Liebes Tagebuch.... - Johanna Gerlach - E-Book

Liebes Tagebuch.... E-Book

Johanna Gerlach

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Beschreibung

Für Noelia bricht eine Welt zusammen, als der Vater ihrer besten Freundin tot im Wald aufgefunden wird. Als sie sich dann auch noch verliebt und die Polizei scheinbar auf der Stelle tritt, beschließt sie, auf eigene Faust zu ermitteln. "Liebes Tagebuch...." ist der erste Band aus der Reihe der Staißer-Krimis.

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Seitenzahl: 268

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Prolog 11.05.20 Samstag

1. Kapitel 12.05.20 Sonntag

2. Kapitel 12.02.20 Sonntag

3. Kapitel 13.05.20 Montag

4. Kapitel 14.05.20 Dienstag

5. Kapitel 14.05.20 Dienstag

6. Kapitel 15.05.20 Mittwoch

7. Kapitel 16.05.20 Donnerstag

8. Kapitel 16.05.20 Donnerstag

9. Kapitel 17.05.20 Freitag

10. Kapitel 19.05.20 Sonntag

11. Kapitel Montag 20.05.20

12. Kapitel 21.05.20 Dienstag

13. Kapitel 22.05.20 Mittwoch

14. Kapitel 23.05.20 Donnerstag

15. Kapitel 24.05.20 Freitag

Prolog 11.05.20 Samstag

Locker war die Erde. Locker und durch den tagelangen Regen aufgeweicht. Die Schaufel fuhr wie durch Butter durch den matschigen Boden. Es war lange nicht so schwer, wie es in den Filmen aussah, eine Grube zu graben, die tief genug war. Jetzt setzte auch der Regen wieder ein. Das war gut. Er würde die Spuren verwischen und die Nasen der Spürhunde verwirren. Noch eine letzte Schaufel, dann war die Grube tief genug. Ein größeres Problem stellte das Hineingleiten des Körpers da, ohne ihn intensiv zu berühren. Ohne in die noch offenen Augen zu blicken. Ohne seinen Geruch in die Nase zu kriegen. Mit einem dumpfen Aufprall fiel er in das matschige, feuchte Loch. Ein einfaches Erdloch, das sich soeben in sein Grab verwandelt hatte.

Dann wieder die Grube zuschaufeln. Schaufel um Schaufel nasser Erde. Auch das war so viel leichter. Eigentlich war alles leichter, als es im Film aussah. Selbst ein Mord. Nur auffliegen durfte man nicht. Denn das passierte im Film ebenfalls viel zu leicht. Und vor allem zu schnell.

