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Königin Victoria verfolgt ehrgeizige politische Pläne mit der schönen und klugen Zorina: Sie soll den alten König von Leothia heiraten. Aus Angst, die Königin zu verärgern, willigt Zorina schweren Herzens ein. Dabei hat sie sich längst in einen jungen Fremden verliebt, von dem sie nur den Vornamen weiß. Bei einem Empfang der Königin sieht sie den Mann ihrer Träume wieder und muss entsetzt feststellen, dass er der Sohn ihres zukünftigen Ehemannes ist, der sie nach Leothia begleiten soll. Die Reise wird für die unglückliche Zorina zu einer einzigen Qual. In Leothia erwartet sie eine weitere böse Überraschung: sie lernt den König kennen...
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2018
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
Zorina summte vor sich hin, während sie durch die große Halle des Hampton Court Palastes wanderte. Sie träumte wie so oft von der Zeit, als Kardinal Wolsey diesen Palast erbaut hatte. Da er ihn zu seinem Lieblingsaufenthaltsort erwählt hatte, mußte er von dem märchenhaften Bauwerk genauso begeistert gewesen sein wie sie selbst.
Der Kardinal hatte noch ein Stadthaus in London besessen, das später zu einem Teil des Schlosses von Whitehall geworden war. Aber um seine Gesundheit hatte es nicht zum Besten gestanden. Er hatte unter Wassersucht und Koliken gelitten, und so konnte er sich in keinem Haus wohlfühlen, wo ihn Nebel und feuchtkalte Luft, die vom Fluß heraufdrangen, quälten.
Als Architekt für Hampton Court hatte er den berühmten Baumeister Harry Redman gewonnen. Der Palast wurde mit den herrlichsten Gemälden, Skulpturen, Seidentapeten und Gobelins ausgestattet. Kein König hätte sich mit größerer Pracht umgeben können.
Für Zorina bedeutete jeder Raum, jeder Winkel eine Offenbarung. Sie war Königin Victoria sehr dankbar, daß sie der Öffentlichkeit seit 1838 Zutritt gewährte. Andernfalls wäre es ihr nicht möglich gewesen, sich hier ungehindert zu bewegen. Die Räume, die nicht benutzt wurden, wären für alle, Angehörige der königlichen Familie und Mitglieder des Hofes ausgenommen, verschlossen gewesen.
Während Königin Victorias Regierungszeit waren außerdem an die tausend Räume in fünfundvierzig Wohnungen umgewandelt worden, die Witwen und Waisen ausgezeichneter Diener der Krone zur Verfügung standen. In einer dieser sogenannten Günstlingswohnungen lebte Zorina mit ihrer Mutter. Von dort aus konnte sie mühelos den Süd-Westflügel des Gebäudes erreichen. Jeden Tag machte sie sich für kurze Zeit frei, um sich in den Staatsgemächern umzuschauen.
Die große Halle, die von den Triumphen und Tragödien der englischen Geschichte erzählte, faszinierte Zorina besonders. Ihr Lieblingskönig war der unglückliche Charles II. Er hatte Hampton geliebt, dem Palast lange und ausgedehnte Besuche abgestattet und wunderbare Gemälde erworben, die die königliche Sammlung vervollständigten.
Der König hatte seine Freude an kindlichen Spielen wie Blinde Kuh oder dem Bauen von Kartenhäusern gehabt, besonders wenn die unwiderstehlich schöne Frances Stewart seine Partnerin war. Dem Vernehmen nach hatte er sie leidenschaftlich geliebt. Es brach ihm fast das Herz, als sie ihn zurückwies und dafür später den Herzog von Richmond heiratete.
Zorina wanderte verträumt weiter, ohne ein bestimmtes Ziel. Als sie die Cartoon Gallery betrat, war sie so tief in Gedanken versunken, daß sie mit einem Mann zusammenstieß, der gleich hinter der Tür stand. Er betrachtete nicht die herrlichen Wandteppiche, sondern schaute aus dem Fenster.
Zu dieser frühen Stunde, ehe der Palast für Besucher geöffnet wurde, traf man gewöhnlich niemanden hier an. Zorina gab einen kleinen Schreckenslaut von sich.
