Lieber nackt als gar keine Masche - Micaela Schäfer - E-Book

Lieber nackt als gar keine Masche E-Book

Micaela Schäfer

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Nacktmodel, Reality-Star, Berufsnudistin« – für Micaela Schäfer gibt es viele Berufsbezeichnungen. In ihrem Buch lässt die Deutsch-Brasilianerin nun alle Hüllen fallen und erzählt zum ersten Mal die ganze Geschichte: von ihrer Kindheit über die Teilnahme bei Germany’s Next Topmodel, ihren Auftritten im Dschungelcamp bis zu ihrem Durchbruch als prominenter Nacktstar. Sie offenbart uns ihre aufregendsten Sexerlebnisse, heimliche Affären und erotische Fantasien und verrät, was hinter den Kulissen der TV-Shows tatsächlich passiert. Direkt, offen, emotional – Micaela provoziert und polarisiert, das ist ihr größtes Erfolgsrezept. Micaela Schäfer live – und zum Anfassen nah!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 222

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MICAELA SCHÄFER, geboren 1983 in Leipzig, ist Erotik-Model und DJane. Bekannt wurde sie v. a. durch ihre Auftritte in den Sendungen Germany’s Next Topmodel und Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! Parallel startete sie erfolgreich ihre Modelkarriere und überzeugte mit Fotoserien in Playboy, Penthouse und Men’s Health. Sie ist das Werbegesicht der Erotikmesse Venus und füllt als DJane LaMica die großen Clubs in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie die Megaarena auf Mallorca. Micaela Schäfer wohnt in Berlin.

www.micaelaschaefer.de

www.facebook.com/MicaelaSchaefer

Micaela Schäfer

Lieber nackt als garkeine Masche

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Alle Fotos im Innenteil – bis auf Miss Ostdeutschland© Thomas & Thomas – sind von Micaela Schäfer: © privat.

Originalausgabe 6/2014

©2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Redaktion: Angelika Lieke

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Umschlagfoto: © SEBASTIAN BUSSE pictures

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-13923-0V002

www.heyne.de

Inhalt

MEIN LEBEN IST LASAGNE

IM PLATTENBAU LEBEN KEINE SCHMETTERLINGE

SIE IST EIN MODEL UND SIE ZIEHT SICH AUS

Jede Menge Miss-Verständnisse

So einfühlsam wie Mama Walton: Was mir Heidi Klum mit auf den Weg gegeben hat

My Body is a Baustelle

Von Dschungel-Mobbing & Flirt-Primaten: Was ich hinter den Kulissen von TV-Shows wirklich erlebe

Planet Porno – Meine Soft Skills in der Hardcore-Branche

Auf nach Hollywood, Boobarella!

Die Busenkönigin vom Ballermann: So habe ich die Partyinsel erobert

LEBE DIE LIEBE, DANN LIEBT DICH DAS LEBEN

Mein erstes Mal: Das brav nickende Wackeldackelchen

Kurze Röcke, lange Nächte

Sex mit Promis: Schäferstündchen deluxe

Hollywood Affairs

MEINE GRÖSSTEN GEHEIMNISSE

Das verlorene Baby

Einmal Drogenhölle und zurück – gerade noch …

Stalking und ein falscher Selbstmordversuch: Hilfe, ich bin ein psychopathisches Klammeräffchen

IN ZEHN JAHREN BIN ICH …

Mein ganz privates Fotoalbum

Es war ein nieseliger 1. November 1983, als meine Mama mich auf die Welt brachte: 49 Zentimeter groß, 2900 Gramm schwer und natürlich – wie alle Babys – splitterfasernackt. Und, was soll ich sagen, daran hat sich seit damals nicht allzu viel geändert … Heute, mehr als 30 Jahre später, habe ich noch immer kaum etwas an: Ich schlafe nackt, ich arbeite nackt – ich bin Deutschlands bekanntestes Nacktmodel.

