Liebe großgeschrieben - Diana Eid - E-Book

Liebe großgeschrieben E-Book

Diana Eid

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Beschreibung

In diesem Buch geht es um das eine große, weltbewegende Gefühl: die Liebe. Um die moderne Liebe in all ihren heutigen Facetten und Ausprägungen.

Das E-Book Liebe großgeschrieben wird angeboten von tredition und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Beziehung, Warten, Ehe, Kurzzeitbeziehung, Kennenlernen, Dating, Sehnsucht, Fernliebe, Bindungsanst, Liebesbeziehung, Eifersucht, Verlassen, Neubeginn, Zweifel, Tierliebe, Vaterliebe, Mutterliebe, Coronabeziehung, Selbstliebe, Partnersuche, Affäre, Leidenschaft, Flirt, Trennung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 273

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


LIEBEgroßgeschrieben

Moderne Liebesgeschichten

Herausgegeben von Elvira Kolb-Precht

Verantwortlich: Elvira Kolb-PrechtDie Schreibschule, Lucia-Popp-Bogen 15,

81245 München

Internet: www.die-schreibschule.deMail: [email protected]: Diana Eid, Joshua Beer,

Julia Gehrig, Linda Hagspiel, Elvira Kolb-Precht, Susanne Kotrus, Brigitte Mattes, Melanie Michalak, Stephan Priddy

Umschlaggestaltung: Anna-Maria Braunsperger, am.creations, Blieskastelstraße 10, 81379 München Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

© 2022 Elvira Kolb-Precht (Hrsg.)

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Herausgeberin wiedergegeben werden. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

ISBN:

Paperback

978-3-347-61701-8

Hardcover

978-3-347-61702-5

e-Book

978-3-347-61703-2

Inhalt

Joshua Beer: Danke für die Scherben

Elvira Kolb-Precht: Schimmi

Linda Hagspiel: Von Süd nach Nord oder irgendwo dazwischen

Brigitte Mattes: Affenliebe

Susanne Kotrus: Upps!

Julia Gehrig: Ein neuer Engel

Linda Hagspiel: SystemLiebe

Melanie Michalak: Die fehlende Hälfte

Joshua Beer: Die Krallen von Missrobbensen

Julia Gehrig: Zwischen Raum und Zeit

Linda Hagspiel: M&M

Brigitte Mattes: Café Corazón

Stephan Priddy: Aria

Linda Hagspiel: Polaroid

Elvira Kolb-Precht: Ohne Worte

Melanie Michalak: Like me!

Julia Gehrig: Challenge ohne Hemmschwelle

Linda Hagspiel: Achtzehnmonate

Diana Eid: Are you there?

Julia Gehrig: Hjónabandssaela

Die AutorInnen

Vorwort

Die Idee für das neue Buchprojekt der Schreibschule kam von selbst: Liebesgeschichten. Ganz einfach, und ein wenig egoistisch, weil ich selbst Liebesgeschichten liebe. Und es kaum welche gibt. Natürlich Klassiker wie „Romeo und Julia“ und andere Liebesgeschichten aus anderen Jahrhunderten. Aber heutige – vereint in einem Buch?

Also habe ich das Thema den TeilnehmerInnen meiner Schreibgruppen vorgeschlagen. Alle waren begeistert. Anfangs. Dann kam das kollektive Stöhnen. Es sei so schwer über die Liebe zu schreiben – ohne dass es kitschig wird. Aber es gibt doch so viele Facetten der modernen Liebe, so viel Stoff, so viel zu sagen! Und trotzdem: Über die Liebe zu schreiben, ist und bleibt wahrscheinlich eine der größten literarischen Herausforderungen.

Also haben wir weiter gestöhnt, gerungen, geschrieben und diskutiert. Darüber was unter Kitsch-Alarm fällt, darüber welche Gefühle noch tiefer ausgelotet werden müssen.

Warum ist es so schwer, über die Liebe zu schreiben? Die ultimative Antwort darauf haben wir noch nicht gefunden. Doch die Geschichten haben wir geschrieben!

Wir sind gespannt, wie Ihnen unser Buch gefällt und freuen uns über ein Feedback oder eine Rezension bei Amazon und Co.

Elvira Kolb-Precht

Danke für die Scherben

„Die Decke kratzt.“ Sie sagt das beiläufig in eine Brise hinein, als hätte sie die abgewartet. Damit die den Satz auch bloß schnell davonträgt. Ihre Hände rücken die Sonnenbrille zurecht, das Kratzen muss sie an den Unterschenkeln spüren. Sie ist nur pflichtbewusst, indem sie das sagt. Wenn es keiner tut, kratzt die Decke auch nicht.

Er schätzt dieses Pflichtbewusstsein an ihr. Gefühle durch Worte zu beleben, einfach mal kurz Wirklichkeit daraus zu bauen, quasi nebenbei in eine Brise rein. Er teilt diese Wirklichkeit, er spürt jetzt auch, dass die Decke rau ist. Er hat sie daheim rausgesucht, für den Park, die Sonne und das Gras. Sie weiß das und legt es in ihren Satz, der ihm auch sagt: „Du kratzt.“

„Ich wusste nicht, dass wir andere haben?“ Er rettet sich ins Fragezeichen. Sie haben andere, das ist beiden klar. Sie sagt nichts, muss sie nicht. „Für den Park“, will er noch hinterherwerfen, doch da legt sie ihre Beine über seine, ihre Haut an seine. So sehr kann er sie nicht kratzen. Die Brise trägt es fort, verzögert nur.