1. Kapitel 12.05.20 Sonntag

Liebe ich ihn? Liebe ich ihn nicht? Liebe ich ihn? Liebe ich ihn nicht?... Aufmerksam betrachtete ich sein schlafendes Profil von der Seite. Er war durchaus attraktiv mit seiner geraden Nase, dem lockigen blonden Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel und seinen blauen Augen, die es schafften, mich fühlen zu lassen, als würde ich auf einer rosaroten Wolke spazieren. Allerdings konnten sie mich auch so eisig und abschätzig mustern, dass es mich fröstelte. Leise stand ich auf und huschte in die Küche. Meine Eltern waren dieses Wochenende zum Glück zu meiner Großmutter gefahren, um zu sehen, wie sie drei Wochen nach ihrer Hüftoperation zurechtkam. Allerdings würden sie schon heute wiederkommen. Allzu lange hielt mein Vater es mit seiner Mutter nie aus. Ich hatte nicht mitkommen müssen und das war mir auch ganz Recht. Bei Oma war es schrecklich langweilig. Also war ich zu Hause geblieben und konnte Zeit mit ihm verbringen. Ich stellte zwei Teller mit Besteck und Tassen auf den Gartentisch. Heute war der erste sonnige Morgen seit mindestens anderthalb Wochen ununterbrochenen Regens. Kurz schloss ich die Augen und genoss die ersten Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. „Was machst du denn da?" Erschrocken drehte ich mich um. Da stand er. Angezogen und mit seinem Grinsen, das immer etwas überheblich wirkte. „Frühstück", sagte ich etwas unsicher. In seiner Anwesenheit fühlte ich mich schon lange nicht mehr wie eine siebzehnjährige, selbstbewusste und durchaus willensstarke junge Frau. Vielmehr, wie ein verliebtes junges Mädchen, das von ihren Gefühlen hin und her gerissen wurde. Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Sorry, aber ich habe noch was zu erledigen. Sehen uns bestimmt bald wieder, Süße." Dann drehte er sich um, verschwand und wenige Sekunden später hörte ich die Haustür. Verdattert stand ich da. Wie bestellt und nicht abgeholt. Wie ein dummes, kleines Mädchen. Wut machte sich in mir breit. Feuerrote und beißende Wut. Bei diesem Typen würde ich mich nicht mehr melden. Allerdings wusste ich, dass das jedes Mal meine Gedanken waren und sobald die Wut verraucht war, fehlte, er mir und ich sehnte mich nach seiner Aufmerksamkeit und seinen Händen, die stets ein glühendes Prickeln auf meiner Haut hinterließen. Mit einem Klicken stellte ich die Kaffeemaschine an, griff dann nach meinem Handy und wählte Laureens Nummer. Es klingelte und klingelte, aber niemand hob ab. Genervt warf ich das Handy auf die Küchenbank. Und sowas nannte sich beste Freundin. Lust zu frühstücken hatte ich auch keine mehr. Also trank ich bloß eine Tasse Kaffee, ging dann wieder nach oben in mein Zimmer und riss die Fenster auf. Drastische Maßnahmen ergreifen hieß es jetzt. Und während sein Geruch durchs offene Fenster verschwand, wechselte ich die Bettwäsche, an der ebenfalls sein Deo haftete. Anschließend probierte ich erneut, Laureen zu erreichen. Wieder nichts. Allmählich begann ich mir Sorgen zu machen. Es passte nicht zu Laureen, nicht direkt ans Handy zu gehen, da sie praktisch 24 Stunden am Tag am Bildschirm klebte. Es konnte natürlich auch sein, dass ihr Stiefvater, der seit circa einem Jahr mit ihrer Mutter verheiratet war, ihr es weggenommen hatte. Er war ein Mann, der gerne die Kontrolle behielt und behandelte Laureen immer mal wieder, als wäre sie sechs und nicht fähig, selbst zu entscheiden. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit dem Fahrrad vorbeizufahren. Seit ihrem Umzug dauerte das viel länger, aber das war jetzt egal. Ich brauchte ein Gespräch mit meiner Freundin und die frische Luft und etwas Bewegung würden mir sicherlich guttun. "Was man nicht alles für ein Gespräch mit seiner besten Freundin tut", dachte ich, als ich das Fahrradschloss entsperrte und losradelte. Mit Rückenwind und Wut im Bauch auf mein verkorkstes Liebesleben, ließ es sich die lange Strecke deutlich leichter fahren. Als sich die Villa der Königs vor mir erhob, war meine Wut verschwunden und einer ordentlichen Portion