Liebe unter fremdem Himmel - Barbara Cartland - E-Book

Liebe unter fremdem Himmel E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Als Lord Sheldons Mund in der Bibliothek ihres Onkels den ihren berührte, war sich Azalea nur des wütenden Feuers auf seinen Lippen und des Pulsierens ihres Körpers bewußt. Wie konnte sie ihm je das furchtbare Geheimnis anvertrauen, das ihr Leben überschattete? In einer Geschichte vor dem Hintergrund des exotischen Hongkong des 19. Jahrhunderts wird für Azalea die Grausamkeit ihres Onkels unerträglich. Erst nach einer dramatischen Flucht aus einem alptraumhaften Gefängnis, kann sie das Wunder und die Vollkommenheit von Lord Sheldons Liebe teilen.

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Liebe unter Fremden Himmel

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2015

Copyright Cartland Promotions 1985

9781782136842

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1.

„So, Miss Azalea, die Sandwiches sind fertig. Jetzt brauche ich bloß noch Burrows. Er muß sie in die Bibliothek bringen.“

„Lassen Sie nur, Mrs. Burrows“, sagte Azalea. „Ich mache das schon. Setzen Sie sich, ruhen Sie die Füße aus.“

„Also, wenn ich ehrlich bin, meine Füße tun mir wirklich weh, der Rücken auch.“

„Es ist aber auch wirklich zu viel für Sie“, erklärte Azalea.

Es stimmte, aber es ihrer Tante zu sagen, wäre sinnlos gewesen.

Ihr Onkel, General Sir Frederick Osmund, und seine Frau gaben eine Party, ehe sie England verließen, und einem alten Ehepaar wie den Burrows die ganze Arbeit zu überlassen, war ein Unding.

Die Burrows hatten in dem Haus in Hampstead bis zum Tod des alten Sir Osmund, dem Vater des Generals, als Hausmeister gearbeitet und bestimmt nicht damit gerechnet, daß sie bis zum Umfallen weiterschuften mußten.

Der General war mit seiner Frau, den Zwillingen und seiner Nichte für die zwei Monate vor der Abreise nach Hongkong ins Battlesdon House gezogen. Obwohl eine Reihe von Dienstboten engagiert worden war, blieb alles an Burrows, dem Butler, und seiner Frau hängen.

An indische Dienstboten gewöhnt, deren Unterwürfigkeit bis zur Willenlosigkeit ging und die kaum etwas kosteten, hatte Lady Osmund nicht die geringsten Anstrengungen gemacht, sich den englischen Verhältnissen anzupassen.

Als der General noch in Camberley gewesen war, war es einfach gewesen. Die groben Hausarbeiten, wie Böden schrubben, Schuhe putzen und dergleichen hatten Burschen erledigt, und das Übrige die Frauen von Unteroffizieren, die nur zu froh waren, etwas dazu verdienen zu können.

Da Lady Osmund ausgesprochen geizig war, wenn es darum ging, Löhne zu bezahlen, hatte sie in London junge und völlig unerfahrene Mädchen in den Dienst genommen, die - wie Mrs. Burrows immer wieder sagte - mehr Last als Hilfe waren.

Und so war es unvermeidlich gewesen, daß Azalea, die auch schon die Einladungen geschrieben und abgeschickt hatte, in die Küche gesteckt worden war, um Mrs. Burrows zur Hand zu gehen.

„Das ist zu viel für Mrs. Burrows, Tante Emily“, hatte Azalea gesagt. „Das schafft sie einfach nicht. Das neue Küchenmädchen hat zwei linke Hände, und das Putzmädchen ist zwar willig, aber geistig auf dem Stand einer Zwölfjährigen.“

„Die beiden Zugehfrauen werden kommen und beim Abwaschen helfen“, hatte Lady Osmund entgegnet.

„Aber das Dinner und für später der Mitternachtsimbiss - das ist wahnsinnig viel Kocherei“, hatte Azalea zu bedenken gegeben.

Die Tante hatte erst geschwiegen. Dann hatte sie Azalea mit dem unangenehmen Blick angesehen, den das junge Mädchen nur zu gut kannte.

