirren, eisernen Eingeweide dieses Stahlgeflechtes und je tiefer man stieß, umso fauliger und Würgereiz-erregender roch es. Als man schließlich die Mannschaftsunterkünfte erreichte, zeigte sich der Wahnsinn in Form eines verstörenden, Haschischrausch-artigen Alptraumes, dessen grausame Auswüchse sich schemenhaft materialisierten und zu schockierender Wahrheit erwuchsen, denn die gesamte Bohrinsel war...

Die Menschen hier in diesem Teil des Bundesstaates sind sehr abergläubisch. Sie glauben ein längst vergessener Fluch habe die Bohrinsel ereilt und die Seelen der Besatzungsmitglieder mit in die Hölle gerissen.

Seit dieser Zeit verwittert die Bohrinsel.

Das Miskatonic-Delta, einst ein wunderschönes und beliebtes Ausflugsziel für die Bewohner der umliegenden Dörfer und Städte, ist nun ein verlassener, trostloser Ort, von dem man sagt, es spuke dort.

Und über allem erwächst düster und Rost-gestählt der furchteinflößende, halb verrottete Leib der Bohrinsel, der nach wie vor seine unheilvollen Schatten bis weit an die Küste wirft.“

Wir schauten uns an und mussten lauthals lachen.

Ich stand auf, lehnte mich über die Reling der alten Barke, die wir zu Ehren des Flusses, auf dem wir langsam entlang schipperten, die „Miskatonic" getauft hatten und genoss die letzten wärmenden, goldglänzenden Strahlen der untergehenden Septembersonne, die sich wie Millionen kleiner Diamanten auf der Wasseroberfläche spiegelten.

Die Vegetation stand in satter, voller Blüte und ein unglaubliches Farbspiel bot sich meinen Augen. Die Luft war rein und es roch nach Wildblumen und Gräsern, nach Einsamkeit und grenzenloser Freiheit.

Der Fluss plätscherte lethargisch erhaben vor sich hin und ich lauschte dem beruhigenden Klang der Natur, dem Quaken der Ochsenfrösche, dem Zirpen der Zikaden und den bereits vereinzelt einsetzenden Rufen nachtaktiver Tiere.

Langsam schloss ich meine Augen und wünschte mir nichts sehnlicher, als diesen Augenblick für immer festhalten zu können. Ich spürte den Sog des Miskatonic unter meinen Füßen und dass uns etwas Großes bevorstehe.

Wir waren vor knapp einem Monat aus dem kleinen Ort Fallin‘ Graves im Bundesstaat New York aufgebrochen und hatten uns zum Ziel gesetzt, dem Flusslauf des Miskatonic bis zu seiner Mündung in den Atlantik, östlich von Arkham zu folgen. Neben meiner Wenigkeit, Moose Mc Devlin, waren noch Peter Dermont, Steven Rhys und Jason Voorhees mit an Bord.

Mein Freund Peter stand in dem engen Steuerraum der alten Barke, navigierte uns den Miskatonic entlang und wirkte sichtlich gekränkt. Wir gaben nicht viel auf seine allabendlichen Schauergeschichten, mit denen er versuchte, uns Angst einzujagen.

Manchmal hatten wir das Gefühl, er würde diesen ganzen übersinnlichen Schwachsinn wirklich glauben, den er uns auftischte. Doch Peters Erzählstil konnte manchmal ziemlich mitreißend und überzeugend sein, und wenn man für Übernatürliches empfänglich war, könnte man meinen, seine Geschichten seien wahr.

Wie auch immer, uns ging es gut. Wir brauchten uns um nichts Sorgen zu machen, da wir jederzeit an Nahrung und frisches Wasser kamen, denn am Flusslauf des Miskatonic befanden sich zahlreiche kleine Siedlungen und Dörfer, in denen wir uns mit Proviant eindecken konnten.

Abends gingen wir vor Anker und saßen manchmal bis tief in die Nacht am Bootsdeck, unterhielten uns, lauschten Peters düsteren Geschichten, lachten und tranken.

Zu Beginn unserer Reise trafen wir viele andere Boote und Barken. Doch seit einigen Tagen war der Miskatonic wie ausgestorben und Peter erklärte, das dies daran läge, dass wir uns der Stadt Arkham näherten, denn die Landbevölkerung und Touristen mieden Arkham und die angrenzenden Gebiete.

Natürlich lachten wir ihn anfangs aus, doch als selbst die Einwohner des Städtchens Castle Rock, unserem letzten Stopp vor Arkham, davon abrieten dorthin zu reisen, beschlich mich zum ersten Mal ein ungutes Gefühl.

Je näher wir der Stadt kamen, desto nervöser wurde Peter. Zeitweilen wirkte er sogar geistesabwesend. Was für uns nur ein weiterer Durchgangsort war, schien für Peter der Höhepunkt unserer Reise zu bedeuten. Dachte ich zumindest…

Die Sonne war bereits untergegangen, der Anker gesetzt und die ersten Sterne fluteten den wolkenlosen Himmel, als Peter sich zu mir an Deck gesellte. Die Anderen hatten sich in die enge Gemeinschaftskajüte verzogen und waren dabei, sich umzuziehen, denn die Nächte hier in Neuengland konnten selbst im Sommer sehr kalt, unangenehm und vor allem mückenlastig sein.

Wir unterhielten uns eine Weile über banale Themen, tranken Bier, erzählten anrüchige Witze und versanken in den Weiten des Sternenhimmels, bis Peters vom Alkohol stimulierter Geist sich in okkulten Tiraden verlor und das Gespräch dadurch eine beängstigende Wendung nahm.

Der Sog unter meinen Füßen wurde plötzlich stärker. Solange ich denken kann, war Peter einer meiner besten Freunde gewesen. Der typische Außenseiter, etwas verrückt, aber dennoch ein gutmütiger und aufrichtiger Kerl. Doch in jener schicksalshaften Septembernacht wusste ich nicht mehr, wen ich da eigentlich vor mir hatte.

Unentwegt erzählte er mir Horrorgeschichten über Arkham und seine Einwohner, dass wir vorsichtig sein müssen, wenn wir in die Stadt einschippern, denn sie wäre nicht das, was sie einem vorgaukele. Arkham vergifte den Verstand und dringe in einen ein wie ein Parasit. Deshalb sei es wichtig die Stadt schnellstmöglich zu durchqueren und sich nicht von ihr blenden zu lassen.

Peters Augen funkelten unheimlich im fahlen Schein des Vollmondes, der in dieser Nacht unnatürlich groß und drückend am Himmel stand. Es lag etwas Morbides und Beängstigendes in seiner Stimme, und je länger ich seinen Erzählungen lauschte, umso mehr begann ich, ihnen Glauben zu schenken. Ich spürte förmlich, wie seine Worte in meinen Verstand eindrangen und meine bisherige nüchterne Weltanschauung zu infizieren begannen.

Er erklärte mir eindringlich, dass wir auf alles vorbereitet sein und uns vor dem Bösen schützen müssen. Menschen und Dinge verändern sich in Arkham, deshalb sei Vorsicht geboten.

Peter zog plötzlich einen Revolver unter seiner Kleidung hervor. Ich erschrak bis aufs Mark und wich einen Schritt zurück.

In diesem Moment hörten wir unsere Freunde an Deck kommen. Peter legte seinen Zeigefinger auf die Lippen und steckte den Revolver wieder ein, dann drehte er sich um und ging zu den Anderen hinüber.

Ich atmete tief durch, um das angestaute Unbehagen loszuwerden und meinen Kopf frei zu bekommen, doch stattdessen bemerkte ich zum ersten Mal den unterschwellig fauligen Geruch, der sich unbemerkt in der Luft ausgebreitet hatte.

