Lieben und Leben in Jackson Hole (15-teilige Serie) - Cindy Kirk - E-Book

Lieben und Leben in Jackson Hole (15-teilige Serie) E-Book

Cindy Kirk

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Beschreibung

Diese wunderbare Serie von Cindy Kirk spielt in einem kleinen aber quicklebendigen Dorf in Wyoming, in dem es so manchen jungen, gut aussehenden Arzt gibt …

Folgende Titel von Cindy Kirk sind in dieser 15-teiligen Serie enthalten:

  • Neun Monate und eine Nacht
  • Ich weiß bloß eins, ich liebe dich
  • Ein Weihnachtsengel namens Mickie
  • Ein Mann, ein Ring und mehr …
  • Geheimnis einer Valentinsnacht
  • Traumfrau mit Geheimnissen
  • Ein Rendezvous mit dem Boss
  • Mein Nachbar, seine Tochter und ich
  • Ein Ball wie ein Traum
  • Der wunderbarste Fehler meines Lebens
  • Ein Happy End für uns zwei
  • Nanny gesucht - Mommy gefunden
  • Drei kleine Worte vom Glück entfernt
  • Mit fünf Dates zum Happy End
  • Haltet die Braut!


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Seitenzahl: 2675

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Cindy Kirk

Lieben und Leben in Jackson Hole (15-teilige Serie)

IMPRESSUM

Neun Monate und eine Nacht erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2010 by Cynthia Rutledge Originaltitel: „The Doctor’s Baby“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 79 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Rainer Nolden

Umschlagsmotive: GettyImages_Primorac91, Mshake

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751505536

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Eine Entbindung in der Notaufnahme hatte July Greer gewiss nicht geplant –, ebenso wenig, dem diensthabenden Arzt zu begegnen, der gerade zur Tür hereinkam und zufälligerweise ihr einziger One-Night-Stand überhaupt gewesen war. Trotz der Maske, die seinen Mund und seine Nase bedeckte, hätte sie diese stahlblauen Augen überall erkannt. Einen Moment lang überwog der Schock die Schmerzen der Wehen, von denen ihr Körper gequält wurde.

Ich sollte eben nicht in Wyoming sein. Sie sprach die Worte nicht laut aus, stattdessen schrie sie auf, als sich ein weiterer stechender Schmerz durch ihren Unterleib bohrte. „Ich bin Dr. Wahl.“ Ohne seine Patientin genauer anzuschauen, ging er an ihr vorbei und setzte sich auf einen Stuhl am anderen Ende der Untersuchungsliege. Für einen Moment verschwand er aus ihrer Sicht, bis er das sterile Tuch zurückschob.

„Die Schwester hat recht. Wir haben keine Zeit mehr, Sie in den Kreißsaal zu bringen.“ Sein besorgter Blick konnte ihre Ängste nicht gerade beschwichtigen. Falls er sie erkannt haben sollte, ließ er es sich glücklicherweise nicht anmerken. „In welchem Monat sind Sie?“

Normalerweise war July stolz auf ihre Selbstbeherrschung, aber in diesem Moment hatte der Schmerz wieder die Oberhand über ihren Körper gewonnen, und sie verlor die Geduld. Sie hatte es bereits bei der Anmeldung und mindestens zwei Krankenschwestern aus der Notaufnahme gesagt. Hätte das nicht irgendjemand irgendwo notieren können?

„Sechsunddreißigste Woche.“ Ihr gereizter Ton mündete in ein verzweifeltes Keuchen, als sie versuchte, sich nicht von einer neuen Wehe überwältigen zu lassen, was ihr nicht gerade leichtfiel, zumal die Schwester neben ihr geradezu wie ein Mantra erneut wiederholte: Nicht pressen.

July nahm sich vor, stark zu bleiben und so lange wie ein Hund zu keuchen, wie es gut für ihr Baby war. Wenn es bloß eine Garantie gäbe, dass ihre Anstrengungen ausreichten. Ihr Geburtstermin war erst in einem Monat. Laut den Lehrbüchern machte ein Baby in diesen letzten Wochen einen enormen Wachstumsschub.

„Es ist doch nicht gefährlich für ihn, oder?“, fragte July, als sie wieder normal atmen konnte.

David, ähm, Dr. Wahl musste die Angst in ihrer Stimme gehört haben, denn er hob den Kopf. „Wenn die Daten stimmen, dürfte es keine Probleme mit der Lungenreife geben.“

„Heißt das Nein?!“, stieß July hervor, als eine weitere scharf schmerzende Wehe sie überfiel.

„Ich kann den Kopf des Babys sehen. Atmen Sie ein paar Mal tief durch, dann halten Sie den Atem an und pressen“, wies er sie an.

Obwohl es ihr wie eine Ewigkeit erschien, erblickte ihr Sohn ein paar Minuten später laut schreiend das Licht der Welt.

Das Baby, respektable zweitausenddreihundert Gramm schwer, wurde sorgfältig untersucht, ehe Schwester Rachel Milligan, die ihr beigestanden hatte, es July in den Arm legte. Ein Blick auf die Finger, Zehen und andere Körperteile bestätigten, dass ihr Sohn zwar klein, aber mit allem Notwendigen ausgestattet war.

Erleichtert atmete July tief aus. Die Opfer, die sie in den vergangenen acht Monaten erbracht hatte, waren die Mühen wert gewesen. Mit einem Blick in die Augen des Babys schwor sie sich, dass sie immer für ihn da sein würde, egal, wie schwer das Leben auch werden mochte.

Sie begann gerade, sich mit ihrem Sohn vertraut zu machen, als eine Krankenschwester, die sie zuvor noch nicht gesehen hatte, den Raum betrat. Mit geübtem Griff nahm sie ihr das Baby aus den Armen und legte es in einen Inkubator. Julys Herz verkrampfte sich, als es aus ihrem Blick verschwand.

„Das haben Sie ganz toll gemacht.“ Rachel tätschelte ihre Schulter. „Machen Sie sich keine Sorgen um Ihren kleinen Jungen. Bei uns ist er in besten Händen.“

Mein kleiner Sohn. Plötzlich wurde die Rührung übermächtig. „Ich nenne ihn Adam.“

Was Namen anging, war July ziemlich sentimental. Sie selbst hieß nur so, weil sie im Juli geboren worden war, aber der Name ihres Sohnes sollte mehr bedeuten.

„Adam gefällt mir.“ Rachel ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. „Heißt jemand in der Familie so?“

July nickte. Adam „A. J.“ Soto war wie ein Bruder für sie, seitdem sie gemeinsam von Kinderheim zu Kinderheim gereicht worden waren. Solange sie denken konnte, war A. J. ihr Vertrauter, ihr Gesprächspartner und vor allem ein sehr guter Freund.

„Er sieht wirklich sehr hübsch aus mit den dunklen Haaren“, bestätigte Rachel.

Die schwarzen Haare waren July auch als Erstes an ihrem Baby aufgefallen. Sie mochte zwar ihr rötlichbraunes Haar, war aber froh, dass Adam die Farbe von seinem Vater geerbt zu haben schien.

„Sieht er seinem Dad ähnlich?“

„Das tut er“, antwortete July spontan. Sie wusste nicht, was David da unten hinter dem sterilen Tuch noch tat, aber sie spürte, dass er innehielt. Obwohl sie seine Haare unter der blauen Kappe nicht sehen konnte, erinnerte sie sich noch gut daran, wie sie mit den Fingern durch die langen dunklen Strähnen gefahren war.

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als er die Maske herunterzog und July betrachtete. Zum ersten Mal, seit er das Zimmer betreten hatte, sah er sie wirklich an. Obwohl es noch nicht einmal Mittag war, wirkte er schon sehr erschöpft, aber in seinen Augen glomm auch ein Funke Neugier.

Unvermittelt bekam July es mit der Angst zu tun. Wenn David herausfand, dass Adam sein Sohn war …

Einen Moment lang begann sich das Zimmer um sie zu drehen, aber July weigerte sich, dem Angstgefühl nachzugeben.

Ich habe das Schlimmste hinter mir – und habe es ganz allein geschafft.

Das Wissen darum gab ihr Zuversicht. Sie holte tief Luft und verjagte das Gefühl der Furcht. Eins nach dem anderen. So war sie bisher gut durchs Leben gekommen – und hatte auch diese Katastrophe bewältigt. Das Wichtigste war, ruhig zu bleiben und sich nicht verrückt machen zu lassen. David hatte keinen Grund zur Annahme, dass ihre einzige gemeinsame Nacht zu einer Schwangerschaft geführt hatte. Und sie hatte vor, diese Tatsache für sich zu behalten.

„Alles sieht gut aus.“ Er ließ sie nicht aus den Augen. „Das Baby ist so klein, dass Sie trotz der Sturzgeburt keinen Dammriss hatten.“

Vielleicht sollte ihr diese Bemerkung peinlich sein, aber David war Arzt. Und es gab nichts, was er nicht von ihr bereits gesehen oder berührt hatte. „Vielen Dank für alles.“

Wieder schaute er sie durchdringend an, ehe er kurz nickte. „Sie werden gleich auf Ihr Zimmer gebracht.“

Sein sachlicher Tonfall beruhigte sie. Doch dann wurde sein Blick weich, und July wusste, dass sie in Schwierigkeiten steckte. „Wenn meine Schicht zu Ende ist, schaue ich noch einmal nach Ihnen.“

July spürte einen Kloß im Magen. David erinnerte sich an sie. Und seinem Blick nach zu urteilen, hatte er soeben seine Rechenaufgabe gelöst.