Eigentlich kaum zu glauben, wenn man bedenkt, wie und wo ich aufgewachsen bin: Bis ich 18 wurde, war ich introvertiert und extrem schüchtern; ich fand mich … nein, ich war tatsächlich hässlich und hatte kaum Freunde. Das verhuschte Muschelmädchen Mica, das sich im Schatten eines Ostberliner Plattenbaus durch die Tage träumte und nach irgendeinem Weg suchte, dieses leberwurstgraue Dasein gegen eines zu tauschen, das aufregend und bunt und sorgenfrei war. Ein klarer Fall von Aufmerksamkeits-Kohldampf: Ich wollte beliebt und bewundert und nie wieder arm sein. Und welche Menschen haben all diese Dinge, nach denen ich mich so sehnte? Richtig, Stars und Prominente! Also beschloss ich, berühmt zu werden und alles zu tun, was dafür notwendig war. Jeden Tag hämmerte ich mir das in mein Köpfchen. Im Laufe der Jahre habe ich dann eine Menge Anläufe unternommen, mir eine schicke VIP-Vita zuzulegen. Meist blieb es jedoch – um es gleich vorweg zu sagen – beim Versuch: Ich wollte ein Supermodel wie Gisele Bündchen werden – klar, so siehst du aus! –, versuchte es dann als Popsängerin, Moderatorin, Soap-Sternchen und heimliche Geliebte von berühmten Männern. Holla, die Waldfee, bin ich mit diesen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf den Allerwertesten gefallen! Doch wenn du nichts versuchst im Leben, findest du auch nie heraus, was es zu bieten hat. Da gilt das Lasagne-Prinzip: Was wirklich drinnen steckt, weißt du erst, wenn du es probierst … In dem ganzen Tohuwabohu von Probieren und Scheitern habe ich schließlich irgendwann bemerkt, dass ich nur dann wirklich beachtet wurde, wenn ich mich nackig machte. Textiler Minimalismus stand offensichtlich irgendwie im direkten Zusammenhang mit dem Aufmerksamkeitsgrad – da war er also, der erste Schimmer einer Erfolgsformel. Allerdings musste diese Formel getestet und weiterentwickelt werden. Und da notorischer Nacktdrang natürlich jede Menge Risiken und Nebenwirkungen hat, war mein Weg gepflastert mit heftigen Niederlagen: die falschen Männer, Drogen, enttäuschte Hoffnungen und ein immer wieder gebrochenes Herz – eben die ganze Palette von Pleiten, Pech und Pannen. Das Schlimmste jedoch waren Hohn und Spott, die mir literweise über den Kopf gekippt wurden.

Meine Herren, was hat man mich in den ersten Jahren als schamlose Berufsnackedei gemieden, gemobbt und in aller Öffentlichkeit ausgelacht. Bekannte und Nachbarn haben sich naserümpfend abgewandt und getuschelt, die Presse hat mich mit steter Regelmäßigkeit in den Niveau-Keller geschrieben. Ich sei vollkommen überbewertet, zu einfach gestrickt, ein buntes Allerlei an negativen Eigenschaften, bei dem es von allem ein bisschen zu viel gebe – vor allem zu viel Silikon und zu viel Vakuum im Kopf. Zugegeben, es war damals leicht, mich bescheuert zu finden. Denn Deutschland war noch nicht reif für eine Trash-Queen; es war prüde, es war spießig. Das änderte sich allerdings, als die Welle der Reality- und Castingformate auch zu uns schwappte und Prominenz neu definierte: TV-Shows wie Big Brother, Supertalent oder das Dschungelcamp kamen ins Fernsehen und erreichten tolle Quoten. Sendungen, für die man erst einmal nichts können musste, nichts haben musste außer einem Fetisch, den die Zuschauer mochten. Genau das war meine Welle – die perfekte Welle, die ich reiten wollte! Wo immer sie an den Strand rauschte, saß ich drauf; wo immer jemand aufspringen wollte, schubste ich ihn mit einem Lächeln runter. Und wenn ich selber abgeworfen wurde, stieg ich – dickköpfig und stur, wie ich nun mal bin – wieder auf.

Es kamen immer neue Shows und Werbeverträge, immer mehr Auftritte. Ready, steady, Show – plötzlich war ich also bekannt, gewissermaßen der A-Promi unter den C-Stars. Und was mache ich als Promi? Nun ja, auf den ersten Blick klingt es simpel: Ich bin bereit, überall und auf Bestellung blankzuziehen – mein Busen ist zum Business geworden. Pretty Woman? Nun, das müssen andere beurteilen. Aber pretty Wummen habe ich auf jeden Fall! Ich mache, was von mir erwartet wird – ich mache mich nackig, riskiere für jedes Foto eine fette Erkältung. Ich bin Blitzlichtfutter, eine lebende Fotostrecke, ein Video auf zwei Beinen. Ich lebe ein Klischee. Mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen – und das sind ja leider nicht besonders viele … Ich habe kein Abitur, nicht studiert und kein Millionenvermögen geerbt; ich kann weder singen noch schauspielern noch tanzen. Ein guter Freund hat mein berufsrelevantes Körperteil-Portfolio einmal so beschrieben: »Köpfchen, ehrliche Haut und jede Menge Silikon, das macht dich aus.« Nicht gerade das Starter-Kit für eine Weltkarriere, oder? Bei mir geht es also darum, aus WENIG möglichst VIEL zu machen. Und genau das scheint mir zu gelingen.