Langsam ließ ich meinen Blick über den nächtlichen Uferstreifen schweifen, der von unnatürlich großen Farnen, Schilf und Röhricht überwuchert war und im seichten Wind bizarre Formen an nahm. In diesem undurchsichtigen Durcheinander aus Blättern, Stielen und Kolben glaubte ich, furchteinflößende Fratzen und böse funkelnde Augen zu erblicken, grausige Kreaturen, die nur darauf warteten, sich auf uns zu stürzen.

Die Wasseroberfläche kräuselte sich unheilvoll und eine zähklebrig, ölige Substanz durchzog den Miskatonic. Dort, wo sie mit Fischen und Pflanzen in Berührung kam, ging eine unheilvolle Veränderung mit ihnen vor. Dieses Zeug schien in die Organismen einzudringen und sie zu assimilieren. Die Körper der Fische begannen zu zucken und führten widerwärtige Verrenkungen aus. Die Schling-, und Wasserpflanzen, die mit dieser schmierigen Flüssigkeit in Kontakt kamen, krümmten und bogen sich auf abartige Weise.

Und dann wich jegliches Leben aus den befallenen Lebewesen. Was dann wenige Sekunden später aus den Tiefen der Unterwelt zurück ins Leben kam, war wider die Natur. Die Leiber der Fische waren aufgedunsen, und ich erkannte im Zwielicht des Mondes ihre leblosen, milchig trüben Augen, mit denen sie orientierungslos umher glotzen.

…und plötzlich fielen diese fischigen Dinger übereinander her!

Mir gefror das Blut in den Adern, als ich dieses grausame Schauspiel verfolgte und zusehen musste, wie sie sich gegenseitig zerfleischten.

Doch was noch viel beängstigender war: die unheimliche, klebrige Substanz kroch unaufhaltsam auf unsere alte Barke zu.

Ein Schlag auf meinen Rücken holte mich in die Realität zurück. Ich keuchte auf und fragte meinen Freund Steven, ob er auch das grausame Schauspiel verfolgt habe. Doch dieser lachte nur und meinte, dass ich zu lange Peters Geschichten gelauscht hätte.

Als ich meinen Blick erneut über die nächtliche Umgebung schweifen ließ, konnte ich jedoch nichts Ungewöhnliches mehr erkennen. Mein Verstand schien mir einen bösen Streich gespielt zu haben.

Erleichtert, wenn auch etwas verwirrt, ging ich zu meinen Freunden hinüber, setzte mich auf die Holzplanken und versuchte mir mein Unbehagen nicht weiter anmerken zu lassen. Peter öffnete mit seinem Gasfeuerzeug eine Flasche Bier und reichte sie mir, dabei starrte er mir eindringlich in die Augen und nickte kaum merklich.

Am nächsten Morgen war das nächtliche Grauen fast verschwunden, und die wärmenden Strahlen der aufgehenden Sonne spülten den letzten Funken Unbehagen davon.

Nachdem wir uns gestärkt hatten, holten wir den Anker ein und ließen uns von der Strömung weiter den Miskatonic entlang treiben. Dennoch war ich angespannt und fühlte mich verfolgt.

Der Vormittag verstrich jedoch ohne nennenswerte Ereignisse, und als die Sonne im Zenit stand, verspürte ich wieder innere Ausgeglichenheit. Lediglich ein anschwellender Geruch von vergammeltem Fisch bereitete mir Übelkeit.

Gegen Nachmittag schlug das Wetter unerwartet um. Dicke Regenwolken zogen in der Ferne am Firmament auf, und eine Stunde später verkündeten der lauter werdende Donner und vereinzelte Blitze das bevorstehende Unwetter.

Und wie aus dem Nichts heraus zeigten sich mit einem Mal riesige, dunkle Gebilde in der Ferne, drohend über den Horizont hinausschiebend. Sie zeichneten sich verwaschen und grob schraffiert vor den immer dunkler und immer höher in den Himmel hineinwachsenden Gewitterwolken ab, und wir alle wussten welch düsterer Ort sich dort vor uns erhob: Arkham.

Der Sturm traf uns mit voller Wucht und der zeitgleich einsetzende Wolkenbruch war sintflutartig. Wir reagierten geistesgegenwärtig und flüchteten uns in den engen Steuerraum.

Der Regen hämmerte auf das rostige Wellblechdach und das dünne Holz ächzte und knarrte bedrohlich bei jeder Windbö. Es war schlagartig so dunkel geworden, dass wir eine alte Petroleumlampe entzünden mussten, um halbwegs sehen zu können. Der speckige, wachsartige Schein der matt lodernden Flamme zuckte gespenstisch und warf diabolisch tanzende Schatten auf die hölzernen Wände. Die Glasscheiben beschlugen durch unseren feuchtwarmen Atem, so dass wir blindlings voran trieben, während die Welt da draußen im Chaos versank.

Die Miskatonic schwankte wild auf und ab und schon nach wenigen Minuten hatte Jason die Kontrolle über das Steuer verloren.

Unsere Barke lief nun der Gefahr entgegen, zu nahe an das Ufer gedrückt zu werden und auf Grund zu laufen, denn an manchen Stellen des Flusses gab es scharfkantige, unter der Wasseroberfläche gelegene Steine, an denen sich die Miskatonic den Unterboden aufreißen konnte.

Steven beschloss, in den peitschenden Sturm hinaus zu gehen und den Anker auszuwerfen, so dass die Barke nicht havarieren konnte. Er legte den ölig grünen Fischermantel und den dazu gehörigen Hut an, riss die krumm in den Scharnieren hängende Holztür auf, die durch die Kraft des Windes seinen Fingern entglitt und mit voller Wucht gegen die Holzwand geschmettert wurde.

Während wir alle erschraken, schien Steven sichtlich unbeeindruckt von der unbändigen Naturgewalt zu sein die draußen tobte. Er zog den Fischerhut tief ins Gesicht und verschwand hinter einer dichten, herabstürzenden Wassersäule.

Die Luft hatte sich massiv abgekühlt und augenblicklich begann ich zu frieren. Mit vereinten Kräften gelang es uns die Tür wieder zu schließen, doch der kurze Augenblick hatte gereicht, um uns alle vollkommen zu durchnässen.

Jason wischte über die beschlagene Scheibe und wir blickten angestrengt in den Sturm hinein, doch der stetig anschwellende Regen verhinderte jegliche Sicht, und die hinab rinnenden Tropfen hinterließen bizarre Formen auf dem zerkratzten Glas.

Dann gab es plötzlich einen Ruck und die Miskatonic stoppte. Steven hatte es tatsächlich geschafft den Anker auszuwerfen.

Doch unsere anfängliche Euphorie schlug in plötzliche Ernüchterung um. Es gab einen kurzen Aufschrei und mit einem Mal war es totenstill.

Der Sturm, der Regen, der Donner, alles hatte mit einem Mal aufgehört zu existieren. Zurück blieb nichts weiter als drückende, niemals enden wollende Stille, die alles um mich herum auffraß und die Zeit zu Eis gefrieren ließ.

Die matt gelblich lodernde Flamme in der alten gusseisernen Petroleumlampe flackerte hektisch, bäumte sich auf und erlosch zwischen zwei schnellen, hart aufeinander folgenden Herzschlägen. Grafitfarbener Rauch kräuselte sich unheilvoll in dem engen Steuerraum, dessen hölzerne Wände mit einem Mal näherkamen und mich zu zerquetschen drohten.

Die Regentropfen an den Fensterscheiben gefroren zu Eiskristallen und der leblose, sterile Schein des gewaltigen Mondes, der plötzlich hinter den Wolken hervortrat, legte sich wie ein Leichentuch über die Miskatonic.