Sie fröstelte. A. J. warf ihr andauernd vor, sie sei zu zynisch – ein Mensch, für den das Glas immer halb leer sei. July hielt sich einfach nur für eine Realistin. Das Leben hatte sie viel gelehrt – unter anderem, dass sie Männern nicht trauen konnte. Und ihre Bekanntschaft mit dem wortgewandten, verheirateten Arzt hatte sie nur darin bestätigt. Deshalb würde David nie erfahren, dass dies sein Kind war.

Ein Baby hatte sie nicht geplant. Bisher hatte sie auch noch keinen Gedanken an eine mögliche Mutterschaft verschwendet. Doch nun, da ihr Sohn auf der Welt war, liebte sie ihn von ganzem Herzen. Ihn mit einem gewissenlosen Mann zu teilen, kam allerdings nicht infrage.

David lehnte sich an den grauen Metallspind im Aufenthaltsraum des Jackson Hole Memorial Hospitals. Den ganzen Nachmittag hatte er operiert und sich permanent eingeredet, dass der Junge, den er vormittags um elf Uhr achtundzwanzig entbunden hatte, nicht sein Sohn sein konnte. Hatten sie nicht in jener Nacht in dem Chicagoer Hotel Kondome benutzt?

Als Arzt wusste er natürlich, dass sie kein hundertprozentiger Schutz waren. Missgeschicke passierten immer wieder, doch sofort verjagte er den Gedanken. Der kleine Junge war ein Wunder, kein Missgeschick. Und wenn es sein Baby war, würde er die Verantwortung dafür übernehmen.

„Warum wirkst du so ernst? Hattest du einen schlechten Tag?“

„Überhaupt nicht.“ David grinste seinen Kollegen und Freund Dr. Travis Fisher an. Travis war Davids Trauzeuge gewesen – und einer der Sargträger, als Davids Frau vor zwei Jahren gestorben war. „Ich habe nur gerade daran gedacht, dass Mary Karen mir die Hölle heißmachen wird, wenn ich zu spät zu Logans Geburtstagsparty komme.“

Davids Schwester hatte drei Söhne, die sie permanent auf Trab hielten und die dringend ein männliches Vorbild brauchten. Dummerweise hatte Mary Karens Mann sie vor einem Jahr sitzen lassen und führte in Boston das Junggesellenleben, das er so sehr vermisst hatte. David versuchte zwar, so viel Zeit wie möglich mit seinen Neffen zu verbringen, aber was die drei Kleinen wirklich brauchten, war seiner Meinung nach ein richtiger Dad.

Leider sah es damit nicht gut aus. Wenn Mary Karen nicht für die Kinder sorgte oder als Aushilfskraft im Krankenhaus arbeitete, musste sie sich ums Essen und den Haushalt kümmern – weder das eine noch das andere lag ihr besonders.

„Was gibt’s denn zu essen?“, wollte Travis wissen. „Etwa Tofu?“

David lachte. Travis spielte auf ein Essen an, das Mary Karen für sie gekocht hatte, als sie noch auf der Highschool gewesen waren. „Glücklicherweise nein. Logan steht im Moment auf Spaghetti.“

„Da kann man ja eigentlich nichts falsch machen. Na ja, deine Schwester vielleicht schon“, fügte Travis schmunzelnd hinzu.

„Komm doch mit!“, forderte David ihn auf. „Sie würde sich bestimmt freuen, dich zu sehen.“ Immerhin waren Travis und Mary Karen während der Schulzeit mal ein Paar gewesen.

„Würde ich gerne tun, aber ich habe Dienst.“ Travis zeigte in Richtung Entbindungsstation. „Sie bereiten gerade einen Kaiserschnitt vor.“

„Sieht so aus, als wäre heute ein hektischer Tag im Kreißsaal.“

„Du hattest ja heute Morgen auch einen Notfall, habe ich gehört.“

„Ja, stimmt, der Kleine konnte nicht bis zu deinem Dienstbeginn warten“, antwortete David leichthin.

„Die Mutter ist ja recht hübsch“, meinte Travis, „und dem Aufnahmeformular zufolge ist sie Single.“

„Ich hatte keine Zeit, sie länger anzusehen“, entgegnete David. „Ich musste schließlich deine Arbeit erledigen.“

Travis ließ nicht locker. „Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass du kein Auge riskiert hast. Sie arbeitet übrigens freiberuflich, als Fotografin.“

David ließ sich nichts anmerken. „Aha“, sagte er nur. Er griff nach seiner Jacke. „Ich muss los. Ich schau noch mal nach ihr und dem Baby, bevor ich zu Mary Karen gehe.“

„Nicht nötig“, erwiderte Travis. „Das habe ich bereits getan.“

„Mir macht es aber nichts aus“, sagte David so gleichmütig wie möglich. „Ich führe schließlich nicht so viele Entbindungen durch. Ich will sichergehen, dass alles in Ordnung ist.“

Travis hob eine Augenbraue. „Bist du sicher, dass du es nur deswegen machst?“

David seufzte. Manchmal war sein Kollege wie ein Bluthund, der eine Spur meilenweit witterte. Vielleicht sollte er ihm die ganze Geschichte erzählen? Doch ehe er damit beginnen konnte, meldete sich sein Pieper – keine Zeit für Geständnisse. Mit Schwung schloss er seinen Spind und ging zur Tür. „Ich muss wirklich los.“

„Was soll ich den Schwestern sagen?“ Travis folgte ihm. „Das ist dir doch nicht egal, oder?“

„Was meinst du damit?“, fragte David, ohne stehenzubleiben.

„Ich nenne keine Namen, aber die Tagschicht hat mir erzählt, dass du die neue Mutter unentwegt angestarrt hast. Es kam ihnen vor, als würdest du sie kennen, und sie haben mich mit Fragen nur so gelöchert.“

Abrupt blieb David stehen. Er hasste diesen Krankenhausklatsch, aber er wusste schon seit Langem, wie er am besten damit umgehen konnte. „Erzähl ihnen einfach, dass die frischgebackene Mutter und ich eine heiße Affäre hatten und ich sie wahnsinnig liebe. Ach ja, und du kannst ihnen auch gleich sagen, dass das Kind von mir ist.“

Wie er erwartet hatte, gluckste Travis vor Lachen. „Okay, ich sag den anderen, dass es falscher Alarm ist.“ Er schlug David auf den Rücken. „Viel Spaß auf der Party, und gib deiner hübschen Schwester einen Kuss von mir.“

„Oh, oh, den musst du ihr schon persönlich geben!“, konterte David.

Im Hinausgehen dachte David jedoch weder an seine Schwester noch an die Geburtstagsfeier seines Neffen, sondern an die Frau in Zimmer 202. Und an das Baby auf der Säuglingsstation. Der Junge mit den langen dunklen Haaren. Genau wie seine eigenen …

Auf der Station wechselte David ein paar Worte mit den Schwestern, während er Julys übersichtliche Krankenakte überflog. Viel stand nicht darin. Beim Beziehungsstatus hatte sie ledig angekreuzt, als Beruf freiberufliche Fotografin eingetragen und als Wohnort Chicago in Illinois angegeben. Sie hatte auch keine Angehörigen genannt. Sollte sie tatsächlich mit jemandem zusammen sein, konnte ihr die Beziehung vermutlich nicht so wichtig sein.

Er fragte sich, was aus ihrer Stelle bei der Sun Times geworden war und was sie nach Jackson Hole verschlagen hatte. Nun, er würde es bald herausfinden. Mit dem Klemmbrett in der Hand schritt er zielstrebig über den Korridor. Erst vor ihrer Tür zögerte er. Travis kümmerte sich jetzt um sie. Es gab also wirklich keinen Grund für ihn, hier zu sein, abgesehen von der Tatsache, dass er sie entbunden hatte und dass sie alte Freunde waren … gewissermaßen.

Schüchtern wie ein Fünfzehnjähriger klopfte David an die nur angelehnte Tür und stieß sie auf.

July saß im Bett und trug ein schlichtes Krankenhausnachthemd. Vor ihr stand ein Essenstablett. Im Gegensatz zu Celeste war sie nicht atemberaubend schön, aber sie hatte etwas Verlockendes. Obwohl kaum größer als ein Meter sechzig, würde sie mit ihren grünen Augen, dem schulterlangen kastanienbraunen Haar und der hellen Hautfarbe in jeder Menschenmenge auffallen.

Falls sie überrascht war, ihn zu sehen, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie stellte die Orangencreme auf das Tablett und betrachtete den roten Namenszug auf seinem Kittel. „Ich dachte, dein Name würde W-A-L-L geschrieben.“

Erleichtert stellte er fest, dass sie sich an seinen Namen erinnerte – wenn auch nicht in der korrekten Schreibweise. Während der Geburt war er sich nicht sicher gewesen, ob sie ihn erkannt hatte. Er hätte auch nicht gewusst, wie er sie danach hätte fragen können.