Zugegeben, man kann sagen, meine Masche sei billig – Leute, ich habe nie etwas anderes behauptet! Sie ist simpel, so what. Hinter vielen Erfolgen steckt eine einfache Idee, aber auch die muss man erst einmal professionell umsetzen. Und das mache ich wirklich jeden einzelnen Tag, ob es mir gut geht oder schlecht, ob ich gesund bin oder krank. Dabei helfen mir fünf Regeln, die ich für mein Leben aufgestellt habe und an die ich mich eisern halte:

Arbeite hart!Bleib innerlich du selbst (und verändere äußerlich, was dich unglücklich macht)!Nimm dein Leben selbst in die Hand!Was immer du tust– tu es richtig oder lass es sein!Und wenn du merkst, dass all das nicht reicht, dann arbeite noch härter!

Alles was ich bislang erreicht habe, habe ich ohne Hilfe geschafft. Ohne mir einen reichen Mann zu angeln (was ich jedoch versucht habe), ohne Besetzungscouch (auf die man mich allerdings zerren wollte) und ohne einen reichen Papi (den ich niemals hatte). Dass ich dabei polarisiere und provoziere, ist klar. Sex und Erotik sind eben große Themen in meinem Leben. Also werde ich auch in diesem Buch ausführlich davon erzählen. Von erotischen Abenteuern bis zu Sex-Unfällen; von heißen Nächten mit Prominenten bis hin zu nicht jugendfreien Fantasien. Klar ist allerdings auch: Nur Freunde macht man sich mit diesem ausgeprägten Hang zur Transparenz natürlich nicht. Für manche bin ich ein Hassobjekt, für andere so etwas wie ein Vorbild mit einer gewissen Anziehungskraft. Die Süddeutsche Zeitung nannte mich einmal »eine Art moderne Helena«, die männliche Sehnsüchte bediene, andere beschimpfen mich als »Schrott-Promi mit Blubber-Birne«. Pah, sollen sie sich doch auskotzen – gemütsaufweichend wirkt das bei mir kaum mehr, mit öffentlichem Wutgebell habe ich mittlerweile Erfahrung. Ich habe begriffen, wie das Spiel funktioniert, o ja, und mir ein silikongestütztes Bollwerk gegen die Neid- und Lästertiraden zugelegt; daran prallt vieles – wenn auch nicht alles – ab. Ich gehe raus und mache mein Ding. Von mir hört man kein Gejammer, kein Selbstmitleid. Da könnte ich ja gleich aufgeben. Ob Scham- oder Schmerzgrenzen: Sich zu blamieren und dafür eins auf die Mütze zu bekommen gehört zu meinem Geschäft. Brot und öffentliche Hiebe – willkommen in der Arena! In diesem großen Zirkus habe ich meinen Platz gefunden; meine Bühne, auf der ich mich zeigen und ausleben kann. Ich liebe meinen Job, kann seit einigen Jahren prima davon leben. Und das, obwohl man mich schon zig Mal totgesagt hat; obwohl ich wegen meiner Klamotten durch den Kakao gezogen werde; obwohl ich mit den falschen Partnern angebandelt habe. Moment mal! Lange Haltbarkeit, Styling-Diskussionen und mühsame Koalitionsdebatten? Da könnte man fast auf die Idee kommen, dass sich bei mir – bitte, ihr Lieben, ihr dürft wirklich nicht alles so ernst nehmen! – so etwas wie ein Angela-Merkel-Effekt eingestellt hat: Die wollte am Anfang auch keiner. Doch mittlerweile hat man gelernt mit ihr zu leben. Mehr noch, man mag sie irgendwie und vertraut ihr sogar. In diesem Sinne wünsche ich jetzt ganz viel Spaß beim Lesen und Schmunzeln …