Draußen vor dem Fenster tanzten verzerrte Schatten in abnormen Bewegungen, und ich spürte mit einem Mal, wie sich die Welt um mich herum zu drehen begann. Ich stürzte in einen gewaltigen, immer tiefer stoßenden Malstrom, dessen Inneres von schwerfällig rotierenden Bohrköpfen durchzogen war. Farben und Formen verschwammen vor meinen Augen und ich verlor mich in diesem immer schneller kreisenden Strudel meines, aus den Fugen geratenen, Verstandes.

Von irgendwoher drang der leise, blecherne Klang einer Stimme, dessen Intensität jedoch schnell anschwoll.

Dann wurde mit einem Ruck die Tür zum Steuerraum aufgerissen und Jason stürzte herein. Er schrie mich an, fragte, was mit mir los sei, ob ich nichts unternehmen wolle und begann mich wild zu schütteln.

Seine Worte drangen dumpf und gefiltert in meine Ohren. Er gestikulierte aufgebracht vor meinem Gesicht herum, wies mich an ihm zu folgen und verschwand draußen in den langen, gespenstischen Schatten.

Perplex schaute ich mich um und realisierte, dass ich keine Ahnung hatte, was gerade geschehen war?!

Benommen taumelte ich aus dem Steuerraum.

Die Gewitterfront war abgezogen und obwohl es nicht später als 5 Uhr nachmittags war, herrschte hier draußen eine unnatürliche Dunkelheit, deren Allgegenwärtigkeit mich verwirrte. Der abgestandene, intensive Geruch von Fisch drang in meine Nase und ließ mich mehrmals kräftig würgen.

Peter und Jason liefen panisch an Deck hin und her, tauchten aus der Finsternis auf und verschwanden wieder in den Schatten, riefen Stevens Namen und leuchteten mit ihren Taschenlampen den Fluss ab, von dem ein unterschwelliges Blubbern, Prickeln und Schmatzen aus ging. Die hohlen Lichtkegel huschten nervös über die Wasseroberfläche, über der sich ein kaum merklicher, Nebel-ähnlicher Dunst gebildet hatte.

Drückende Schwüle nährte die Luft und auf merkwürdige Weise fühlte sich die gesamte Umgebung ungemein feucht an, klebte und triefte vor Nässe.

Als sich mein Blick von dem Durcheinander auf der Barke löste und die Schatten meiner Neugier wichen, vergaß ich für einen kurzen Moment die missliche Lage, in der wir uns befanden, denn das, was jenseits des Flusslaufes des Miskatonics erwuchs, übertraf all meine Vorstellungskraft und war gleichzeitig Auslöser der ewigen Dunkelheit, die hier vorherrschte.

Die unzähligen, düsteren Wolkenkratzer, die bis weit in den Himmel hinein wuchsen, warfen gespenstische Schatten und waren gleichzeitig Projektionen noch größerer Wolkenkratzer und deren Schemen, die mit weiteren titanenhaften Abbildern morbide anzusehender Hochhäuser verschmolzen, so hoch und so dicht aneinander gebaut, dass sich niemals ein Sonnenstrahl in die finsteren Gassen verirrte. Altmodische Gaslaternen mit kunstvoll verzierten Fassungen, umfassten milchig angelaufene Glasgehäuse, aus denen diffuses Licht drang.

Mir gefror das Blut in den Adern, als mir bewusst wurde, wo wir uns befanden. Während die Stadt mit jeder weiteren Sekunde höher in den Himmel zu wachsen schien, fiel mir plötzlich ein, dass ich meine Freunde vollkommen vergessen hatte.

Ich löste mich von meiner Befangenheit und realisierte, was um mich herum vor sich ging.

Steven war bei dem Versuch, den Anker auszuwerfen, über Bord gegangen und die Suche nach ihm bis jetzt erfolglos verlaufen. Just in dem Moment, in dem ich mich besann und meine Freunde bei der Suche unterstützen wollte, stieß die Miskatonic gegen eine, mit dicken Muscheln und Seeigeln bewachsene, backsteinerne Kaimauer.

Der Zusammenprall fegte mich beinahe von den Beinen, und während ich versuchte das Gleichgewicht wieder zu finden, gerieten Peter und Jason in Streit. Jason kletterte über die Reling und schlug Peters Warnung in den Wind, der ihn mit allen Mitteln daran hindern wollte, einen Fuß in Arkhams Gassen zu setzen. Doch Jason hörte nicht auf ihn und warf Peter vor, ein Feigling zu sein, der einen Freund lieber ertrinken ließ, als Hilfe zu holen.

Mit diesen Worten drehte sich Jason um und verschwand in der von dichten Nebelschleiern durchzogenen Dunkelheit.

Peter trat mit voller Wucht gegen die Bordwand und fluchte lautstark. Ich hastete zu ihm hinüber und versuchte ihn zu beschwichtigen, doch er riss sich los und schubste mich weg. Um mich einer weiteren Eskalation zu entziehen, beschloss ich, Jason nachzueilen, um mit ihm gemeinsam nach Hilfe zu suchen.

Da durchbrach ein grauenvoller Schrei die Dunkelheit, der uns beide in höchste Alarmbereitschaft versetzte.

Wir kletterten die Kaimauer hinauf und riefen nach unserem Freund, doch die trügerische Dunkelheit blieb uns eine Antwort schuldig. Angestrengt lauschten wir in die neblige Finsternis, in der Hoffnung auf ein Lebenszeichen. Sekunden, Minuten des bangen Wartens verstrichen, ohne das sich etwas regte.

Mein Herz machte einen Sprung und die Hände begannen unkontrolliert zu zittern, als ein säuselndes, kaum merkliches, qualvolles Stöhnen die unheimliche Stille vertrieb und leises ungleichmäßiges Schlurfen auf dem harten Asphalt immer lauter wurde.

Zuerst war es nur ein geisterhafter Schemen, eine unförmige dunkle Kontur, die den Nebel auseinanderriss und wankend näher kam.

Eine scheußliche Vorahnung beschlich uns, die augenblicklich in blankes Entsetzen umschlug, als wir Jason in zerfetzter Kleidung, mit blutbesudeltem Gesicht und von unzähligen Bisswunden überzogen, ungelenk auf uns zu staksen sahen.

Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, doch Peter hielt mich zurück, zog seinen Revolver und wies mich an auf die Miskatonic zurück zu kehren. Er sagte dies mit solchem Nachdruck, dass ich Angst hatte, ihm zu widersprechen.

Was sich dann abspielte, war ein wahnsinniges, Fiebertraum-gleiches Durcheinander aus verstörenden Bildern und Gefühlen, die ich nie wieder vergessen werde.

Jasons blutverschmiertes Gesicht blähte sich mit einem Mal unförmig auf, sein gesamter Kopf schwoll an und die Haut schien sich wachsartig zu verflüssigen. Als er seinen Mund öffnete, entblößten sich messerscharfe Zähne, und ehe Peter Begriff, was geschah, rammte Jason auch schon sein tödliches Beißwerkzeug in Peters Hals hinein.

Unsere Schreie erklangen fast zeitgleich. Peters vor unbändigem Schmerz, und meiner vor blankem Entsetzen.

Ein Schuss zerriss die Dunkelheit und Jasons lebloser Körper sackte in sich zusammen, ein Teil von Peters Kehle aus seinem scheußlichen, ausgefransten Maul heraushängend.

Blut spritzte in unregelmäßigen Intervallen aus der klaffenden Wunde. Ich sprang von der Barke auf die Kaimauer und hastete zu Peter hinüber, doch er wehrte ab, richtete seinen Revolver auf mich und zwang mich erneut, auf das Boot zurückzukehren. Er versuchte zu sprechen und gab mir unter gequältem, blutsuppendem Gurgeln und Blubbern zu verstehen, dass ich sofort aus Arkham fliehen müsse, ohne jemals zurück zu blicken, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen.

Dann legte Peter seine Waffe an die Schläfe und schoss sich in den Kopf.