„Viele Leute schreiben ihn falsch.“ Er trat näher an ihr Bett und hoffte, dass sie seine Nervosität nicht spürte. „Was habe ich gehört? Du bist noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden hier und hast die Schwestern schon gefragt, wann du entlassen wirst?“

„Ich habe eine Krankenversicherung mit enorm hoher Selbstbeteiligung.“ Sie hob das Kinn. „Ich bin eben eine kostenbewusste Patientin.“

Im Stillen verfluchte David sich. Seine Frage hätte das Eis brechen sollen, anstatt ihr ein schlechtes Gewissen zu machen. „Wenn du finanzielle Unterstützung brauchst – es gibt da gewisse Beihilfen. Ich könnte jemanden vorbeischicken …“

„Du verstehst mich nicht“, unterbrach sie ihn. „Ich habe durchaus Ersparnisse. Ich möchte nur so viel wie möglich davon behalten.“

„Natürlich, ausgezeichnet. Sag mir einfach Bescheid, wenn du deine Meinung änderst.“ Das Reden fiel ihm schwer. Normalerweise konnte er sich mit allen über alles Mögliche unterhalten, aber in diesem Moment fühlte er sich äußerst unbehaglich. Das war eigentlich gar nicht nötig, ebenso wenig ihre Reserviertheit. Immerhin hatten sie sich in aller Freundschaft getrennt.

„Falls nichts Unerwartetes eintrifft, kannst du morgen wahrscheinlich nach Hause gehen“, sagte er schließlich, als das Schweigen unerträglich wurde. „Eine unserer Schwestern wird vierundzwanzig Stunden lang bei dir bleiben. Das gehört zu unserem Spezialservice.“

Julys grüne Augen blickten ins Leere. „Ich muss eine Babyschale kaufen, bevor ich Adam abholen kann …“

„Das Baby muss noch eine Weile hierbleiben“, entgegnete er mit fester Stimme. „Du kannst dir also mit der Babyschale Zeit lassen.“

„Die Schwestern haben mir gesagt, es ginge ihm gut.“ Ihre Stimme zitterte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ist irgendetwas passiert?!“

„Seine Haut ist ein bisschen gelb. Das ist nicht ungewöhnlich bei einer Frühgeburt.“ David hoffte, dass er zuversichtlich klang. Obwohl er kein Spezialist für Geburten war, kannte er sich mit solchen allgemeinen Dingen aus. Er hätte sich bloß diplomatischer ausdrücken sollen.

„Als meine Fruchtblase platzte, war mir klar, dass es zu früh war.“ Die Stimme versagte ihr, und sie sank zurück aufs Kissen. Sie sah viel jünger aus als sechsundzwanzig. „Ich konnte nichts machen. Alles ging so schnell …“

„Du hast alles richtig gemacht.“ Er widerstand dem Drang, ihr auf die Schulter zu klopfen. „Dein Körper war bereit für die Geburt, als du hier zur Tür hereingekommen bist.“

„Ich weiß nicht, wie das passieren konnte.“ July sprach mehr zu sich selbst. „Der Arzt hat mir versichert, dass der Termin eingehalten werden könnte.“

„Wann war der denn?“, fragte David so beiläufig wie möglich.

„Fünfzehnter April.“

Davids Herz wurde zu einem Stein in seiner Brust. Kaum hatte er ihren Namen auf dem Patientenblatt gelesen, hatte er auch schon im Stillen nachzurechnen begonnen. Wenn der Geburtstermin Mitte April gewesen sein sollte, musste sie zu der Zeit schwanger geworden sein, als sie zusammen in Chicago gewesen waren. Vergeblich versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. Sie kniff die Augen zusammen.

„Mach dir keine Sorgen. Es ist nicht dein Baby.“

„Wie kannst du dir da so sicher sein? Der Zeitpunkt stimmt.“

„Wir haben Kondome benutzt“, erinnerte sie ihn. „Jedes Mal.“

„Willst du mir damit sagen, du hattest zur gleichen Zeit mit einem anderen Mann ungeschützten Sex?“

„Hör mal!“ Sie schob das Tablett beiseite. „Du brauchst jetzt hier nicht den anständigen Ritter zu spielen. Adam ist nicht deinSohn.“

Sie klang aufrichtig, und ihre Argumente waren vernünftig. Dennoch erinnerte er sich an diese Nacht, als wäre sie gerade erst gewesen. Ihre Antwort hatte nichts Einstudiertes, woraus er schloss, dass sie schon länger nicht mit einem Mann zusammen gewesen war. Und jetzt erwartete sie, dass er glaubte, sie habe mit ihm geschlafen und kurz danach mit einem anderen Mann Sex gehabt? Möglich wäre es schon, aber irgendetwas sagte ihm, dass sie ihn anlog.

Ein halbes Dutzend Fragen gingen David durch den Kopf, aber er stellte keine einzige davon. Ihre Miene verriet ihm, dass er nicht mehr von ihr erfahren würde.

Er wippte auf den Fersen. „Willst du ihn wirklich Adam nennen?“

„Warum nicht?“

David verbiss sich ein Grinsen, als er ihren aggressiven Ton hörte. „Als ich noch klein war, hatten unsere Nachbarn zwei Bulldoggen. Sie hießen Adam und Eva.“

„Nun, ich habe einen guten Freund namens Adam, und er ist ganz gewiss kein Hund.“

Ein guter Freund? War er vielleicht mehr als das? Um ein Haar hätte David Eifersucht in sich aufkeimen lassen, doch dann fiel ihm ein, dass sie nicht einmal den Namen des Mannes angegeben hatte, damit dieser im Notfall hätte verständigt werden können. „Ein Nachbar?“

„Ich kenne ihn aus dem Kinderheim.“

David setzte sich auf ihre Bettkante. „Davon hast du mir nie erzählt.“

„In deinem Hotelzimmer haben wir auch nicht viel geredet, wie du dich vielleicht erinnerst.“

Sie hatte recht. Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, hatten sie schon im Bett gelegen und mehr gestöhnt als geredet. Offenbar hatte sie ihre stundenlangen Unterhaltungen zuvor in der Hotelbar jedoch völlig vergessen.

„Vorher haben wir aber über alles Mögliche gesprochen!“, wandte David ein. „Lieblingssportarten, Lieblingsessen, Lieblingsfilme.“

„Aber kaum etwas Privates.“

Stimmt. Sie hatte ihm nichts über ihre Kindheit erzählt. Und er hatte ihr verschwiegen, dass seine Frau zwei Jahre zuvor gestorben war. „Das Leben im Kinderheim war bestimmt nicht schön.“

Ihr Blick war unergründlich. „Was uns nicht umbringt, das macht uns nur stärker.“

Unvermittelt musste sich David an die entsetzlichen Tage nach dem Autounfall erinnern. Obwohl er sich nicht stärker fühlte, dachte er zumindest nicht unentwegt an etwas, das nicht mehr geändert werden konnte.

„Wie bist du denn hier gelandet? Als wir uns kennenlernten, hast du doch angeblich in Minneapolis gewohnt und wolltest nach Chicago ziehen?“

David schaute aus dem Fenster. Nach Celestes Tod hatte er sich so einsam gefühlt und gehofft, den Verlust in Chicago leichter verarbeiten zu können. Celeste war auf einer Dienstfahrt von einem betrunkenen Autofahrer gerammt worden und auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Gary, ihr Chef, hatte sie um diese Fahrt gebeten, weil ein Kollege erkrankt gewesen war. Wie oft hatte sich David hinterher mit dem Gedanken gequält: Wenn der Kollege nicht krank geworden wäre und Gary sie nicht gebeten hätte, für ihn einzuspringen. Wenn …

„Einen Tag nachdem wir … zusammen waren, habe ich einen alten Freund getroffen. Er wusste von meiner … Situation. Nachdem ich mich länger mit ihm unterhalten hatte, war mir klar geworden, dass ich nach Jackson Hole gehöre – zu meiner Familie.“

„Ich will dich nicht von deiner Familie fernhalten.“ Ihr Tonfall war so kühl wie ihre grünen Augen.

„Ich habe noch ein bisschen Zeit.“ Er wollte noch ein wenig länger in ihrer Gesellschaft sein. „Was hat denn dein Freund Adam gesagt, als er die gute Nachricht erfuhr?“

„Ich habe ihn noch gar nicht erreichen können“, antwortete sie ganz sachlich.

Durch den Lautsprecher wurde das Ende der Besuchszeit verkündet. David schaute auf die Uhr an der Wand. Zehn Minuten brauchte er bis zum Haus seiner Schwester. Er erhob sich. „Ich gehe dann mal.“

July lächelte nur höflich, sagte aber nichts. Sie behandelte ihn wie einen flüchtigen Bekannten, von dem sie nicht glaubte, ihn wiederzusehen.

„Morgen schau ich noch mal nach dir“, versprach er auf dem Weg zur Tür.

„Das ist nicht nötig …“

Es klopfte, und eine Schwester betrat das Zimmer. Im Arm trug sie ein blaues Bündel. „Mrs. Greer, Sie bekommen Besuch.“ Die Schwester blieb stehen, als sie David sah. „Dr. Wahl?! Ich wollte nicht stören. Ich wusste nicht, dass Sie noch hier sind.“

„Kein Problem. Ich bin so gut wie weg.“ David wusste, dass seine Schwester und die restliche Familie auf ihn warteten und dass seine Neffen die Geburtstagsparty nicht ohne ihn beginnen würden. Trotzdem nahm er sich noch ein paar Sekunden Zeit, um das Baby zu bewundern, das durchaus sein eigenes sein konnte.

