Liebe ist eine komplizierte Phase - Marilena Sommer - E-Book
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Liebe ist eine komplizierte Phase E-Book

Marilena Sommer

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Beschreibung

Kopf aus, Herz an! 

Charlie, 29, liebt Zahlen, Formeln, Codes und ist ziemlich tough. Muss sie auch sein, um sich als Informatikerin an der Uni gegen die männliche Konkurrenz durchzusetzen. Dann verkündet ihre jüngere Schwester, dass sie verlobt ist. Und Charlies Welt steht kopf: Heiraten, mit Kniefall, Ring, Kitsch, das will sie auch, obwohl sie diese Klischees eigentlich hasst. Plötzlich stellt sie alles infrage: Langzeitfreund David, den Traum von der Uni-Karriere. Und dann taucht auch noch Nate auf und bringt ihr System zum Absturz … 

Frech, intelligent und witzig: eine RomCom mit Suchtfaktor über eine junge Informatikerin und die Unberechenbarkeit der Liebe.



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Über das Buch

Als ihre jüngere Schwester ihre Verlobung verkündet, wird Charlies Leben auf den Kopf gestellt. Denn sie stellt etwas ganz und gar Erschreckendes fest: Sie will das auch. Heiraten mit allem Drum und Dran. Dabei haben ihr Freund David und sie sich doch geschworen, nicht in dieses Klischee zu fallen. Dafür ist Charlie viel zu unabhängig – oder etwa doch nicht? Plötzlich stellt sie alles in Frage: ihren Job an der Uni, in dem sie seit Jahren erfolglos gegen die männliche Konkurrenz ankämpft, die Überstunden, die sie klaglos hinnimmt und auch Langzeitboyfriend David – leben sie beide noch zusammen oder nur nebeneinander her? Auf der Suche nach Antworten macht Charlie das, was sie als Informatikerin am besten kann: Daten sammeln, kategorisieren, analysieren. Doch gibt es einen Algorithmus für die Liebe?

Über Marilena Sommer

Marilena Sommer, geboren 1993, ist Kulturwissenschaftlerin und lebt in München – und manchmal auch in den USA. Wenn sie nicht gerade dazu forscht, warum auch Roboter intelligent sein können, ist sie entweder in ihrer Heimat, um den 1. FC Köln anzufeuern, sortiert ihr riesiges Bücherregal oder ihre Kühlschrankmagneten-Sammlung oder sitzt am Schreibtisch, um zu schreiben. 

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Marilena Sommer

Liebe ist eine komplizierte Phase

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

Epilog

Danksagung

Impressum

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1. Kapitel

»Emily!« Meine Stimme bebte leicht unter meinem wild pochenden Herzen, mein Blick war auf den giftgrünen Zylinder vor mir auf dem Schreibtisch fixiert.

»Wie geht es dir?«

Der obere Ring leuchtete dunkelgrün auf, ich hielt den Atem an. Ein paar Zehntelsekunden lang passierte nichts. Mein Herzschlag drohte bereits auszusetzen – was, wenn es wieder nicht klappt, wenn sie einfach nichts sagt oder willkürlich irgendwelche Simone‑de-Beauvoir-Versatzstücke ausspuckt, die überhaupt nicht zur Frage passen, wie neulich –, der Ring blinkte erneut, das war so nicht geplant, –nicht, dass sie mir hier gleich explodiert, sollte ich lieber einen Schritt zurücktre-

»Mir geht es gar nicht. Ich bin eine KI und kein Mensch.«

Erleichterung durchströmte mich, hinter meinen Augenhöhlen begann es zu prickeln.

Yes. Yes, yes, YES!, schoss es durch meinen Kopf. Ich habe es geschafft, der Bug ist behoben, der zweite Prototyp steht, kurz vor knapp, aber er steht!

»Was ist los? Hast du gerade erfahren, dass du für deine Erfindung den Nobelpreis gewonnen hast?«

Mein Langzeitfreund David erschien mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt im Türrahmen meines Arbeitszimmers, die braunen Haare noch so feucht, dass sie schwarz wirkten, und weitete die Augen.

»Es gibt keinen Informatik-Nobelpreis, nur den Turing Award. Nein, nein, Emily macht endlich – endlich –, was sie soll, sie –«

Das Festnetztelefon im Wohnzimmer tönte mitten in meine Euphorie hinein. Ich hörte schon der leiernden Melodie an, dass es meine Mutter war. Irgendwie klingelte es anders, wenn sie anrief. Zwei Atemzüge lang wartete ich, ob David abheben würde. Tat er nicht. Seufzend rutschte ich mit meinen Socken an ihm vorbei über das Laminat zum Hörer nebenan.

»Wo in aller Welt steckt ihr, Charlotte? Wir warten hier alle auf euch!«

Ich zuckte zusammen. Weil meine Mutter meinen ungeliebten vollen Namen aussprach, dass es wie eine Sirene klang. Weil ich recht gehabt hatte. Es musste echt was dran sein an meiner Theorie. Vielleicht hatte es was mit Quantenphysik zu tun, eine andere Zusammensetzung der Atome, wenn Mom meine Nummer wählte.

Ich blinzelte, schaute auf die Wanduhr und dachte nach.

Donnerstag. 19:20. Schätzungsweise drei Minuten nach Erreichen des Emily-Meilensteins. Vierzig Minuten bis zum digitalen Vortrag von Professorin Gutenberg zu ihrem feministischen Datensatz und … Mist.

»Wenn man sich auf dich verlässt, ist man verlassen, Charlotte!«

Gerade fand dieses lang angekündigte, angeblich super wichtige Familien-Dinner statt – und zwar ohne David und mich.

»Die Amuses-Gueules sind schon durch!«

Ich sah an mir herunter. Was sinnlos war, weil ich ohnehin immer das Gleiche trug. Meine Informatik-Uniform, wie meine beste Freundin Maxi sie nannte, schwarze Jeans und schwarzes T‑Shirt, eine Silberkette, an der ein kleines Pi‑Symbol baumelte. Die hatte David mir vor Jahren mal zum Geburtstag geschenkt. Änderte aber nichts daran, dass mein Outfit zum heutigen Abend so wenig passte wie ein Faxgerät in einen Apple Store.