„Wenn dir Mrs. Burrows so am Herzen gelegen ist“, hatte sie geantwortet, „dann kannst du ihr ja helfen, Azalea.“

„Ich dachte“, hatte Azalea zögernd gesagt, „ich darf dabei sein, wenn getanzt wird.“

„Ich halte es für unnötig, daß du bei so einer Gelegenheit dabei bist“, hatte Lady Osmund entgegnet. „Dein Onkel hat dir doch klipp und klar auseinandergesetzt, welchen Rang du in diesem Haus einnimmst. Das wird sich auch in Hongkong nicht ändern.“

Azalea hatte nichts mehr gesagt, sie war jedoch sehr über die Tatsache erschrocken gewesen, daß Lady Osmund ihre Abneigung so hemmungslos zeigte. Die vergangenen zwei Jahre hatten Azalea gelehrt, die schlechte Behandlung hinzunehmen, was jedoch nicht hieß, daß sie nicht immer wieder von neuem traurig und verletzt war.

Aus Angst, man könne sie nicht nach Hongkong mitnehmen, schwieg Azalea, wie sie schon Hunderte von Malen geschwiegen hatte.

Wie sie sich danach sehnte, wieder im Fernen Osten zu sein! Wie sie sich nach der Sonne sehnte, nach dem Duft von Blumen, der immer in der Luft lag, nach der Freundlichkeit der Menschen und ihrem Lächeln. Sie würde die Steifheit und vor allem das unwirsche Klima Englands nicht eine Sekunde vermissen.

Natürlich würde alles anders sein als in Indien, aber alles, was jenseits des Suezkanals lag, war für Azalea das Paradies.

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, obwohl es erst zwei Jahre her war. Sie war nach dem Tod ihres Vaters von Indien nach England geschickt worden, und alles Elend hatte angefangen.

Sie hatte ihren Vater glühend geliebt. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie ihm den Haushalt geführt. Sie waren oft umgezogen, aber das hatte Azalea nicht das Geringste ausgemacht. Sie hatte sich an jedem Ort, an dem das Regiment stationiert war, schnell zurechtgefunden. Als sie schließlich in den Nordwestprovinzen gelandet waren, war Azalea oft monatelang allein gewesen, wenn es an den Grenzen Aufstände unter den verschiedenen Stämmen gegeben hatte. Sie hatte sich jedoch nie einsam gefühlt. Die Frauen von anderen Offizieren hatten sich um sie gekümmert, und außerdem waren ja die Ordonnanzen da gewesen, die ihrem Vater und ihrer Mutter seit Jahren gedient hatten.

Azalea hatte natürlich den viel älteren, vornehmen Bruder ihres Vaters und dessen Frau gekannt. Sie hatte sie bei verschiedenen Gelegenheiten gesehen und sie für ausgesprochen steif und großspurig gehalten. Erst später allerdings sollte sie in Erfahrung bringen, wie wenig die beiden Brüder gemein hatten. Zwischen dem Charakter und der Persönlichkeit ihres Onkels und ihres geliebten Vaters bestand auch nicht die Spur von Ähnlichkeit.

Derek Osmund war ein fröhlicher und sorgloser Mann gewesen. Lediglich was seine militärischen Pflichten anbelangte, war er strikt und genau gewesen wie selten ein Offizier. Er hatte das Leben geliebt und hatte das Talent besessen, jeden, der mit ihm zusammen war, in gute Laune zu versetzen, dabei war seine lebensbejahende Art nie krampfhaft gewesen.

Und wie hatte er sich um seine Soldaten und die Leute aus dem Land gekümmert. Er hatte die Leute verarztet, hatte ihre Ängste verscheucht und ihnen Hoffnung gemacht, daß alles wieder gut werden könnte.

Azaleas Kindheit war voll Sonne gewesen. Es hatte keinen Abend gegeben, an dem sie nicht mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen wäre.

Und dann plötzlich aus heiterem Himmel war die Katastrophe gekommen.

Wie hat das bloß geschehen können, hatte sich Azalea auf dem Schiff, das sie von Indien nach England gebracht hatte, immer wieder gefragt.

Selbst jetzt konnte sie immer noch nicht glauben, daß es kein Alptraum war, aus dem sie irgendwann aufwachte und feststellte, daß sie sich die zwei Jahre bei ihrem Onkel und ihrer Tante nur eingebildet hatte.

Aber es war die grausame Wirklichkeit. Ihr Vater war tot, und sie war gezwungen, im Haus ihres Onkels zu leben und sich wie ein zweitrangiger Mensch behandeln zu lassen. Sie wurde abgelehnt und erniedrigt, denn der General würde nie vergessen, auf welche Weise sein jüngerer Bruder gestorben war.