Wollte man sich den Stadtteil schöntrinken, in dem ich aufgewachsen bin, würde man wohl zwangsläufig schnell zum Stammgast bei den Anonymen Alkoholikern werden: Hellersdorf im Osten Berlins ist grau, Beton-bepflastert und vielerorts ähnlich kuschelig wie ein Kaffeekränzchen in der nordkoreanischen Sonderwirtschaftszone. Ich erinnere mich noch an die vielen Jugendlichen, die auf den Straßen herumlungerten, frustriert und chancenlos; an die Geschäfte, die nach und nach schließen mussten; an ein paar Hirnentkernte in Springerstiefeln, die ihre Amöben-dummen Parolen brüllten. Zusammen mit meiner Mutter Martina wohnte ich in einer Wohnung, die dem Klischee des trüben Ostens voll entsprach: Plattenbau, sechster Stock, kein Lift. Ein klitzekleines Wohnzimmer und ein ebenso kleines Schlafzimmer, das ich mir mit Mama teilen musste – fertig, mehr Platz gab es nicht in unserer Hobbithöhle. Linoleum auf dem Boden, ein alter Teppich darüber, dazu Möbel, die vielleicht einmal schick und schön gewesen waren, als die Menschen noch über die Mondlandung jubilierten. Nein, man kann wirklich nicht behaupten, dass ich in eine rosarote Welt hineingeboren wurde. Meine Welt bestand aus dem Nötigsten, und sie roch nach Bratkartoffeln mit Speck aus unserer Küche.

Mama studierte Bühnentanz an der Staatlichen Ballettschule Berlin, hatte ihre Ausbildung jedoch unterbrochen, als sie mit mir schwanger war. Als ich knapp drei Jahre alt war, verließ uns mein Vater. Er ist Brasilianer und hatte meiner Mama während des Studiums den Kopf verdreht. Drei Jahre waren meine Eltern zusammen, dann verschwand er plötzlich über Nacht – und mit ihm alle Erinnerung: Ich weiß nicht, wer er ist und wie er aussieht; ich kenne seinen Namen nicht. Meine Mama spricht so gut wie nie über ihn, und die wenigen Fotos, die von ihm existieren, hütet sie in einer stets verschlossenen Box aus dunkelgrünem Samt. Ich bin sicher, es gibt einen Grund, warum sie ihre Vergangenheit so sorgsam versteckt, obwohl sie behauptet, mein Vater sei ein fröhlicher, ausgelassener und abenteuerlustiger Mann gewesen. Eigentlich sollte ich wohl neugieriger sein, was ihn betrifft, doch da ist etwas in mir, das keine alten Wunden aufreißen will; das nichts ans Licht zerren möchte, was besser im Dunklen bleiben sollte. Vielleicht hat mein Vater Mama verletzt, vielleicht hat er ihr schlimme Dinge angetan … Ich weiß es nicht – und will es auch nicht wissen. Zumindest heute nicht mehr. Mama meint, früher hätte ich schon manchmal sehnsüchtig geguckt, wenn ich bei meinen Freundinnen das klassische Familienleben mitbekommen habe. Vater, Mutter, Kind – das gab’s ja bei uns nicht. Wir hatten nur dieses Zweierteam: Mama und ich. Mein Vater hat keinen Platz in meinem Herzen, er hatte ihn nie. Da ist kein Gefühl in mir, weder Liebe noch Hass. Er ist damals gegangen, vermutlich zurück in seine Heimat Brasilien, und hat alles zurückgelassen – es war ein Abschied für immer. Für Mama war die Trennung unendlich schwer, sie war ja erst 23 Jahre alt und musste nun alleine für mich sorgen. Mit gebrochenem Herzen. Und dem begrabenen Traum von Spitzentanz und Schwanensee und einer Karriere auf den großen Bühnen. Stattdessen studierte Mama Wirtschaftsökonomie und verdiente unseren Lebensunterhalt als Halbtagskraft in einer Bibliothek; heute ist sie 51 und geht noch immer sechs Stunden täglich zum Arbeiten in eine Berliner Bibliothek. Ich glaube, tief in ihrem Herzen hatte sie gehofft, dass ich in ihre Fußstapfen treten und Tänzerin werden würde. Nun, ich bin einen anderen Weg gegangen, und dies war sicher nicht ihre einzige unerfüllte Hoffnung in Bezug auf mich …

Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass mir eine Vaterfigur fehlte, oder daran, dass meine Mutter ein eher stiller und vorsichtiger Mensch ist: Jedenfalls war ich ein Schneckenhaus-Mädchen, das nie viel gesprochen und sich oft unter dem Tisch versteckt hat, wenn Besuch kam. Da saß ich dann, in meinem rosa Rüschenröckchen und Mickey-Mouse-Shirt, und bin erst wieder herausgekrabbelt, wenn Tante Irene oder »die liebe Hanni« wieder gegangen waren. Auch fotografiert werden mochte ich nicht. Heute erscheint mir das kaum mehr vorstellbar, doch auf Bildern aus dieser Zeit stehe ich immer am Rand, irgendwie gerade noch sichtbar, eine Mütze oder ein Basecap tief in die Stirn gezogen. In die Ecke gesetzt und versehentlich vergessen – ein Schicksal, das mir glatt hätte widerfahren können. Am zufriedensten war ich eigentlich immer, wenn ich alleine war. Ich habe mich in meiner Ecke im Wohnzimmer eingeigelt, mit Comic-Heften, Sammelbildchen und Tierbüchern, die ich ganz besonders geliebt habe. Hunde, Katzen, Pferde – am liebsten waren mir allerdings Meerschweinchen. Seit ich sechs Jahre alt war, habe ich mich mit diesen kleinen Fellnasen beschäftigt. Insgesamt hatte ich 15 Stück, einmal waren es sogar sechs gleichzeitig. Ich habe sie gehegt und gepflegt und ihnen einen Bauklötzchen-Parcours quer durch die Wohnung gebaut. Wenn ich heute bei Mama zu Besuch bin, erinnere ich mich manchmal noch an das Geräusch vom feinen Trippeln der Pfötchen auf dem Linoleumboden im Flur. Vergangenheit, lange her.

Als 12- oder 13-Jährige habe ich dann eine neue zusätzliche Leidenschaft entwickelt: die Bildbände berühmter Modefotografen. Mario Testino, zum Beispiel. Oder Peter Lindbergh, seine Bücher habe ich wirklich verschlungen, Seite für Seite. Und mit jedem Umblättern erwachte eine neue Welt mehr und mehr zum Leben, wurde bunter, vielversprechender, aufregender; eine Welt voller schöner Menschen, voller scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten – voller Glück. Claudia Schiffer, Naomi Campbell, Tatjana Patitz – so wie diese Supermodels wollte ich auch sein. Ich habe dann angefangen, mich zu Hause zu schminken und zu stylen – natürlich nicht ohne Mamas Kleiderschrank zu plündern –, dann bin ich stolz den Flur entlanggestöckelt. Meine Mutter war Fotografin und Publikum zugleich; sie hat geklatscht und gelacht und damals noch nicht geahnt, was da eines Tages auf sie zukommen würde. Irgendwann fing ich an, Fotos und Berichte von all diesen Models zu sammeln. Ich habe Hochglanzmagazine durchforstet, habe ausgeschnitten, in Alben geklebt, beschriftet und alles in meinem Zimmer gestapelt. Mama und ich sind hin und wieder auch zu Wohnungsauflösungen gegangen, haben in Kisten in den Kellern nach alten Zeitschriften gesucht, um irgendwelche Schnipsel für meine Modelalben aufzustöbern. Eines Tages bin ich sogar kriminell geworden, nur um meiner Beauty-Clique ein weiteres Mitglied zuzuführen: Mit einem Stein habe ich den Leuchtkasten an einer Bushaltestelle in Berlin eingeschlagen, um an ein H&M-Werbeplakat mit Tyra Banks zu kommen. Mica Langfinger und ihr bis dahin berüchtigtster Beutezug – ein bisschen schäme mich dafür noch heute …