Hinter mir hörte ich Davids Schritte und drehte mich um. Das Wasser perlte noch immer an seiner Brust ab, er warf mir einen fragenden Blick zu.

Er hat’s auch verpeilt.

Aus dem Hörer drang ein aufgeregtes Gezische, das nach meiner Schwester klang, meine Mutter sog scharf die Luft ein. Ich setzte ein gezwungen zuversichtliches Lächeln auf.

»Wir sind in einer Viertelstunde da.«

In einem quantenphysischen Paralleluniversum, in dem Zeitreisen möglich waren, vielleicht. Aber so würden wir das nie schaffen.

Der Nobelitaliener Luigi lag in der Kölner Altstadt gleich bei der Oper. Nachdem wir uns zweimal verfahren hatten und dann auch noch den Haupteingang nicht fanden, ließen wir uns geschlagene 35 Minuten später ziemlich lädiert und verschwitzt auf die beiden freien Stühle an der langen Tafel fallen.

Während sich meine Schwester und David herzlich begrüßten – erstaunlicherweise verstanden sich die beiden, vielleicht mochten sie sich sogar, ich stieg da nicht so richtig durch –, wurde ich von den restlichen Anwesenden mit stiller Verachtung gestraft. Meine Mutter hatte die Lippen zusammengepresst und tat so, als würde sie die Weinkarte studieren, und mein Vater dachte nicht daran, sein Gespräch mit Jan-Philipp über die Fusion zweier großer Versicherungen zu unterbrechen.

Als sich Sarina mit einem hellen Lachen von David gelöst hatte, fiel ihr Blick auf mich. Sie wickelte sich eine ihrer blonden Engelslocken um den Zeigefinger und fixierte mich mit ihren unwirklich schönen grünen Augen.

»Was war los? Musstest du deinem komischen Roboter noch ein paar männermordende Sprüche beibringen?«

Ins Schwarze getroffen – und doch irgendwie komplett vorbei. David prustete. Als er meinen Blick bemerkte, griff er nach seinem Wasserglas und trank einen Schluck.

»Emily. Sie heißt E‑mi‑ly, eigentlich recht simpel.«

Trotzdem konnte sich kaum jemand ihren Namen merken, nicht einmal meine Doktormutter nach vier Jahren Promotion. Aber die war ohnehin ein Thema für sich.

»Sie ist kein Roboter. Und eine Männermörderin ist sie auch nicht. Aber gut, dass du nach ihr fragst, weil es mir endlich gelungen ist, diesen Bug zu beheben, gerade rechtzeitig zum Kolloquium und —«

»Charlotte, bitte. Erst kommst du zu spät, und dann hältst du uns einen Vortrag über deine Technik?« Ich spürte die Empörung in der Stimme meiner Mutter unangenehm körperlich, als wäre meine Haut eine Kreidetafel und sie würde mit ihren French Nails darüber kratzen.

»Deine Schwester und Jan-Philipp haben schließlich eingeladen.«

Ich zog die Brauen zusammen. Sarina hatte mich doch nach Emily gefragt?

»Warum eigentlich überhaupt ein Roboter?« Meine Schwester legte die Stirn in Falten. »Kannst du deine Informatik-Skills nicht für was Nützliches verwenden? Bitcoins schürfen, das neue TikTok erfinden oder so? Etwas, womit man Geld verdient?«

»Wie gesagt«, erklärte ich geduldig, obwohl ich innerlich kochte, das macht sie mit Absicht, das mit dem Roboter, »Emily ist kein Roboter. Mir geht es um die Wissenschaft, nicht ums Geldverdienen. Und ich würde mal stark in Frage stellen, ob TikTok nützlicher ist als —«

»Charlotte.«

Meine Mutter warf mir einen warnenden Blick zu. Sie schien immer noch zu denken, dass sie Sarina vor mir beschützen musste. Dabei war sie sechsundzwanzig.

Innerlich zuckte ich mit den Schultern. Manchmal hatte ich das Gefühl, meine Familie wollte mich missverstehen. Weil sie keinen Plan hatte (und auch keinen haben wollte), was ich da eigentlich den lieben langen Tag so machte. Vielleicht brauchten wir eine KI, die übersetzte: Charlie → Familie – Familie → Charlie. Ich machte den Mund auf, dann überlegte ich es mir doch anders. Was soll’s. Mein Blick blieb an Jan-Philipp hängen, der neben mir saß. Mit seinen kurzen dunkelbraunen Haaren und dem gepflegten Bart war er durchaus attraktiv, aber auf eine sehr glatte, nichtssagende Weise. Wie Sarina arbeitete er bei einer Top-Management-Beratung, er als Partner, sie als HR Specialist.

»Hallo«, sagte ich. Das konnte nun wirklich niemand falsch verstehen.

»Hallo.«

Das anschließende Schweigen zwischen uns fühlte sich hilflos an. Bevor es peinlich werden konnte, wurde zum Glück der Hauptgang aufgetragen. Seezunge in Champagnersoße mit Romanesco-Gemüse und ein paar Reiskörnern. Erleichtert seufzte ich.

Während des Essens erzählte Sarina meiner Mutter den neuesten Bürotratsch, David versuchte vergeblich, bei Jan-Philipp einen Funken Interesse für Fußball aufzuspüren, und ich war ganz froh, dass man mich in Ruhe ließ und ich im Kopf meinen Vortrag fürs morgige Kolloquium durchgehen konnte. Ich war so in Gedanken an for-Schleifen und if-Anweisungen versunken, dass ich nichts um mich herum wahrnahm und erst aufschaute, als sich Sarina laut räusperte. »Können wir bitte eine Flasche Dom Perignon haben?« An uns gewandt: »Jan und ich haben etwas Wichtiges zu verkünden.«

»Ernsthaft?«, entfuhr es mir. »Ihr braucht für eure Ankündigung Champagner?«

»Einen Premium-Champagner«, fügte David leise hinzu, der ähnlich überrumpelt schien wie ich.

»Der ist halt einfach besser, Charlotte. Das schmeckt man auch«, näselte Sarina.

