Liebesbrief auf Wolke 7 - Michelle Zerwas - E-Book

Liebesbrief auf Wolke 7 E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Alicia ist von der ersten Sekunde hin und weg von ihrer neuen Briefträgerin Kathrin. Fast täglich sehen sie sich morgens, plaudern ein wenig oder trinken Kaffee zusammen, wenn Kathrin die Post zustellt. Eines Morgens hat Kathrin einen Unfall genau vor Alicias Haus. Ein Schock für Alicia. Sie besucht Kathrin im Krankenhaus und erfährt, dass Kathrins Fuß gebrochen ist. Alicia bietet ihre Hilfe an, kümmert sich um Kathrin und deren Pferde. Alicias Gefühle für Kathrin nehmen zu, aber sie traut sich nicht, mit ihr darüber zu reden. Nach einer Geburtstagsfeier erfährt Alicia, dass Kathrin auf Männer steht. Für Alicia bricht eine Welt zusammen. Doch das Leben hält mitunter eine Überraschung für einen bereit und ein Ende bedeutet nicht automatisch, dass es vorbei ist.

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Michelle Zerwas

Liebesbrief auf Wolke 7

Wolken-Reihe: Band 1

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

1

Alicia erwachte, weil ein Sonnenstrahl ihre Nase kitzelte, der sich durchs Fenster hinein stahl. Besser konnte der erste Urlaubstag nicht beginnen. Sie rekelte sich noch einmal ausgiebig im Bett, bevor sie in den Tag startete.

Als sie gerade auf dem Weg zum Bad war, klingelte ihr Handy. Sie wollte zum Schlafzimmer laufen, weil ihr Handy dort auf dem Nachttisch lag, doch auf halbem Wege über den Flur kam ihr Hund Zodiak schwanzwedelnd auf sie zu. Das Handy trug er im Maul. Sie hatte ihm das Kunststück beigebracht. Alicia streckte Zodiak ihre ausgestreckte Hand hin und er legte gehorsam das Gerät hinein.

„Danke, mein Guter“, lobte sie ihn und kraulte ihn ausgiebig zwischen den Ohren. Das mochte er am liebsten, stundenlang hätte er es sich gefallen lassen. Manchmal grunzte er dabei sogar genüsslich.

„Hi Nikki“, begrüßte Alicia ihre beste Freundin am Telefon.

„Na, ausgeschlafen?“, erklang Nikkis Stimme.

„Ja, ich bin gerade aufgestanden.“

„Da hab ich ja Glück. Du, ich hab nicht viel Zeit. Magst du heute Mittag mit mir essen gehen?“

„Klar, gerne. Wo treffen wir uns?“

„Bei Pedro?“, schlug Nikki vor.

„Geht klar.“

„Sehr cool. Dann sehen wir uns um 13 Uhr.“

„Super. Ich freu mich.“

„Und ich erst. Also dann, bis später.“

„Bis nachher.“

Gut gelaunt verschwand Alicia im Bad und freute sich nach einer kurzen Katzenwäsche auf ihr Frühstück. Es würde zwar an diesem Morgen kleiner ausfallen, weil sie mit Nikki zum Essen verabredet war, aber nüchtern wollte sie auch nicht ins Restaurant gehen.

Sie goss gerade kochendes Wasser in eine Tasse, da ertönte die Türklingel.

„Wer ist das denn?“, fragte sich Alicia und eilte zur Tür. Sie erwartete niemanden.

Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, sah sie sich einer jungen, blond gelockten Frau gegenüber, die sie anlächelte und ihr ein Päckchen in die Hand drückte, auf dem obenauf einige Briefe lagen.

„Es passt leider nicht in den Briefkasten“, erklärte die Blonde, deren Kleidung sie als Mitarbeiterin der Deutschen Post auszeichnete.

„D-Danke“, stammelte Alicia. Wow, die Frau brachte sie ordentlich aus dem Konzept. Seit Jahren verteilte in dieser Gegend ein äußerst unfreundlicher, dicker, älterer Mann die Post, ein unangenehmer Typ, dem Alicia am liebsten aus dem Weg ging. Umso mehr war sie angetan von der hübschen Blonden, die nun vor ihr stand und sie anstrahlte. Sie war genau der Typ Frau, der Alicia gefiel und ließ ihr Herz sogleich einige Takte schneller schlagen.