Sie zieht sich ein wenig zu ihm ran, umfasst ihre Knie, die Sonnenbrille ist auf den Fluss vor ihnen gerichtet. Seine Hände im Gras. Jede Decke, wie sehr sie auch kratzen mag, ist besser als dieses Gras. So sitzen sie und er ist still, kein Wort soll sie von ihm vertreiben.

„Schon komisch, das zu sehen“, sagt sie, den Sonnenbrillenblick wohl auf die Menschen am anderen Ufer gerichtet. Dort grillen, planschen, kreischen sie. Abseits stehen Jugendliche um einen Bollerwagen mit wummernden Bässen.

„Dass Kinder spielen und Teenies rauchen?“

„Du weißt, was ich meine.“

Das weiß er, aber er will sie zappeln sehen. Tut sie aber nicht.

„Ich hab‘ den Übergang nicht mitgekriegt“, sagt sie.

Wie er so die vielen Leute sieht, sich in Armen liegend ohne Maske, da fehlt ihm auch der Übergang von ihrem Ufer zu dem der anderen.

„Was haben wir die letzten Monate eigentlich gemacht?“, fragt sie.

„Willst du lieber da drüben sitzen?“ Dort säßen sie nicht mit überkreuzten Beinen. In der Gruppe, als es noch Gruppen um sie gab, hielt sie selten besondere Nähe zu ihm.

„Ne, ist schon okay.“ Wieder eine Brise. Sie wendet den Kopf zum Himmel und lässt die Sonne an ihren Hals. Er würde auch gern dahin, an diesen Hals, aber sie schöbe ihn jetzt weg, denn die Sonne ist ja da. Also beherrscht er sich. Seine Stellung wankt auch so schon auf der kratzigen Decke an diesem okayen Flussufer.

„Ich erinnere mich kaum. An die letzten Monate, meine ich“, sagt er. „Ich weiß grad nicht mal, wie wir heute Morgen aus dem Bett gekommen sind.“

„Das ist es.“

„Was?“

„Wir lagen im Bett die letzten Monate.“

Er knüllt Grashalme in der Hand. Das Abstützen wird unbequem. „Denkst du, wir haben zu sehr aufeinandergehockt?“

„Ich weiß nicht.“

„Was wollten wir denn tun?“

„Heute wollten wir in den Park.“

„Hm, ja.“ Er erinnert sich nicht, dass sie das wollten. Aber er ist froh, dass sie es taten. Im Park hat ihre Berührung einen anderen Wert als im Bett.

Ein Schatten nähert sich. Daran klebt ein Mann, der ihnen zwei Biere entgegenstreckt. „Sorry, habt ihr Bock, die zu trinken?“ An dem Ohr des Biermanns baumelt die Maske. Der Wind müsste sie eigentlich auch forttragen. „Wir sind grad am Gehen und wollen die nicht mitnehmen, sind auch noch ein bisschen kalt.“

Der Schatten des Biermanns liegt auf ihr. Sie nimmt die Biere entgegen. Während des Austauschs und solange der Schatten auf ihr liegt, lässt sie ihre Beine in seinem Schoß. Er beobachtet die Beine, er achtet auf ihr Gewicht, ob es sich verlagert. Doch es bleibt.

„Schau mal auf das Label“, sagt er, als sie die Biere öffnet. Sie schaut. „Erkennst du es? Gibt’s ja gar nicht.“

„Sagt mir nichts.“

„Von der WG-Party, bei Goldfisch. Wie hieß der denn nochmal richtig? Jedenfalls hab‘ ich das Bier davor und danach nie wieder gesehen, nur auf dieser Party. Die hatten das da kistenweise.“

„Davor und danach“, sagt sie so leise, dass es keine Brise braucht. „Dort hast du die Scherben aufgelesen.“

Genau, die Party. Die von Goldfisch. Mit dem Bierbalkon und den glitzernden Diskokugeln in den Zimmern, wo niemand war, weil alle auf dem Gang und in der Küche standen, dicht gedrängt. Keiner bewegte sich vom Fleck, nur Goldfisch schwamm umher. Er kannte Goldfisch kaum, nicht mit echtem Namen oder war das ein Nachname? Er war nicht wegen Goldfisch da, sondern wegen eines Mädchens aus Völkerrecht I, das kommen wollte, so hatte er gehört. Es hatte ihn angelächelt, im Kurs, federleicht war das Lächeln durch den Raum zu ihm rübergeschwebt, doch als es bei ihm niederging, wog es schon Tonnen. Und dieses tonnenschwere Lächeln trug er mit sich. Er musste es nun bei dem Mädchen probieren. Das ProbierenMüssen spannte ihn an, weil daran AbgewiesenWerden hing. Wenn Frauen, die ihn anlächelten, von ihrem Freund redeten, dann fühlte er sich vom Probieren-Müssen befreit. Dann fielen ihm die Tonnen von der Brust. Er hoffte bald, dass Völkerrecht I nicht kam oder wenn, mit Freund.