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte der Mann. »Mir war nicht bewußt, daß außer mir noch jemand anwesend war.«
»So früh . . . sollte niemand hier . . . sein«, brachte Zorina hervor.
Der junge Mann sah nicht nur sehr gut aus, er war auch hervorragend gekleidet. Zorina vermutete einen gewöhnlichen Besucher in ihm. Wahrscheinlich war er bei Leuten zu Gast, die in einer ihrer Nachbarwohnungen lebten.
»Es tut mir leid«, sagte sie schnell. »Es war ganz allein meine Schuld. Ich habe geträumt und nicht gemerkt, wohin ich gehe.«
»Als ich Sie sah, dachte ich im ersten Augenblick, Sie wären ein Geist«, erwiderte er mit leichtem Akzent, der verriet, daß er kein Engländer war.
Zorina lachte.
»Die Leute halten immer nach einem Geist Ausschau. Erst gestern . . .«
Sie verstummte, als ihr plötzlich klar wurde, wie unpassend es war, sich mit einem Herrn zu unterhalten, der ihr nicht vorgestellt worden war. Ihre Mutter wäre sehr ärgerlich gewesen, hätte sie von ihrem Benehmen erfahren.
»Ich muß gehen«, murmelte sie, so schwer es ihr auch fiel, den Blick von seinem Gesicht abzuwenden.
»Sie können doch nicht so unfreundlich sein, mich zu verlassen, bevor ich das Ende der Geschichte gehört habe«, beklagte er sich. »Jetzt bleibt meine Neugier unbefriedigt, bis wir uns wieder treffen.«
»Das ist recht unwahrscheinlich, doch was ich sagen wollte, war folgendes: Viele Leute behaupten, den Geist Catherine Howards, der fünften Frau Heinrichs VIII., gesehen zu haben.«
Der Fremde hob die Augenbrauen, unterbrach Zorina aber nicht.
»Es heißt, daß Königin Catherine aus ihrer Zelle im Schloß fliehen konnte, in dem sie auf ihre Hinrichtung wartete.«
Zorina holte tief Luft, ehe sie weiterredete.
»Die Königin lief die lange Galerie entlang, in der Absicht, den König, der in der Kapelle der Messe beiwohnte, um Gnade anzuflehen.«
»Ist sie zu ihm vorgedrungen?«
»Nein, die Wachen haben sie eingeholt, ergriffen und in ihre Zelle zurückgebracht. Als die arme Frau weggeschleppt wurde, stieß sie einen gellenden Schrei aus, der in vielen Räumen und bestimmt auch in der Kapelle zu hören war. Doch der König betete weiter, ohne dem Beachtung zu schenken.«
Schweigen entstand.
»Und es gibt Leute, die Königin Catherine gesehen haben wollen?« fragte der Mann schließlich.
»Das wollte ich gerade erklären. Jessie, das ist die Frau, die unsere Wohnung putzt, hat mir davon erzählt. Eine Freundin von ihr, die in den der Öffentlichkeit zugänglichen Räumen arbeitet, hat angeblich vor zwei Nächten, als es schon dunkel war, Königin Catherine gesehen und ihren Schrei gehört.«
Zorina erschauerte und fügte hinzu: »Ich hoffe, daß ich das niemals erlebe.«
»Das werden Sie nicht. Sie dürfen nur sehen und hören, was so schön ist, wie Sie es sind.«
Zorina schaute ihn verwundert an. So hatte noch niemand mit ihr gesprochen.
Anstatt seine Worte anmaßend und beleidigend zu finden, wie sie es eigentlich hätte tun müssen, wandte sie scheu das Gesicht ab.
Sie gab vor, die Gobelins an der Wand gegenüber zu bewundern, als er unvermittelt fragte: »Wie heißen Sie?«
»Zorina«, antwortete sie, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß sie sich nach den Regeln ihrer Mutter höchst tadelnswert benahm.
»Ich bin Rudolf«, sagte er. »Und da wir einander jetzt vorgestellt sind, möchte ich gern, daß Sie mir mehr über dieses verzauberte Schloß erzählen.«
Zorina lächelte, wobei sich neben ihren Mundwinkeln zwei kleine Grübchen bildeten.