„Können Sie mir vielleicht sagen wo die Siemensstraße ist? Ich suche schon eine ganze Weile und finde sie nicht.“

Bevor sie antworten konnte, tauchte Zodiak auf. Alicia hatte keine Ahnung, wie es ihm gelungen war, die Zwischentür zum Flur zu öffnen. Vielleicht hatte sie sie in der Eile nicht richtig geschlossen und er war seinem Beschützerinstinkt gefolgt. Nun taxierte er die Frau und es schien so, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er sie als potenzielle Freundin oder Eindringling einstufen sollte. Am Ende entschied er sich für ein bedrohlich klingendes Bellen.

„Zodiak, Aus!“, sagte Alicia mit scharfer Stimme.

„Ein beeindruckender Hund“, stellte die Postbotin fest und wich einen Schritt zurück.

Alicia konnte es ihr nicht verdenken. Zodiak hatte die Größe eines Schäferhundes, aber sein Fell war silbergrau. Im Tierheim hatten sie ihn als Schäferhund Mischling in der Vermittlung gehabt, aber welche Hunderassen sich in ihm vereinten, konnte niemand sagen.

„Der tut nichts“, sagte Alicia. Dennoch tastete sie vorsichtshalber nach Zodiaks Halsband und hielt ihn fest.

Die Postbotin lachte. „Das ist der Standardspruch, aber ich fürchte, er mag mich nicht besonders. Berufsrisiko. Wir Briefzusteller sind für fast jeden Hund ein rotes Tuch.“

„Er hat einen starken Beschützerinstinkt“, verteidigte Alicia ihren Hund. „Er lässt so schnell niemanden ins Haus, den er nicht kennt.“

„An sich eine gute Sache, aber wenn Sie nicht aufpassen, lässt er Sie auch irgendwann nicht mehr rein.“

„Spätestens dann werde ich ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen, aber ich fürchte, ich bin für ihn ohnehin nur eine Mitbewohnerin. Er ist der Herr im Haus.“

„Wie heißt es immer: Hunde haben Frauchen, Katzen Personal? Ich glaube, Ihrer verwechselt da was.“

Alicia musste schmunzeln. „Kann sein, aber bisher läuft es glücklicherweise ganz gut mit uns beiden.“

„Sehr schön. Können Sie mir dann vielleicht verraten wo ich die Siemensstraße finde?“, erinnerte die Blonde sie an ihr Anliegen.

„Ja, sicher. Sie gehen hier die Straße runter.“ Alicia deutete in die entsprechende Richtung. „An der Kreuzung gehen Sie rechts und gleich die nächste Straße wieder rechts. Sie kommen dann nach einigen Metern zu mehreren Garagen, zwischen denen ein schmaler Feldweg verläuft. Den müssen Sie lang gehen bis zum Ende. Dann geht es links weiter über eine Wiese, an deren Ende es in die Siemensstraße geht.“

„Eine halbe Weltreise“, bemerkte die Postbotin.

„Ja, ich hoffe, ich konnte es einigermaßen verständlich erklären.“

„Ich denke schon. Vielen Dank. Ich werde mich gleich auf den Weg machen, damit ich nichts vergesse.“

Sie machte Anstalten zu gehen. „Schönen Tag noch“, wünschte sie Alicia zum Abschied.

„Danke, ebenso.“ Und weg war sie, lief die Einfahrt hinunter zur Straße, machte sich kurz an ihrer Postkarre zu schaffen und eilte weiter, ohne nochmal zum Haus zurück zu schauen. Alicia schloss nachdenklich die Tür. Das Gespräch ließ sie verwirrt zurück. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal ein derart angenehmes Gespräch mit einer fremden Person geführt hatte.