Selbstmitleid gewichen. Laureen konnte sich wirklich glücklich schätzen in so einem Haus zu wohnen. Die cremefarbene Fassade bildete einen wunderschönen Kontrast zu den dunklen Dachziegeln. Die großen Fenster wurden innen von seidenen Vorhängen umrahmt, die ungewollte Einblicke verhinderten. Der Gärtner sorgte dafür, dass die Blumenbeete, Büsche und die Kletterrosen, die sich um das Haus rankten, immer gepflegt und ordentlich aussahen und der Teich mit den teuren japanischen Kois glitzerte blaugrün in der Sonne. Der Kiesweg, der zur breiten Eingangstür führte, knirschte angenehm unter meinen Füßen. Es wirkte, als hätte jeder Stein einen für ihn vorgesehenen Platz. Ich drückte auf das aus Messing angefertigte Klingelschild und wartete. Die Villa lag recht weit abgelegen von der Innenstadt. Ich wurde morgens von aufgebrachten Autofahrern oder lauten Kindern mit ihren Rollern geweckt und hatte den Geruch von Abgasen in meinem Zimmer, sobald ich das Fenster öffnete. Laureens Geräuschkulisse beschränkte sich lediglich auf Vogelgezwitscher und das zarte Stimmchen ihrer Mutter, die ihre Tochter gerne mal mit einem Frühstück im Bett weckte. Das einzige, was man hier roch, war der Duft der Rosen und der Äpfel des Apfelbaums, der vor der Villa prächtig gedieh. Eine Minute verging. Zwei Minuten vergingen. Niemand öffnete. Bevor ich ein zweites Mal klingeln konnte, wurde die Tür aufgerissen und Laureen stand im Türrahmen. Ich wollte gerade anfangen, sie wegen des erst nicht Rangehens beim Anruf und dann des mich hier draußen so lange warten Lassens, was man nicht tat, wenn die beste Freundin Liebeskummer hatte, zur Rede stellen, aber Laureens Anblick hielt mich davon ab. Ihre Augen waren gerötet, das sonst glänzend blonde Haar hing stumpf an ihr herunter und sie machte ein Gesicht, wie ein verschrecktes Rehkitz. „Was ist denn mit dir passiert. Du siehst... Hast du geweint? Warum bist du nicht ans Handy gegangen?", sprudelte es aus mir heraus. „Es tut mir leid", piepste Laureen. „Aber Martin. Er ist weg." Martin war weg? Wo sollte ihr Stiefvater sein? „Beruhig dich erstmal", bemühte ich mich, sie etwas zu entspannen, legte einen Arm um sie und führte Laureen so selbstverständlich in ihr Zimmer, als wäre es mein eigenes. Laureen hatte wirklich ein unglaubliches Zimmer. Riesengroß mit modernen, hellen Möbeln, einem Balkon und einem eigenen Badezimmer. Normalerweise präsentierte Laureen sich in ihren vier Wänden wie eine kleine Prinzessin, aber heute saß sie bloß zusammengekauert auf ihrem Boxspringbett und wirkte so verzweifelt, dass mir eigentlich in diesem Moment schon hätte klar sein müssen, dass etwas Schreckliches passiert war. Ich streichelte hilflos Laureens Schulter. Eigentlich war es immer eher andersrum gewesen. Auch als sie und ihre Mutter noch in der kleinen Wohnung, gerade fünf Minuten von mir entfernt, gewohnt hatten. Ich war die mit den Problemen, die sich gerne Ratschläge und Streicheleinheiten von ihrer Freundin holte. „Jetzt erzähl doch mal genau was passiert ist", bat ich sie und betrachtete ihre Miene. Ihre Augen fixierten das kreisförmige Teppichmuster und folgten den einzelnen Rundungen. „Laureen!" Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Gut, Martin war weg, aber es konnte doch genauso gut sein, dass er bloß bei einem Freund übernachtete oder nach einem Streit mit ihrer Mutter in einem Motel geschlafen hatte. Auch wenn es augenscheinlich nicht so wirkte, konnte Martin, laut Laureens Erzählungen, ziemlich impulsiv sein und schnell einmal laut werden. Langsam drehte Laureen ihren Kopf in meine Richtung. „Er ist gestern nach dem Tennis nicht nach Hause gekommen. Wir haben seine Freunde angerufen und sie meinten, nach einem Bier hätte er sich, wie immer, in seinen Wagen gesetzt und wäre nach Hause gefahren. Er ist aber nie hier angekommen. Normalerweise ruft er immer an, wenn es später wird. Mama war die ganze Nacht wach, aber nichts ist passiert. Heute Morgen haben wir dann die Polizei angerufen. Die hat aber auch noch nichts Neues in Erfahrung gebracht.