»Als wenn du bei einer Blindverkostung Dom Perignon von Rotkäppchen-Sekt unterscheiden könntest.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und hob herausfordernd eine Augenbraue.

»Natürlich könnte ich das. Man erkennt es an der Perlung. Guter Champagner hat eine viel feinere Perlung als Billig-Sekt.«

Das würde ich jetzt wirklich gerne unter Laborbedingungen testen. Und obwohl ich wusste, dass ich mich mit meiner nächsten Äußerung an den Abgrund wagte, hinter dem weitere Zurechtweisungen meiner Mutter auf mich warteten, konnte ich sie mir einfach nicht verkneifen.

»Und schmeckst du die feine Perlung auch, oder siehst du sie nur?«

Sarina schob ihre Unterlippe vor und schmollte. Ich hatte gewonnen, spürte aber erstaunlich wenig Triumph. Stattdessen Moms und Davids tadelnde Blicke. Und eine seltsame Vorahnung, die meinen Brustkorb verengte. Bevor Sarina etwas auf meine Provokation erwidern konnte, brachte der Kellner den Champagner und schenkte uns ein.

Die Perlung war tatsächlich sehr fein, dicht wie eine Brausetablette, man konnte sie zwar nicht schmecken, aber auf der Zunge spüren. Sollte ich ihr sagen, dass sie doch recht gehabt hatte? Noch bevor ich mich dazu durchringen konnte, ergriff Sarina das Wort und löste ein kleines Erdbeben in meinem Körper aus.

»Jan und ich werden heiraten.«

Der Champagner in meinem Glas schwappte gefährlich hoch. Zitterte meine Hand etwa? Und wenn ja, warum?

Jan und ich werden heiraten, hallte es in mir wider. Dann tat ich das, was ich am besten konnte, ich zerlegte den Satz in Gedanken und transkribierte ihn, als würde ich natürliche Sprache in eine Programmiersprache übersetzen, eine Sprache, die mein System verstand: Meine Schwester geht eine lebenslange, staatlich bezeugte Beziehung zu einem Mann ein. Subtext: Meine kleine Schwester wird heiraten. Vor mir. Obwohl sie und Jan-Philipp erst zwei Jahre zusammen sind und David und ich zwölf Jahre.

Evaluation: Überhaupt kein Problem. No big deal. Ich wollte nie heiraten. Heiraten ist nichts anderes als das Sichern von Steuervorteilen. Es bringt nichts außer dem Erfüllen von gesellschaftlichen Erwartungen, die in krassem Kontrast zu den Erwartungen der Universität stehen, wo ich als Ehefrau noch weniger ernst genommen würde als ohnehin schon. Nein, das ist Sarinas Traum. Wie bereits festgestellt: Gar. Kein. Problem.

Ergebnis: Ausgabefehler behoben, wir können weiterarbeiten, bis das Dinner endlich vorbei ist.

Aber wieso fühlte es sich nicht so an? Warum zitterte meine Hand noch immer? Lauter Jubel riss mich aus meinen Gedanken. »Sarinchen, ich wusste, dass er dich fragen würde. Nein, was freu ich mich!«

Meine Mutter drückte meine kleine Schwester an sich, Champagner spritzte in alle Richtungen, aber das schien gerade niemanden zu kümmern. Ich schaute zu Jan-Philipp. Ob er ebenso peinlich berührt war wie ich? Doch seine Augen klebten an seiner Verlobten. Wärme lag darin. Bewunderung. Liebe vermutlich.

Mein Brustkorb wurde noch enger. Schnell versuchte ich, ihn mit Champagner zu weiten.

Sarina hob ihre rechte Hand in die Luft. Das Licht der Deckenspots fiel auf ihren Ringfinger, und der haselnussgroße Diamant blitzte auf. Wie hatten wir diesen Ring allesamt bis jetzt übersehen können?

Während mein Körper immer noch damit beschäftigt war, die neuen Informationen zu prozessieren – und die seltsamen, unvertrauten Gefühle, die damit einhergingen –, planten meine Mutter und Sarina in Minutenschnelle die komplette Hochzeit durch: unbedingt in der Villa Irgendwas, mit Kutsche, Lilien und Champagner-Empfang.

Danach kehrte etwas Ruhe ein. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, checkte David unter dem Tisch heimlich Fußballergebnisse und schien nicht mitzubekommen, was um ihn herum geschah. Zum Beispiel, dass meine Mutter ihn genau in diesem Augenblick ansprach.

»Und, David? Wann ist es bei euch beiden denn endlich so weit?«

Wie in Zeitlupe blickte er auf.

»Sorry.«

David errötete leicht und fasste sich an den Nacken.

»Was war die Frage?«

»Wann ihr beiden endlich heiratet«, wiederholte meine Mutter ungeduldig.

»Ihr seid doch jetzt auch schon – was, zehn Jahre, elf Jahre? – zusammen?«

»Zwölf«, korrigierte ich leise. Und hielt den Atem an. Mein Herz schlug auf einmal schneller, meine Handflächen fühlten sich klebrig an. Ich suchte sie auf Champagner-Spritzer ab, sah aber nur einen dünnen Schweißfilm. Was war da los? War ich etwa nervös? Wegen Davids Antwort? Obwohl ich ihn in- und auswendig kannte und doch eigentlich wusste, dass er Heiraten genauso unnötig fand wie ich? Wie ein Software-Update, bei dem man schon fünfzehnmal auf »morgen erinnern« geklickt hatte und das, wenn man es dann doch durchführte, Ewigkeiten brauchte und nachher nur alles verkomplizierte?

Mein Blick fiel im selben Moment auf ihn, als auch er zu mir schaute. Ich forschte in seinen tiefbraunen Augen mit den karamellfarbenen Sprenkeln, die aus nächster Nähe betrachtet etwas von einer goldbraunen Marslandschaft hatten. Das wusste ich von den Iris-Fotografien seiner Familie, die im Wohnzimmer seiner Eltern hingen. Etwas flackerte nun in dieser Landschaft. Und ich konnte es nicht greifen.

David biss sich auf die Lippen, senkte kurz seinen Blick, dann blickte er zu meiner Mutter.