2. KAPITEL

„Danke, dass du gekommen bist.“ Mary Karen Vaughn stand neben David auf der Terrasse des einstöckigen, mit Schindeln gedeckten Hauses, in dem sie mit ihren drei Söhnen, ihren Eltern Linda und Bob und ihrer Großmutter – Granny Fern – und dem riesigen Cockapoo lebte, einem Mischling aus Cockerspaniel und Pudel. „Logan hat sich wahnsinnig auf dich gefreut.“

„Ach, ich hätte nur ungern darauf verzichtet zu sehen, wie sich drei kleine Jungs mit Kuchen bewerfen.“ David zwinkerte ihr zu.

„Du kannst wirklich gut mit den Jungs umgehen.“ Er hatte seiner Schwester dabei geholfen, die Kinder ins Bett zu bringen. „Du und Celeste, ihr hättet auch Kinder haben müssen.“

„Ja, ich wünschte, wir hätten ein Baby gehabt“, seufzte David, „aber wir wollten auf den richtigen Zeitpunkt warten. Wir glaubten, alle Zeit der Welt zu haben.“

„Wir haben wohl beide unsere Lektion gelernt, oder? Wir führen ein herrliches Leben, und von einer Sekunde auf die nächste ändert sich alles.“ Die Trauer in ihrer Stimme ließ Davids Wut auf seinen Exschwager noch größer werden. „Aber manchmal können Veränderungen auch positiv sein. Unerwartet bedeutet nicht immer unerwünscht!“

David musste an die Frau und das Baby auf der Säuglingsstation denken. War es seines? Oder das eines anderen Mannes?

Er hatte nicht vorgehabt, Vater zu werden, aber falls es sein Kind war, würde er es nicht verleugnen. Unerwartet bedeutet nicht immer unerwünscht!

July schlüpfte in ihre bequeme Hose und zog sich ein grünes Baumwollhemd über den Kopf. Obwohl sie während der Schwangerschaft nur gut neun Kilo zugenommen hatte, war sie noch nicht bereit für eng anliegende Jeans. Glücklicherweise sah das Meiste, das sie in den vergangenen Monaten gekauft hatte, nicht wie Schwangerschaftsmode aus.

Kleidung beschäftigte sie derzeit allerdings am wenigsten, sondern vielmehr eine Frage. Wo würde sie mit Adam in Chicago wohnen? Ehe sie mit ihrer „Vier Nationalparks in vier Monaten“-Fotoreportage begonnen hatte, war sie bei einer Freundin und Exkollegin untergekommen. Diese hatte ihr allerdings gesagt, nur bis zur Geburt ihres Babys bei ihr wohnen zu können. Deren Mann hatte offenbar eine sehr starke Abneigung gegen schreiende Säuglinge.

A. J. hatte ihr angeboten, bei ihm zu wohnen, wenn sein Mitbewohner Ende April oder Ende Mai ausziehen würde. Dies wäre die perfekte Lösung gewesen – wenn sich das Baby an den errechneten Termin gehalten hätte.

Das Handy in ihrer Tasche klingelte. Auf dem Display stand Nylah. Ihr Herz schlug schneller. Nylah war die Redakteurin beim Outdoor Magazine, für das July die Fotoreportage gemacht hatte. Vor zwei Tagen hatte sie ihr die Bilder ihrer letzten Station geschickt: Aufnahmen aus dem Yellowstone-Nationalpark. Hoffentlich gefielen sie Nylah.

Ehe July das Gespräch annahm, schloss sie die Tür ihres Zimmers. „Hallo, Nylah.“

„Himmel, ich kann es kaum glauben, dass ich dich erreiche. Ich habe schon befürchtet, du wärst von Aliens entführt worden?!“ Vor Aufregung sprudelten die Worte nur so aus der Redakteurin heraus. „Seit gestern rufe ich dauernd in deinem Motel an. Ich war total panisch, als man mir an der Rezeption sagte, sie hätten dich seit dem Morgen nicht gesehen. Und bei deinem Handy ging die ganze Zeit nur die Mailbox dran.“

„Ja, ich habe vergessen, es aufzuladen. Geht es um die Fotos? Falls ich noch andere liefern soll …“

„Nein, nein, es geht nicht um die Fotos. Die sind fantastisch, ich liebe sie geradezu.“

„Dein Boss auch?“

„Ja. Ich muss mit dir über etwas anderes reden. Bist du bereit?“

July lehnte sich an das Kissen. „Wozu?“

„Wusstest du, dass ich mehrere Fotografen in den Yellowstone-Nationalpark geschickt habe?“

„Nein.“ Julys Finger umklammerten das Telefon.

„Es war eine Art Wettbewerb.“ Nylah wurde lauter. „Und du hast gewonnen!“

July lockerte den Klammergriff um ihr Handy. „Wirklich?“

„Wenn ich’s dir doch sage! Ein bekannter Schriftsteller hat mich letztens kontaktiert. Er hat einen Vertrag über eine Buchserie, in der es um wilde Tiere in Amerika geht. Ihm haben deine Fotos auch gefallen, und er möchte, dass du die Bilder zu den Büchern beisteuerst. Und er zahlt …“

Die Summe, die Nylah nannte, ließ July den Atem stocken. Während Nylah weiterredete, wurde ihr bewusst, dass sie mindestens noch einen Monat in Jackson Hole würde bleiben müssen. Dabei handelte es sich vielleicht nicht um die klügste Entscheidung – angesichts von David und dessen Familie, die hier lebte –, aber das Geld war zu verlockend, um es abzulehnen.

„Kannst du heute schon anfangen?“, fragte Nylah.

„Ähm … heute ist es nicht günstig.“ July wusste zwar, dass manche Frauen gleich nach der Geburt weiterarbeiteten, doch sie hatte das Gefühl, ein bisschen Erholung zu benötigen, ehe sie wieder über Bergpfade stapfen konnte. „Wie wäre es mit nächster Woche?“

Bis dahin würde sie mit ihrem Baby wieder zu Hause sein und sich an die neue Situation gewöhnt haben.

„Ich denke, das geht in Ordnung.“ Nylah klang nicht gerade glücklich über die Verzögerung. „Ist es wegen der Schwangerschaft? Ich weiß, der Termin ist bald …“

„Ich habe das Baby gestern bekommen.“ Sie wollte so sachlich wie möglich klingen, konnte aber die Freude in ihrer Stimme nicht verbergen. Kein Wunder – jedes Mal, wenn sie an ihren Sohn dachte, musste sie lächeln.

„Oh, das sind ja tolle Neuigkeiten!“, kommentierte Nylah. „Ich hatte schon befürchtet, dass die Geburt dazwischenkommen könnte, aber es hört sich ja so an, als hättest du alles unter Kontrolle.“

„Danke“, erwiderte July. Erst dann wurde ihr klar, dass Nylah ihr gerade gar nicht gratuliert hatte.

„Wie ich dich kenne, hast du dich bestimmt schon um eine Kinderbetreuung bemüht“, fuhr Nylah fort.

„Kinderbetreuung?“, entgegnete July konsterniert.

„Du willst das Baby doch bestimmt nicht mitnehmen.“

„Ähm … Nein, natürlich nicht“, murmelte July. In ihrem Kopf überstürzten sich die Gedanken. Bis zu diesem Augenblick hatte sie noch gar nicht darüber nachgedacht, dass sie jemanden für ihr Baby finden musste. Wenn sie ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen haben wollte, dann blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als weiterzuarbeiten.

„Gut.“ Nylah klang erleichtert. „Und nochmals Glückwunsch. Ich brauche dir nicht zu erzählen, dass das die Chance für dich ist. Die anderen Fotografen hatten auch beeindruckende Portfolios, aber deine Bilder waren eindeutig die besten.“

„Mrs. Greer – komme ich ungelegen?“

Julys Blick wanderte zu der jungen dunkelhaarigen Frau, die einen Besucherausweis des Krankenhauses auf dem hellgelben Leinenkleid trug, das perfekt zu ihrem Haarton passte. Sie hatte feine Gesichtszüge und ein dezentes Make-up, das ihre bernsteinfarbenen Augen groß und leuchtend erscheinen ließ.

„Nylah, ich muss Schluss machen. Ich melde mich nachher noch einmal.“ July legte das Telefon auf das Essenstablett.

„Das wäre aber nicht nötig gewesen“, sagte die Frau. „Ich hätte später wiederkommen können.“

„Ist schon in Ordnung. Wir waren sowieso fast fertig.“

„Ich bin Lexi.“ Die Frau trat ans Bett und streckte die Hand aus. „Ich bin Sozialarbeiterin hier im Krankenhaus und gehöre zu dem Team, das über die Entlassungen entscheidet.“

July zwang sich zu einem Lächeln. Die Frau schien nett zu sein – ganz anders als die Sozialarbeiter, die sie während ihrer Kindheit erlebt hatte. Die hatten sich stets an die Richtlinien gehalten, selbst wenn diese besagten, dass ein kleines Mädchen zurück in die Obhut einer drogensüchtigen Mutter gegeben werden sollte.