Mama hat sich zum Glück jetzt erstmal hingelegt. Sie ist total fertig mit den Nerven. Was, wenn... wenn ihm etwas passiert ist?“, überlegte sie laut und kaute dabei aufgeregt an ihrer Unterlippe. Oh, das klang doch ernster als gedacht. Das Wort Polizei macht Dinge immer gleich zehnmal bedrohlicher. „Das lässt sich bestimmt total leicht aufklären", nahm ich Laureen jetzt in den Arm. „Vielleicht ist er in einem Motel oder bei einem Freund und steht gleich vor der Tür. Und dann habt ihr euch ganz umsonst Sorgen gemacht." „Meinst du", fragte Laureen und sah mich angsterfüllt an, dass ich so bestimmt nickte, als hätte Martin sich bei mir persönlich abgemeldet. „Ganz sicher." Sie kuschelte sich jetzt eng an mich und ich lauschte ihrem ruhigen Atem. „Erzähl mir etwas. Irgendetwas", nuschelte Laureen nach kurzer Zeit. „Ich muss mich ablenken." Ich überlegte kurz. „Nathan hat letzte Nacht bei mir geschlafen. Wir haben uns, als ich gestern mit Lilly und Helena feiern war, getroffen und naja… Meine Eltern sind bei meiner Oma, also habe ich, gewissermaßen, die Chance ergriffen", grinste ich verschämt. „Warum hast du mir denn nichts davon erzählt", fuhr Laureen empört hoch. „Ich wollte ja, aber du bist nicht rangegangen", verteidigte ich mich. „Und", sah sie mich jetzt mit großen Augen an. „Was und?" Laureen verdrehte die Augen. „Habt ihr es getan?" Ich ließ sie kurz zappeln dann nickte ich. „Das war dann jetzt das dritte Mal", rechnete sie mit ihren Fingern nach. „Wie wars denn?" „Na wie die letzten zwei Male", murmelte ich. „Total aufregend, aber auch irgendwie zu schnell. Also das Romantische, das Gefühlsmäßige fehlt ihm… noch", probierte ich so gut wie es ging die Nächte mit Nathan zu beschreiben. Es gefiel mir durchaus, aber es war jedes Mal so, als ob sich da so eine gewisse Spannung aufbaute, wenn ich ihm tief in die Augen blickte und versuchte, ihn so liebevoll wie es nur ging zu küssen. Aber jedes Mal schien ihn dieses kleinste bisschen Spannung der Liebe abzuschrecken und er unterdrückte es mit aller Härte und Kraft. Und ehe ich mich versah, lagen wir nebeneinander und er schlief. „Ich nehme mal an, ihr seid nicht zusammen?", hakte Laureen nach. Ich schüttelte den Kopf. „Er ist heute Morgen, wie immer überstürzt, aufgebrochen. Aber jetzt melde ich mich garantiert nicht wieder zuerst bei ihm." Laureen nickte nachsichtig, aber ich sah ihr an, dass sie mir kein Wort glaubte. Aber immerhin hatte ich es geschafft sie etwas von ihren Sorgen, um Martin abzulenken. „Ich glaub, es ist besser, wenn du jetzt gehst. Mama hat gerade bestimmt keine große Lust auf Besuch. Aber danke, dass du da warst", meinte Laureen nach kurzer Zeit. Ich wäre zwar gerne noch länger geblieben, respektierte aber ihren Wunsch. Also stand ich auf und drückte meine Freundin noch einmal. „Wenn etwas ist, kannst du dich immer bei mir melden", versprach ich ihr. Laureen lächelte dünn. Dann begleitete sie mich zur Tür.