Obwohl ich rund 5 Meter entfernt stand, besudelten Blut und Hirnteile meine gesamte Kleidung.

Ich werde diesen Moment niemals vergessen, als Peters Körper auf den harten Boden aufschlug und sich im nächsten Augenblick dutzende von stöhnenden, grotesk verrenkte Gestalten aus der Dunkelheit schälten und sich auf ihn stürzten.

Noch Stunden später fühlte ich mich völlig betäubt, wurde immer wieder von Panikattacken heimgesucht und brach ständig in Tränen aus. Ich stand am Steuer der Barke und navigierte sie durch niemals enden wollende Dunkelheit, vorbei an beängstigend anzusehenden Kirchen und Kathedralen, verfallenen Gebäuden, unheimlichen Friedhöfen und engen Häuserschluchten.

Die Zeit schien aus den Fugen geraten und ich glaubte, tagelang ziellos durch Arkham zu treiben.

Mir blieb jedoch nichts anderes übrig, als nach vorn zu blicken, um diesem Alptraum doch noch entfliehen zu können. Ich durfte die Barke nicht verlassen, denn dort draußen in den Straßen wandelte der Tod in Gestalt von lebenden Toten, die unweigerlich über mich kommen würden, sobald ich die Miskatonic verließ.

Ihr Stöhnen und Schlurfen war allgegenwärtig. Sie standen in Scharen an den dreckigen Kaimauern, sabberten, geiferten und streckten ihre abgenagten Arme nach mir aus.

Der Tod zog durch Arkhams Gassen, begleitet von dem Geruch verwesender Leichen und stinkendem, fauligem Fisch.

Und so trieb ich dahin, ohne ein Blick zurück zu werfen, bis irgendwann ein Licht am Horizont erschien, in das ich eintauchte.

Doch die Welt hatte sich verändert. Die satten Farben waren verblasst, Flora und Fauna verwelkt und alles versank in trister Schwermut. Ich traute mich nicht von Bord zu gehen, denn in der Ferne, zwischen trostlos anzusehenden Bäumen und Büschen, wandelten dunkle, furchteinflößende Schatten.

Die ersten Menschen, die ich zu Gesicht bekam, begegneten mir mit Hass und Argwohn. Sie beschimpften mich und bewarfen die Miskatonic mit Dreck und Steinen. Manche drohten sogar, mich umzubringen, wenn ich es auch nur wagte die Barke zu verlassen.

Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als an den Ort zurück zu kehren, von dem wir aus gestartet waren, doch ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, woher ich kam.

Orientierungslos und von plötzlicher Panik ergriffen drehte ich mich um und blickte auf Arkham zurück. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken und augenblicklich spürte ich den Wahnsinn in mir erwachen.

Noch Tage später war die Trauer über den Verlust meiner Freunde schier unerträglich, aber die Gewissheit, am Leben zu sein, überwog den Horror und alle schlimmen Erinnerungen an das bisher Erlebte.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als meine Reise zu Ende zu bringen, in der Hoffnung irgendwo an der Mündung des Flusses von Bord gehen zu können, ohne dass man mir nach dem Leben trachtete.

Doch als das Morgengrauen des dritten Tages anbrach, wurden all meine Hoffnungen zerschmettert. Krampfhaft versuchte ich, die Miskatonic zu wenden, doch es war bereits zu spät. Ich war in den Sog von etwas Großen geraten; etwas, das ich am Anfang unserer Reise nicht deuten konnte. Und erst jetzt, da der Wahnsinn in mir zu erwachen beginnt, verstehe ich die Zusammenhänge.

Denn östlich von Arkham, dort wo der Flusslauf des Miskatonic sein nach Verwesung stinkendes Wasser in den Atlantik ergießt, befindet sich, unweit des schroffen, steil aufragenden Küstenstreifens, die alte stillgelegte Bohrinsel Innsmouth 1. Ein Bauwerk aus längst vergangenen Tagen, von dem heute keiner mehr sagen kann, wer es eigentlich erbaut hat.

Doch ich kenne die Wahrheit, denn das, was sich dort vor den Blitz-zerfurchten, Sturm-gepeitschten Wolkenbergen düster und zyklopisch in den Himmel erhebt, ist der Inbegriff des Wahnsinns, dem Arkham und seine Einwohner zum Opfer gefallen waren. Die gigantische Bohrinsel war die perfide oktopoide Ausgeburt einer Höllenkreatur, die sich aus den Tiefen der Erdeingeweide herausgeschält und hier verankert hatte.

Ihre dicken, wulstigen von tausenden Saugnäpfen überzogenen Tentakel reichten weit, sehr weit, und die Bewohner Arkhams hatten als Erste diesem Moloch Zutritt gewährt, der sich seit Jahrzehnten von ihnen nährt. Und von all jenen, die nicht stark genug waren, dem Sog des Polypen zu widerstehen. Auch wir waren diesem Sog gefolgt und der Bestie zum Opfer gefallen, die bereits dabei war, mit ihren Fängen das gesamte Land durchzuwuchern.

Alles was mir bleibt, sind wirre Bilder und fetzenhafte Erinnerungen, von denen ich nicht einmal weiß, ob es die Meinen sind.

Ich bin in einen niemals enden wollenden Kreislauf hinein geraten, in einen ständig wiederkehrenden Alptraum, eingepflanzt von diesem Krakengezücht, das mich aussaugt, mich auslaugt und als einer dieser lebenden Toten wieder ausspuckt, die nun seelenlos durch die engen, düsteren Straßen Arkhams wandeln.

Ich rieche den fauligen Auswurf von verrottenden Leibern und gequälten Seelen um mich herum.

Ich höre ihre Schreie….ihre Todesschreie.

Ich fühle den Wahnsinn in mir erwachen. Es ist der unbändige Drang nach frischem Fleisch und warmen Blut, der mich in eine ruhelose, grauenvolle Bestie verwandelt, festbeißend an die letzten Stunden meines Lebens, die nun in puren Hass umschlagen und wie eine Endlosschleife in meinem Kopf rotieren.

Ich sterbe, und wenn mein Körper wiederkehrt, wird er nichts weiter sein als ein weiterer, stinkender Kadaver, und plötzlich versinkt mein Verstand in tiefstem Grauen, durch das Grauen, das ich in der Tiefe sah, denn in jener grauenvollen Tiefe sind es Höllenqualen, die mein Geiste mir gebar…

Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf. Ich war schweißgebadet und völlig verstört. Unfähig mich zu regen, unfähig mich zu bewegen.

Seitdem ich mich erinnern kann, habe ich denselben immer wiederkehrenden Alptraum, der mich bis auf das Tiefste verstört und allmählich in den Wahnsinn treibt.

Heute weiß ich jedoch, welches krebserregende, Abgas-geschwängerte Geschwür für all meine Qualen verantwortlich ist, nämlich jener düstere Ort, dessen Namen ich nur unter äußerster Abscheu und größtem Widerwillen auszusprechen vermag.

Erneut kehren meine Gedanken an diesen Ort zurück und es führt mich unausweichlich zu jenen Tagen, an die ich mich mit Grauen erinnere, und an keinen Tag zuvor…

Veröffentlichungen:

Ingo Spang – Paints End (Roman)

ISBN: 978-3748182788

Ingo Spang – Es kam aus Arkham

(Kurzgeschichten)

ISBN: 978-3751998413

Stephan Maximilian Gert

Die rote Krone

“Bis morgen, König!”

Es war bereits nach 20 Uhr, als der letzte Kollege, Sven, das Büro verließ, und bis auf den Schein von zwei Straßenlaternen war durch die Fenster nur Dunkelheit zu sehen.

Über den dummen Königs-Scherz, der ihn jetzt seit Monaten begleitete, regte Sebastian sich schon gar nicht mehr auf. Weil er dazu tendierte, die Menschen manchmal ein wenig herumzukommandieren, hatte man ihm diese Amtsbezeichnung verpasst.