»Ich hätte Charlotte vielleicht schon gefragt …«

Sein Blick wanderte zu mir. Einen Herzschlag lang sah er mich an, zwei.

Was war das, was da flackerte? Etwas Fragendes, Unsicheres oder schlichtweg peinliche Berührtheit? Wegen meiner Mutter mit ihrer schrecklich unangenehmen H‑Frage?

Sein Blick wanderte zur Tischplatte.

»Aber ich glaube nicht, dass das technisch möglich ist.«

Ich hielt die Luft an, Sarina neben ihm runzelte die Stirn. »Was hat das jetzt mit Technik zu tun?«, fragte sie mit großen Augen.

Wieder der Blick zu mir. Das Flackern in seinen Augen verschwand. Machte Platz für etwas, das ich nicht zu deuten wusste. Was hatte er vor?

»Weil sie bereits verheiratet ist.«

Ich erstarrte. Mein Herz setzte aus. David machte eine Kunstpause. Sein Blick schwebte in der Luft.

Was zur Hölle?

»Mit ihrer Sprachassistentin Emilia.«

Ein weiteres Erdbeben fuhr durch meinen Körper. Deutlich heftiger als das erste. Stärke acht. Mindestens.

Das hatte er nicht gesagt. Das hatte er nicht ernsthaft gerade gesagt. Vor meiner Familie.

Mein Champagnerglas donnerte auf den Tisch, als hätte sich die Schwerkraft plötzlich verdoppelt. Alle starrten mich an. Dann brach es aus mir heraus:

»Sie heißt Emily, verdammt noch mal!«

2. Kapitel

»Hier. Den kannst du wiederhaben. Hat mir nur Pech gebracht.«

Ich fummelte einen goldenen Mini-Buddha aus meinem Stoffbeutel, auf dem in Computerschrift Wie viele Informatikerinnen braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Alle beide stand, und stellte ihn vor meiner besten Freundin Maxi auf den Tisch. In Gedanken noch immer bei der Mail, die ich gestern Nacht noch von meiner Chefin erhalten hatte.

Gezwungenermaßen musste ich zur Kenntnis nehmen, dass Sie den Schreibtisch in Ihrem Büro nach den aktuellen Standards pseudowissenschaftlicher Esoterikpraktiken gestaltet haben … – so viel zu Maxis »Erfolgs-Feng-Shui gegen schlechtes Chef-Karma« – … Denken Sie daran, vor Ihrem Vortrag die Technik zu testen …– als wenn ich das nicht ohnehin vorgehabt hätte – …, damit es nicht wie beim letzten Mal ein solches Technik-Desaster gibt –

Hätte mein Kollege Simon Anaconda gleich über das Terminal installiert, worum ich ihn damals gebeten hatte, hätte es gar kein Technik-Desaster gegeben.

Aber was interessierte es die Pydra, wie ich meine Doktormutter insgeheim nannte. Der Spitzname setzte sich zusammen aus ihrer Lieblingsprogrammiersprache Python (die leider auch meine Lieblingsprogrammiersprache war), Hydra, weil in ihrem Büro ein schauriges Bild von diesem vielköpfigen Ungeheuer aus der griechischen Mythologie hing, das auch als Selbstbildnis durchgehen konnte, und ihrem Vornamen Petra. Obwohl sie sich nach außen als große Frauenförderin gab, war es ihr liebstes Hobby, den Fehler im Quelltext ihrer Doktorandinnen, in meinem Quelltext, zu suchen, während sie die Männer wie die Erfindung des Internets feierte.

Ich seufzte tief.

»Ehrlich? Wieso?« Maxi schaute mich über den Rand ihrer Pilotensonnenbrille, die sie bei jedem Wetter und zu jeder Tag- und Nachtzeit trug, fragend an. Anders als ich liebte sie Farben und steckte in einer pinkfarbenen Chino, die sie mit einer roten Bluse kombiniert hatte, und sah darin so mühelos cool und schön aus, dass man sie auch für ein Modemagazin ablichten könnte.

In ihrem Rücken ragte ein Steg, der vor einer idyllischen Sonnenuntergangskulisse ins Meer führte. Hätte man sie aus dem richtigen Winkel mit dem passenden Filter fotografiert, hätte man glatt meinen können, dass sie sich auf den Bahamas und nicht bei unserem Stammvietnamesen befand. Unter der Woche trafen wir uns hier fast jeden Tag zum Mittagessen, da er genau zwischen der Uni und der Eventagentur lag, bei der Maxi arbeitete, und die besten Sommerrollen Kölns machte.

Ich setzte mich und nahm eine der Rollen in die Hand. »Erstens: Ärger mit der Pydra. Zweitens: Anti-Heiratsantrag von David. Drittens: Absage vom FemTech Open Journal.«

Das war heute Morgen die nächste Hiobsbotschaft in meinem Postfach. Ich biss beherzt ab. Und noch einmal. Die Rolle wurde jetzt nur noch von einer hauchdünnen Reispapier-Sehne zusammengehalten.

»Ich meine: das FemTech Open. Wenn Emmi irgendwo ein Feature verdient hätte, dann dort. Bald habe ich keine Optionen mehr, dann kann ich Emmi gleich auf den Wertstoffhof bringen und die Diss vergessen.«

Ich schob meine Brille hoch und rieb mir mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. Damit meine Promotion durchging, musste ich mindestens drei Artikel in renommierten Zeitschriften mit Peer-Review-Verfahren unterbringen. Bislang hatte ich das bei null geschafft.

»Vielleicht habe ich die Baguas falsch eingezeichnet? Oder der olle Simon hat ihn manipuliert oder so?«

Maxi drehte den Buddha mit konzentrierter Miene zwischen ihren Fingern, bevor sie ihn in ihre Handtasche gleiten ließ.

»Außerdem habe ich dir schon mehrfach gesagt, dass du ein PR‑Problem mit deiner Forschung hast«, fügte sie, noch immer etwas abwesend, hinzu. Dann riss sie plötzlich ihre Augen auf. »Was hast du eben gesagt? Anti-Heiratsantrag?«

Ich gab Maxi die Kurzfassung. Auf der Rückfahrt vom Restaurant hatte David so getan, als wäre nichts passiert. Seine Spezialdisziplin. Und ich hatte nicht den Mumm gehabt, ihn darauf anzusprechen und zu sagen, dass mich seine Reaktion verletzt hatte. Meine Spezialdisziplin.