Bob Reller liebte seine Frau Tina. Er kannte sie seit der Grundschule, aber damals war sie für ihn bloß eins von diesen merkwürdigen, zickigen und nervenden Geschöpfen namens Mädchen gewesen. Später dann irgendwann waren ihm andere Sachen an ihr aufgefallen. Ihr kräftiges Lachen, das lange Haar, das kesse Grinsen und ihr entwaffnender Blick. Nach seiner Ausbildung zum Dachdecker hatte er Tina vom Fleck weg geheiratet und sie somit ein für alle Mal zu seiner Tina gemacht. Kinder waren ihnen verwehrt geblieben, weswegen sie sich einen Hund anschafften, der etwas Leben in ihr Haus brachte. Billy, den mittlerweile in die Jahre gekommenen Labrador. Auch Bob und seine Tina waren nicht mehr die Jüngsten. Beide hatten die sechzig erreicht und sich ein kleines Haus in der Nähe vom Wald gekauft. Nach ihrer Knieoperation arbeitete Tina nicht mehr und widmete ihre verbliebene Energie deshalb etwas anderem. Dem Garten ihres kleinen Hauses. Bob wäre die Küche zwar lieber als neues Hobby gewesen, ganz besonders der Herd, aber solange seine Tina glücklich war, war es ihm Recht. Nur brauchte sie jetzt neue Erde für Gemüse- und Blumenbeete. Frische Erde. Nicht die aus dem Baumarkt. Nein, frische Erde! Also hatte Tina ihn kurzerhand in den Wald geschickt. Zusammen mit einer Schaufel und Billy. Während Bob jetzt also mit seinen alten Knochen über die Wurzeln und Hügelchen im Wald stolperte, die Schaufel fest in der Hand, sprang sein Hund vor ihm her, als wäre er wieder ein Welpe und begann schließlich an einer Stelle wie verrückt zu buddeln. „Hier meinst du also", murmelte Bob und machte sich daran, seinem Hund zu helfen. Tina würde sich freuen. Die Erde war genau richtig für ihre Beete und... Entsetzt keuchte Bob auf und ließ die Schaufel fallen. Billy begann wild zu bellen und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. In der ausgehobenen Kuhle starrten Bob zwei Augen entgegen. Eisblaue Augen. Viel zu blau für das regelrecht weiße Gesicht, das von einzelnen Erdklumpen bedeckt war. Bob begann zu schlottern und musste sich hinknien, damit er nicht umkippte. Billy schnüffelte interessiert an der Kuhle und beugte den Kopf vor. Mit einer harten Bewegung zog Bob den Labrador zurück. Fehlte noch, dass sein Hund das Gesicht einer Leiche ableckte. Allein bei der Vorstellung breitete sich ein metallischer Geschmack in Bobs Mund aus und es schüttelte ihn. Er musste etwas tun… jetzt sofort. Hektisch griff Bob in die Tasche seiner alten Cordjacke. Darin befand sich das Handy, das seine Tina ihn vorherige Woche noch gedrängt hatte zu kaufen. Damit er immer erreichbar wäre, hatte sie gesagt. Dafür hätte er sie jetzt küssen können. Seine Tina, die immer auf ihn aufpasste. Mit zitternden Fingern wählte er die Nummer der Polizei. Nur mit Mühe schaffte er es von seinem schrecklichen Fund zu berichten und musste zwischendurch immer wieder tief Luft holen. Die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung versprach ihm, jemanden direkt im Wald vorbeizuschicken und bat ihn, einfach ruhig zu bleiben. Die Leiche sollte er nicht berühren und auch nicht weiter graben. Als ob Bob das in den Sinn gekommen wäre. Er steckte sein Handy wieder weg und lehnte sich dann an einen Baumstamm. Billy legte sich über seine Beine und betrachtete sein Gesicht aufmerksam. „Wird alles wieder gut mein Junge. Keine Sorge", wiederholte er immer wieder und klopfte dem Rüden auf den Rücken. Wen von den beiden er dabei zu beruhigen versuchte, wusste er selbst nicht genau.