In seinen Augen hatte er es sich aber eigentlich auch verdient, die Leute ein wenig zu befehligen. Er arbeitete mit Sicherheit am härtesten in dieser Bude. Außerdem schien er hier beinahe der Einzige mit Ahnung zu sein. Auch heute würde er noch eine Weile hier sitzen müssen.

Nach einem sehr langen Tag voller Katastrophen in der IT mussten Dutzende E-Mails an Kunden geschrieben werden, um die aktuelle Situation zu erklären und eine baldige Lösung der Probleme zu versprechen.

Zumindest war es jetzt still in dem sonst lärmenden Großraumbüro, nur die Spülmaschine in der kleinen Büroküche war im Hintergrund zu vernehmen.

Sebastian nahm die Liste der Kunden zur Hand, denen er heute noch schreiben wollte. Er war noch nicht über das erste “Sehr geehrte Frau…” hinaus, als plötzlich mehrere E-Mails im Abstand weniger Sekunden eintrafen.

Normalerweise hätte Sebastian sich diese neuen Mails für den nächsten Tag aufgehoben aber da heute bereits so viel schiefgelaufen war, befürchtete er den nächsten Notfall.

Auf den ersten Blick handelte es sich dann aber doch nur um Spam, wenn auch sehr Merkwürdigen. Die Mails hatten weder einen Betreff noch einen Absender - was überhaupt nicht möglich sein sollte - und enthielten immer nur dieselben drei Worte.

“Er ist zurück.”

Als Sebastian versuchte, die E-Mails zu löschen, tauchten jedes Mal sofort einige Neue auf, immer mit demselben Inhalt. Und ohne Absender konnte er sie auch nicht automatisch als Spam Mails markieren.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass selbst die Empfängeradresse nicht stimmte. Da stand nicht seine Firmen Mailadresse, sondern immer nur “Der Erbe”.

Nach diversen Versuchen, das Problem zu beheben und zu recherchieren, ob andere Menschen im Netz schon ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, beschloss Sebastian trotz aller Bedenken, die Sache bis zum nächsten Tag liegen zu lassen. Es war einfach schon zu spät und er hatte Kopfschmerzen.

Die letzten paar Mails an die Kunden mussten dennoch fertig werden, dann würde er endlich Feierabend machen, sich zuhause in seinem großen Sessel niederlassen und zwei oder drei Bier trinken.

Dann sah er die Werbung. Alle Banner, Einblendungen und Pop Ups auf den geöffneten Websites zeigten nicht mehr Anzeigen für Autos, Kredite oder Videospiele.

Stattdessen immer dasselbe Bild, überall. Eine stilisierte, rote Krone auf schwarzem Hintergrund. Und darunter der Satz. “Er ist zurück.”

In diesem Moment wurde der Bildschirm schwarz und das Surren des Rechners verstummte mit einem Schlag. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, und Sebastian merkte, wie sich Panik in ihm breit machte.

Im ersten Moment verstand er nicht einmal genau, wieso eigentlich. Er hatte schon häufig Probleme mit seinem Computer gehabt, auch wenn dieses besonders ungewöhnlich erschien. Dann aber registrierte sein Bewusstsein, was sein Unterbewusstsein schon vor einigen Sekunden realisiert hatte:

Nicht nur der Rechner war still geworden. Auch das Brummen der Spülmaschine war verstummt. Selbst von der Straße vor dem Büro waren keine Geräusche mehr zu hören.

Die Stille war wie eine Explosion. Das Einzige, was Sebastian noch wahrnehmen konnte, war sein eigener Herzschlag und der zunehmende Kopfschmerz, der auf seinen Schädel zu drücken schien. Das Licht war jedoch weiterhin an, also konnte es kein Stromausfall sein.

Absolute Stille. Sebastian stand von seinem Schreibtisch auf und ging ans Fenster, öffnete es und blickte vom ersten Stock hinunter auf die Straße. Es war Freitagabend und das Büro lag in einem beliebten Ausgehviertel, aber da war nichts. Kein Mensch auf der Straße, keine Autos, kein Geräusch, nicht mal ein Windhauch war zu hören.

“Er ist zurück.”

Der Gedanke stand plötzlich in riesigen, roten Lettern in seinem Kopf und ein Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn. Es war, als würde er es plötzlich glauben, ohne es zu verstehen. Etwas war jetzt da, war wieder da.

Dann sah er Sven, und Erleichterung durchströmte ihn, als hätte der Anblick eines anderen Menschen alles zurück in die Normalität gerückt. Direkt vor dem Bürogebäude stand sein Arbeitskollege mit ihm zugewandten Rücken und schien den Himmel zu beobachten.

Sebastian rief zweimal nach ihm, aber Sven reagierte nicht. Es konnte sich aber um niemand Anderen handeln, er erkannte das auffällig karierte Hemd, das sein Kollege heute getragen hatte.

Dann hob auch Sebastian den Blick gen Himmel und der kurze Moment der Beruhigung wurde ihm mit solcher Gewalt entrissen, dass er sein Herz aussetzen spürte.

Der Himmel war schwarz. Nicht dunkel wie in jeder anderen Nacht, sondern schwarz. Kein einziger Stern war zu sehen. Kein Mond. Als hätte jemand eine Decke über die Welt geworfen.

Dieses Mal schrie er den Namen seines Kollegen aber dieser bewegte sich keinen Millimeter, und die Stille, in der sein Schrei sich einfach aufzulösen schien, dröhnte in seinem schmerzenden, immer schwerer werdendem Kopf. Dann hört er den Satz.

“Er ist zurück.”

Die Stimme kam eindeutig aus Svens Richtung. Kalt und monoton; nur diese drei Worte.

Sebastian griff nach seiner Tasche und eilte mit schnellen Schritten, vorbei an verlassenen Schreibtischen und schwarzen Monitoren, auf die Bürotür zu.

Wie immer flackerte jede dritte oder vierte der Deckenleuchten im Flur, was die Kopfschmerzen weiter befeuerte, während er auf dem grünen, abgenutzten Linoleumboden durch die Gänge des Bürogebäudes hastete. Als er sich die Haare aus den Augen streichen wollte, merkte er, dass seine Handflächen nicht nur feucht, sondern klitschnass waren.

Als ahnte sein Körper bereits etwas, das sein Geist noch nicht zu erkennen bereit war.

Sein Finger legte sich auf den Knopf des Fahrstuhls, dann hielt er inne. Da war sie wieder. Anstatt dass die Digitalanzeige des Fahrstuhls wie sonst ein “E” oder eine Etage anzeigte, war da eine rot leuchtende Krone. Er wollte gar nicht wissen, was die Ansagestimme im Fahrstuhl sagen würde, also benutzte er die Treppe.

Sebastian riss die Türen vom Haupteingang auf und trat auf den Bürgersteig hinaus. Sofort gesellte sich eine überwältigende Übelkeit zu den Kopfschmerzen und Schweißausbrüchen - die Panik drohte jetzt völlig die Kontrolle zu übernehmen. Es waren einfach zu viele, zu falsche Eindrücke auf einmal.

Das Erste, was ihn beim Verlassen des Gebäudes traf, war eine Welle unglaublich schwüler, fast tropischer Luft. Dabei war es Ende Herbst. Heute Mittag waren es vielleicht 10 Grad gewesen.

Dann war da die Stille. Selbst hier draußen, auf der Straße. Kein Windhauch. Kein Fahrzeug. Kein Geräusch.

Ein Blick nach oben zeigte nur eine Tiefschwarze Decke, kein Stern, kein Satellit, kein Mond.