Das Bier war zum Kühlen auf dem Balkon deponiert. Davor die Raucher wie Wachhunde. Sie mussten einen passieren lassen, wenn man ans Bier wollte. Da war auch sie unter den wachhabenden Rauchern, nicht Völkerrecht I, in dem Kurs rauchte niemand, sondern eben sie. Er sah sie beim Passieren, Männerschultern um sie rum. Er blickte sie direkt an, kein Lächeln kam zurück. Er mochte ihr Gesicht.

Als er sein Bier hatte, zog ihn ein Typ beiseite. Mit Schnurrbart und Käppi, beides schimmerte wie Öl. Einer von Goldfisch, aber er war ja selbst einer von Goldfisch. „Hey, dich kenn’ ich doch!“ Ein Zeigefinger in der Luft, die Biere aneinander. „Na, cheers. Der Wahnsinn, das Bier, dass die das aufgetrieben haben.“

Er nickte. „Die wissen, was gut ist.“

„Du sagst es, Mann! Bist in Ordnung, Bruder.“

Sie rempelte ihn an, den Blick am Handy. Seine Bierflasche, fast noch voll, fiel auf eine Kante und zersprang.

„Sorry, fuck, könnt ihr die Scherben kurz aufheben? Meine Freundin hat ‘nen Notfall.“

„Wir sind nicht deine Bediensteten“, sagte der ölige Käppi-Typ und lachte. Sie war schon drinnen. Er aber las die Scherben auf und räumte sie beiseite.

Der Ölige schüttelte den Kopf. „Du weißt nicht, wie’s läuft, oder? Man muss Arschloch sein, und nett nur im Bett. Pass nur auf!“

Er passte auf. Später tröpfelten die Gäste aus den Gängen in die leeren Zimmer und machten Tanzflächen draus. Er sah sie dort, in einer Gruppe, fast nur Männer. Sie sah ihn auch, griff seinen Arm, zog ihn zu sich. Sie tanzten. Später kam sie zu ihm unter seine Jacke auf dem Balkon, die Zigarette glimmte an ihren Fingern im Dunkeln. „Danke für die Scherben“, sagte sie. Der Satz wog schwerer als jedes Lächeln. Völkerrecht I kam dann doch noch, mit Freund.

Als die Party abflaute, lud sie ihn auf einen Schnaps zu sich ein. Bis zu ihrer Haustür kam auch der Ölige mit, pausenlos am Quatschen. Sie wusste, wie man abwimmelte. Bei ihr tranken sie keinen Schnaps mehr und taten auch sonst nichts außer in ihr Bett zu fallen. Sie zog sich fast ganz aus und lag dicht an ihm, sie beide und ihr Bett schon in Tageslicht gehüllt.

Heute an diesem Nachmittag im Park tut sich das Licht schwer, sie beide zu umhüllen. „Du hast nie gefragt, was mit meiner Freundin war“, sagt sie. „An dem Abend.“

„Ich hab‘ ja die Scherben aufgelesen“, sagt er. Wieder in die Abwehr. „Was war denn mit der Freundin?“

Sie stellt das Bier weg, zieht die Beine von seinem Schoß und schlingt ihre Arme um sie. Dabei wäre er jetzt gern umschlungen, danke für die Scherben. Nun ist ihr ganzer Körper zum anderen Ufer hin gerichtet. Die Sonne blendet so grell über das Planschen und Lachen hinweg, dass man meint, man schaue durch einen Filter, wie bei einem Werbefilm. Jetzt muss nur einer die Bierflasche in die Sonnenstrahlen halten und das Label laut vorlesen, aber bloß nicht fallenlassen!

„Sie hat mich da im Stich gelassen, auf der Party. Nachdem ich mich um sie gekümmert habe. Mit irgendnem Typen abgerauscht. Ich war sauer, nicht nur ihretwegen. Scheißzeit. Und auf dieser Scheißparty kannte ich keinen. Außer meinem Dealer, also war ich drauf und mir wurde alles egaler. Dann hab‘ ich mir selbst einen Typen geschnappt, einen, der mich nicht die ganze Zeit belagert hat, und mit dem bin ich abgerauscht. Hauptsache nicht alleine schlafen.“

Ihr Sonnenbrillenblick wendet sich ihm zu. Er sucht in ihren Sätzen nach dem größten Vorwurf. „Du hast mich nur abgeschleppt, um nicht alleine schlafen zu müssen?“

Der Kopf dreht sich wieder weg. „Als du mir später geschrieben hast, war ich ziemlich überrascht. Ich dachte, nach dem ersten richtigen Date willst du nichts mehr mit mir zu tun haben. Wenn ich nicht mehr drauf bin und im Fuck-it-Modus. Wenn ich einfach nur ich bin.“

Er sagt nichts, will sie in dem Glauben lassen, er hätte damals gezögert. Dabei wollte er mit ihr zu tun haben, seitdem sie ihn in Goldfischs DiskoZimmer zu sich rangezogen hatte. Das erste Date wurde in eine Kneipe gelegt, wo sie zunächst merkten, dass sie ja jetzt nüchtern waren. Also tranken sie sehr schnell und er wusste sich nicht zu helfen, als draufloszuplappern wie der Ölige und fürchtete, auch so abgewimmelt zu werden. Er plapperte, sie friemelte am Bierdeckel herum, bis sie ihn zerlegt hatte. Der Abschiedskuss ging irgendwie daneben.