Sie ging zurück in die Küche, Zodiak folgte ihr und ließ sie nicht aus den Augen, während sie ihren Tee zubereitete. Dabei schossen ihr einige Fragen durch den Kopf. Was war mit dem alten Briefträger los? War er krank und die hübsche Blonde sprang für ihn ein? Hatte er seinen Job an den Nagel gehängt und die Neue hatte seinen Platz eingenommen? Blieb sie längerfristig oder nur vorübergehend, bis ein Ersatz gefunden war? Fragen über Fragen und noch gab es keine Antwort darauf. Eigentlich war es egal, aber sie war schon echt süß.

Sie wandte sich an Zodiak. „Sie war echt süß, oder was meinst du?“

Zodiak antwortete natürlich nicht und sah sie bloß an. Alicia bemerkte den bettelnden Blick in seinen Augen. Wahrscheinlich dachte er nur an sein Futter und verschwendete keinen Gedanken mehr an die Briefträgerin. Er hatte ihr klar gemacht, dass dies sein Revier war, somit war für ihn die Sache erledigt.

„Du hättest etwas netter zu ihr sein können“, beschwerte sie sich bei ihm.

Zodiak winselte leise und leckte sich die Lefzen.

„Du bist mir heute mal wieder so gar keine Hilfe“, beschwerte sich Alicia.

Zodiak ging nun einen Schritt weiter und schob ihr mit der Nase seinen leeren Napf zu, der auf dem Boden stand.

„Du denkst auch nur ans Fressen. Ich habe dich nach deiner Meinung gefragt, aber das scheint dir egal zu sein. Du könntest mir wenigstens zustimmen. Männer machen das nämlich so, damit sie ihre Ruhe haben.“

Zodiak winselte erneut und klang schon ein klein wenig verzweifelter.

„Na also, geht doch“, bemerkte Alicia, nahm eine Dose Hundefutter aus dem Schrank und füllte den Napf.

Zodiak machte sich gierig darüber her, während Alicia an der Anrichte lehnte und nachdenklich aus dem Fenster sah. Zwischendurch nippte sie immer wieder an ihrem Tee.

„Ich hätte sie ja auch begleiten können, wir hätten sie begleiten können, in die Siemensstraße“, richtete Alicia erneut das Wort an Zodiak, der gerade die letzten Reste aus seiner Schüssel schleckte. „Wir könnten ihr hinterher gehen“, sprach sie weiter.

Zodiak sah zu ihr auf und leckte sich genüsslich die Lefzen.

„Wenn du doch bloß mit mir sprechen könntest“, seufzte Alicia. So oft schon hatte sie sich das gewünscht.

„Na ja, aber vielleicht hätte sie es gar nicht so toll gefunden, wenn ich ihr hinterher gelaufen wäre“, überlegte Alicia laut.

Zodiak interessierten ihre Worte herzlich wenig. Er lief zur Haustür und bellte.

Alicia ging zu ihm. „Darf ich vielleicht auch erstmal frühstücken, bevor wir raus gehen?“

Zodiak schnappte sich mit seinem Maul die Hundeleine, die Alicia immer achtlos auf der kleinen Kommode im Flur ablegte, und kam damit zu ihr.

„Du bist ein richtiger Gauner“, schimpfte Alicia halbherzig. Danach ging sie zurück in die Küche, angelte unter Zodiaks strengem Blick einen Müsliriegel aus dem Schrank, riss die Verpackung auf und biss ein Stück ab. Während sie kaute, befestigte sie die Leine am Halsband, griff sich im Flur im Vorbeigehen ihren Schlüsselbund und verließ mit Zodiak das Haus.

Draußen sah sie sich um, beinahe so, als hoffte sie, die gelbe Postkarre noch irgendwo zu sehen. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Die neue Postbotin war längst über alle Berge.

Mit schnellen Schritten marschierte sie los, wollte ihren Gedanken davonlaufen. Doch manche Begegnungen wirkten nach und ließen einen für den Rest des Tages nicht mehr los.

2

Nikki erwartete Alicia bereits, als sie mit Zodiak im Schlepptau ins Restaurant kam, und lächelte ihr freudig zu. Sie sprang auf und fiel Alicia um den Hals.