»Erscheint es Ihnen auch verzaubert? Ich habe immer das Gefühl, daß das Schloß zu schön ist, um wahr zu sein. Wenn es eines Nachts plötzlich verschwände, wäre ich nicht im mindesten überrascht.«
Er lachte.
»Wichtig ist nur, daß Sie nicht gleichzeitig verschwinden und sich in einen der Geister verwandeln, die den Ort nicht verlassen, wo sie einmal glücklich waren.«
Seine ganze Art war so gewinnend, daß Zorina alle Vorsicht in den Wind schlug.
Zuerst führte sie ihn in die Galerie der Königin, die auf der Ostseite des Palastes lag. Sie wies darauf hin, daß dies einer der schönsten Räume sei, die sie je gesehen hatte, und bestimmt würde er auch ihm gefallen.
Als sie anschließend zögerte, fragte er, als ob er ihre Gedanken lesen könnte: »Warum überlegen Sie, wohin Sie mich als nächstes bringen sollen?«
»Ich möchte gern, daß Sie das Schlafzimmer des Königs sehen, aber vielleicht wäre es besser, wenn Sie allein hineingingen.«
Zorina stolperte fast über ihre Worte.
»Ich wäre sehr enttäuscht, wenn Sie es mir nicht zeigen würden«, versicherte er schnell. »Und da der König nicht anwesend ist, muß uns das auch nicht peinlich sein.«
Zorina lachte.
»Auch als Ausländer sollten Sie wissen, daß wir im Augenblick keinen König haben.«
»Falls es einen gäbe, wären Sie dann sehr beeindruckt?« fragte er mit einem Augenzwinkern.
»Ich denke, er müßte den Vergleich mit meinen Lieblingskönigen aushalten, Charles II. und George IV.«
»Zwei Wüstlinge?« rief der Mann belustigt. »Das ist in der Tat eine seltsame Wahl für ein junges, unschuldiges Mädchen.«
Da sie glaubte, er wolle sie verspotten, erwiderte sie kühl: »Charles II. hat den Palast mit neuer Schönheit erfüllt, indem er die strenge Einfachheit Cromwells hinwegfegte.«
Mit einem herausfordernden Blick fuhr sie fort: »George IV. mag Ihrer Meinung nach ein Wüstling gewesen sein, doch wir verdanken ihm viele wunderbare Gemälde. Außerdem hat er den Buckingham Palast wiederaufgebaut, der sehr eindrucksvoll sein soll, wie ich gehört habe.«
»Waren Sie noch nicht dort?« erkundigte sich der Fremde.
»Noch nicht, aber ich bin auch in diesem Palast sehr glücklich, an den ich gern als meinen eigenen denke.«
Während sie sich unterhielten, hatten sie das Schlafzimmer des Königs erreicht.
»Schauen Sie sich die Decke an«, sagte sie mit leuchtenden Augen.
Rudolf begriff sofort, warum das hübsche Mädchen, das mit zurückgebeugtem Kopf neben ihm stand, das exquisite allegorische Gemälde von Antonio Verrio bewunderte. Sie mußte eine enge Beziehung zu den Göttinnen haben, die in einem Halbmond saßen oder mit einem Gefolge von Cupidos über den Himmel flogen. Er wußte, als ob sie es ihm verraten hätte, daß diese Gestalten ihre Träume bevölkerten. Sie waren ein Teil der Märchen, die sie sich selbst erzählte, während sie durch den Palast wanderte.
»Ist es nicht bezaubernd?« fragte sie.
»Bezaubernd«, pflichtete er ihr bei.
Dabei ruhten seine Augen auf ihrem Profil mit der kleinen Nase, der Linie ihres zurückgebogenen Halses, den Bewegungen ihrer schlanken Finger, mit denen sie versuchte, ihre Gefühle auszudrücken. Sie stieß einen kleinen Seufzer aus.
»Ich muß gehen, ich bin schon spät dran.«
»Spät? Wofür?«
»Für meine Deutschstunden.«
»Sie lernen Deutsch?«
»Manchmal glaube ich eher, daß es Österreichisch ist. Mama besteht darauf, daß ich die meisten europäischen Sprachen vollkommen beherrsche.«
»Das scheint mir ein sehr ehrgeiziger Plan zu sein.«
»Es ist nicht gar so schwer für mich«, erwiderte Zorina lächelnd. »Mein Vater war Grieche.«
»Ich wußte doch, daß an Ihnen etwas Besonderes ist!« rief Rudolf. »Sie gleichen nicht den englischen Mädchen, die ich bisher hier kennengelernt habe.«
Das klang, als habe er für sich selbst ein Problem gelöst.