„Ich war nervös“, sagt sie.

Ich auch, denkt er. „Das hat man gemerkt“, sagt er. Zwei Tage nach diesem ersten Kneipen-Date, als er noch grübelte, wie es gelaufen war, lud sie ihn wieder zu sich ein. Diesmal tranken sie nur ein Glas Wein, ganz langsam, und sprachen dabei über Musik. Dann vögelten sie sich die Nervosität weg.

Etwas rauscht in seinen Schoß, den sie leer zurückgelassen hat. Ein Frisbee, nein, ein Wurfring, so ein Ding mit einem Loch drin. Er nimmt es, es glänzt blau, es glänzt ihn an, als sei es das erste Mal geflogen, ein Jungfernflug und dann direkt in seinen Schoß. Etwas war darauf gekritzelt. Er hält es vor sich und steckt einen Arm hindurch, ohne den Ring damit zu berühren. Das fühlt sich komisch an, weil er nicht weiß, was er da tut. Sein Untergrund, das okaye Ufer, alles wackelt wieder. Sie schaut ihn an, beobachtet. Drüben über den Fluss hinweg stößt eine Hand aus dem gleißenden Licht und winkt. Von ihr scheint der Ring zu kommen. Die Hand hat sich verworfen oder wollte sie das Ding übers Ufer bringen? Er jedenfalls ist froh, es loszuwerden. Zuvor bietet er ihr den Ring an: „Willst du?“

Sie sagt nichts und er steht auf. Es ist so hell, dass er kaum was sieht, nur die Umrisse der Hand, die noch immer winkt. Er kneift die Augen zusammen. Die am anderen Ufer versinken in ihrem Scheiß-Sonnenlicht, denkt er. Sollen sie drin ersaufen. Er wirft das Ding, ohne groß zu zielen. Er wirft es in die andere, lichtdurchflutete Welt. Die Hand fängt es.

„Das war wirklich nicht gut, das erste Mal“, sagt sie.

„Das erste Mal ist nie gut. Die Teile fliegen so komisch.“ Er setzt sich.

„Hast du gesehen, was drauf stand?“, fragt sie.

„Wen interessiert’s?“

„Damals wolltest du es auch nicht wissen.“

Damals. Damals flog ihm so ein Ding gegen den Kopf, stürzte mitten in ihr erstes Krisengespräch. Vieles stürzte an dem Tag, auch dieses Krisengespräch brach über sie herein. Dabei hatte er das doch klüger machen wollen, diesmal, irgendwie geplanter, halt einfach richtig. Doch eine blöde Bemerkung („In meinem Freundeskreis bin ich jetzt der einzige Single“) seinerseits reichte aus und schon war dieses unrichtige Gespräch losgetreten. Nur hörte man es noch nicht, denn es begann mit einem Schweigen ihrerseits, ein trotziges Schweigen. Eben noch gelacht, eben noch Blicke ausgetauscht, die voreinander nichts verbergen wollen, und ein paar Momente später: fortgeweht und sie beide verschanzt hinter ihren Mauern. Dass alles Schöne jederzeit mit einem dummen Satz zugrunde gerichtet werden kann, das machte ihn rasend. Dass das so brüchig sein musste, das Schöne. So liefen sie getrieben von der Frage, was sie denn nun waren, in einen Park, nicht unähnlich zu dem, in dem sie heute sitzen, vielleicht ja derselbe. In dem Park suchten sie unter all den falschen Orten den am wenigsten falschen, eine abseitige Bank. Er hatte nichts Zurechtgelegtes und redete drauf los, redete von Freiheiten, von „langsam angehen lassen“ und „nichts überstürzen“, sie sagte wenig. Und dann traf ihn der Ring am Kopf, denn keine Bank stand abseitig genug, und in dem beschissenen Park warfen die Menschen ja Sachen durch die Gegend. Er wischte ihn fort. Sie aber hob ihn auf, behutsam, als sei er ein verletztes Tier.

„Schau mal, was da draufsteht.“

Er schaute nicht.

„YOL. Ob das O da fehlt?“ Ihre Frage richtete sich an niemand Spezielles und das machte ihn nur rasender.

„‘You only live‘ heißt das“, sagte jemand. „Da fehlt kein O.“ Es war der Ölige von Goldfischs Party, der Bart gestutzt, das Käppi aber dasselbe, mit freiem Oberkörper. Ihm fielen die Bauchmuskeln auf. Glänzten sie nicht auch wie Öl? Eine Frau war noch dabei, vielleicht die Freundin des KäppiTypen, hoffte er. Die Freundin hatte das Top hochgekrempelt und auch dieser Bauch war flach.