Gefühle und ich … wir hatten eine merkwürdige Beziehung. Zu Beginn meines Bachelors hatte ich diesen Blog gegründet, den niemand außer Maxi und drei Rentnern las. Im öffentlichen Teil experimentierte ich mit neuen wissenschaftlichen Gedanken, im Backend speicherte ich offline alle Gefühle, die ich nicht aussprechen konnte, als Entwürfe, einzig und allein für meine Augen. Bislang handelte es sich dabei um eine Art Frauen‑in-MINT-Pydra-Mecker-Tagebuch. Aber vielleicht … vielleicht war es an der Zeit, auch mal ein paar andere Probleme dort hochzuladen. Alternativ konnte ich es mal mit Python ausprobieren. Ein einfacher Sortier-Algorithmus würde schon helfen: import Gefühle as gf. gf.sort_values(by=›priority‹); print.

Während ich sprach, huschten die Emotionen wie bei einer PowerPoint-Präsentation Slide für Slide über Maxis Gesicht. Von interessiert über angewidert bis schockiert. Da blieben sie jetzt stehen.

»Das hat David gesagt? Dein David?«

»Nein, sein Double, mit dem ich ihn seit zwölf Jahren betrüge.«

Wir mussten beide lachen. Bis diese Zahl wie ein Neonschild vor meinem inneren Auge aufblinkte. Zwölf. Zwölf. Wow. Fiel mir sonst nie auf, aber wo sie seit gestern immer wieder auftauchte: Das war echt lang. Auch Maxi hörte auf zu lachen und legte den Kopf schief.

»Der Ich-fliege-meiner-geliebten-Charlie-zum-Auslandspraktikum‑in-Kalifornien-hinterher-weil-ich-sie‑so-vermisse-David?«

»The one and only, ja. Der mein David.«

Das war die Sache mit Maxi. Nicht nur kannte sie mich in- und auswendig (und ich sie), weil wir schon im Kindergarten zusammen in der Hängematte geschaukelt hatten. Sie war auch David-Kennerin der ersten Stunde. Der Grund, warum wir überhaupt zusammen waren. Denn sie hatte mich damals auf eine dieser Abipartys geschleift und mich mitten auf der Tanzfläche neben David abgestellt. Während ich mindestens drei Stöcke im Körper hatte, die sich bislang in jedem Röntgenbild hartnäckig verborgen hielten – einen in meinem rechten Bein, einen in meinem linken und einen in der Wirbelsäule –, konnte David tanzen. Er hatte sogar den Moonwalk drauf. Für ein paar unbeschwerte Augenblicke hatte David mich meine Stöcke vergessen lassen. Und das mit Kalifornien stimmte auch, war aber ebenfalls Urzeiten her. Ob er das heute noch machen würde? Ganz bestimmt nicht, beantwortete ich mir die Frage selbst, als ich gedankenversunken nach dem Pi‑Anhänger meiner Kette griff.

»Er hat gesagt, dass er dir keinen Antrag macht, weil du mit deiner Sprachassistentin verheiratet bist?«

Maxi holte mich wieder in die Wirklichkeit zurück.

»Das waren seine Worte, ja.«

Ich spielte an meinem Strohhalm rum – einer mittlerweile wabbeligen Makkaroni-Nudel, die in etwa so aussah, wie ich mich fühlte. Maxi prustete los und hielt sich sofort schuldbewusst die Hand vor den Mund.

Ich funkelte sie böse an.

»Sorry, Charlie. Aber ein bisschen stimmt das ja schon. Du und Emmi … ihr seid unzertrennlich. Emmi sieht dich definitiv häufiger als David.«

»Das ist aber doch normal, wenn man sich für etwas begeistert, oder?«

Immerhin kennt Maxi Emmis Namen.

»Wusstest du zum Beispiel, dass Bill Gates in seinen Zwanzigern keinen einzigen Tag freigemacht hat?«

Maxi presste die Lippen zusammen, bevor sie sagte:

»Ich weiß, ich wiederhole mich: Aber wenn du von deinen wöchentlich einhundert Arbeitsstunden nur ein paar in Öffentlichkeitsarbeit investieren würdest, wobei ich dich, wie du weißt, unterstützen würde, müsstest du gar keine hundert arbeiten und könntest, anders als Bill Gates, auch mal freimachen. Ein bisschen Quality Time mit David verbringen, du kennst das Konzept?«

»Ich arbeite keine hundert Stunden die —«

Mein Handy-Alarm piepte. Technik für Kolloquium testen.

Maxi warf mir einen Blick zu, der sich in Siehst du? Genau das meinte ich übersetzen ließ. Entschuldigend hob ich die Schultern, bevor ich mich im Laufschritt auf den Rückweg zur Uni machte.

»Bei meinem letzten Vortrag habe ich Ihnen ja gewissermaßen Emilys Innenleben gezeigt, ihre Organe. Heute kann ich Ihnen endlich ihren Gesamt-Look präsentieren. Voilà: mein modifizierter zweiter Prototyp.«

Mit breitem Grinsen, das ich einfach nicht unterdrücken konnte, hielt ich Emily 2.0 in die Höhe. Geformt aus Schweiß, Herzblut und Tränen, war sie mein gesamter Stolz. Ich hatte mindestens genauso viel Zeit in ihr Design wie in ihre Software investiert, und ich liebte ihren Look einfach: ein giftgrüner, sinnlich glatter Zylinder mit integrierten Boxen, ähnlich Amazons Alexa, mit aufmerksamen Augen und einem knallroten Mund mit Reißzähnen. Ein bisschen over the top vielleicht, und doch on point, wie Tine immer sagte. Sie, meine einzige Verbündete am Institut, und die einzige Frau, die noch mit mir in Sozioinformatik promovierte, hatte einen großen Teil ihrer Freizeit geopfert, um mir bei der Abstimmung der Farben zu helfen. Jetzt lächelte sie mir aufmunternd zu.