Staißer betrachtete die Leiche. Keine Frage, das war der Mann, der von der Familie König als vermisst gemeldet worden war. Martin König. „Gruselig!", murmelte Hendrik neben ihm und betrachtete das starre Gesicht des Mannes. Die Spurensicherung war schon vor Ort und arbeitete auf Hochtouren. Staißer atmete aus und schloss kurz die Augen. Dann wandte er sich ab und ging zu dem verängstigt dreinblickenden älteren Mann hinüber, der mit seinem Labrador neben einer hohen Kiefer stand. Hendrik folgte ihm. „Guten Tag. Sie sind Bob Reller, der Mann, der die Leiche gefunden hat, richtig?" Der alte Mann nickte und strich nervös seine alte Cordjacke glatt. „Hauptkommissar Staißer. Und das ist Hauptkommissar Theobaldt. Wir ermitteln in diesem Fall", stellte Staißer sich und seinen Kollegen vor. „Könnten Sie uns bitte schildern, was vorgefallen ist", schloss sich Hendrik an. „Ich wollte Erde für meine Frau holen. Für ihre Beete", erwiderte Bob Reller mit tonloser Stimme. „Warum haben Sie ausgerechnet an dieser Stelle gegraben", wollte Staißer wissen und betrachtete aufmerksam das faltige Gesicht des Mannes. „Mein Hund hat an dieser Stelle gebuddelt und tja. Warum nicht. Ahnt doch niemand, dass da eine Leiche verscharrt liegt", brummte dieser. „Kannten Sie den Mann", fragte Hendrik. Bob Reller schüttelte den Kopf. „Nein. Ich und meine Frau wohnen in der Nähe des Waldes. Wir haben bloß noch zu ein paar alten Schulfreunden Kontakt. „In Ordnung", nickte Staißer. Er wusste nicht, woher er die Gewissheit nahm, aber er war sich sicher, dass dieser Mann nichts mit dem Mord zu tun hatte. So mechanisch, wie er dem Hund über das dunkle Fell strich. „Also darf ich gehen", stieß Reller hoffnungsvoll hervor. Die beiden Hauptkommissare nickten. „Falls wir noch weitere Fragen haben, melden wir uns bei Ihnen oder wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann melden Sie sich selbstverständlich bei uns", merkte Hendrik an und reichte ihm seine Visitenkarte. Der alte Mann nickte flüchtig und verschwand dann mit seinem Hund. Staißer sah ihm nach, bis Hendrik ihn in die Seite piekte. „Die Familie ist schon verständigt, also würde ich sagen..." „Fahren wir los", stimmte Staißer seinem Kollegen zu. Die Befragung nach der Überbringung einer solchen Nachricht war nie angenehm, aber irgendetwas sagte Staißer, dass dieses Mal weitaus mehr hinter dem Mord steckte, als sie bisher dachten.

Die Rückfahrt vom Hause der Königs kam mir deutlich länger vor. Der Wind hatte aufgefrischt, pfiff um meine Nase und erschwerte mir das Vorankommen. Zudem hatte mir das Gespräch mit Laureen über ihren Stiefvater doch mehr zugesetzt, als ich gedacht hatte. Die Wut auf Nathan war, wie weggeblasen und ein feiner Schmerz machte sich in mir breit. Ich vermisste ihn. Ihn und seine blauen Augen. Seinen Geruch. Fühlte sich so Liebe an? Keine Ahnung. Ich spürte, wie Tränen sich in meinen Augen sammelten. Nein. Heulen würde mich jetzt nicht weiterbringen. Ich biss die Zähne zusammen und legte den Rest der Strecke zurück mit der letzten Kraft, die ich aufbringen konnte und somit nicht auf das Zurückhalten der Tränen verwenden musste. Zu Hause schleppte ich mich in mein Zimmer. Aber tatenlos rumzusitzen, hielt ich jetzt nicht aus. Ich begann fahrig ein paar Kleidungsstücke in meinem Schrank zu sortieren. Ablenken tat mich das aber auch nicht, denn bei jedem Oberteil, das ich in der Hand hielt, musste ich an ihn denken. Ich ließ den Pullover, den ich gerade hochgenommen hatte, zu Boden fallen und entschied mich, etwas fernzusehen. In unserem Wohnzimmer fühlte ich mich gleich wohler. Es roch vertraut und das rote Sofa mit dem Kamin, vor dem wir gerne mal im Winter hockten, verbreitete eine heimelige Stimmung. Draußen stürmte es. Der Wind rüttelte an den Fensterläden und brachte Unordnung in die ordentlich angelegten Blumenbeete, auf die meine Mutter so stolz war. Ich wickelte mich in meine Lieblingsdecke und begann, wahllos zwischen den Kanälen rumzuschalten. Dabei ertappte ich mich, wie ich immer mal einen Blick auf mein Handy warf, um zu sehen, ob eine Nachricht von ihm dabei war. Nichts. Natürlich. Entnervt schaltete ich mein Handy aus. Unerreichbar wirken, hieß es jetzt. Obwohl… ich musste erreichbar sein für Laureen. Seufzend schaltete ich das WLAN wieder ein. In der gleichen Sekunde begann mein Handy zu klingeln. Laureen rief an, verriet das Display. „Hey", meldete ich mich direkt. „Gibt es etwas Neues?" Doch aus dem Mikrofon kam kein Laut. Bloß eine Art Schniefen. „Laureen, was ist los?", drängte ich nach einer Antwort. Sie räusperte sich. „Sie haben Martin gefunden", erzählte sie dann mit belegter Stimme. „Das ist doch gut", wollte ich rufen, aber etwas hielt mich davon ab. Vielleicht war es Laureens Stimme, in der Verzweiflung und die nackte Panik mitschwang. Vielleicht war es auch der einfache Satz, der aber so viel mehr Ungeheuerliches hinter sich verbarg. „Laureen, was ist los", wiederholte ich meine Frage, ein unkontrolliertes Zittern in der Stimme. „Sie... sie haben ihn im Wald gefunden. Er ist... er ist tot. Er ist... ermordet worden." Es war wie ein Faustschlag ins Gesicht. Hart und voller Schmerz. Tot. Nur dieses einzige Wort spukte in meinem Kopf umher. Martin war tot. Laureens Stiefvater und Veras Ehemann war tot. Und bei dieser Erkenntnis rannen mir die Tränen wie kleine Sturzbäche die Wangen hinunter.