„Mega, euch hier zu treffen, Leute“, sagte der Ölige. „Sorry für den Fehlwurf. Hey, wir wollten eigentlich Spikeball spielen, aber wurden versetzt. So wären wir zu viert. Bock?“

Sie nickte. Nicht sofort, sie schien erst nachzudenken oder ihm gar einen Moment zu geben, aber dann nickte sie. Also spielten sie Spikeball. Hatte er noch nie und er war schlecht, vielleicht nicht mal besonders, aber nur Perfektion hätte seine Stimmung retten können. Mit jedem verhauenen Ball schlug er verbissener zu, bis er alles verfehlte und in den Rasen stürzte wie ein Idiot. Dem Öligen gelangen derweil die gewagtesten Tricks. Auch die Mädchen spielten gut. Er sah, wie viel Spaß sie hatte, wie sie lachte und Witze riss. Jetzt war er es, der kein Wort rausbrachte. Irgendwann stand der Ölige nah bei ihr und lobte ihr Spiel. Sie lächelte in den Schatten des Käppischirms ein Lächeln, das über Umwege wieder bei ihm niederfiel, tonnenschwer. Sein Magen krümmte sich. Die Bauchfreie stellte ihm ein paar Fragen, er stotterte die Antworten hin.

„War das eigentlich derselbe Park damals?“, fragt er.

Pause. „Weißt du“, sagt sie dann. „Es stört mich immer noch, dieses Gefühl, dass das mit uns nur fester wurde, weil du gedacht hast, ich springe mit diesem Typen von der WG-Party ins Bett.“

„Das hab‘ ich nicht wirklich gedacht.“

„Echt? Die Eifersucht stand dir ins Gesicht geschrieben.“

„Wärst du denn? Mit ihm ins Bett, meine ich.“

Sie atmet tief ein und wieder aus. Die Spiegel ihrer Sonnenbrille werfen alles von ihr, den Park, den Fluss, ihn selbst. In ihrem Warten gewinnt seine Frage richtig an Form, viel mehr, als ihr zusteht. Er wünscht, er könnte sie zurückziehen. Schließlich sagt sie: „Nein.“

Er rückt zu ihr und legt den Arm um ihre Hüfte. In seiner Brust hämmert die Angst, sie könnte ihn abweisen. Oder im Magen, das lässt sich nicht so genau verorten. Die Ängste durch sie (bei ihr, um sie) sind ein Brust-Magen-Gefühl. Doch sie weist ihn nicht ab, sie lehnt sich sogar ein wenig in seinen Arm hinein. Die Angst schlägt sofort in Wohlsein um. Brust und Magen, alles ein und dasselbe Gefühl, das in ihm pendelt. Die Gewalt, die sie darüber hat, ist ihm unheimlich. Doch wenn sie es ins Glück pendeln lässt, fallen die Zweifel ab und Ruhe fließt durch ihn. Nur dank ihr kennt er diese Ruhe. Er will sich entschuldigen, für die gestellte Frage und all die nicht gestellten, für dumme Sprüche und noch dümmere Zweifel. Stattdessen stupst er ihre nackte Schulter mit der Nase an und hofft, dass sie versteht. In der Hoffnung und zwischen all der Unbestimmtheit ihres Zusammenseins sind sie doch ein ganz gutes Paar, wie sie hier sitzen, denkt er. Von außen sicher ansehnlich.

Sie sitzen und das andere, sonnendurchtränkte Ufer rückt von ihnen weg, nimmt all seinen Lärm mit sich. Die Luft wird wieder frei für neue Töne. Und es taucht auch einer auf: eine Stimme, ein Singen.

Sie ruht in seinem Arm und rührt sich nicht, aber er weiß, dass sie hinhört. Er weiß, dass sie alles ganz genau hört, wenn sie abwesend wirkt. In diese Falle tappt er nicht mehr. Ihre Nähe und das Singen, der Fluss vor ihnen und das Gras unter ihnen, all das bindet sich für einen Moment zusammen, eine flüchtige Einheit, kurze Harmonie. Bevor es wieder auseinandertreibt, denn das tut es immer. Er will wissen, woher die Stimme kommt, und sieht sich um. Ein Mann sitzt auf einer Bank und schläft oder lauscht wie sie. Daneben Taschen voller Pfandflaschen. Er schaut weiter, aber sieht nichts weiter, dann begreift er, dass der Flaschensammler der Sänger ist. Er schämt sich.

„Kennst du das Lied noch?“, fragt sie.

„Ja.“ Er hätte es fast nicht wiedererkannt. „Das hatte die Geranienfrau im Repertoire, oder?“

Die Geranienfrau lebte in dem Haus seiner alten WG und hatte einen Balkon voller Blumen, eine Etage über und zwei Wohnungen links von seinem Balkon. Er fragte sich, wie viele Blumen so ein kleiner Balkon vertrug, bevor er vor Scham auseinanderbrach. Durch die Blätter und Blüten sah er manchmal braune Haare, aber vor allem hörte er die Stimme. Morgens, mittags und abends sang die Frau und goss die Blumen. Sie wuchsen in Kübeln, Töpfen und manche waren in Glasflaschen gesteckt.

Eine Weile nach dem ersten Date, ein paar Treffen danach, als er es wagte, sie auch mal zu sich in die WG einzuladen (er stellte sicher, dass niemand zuhause war), saßen sie zum ersten Mal auf dem Balkon. Sie rauchte und schaute auf, als sie das Singen der Frau hörte. „Das sind Geranien“, sagte sie. Er hatte sich das nie gefragt. Seitdem war die Singende die Geranienfrau, obwohl das Singen bestimmender für sie beide war als die Geranien. Aber Namen passten nie so ganz.