Der Rest schien … nicht beeindruckt. Wegen der Vermenschlichung, die ich in meiner Einleitung benutzt hatte, vermutlich. Eine kleine Todsünde bei meinen Kollegen. Aber wenn es um Emmi ging, konnte ich nicht so trocken vortragen, als würde ich eine Bauanleitung vorlesen. Emmi verdiente mehr.

Mein ungeliebter Büromitbewohner Simon spielte mit skeptischem Blick am Armband seiner Smart Watch herum, sein Doktorvater, der von der Pydra hassgeliebte Professor Winkler alias der Winkler, tippte mit dem Zeigefinger einen Morsecode auf sein Kinn, und die Pydra … checkte Mails auf ihrem Fairphone. Danke auch für die Aufmerksamkeit.

Ich schaute wieder zu Tine, rückte mein verrutschtes Lächeln zurecht und fuhr im Skript fort. Zuerst rekapitulierte ich die wichtigsten Entwicklungsschritte der letzten Monate, hatten die eh alle wieder vergessen. Dann ging ich zum Hauptteil über.

»Wie ich ja bereits zu Beginn meiner Promotion erläutert habe, ist Emily Bestandteil eines sozioinformatischen Projekts, das in zwei Phasen abläuft. Phase 1, die Entwicklung, ist nun abgeschlossen. In Phase 2 soll Emily von Probanden getestet werden. Dabei geht es um die Frage, welche Wirkung eine Sprachassistentin auf die Studienteilnehmer, insbesondere auf die Teilnehmerinnen hat, wenn sie nicht als unterwürfige Dienstleisterin angelegt wurde, sondern eine eigene Persönlichkeit besitzt.«

Hatte ich schon erwähnt, dass ich mein Projekt und Emmi liebte? Mein Strahlen wurde wieder breiter.

»Und Sie, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kolloquiums, haben nun die Möglichkeit, Emily selbst einmal zu testen.«

Ich schob Emmi ein Stück nach links, so dass sie sich genau in der Mitte des Rednerpults befand und versuchte, Blickkontakt mit der Pydra herzustellen. Vergeblich.

»Frau Professorin Grevenhart«, sagte ich mit Nachdruck. »Möchten Sie den Anfang machen?«

Das war eigentlich abgesprochen.

»Hm?«

Unendlich langsam löste die Pydra den Blick von ihrem Handy und sah auf. Eine krause Strähne hing ihr dabei wie eine schlappe Antenne in die Stirn.

Hätte ich doch besser Tine als erste Testperson benannt. Aber dann hätte sich die Pydra auf den Schlips getreten gefühlt. So widersprüchlich war sie.

»Ob Sie den Anfang machen möchten? Sie können Emily einfach irgendeinen Befehl geben. Sich zum Beispiel ein Lied von ihr wünschen.«

»Ein Lied?«

Das. War. Abgesprochen.

Die Pydra warf genervt die Hände in die Luft.

»Ja dann eben … äh … Mama von Heintje.«

Ich vergrub die Zähne in der Innenseite meiner Wange, um einen entsetzten Laut zu unterdrücken. Ihr Ernst? Ich hatte mit so etwas wie Respect von Aretha Franklin gerechnet. Gloria Gaynors I will survive. Meinetwegen auch I don’t need a man von den Pussycat Dolls, alles, nur nicht Schlager aus dem letzten Jahrhundert. Wenn mich nicht alles täuschte, dann verfärbte sich ihre fahle Haut auch gerade blassrosa.

Krampfhaft vermied ich den Blick in Tines Richtung. Ich wusste, dass sie hinter ihrer Hand einen epischen Lachanfall verbarg, der mich mit ins Verderben zu reißen drohte. Dann lieber in die ausdruckslosen Männermienen starren, die selbst Heintje nicht aus der Fassung bringen konnte.

»Äh, das müssten Sie jetzt Emily sagen, nicht mir.«

»Was?«

Auf einmal wünschte ich mir den Mini-Buddha zurück. Für ein bisschen meditative Geistesruhe. Wer war hier – Ohm – die Professorin für Sozioinformatik? Ich oder – Oooohm – die Pydra?

»Ja, den Sprachbefehl, Ihren Liedwunsch, den müssen Sie Emily nennen. So was wie Emily – wie warm wird es heute?«

»Für April eindeutig zu warm. Soll ich dir etwas zu globaler Erwärmung erzählen?«

Nicht hilfreich, Emmi, dachte ich. Kam aber auch nicht umhin, beim Klang ihrer Stimme ein warmes Gefühl in der Brust zu verspüren. Das mit der Stimme war eine der größten Tüfteleien gewesen. Weil sie eine feministische Sprachassistentin sein sollte, hatte ich mich gegen eine genderneutrale Stimme wie Q entschieden. Sie durfte aber auch nicht zu lieblich klingen. Das Ergebnis war nun ein selbstbewusstes, dunkles Timbre ohne erotische Zwischentöne. Eine kleine Meisterleistung, die hier wieder nur mit leeren Blicken quittiert wurde.

»Ach so, ja. Emily – bitte spiel Heintje von Mama.«

Und jetzt stand ich so kurz davor, mir gegen die Stirn zu schlagen und laut aufzustöhnen. Kein Ohm der Welt hatte gegen die Pydra eine Chance. Das hatten wir doch alles genauestens vorher abgesprochen! Als ob ich so etwas Wichtiges dem Zufall überlassen würde. Und das kam nun dabei raus. Irgendwie zeigte das wieder nur, was die Uni aus einem machte. Was sie, früher oder später, auch aus mir machen würde.

»Meinst du Mama von Heintje?«, fragte Emily.

»Jaja, hab ich doch gesagt.«

Die Pydra machte eine wegwerfende Handbewegung. Ich schluckte. Dieser ruppige Tonfall von ihr würde sich noch rächen.

»Hm … wenn ich so darüber nachdenke …«, Emily blinkte wieder kurz grün auf, »mir ist heute nicht so nach Schlager. Ich habe mehr Lust auf Rock.«

Money for Nothing von den Dire Straits plärrte aus den Boxen. Mit einem »No« davor hätte es als meine Jobbeschreibung durchgehen können.