Zorina hätte gern gewußt, von welcher Nationalität er war, doch da er es nicht von sich aus verriet, fürchtete sie, er würde ihre Frage für unverschämt und aufdringlich halten.
»Ich muß gehen«, wiederholte sie.
»Bevor Sie das tun, müssen Sie mir versprechen, daß wir uns morgen wieder in der großen Halle treffen.«
Als sie ihn mit großen, überraschten Augen anschaute, fuhr er hastig fort: »Es gibt so viele Dinge im Schloß, die ich gern wissen möchte und von denen ich fühle, daß nur Sie mir ausführlich darüber berichten können. Bitte, Zorina, sagen Sie nicht nein.«
»Aber das müßte ich.«
»Tun Sie immer, was man von Ihnen erwartet?«
Sie zeigte wieder dieses Lächeln mit den kleinen Grübchen, die ihn so entzückten.
»Ich fürchte, nein.«
»Dann erfüllen Sie mir meine Bitte. Ich werde morgen ganz früh auf Sie warten.«
Als sie immer noch zögerte, setzte er hinzu: »Wenn Sie nicht kommen, bin ich überzeugt davon, daß Sie ein Geist sind und daß ich vielleicht tausend Jahre suchen muß, um Sie wiederzufinden.«
»Jetzt machen Sie sich über mich lustig!« rief sie lachend. »Nun gut, wenn es mir möglich ist, werde ich kommen, falls ich nicht etwas anderes zu tun habe. Das müssen Sie verstehen.«
»Das werde ich nie verstehen. Ich werde nur unglücklich sein und enttäuscht, und vielleicht werde ich mich in einen Geist verwandeln, der durch die Räume streicht und nach Zorina ruft.«
Sie lachte erneut, dann wurde sie ernst.
»Jetzt muß ich aber wirklich rennen. Ich hätte schon vor zwanzig Minuten bei meiner Lehrerin sein müssen.«
Ehe sie sich entfernen konnte, nahm er ihre Hand.
»Au revoir, Zorina! Falls Sie der Geist von Hampton Court sind, sind Sie schöner als jede Königin oder Prinzessin, die je darin gelebt hat.«
Er beugte sich zu ihr herunter und berührte mit den Lippen ihre weiche Haut.
Einen Augenblick lang war sie starr vor Erstaunen. Dann drehte sie sich um und rannte aus dem Zimmer. Gleich darauf hörte er, wie ihre Schritte in der Feme verklangen.
Während sie durch den Palast hastete, fragte sich Zorina, wie es hatte geschehen können, daß sie sich einem fremden Mann gegenüber so verhielt, mußte sich aber gleichzeitig eingestehen, daß es sehr aufregend gewesen war.
Sie hatte noch nie einen so gutaussehenden Mann wie diesen Rudolf kennengelernt und hätte gern gewußt, wer er war und bei wem er wohnte. Es gab so viele Haushalte im Palast, daß sie unmöglich erraten konnte, bei wem er zu Gast war.
Es dauerte einige Zeit, bis sie das Apartment der Baroness von Dremheim erreichte. Der Ehemann der Baroness war ein entfernter Verwandter des Prinzgemahls gewesen. Aus diesem Grund hatte man sie ebenfalls in einer dieser Günstlingswohnungen einquartiert, die auch Zorina und ihre Mutter bewohnten.
Die Baroness war alt, sehr intelligent und lebte allein. Dem Vorschlag von Zorinas Mutter, sie möge das Deutsch ihrer Tochter verbessern, hatte sie mit Freuden zugestimmt.
Zorina hatte die Grammatik, Verben und alles, was sie den langweiligen Teil einer Sprache nannte, von einer Gouvernante gelernt.
Die Baroness und sie aber führten Gespräche auf Deutsch, über die vielen Länder der Welt, die die alte Frau bereist hatte, und über Themen, die Zorina brennend interessierten.