„Schön, dich zu sehen.“

„Ich freue mich auch“, sagte Alicia.

Nikki begrüßte Zodiak ausgiebig und kraulte ihn lange.

„Na, mein Guter, geht’s dir gut?“

Zodiak hechelte aufgeregt und drängte sich Nikkis streichelnden Händen entgegen.

„Er hätte nichts dagegen stundenlang von dir gekrault zu werden“, sagte Alicia lachend.

„Das könnte dir so passen“, sprach Nikki mit Zodiak. „Ich hab Hunger und bin zum Essen hier, nicht zum Kuscheln.“

Die beiden Frauen ließen sich am Tisch nieder und Alicia sorgte dafür, dass Zodiak sich halb unter dem Tisch ablegte. Die Leine schlang sie locker um eines der Stuhlbeine. Sie vertraute ihrem Hund. Er war gut erzogen.

„Was gibt’s Neues?“, wollte Nikki wissen und schlug die Speisekarte auf.

„Nicht viel. Ich bin heute Morgen ganz entspannt in meinen ersten Urlaubstag gestartet.“

„Du Glückliche. Ich muss noch drei Wochen ran, dann darf ich auch endlich wieder für zwei Wochen die Füße hoch legen.“

„Du Arme.“ Alicia vertiefte sich ebenfalls in die Speisekarte.

Sie schwiegen beide eine Weile und schlugen beinahe zeitgleich die Speisekarte wieder zu, worüber sie lächeln mussten.

„Gibt es nichts Spannendes, was du mir erzählen könntest?“, fragte Nikki. „Ich hatte gehofft, etwas Neues zu erfahren.“

„Wir haben eine neue Briefträgerin“, platzte es aus Alicia heraus.

Nikki riss überrascht die Augen auf. „Wow, echt? Nicht mehr der olle Stinkstiefel, der immer mies drauf war?“

„Ich weiß es noch nicht genau. Vielleicht ist sie nur die Vertretung, weil der Stinkstiefel krank ist.“

„Ist sie nett?“

„Ja, schon irgendwie.“ Alicia spürte, wie sie errötete. Sie versuchte dagegen anzukämpfen, machte es damit aber nur schlimmer.

„Hattest du schon näheren Kontakt mit ihr?“, fragte Nikki weiter.

„Sie hat geklingelt, weil mein Briefkasten zu klein war und wir haben kurz geredet.“ Alicias Wangen glühten, was Nikki nicht entging.

„Ist sie hübsch?“, bohrte Nikki weiter.

„Ja… sie sieht schon ganz gut aus. Warum willst du das alles wissen?“, reagierte Alicia etwas zu heftig auf Nikkis Frage. Ihre Wangen leuchteten inzwischen wie eine rote Ampel.

„Sie gefällt dir“, stellte Nikki lächelnd fest. „Gib es zu!“

„So ein Quatsch“, schwindelte Alicia. „Ich kenne sie doch gar nicht.“

„Ich muss dich bloß ansehen und weiß Bescheid. Du brauchst es nicht leugnen. Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, was los ist.“

„Also gut“, lenkte Alicia ein. „Sie ist schon sehr süß, aber ich weiß doch gar nichts über sie.“

Nikki zuckte mit den Schultern. „Na und. Was nicht ist, kann ja noch werden.“

„Sie steht bestimmt nicht auf Frauen. Sei doch mal realistisch. Das wäre schon ein ziemlicher Zufall.“

„Alles ist möglich, zu jeder Zeit. Es kann sein, dass sie jetzt nicht auf Frauen steht, aber das muss ja nicht so bleiben. Vielleicht verliebt sie sich in dich.“

„Verlieben? Ist das nicht etwas weit her geholt? Ich weiß ja nicht mal ihren Namen.“

„Das lässt sich raus finden“, meinte Nikki. „Die Post kommt schließlich täglich, somit hast du jeden Tag eine neue Chance mehr über sie raus zu finden.“

„Toll, und wie soll das gehen? Soll ich etwa den ganzen Tag am Fenster stehen und auf sie warten, so wie Zodiak wartet, bis ich von der Arbeit nach Hause komme?“

„Warum nicht? Der Zweck heiligt die Mittel.“

„Das ist ja beinahe schon Stalking“, überlegte Alicia.