Von da an schien es ihm, dass sie ihre Zeiten zum Rauchen an die des Singens anpasste, wenn sie zu Besuch war. Die Geranienfrau sang immer dieselben Lieder in derselben Ordnung und es war gut, soweit er das beurteilen konnte. Er hörte erst wirklich richtig hin, als sie es zu zweit taten.

Dann kam Corona. Ihre WG wurde unerträglich und sie war meistens bei ihm. Mit anderen telefonierten sie nur, seine Mitbewohner waren fort. Ansonsten hockten sie in Online-Seminaren oder aufeinander, stritten, hatten Sex, müllten die Wohnung zu und schauten Netflix, bis die Köpfe flackerten. Der Balkon war das rettende Ritual. Sitzen, Rauchen, Durchatmen. Über allem der Gesang und die Geranien, die man anschweigen durfte. Sie erholten sich von Streit und Sex und Pizza, jeweils in einer Ecke sitzend, Tisch und Aschenbecher zwischen ihnen. Die Stimme der Geranienfrau glaubte er in diesen Balkonsitzungen besser zu kennen als ihre eigenen. Das tat gut. In einem dieser nichtssagenden Momente erkannte er, dass sie nach dem Lockdown, wenn sie die Wohnung verließ, nicht mehr zurückkehren würde, oder besser: konnte. Es würde kein Zurück geben, weil die Zwischenwelt der WG-Quarantäne endete. Es war dieses bevorstehende Ende, was er auch in den Liedern der Geranienfrau spürte. Da wusste er, dass diese Stimme ebenso enden wird, dass sie ausziehen wird, weg von dem Balkon und der WG. Dann wird für sie auch der letzte Grund erlöschen, hier noch zu sitzen.

„Wollen wir zusammenziehen?“, fragte er.

In der Rauchbewegung ihrer Hand zum Mund und zurück auf ihr Knie war kein Bruch zu sehen. Sie schwieg und blies Rauch in die Luft. Als der Gesang die Frage wieder verschluckt hatte, sagte sie: „Dann müssen wir aber ein paar Dinge ändern.“

Das Ja hatte sie ausgespart, doch es war ein kräftiges, ungesagtes Ja. Sie änderten ein paar Dinge und auch ein paar mehr und eineinhalb Monate später wohnten sie zusammen. Sie aßen gesünder, stritten weniger, vögelten bewusster. Sie trafen Leute außerhalb, arbeiteten in getrennten Zimmern. Dann, nach einer Weile, fiel all das zusammen und sie lagen wieder tagelang im Bett.

„Was ist eigentlich passiert?“, fragt er sie in seinem Arm im Park.

„Corona ging halt weiter“, sagt sie.

Eine ungenaue Antwort. Doch sie reicht, denn sie enthält alle genaueren Antworten gleichermaßen.

„Denkst du“, sagt sie und hält inne. „Denkst du manchmal darüber danach, ob wir am Ende nur wegen Corona zusammen sind?“

Er denkt oft darüber nach, auch jetzt. Der Flaschensammler verstummt mitten im Lied, nimmt seine Taschen und schlurft davon. Aus einer ragen vertrocknete Blumen aus einer Flasche. Geranien, denkt er gleich. Aber das sind keine.

„Schon komisch, oder?“, sagt er.

„Was?“

„Alles heute. Der Park, die Leute. Erst der Typ mit dem Bier, was für ein Zufall. Dann dieses Wurfding in meinem Schoß. Ich meine, stand da wirklich dasselbe drauf? Und jetzt dieser Singsang. Es ist irgendwie, als würden wir beim Erinnern angeleitet werden. Als könnten wir uns nicht selbst erinnern.“

Sie denkt nach. „Ich habe etwas.“

„Was?“

„Etwas, was nicht angeleitet ist. Weißt du noch, als wir die Panne hatten?“

„Äh, ne.“

„Wir wollten doch zu der Hochzeit einer Freundin von mir.“

„Hochzeit? Während Corona? Wann soll das denn gewesen sein?“

„Darum geht’s doch gar nicht, ob Corona oder nicht. Es war halt eine Hochzeit, eine große mit vielen Einladungen, vielen Menschen, kannst du dir das vorstellen?“

Er kann. „Ja, irgendwie schon.“

„Und jetzt stell‘ dir vor, wir fahren da hin in deinem Fiesta. Schön fein rausgeputzt in Kleid und Anzug. Wir sind eh schon zu spät dran und auf halber Strecke macht auch noch das Auto schlapp, mitten im Niemandsland.“

„Das ist doof. Du musst ziemlich sauer sein.“

„Darauf kannst du wetten. Der Tag ist gelaufen. Vor allem, als es heißt, dass uns erst in zwei Stunden jemand abholen kommt. Jetzt ist es so: Wir haben an einem Wald gehalten, weißt du?“

Nichts weiß er, doch das Nichtwissen kribbelt in seiner Brust. „Ein Wald an einem Hang, oder?“