Wenn ich abends in mein Bett geschlüpft bin, umgeben von Model-Postern an der Wand und einem lebensgroßen Pappaufsteller von Naomi Campbell am Kopfende, wenn mich die gedämpften Geräusche des Fernsehers im Wohnzimmer langsam in den Schlaf hinübertrugen, dann habe ich davon geträumt, nur einmal im Leben so auszusehen wie eines dieser Mädchen. Fast jeden Abend lief der gleiche Film in meinem Kopfkino: Ich auf dem Catwalk, Blitzlichtgewitter, tosender Beifall. Eine perfekte Glückswelle reißt alles mit, die Zweifel, die Ängste, die Scham… Doch wenn ich meine Augen dann öffnete, war ich wieder Mini-Mica mit dem Mikro-Ego, die sich seufzend die Frottee-Bettdecke über die Nasenspitze zog. Wie stolz mussten diese Models auf sich sein. Wer so aussieht, den trägt das Leben auf goldenen Schwingen, dachte ich. Frei und unbeschwert, weit, weit nach oben. Doch wer so aussah wie ich, dem wuchsen keine Flügel. Ich hatte Pickel und eine Höckernase, ein fliehendes Kinn und eine Zahnspange – ich war so weit von Claudia-Naomi-Tatjana entfernt wie unsere Wohnung von Cinderellas Märchenschloss. Wie konnte das bloß sein: Bei anderen Mädchen brachte die Metamorphose der Pubertät die schönsten Schmetterlinge hervor. Oder wenigstens die süßesten Entlein im Teich, die stolz schnäbelnd ihr Gefieder zurechtzupfen. Doch was geschah mit mir? Gar nichts. Ich blieb Mica, die Graue. Jeder Kokon, den ich abstreifte, legte nur eine weitere Schicht Durchschnittlichkeit frei. Ich blieb, was ich bis dahin immer gewesen war: eine farblose Sozialphobikerin, optisch so aufregend wie eine Kleidermotte inmitten eines Schwarms von Pfauenaugen.

Mehr denn je galt mein Motto: wegducken und, wo immer es geht, unsichtbar machen! Auch in der Schule war das so. Ich ging mittlerweile in die 8. Klasse auf dem Jean-Paul-Sartre-Gymnasium und gehörte – was für eine Überraschung! – wieder zur Gruppe der absoluten Langweiler. Da gab es die coolen Bling-Bling-Tussis in Klamotten Marke mega-stylish, die auch schon mal geraucht und bei den Lehrern eine dicke Lippe riskiert haben. Und dann gab es uns, die jungfräulichen, krampfhaft-unauffälligen Klemmi-Mädchen. Wir trugen Schlabberpullis und kauten in der Pause Scheiblettenkäsestullen – während die Schmetterlinge an Energydrinks nippten und Croissants knabberten, die ganze Zeit scheinbar grundlos vor sich hin kicherten und die frech frisierten Köpfchen zusammensteckten. Mit uns haben sie sich nicht abgegeben. Da gab es kein Hallo, keine Gespräche, keine Einladung zu irgendeiner Party. Es gab überhaupt keinen Kontakt – weil uns schlicht und ergreifend niemand wahrgenommen hat. Für all die bunten Schmetterlinge waren wir einfach Luft – und für die Jungs sowieso. Einmal, es war kurz nach den Sommerferien, habe ich all meinen Mut zusammengerafft und bin zu einem Grüppchen Schmetterlinge rübergegangen. Sie sprachen gerade über irgendeinen Film, eine Liebesschnulze, die ich nicht kannte. Sie malten sich mit aufgeregt roten Bäckchen und glänzenden Augen aus, wie sie den schnuckeligen Hauptdarsteller zu einem Date überreden würden. Und ich? Ich stand einfach daneben, dusselig grinsend und stumm. Ich wollte etwas sagen – aber ich wusste nicht, was. Ich wollte dazugehören – aber niemand nahm mich an der Hand. Und in meiner Brust brüllte eine Stimme: ICH! BIN! HIER! NEHMT! MICH! WAHR! Doch der Schmetterlingsschwarm hielt seine Reihen geschlossen – und ich wünschte mich zurück unter unseren Tisch im Wohnzimmer, während Mama Bratkartoffeln briet. Kurz darauf, um die Schmach auch wirklich komplett zu machen, bimmelte die Schulglocke zum Ende der Pause, und Lady Zitronenfalter, Miss Pfauenauge und all die anderen stoben auseinander, ohne auch nur ein einziges Mal Notiz von mir genommen zu haben. Ein, zwei hauchzarte Flügelschläge, dann waren sie verschwunden. Noch minutenlang blieb ich auf dem leeren Pausenhof stehen. Fassungslos. Noch immer sprachlos. Und das erste Mal den Tränen nahe.