Lexi deutete auf den Stuhl neben dem Bett. „Darf ich mich setzen?“

„Bitte.“ Neugierig schwang July die Beine aus dem Bett. War die Frau wegen der Krankenhausrechnung gekommen oder wegen Adams Wohlergehen? „Worum geht es denn?“ July klang ruppiger, als sie wollte, und fühlte sich dementsprechend schlecht, als die Frau ganz freundlich blieb.

„Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie nach der Geburt Unterstützung benötigen.“ Sie schaute auf das Klemmbrett in ihrer Hand. „Sie haben als Heimatadresse Chicago angegeben. Werden Sie nach Ihrer Entlassung sofort dahin zurückkehren?“

Noch ehe July antworten konnte, summte der Pager, den Lexi am Gürtel ihres Kleides befestigt hatte. Sie schaute kurz darauf und runzelte die Stirn. „Es tut mir leid, aber die Familie eines unserer Patienten auf der Intensivstation ist gerade eingetroffen, und ich muss unbedingt mit ihnen reden. Wäre es okay für Sie, wenn ich in einer halben Stunde wiederkomme?“

July wünschte, sie könnte ihr sagen, das sei nicht nötig, denn sie habe alles im Griff. Doch das wäre gelogen. Sie musste eine Wohnung finden und jemanden, der auf Adam aufpasste. Die Sozialarbeiterin würde ihr wahrscheinlich am besten bei der Lösung ihrer Probleme helfen können.

„Gerne.“

Lexi erhob sich. „Danke für Ihr Verständnis. Ich bin so schnell wie möglich wieder hier.“

Kaum war Lexi verschwunden, klopfte es, und David betrat das Zimmer. „Du siehst gut aus.“

July unterdrückte einen Seufzer. Sie hatte gehofft, entlassen zu werden, ehe seine Schicht endete. Pech gehabt! „Ich dachte, du musst noch arbeiten?“

Oder du seist zu Hause bei deiner Frau. Bei diesem Gedanken spürte sie eine gewisse Bitterkeit. Was sie besonders wütend machte, war die Tatsache, dass sie nach seinem Beziehungsstatus gefragt hatte, kaum dass er mit ihr in der Hotelbar zu flirten begonnen hatte. Erst als sie festgestellt hatte, dass sie mit seinem Baby schwanger war, hatte sie Nachforschungen angestellt und entdeckt, dass er sie belogen hatte. Einem ehemaligen Kollegen zufolge war der gutaussehende Doktor überhaupt nicht alleinstehend. Allem Anschein nach hatte Dr. David Wahl eine fantastische Frau, die zu Hause auf ihn wartete.

„Mein Dienst geht bis fünfzehn Uhr.“ Er schloss die Tür hinter sich. Statt des weißen Kittels trug er eine Khakihose und ein königsblaues Polohemd, welches das Blau seiner Augen noch stärker betonte. „Ich wollte fragen, ob du vielleicht mit mir in die Krankenhauscafeteria gehen möchtest. Das Essen dort ist ganz okay, und wir könnten miteinander reden.“

Miteinander reden? Worüber denn? Vielleicht wollte er ihr gestehen, dass er vergessen hatte, seine Frau zu erwähnen, was sie allerdings bezweifelte. „Dieser Einladung kann ich ja kaum widerstehen.“

„Also begleitest du mich?“

Sein strahlendes Lächeln brachte sie ganz aus der Fassung. Sie spürte das gleiche erotische Knistern wie vor acht Monaten in dem Hotelzimmer. Dieses Mal ignorierte sie es allerdings. Mit einem Ehebrecher wollte sie nichts zu tun haben.

„Ich werde heute entlassen.“ Sie schaute auf ihre Uhr. „Ich warte nur noch, bis Dr. Fisher vorbeikommt.“

„Was ist denn mit deinem Freund?“ Durchdringend sah er sie an. „Hast du ihn inzwischen erreicht?“

„Ja. Ich habe ihn bei einer Feier erwischt. Er hat gerade eine Rolle in einer Broadwayshow bekommen, mit der er durchs Land tourt.“ July klang betont neutral.

„Freut er sich über das Baby?“

„Oh ja, sehr!“ July bemühte sich um einen enthusiastischen Tonfall. A. J. freute sich allerdings mehr über seine Rolle als über ihren Sohn, aber sie hatte Verständnis dafür. Das Theater war eben sein Lebensinhalt. Außerdem war er mit zu vielen Kindern aufgewachsen, um über ein weiteres aus dem Häuschen zu geraten – selbst wenn es ihr Kind war.

„Und wann kommt er?“

„Gar nicht.“ July wischte sich eine Fussel von der Jeans. „Die Tournee beginnt in zwei Wochen. A. J. ist kurzfristig für einen Kollegen eingesprungen, sodass er noch viel proben muss.“

July verstand zwar, wie wichtig dieses Engagement für ihn war. Das war seine große Chance. Dennoch hätte sie sich über ein bisschen mehr Begeisterung seinerseits durchaus gefreut.

Davids Miene verriet, dass er ebenso wenig Verständnis für dieses Verhalten hatte. July wünschte, sie hätte den Mund gehalten – je weniger David über ihr Privatleben wusste, umso besser.

„Wie lange wirst du denn in Jackson Hole bleiben?“, fragte David so beiläufig, dass sie misstrauisch wurde.

„Ich weiß es noch nicht“, antwortete sie ausweichend.

July hatte keine Ahnung, warum er sich um sie bemühte. Wäre sie an seiner Stelle, hätte sie jedes weitere Treffen vermieden. Im Gegensatz zu Chicago war Jackson Hole ein Kaff, und jeder wusste, dass Klatsch und Tratsch an solchen Orten besonders ins Kraut schoss. Falls David nicht vorsichtig war, würde jemandem sein großes Interesse an ihrem Baby auffallen und es vielleicht Davids Frau gegenüber erwähnen.

„Ehe Adam das Krankenhaus verlässt, würde ich gerne einen Test mit ihm machen. Dafür brauche ich allerdings dein Einverständnis.“

July zog die Augenbrauen zusammen. „Wenn du das Neugeborenenscreening und andere Untersuchungen meinst, die für Neugeborene empfohlen werden – darüber hat die Krankenschwester schon mit mir gesprochen. Damit habe ich kein Problem.“

„Von diesen Tests rede ich nicht.“

„Sondern?“

„Von einem Vaterschaftstest.“ Seine blauen Augen nagelten sie fest. „Ich muss wissen, ob Adam mein Sohn ist.“

July blieb regelrecht die Luft weg. Als sie sich von dem Schrecken erholt hatte, versicherte sie David: „Ich habe dir doch schon gesagt, dass er nicht von dir ist. Die meisten Männer würden bei einer solchen Nachricht vor Freude an die Decke springen.“

„Ich bin aber nicht wie die meisten Männer.“ Er wandte den Blick nicht von ihr. „Wenn Adam mein Sohn ist, dann möchte ich ein Teil seines Lebens sein. Er soll mich kennen. Ich möchte sein Dad sein.“

Sein aufrichtiger Ton traf July mitten ins Herz, das sich einst nach der Liebe eines Vaters gesehnt hatte. Lange hatte sie gehofft, dass ihr Vater – wer immer es sein mochte – eines Tages vor ihr stehen und sie aus dem Elend retten würde, das ihre Kindheit gewesen war.

Aber hier ging es nicht um sie, sondern um Adam. Und sie wollte nicht wie ihre Mutter sein – ihr Kind würde stets ihre Liebe und Unterstützung erhalten.

„July.“ Davids Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Stimmst du dem Test zu?“

Seine Hartnäckigkeit irritierte sie. Offenbar hatte er die Sache nicht zu Ende gedacht. „Ich möchte dich erst etwas fragen.“

„Klar.“ Er ließ sich auf den Stuhl neben dem Bett fallen. „Du kannst mich alles fragen.“

„Warum willst du das tun? Ich habe dir bereits gesagt, dass Adam nicht dein Sohn ist.“ Äußerlich blieb July ruhig. Nichts war zu spüren von ihrer Nervosität. „Wenn du es trotzdem tust, wird deine Frau es bestimmt herausfinden. Möchtest du das wirklich?“

Sie hatte ihre Argumente ganz sachlich vorgebracht. Dennoch wartete sie auf eine harsche Reaktion. Mehr als einmal hatte sie schließlich erlebt, was geschehen konnte, wenn sie an der Entscheidung eines anderen zweifelte. Dieses Mal jedoch erntete sie nur einen verständnislosen Blick.

„Wovon redest du? Ich bin nicht verheiratet.“

July atmete tief aus. Er war wirklich sehr gut. Würde sie nicht die Wahrheit kennen, hätte sie seine Antwort durchaus glaubwürdig gefunden. Doch ein zweites Mal ließ sie sich nicht zum Narren halten.

„Du brauchst dieses Spiel nicht weiterzuspielen.“ Wieder klangen ihre Worte ganz gelassen. „Erinnerst du dich noch an den Arzt, der an unseren Tisch gekommen ist – an jenem Abend, als wir uns begegnet sind? Der Arzt, den mein Reporterkollege kannte?“

David dachte nach. Dann nickte er. „Ja, das war Kevin Countryman.“

„Genau der. Nun, mein Kollege hat ihn ein paar Monate später noch einmal getroffen.“ Als July festgestellt hatte, dass sie schwanger war, hatte sie Krankenhäuser in Minneapolis und Chicago angerufen und sich nach einem Dr. David Wall erkundigt. Natürlich war die Suche erfolglos geblieben, da sie seinen Namen falsch buchstabiert hatte. Dann war ihr Dr. Countryman wieder eingefallen. Sie hatte ihren Kollegen gebeten, Kontakt mit ihm aufzunehmen – in der Hoffnung, dass der vielleicht wusste, wo sie David finden konnte.