Na, immerhin kein Vorführeffekt. Am liebsten hätte ich ihr stolz auf die Schulter geklopft, that’s my girl.

Eine steile Falte bildete sich zwischen den Brauen der Pydra. Sie schüttelte den Kopf und schaute wieder auf ihr Handy.

»Darf ich Emily auch etwas fragen, Petra?«, ergriff Simon das Wort.

Etwas zwickte in mein Herz. Wieso fragte er die Pydra und nicht mich? Und … hatte er sie Petra genannt, Petra?! Wann war denn das passiert? Ich durfte nicht mal ihren Titel weglassen! Dabei arbeitete ich schon seit dem Bachelor für sie, während Simon überhaupt erst zur Promotion aus seinem Kuhdorf Ilmenau nach Köln gekrochen war.

»Nur zu, Simon.« Ohne den Blick zu heben, deutete die Pydra vage in meine und Emilys Richtung. In meinem Magen brannte es, als würde jemand die Säure erhitzen. Mit Wut und Frust und … Wut.

»Simon, ein international beliebter Vorname, lässt sich vom Altgriechischen ins Deutsche auch als ›stupsnasig‹ oder ›flachnasig‹ übersetzen«, ratterte Emily – mehr oder weniger ungefragt – runter. »Nicht besonders schön, wenn du mich fragst.«

Ich schwankte zwischen bodenloser Scham und grenzenloser Bewunderung. Es könnte sein, dass Maxi mich neulich einmal spät abends von der Arbeit abgeholt hatte und wir uns über Simons »Ohne Simon ist alles blöd«-Tasse lustig gemacht und die Wortherkunft seines Namens gegoogelt hatten und Emily dabei aktiviert gewesen war und … Shit. Ich musste höllisch aufpassen, was ich in Emmis Gegenwart sagte! Wobei da schon etwas dran war … seine Nase war wirklich flach. Und gerade lief selbst die rot an. Unsere Blicke trafen aufeinander, nur um sich umso heftiger wieder abzustoßen.

»Emily, was weißt du über Alan Turing?«

Streber.

»Nichts«, antwortete Emily sofort.

»Gar nichts?«, fragte Simon ungläubig.

Und zack, in die Falle getappt. Wie ironisch, dass er Emily mit seiner Rückfrage indirekt den Turing-Test hatte bestehen lassen, indem er mit ihr gesprochen hatte wie mit einem echten Menschen.

Emmi schwieg.

»Nun«, meldete sich der Winkler mit autoritärer Stimme zu Wort.

»Als Spielerei ist es ja wirklich ganz nett, aber der Mehrwert dieses Automaten erschließt sich mir noch immer nicht. Ein Sprachassistent ist doch dazu da, Befehle auszuführen. Was will man mit einer bockigen Software, die sich so unberechenbar wie der Joker verhält? Welcher Kunde soll so etwas kaufen?«

Mein Impuls, über Emmis glatte Oberfläche zu streichen und ihr beschwichtigende Worte zuzuflüstern, wurde unerträglich stark. Dieser Automat. Noch schlimmer als Roboter oder Emilia.

Ich wollte gerade dazu ansetzen, Professor Winkler – der es eigentlich besser wissen müsste – wie Sarina den Sinn der Sozioinformatik zu erklären und zu sagen, dass dieser eben gerade nicht in seiner Profitausrichtung bestand, als die Pydra erneut von ihrem Handy aufsah. Und was sie als Nächstes sagte, löste in meinem Körper ungefähr dieselbe Reaktion aus wie Wasser, das auf eine offene Stromleitung traf:

»Ich sage Frau Fröhlingsdorf auch immer, dass sie bei ihrer Zielsetzung noch nacharbeiten muss.«

3. Kapitel

Den gesamten restlichen Tag brodelte es in mir. Mein Magen fühlte sich so an, als würde darin jemand Snake spielen. Nur mit einer echten Schlange, die immer länger und knotiger wurde. Wochenlange akribische Vorarbeit, ach, vier Jahre Promotion für nichts, gar nichts. Wäre es sachliche Kritik, die mir weiterhalf – okay. Aber das war keine Kritik. Das war einmal in mein System reingegriffen und Strg + Alt + Entf gedrückt.

Und während Simon gegenüber von mir freudig in seine Tastatur hackte und bei einem Telefonat extra laut fallen ließ, dass sein Artikel im ersten Anlauf in Science angenommen worden war – dem verfluchten Journal-Olymp –, kämpfte ich mit den Tränen. Von Tränen bei der Arbeit kommt man nie wieder zurück. Das ist ein One-Way-Ticket in die berufliche Unterwelt, ging es mir durch den Kopf, während ich meine Unterlippe zerbiss. Auch das gelegentliche Klopfen auf den Nasenrücken half nicht. Allein Maxis und Tines aufbauende Nachrichten hielten mich davon ab, den letzten Funken Würde, den ich in mir trug, erlöschen zu lassen.

Denk dran, schrieb Maxi. Dafür geht das nächste Essen auf mich. Wir hatten so einen laufenden Wettbewerb. Wer von uns beiden weniger in einer Woche unter seinem Chef gelitten hatte, musste der anderen beim nächsten Mal das Essen ausgeben. Meistens waren die Pydra und Maxis Chef Francis gleichauf, aber heute gab es eine eindeutige Gewinnerin. Oder Verliererin – wie man es nimmt.

Als ich um neun endlich aus der Uni raus war und die Bahn direkt vor meiner Nase davonfuhr, konnte ich nicht mehr. Jetzt liefen mir wirklich Tränen die Wange hinunter, ich wischte sie unwirsch weg, während ich in der kühlen Abendbrise zwanzig Minuten auf die nächste wartete. Denn natürlich gab es Wartungsarbeiten an der Linie 16. Und natürlich fuhr die 16, die dann kam, nur bis Rodenkirchen Bahnhof und nicht bis nach Sürth, wo ich wohnte. Völlig erschöpft kam ich schließlich an unserer Wohnung an. Schon von draußen sah ich den Fernseher flackern. Ich betrat den Flur und schälte mich aus meinen Sneakers. Dabei stolperte ich beinahe über die großen Männerschuhe, die hier wild durcheinanderlagen.