Trotzdem hielt sie Deutsch für eine häßliche Sprache, sie zog Französisch bei weitem vor.
»So etwas darfst du auf keinen Fall der Königin gegenüber äußern«, warnte ihre Mutter. »Vergiß nicht, daß der Prinzgemahl aus Sachsen-Coburg stammt.«
»Ich werde es nicht vergessen, Mama, doch wir sehen die Königin ohnehin nicht oft genug, um uns Sorgen machen zu müssen, ob sie sich nach meinem Deutschunterricht erkundigt.«
Zorina hatte bei dieser Vorstellung gelacht, Prinzessin Louise jedoch meinte es ernst.
»Liebes, ich hoffe nur, daß Ihre Majestät dich zu einigen Gesellschaften einladen wird, die auf Schloß Windsor stattfinden«, sagte sie. »Schließlich bist du jetzt achtzehn.«
»Mama, das ist ziemlich unwahrscheinlich«, erwiderte Zorina. »Wir sind viel zu unwichtige Leute.«
Prinzessin Louise, die leider wußte, daß das den Tatsachen entsprach, seufzte tief.
Sie hatte Glück gehabt, daß sie nach dem Tode ihres Mannes eine der Günstlingswohnungen erhalten hatte.
Prinz Paul, der Herrscher des kleinen, griechischsprachigen Königreichs von Pamassos, war bei einem Aufstand ums Leben gekommen. Als Folge davon war die Monarchie abgeschafft und die Familie ins Exil geschickt worden.
Prinzessin Louise war mit ihrer einzigen Tochter Zorina, die damals zwölf Jahre alt gewesen war, nach London gekommen. Sie war nicht nur weitgehend mittellos, sie wußte auch nicht, ob sie in England Hilfe finden würde.
Der Vater der Prinzessin, der Herzog von Windermere, war inzwischen gestorben. Ihr älterer Bruder, der den Titel geerbt hatte, hatte drei Söhne und vier Töchter. Es fiel ihm schwer genug, die nötigen Mittel für den Unterhalt seines Gutes im Lake-Distrikt aufzubringen. Prinzessin Louise wußte, daß er sie als unwillkommene Last empfinden würde.
Sie war der Königin daher außerordentlich dankbar gewesen, als sie ihr und Zorina ein kleines, wenn auch nicht gerade attraktives Apartment im Hampton Court Palast zugebilligt hatte.
Das bedeutete zumindest, daß sie ein Dach über ihren Köpfen hatten. Den Lebensunterhalt bestritten sie mit einem winzigen Einkommen aus einem Legat, das Prinzessin Louise von ihrer verstorbenen Mutter vererbt worden war.
Es war nicht genug, daß sie oder Zorina sich viele Kleider anschaffen konnten, genaugenommen genügte es kaum für die notwendigsten Dinge.
Allen diesen Widrigkeiten zum Trotz war Prinzessin Louise entschlossen, ihrer Tochter, die ebenso intelligent wie ihr Vater war, die bestmögliche Ausbildung zu gewähren.
Dazu gehörte vor allem die Fähigkeit, sich in möglichst vielen Sprachen ausdrücken zu können. Zorina beherrschte natürlich fließend modernes Griechisch sowie die Sprachen, mit denen sie bereits als Kind vertraut gewesen war, vor allem Italienisch. Sie hatte außerdem einige Kenntnisse in Albanisch, Serbisch und anderen Dialekten der Balkanstaaten.
Sie war schon fast erwachsen, als sie eines Tages lachend zu ihrer Mutter sagte: »Mama, ich habe das Gefühl, du beharrst so darauf, daß ich Fremdsprachen lerne, weil du hoffst, die Königin sucht einen Ehemann für mich. Es heißt, daß man Ihre Majestät die erfolgreichste Ehestifterin Europas nennt.«
»Zorina, so darfst du nicht reden!« schalt ihre Mutter, doch nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Andererseits hast du recht, Liebes, und ich hoffe, daß du jemanden findest, der so attraktiv und charmant ist wie Papa.«
Sie seufzte tief und fuhr fort: »Ich wünsche mir, daß du ein Land regierst, das Griechenland an Schönheit gleicht wo du in der Lage sein wirst, den Menschen zu helfen, die dich dafür lieben und bewundern.«
Zorina, für die das wie eines ihrer Märchen geklungen hatte, konnte nicht glauben, daß es jemals wahr würde.