„Und?“, fragte David.

„Im Laufe ihres Gesprächs hat er erwähnt, dass du verheiratet bist.“ July hatte sich belogen und betrogen gefühlt und sofort ihre Suche eingestellt.

„Warte. Das hast du falsch verstanden …“

„Er sagte, dass deine Frau fantastisch aussehe – wie ein Model. Und er hat meinem Kollegen auch erzählt, dass er überrascht war, dich mit mir flirten zu sehen.“ Die Worte waren wie ein Messer in ihr Herz gedrungen. Als sie die Worte nun wiederholte, spürte sie den gleichen Schmerz erneut. Gut, sie war nicht gerade Amerikas nächstes Topmodel, aber man hatte ihr oft gesagt, dass sie süß aussehe und wunderschöne Augen habe.

„July, hör mir zu!“

„Ich bitte dich nur, auf die Gefühle deiner Frau Rücksicht zu nehmen.“ Sie hatte sich vollkommen unter Kontrolle. Darin hatte sie schließlich jede Menge Übung. „Stell dir nur mal den Skandal vor, wenn bekannt wird, dass du einen DNA-Test gemacht hast. Sie wird zutiefst verletzt sein. Und das alles wegen nichts, denn Adam ist nicht dein Sohn.“

Sein Blick verdunkelte sich. Es sah fast so aus, als wollte er, dass Adam sein Sohn wäre. Das war absurd. Welcher verheiratete Mann würde ein Baby willkommen heißen, welches das Ergebnis eines One-Night-Stands war?

„Wir müssen etwas klären“, erwiderte David mit fester Stimme. „Ich bin nicht verheiratet.“

Als sie protestieren wollte, hob er die Hand.

„Bitte, lass mich ausreden. Ich war verheiratet, aber meine Frau ist ein Jahr vor unserer Begegnung gestorben.“ Unverwandt schaute er sie an. „Ich hätte niemals mit dir geschlafen, wenn ich verheiratet gewesen wäre. Celeste und mir hat das Eheversprechen sehr viel bedeutet.“

July wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Davids Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er die Wahrheit sagte. Doch es gab noch die Aussage eines Dritten, die das Gegenteil behauptete. „Dr. Countryman kannte dich“, brachte sie schließlich hervor. „Wie konnte er nichts vom Tod deiner Frau wissen?“

„Kevin und ich haben zusammen die Facharztausbildung gemacht. Es ist lange her, dass wir miteinander gesprochen haben. Celeste lebte noch, als wir uns das letzte Mal getroffen hatten.“

„Ich weiß nicht. Das scheint mir …“

„Du glaubst mir noch immer nicht?!“ David erhob sich frustriert und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. „Du kannst jeden fragen. Lexi oder Dr. Fisher. Sie werden dir bestätigen, dass ich die Wahrheit sage.“

July wurde eiskalt. Die Erleichterung darüber, dass sie nicht mit einem verheirateten Mann geschlafen hatte, war minimal im Vergleich zur Erkenntnis, dass sich die Situation vollkommen verändert hatte. Sie war nun diejenige, die sich entschuldigen musste. Sie hatte David erzählt, dass Adam nicht sein Sohn sei. Und das nicht nur einmal, sondern immer wieder.

Ich muss ihm sagen, dass es mir leid tut. Ich muss ihm sagen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Er wird es schon verstehen. Ich habe eben geglaubt, er sei verheiratet.

July öffnete den Mund, brachte allerdings kein Wort hervor. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte.

„July.“ Davids Stimme, leise, aber eindringlich, riss sie aus ihren Grübeleien. „Bist du mit einem Vaterschaftstest einverstanden?“

Sie nickte nur stumm.

„Der Test läuft ganz einfach ab.“ Obwohl sein Ton professionell war, konnte er seine Aufregung und Erleichterung nicht verbergen. „Ein Stäbchen in den Mund stecken, eine Probe von deiner Wange und eine Probe von Adams Wange, fertig.“

„Meine Wange?“ Fast versagte ihr die Stimme.

„Das wird eben empfohlen!“, entgegnete er schnell. „Aber wenn du nicht willst …“

„Kein Problem.“ Judy nahm ein Glas Wasser vom Tablett und spülte den Inhalt hinunter, um ihre ausgetrocknete Kehle zu befeuchten. „Ruf mich einfach an, wenn du so weit …“

„Wir können es sofort tun.“ Er zog zwei Glasröhrchen und ein Formular aus seiner Tasche. „Doch zuerst brauche ich deine Unterschrift.“

Sie hatte das Gefühl, dass die Wände des Zimmers immer näher auf sie zukamen. Schweißtropfen rannen ihr über den Rücken, als sie das Papier in die Hand nahm. „Wie lange dauert es, bis du das Ergebnis hast?“

„Drei bis fünf Tage.“

Die Wände kamen noch näher.

Judy tat, als studiere sie das Blatt, dessen Buchstaben ihr vor den Augen verschwammen. Schließlich faltete sie es zusammen und steckte es in ihre Handtasche.

Verwirrt sah er sie an. „Was tust du? Du hast doch zugestimmt.“

Sie bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall, obwohl sie innerlich zitterte. „Du verstehst bestimmt, dass ich ein solches offizielles Dokument erst einmal in Ruhe durchlesen muss. Ich bin mindestens noch einen Monat in Jackson Hole. Bevor ich abreise, werden wir den Test machen, ganz bestimmt.“

„Warum willst du so lange warten?“ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Du brauchst doch keinen Monat, um dieses Papier zu lesen …“

„… weil ich die Antwort schon kenne, und ich habe es nicht eilig!“ Und weil ich dir die Wahrheit gestehen muss, ehe du das Ergebnis bekommst.

„Aber du tust es, bevor du wieder fährst, oder?“

„Ganz bestimmt.“ July wünschte, ihm sagen zu können, dass der Test überflüssig war. Schließlich war er der einzige Mann, mit dem sie in den vergangenen drei Jahren zusammen gewesen war. Doch jedes Mal, wenn sie einen Anlauf nahm, sich endlich zu offenbaren, wurde ihre Angst immer größer und drohte, ihr den Atem zu nehmen.

Sie würde es David ganz bestimmt erzählen, sobald sie den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt. Es musste bald sein, das leuchtete ihr ein – vor dem DNA-Test und bevor er noch misstrauischer wurde und ehe er die Wahrheit noch selbst herausfand …

3. KAPITEL

David verließ Julys Krankenzimmer verunsicherter, als er es betreten hatte. Während einer schlaflosen Nacht hatte er über seine Optionen nachgegrübelt. Er konnte Julys Worte, Adam sei nicht sein Sohn, einfach für bare Münze nehmen. Aber falls sie log, dann würde sein eigen Fleisch und Blut für immer aus seinem Leben verschwinden, wenn sie Jackson Hole verließ. Oder er konnte auf eigene Faust herausfinden, ob das Baby auf der Säuglingsstation sein Sohn war.

Ein Test würde die Wahrheit ans Licht bringen. Falls sie sich ihm verweigerte, würde es ihn in seinem Verdacht bestärken, dass sie log. Doch sie hatte sich nicht geweigert, jedenfalls nicht direkt.

„Kann ich Ihnen helfen, Doktor?“ Rachel Milligan fragte ihn dies – die Krankenschwester, die bei Julys Entbindung assistiert hatte.

Er sah sich auf der Station um. „Was tun Sie hier? Das ist doch nicht die Notaufnahme.“

„Messerscharf erkannt.“ Rachel schmunzelte. „Unten ist im Moment nicht viel zu tun, deshalb haben sie mich als Unterstützung hierher geschickt. Und was machen Sie auf der Säuglingsstation?“

„Ich wollte mal nach dem Greer-Baby schauen.“

„Natürlich.“ Rachel lächelte, und schlagartig wurde ihm klar, dass sie eigentlich recht hübsch war mit ihrem honigblonden Haar und den großen blauen Augen. Es war egal, es knisterte überhaupt nicht. Ganz anders als bei July …

Während sie das Baby holte, wusch David sich die Hände und schlüpfte in einen Kittel. Dabei fragte er sich, warum er sich selbst quälte. Nach allem, was ihm erzählt wurde, war dies der Sohn eines anderen Mannes.

„Hier ist er.“

Rachel legte David das Baby in die ausgestreckten Arme. Es war in eine blaue Decke gehüllt, hatte eine gleichfarbige Mütze auf dem Kopf und sah David aus ernsten Augen an.

David war überrascht von dem starken Gefühl, das ihn bei der Berührung des Babys durchflutete. Schützend hielt er die Arme um das winzige Kind, das er vor kaum vierundzwanzig Stunden in die Welt gebracht hatte. „Er ist ganz leicht.“

„Er ist klein“, bestätigte Rachel, „aber er macht sich ganz gut. Sobald der Bilirubinspiegel im Blut sinkt, kann er nach Hause.“

David betrachtete das winzige Gesicht auf der Suche nach familiärer Ähnlichkeit. Abgesehen von den schwarzen Haaren, die nun unter der Mütze steckten, konnte jeder der Vater sein.