„Unsinn. Sie weiß es doch nicht und in deinen eigenen vier Wänden kannst du so lange am Fenster stehen, wie du willst, ohne irgendjemandem dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Du merkst dann schon selbst, ob es ihr unangenehm ist dich häufiger zu sehen oder sie sich freut. Probier es einfach aus. Du hast nichts zu verlieren. Vor allem jetzt, wo du Urlaub hast, ist das die perfekte Gelegenheit.“

„Mal sehen.“

„Nichts mal sehen. Eine neue Liebe wird dir gut tun. Du hast lange genug Sofie hinterher getrauert nach eurer Trennung.“

„Ich habe sie erst einmal gesehen und du sprichst gleich von einer neuen Liebe. Ich finde, du bist ein wenig zu euphorisch.“

Nikki schüttelte den Kopf. „Nö, ich bin optimistisch und das solltest du auch sein. Jede Liebe beginnt mit einer ersten Begegnung. Anders geht es nicht.“

„Aber…“, wollte Alicia protestieren. Doch Nikki fiel ihr ins Wort.

„Kein Aber. Sie gefällt dir und es ist viel zu lange her, seit dir das letzte Mal eine Frau gefallen hat. Es ist deine Pflicht sie kennenzulernen.“

Alicia seufzte ergeben. Das war wieder typisch Nikki. Nachdem Sofie sie verlassen hatte und sie eine Weile in ihrer Trauer versunken war, hatte Nikki immer wieder versucht sie mit einer ihrer zahlreichen Bekannten zu verkuppeln. Sie kannte gefühlt jede Lesbe in der Stadt und viele über die Stadtgrenzen hinaus. Erst als Alicia ihr ziemlich deutlich klar gemacht hatte, dass sie so schnell nicht bereit war für eine neue Liebe, hatte Nikki ihre Verkupplungsversuche eingestellt. Umso mehr war sie nun Feuer und Flamme und wenn Alicia nicht aufpasste, nahm Nikki am Ende die Sache in die Hand und versuchte sie mit der Postbotin zu verkuppeln.

„Sie steht bestimmt nicht auf Frauen“, sagte Alicia nochmal. „Dann müsstest du sie schließlich kennen. Du bist doch mit jeder Lesbe im Umkreis von mindestens hundert Kilometern bekannt.“

„Hm“, überlegte Nikki. „Da hast du eigentlich Recht.“ Sie dachte einen Moment nach. „Eine Postbotin ist mir tatsächlich nicht bekannt, aber vielleicht ist sie neu hier, Frischfleisch sozusagen. Ich kann mich ja mal umhören.“

Eigentlich war das Alicia nicht recht, aber sie wusste, egal, was sie sagte, Nikki machte es trotzdem.

„Wie läuft´s eigentlich mit dir und Mareike?“, fragte Alicia, damit Nikki endlich das Thema Postbotin ruhen ließ.

„Bei uns läuft´s super. Sie hat mich vor ein paar Tagen mit einem romantischen Abendessen überrascht und danach… na ja, du weißt schon.“

„Ich verstehe“, sagte Alicia lachend.

„Kommt hier eigentlich niemand, der die Bestellungen aufnimmt?“, fragte Nikki und sah sich um. „Meine Mittagspause ist ja nicht endlos.“

Eine Bedienung kam gerade aus der Küche. Nikki winkte ihr zu. „Hallo! Wir möchten gerne bestellen.“

„Ich bin sofort bei Ihnen?“

Kaum eine Minute später tauchte sie an ihrem Tisch auf.

„Was darf es sein?“

Alicia und Nikki gaben ihre Bestellungen auf.

„Wo waren wir stehen geblieben?“, fragte Nikki, als die Bedienung weg war.

„Bei dir und Mareike.“

„Sie ist echt eine tolle Frau. Für sie lohnt es sich mich festzulegen.“

„Du und eine feste Beziehung, wer hätte das gedacht? Na ja, irgendwann will man auch mal ankommen“, meinte Alicia.