Papa hat richtig gehandelt, sagte sich Azalea immer wieder.

Manchmal sehnte sie sich danach, es dem Onkel ins Gesicht zu schreien. Vor allem, wenn er seine selbstgefällige Miene zur Schau trug und in einem Ton mit ihr sprach, den sie selbst keinem Hund gegenüber angeschlagen hätte.

Was sie in Zukunft zu erwarten hatte, war ihr klar gewesen, als sie nach Ankunft in England in das Arbeitszimmer ihres Onkels gerufen worden war.

Die Reise war eine unaussprechliche Qual gewesen. Im Golf von Biskaya hatten Novemberstürme getobt. Azalea war nicht seekrank gewesen wie die meisten Passagiere, aber sie hatte derart unter der Kälte gelitten, daß sie total erschöpft in England angekommen war.

In den Jahren, die sie in Indien gelebt hatte, hatte sie sich an die große Hitze gewöhnt. Vielleicht hatte sie auch aufgrund des russischen Bluts, das in ihren Adern floß, die erstickende Hitze der Ebenen leichter ertragen als die ‘reinrassigen’ Engländer.

Ihre Mutter, die zwar in Indien geboren war, war russischer Abstammung gewesen, was übrigens für Azaleas Onkel ein weiterer Grund war, auf sie herabzuschauen. Er lehnte Mischehen, wie er sich auszudrücken pflegte, kategorisch ab.

Als Azalea bis zur Häßlichkeit abgemagert vor ihrem Onkel gestanden und versucht hatte, sich nicht anmerken zu lassen, daß sie selbst hier im Haus immer noch fror, war wenig mehr von der dunkeläugigen Schönheit zu sehen gewesen, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Vor Kummer über den Tod des Vaters hatte sie an Bord kaum etwas gegessen, ihre Augen waren durch das ständige Weinen verquollen gewesen. Ihr dunkles Haar, das in Indien voll Glanz gewesen war, war stumpf und leblos gewesen.

Sie hatte jämmerlich ausgesehen, aber auch das hatte den Onkel nicht weiter beeindruckt.

„Du weißt so gut wie ich, Azalea“, hatte er mit harter Stimme und hartem Blick gesagt, „daß das unglaubliche und schamlose Verhalten deines Vaters Schande über die ganze Familie hätte bringen können.“

„Papa hat richtig gehandelt“, hatte Azalea leise erwidert.

„Richtig?“ hatte der General wiederholt. „Ist es vielleicht richtig, einen Vorgesetzten zu töten? Ihn zu ermorden?“

„Du weißt genau, daß Papa den Colonel nicht töten wollte“, hatte Azalea den Vater verteidigt. „Es war ein Unfall. Papa hat lediglich versucht, diesen wahnsinnigen Menschen davon abzuhalten, auf brutalste Weise eine Frau zu schänden.“

„Eine Inderin!“ hatte der Onkel voll Abscheu gesagt. „Sie hat die Schläge unter Garantie verdient.“

„Sie war nicht die erste Frau, die der Colonel so mißhandelt hat“, hatte Azalea entgegnet. „Jeder wußte, daß der Colonel brutal und pervers war.“

Ihre Stimme hatte vor Entsetzen gezittert. Aber wie hätte sie diesem spröden, unbeugsamen Mann erklären sollen, wie grauenvoll es gewesen war? Wie die Schreie der Frau die milde, dunkle Lieblichkeit der Nacht in etwas Furchterregendes, Bestialisches verwandelt hatten?

Derek Osmund hatte es eine Zeitlang ausgehalten. Und dann, als die Schreie immer schriller geworden waren, war er aufgesprungen.

„Verdammt!“ hatte er geschrien. „Das kann nicht so weitergehen. Das lasse ich nicht zu. Das Mädchen ist ja noch ein Kind. Er hat Cynthia bei sich.“

Azalea war zu Tode erschrocken. Cynthia war ein Mädchen von dreizehn Jahren und Tochter des Schneiders, der einmal im Monat ins Haus gekommen war und alles gerichtet hatte, was geflickt oder ausgebessert hatte werden müssen. Cynthia war immer mitgekommen und hatte ihrem Vater geholfen.