Und dann sah er die Anzeigen. Die Straßenseite gegenüber des Bürogebäudes, in dem er arbeitete, war seit jeher mit diversen, großen Werbetafeln gepflastert, auf denen zumeist Werbung für Bier, neue Filme oder andere Konsumprodukte gemacht wurde.

Aber nicht heute Nacht. Jede der großen Tafeln und auch die kleinen Plakate darunter, ja sogar die normalerweise politisch motivierten Aufkleber auf den Laternenmasten - Sie alle zeigten die rote Krone und sprachen diesen furchtbaren Satz.

Sebastian wollte nach Hause rennen. Er würde sich verkriechen, seinen bleischweren, schmerzenden Kopf aufs Kissen legen und einschlafen. Dieser ganze Irrsinn würde sich alles als ein schlechter Traum herausstellen.

Dann sah er, dass dieser schlechte Traum auch das nicht zulassen würde. Das Schwarz des Himmels war auch hier unten. Die Straße in Richtung seines Hauses hörte von einem auf den anderen Meter in einer schwarzen Wand auf, in purer Dunkelheit. Sebastian kämpfte mit den Tränen und gleichzeitig gegen das Gefühl an, seinen Verstand zu verlieren.

“Er ist zurück.”

Erst jetzt fiel ihm Sven wieder ein. Er stand nicht mehr direkt vor dem Gebäude, sondern war einige Meter weiter nach rechts den Gehweg hinunter gegangen, in Richtung Stadtzentrum. Er bewegte sich schnell, aber ein wenig ruckartig. Mit jedem Schritt konnte man in der allgegenwärtigen Stille den Stoff seiner Jeans aneinander reiben hören. Und immer wieder murmelte er diesen Satz.

Sebastian rief erneut den Namen seines Kollegen, während er ihm hinterherlief, bekam aber keine Reaktion. Als er Sven erreichte, lief ihm bereits Schweiß in die Augen. Die Hitze war beinahe unerträglich.

Dann griff er nach Svens Schulter, dreht ihn zu sich um und schrie auf. Er blickte in ein völlig leeres Gesicht. Nicht ausdruckslos, sondern leer. Wo Augen, Nase, Mund hätten sein sollen, war nur ein schwarzes Loch. Da waren kein Blut und keine Verletzungen, es war, als wäre sein Gesicht einfach gelöscht worden. Aus dem Loch kam die kalte, monotone Stimme:

“Er ist zurück.”

“Wer?” Sebastians taube Lippen hatten das Wort einfach geformt, ohne dass er darüber nachgedacht hatte. “Wer ist zurück?”

Was einmal Sven gewesen war, deutete langsam zuerst auf Sebastian, dann auf die Plakate mit der roten Krone, und schließlich in Richtung Innenstadt und setzte sich wieder in Bewegung.

Er folgte dem Wesen. Er hatte jeglichen Widerstand aufgegeben, und wenn er nun wahnsinnig geworden war, wollte er zumindest wissen, was das alles zu bedeuten hatte. Wenn gerade die Welt unterging, ebenso.

Nach ungefähr fünfzehn Minuten waren sie der Stadtmitte bereits nahe, und Sebastian, der sich mittlerweile permanent die Schläfen massierte, betrachtete die in den schwarzen Himmel ragenden Gebäude. Sie alle waren mit riesigen Werbetafeln ausgestattet, welche die rote Krone zeigten. Auch auf den, in einigen Schaufenstern stehenden, Bildschirmen flimmerte das Symbol zusammen mit dem unheilvollen Satz:

“Er ist zurück.”

Selbst die digitalen Anzeigen von verwaisten, auf der Straße stehenden Bussen zeigten die Krone.

Jetzt bemerkte Sebastian in den Seitenstraßen weitere Menschen, die sich auf dieselbe, abgehackte Weise wie Sven bewegten und alle in dieselbe Richtung strebten: zur Stadtmitte und damit Richtung Marktplatz. Auch diese Anderen murmelten den schrecklichen Satz, der jetzt wie ein Echo aus der Dunkelheit durch die Straßen der Stadt hallte.

Es wurden immer mehr und mehr dieser einstmaligen Menschen. Und als Sebastian sich noch einmal umdrehte, ein letztes Mal überlegte, einfach zurück zu rennen, musste er feststellen, dass die Dunkelheit ihnen gefolgt war. Die ganze Stadt war umgeben von einer pechschwarzen Kuppel. Es gab kein Zurück für ihn.

Dann wurde es wieder still. Stiller noch als vorher. Die Wesen verstummten. Nur seine eigenen Schritte und sein flaches Atmen waren noch zu hören, als sie den großen Marktplatz in der Mitte der Stadt erreichten.

Hier waren sie zu Tausenden. In einem riesigen Kreis standen sie schweigend auf den Pflastersteinen des antiken Platzes und starrten alle auf etwas in ihrer Mitte.

Dann bewegten sie sich. Sie bildeten eine Gasse. Eine Gasse für ihn. Natürlich war sie für ihn.

Als sie sich auseinander schoben, gaben sie den Blick frei auf das, was in der Mitte des Platzes stand: Ein riesiger, schwarzer Thron. So schwarz, wie nichts auf dieser Welt sein sollte.

Er zögerte nicht, sondern ging an den Tausenden von Wesen vorbei und blieb vor dem Thron stehen. Dieses Gebilde war nicht aus Holz oder Stein. Kein Eisen oder Basalt. Es war etwas, das lange Zeit nicht hierher gehört hatte.

Er bestieg den Thron. Er blickte über die zahllosen Kreaturen, in ihr schwarzes, entstelltes, einstmals menschliches Antlitz.

“Zurück.”

Wie aus einem Munde sprachen sie dieses Wort und dann trat eines der Wesen vor und hielt Ihm das hin, was Ihm gebührte. Das, was sein Recht war. Die rote Krone.

Er hatte es endlich verstanden. Er war erwacht, hatte den Kokon aus menschlichen Gefühlen und einem unzulänglichen Verstand durchbrochen. Sich daran erinnert, dass dies seine Welt sein würde.

Er war zurück.

Martin Braune

Wächter des Abgrunds

Blindlings hastete ich den schmalen steinigen Küstenpfad entlang. Hinter mir verebbte gerade der sich langsam verfinsternde Wald, in dem ich seit Stunden umher geirrt war. Rechts von mir erhoben sich steile Felswände, zu meiner Linken brauste das fast zur Gänze geschwärzte Meer gegen die zerklüftete Brandung. In meinem Rücken türmten sich Gewitterwolken auf. Blitze zuckten in der Ferne. Ein Sturm zog auf, und mit den Schwingen eines dunklen Vorboten folgte ihm die, von Unheil geschwängerte, Nacht.

Ich wischte mir mit dem Ärmel meiner Jacke den Schweiß von der Stirn und verfluchte mich selbst. Es war pure Idiotie gewesen, noch zu so später Stunde einen Aufbruch zu wagen.

In dem Wissen, dass ich wohl völlig durchnässt die nächste Siedlung erreichen würde, gewahrte ich die letzten Strahlen der Abendsonne, wie sie vom Wasser der schwarzen See verschlungen wurden.

Windböen versuchten mich mit zunehmender Beharrlichkeit von meinem schmalen Pfad abzudrängen. Eines war mir klar: würde mich die geifernde Gischt zu fassen kriegen, wäre dies mein sicheres Ende.

Plötzlich jedoch erspähte ich Lichter in der Ferne. Es musste das kleine Fischerstädtchen sein, von dem man mir anderenorts mit zunehmender Zurückhaltung erzählte, je näher ich ihm kam.

Doch ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Mit einem lauten Krachen versetzte mir das nahende Gewitter den nötigen Schub, um nicht wie ein Grashalm im Winde einzuknicken. Vom Donner getrieben und meine letzten Reserven zusammen raffend, kämpfte ich gegen die tobenden Böen an.