„Stimmt. Das gilt aber auch für dich.“

„Fängst du schon wieder damit an? Alles kommt zu seiner Zeit und sobald der richtige Moment da ist, kommt eine neue Liebe in mein Leben.“

„Du willst die Sache dem Schicksal überlassen?“

„Ja, warum nicht?“

„Weil man dem Schicksal auch ein wenig auf die Sprünge helfen darf.“

„Hätte ich dir bloß nichts erzählt. Jetzt wirst du mich mindestens fünfmal täglich anrufen und nachfragen, was es Neues gibt.“

„Ich finde es gut, dass du es mir erzählt hast. So kann ich dich sanft in die richtige Richtung dirigieren.“

„Du und sanft? Schon klar. Wenn es nach dir ginge, müsste heute Abend schon das erste Date stattfinden.“

„Das Leben ist zu kurz, um es mit warten zu verbringen.“

Ihr Gespräch wurde unterbrochen, weil das Essen kam.

„Das sieht ja wieder gut aus“, meinte Nikki. „Guten Appetit.“

„Danke, gleichfalls.“

Einige Minuten aßen sie schweigend. Auf einmal kramte Nikki in ihrer Tasche.“ Jetzt hätte ich beinahe das Wichtigste vergessen“, sagte sie und schob Alicia über den Tisch einen Briefumschlag zu.

„Was ist das?“

„Mach auf!“

Alicia legte ihr Besteck zur Seite und öffnete den Umschlag.

„Wenn ich gewusst hätte, dass du ein Auge auf deine Briefträgerin geworfen hast, hätte ich den Brief natürlich mit der Post geschickt, sogar per Einschreiben, damit sie klingeln muss.“

Alicia warf Nikki einen bösen Blick zu und zog eine Karte aus dem Umschlag.

Einladung, las Alicia.

„Mareike würde sich freuen, wenn du zu ihrem Geburtstag kommst.“

„Sehr gerne. Sag ihr, dass ich mich sehr freue.“

“Mach ich. Du kannst übrigens auch gerne deine Postbotin mitbringen.“

Ein genervter Blick traf Nikki. „Willst du vielleicht schon mal anfangen die Hochzeit zu organisieren? Man, ich kenne die Frau überhaupt nicht und sehr wahrscheinlich hat sie null Interesse an mir.“

„Ich sage ja nur, wenn ihr bis dahin zusammen gekommen seid, kannst du sie gerne mitbringen. Kein Grund gleich sauer zu werden.“

„Ich bin nicht sauer, nur genervt. Weißt du, mit wie vielen Leuten ich täglich bei der Arbeit Kontakt habe? Da kommen auch einige nette Leute und da versuchst du auch nicht gleich mich mit jeder Kundin zu verkuppeln.“

„Bisher hast du auch noch nie so gestrahlt, wenn du mir von deinen Kunden erzählt hast, wie vorhin bei deiner Postbotin“, verteidigte sich Nikki. „Aber wenn du darauf bestehst, halte ich mich in Zukunft zurück.“

„Das schaffst du ja sowieso nicht.“

„Doch, indem ich bloß einmal am Tag anrufe, um dich auszufragen und nicht fünfmal.“

Alicia seufzte. Das war wieder typisch Nikki. Manchmal konnte sie echt anstrengend sein. Auf der anderen Seite war sie aber auch eine sehr gute Freundin und immer da, wenn man sie brauchte.

„Was gibt’s sonst Neues?“, fragte Nikki.

„Nichts. Du weißt doch, mein Leben ist nicht so spannend wie deins.“

„Weil du nie raus gehst, um neue Leute kennenzulernen“, meinte Nikki mit leichtem Vorwurf in der Stimme.

„Du weißt, dass das nicht mein Ding ist. Erzähl mir lieber von dir. Es gibt doch sicher Neuigkeiten.“

„Nur die üblichen Streitereien im Büro. Manchmal ist es das reinste Irrenhaus.“

„Das klingt nicht gut.“

„Ist es auch nicht.“

Bevor Nikki ausholen konnte, um sich ausführlich über ihre Kollegen auszulassen, trat jemand an ihren Tisch und stellte zwei Dessertschälchen mit Schokoladencreme vor sie hin.