Azalea hatte oft mit dem Mädchen gesprochen und war jedes Mal wieder von den sanften Augen mit den langen Wimpern fasziniert gewesen. Wenn ein Mann sich genähert hatte, hatte Cynthia schnell den Sari über das Gesicht gezogen, aber der Colonel, der meistens unter Alkoholeinfluß stand, mußte sie trotzdem gesehen haben.

Derek Osmund war zu dem Bungalow des Colonel hinübergegangen.

Die Schreie waren verstummt, der Colonel hatte wütend die Stimme erhoben, dann noch ein Schrei, und schließlich war alles still gewesen.

Erst später hatte sich Azalea zusammengereimt, was passiert war.

Ihr Vater hatte die Tochter des Schneiders halb nackt angetroffen und gesehen, wie der Colonel sie sadistisch geschlagen hatte. Daß er dieses grausame Vorspiel gebraucht hatte, ehe er seine Opfer vergewaltigte, war im ganzen Regiment bekannt gewesen.

„Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen?“ hatte er Derek Osmund angeschrien.

„Sie können eine Frau nicht so behandeln, Sir“, hatte Azaleas Vater gesagt.

„Wollen Sie mir vielleicht Vorschriften machen?“

„Nein, Sir. Ich möchte Ihnen lediglich sagen, daß Ihr Verhalten sowohl unmenschlich als auch haarsträubend ist, wenn man bedenkt, daß Sie Ihren Soldaten ein Vorbild sein sollen.“

„Raus!“ hatte der Colonel gedonnert. „Scheren Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!“

„Es handelt sich hier um meine Angelegenheit“, hatte Derek Osmund ruhig erwidert. „Ich fühle mich verpflichtet, derlei Grausamkeit zu verhindern.“

Der Colonel hatte ein häßliches Lachen ausgestoßen. „Machen Sie bloß, daß Sie rauskommen. Oder wollen Sie vielleicht zuschauen?“

Er hatte die kleine Inderin an den Haaren gepackt und auf die Knie gezerrt. Dann hatte er den Stock auf den nackten Rücken herunter sausen lassen, der bereits voll von Striemen war.

Das Mädchen hatte aufgeschrien.

Im selben Moment hatte Derek Osmund zugeschlagen.

Er hatte den Colonel am Kinn getroffen. Der Colonel hatte zum Abendessen eine Menge getrunken gehabt und war nicht mehr sehr sicher auf den Beinen gewesen. Er war nach hinten übergekippt und mit dem Kopf auf einem schmiedeeisernen Schemel aufgeschlagen.

Für einen jüngeren und weniger verbrauchten Mann wäre der Unfall nie tödlich ausgegangen. Der schnell herbeigerufene Regimentsarzt hatte jedoch nur noch den Tod feststellen können.

Was danach passiert war, hatte Azalea nie genau erfahren. Sie hatte lediglich gewußt, daß der Regimentsarzt auf der Stelle Sir Frederick geholt hatte, der zufällig im Haus des Gouverneurs der Provinz zu Gast gewesen war.

Sir Frederick hatte die Sache in die Hand genommen und mit seinem Bruder gesprochen, der nicht nach Hause zurückgekommen war.

Am nächsten Morgen war er in einem Dickicht tot aufgefunden worden, und man hatte Azalea gesagt, ihr Vater wäre bei der Jagd auf ein wildes Tier leider ums Leben gekommen.

Aber Azalea hatte sofort gewußt, daß man sie angelogen hatte. Es war ihr klar gewesen, daß ihr Vater vor ein Militärgericht gestellt worden wäre, wenn er sich nicht das Leben genommen hätte.

Die Angelegenheit war totgeschwiegen worden. Außer Sir Frederick, dem Regimentsarzt, der Tod durch Herzversagen angegeben hatte, und einem weiteren höheren Offizier hatte niemand die Wahrheit erfahren.

„Das skandalöse Verhalten deines Vaters hätte seine Familie, sein Regiment und sein Vaterland in Verruf bringen können“, hatte der General damals vor zwei Jahren in seinem Arbeitszimmer zu Azalea gesagt. „Du wirst mit keinem Menschen über diese peinliche Angelegenheit sprechen. Heute nicht und nie. Ist das klar?“

„Natürlich werde ich mit einem Außenstehenden nie darüber sprechen“, hatte Azalea nach einem Moment zögernd geantwortet. „Aber wenn ich eines Tages einmal heiraten werde, dann wird mein Mann die Wahrheit über den Tod meines Vaters wissen wollen.“

„Du wirst nie heiraten!“

Azalea hatte den Onkel mit großen Augen angesehen.