Jetzt setzte sintflutartig der Regen ein und nahm mir fast völlig die Sicht. Eine Ewigkeit, so schien es mir, rang ich mit dem boshaften Wetter, bis ich plötzlich das erste von Licht beschienene Haus erreichte.

Es war eine kleine Herberge. Ich wollte gerade aus dem Regen über die Schwelle treten, als ich im Augenwinkel etwas in eine Seitengasse huschen sah.

Wahrscheinlich eine Katze, dachte ich. Doch da war dieses merkwürdige Geräusch, ein leises Gurgeln... Oder spielte mir der prasselnde Regen nur einen Streich? Ich verharrte noch kurz vor der hölzernen Eingangstür, doch trat dann zügig ein.

Triefend nass betrat ich den Raum, schritt geradewegs zum Tresen und erzählte dem Wirt kurz und knapp von meiner misslichen Lage. Dabei fielen mir die missbilligenden Blicke der anderen anwesenden Gäste auf. Es irritierte mich, jedoch maß ich dem Ganzen in diesem Moment keine weitere Bedeutung zu.

Der stämmige Wirt gab mir den Zimmerschlüssel mit der Nummer 7 und äußerte wortkarg, dass seine Frau mir noch einen Korb mit sauberer Kleidung vorbeibringen würde, da meine ja augenscheinlich vollkommen durchnässt und schmutzig sei.

Ich schritt durch einen hölzernen Gang hinauf zu den Zimmern, fand die Tür mit der gravierten “7“ und trat dann hinein.

Als ich mir nach einer ausgiebigen heißen Dusche die saubere Kleidung anzog, welche man vor meiner Zimmertür abgestellt hatte, betrat ich erneut die schmale Holztreppe im eichernen Gang, um mich dann erneut neben dem Tresen des Wirtes einzufinden.

Die alten Dielen knarrten unter meinen Sohlen, sodass man mich schon seit dem Betreten der Treppe vernommen haben musste.

Doch anscheinend stritt der Wirt mit einem seiner Gäste. Ich verstand mitnichten alles, konnte aber dennoch Folgendes vernehmen: Der Wirt sprach vorwurfsvoll:

“Was hätte ich denn machen sollen?“

Der Fremde antwortete darauf wütend und zugleich ängstlich:

“Sie werden es bereits wissen. Bei Gott, bete! Bete, dass Sie es uns nicht vergelten!“

Mit einem Krachen knallte die Tür des Wirtshauses in sein Schloss zurück. Ich schritt bedächtig die restlichen Stufen hinab. Der Gastraum war leer. Nur der Wirt spülte noch die letzten Gläser, um sie anschließend gedankenverloren in seinem großen Schrank aus dunklem, merkwürdig gemasertem Holz sicher zu verschließen. Dann seufzte er.

“Diese Gläser und Krüge sind schon seit etlichen Jahren in Familienbesitz. Auch dieser Tresen hier steht schon seit Generationen an selber Stelle. Ich kann dies nicht einfach alles aufgeben.“

Ich wollte gerade etwas sagen, als er mir zuvor kam.

“Oh entschuldigen Sie meine geistige Abwesenheit junger Mann. Ich bin es nicht gewohnt so spät noch Gäste zu haben….besonders bei diesem Wetter.“ Er räusperte sich, doch darin schwang etwas Merkwürdiges . “Kommen Sie zu mir an den Tresen, junger Freund. Meine Frau hat wieder mal zu viel gekocht.“

Ich nahm also auf einem der hohen Stühle Platz und aß das noch leicht dampfende Mahl. Mit jedem Löffel floss langsam Leben zurück in meinen ausgelaugten Körper. Als ich fertig war, bedankte ich mich recht herzlich für die Gastfreundschaft, die man mir entgegengebracht hatte.

“Alle nennen mich hier den alten Gerald. Ich bin der Wirt dieses Gasthauses hier... Zum Küstennebel... Aber das war auch schon so ziemlich alles Nennenswerte über meine Person. Früher war hier mehr los.“ Und wieder schwang ein merkwürdiger kaum wahrnehmbarer Unterton in seinem Reden mit. “Also, wie stehts mit Ihnen junger Mann?“

“Franz….ehm Gottlieb,“ sprach ich mit zögernder Stimme. Ich konnte mir dieses seltsame Gefühl mitnichten erklären. “Sagen Sie, Gerald, ihre Gäste vorhin haben schlagartig ihre Unterhaltungen eingestellt und die Krüge gesenkt, als ich herein trat. Sie mögen hier keine Fremden, was?“

Der Wirt erschien mir bei die Frage etwas blasser als vorher, jedoch bin ich mir nicht sicher, ob er sie überhaupt vollständig wahrgenommen hatte. Er schien geistesabwesend und auf irgendein Geräusch zu horchen. Ich vernahm nichts außer dem monoton prasselnden Regen vor dem alten hölzernen Eingang.

Verwundert über seine darauffolgende, fast schon etwas wehleidige Bitte, unsere Zusammenkunft für den heutigen Abend zu beenden, da ihn gleich die Müdigkeit übermanne, bedankte ich mich nochmals für die Bewirtung, sprach eine angenehme Nachtruhe aus und ging langsam die alte, knarrende Holztreppe empor, zurück durch den dunklen hölzernen Gang in mein Zimmer. Ich legte mich alsbald zur nächtlichen Ruhe und fiel ohne Weiteres in tiefe, von Alben durchwanderte Träume, welche mir die Genesung meines Geistes verwehrten.

Mit unbändigem Druck auf der Brust schnellte ich empor. Ich bemerkte einen fröstelnden Windstoß und blickte just darauf in Richtung des Fensters, welches vor dem Antritt zu meiner, von formlosen Schatten geplagten, Nachtruhe mehr als fest verschlossen war.

Doch….es war offen! Vom Wind gepeitschter Regen fiel auf das hölzerne Parkett und Böen trieben unentwegt die dunklen Vorhänge auseinander.

Aber da war noch etwas Anderes. Etwas saß im Rahmen des offen Fensters. Es war annähernd so groß wie eine Katze. Oberhalb war es traubenförmig, verjüngte sich zur Mitte und wurde dann wieder fast so breit, wie der obere Teil des Dings. Regungslos stand es da.

Plötzlich erhellte ein gleißender Blitz das Fenster und mit ihm das ganze Zimmer. Beim Anblick, welcher sich mir jetzt bot, entfuhr mir ein leiser gequälter Schrei. Im nächsten Moment öffnete das Ding seitlich zwei grässliche blutrote Augen, welche unverkennbar denen einer Raubkatze glichen. Weitere Augenpaare öffneten sich, und all jene Pupillen richteten sich auf mich.

Dann bewegte sich der untere Teil des Wesens, als ob es seine Glieder leicht strecken wolle. Ich erkannte Tentakel, doch sie waren mit einer Art Membran verbunden. Seine Haut glich in Farbe und Aussehen der einer Kröte. Der Kreatur entfuhr ein merkwürdiges leises Gurgeln, welches dann zu einer Art Knurren anschwoll. Reptilienhaft.

Dann sprang die groteske, medusenhafte Erscheinung auf mich zu und landete präzise auf meinem Bett. Tentakel fixierten sofort meinen Kopf und ein grässliche Szenerie fing an, sich in den widerwärtigen roten Raubtieraugen zu spiegeln.

Widerhaken, kleine runde Mäuler…..ein röhrenartiges Gebilde…….mein Kopf…..ich ersticke.

Nicht enden wollende Finsternis umfing mich und zog mich hinab zu unendlichen Alpträumen und chimärenhaften Schatten.

Aus Licht und Schatten wurde fabelhaftes Grau und dann verschwamm der Schmerz, die Zeit und jegliches Gefühl für Realität.