Es war zu offensichtlich, daß die Königin, vor der sich alle fürchteten, weder von ihrer Mutter noch von ihr selbst sonderlich beeindruckt war.
Prinzessin Louise wurde als besonderes Entgegenkommen von Zeit zu Zeit zu einem Lunch nach Schloß Windsor gebeten. Zu den Weihnachtsgesellschaften, die für jedes Mitglied des Hochadels im Land den Höhepunkt der Saison bedeuteten, wurden sie jedoch niemals eingeladen.
Sie erhielten auch kein Weihnachtsgeschenk von der Königin, sondern lediglich eine Grußkarte, wie sie an viele Leute ging.
Das war alles.
Um die Gefühle ihrer Mutter nicht zu verletzen, behielt Zorina für sich, daß sie nicht den Wunsch verspürte, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte.
Umgekehrt war sie zweifellos für viele Männer interessant, da ihr Vater einer königlichen Familie entstammte und ihre Mutter Engländerin war.
Diese Tatsachen garantierten fremden Ländern die Unterstützung der britischen Flagge und den Segen der mächtigsten Königin der Welt.
Ich will nur einen Mann heiraten, den ich liebe und der meine Gefühle erwidert, schwor sich Zorina, wobei sie inständig hoffte, daß ihr Wunsch durch ein Wunder in Erfüllung gehen möge.
Aus Liebe zu ihrer Mutter arbeitete Zorina hart an ihrem Studium der Fremdsprachen.
Prinzessin Louise hatte die Namen aller Leute geprüft, die in den Günstlingswohnungen lebten, um einen weiteren Lehrer für Zorina zu finden.
Sie hatte tatsächlich einen Prinzen entdeckt, der aus Rumänien stammte. Nur hatte es sich leider als schwierig erwiesen, mit ihm über etwas anderes als Sport zu sprechen. Trotzdem war Zorina gern mit ihm zusammen. Er war zwar alt, aber wenigstens ein Mann. Das bedeutete zumindest eine kleine Abwechslung in ihrem Alltag, der vorwiegend von Frauen bestimmt wurde.
Ihr eigener Haushalt war klein. Er bestand aus ihrer Mutter, ihr selbst und Nanny, die schon seit Zorinas Geburt bei ihnen war. Dann gab es noch Jessie, die jeden zweiten Tag kam, um die Fußböden zu putzen und äußerst schwatzhaft war.
Zu schwatzhaft, fand die Prinzessin, nur daß sie billiger war als die meisten Frauen, die im Palast arbeiteten.
Es war nicht verwunderlich, daß Zorina sich zu ihrer eigenen Unterhaltung Geschichten ausdachte.
Alle Leute um sie herum schienen alt zu sein, es gab niemanden in ihrem Alter.
Zorina war trotzdem glücklich. Sie fand es interessant, die Touristen zu beobachten, die im Laufe eines Tages in den Palast strömten. Während sie ihnen zuschaute, wie sie mit großen Augen durch die Säle wanderten, vergnügte sie sich damit zu raten, was sie taten und woher sie kamen.
Sie pflegten sich ständig im Labyrinth zu verirren, eine der Attraktionen des Palastgartens, die jeder Besucher sehen wollte.
Zorina wußte, daß die Aufseher, die im Schloß beschäftigt waren, untereinander Wetten abschlossen, wie schnell die Leute ihren Weg zur Mitte des Labyrinths finden würden.
Im Augenblick lag der Rekord bei fünf Minuten, doch der Rückweg dauerte um vieles länger.
Zorina liebte das Labyrinth, sie stand aber auch gerne am Ufer des Flusses und schaute den Schleppkähnen und Schiffen nach, die flußabwärts fuhren.
Dann dachte sie sich Geschichten über die Ladung aus, die sie mit sich führten, und überlegte, aus welchen fernen Ländern sie sie wohl nach London brachten.
Eines Tages werde ich reisen, beschloß sie. Ich werde die großen Flüsse hinaufsegeln, hohe Berge erklimmen und undurchdringliche Wälder durchqueren.