„Warum werde ich denn nie heiraten?“ hatte sie naiv gefragt.

„Weil du nie meine Einwilligung dazu bekommen wirst“, hatte ihr Onkel erwidert. „Ich bin dein Vormund, und ohne meine Einwilligung kannst du nicht heiraten. Du wirst die Sünden deines Vaters sühnen und mit dir ins Grab nehmen, was in Indien passiert ist.“

Im ersten Moment war Azalea die volle Bedeutung dieser Worte gar nicht klar gewesen.

„Ganz abgesehen davon“, war ihr Onkel fortgefahren, „bist du so häßlich und unattraktiv, daß du sowieso nie einen Mann finden würdest. Sollte sich jedoch jemand so im Geschmack verirren und trotzdem um deine Hand anhalten, wird die Antwort ‘nein’ sein.“

Azalea hatte kein Wort mehr herausgebracht.

Sie war damals knapp sechzehn Jahre alt gewesen und hatte sich noch nie verliebt. Trotzdem hatte sie es für selbstverständlich gehalten, daß sie eines Tages heiraten und Kinder haben würde.

Aber nicht nur für die Tat ihres Vaters ließ Sir Frederick sie büßen, sondern auch für die Tatsache, daß ihre Mutter Russin gewesen war.

„Außerdem wollen wir gleich noch eines festhalten“, hatte ihr Onkel gesagt und mit dem Zeigefinger auf sie gedeutet. „Auch die Abstammung deiner Mutter wirst du mit keinem Wort erwähnen. Wie dein Vater eine solche Ehe eingehen konnte, ist mir ein Rätsel, Ich habe ihm damals aufs Deutlichste zu verstehen gegeben, daß ich mehr als entrüstet war.“

„Wieso hast du meine Mutter nicht gemocht?“ hatte Azalea gefragt.

Der General hatte die Frage ignoriert. „Man mischt Rassen nicht“, hatte er nur gesagt, als sei das für ihn ein unumstößliches Gesetz. „Außerdem sind Russen keine Europäer. Dein Vater hätte eine anständige Engländerin zur Frau nehmen sollen.“

„Willst du damit sagen, daß meine Mutter nicht anständig gewesen ist?“ hatte Azalea gefragt. Ihre Augen hatten zornig geglüht.

Die Lippen Sir Fredericks waren schmal geworden. „Da deine Mutter tot ist, enthalte ich mich der Meinung. Du wirst über ihre Abstammung schweigen und sie nie wieder erwähnen.“

Anfangs war Azalea zu unglücklich gewesen, um zu merken, in welches Leben sie hineingezwängt wurde. Nach einem Jahr wurde ihr die Erlaubnis entzogen, sich weiterzubilden. Sie war das fünfte Rad am Wagen und nicht viel mehr als ein Dienstmädchen.

Mit siebzehn, als ihre Cousinen Violet und Daisy, die Zwillinge, in die Gesellschaft eingeführt worden und auf Bälle gegangen waren, war Azalea Zofe, Näherin, Sekretärin, Haushälterin und Mädchen für alles gewesen.

Und mit achtzehn Jahren hatte sie dann geglaubt, ihr ganzes Leben als Hausangestellte verbringen zu müssen und sich auf nichts freuen zu können.

Doch dann war die Nachricht gekommen, daß Sir Frederick nach Hongkong versetzt sei, und Azalea hatte gedacht, daß jetzt die Welt untergehen müsse.

Anfangs war sie überzeugt davon gewesen, daß man sie nicht mitnehmen würde, doch etwas später hatte sie vermutet, ihr Onkel und ihre Tante würden sie aus Angst, sie könne die Missetat ihres Vaters ausplaudern, doch mitnehmen.

Azalea wußte, daß sie aus diesem Grund und natürlich wegen der Abstammung ihrer Mutter zu Hause versteckt gehalten wurde. Daß Azalea die Nichte des Generals war, konnte nicht verheimlicht werden, aber es war jedermann erzählt worden, sie geniere sich und sei menschenscheu.