Das Licht des Mondes schien kühl und sanft durch ein offenes Fenster meines Zimmers. Schlaflos blickte ich dem leichenhaft blassen Himmelskörper entgegen, der mir zu dieser späten Stunde nur die Einsamkeit meiner Existenz verdeutlichte und mir den genesenden Schlaf verwehrte.

Alles schwieg. Konnte ich doch nur das Rauschen der Gezeiten vernehmen, welche beständig ihren Dienst verrichteten, während das Nachtgestirn in melancholischer Stille über dem Rhythmus der Wellen wachte. Irgendetwas trieb mich an, keine weiteren Versuche mehr zu unternehmen, der Irrealität meine nächtlichen Träumereien zu verfallen.

Wie in Trance stieg ich aus meinem Bett und kleidete mich an. Gelockt vom seidenen Schimmer des Mondes verließ ich mein kleines hölzernes Heim, versteckt hinter Dünen und Strandhafer, um langsam dem Rauschen der Gischt entgegen zu streben.

Ohne festes Ziel wanderte ich etwas oberhalb des Strandes entlang, wo den sanften Wellen die Kraft entrann. Kleine Krabben huschten im Schutz der Dunkelheit durch Tang und Treibholz.

Der Strand schien unendlich, ebenso wie mein Verlangen, das mich Diesen immer weiter entlang trieb. Eine sanfte Brise trug mir die leicht salzige kühle Luft entgegen, welche in ungezählter Zeit schon seit Ewigkeiten über die weite See zog. Sie war einsam und still, genauso wie ich, der ich hier durch diese Dünen schritt.

Das innige Verlangen in mir wuchs, mich der kühlen See zuzuwenden und meine ziellose Suche im seichten Wasser fortzusetzen. Geisterhaft sah ich beinahe am Rande meines Blickfeldes schemenhafte Lichter aufleuchten, die bei näherer Betrachtung in nicht ergründbarer Schwärze verschwanden. Meine Augen schienen mir einen Streich zu spielen.

Es war weit nach Mitternacht und meine Beine waren taub geworden. Ich rieb mir durchs Gesicht, als ich eine merkwürdige Anziehungskraft in meinem Leibe verspürte, deren Ursprung ich jedoch mit keinem meiner Sinne erfassen konnte. Ich wandte mich dem Strand zu, während sich Beklemmung in mir ausbreitete. Es plätscherte immer häufiger jenseits von dem, was meine Augen erfassen konnten. Hatte ich Angst? Aber wovor?

Es plätscherte abermals, und mit dem eindringlichen Gefühl von Beobachtung, welches mich endgültig aus meiner wandernden Monotonie riss, hastete ich in Richtung der Dünen.

Auf der ersten sandigen Anhöhe blieb ich abrupt stehen. Schatten hüllten meine Sinne ein und ließen mich frösteln.

Mein Blick fiel auf einen merkwürdig geformten Stein. Als ich ihn aufhob und ins Licht hielt, erschien mir das klare Bild eines sternförmig glatt geschliffenen Specksteins von mattgrüner Farbe. Dies war kein Werk der Gezeiten. Als ich mit dem Finger darüber fuhr, konnte ich zu je einer Zacke des Steines eine kleine runde Wölbung erfühlen.

Ich hatte so etwas noch nie zuvor gesehen. Irgendjemand musste dieses Stück hier beim Durchqueren der Dünen verloren haben. Den Stein in die Tasche steckend und weiterhin das beklemmende Gefühl verspürend, setzte ich meinen Weg Richtung Dünen fort.

Der Mond erhellte meine Sicht, als ich merkwürdige Spuren im Sand erspähte. Es sah von Weitem aus, als hätte sich eine uralte und schwere Meeresschildkröte behäbig ihren Weg durch die Dünen gebahnt. Doch irgendetwas sagte mir, dass es solche Schildkröten hier nicht gab und so erkannte ich schließlich bei näherer Betrachtung einen merkwürdigen Umriss im Sand. Ich bildete mir ein, tentakelartige Abdrücke unter jenen seltsamen Schleifspuren zu erspähen.

Von unbegreiflichen Gründen getrieben, setzte ich meinen Weg fort. Er führte mich durch eine tiefe Senke. Sie war gesprenkelt von einer dunklen Flüssigkeit, die stellenweise zu größeren Lachen zusammenfloss. Hier endeten auch die merkwürdigen Schleifspuren im Sand.

Ätzender Gestank fraß sich durch meine Atemwege. Äonenalte Schatten erklommen meine Eingeweide und legten ihre dünnen knöchernen Finger um jenen Muskel meines Brustkorbes, welcher nun unerbittlich gegen meine Rippen schlug. Kalter Schweiß floss mir den Nacken hinab.

Mein Unterbewusstsein zwang mich zur Flucht. Ohne zu wissen warum, rannte ich die Senke empor zur Spitze der nächsten Düne. Dann wurde es auf einmal still über den, vom Mondlicht verbrannten, Bergen aus Sand. Weder Wind noch den Klang der Gezeiten konnte ich vernehmen.

Jedoch maß ich dem Ganzen keine allzu große Aufmerksamkeit bei. Das konnte mein geplagter Verstand auch gar nicht mehr, denn wie gebannt musste ich auf das starren, was sich vor mir auftat:

Ein See aus tiefschwarzer Fäulnis. Schleimig ölige Blasen zerplatzten auf jener Oberfläche und gebaren auf ein Widerwärtigstes Schemen aus unauslotbaren Abgründen.

Inmitten seines Hortes thronte ER. Glänzend von Schleim und Mondlicht, seine Fühler nach mir streckend. Würmer mit roten Köpfen brachen aus seinem Rücken hervor, so, wie Tentakel mit kleinen Mäulern sich vor ihm wandten. Dieses Ding spotte jeder Beschreibung und so spottete es auch mir.

Es drang mit seinem Geist in den meinen, verhöhnte mich und meinesgleichen, doch sprach es kein einziges Wort. Umringt von kleinen, aufgedunsenen, rotäugigen Oktopoden, welche wahnhaft schnatterten und an obszönen Dingen nagten, welche mir Schleim und Schatten durch eine glückliche Fügung verbargen. Jedoch ließen mich jene Umrisse abgrundtief erschaudern.

Athklur Thar. Jener Name stach wie eine Nadel in mein pulsierendes Hirn. Er war der Herr der Tiefe, Wächter der Gräben und Schluchten weit unter dem, was der Mensch je an Tiefe gewonnen hatte. Schützend liegt seine Hand über der Totenstadt am Grunde jener Tiefsten aller Untiefen, um die Wiedergeburt des Einen zu bereiten, der dort in aller Ewigkeit scheintot ruhen sollte.

Ich werde ihm als Werkzeug dienen. Um seinen Fluch zu brechen, bedarf es vielerlei Quellen Energie und zwei davon könne ich ihm durchaus ohne Weiteres übergeben.

Sein Hohn stieg ins Unermessliche, als er würgend blubbernd mit hohler Stimme ein gotteslästerliches Gelächter entfachte, welches sich tief in meine Seele fraß.

Ohne diese grässliche Kakophonie zu unterbrechen, packten seine wurmartigen Ausläufer meine Gliedmaßen und zogen mich in den Mittelpunkt seines Seins. Die formlose schwarze, sich windende Masse sank in der Mitte ein, und jene roten zuckenden Würmer strebten an die Ränder des blasenschlagenden Spaltes, der nun so entstand.

Mit jedem Atemzug zogen sich die geifernden Mäuler ein wenig fester um meinen Leib. Das Herz drohte mir meinen Brustkorb zu zerbrechen. Paralysiert von der Aussichtslosigkeit meiner Lage, betete ich für die Ohnmacht meines Geistes, jedoch musste ich an einen gottlosen Ort gebannt worden sein, wie es mir schien, denn die erlösende Schwärze kam nicht.