12.05.20

Liebes Tagebuch,

ich habe Angst. So eine unfassbare Angst. Sie hat sich in mir breit gemacht und verlässt mich nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr im Spiegel angucken, ohne ihn zu sehen. Seine Augen. Ich hasse mich dafür. Es fühlt sich an, als würde Gift durch meine Adern fließen. Sich in jede Pore meines Körpers einnisten. Meine Lungen füllen und mir die Luft zum Atmen rauben. Ich habe das Gefühl, mit jedem Satz, den ich sage, der eine Lüge ist, vergifte ich mich selbst immer mehr. Meine Lippen brennen bei jedem gesprochenen Wort und die Wahrheit drängt sich an die Oberfläche. Liegt mir auf der Zunge und lässt sich nicht herunterschlucken. Das Gift spült die Wahrheit immer wieder in meinen Mund. Sie verbrennt mir das Zahnfleisch und erlaubt mir nicht mehr, ruhig zu schlafen. Denn immer, wenn ich meine Augen schließe, sehe ich seine vor mir.

2. Kapitel 12.02.20 Sonntag

Himbeerkuchen. Himbeerkuchen mit luftiger Sahne. Selbstgemacht. Keine Sprühsahne aus der Dose. Sahne so weich, dass sie im Mund regelrecht zerfließt. Dazu ein ebenfalls selbstgemachter Boden. Weich und fluffig mit einem Hauch von Mandeln. Es war der Himbeerkuchen, den Oma seit Jahren backte. Meine Eltern hatten ihn von ihr mitgebracht und jetzt erfüllte der Duft unser Auto. Schon das zweite Mal war ich heute auf dem Weg zur Villa der Königs. Ich merkte, wie meine Mutter mir immer wieder prüfende Blicke nach hinten auf die Rückbank zuwarf und bekam doch nichts davon mit. Es fühlte sich an, als wäre ich betäubt. Als hätte man mich gelähmt. Es fühlte sich alles so falsch an. So unwirklich. Nach Laureens Anruf hatte ich weinend dagesessen und genauso hatten mich meine Eltern kurz darauf vorgefunden. Nur unter mühsamen Schluchzern schaffte ich es ihnen zu berichten, was ich eben so Grausames erfahren hatte. Da meine Mutter ebenfalls ziemlich gut mit Vera König befreundet war, hatte Laureens Mutter uns gebeten vorbeizukommen. Ich als seelische Unterstützung für Laureen und meine Mutter, da sie für Vera die Schwester war, die diese nie gehabt hatte. Ich hatte nie viel Kontakt mit Martin gehabt, aber er hatte mit meiner besten Freundin unter einem Dach gelebt. Und jetzt sollte er tot sein? Ermordet worden sein? Ich begriff es einfach nicht. Als die Villa in Sichtweite kam, bemühte ich mich so gut es ging, meine Tränen abzuwischen. Ich musste jetzt für Laureen da sein. Eine heulende Freundin konnte sie in dieser Situation nicht gebrauchen. Vor der Villa parkte ein fremder Wagen. Gerade als wir ausstiegen, öffnete sich die Haustür und zwei Männer kamen zusammen mit Laureen und Vera heraus. Die zwei Herren waren allem Anschein nach von der Polizei. Der Eine steuerte höchstwahrscheinlich schon auf die fünfzig zu, war etwas beleibter, hatte einen dunklen Schnurrbart und sein Haar wurde von grauen Strähnen durchzogen. Sorgenfalten zierten sein Gesicht, was wahrscheinlich von der jahrelangen Arbeit mit Verbrechern herrührte. Der andere wirkte deutlich jünger und fitter. Er hatte sein langes silbergraues Haar zu einem Dutt gebunden und einen undurchdringlichen Gesichtsausdruck. Als sie uns erblickten, wechselten sie kurzerhand ihre Richtung und kamen auf uns zu. Unbewusst griff ich nach der Hand meiner Mutter und begann nervös zu schlucken. Mein Blick fiel auf die Pistolen, die an den Gürteln hingen, die um die Hüften der Kommissare führten. „Ludwig Staißer, Hauptkommissar. Ich und mein Kollege Hendrik Theobaldt ermitteln im Fall Martin König." Staißer und Theobaldt streckten uns ihre Hände entgegen. „Ida Welsmann und das ist meine Tochter Noelia", stellte meine Mutter uns vor. Staißer lächelte mich etwas wehmütig an. „Hab ich Recht mit der Annahme, dass sie beide Martin König gekannt haben", erkundigte er sich dann. „Wir sind sehr gut mit seiner Frau und seiner Stieftochter befreundet. Seit mehreren Jahren schon, aber persönlich hatten wir nie viel Kontakt zu Martin", übernahm meine Mutter wieder das Reden. „Hmm", nickte Kommissar Staißer. „Ich würde sie beide trotzdem gerne für eine Befragung auf das Präsidium bestellen. Würde Ihnen morgen gegen fünfzehn Uhr passen?" „Natürlich“, bestätigte meine Mutter. „Dürften wir jetzt...?", fragte sie mit einem Blick auf Vera und Laureen. Die Kommissare nickten, verabschiedeten sich und verschwanden dann in ihrem Wagen. Meine Mutter lief auf die Treppe zu, auf der Vera und Laureen standen. Ich folgte ihr etwas langsamer. „Es tut mir so leid", murmelte meine Mutter und drückte die beiden. Vera bemühte sich um einen dankbaren Gesichtsausdruck und sah dabei völlig fertig aus. „Ist es okay, wenn wir euch beide allein lassen?", fragte sie schwach. Wir nickten gleichzeitig. Mama und Vera gingen ins Haus und Laureen und ich setzten uns auf die Treppenstufen vor der Eingangstür. „Ich... es tut mir so schrecklich leid für euch", stammelte ich. Laureen starrte mit leerem Blick auf den Boden. „Als die Polizei angerufen hat, habe ich nur Mamas Blick gesehen. Und dann hat sie angefangen zu weinen. Und da wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste." Sie sah mich so hilflos an, dass mir das Herz schmerzte. Ihre sonst so leuchtenden Augen hatten jeglichen Glanz verloren und ihre Haut war aschfahl. Ich nahm sie in den Arm. Lange und fest. „Weiß man denn, wer der... der... wer ihn getötet hat", fragte ich, konnte mich aber nicht dazu durchringen, das Wort "Mörder" zu benutzen. „Ich habe keine Ahnung. Sie haben bloß gesagt, dass sie seine Leiche im Wald in der Nähe vom Tennisclub gefunden haben. Vergraben. Die Obduktion kommt erst noch, aber sie haben gesagt er hatte eine Kopfverletzung und mehrere Messerstiche in der Brust. Außerdem haben ihm zwei... zwei Finger gefehlt", murmelte Laureen. Ich schluckte schwer. Es fühlte sich an, als würde sich ein dunkle, klebrige Flüssigkeit in mir ausbreiten, die mich von innen verätzte. Der Mörder hatte ihn nicht nur umgebracht, sondern auch noch verstümmelt. Ich spürte eine Welle der Übelkeit ihn mir aufsteigen und bemühte mich, den Würgereiz zu unterdrücken. Ich atmete ein paar Mal tief durch und ließ meinen Blick umherschweifen. Auf einmal stutzte ich. Da hinter dem Busch stand ein junger Mann, schnibbelte an den Blättern und warf hin und wieder einen Blick auf uns. „Wer ist das?", fragte ich leise und rüttelte etwas an Laureens Schulter. „Das ist bloß Kyano. Unser Gärtner. Kommt aus dem Jemen", antwortete Laureen mit gesenkter Stimme. „Die Kommissare wollen ihn morgen befragen. Heute war das anscheinend noch zu viel für ihn. Das Gärtnern lenkt ihn ab, sagt er." Ich musterte den Jungen. Er war circa neunzehn Jahre alt, ungefähr einen Kopf größer als ich, hatte eine muskulöse, breit gebaute Statur und goldbraune Haut. Er schien meinen Blick zu spüren, fuhr sich einmal durch das nachtschwarze, kurze Haar und hob unsicher die Hand. Ich zögerte kurz und winkte dann ebenfalls leicht. Wäre ich nicht gerade in so einer Situation gewesen, hätte ich mir die Muskeln, die sich unter dem T-Shirt abzeichneten, genauer angesehen. Aber jetzt in diesem Augenblick wandte ich meinen Blick von dem Gärtner ab und kümmerte mich weiter um die schluchzende Laureen.