In diesem Moment betrat Lexi den Raum. „Hallo“, grüßte sie.

David drehte sich zu ihr um. Erstaunt betrachtete sie das Bündel auf seinem Arm. Rasch übergab David das Baby an Rachel. „Ich muss los.“

Lexi trat einen Schritt näher. „Wer ist denn dieser kleine Kerl?“

„Das ist Adam Greer“, erwiderte Rachel. „Unser Baby aus der Notaufnahme.“

„Ich dachte, Dr. Watson kümmert sich um ihn.“

„Das tut er auch“, antwortete David. „Da ich nicht so viele Babys auf die Welt bringe, ist der Kleine für mich schon etwas Besonderes.“

Lexi zog die Augenbrauen hoch. „Wie geht es ihm denn?“

„Immer noch ein bisschen gelb, aber in ein oder zwei Tagen werden wir ihn entlassen können“, sagte David.

„Ich frage mich, wohin“, überlegte Rachel.

„Was meinen Sie damit?“, wollte Lexi wissen.

David spitzte die Ohren.

„Seine Mutter hat vor der Geburt in dem Motel gegenüber vom Stadttheater gewohnt“, erklärte Rachel. „Nicht unbedingt der passende Ort für ein Baby, oder?“

„Da stimme ich Ihnen zu“, pflichtete Lexi ihr bei. „Ich werde einen Vermerk in die Akte machen, dass wir ein Auge auf ihn haben sollten. Ich werde die Mutter gleich noch mal besuchen.“

July starrte auf die Geburtsurkunde, welche die Schwester ihr gegeben hatte. Sie musste sie ausfüllen, bevor sie entlassen werden konnte.

Ihre persönlichen Angaben hatte sie schnell notiert, ebenso die Spalte, in die sie den Namen des Babys schreiben musste. Doch was sollte sie in die Rubrik Vater des Kindes schreiben?

Sie konnte nicht David als Vater angeben, bevor sie ihm die Wahrheit gestanden hatte. Allerdings konnte sie sich auch nicht dazu überwinden, unbekannt zu notieren – das Wort, das sie in ihrer eigenen Geburtsurkunde gefunden hatte und das all ihre Träume von einem Vater zerplatzen ließ wie eine Seifenblase – von einem Vater, der eines Tages auf einem weißen Pferd auftauchen würde, um sie zu retten.

July atmete tief ein und ließ die Luft langsam aus ihren Lungen entweichen. Immer noch unsicher griff sie zum Stift. Anders als bei ihrer Mutter gab es in ihrem Fall keinerlei Zweifel an der Vaterschaft. Aber was, wenn David das Dokument in die Hände fiel? Oder wenn jemand vom Krankenhauspersonal seinen Namen auf dem Papier entdeckte und es ihm gegenüber erwähnte?

Die Tür wurde geöffnet, und die Sozialarbeiterin steckte den Kopf ins Zimmer. „Kann ich reinkommen?“

„Natürlich“, antwortete July.

„Entschuldigen Sie die Verspätung.“ Lexis Absätze klackerten laut über das glänzende Linoleum. „Es hat länger gedauert, als ich gedacht habe.“

„Kein Problem.“ Dankbar für die Unterbrechung, ließ July den Stift sinken. „Ich warte immer noch auf Dr. Fisher. Er muss doch meine Entlassung unterschreiben.“

„Was machen Sie denn da?“, wollte Lexi wissen.

July unterdrückte einen Seufzer. „Die Geburtsurkunde. Ich muss sie ausfüllen.“ Lexi schaute auf das Blatt Papier. Einige Spalten waren noch leer. „Es ist gar nicht so einfach zu entscheiden, wo man was hinschreiben muss. Ich kenne das.“

„Sie haben ein Kind?“

„Addie ist sieben.“ Lexis perfekt geschminkte Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Es klingt vielleicht ein bisschen kitschig, aber sie ist das Licht meines Lebens.“

Das klang überhaupt nicht kitschig. Obwohl ihr Sohn erst einen Tag alt war, glaubte July, die Frau zu verstehen, und erwiderte deren Lächeln.

„Wohnt Addies Vater auch in Jackson Hole?“ July hatte gehört, dass die Sozialarbeiterin nicht verheiratet war, was ja nicht hieß, dass der Mann keine Rolle in ihrem Leben spielte.

„Drew lebt in Columbus in Ohio“, antwortete Lexi nüchtern. „Er kümmert sich nicht um seine Tochter.“

„Steht sein Name denn auf der Geburtsurkunde?“ Kaum hatte sie die Frage gestellt, hätte July sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Das war nun wirklich zu persönlich.

„Ja.“ Mit einer geschmeidigen Bewegung setzte Lexi sich auf den Stuhl neben dem Bett. „Ich hatte erst überlegt, ihn wegzulassen. Immerhin wollte er nichts mehr mit mir zu tun haben, als er erfuhr, dass ich schwanger war.“

„Und trotzdem haben Sie den Namen auf die Geburtsurkunde gesetzt.“

„Drew ist ihr Vater. Dass er ein Blödmann ist, ändert nichts an der Tatsache.“ Lexis Miene verriet nichts von ihren Gefühlen. „Unbekannt hinzuschreiben, wäre eine Lüge gewesen, und ich wollte nicht, dass Addies Leben mit einer Lüge beginnt.“

July lehnte sich an ihr Kissen und dachte über diese Antwort nach. Falls sie Davids Name nicht auf die Geburtsurkunde schrieb, würde Adams Leben mit einer Lüge beginnen.

„Adams Vater ist aus Jackson Hole“, gestand July unvermittelt. „Und ich möchte nicht, dass irgendjemand weiß, dass er der Vater meines Babys ist.“

Lexi wurde ernst. „Ich kann Ihnen versichern, dass die Krankenhausleitung absolute Vertraulichkeit garantiert. Die Urkunde wird sofort in einen Umschlag gesteckt und versendet.“

Ja, aber wer steckt sie in den Umschlag?

Lexi musste gespürt haben, dass July noch nicht überzeugt war, denn sie beugte sich vor und legte eine Hand auf ihren Arm. „Wenn Sie möchten, kann ich mich persönlich darum kümmern. Keine andere Person wird die Urkunde sehen.“

July legte den Kopf schräg. „Und was ist mit Ihnen? Werden Sie den Text lesen?“

„Wir müssen das Formular kontrollieren und darauf achten, dass alle Rubriken korrekt ausgefüllt sind“, antwortete Lexi, „aber Sie können sich auf meine Diskretion verlassen. Ich würde Ihr Vertrauen niemals missbrauchen.“

July holte tief Luft. Sie hätte niemals gedacht, eine solche Entscheidung treffen zu müssen. Natürlich hatte sie auch niemals damit gerechnet, dass David ihr Geburtshelfer sein würde.

„Okay“, sagte July. „Eine Sekunde.“

Ohne weiter darüber nachzudenken, vervollständigte July die Urkunde. Nur bei Davids Geburtstag zögerte sie kurz. Sie wusste, dass er zweiunddreißig war, aber das genaue Datum kannte sie nicht. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass er ihr gesagt hatte, am vierten Juli geboren zu sein.

Sie füllte die Leerstellen aus und überreichte Lexi das Blatt. Ihre Hände waren feucht, und das Herz hämmerte wie verrückt in ihrer Brust. „Könnten Sie noch die Heimatadresse ergänzen? Sie muss irgendwo in der Krankenhausakte stehen.“

„Der Vater arbeitet hier?!“ Lexis Überraschung war nicht zu überhören.

July nickte und widerstand dem Drang, ihr die Urkunde aus den Händen zu reißen. Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, Lexi zu vertrauen.

Lexi überflog das Blatt. Als sie ihre Augen vor Erstaunen aufriss, wusste July, dass sie Davids Namen entdeckt hatte. Lexi schaute auf. „Dr. Wahl ist der Vater Ihres Babys?“

„Er weiß nicht, dass Adam sein Sohn ist – noch nicht!“, antwortete July. „Aber er vermutet es.“

Lexi schaute sie an. In ihren braunen Augen sah July keinerlei Verurteilung und nicht die geringste Spur von Missbilligung. „Ihre Gründe sind natürlich Ihre persönliche Angelegenheit, aber falls Sie reden möchten …“

„Nein“, antwortete July mit fester Stimme, um klarzumachen, dass das Thema für sie beendet war.

Lexi schob die Geburtsurkunde in ihre Aktenmappe. „Ich werde seine Adresse ausfindig machen und das Dokument zur Post geben.“

„Danke“, erwiderte July. „Bevor Sie gehen, hätte ich gern ein paar Tipps von Ihnen, wo ich wohnen kann.“

July erzählte Lexi von ihrem neuen Job. „Am liebsten hätte ich eine Wohnung in der Nähe von anderen Familien mit Kindern. Ich möchte Adam nicht länger als unbedingt nötig alleinlassen.“

Lexi überlegte kurz. „Oh, ich kenne den perfekten Ort. Ich habe eine geschiedene Freundin, die ebenfalls Kinder hat. Ihr Haus liegt in der Nähe des Zentrums, und sie möchte sich ein wenig Geld hinzuverdienen. Vielleicht möchte sie sogar Adams Tagesmutter werden.“

„Das wäre fantastisch!“ Julys Hoffnung wuchs. Die Frau schien tatsächlich die Richtige zu sein.