Es dauerte nicht lange, bis meine schulischen Leistungen langsam immer schlechter wurden. Keine Motivation, die klassische Nullbockstimmung. Ich hatte keine Lust zu lernen. Und keine Lust, in die Schule zu gehen. Ich fing an, den Unterricht zu schwänzen, täuschte immer häufiger Kopfschmerzen vor und ließ mir von Mama Atteste schreiben. Die Noten sackten ins Bodenlose, und man legte Mama schließlich nahe, mich vom Gymnasium zu nehmen. Ich würde das Abitur ja vermutlich ohnehin nicht schaffen. Es war eine Zeit, in der aus Zweifeln das erste Mal Frustration und Wut wurden. Ich fing an, einige Lehrer regelrecht zu hassen – besonders Frau Müller, meine notorisch übellaunige Chemielehrerin. Die Herrin über Bunsenbrenner und Periodensystem – eine verblühte Matrone mit der Figur einer Gulaschkanone, die meist roch wie Gnu nach Durchquerung des Okavango-Deltas. Ich habe sie verflucht, ich habe von ihr geträumt, ich habe sie – wie ich gerade merke – bis heute in denkbar schlechter Erinnerung behalten. Naja, Schwamm drüber – am besten einen mit ordentlich Duschgel drauf …

Müller-Matrone hin, Mica-Mäuschen her – irgendwann haben Mama und ich jedenfalls beschlossen, dass ich nach der 10. Klasse vom Gymnasium abgehe. Den Realschulabschluss habe ich mit Ach und Krach noch hinbekommen (das Zeugnis könnt ihr euch im Bildteil einmal ansehen!), doch meine wirklichen Probleme hat das Ende der Schulzeit natürlich nicht gelöst: Ich fand mich immer noch hässlich wie Omas alte Steppdecke – mit diesem Aussehen würde ich es niemals ins Blitzlichtgewitter schaffen, niemals berühmt werden. So konnte es einfach nicht weitergehen. Fast wäre ich vor lauter Scham und Verzweiflung ins Kloster zur Heiligen Hässlette verschwunden, als eine großartige Synapsenschaltung neues Licht in mein Alltagsdunkel brachte: Da der liebe Gott bei meinen Genen wahrlich kein Meisterwerk abgeliefert hatte, könnten ja vielleicht Götter in Weiß seine Fehler ausbügeln. Mit 15 saß ich das erste Mal bei einem Schönheitschirurgen, der mich allerdings mit den Worten Du bist zu jung prompt wieder heimschickte. Aber so schnell konnte man mich nicht entmutigen. Ein Jahr und unzählige Mama-Mica-Gespräche später – irgendwann konnte sie einfach nicht mehr mit ansehen, wie ich unter meinem Höckerzinken litt – unternahm ich den nächsten Anlauf. Und siehe da, bei Skalpell-Maestro Nummer zwei fühlte ich mich sofort richtig gut aufgehoben. Kurze Zeit später war es dann so weit: Unter Vollnarkose wurde mir die Haut von der Nase gelöst, Knorpel und Knochen wurden in die gewünschte Form gebracht. Dazu bekam ich noch ein Implantat ins Kinn eingesetzt, das schließlich zur neuen Nase passen sollte. Das macht man gerne in einem Aufwasch, da sich bei der Operation meist das ganze Gesichtsprofil verändert. Später, als ich 18 war, erlaubte Mama mir schließlich auch, meine Brüste vergrößern zu lassen – der Beginn eines wirklich abenteuerlichen Operationsmarathons, über den ihr alles im Kapitel »My Body is a Baustelle« erfahrt. Jetzt hatte ich allerdings erst einmal eine neue Nase, und als mir ein paar Tage nach der Operation der Verband abgenommen wurde, hätte ich die ganze Welt umarmen können: Goodbye Riechkolben, hello Stupsnäschen! Ich habe das Honigkuchengrinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht bekommen, so glücklich war ich.