„Ein Hang, das ist gut, ja. Wir warten und dann hältst du es für eine gute Idee, so einen Pfad den Wald hochzugehen, im Kleid und Anzug.“

„Ich will dich ablenken, einfach was tun.“

„Ausbrechen“, sagt sie. „Daran muss ich denken. So wie ich dich auf der WG-Party auf die Tanzfläche gezogen habe und später zu mir heim, so ziehst du mich den Waldhang hoch. Als der erste Dreck auf mein Kleid kommt, will ich umdrehen. Aber irgendwie auch nicht. Und oben ist dann dieser Holzkasten mit dem Zettel drin.“

„Ein Zettel, was steht drauf?“

„Etwas von einem Schatz und ein Hinweis.“

„Eine Schnitzeljagd?“

„Genau, eine Schnitzeljagd, für uns liegengelassen. Wir vergessen also das Auto und die Hochzeit und gehen den Pfad immer tiefer in den Wald, sammeln die Zettel einen nach dem anderen ein. Nur den letzten nicht, beziehungsweise den Schatz, den hat uns jemand vorher weggeschnappt. Hinter einer Bank sollte er sein, ist er aber nicht.“

„Wo haben uns die Zettel hingeführt?“ Die Bilder erregen ihn.

„Die Bank steht oben auf einer Wiese, die zu einem Fluss abfällt. Eine ungemähte Wiese, wild und voller hoher Blumen. Sie summt ganz laut. Und die Sonne strahlt uns an. Wir stehen also da, ohne Schatz, aber miteinander. Wo die Straße ist, wissen wir nicht mehr. Du lachst. Ich will nie so sehr küssen wie in diesem Moment.“

Mich küssen, denkt er. Aber er schweigt für den Fall, dass noch mehr von ihr kommt. Doch es kommt nichts mehr, die Erinnerung ist fertig gebaut und sie können darin einziehen. Sie schirmt sie ab vor Wurfringen und öligen Typen. Sie gehört nur ihnen. Er kann ihr schmutziges Kleid ganz leicht von ihrem Körper streifen. In dieser summenden Wiese, dort, wo ein Schatz sein sollte, aber keiner ist.

„Weißt du“, sagt sie. „Die Decke kratzt zwar, aber irgendwann vergisst man, dass sie kratzt. Und dann merkt man es gar nicht mehr.“

Joshua Beer

Schwach ist die Liebe, die sich noch in Worten ausdrücken lässt. (Dante Alighieri)

Schimmi

„Kommen Sie nach der Vorstellung zur Tierschau“, sagte er, als ich meine Eintrittskarte aus der Tasche nestelte. Das war keine Frage, er sagte es auch nicht in dem Ton einer Aufforderung, sondern einer Feststellung. Ich sah auf, sah mitten hinein in seine gelbbraun-gesprenkelten Augen. Was waren das für Augen? Sie leuchteten wie von innen. Waren sie mit Kajal umrandet? Warum schauten sie mich so an? So, als wäre ich gemeint, nur ich, von allen Menschen auf der Welt nur ich. Ich senkte den Blick, gab ihm meine Karte und ging ins Zelt. Die vorderen Plätze waren alle besetzt mit Müttern, Vätern, Kindern, die Bänke eng gestellt, ich setzte mich auf die Bank in der letzten Reihe, gleich neben den Zelteingang. Es war heiß, noch heißer als draußen, aber hier erreichte mich wenigstens gelegentlich ein Luftstrom. Außerdem konnte ich jederzeit flüchten, ohne anderen auf die Füße zu treten.

Tat dadada, tat dadada, die Musik setzte ein, die Kinder klatschten im Takt. Dann wurde es still, der Zirkusdirektor betrat die Manege. Ich schloss die Augen, sog den Geruch von schwitzenden Körpern, Popcorn und Sägespänen ein. Es war wieder da, das Gefühl. Das Gefühl in der echten Welt zu sein, der Welt des Echten im Unechten, wo alles wahr war, die Versprechen des Zirkusdirektors, die scheppernde Musik aus den Lautsprechern, die angeklebten Wimpern der Seiltänzerin, die Welt, in der selbst ein missratener Zaubertrick seine eigene Faszination und Wahrheit hatte, die Welt, in der die Magie Wirklichkeit war. Die Welt, unter deren Kuppel die Schönheit wohnte, die Bewunderung, aber auch die Angst.

Ich hatte immer Angst um die Akrobaten gehabt, wie sie da balancierten oder hingen, freischwebend kopfüber und schwangen, nur mit einem Fuß eingehakt, ohne Sicherung, ohne Netz. Ich hatte auch immer Angst gehabt vor den Clowns. Vor ihren riesigen Schuhen, den weißen Gesichtern und den roten Nasen.