Staißers Nacken war verspannt. Bei jeder Bewegung jagte ein beißender Schmerz durch seine Nerven und er musste sich zusammenreißen nicht vor sich hin zu jammern. Zudem machte sich eine bleierne Müdigkeit in ihm breit. Die Nacht war die Hölle gewesen. Seit er einige Probleme mit seiner Frau hatte, schlief er auf dem harten Gästebett, das lediglich mit einer dünnen Matratze ausgestattet war. Dass Hendrik neben ihm so aufgekratzt war, machte es nicht besser. Manchmal wünschte er sich die alten Zeiten zurück, in denen er allein ermittelt hatte und sich mit 56 Jahren noch nicht so furchtbar alt vorgekommen war. Andererseits gab ihm Hendriks Frische immer häufiger Denkanstöße und seine Energie zog ihn regelrecht mit. Hatte er mit 29 auch bei jedem einzelnen Fall mitgefiebert? „Willst du auch einen Kaffee?", fragte Hendrik und hielt eine Thermoskanne hoch. Staißer schüttelte den Kopf. Allein der Geruch verursachte ihm Kopfschmerzen. Heute war wirklich nicht sein Tag. „Ich frag mich, wie die beiden mit dem Verlust fertig werden", überlegte Hendrik zwischen zwei Schlucken Kaffee. Staißer hob die Schultern. Viele wurden nicht mit dem Verlust fertig. Nicht wenige Angehörige, denen er die schreckliche Nachricht überbracht hatte, landeten danach in der Psychiatrie. Und egal, wie oft er schon den Tod eines Freundes oder Familienmitgliedes verkündet hatte, er konnte sich nie daran gewöhnen. Daran, wie jede Hoffnung, jedes Glück aus den Augen der Angehörigen verschwand. Manche brachen zusammen, andere fingen haltlos an zu weinen und wieder andere nahmen es so gefasst auf, als hätten sie schon damit gerechnet, wenn sie sich bemühten, die Fassung zu bewahren. Staißer schüttelte sich. Die Mutter und die Tochter waren bleich geworden und während die Tochter in Tränen ausgebrochen war, hatte die Mutter wohl unter Schock gestanden. Sie hatte nicht geweint. Bloß die pure Angst hatte in ihren Augen geglänzt und sie hatte sich beinahe die Lippen blutig gebissen. „Glaubst du sie hat ihn geliebt?", unterbrach Hendrik seine Gedankengänge. „Ich weiß nicht. Es könnte sein", sagte Staißer und umklammerte das Lenkrad fest. Nein. Er dachte keinesfalls, dass sie ihn geliebt hatte. Sie hatte ein mütterliches, warmes Gesicht, der Tote hingegen wirkte wie ein kontrollsüchtiger Mann, der auch mal dazu neigte, handgreiflich zu werden. Natürlich hätte er so etwas nie laut ausgesprochen. Eigene Gefühle hatten nichts in seinem Job zu suchen. „Also, ich denk ja nicht, dass sie ihn liebt. Sonst hätte sie doch wenigstens eine Träne vergossen", meinte Hendrik und kratzte sich nachdenklich an der Schläfe. Staißer schüttelte seufzend den Kopf. „Jeder trauert auf seine Weise. Nach einigen Jahren Dienst, hast du die unterschiedlichsten Arten, einen Verlust aufzunehmen kennengelernt", erzählte Staißer. Hendrik zuckte die Schultern. „Ich würde sagen, wir fahren jetzt zu den Tennispartnern", meinte Staißer und setzte den Blinker. Sein Kollege nickte und drehte dann das Radio auf. Irgendeine Sängerin mit viel zu hoher Stimme begann ein Liebeslied zu trällern. Staißer verdrehte innerlich die Augen. Jetzt setzten die Kopfschmerzen doch ein.

Die erste von Vera König angegebene Adresse führte zu einem Reihenhaus. Schlichte Vorgärten, weiße Häuser mit roten Dächern. „Na dann wollen wir mal", rieb sich Hendrik die Hände und sprang regelrecht aus dem Wagen. Staißer folgte weniger enthusiastisch. Die beiden klingelten an der Haustür. Wenige Sekunden später öffnete ein großer, schlanker Mann. Sein kurzes Haar war angegraut und er bekam einen fragenden Gesichtsausdruck, als er die beiden erblickte.