Lexi öffnete den Aktenordner und notierte einen Namen und eine Telefonnummer auf die Rückseite ihrer Visitenkarte. „Rufen Sie sie an. Sagen Sie ihr, dass ich sie Ihnen empfohlen habe.“

July las den Namen auf der Karte. „Mary Karen Vaughn. Klingt gut.“

„Sie werden sie mögen.“ Lexi lächelte. „Wenn Sie Adam in ihre Obhut geben, ist es fast so, als würden Sie ihn bei … einer Lieblingstante lassen.“

In ihrer neuen Wohnung angekommen, war July so erschöpft, dass sie früh ins Bett gegangen war. Doch trotz ihrer Müdigkeit fand sie keinen Schlaf. Gegen halb zwei gab sie auf, griff zum Telefon und rief ihren ältesten und liebsten Freund an.

Sie sprachen ein paar Minuten über das Baby und über sein neues Engagement. Dann erzählte sie ihm von David und was sie über ihn erfahren hatte. A. J.s Reaktion war ein langes Schweigen.

„Ich konnte es nicht tun“, flüsterte sie schließlich ins Telefon. „Ich hätte einfach sagen sollen: He, ich habe dir verheimlicht, dass es dein Sohn ist, weil ich dachte, du seist verheiratet, und es tut mir leid, dass ich dich belogen habe. Ganz einfach, nicht wahr?“

„Für jeden anderen vielleicht schon“, erwiderte A. J. leise, „aber diese anderen haben auch nicht deine Erfahrungen hinter sich.“

July hatte sich immer als Überlebende betrachtet. Einmal hatten sie und A. J. sich sogar gegenseitig versichert, dass ihre Vergangenheit niemals ihre Zukunft überschatten dürfte. Diese jüngste Herausforderung machte ihr allerdings klar, dass ihre Vergangenheit sie immer noch stark im Griff hatte.

„Oh, ich hasse sie“, sagte July. Die Worte hingen wie eine dunkle Wolke in der Luft.

„Ich mache dir keinen Vorwurf!“, entgegnete A. J. „Die Frau war nicht einmal in der Lage, einen Hund zu erziehen.“

„Sie hat mich in einen Schrank eingeschlossen, weil ich mal eine Flasche Schnaps umgestoßen habe.“ Julys Stimme wurde lauter. Die Hand, mit der sie das Telefon hielt, begann zu zittern. „Es war ein Versehen. Ich habe ihr mehrmals versichert, dass es mir leid täte. Das schien sie nur noch wütender zu machen. Doch selbst als sie mich schlug und mir befahl, still zu sein, musste ich es immer wieder sagen. Daraufhin hat sie mich in diesen Schrank gesperrt. Hätte einer ihrer Freunde nicht am nächsten Tag nach seinem Mantel gesucht, wäre ich immer noch in diesem verdammten Schrank.“

„Ich weiß, Baby. Ich weiß.“

Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ich weiß nicht, warum ich das immer wieder erzähle. Du hast die Geschichte doch schon oft gehört. Und es ist schon so lange her.“

„Schon möglich. Solche Erinnerungen bleiben haften.“

„Ich habe versucht, sie zu vergessen, diese schrecklichen Erinnerungen in eine Art Kiste zu packen und sie ganz fest zu verschließen. Es hat nicht geklappt!“ July stieß einen frustrierten Seufzer aus. „Jedes Mal, wenn ich daran denke, David zu sagen, dass es mir leid tut, ihn belogen zu haben, dann habe ich das Gefühl, wieder in diesem Schrank zu sitzen. Und dann höre ich sie schreien, dass ich den Mund halten soll.“

„July.“ A. J. schwieg lange. „Ich bin kein Therapeut, das weißt du …“

„Du hältst mich für verrückt, nicht wahr? Du glaubst …“

„Ich halte dich für einen sehr starken Menschen. Du hättest all das nicht durchgestanden, wenn du nicht stark wärst.“ A. J. sprach mit fester Stimme. „Und doch denke ich zugleich, dass du dieses Paket schon zu lange mit dir herumträgst. Es wird höchste Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen.“

„Das habe ich doch versucht“, flüsterte July. „Ich möchte es hinter mir lassen.“

„Dann mach den ersten Schritt. Such dir einen Therapeuten, dem du vertrauen kannst, und erzähl ihm von deinen Problemen. Tu es, weil du stark bist – und weil du nicht willst, dass die Vergangenheit dein Verhältnis zu Adam trübt.“

„Ich weiß nicht …“

„Versprich es mir“, drängte A. J. „Versprich mir, dass du es zumindest versuchen wirst.“

Sie wusste, dass A. J.s Argumente vernünftig waren. Ihre dunkelsten Geheimnisse mit einem Fremden teilen? In diesem Moment bewegte sich Adam, und als sie ihr Baby betrachtete, wusste sie, dass ihr keine andere Wahl blieb.

„Versprich es mir, July“, wiederholte er.

July holte tief Luft. „Ich mache es.“

„Gut.“

„Und was ist mit David? Wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten?“

„Sag erst mal nichts. Warte einfach ab und vertraue auf einen günstigen Zeitpunkt. Dann wirst du schon das Richtige tun.“

Sie ließ die Schultern hängen. Etwas von der Anspannung war von ihr gewichen. „Ich liebe dich, A. J.“

„Wozu sind Freunde da?“, entgegnete er in jenem ironischen Tonfall, den er immer anschlug, wenn er seine wahren Gefühle verbergen wollte.

Er sagte ihr nicht, dass er sie auch liebte, aber damit hatte sie auch nicht gerechnet. Er war für sie der ältere Bruder, dem es schwerfiel zu sagen, was er empfand, auch wenn sie wusste, dass er sich Sorgen machte. Dies zu wissen, reichte ihr vollkommen.

David bog auf den Highway, der nach Jackson Hole führte. Er hatte Mary Karens Zwillinge von einer Geburtstagsparty in Wilson abgeholt und brachte sie nun nach Hause.

Die Woche war sehr anstrengend für ihn gewesen. Hinzu kam, dass er July und Adam aus den Augen verloren hatte. Aus dem Motel, in dem sie gewohnt hatte, war sie ausgezogen, wie er auf Nachfrage erfahren hatte. Trotzdem war er davon überzeugt, dass sie sich noch in der Gegend aufhielt. Schließlich hatte Adam in der kommenden Woche einen Termin beim Kinderarzt, und ihm war zu Ohren gekommen, dass July einen neuen Auftrag angenommen hatte. Er ärgerte sich darüber, dass sie ihm nicht ihre neue Adresse gegeben hatte. Jetzt musste er auf eigene Faust herausfinden, wo genau sie sich aufhielt.

„Mir ist kalt, Onkel David!“, rief Connor vom Rücksitz.

„Gleich wird’s wärmer.“ David schaltete die Heizung ein. In diesem Teil des Landes ließ der Frühling lange auf sich warten.

„Wir haben ein neues Baby zu Hause“, verkündete Caleb.

„Das ist ganz winzig“, ergänzte Connor.

„Das ist doch schön.“ David lächelte. Er hatte sich fast so etwas gedacht – der alte Hamster der beiden hatte ziemlich übergewichtig gewirkt. „Und wie war die Party?“

Bis er vor Mary Karens Haus hielt, hatten ihm die Zwillinge jedes einzelne Geschenk beschrieben. Außerdem berichteten sie, dass das Geburtstagskind fünf Stücke Kuchen gegessen und anschließend seiner Mutter auf die Schuhe gekotzt hatte.

„Das war krass“, sagte Caleb.

„Echt krass“, pflichtete Connor ihm bei.

Grinsend parkte David hinter einem Jeep. Laut Plakette an der Stoßstange handelte es sich um einen Mietwagen. Mary Karen hatte ihm gar nicht erzählt, dass sie an diesem Abend Besuch haben würde.

David half den Jungs beim Lösen der Sitzgurte. Seine Schwester hatte die Tür bereits geöffnet, noch ehe die Zwillinge zu ihr rennen konnten.

„Da wären wir wieder“, verkündete David, der seinen Neffen folgte.

„Ich bin so froh, dass du hier bist.“ Sie schloss die Haustür und drehte sich zu ihm um. Jetzt erst bemerkte er ihre besorgte Miene.

„Was ist denn los?“

„Schau dir doch bitte mal Logan an. Er hat sich den ganzen Abend an mich geklammert. Erst dachte ich, er vermisst seine Brüder …, bis ich seine geröteten Wangen sah und seine Stirn befühlt habe.“

„Hat er Fieber?“

„Neununddreißig vier.“

„Ich hole meine Tasche.“ Seine Arzttasche hatte David immer im Wagen. In dem ländlichen Bezirk, in dem er wohnte und arbeitete, wusste er nie, wann er sie gut gebrauchen könnte. Granny Fern saß neben Logans Bettchen und begrüßte David, als er ins Zimmer trat.

Er brauchte nicht lange, um festzustellen, dass es nur der Beginn einer Mittelohrentzündung war. „Aber solange wir es nicht genau wissen, solltest du die Zwillinge ein bisschen von ihm fernhalten“, empfahl er seiner Schwester, die mit den Zwillingen im Wohnzimmer geblieben war.

„Was ist mit Adam?“, kam eine Stimme aus einem anderen Zimmer. „Kann man ihn unbesorgt hier lassen?“