Da ich meine Klosterschwesterplanungen jetzt erst einmal ad acta legen konnte – Halleluja! –, stellte sich die Frage, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Vielleicht eine Sprachreise buchen? Oder einfach ein bisschen jobben und die neu gewonnene Freiheit genießen? Und dann gab es da ja auch noch meinen Supermodel-Traum. Schließlich verwarf ich all diese Ideen – und begann eine Ausbildung zur pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten. »Lern erst einmal etwas Vernünftiges«, hatte Mama mir immer geraten, »schaff dir eine Basis. Danach kannst du immer noch entscheiden, was du tun möchtest.« Ich hatte also einen dicken Wälzer mit allen Ausbildungsberufen durchgeackert und nach etwas gesucht, bei dem ich möglichst wenig mit Menschen zu tun haben würde; etwas Sauberes und Sicheres, um nach der Enttäuschung, das Abi nicht gepackt zu haben, nicht wieder auf mein inzwischen nigelnagelneues Näschen zu fallen. Gleich mit meiner ersten Bewerbung hatte ich Glück, trotz meines grottenschlechten Zeugnisses, und so fing ich mit 17 schließlich in der Apotheke am Boulevard in Berlin-Hellersdorf an. Ich hatte geregelte Arbeitszeiten und einen knüppelhart gestärkten weißen Kittel, mit dem ich meist hinten im Lager vor mich hin kruschte, weit weg von den Kunden. Ich prüfte Lieferungen, kontrollierte das Sortiment oder bearbeitete Retouren. 400 Euro habe ich da anfangs im Monat verdient; nicht die Welt, aber allemal genug, um Mama ein bisschen zu entlasten. Wenn ich so zurückschaue, dann glaube ich, dass sie damals wirklich glücklich war über den Weg, den ich eingeschlagen hatte.

Während dieser Zeit, in der ich dabei war, einen vernünftigen Beruf zu erlernen, kam auch irgendwann der erste Discobesuch, der erste kleine Li-La-Laune-Schwips, schließlich mit 18 der erste feste Freund. Meine Klamotten wurden ein bisschen bunter, meine Kommunikationsblockade ein wenig durchlässiger. Mein Leben schien allmählich Fahrt aufzunehmen. Ganz langsam natürlich und immer auf gerader Strecke. Da gab es keine emotionalen Dramen, keine Alkoholabstürze, keine Sex-Orgien – noch nicht. Mama konnte sich zu dieser Zeit entspannt zurücklehnen, denn ich habe es ihr wirklich nicht schwer gemacht. Ich war pünktlich, zuverlässig und fleißig. Natürlich hatten sie und ich damals die eine oder andere Meinungsverschiedenheit, die wir allerdings meist ruhig und sachlich geklärt haben. Über die Jahre sind wir über unsere Mutter-Tochter-Beziehung hinaus auch Freundinnen geworden. Wir haben dieselben Sendungen im Fernsehen gesehen und dieselbe Popmusik gehört. Früher habe ich ihre Klamotten angezogen, später trug sie manchmal meine, ließ sich inspirieren von meiner Frisur oder meinem Make-up. Wir fahren noch heute gemeinsam in den Urlaub, gehen zum Abendessen in kleine gemütliche Lokale und quatschen über Gott und die Welt – alles liebgewonnene Rituale, die unter anderem dafür sorgen, dass ich mit beiden Beinen auf dem Boden bleibe.

Obwohl wir wirklich kaum Geld hatten, hat Mama immer versucht, uns das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Seit einiger Zeit unterstütze ich sie finanziell und freue mich, ihr nach all den Jahren endlich etwas zurückgeben zu können. Denn eines hat sich bis heute nie geändert: Wann immer ich jemanden brauche, der für mich da ist, der mich versteht, der mich in den Arm nimmt oder mir mal den Kopf zurechtrückt, ist sie zur Stelle. Ich liebe meine Mama von ganzem Herzen und bin ihr unendlich dankbar für alles, was sie für mich getan hat.

Und doch wurde mir irgendwann bewusst, dass ich so wie Mama nicht leben wollte. Während all der Jahre hatte ich es gespürt. An unserem Wohnzimmertisch. Auf dem müllübersäten Spielplatz vor unserem Haus. Vor dem Supermarktregal mit den Sonderangeboten. Schließlich wurde aus einer diffus wabernden Ahnung glasklare Gewissheit: Ich wollte keine Bibliothekarin sein, keine Balletttänzerin, keine pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte. Ich wollte die Welt Wirklichkeit werden lassen, die meine Fantasie beflügelt hatte, seit ich ein 12-jähriges Mädchen war: die Welt der Supermodels. Mit diesem Gedanken, mittlerweile fest eingebrannt auf der Festplatte meines Köpfchens, bin ich schließlich bei Mama ausgezogen. Und bereits kurze Zeit darauf machten sich die ersten Symptome einer Krankheit bemerkbar, die ich seitdem nicht mehr loswerde: der notorische Nackt-Drang …