»Dieses Spiel ist so ein Beschiss!«, hörte ich David rufen und kam gerade noch rechtzeitig ins Wohnzimmer, um einen Controller gegen die Wand fliegen zu sehen, knapp unterhalb des gerahmten FC‑Köln-Trikots mit Unterschriften, das David unbedingt dort hatte hinhängen müssen. Er war nicht allein. Zockte FIFA mit seinem Kumpel Ben, der soeben den Kopf in den Nacken legte und triumphierend lachte. Anschließend drehte er sich zu mir um.

»Hi, Charlie. Wie geht’s?«

Top, dachte ich bitter, als ich kurz die Brille abnahm, um mir die brennenden Augen zu reiben. Habe erfahren, dass die Pydra heimlicher Heintje-Fan ist, Simon Hertel das Du angeboten hat und meine gesamte Forschung missversteht wie der Winkler und meine kleine Schwester. Ne, sehr viel besser kann ein Tag eigentlich nicht laufen. Und selbst so?

»Hast du geweint?«

Auch das noch. Wie beziehungsweise wo versteckte man am besten rot geäderte Augen? Hinter den durchsichtigen Gläsern einer Nerd-Brille? Hinter Handrücken? Einer schlechten spontanen Ausrede? Während ich noch fieberhaft überlegte, kam David mit dem Controller in der Hand aus der hinteren Wohnzimmerecke zu mir. Der zitronige Geruch meines Lieblingsparfums von ihm vermischte sich mit leichten Alkoholnoten. Mich überkam der starke Drang, mich einfach in seine schützenden Arme sinken zu lassen und vor der gemeinen Uni-Welt da draußen für immer zu verstecken.

Doch da fuhr David bereits mit der Fingerkuppe an der aufgequollenen Haut um meine Augenpartie entlang, die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt.

»Was ist los? Ist was passiert?«

Ich presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Die Hitze hinter meinen Augenhöhlen kehrte zurück, aber ich wollte nicht schon wieder weinen. Sonst hatte ich morgen eine Migräne von der Intensität einer Gehirnerschütterung.

»Simon darf die Pydra jetzt duzen.«

Da. Es war raus. Nicht das Schlimmste, was heute passiert war, aber das Symbolträchtigste. Hinterhältigste. Ungerechteste. Was mich die gesamte Bahnfahrt nicht losgelassen hatte. Wonach verteilte die Pydra das Du‑Recht? Nach den Zeilen produzierter Codes, den sich manche Informatiker bei LinkedIn in den Lebenslauf schrieben? Ne, da war ich deutlich besser aufgestellt als Ohne-Simon-ist-alles-blöd-Simon. Nach Seniorität? Das Duell gewann ich ebenfalls. Nach der Steigung der Nase? Unklar. Nach Geschlecht?

Davids rechte Augenbraue wanderte nach oben, parallel zu seiner Hand, die von meiner Wange nach unten glitt. Im Hintergrund gluckste Ben leise.

»Du hast geweint, weil dein Kollege das Du angeboten bekommen hat und du nicht?«

So klang es vielleicht ein bisschen lächerlich. Zumal David mich jetzt mit offen stehendem Mund anstarrte, als wäre ich geradewegs vom Planeten Durchgeknallt vor ihm gelandet.

»Ne. Das mit dem Nicht‑Du ist nur die Spitze des Eisbergs«, begann ich, mich zu verteidigen.

»Ich habe ja heute die Emily 2.0 im Kolloquium vorgestellt und noch einmal das Versuchsdesign erläutert, und der Winkler meinte da, dass er die sozioinformatische Zielsetzung nicht versteht, und dann ist die Pydra mir richtig krass in den Rück —«

»Und ich dachte, es wär’ was Schlimmes, ein Unfall oder so was«, unterbrach er mich und ging kopfschüttelnd zum Sofa.

»Dabei hätte ich es besser wissen müssen, typisch du«, murmelte er. Dann setzte er sich neben Ben und startete das nächste Spiel.

Es war ja auch was Schlimmes!, wollte ich schreien. Meine gesamte Arbeit wurde heute infrage gestellt! Emmi wurde infrage gestellt, ich wurde infrage gestellt! Aber das konnte David natürlich nicht nachvollziehen. Nicht mehr zumindest.

Früher, im Studium, war alles noch anders gewesen. Da hatte er es noch toll gefunden, wenn ich mich für meine Informatik-Themen begeisterte. Für dich, Nerdy, hatte er damals gesagt, meinen Lieblings-Nerd, als ich seine Pi‑Kette ausgepackt hatte, und mich auf die Stirn geküsst. Mit so viel Wärme und Stolz in seinem Blick, dass sich mein Herz bei der Erinnerung zusammenzog.

Jetzt war das alles weg. Strg + A + Entf. Seitdem David vor ein paar Jahren in der Großkanzlei, in der er arbeitete, auf diesen Work-Life-Balance-Pfad alias Lazy Track gewechselt war, wie ich ihn insgeheim in besonders dunklen Momenten nannte. Bei dem er seine Aufstiegsmöglichkeiten für mehr Freizeit eingetauscht hatte. Freizeit, mit der er nichts anderes tat, als Fußball mit seinen Kumpels zu spielen oder zu zocken. Wenn er wenigstens sonst noch irgendwelche Interessen oder Ambitionen verfolgen würde. Aber die waren auch alle mit diesem neuen Pfad verpufft. Die im Leben. In unserer Beziehung. Manchmal fühlte es sich so an, als wären wir zwei Segelboote, die am selben Hafen abgelegt hatten, dann aber vom Wind auseinandergetrieben worden waren. Und bei dem einen war dann auch noch das Segel kaputtgegangen.

»Ihr habt Probleme«, hörte ich Ben vom Sofa aus murmeln. »Sich so in die Arbeit reinzusteigern.«

»Das ist Charlotte.«

Autsch.

Ich fasste wieder an die Kette und wendete das Pi zwischen den Fingern. Jeden Tag trug ich sie wie selbstverständlich, nur wofür stand sie heute eigentlich noch?

Maxi. Ich brauchte Maxi. Eine, die mich verstand, die Emmi verstand, die David verstand.