Die Show begann mit einer Pferdedressur. Die Frau des Zirkusdirektors führte sie vor, sein „bestes Pferd im Stall“, wie er sie ankündigte. Sieben Rappen, extrem stark ausgebunden, mit Schaum vor dem Maul, der ihnen im Galopp auf die schwarz glänzende Brust flog. Stoppte die Musik, stellten sie ihre Vorderbeine auf die Balustrade und nickten den Kindern in der ersten Reihe zu. Wie brav, dachte ich, wie domestiziert, waren sie früher nicht wilder? Und schmerzte das nicht, die engen Zügel, die Kandare am Maul? Ich versuchte, diesen Gedanken zu verscheuchen, und zählte die Galopprunden. Die nächsten Nummern – alles Balance-Akte – wurden von drei Brüdern bestritten, der jüngste gerade mal 15 Jahre alt. Der 15-Jährige sei heute Vater geworden, sagte der Zirkusdirektor und bat um einen Applaus. „Von fünf Meerschweinchen“, fügte er hinzu, nachdem sich das Publikum beruhigt hatte.

Ich wollte nicht auftauchen aus dieser Welt, als die Pause angekündigt wurde. Ich wollte weiter die Stäubchen im Scheinwerferlicht betrachten. Sitzenbleiben wie im Kino, wenn der Film längst zu Ende ist. Aber die Zuschauer in meiner Bank drängelten. Ich schirmte meine Augen ab, als ich in das gleißende Sonnenlicht trat. Weil ich nicht wusste, wohin mit mir da draußen, weil ich keine Kinder hatte, denen ich ein Eis kaufen konnte, ging ich um das Zelt herum. Am Zaun für das Tiergehege lehnte der Kartenabreißer und rauchte. Er sah mich im gleichen Moment wie ich ihn.

Eine Woche später

Sieben Tage hintereinander war ich im Zirkus, immer in der Nachmittagsvorstellung, einmal, als Jo sich abends mit seinen Kollegen traf, sogar zusätzlich in der Abendvorstellung. Und jedes Mal war ich hinterher mit dem Kartenabreißer zusammen gewesen.

Ich musste mit jemandem reden, musste jemandem erzählen, was mir widerfahren war. So ging ich am spielfreien Montag zu Tina, lud mich selbst zu einem Kaffee ein.

„Hast dich ja lange nicht mehr blicken lassen“, sagte sie, als sie mit einem großen Tablett auf die Terrasse kam. Sie sah mich prüfend an. Ahnte sie etwas? Natürlich ahnte sie etwas. Tina und ich kannten uns seit über 20 Jahren. Aber Tina würde warten, sie würde nicht fragen.

„Es ist etwas passiert“, sagte ich. Tina hob ihre Augenbrauen, fragte aber nichts. Stattdessen stellte sie das Tablett mit Kuchen und einer Kaffeekanne auf den Tisch. Und zwei Sektgläser. Sie wedelte sich Luft zu, als sie sich gesetzt hatte.

„Ich war im Zirkus.“

„Der kleine Zirkus auf der Sportwiese? Ist das nicht was für Kinder?“, fragte Tina.

Ich nickte, dann schüttelte ich den Kopf. Ich nahm mir ein kleines Stück Kuchen. Tina schenkte mir Kaffee ein, ihre Hand zitterte leicht. Dabei wäre es an mir zu zittern. Ich zählte die Blumen auf der Tischdecke.

„War bestimmt nett“, sagte Tina. Ich wusste, dass ich jetzt etwas sagen sollte. Tina schaute auf ihre Armbanduhr und fragte: „Ist ein Löwe ausgebrochen? Muss ich mir jetzt Sorgen machen?“

„Nein, nein.“ Ich räusperte mich und sagte: „Es ist ganz anders. Da war dieser Mann.“ Die Worte flirrten durch die sommerheiße Luft und ich räusperte mich noch einmal. „Es ist etwas passiert. Ich habe mich…“

Tina sagte nur: „Verstehe.“ Wirklich? Ich hatte ja noch gar nichts gesagt. Sie nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. „Du hast dich verliebt.“

Ich war froh, dass sie das gesagt hatte, obwohl es nicht stimmte. Es ist etwas passiert traf es viel besser. Oder vielleicht „falling in love“, ich war gefallen. Trotzdem nickte ich. Tina nickte auch.

„Es ist mir zugestoßen. Es ist passiert“, versuchte ich zu erklären.

„Ja, so etwas passiert“, sagte Tina und ich wusste, dass sie wieder warten würde. Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte, dabei wollte ich ihr so vieles sagen. Nachdem ich ein paar Minuten geschwiegen hatte, fragte sie doch: „Wann?“

Es war viel einfacher, auf Fragen zu antworten. „Vor einer Woche.“

„Wer?“

Es war doch nicht einfacher, auf Fragen zu antworten. Tina schob die Kaffeekanne beiseite und öffnete den Prosecco. Ich zählte bis zehn. Dann sagte ich: „Schimmi. Er heißt Schimmi.“

Tina hob ihr Glas und prostete mir zu. Sie war erleichtert und ich war es irgendwie auch. Ein Name war etwas Gutes, damit konnte man etwas anfangen.

„Wie fing es an, wo habt ihr euch kennengelernt?“

„Im Zirkus.“

„Saß er neben dir? Wieso warst du im Zirkus? Allein?“

Drei, das waren drei Fragen. Ich holte tief Luft. „Jo wollte nicht mit, natürlich, darum bin ich alleine hin. Wollte einfach nur Zirkusluft schnuppern.“

„Und er saß neben dir?“

Jetzt kam der schwierigere Part. „Nein.“

Tinas Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

„Er arbeitet beim Zirkus.“