„Wenn Sie die Sandwiches in die Bibliothek bringen“, sagte Mrs. Burrows und riß damit Azalea aus den Gedanken, „dann nehmen Sie doch bitte auch gleich die Whiskyflasche mit. Sie steht im Anrichteraum. Der General hat angeordnet, daß sie erst gegen Ende der Party gebracht werden soll. Er hat Angst, daß die Gäste zu viel davon trinken. Seinen Whisky behält er lieber für sich.“

„Ich weiß“, entgegnete Azalea. „Jetzt bringe ich noch schnell die Sachen rein, und dann trinke ich eine Tasse Tee mit Ihnen.“

„Das ist eine prima Idee“, sagte Mrs. Burrows. „Ohne Sie hätte ich den ganzen Trubel nicht überstanden.“

Das stimmte. Azalea, die mittlerweile fabelhaft kochte, hatte bei den Speisen für das Dinner mitgeholfen und den Mitternachtsimbiss fast ganz allein hergerichtet.

„Ich bin froh, daß wir das hinter uns haben“, sagte sie und nahm die Silberplatte mit den Sandwiches.

Der alte Burrows hatte die Kristallkaraffe mit dem Whisky bereits aus dem Schrank geholt und im Anrichteraum auf einen Beistelltisch gestellt. Aus dem Frühstückszimmer, einem großen Raum, der auf den Garten hinausging und für dieses Fest zum Tanzen hergerichtet worden war, hörte Azalea die Musik herüberklingen. Sie eilte mit den Sandwiches und dem Whisky durch den schmalen Gang, der zur Bibliothek führte. Sie stellte sich plötzlich vor, wie es gewesen wäre, wenn sie ein neues Kleid bekommen hätte und an dem Fest hätte teilnehmen dürfen.

Da sie die Einladungen geschrieben hatte, wußte sie, daß nur wenig junge Leute gebeten worden waren. Entweder Offiziere oder die Söhne und Töchter von Familien, die nach Meinung ihrer Tante gesellschaftlich gesehen wichtig waren.

Wenn ich ein Fest geben würde, dachte Azalea, dann würde ich meine Freunde einladen.

In der Bibliothek, die sich in einem kleinen Anbau befand, brannte Feuer im Kamin. Der gute, alte Burrows hatte also selbst daran noch gedacht. Die Gaslampen verbreiteten einen gelblichen Schein, der auf die abgewetzten Sessel und den reichlich ausgetretenen Teppich fiel. An allen vier Wänden Bücher bis an die Decke. Hier war alles still. Man hörte nichts mehr von der Musik.

Obwohl Azalea kaum Zeit dazu hatte, hatte sie sich hin und wieder heimlich ein Buch geholt und es abends im Bett gelesen. Allerdings hatte sie immer recht bald schon das Licht ausmachen müssen, denn sie hatte trotz des geschlossenen Fensters jämmerlich gefroren.

Violet und Daisy und natürlich auch ihre Tante hatten geheizte Schlafzimmer, aber Azalea hatte man derlei Luxus nicht gegönnt. Sie mußte sich mit der einen dünnen Wolldecke begnügen.

Sie stellte den Whisky und die Sandwiches, die für den General jeden Abend noch gemacht werden mußten, auf einen kleinen Tisch, ging zum Kamin, hielt die Hände ans Feuer und betrachtete sich in dem Spiegel, der über dem Sims hing.

Sie hatte sich äußerlich verändert in den letzten zwei Jahren. Ihr Busen war immer noch etwas unentwickelt, aber es standen ihr wenigstens nicht mehr die Knochen heraus.

Ihr Gesicht war wie das ihrer Mutter herzförmig. Ihre Augen schienen größer geworden zu sein und hielten jeden gefangen, der sie ansah.

Wenn sie außergewöhnlich blaß war, dann deshalb, weil sie überarbeitet war und selten an die frische Luft kam.

Azalea sah sich mit kritischem Blick an. Sie wußte nicht, ob ihr dunkles Haar und die großen, meist besorgten Augen attraktiv waren oder nicht.

Sie sah nach unten und strich über die Schürze, die sie jetzt schon den ganzen Tag anhatte. Darunter trug sie ein Kleid, das von Violet oder Daisy abgelegt worden war. Die Zwillinge waren immer gleich angezogen, und während ihnen Pastelltöne standen, waren sie für Azalea alles andere als vorteilhaft.

Wieso, das wußte sie eigentlich selbst nicht. Vielleicht lag es daran, daß die Kleider, die sie erbte, verwaschen und abgetragen und für ihre Figur oft kaum zu ändern waren.