In ihren Tagträumen war sie nicht allein.
Es war immer jemand bei ihr, jemand, mit dem sie lachen konnte, jemand, der begriff, daß das Leben ein herrliches Abenteuer war.
Doch der Mann, der ihr Begleiter war und natürlich war es ein Mann hatte kein Gesicht. Er lebte nur in ihren Träumen, war ein namenloses Wesen.
Als sie von ihrem Deutschunterricht nach Hause kam, erzählte sie ihrer Mutter nichts von ihrer seltsamen Begegnung mit dem fremden Mann in der Cartoon Gallery. Zorina wußte, daß die Prinzessin schockiert sein würde, und es wäre ihr schwergefallen zu erklären, weshalb sie sich so viel Zeit genommen hatte, mit ihm zu plaudern.
Er war sehr an dem interessiert, was ich ihm gezeigt habe, entschuldigte sie sich vor sich selbst.
Andererseits war sie sich im Klaren darüber, daß ihre Mutter es keinesfalls gutheißen würde, daß sie mit einem Fremden gesprochen hatte, zumal es sich um einen Mann ihrer eigenen gesellschaftlichen Schicht gehandelt hatte.
Sie hatte ihre Tochter an vielen langen Abenden über das korrekte Benehmen einer jungen Dame belehrt, die aller Voraussicht nach eine Debütantin sein würde. Zorina hatte sich heftig gegen diese Bezeichnung gewehrt.
»Wie könnte ich eine Debütantin sein, Mama?« fragte sie. »Ich bin zu keinem einzigen Ball eingeladen, geschweige denn bei einem großen Empfang vorgestellt worden.«
»Darüber werde ich mit Ihrer Majestät reden, sobald ich sie das nächste Mal sehe«, versprach die Prinzessin, wobei ihre Worte nicht besonders hoffnungsvoll klangen.
Zorina beschloß vernünftigerweise, die ganze Idee zu vergessen.
Gleichzeitig erinnerte sie sich der Dinnergesellschaften und Empfänge, die ihre Eltern vor der Revolution gegeben hatten, und wünschte, daß sie damals ein bißchen älter gewesen wäre, um daran teilzunehmen. Sie hatte dabei immer durch das obere Treppengeländer gespäht und die Gäste, besonders die Frauen in ihren prächtigen Kleidern und Tiaras bewundert.
Ihre Mutter, die kam, um ihr Gute Nacht zu sagen, war ihr wie eine Märchenprinzessin erschienen.
Inzwischen waren die Brillanten verkauft, und ihre Mutter trug nur noch sehr einfache selbstgenähte Kleider.
Manchmal erhielt die Prinzessin traurige Briefe von alten Freunden aus Griechenland, die unter den Nachwirkungen der Revolution litten.
Dann lief sie in ihrer Wohnung hin und her und überlegte verzweifelt: »Haben wir wirklich nichts mehr, was wir verkaufen können, um jemandem auszuhelfen, der es wirklich nötig hat?«
»Wir haben es auch nötig«, erwiderte Zorina.
Ihre Mutter hörte nicht zu. Ihr letzter kleiner Zobel wurde verkauft und der Erlös einer alten, verkrüppelten Frau geschickt.
In diesen Augenblicken war sich Zorina immer bewußt, daß niemand in England ihre Mutter wirklich zu schätzen wußte, die gleichzeitig arm und doch hilfsbereit war.
Auf dem Heimweg vom Apartment der Baroness überlegte Zorina, ob sie diesen Gentleman namens Rudolf wohl tatsächlich wiedersehen würde.
Zu dieser Stunde befanden sich nur die üblichen Neugierigen im Palast, denen der Besuch täglich außer Sonntag gestattet war.
Die alten Leute, die in den anderen Günstlingswohnungen lebten, hatten Prinzessin Louise erzählt, daß die Idee, der Öffentlichkeit freien Zutritt zu gewähren, bei vielen Adeligen heftige Proteststürme verursacht hatte. Sie waren entsetzt und empört gewesen.
Wie konnte ihre unerfahrene neunzehnjährige Königin den Leuten, die sie als niedrige Klasse bezeichneten, ein königliches Schloß öffnen?