„Ein kleiner Nachtisch für meine Lieblingsgäste“, sagte Pedro, der Besitzer des Restaurants.

„Du verwöhnst uns ja wieder“, schwärmte Nikki.

„Purer Eigennutz“, sprach Pedro. „Ich habe ein neues Rezept ausprobiert und ihr müsst probieren.“ Er nahm sich einen Stuhl vom Nachbartisch und setzte sich zu den beiden.

„Geht’s euch gut?“, fragte er.

„Ja, alles so weit in Ordnung“, antwortete Nikki und steckte sich die letzte Ravioli von ihrem Teller in den Mund.

„Und wie geht’s dir?“, erkundigte sich Alicia.

„Nicht gut. Alfonso hat mit mir Schluss gemacht.“

„Nein, nicht ernsthaft.“ Nikki riss überrascht die Augen weit auf. „Wann und warum?“

„Er sagt, er liebt mich nicht mehr.“

„Oh nein, das tut mir leid“, sagte Nikki.

„Mir auch“, fiel Alicia ein. „Ihr wart so ein süßes Paar.“

Pedro zuckte mit den Schultern. „Vorbei ist vorbei. Da kann man nichts machen.“ Er versuchte stark zu sein, so wie Männer nun einmal waren, aber Nikki und Alicia spürten genau, wie schlecht es ihrem Freund ging.

Er schob den beiden Frauen den Nachtisch zu. „Na los, ich bin auf eure Meinung gespannt.“

Nikki ließ sich nicht lange bitten. Süßigkeiten konnte sie nicht widerstehen.

Sie steckte sich einen Löffel der süßen Versuchung in den Mund und schloss genüsslich die Augen.

„Sehr geil“, sagte sie. „Kennt ihr das, wenn ihr beim Essen fast einen Orgasmus bekommt?“

Alicia errötete ein wenig. Sie sprach nicht gerne über solch intime Dinge. Pedro hatte da weniger Hemmungen.

„Dann ist es genau richtig“, sagte er begeistert. „Essen ist wie Liebe.“

„Du musst auch probieren“, forderte Pedro Alicia auf. „Vielleicht bekommst du auch einen Orgasmus.“ Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

„Wenn sie an ihre neue Eroberung denkt ganz sicher“, platzte es aus Nikki heraus.

Alicia hätte ihr dafür am liebsten einen Tritt verpasst, aber Zodiak lag zwischen ihnen.

„Du hast eine neue Freundin?“, fragte Pedro begeistert. Er war mindestens so neugierig wie Nikki.

„Nein, hab ich nicht.“

„Aber bald.“ Nikki war wieder bei ihrem Lieblingsthema.

„Ich dachte, wir waren uns einig nicht mehr darüber zu reden“, sagte Alicia vorwurfsvoll.

„Ich muss jetzt sowieso los. Meine Mittagspause ist zu Ende.“ Sie reichte Pedro einen Geldschein. „Stimmt so.“

„Danke.“

Bevor sie ging, richtete sie das Wort nochmal an Alicia. „Ich melde mich bei dir.“

„Mach das.“

Alicia blieb mit Pedro allein zurück.

„Was sagst du zu meinem neuen Dessert?“, wollte er wissen.

„Ich finde es sehr gut. Die Creme zergeht auf der Zunge.“

„Das wollte ich hören. Ich muss jetzt zurück in die Küche. Wir müssen viel vorbereiten. Heute Abend erwarten wir sehr viele Gäste.“

„Ich muss auch los“, sagte Alicia. Es gab zwar nicht wirklich einen Grund für sie aufzubrechen, weil sie für den Tag nichts geplant hatte, aber alleine im Restaurant rum sitzen, war nicht ihr Ding. Sie zahlte ihre Rechnung und stand auf.

„Wir sehen uns“, verabschiedete sie sich von Pedro.

„Bis demnächst.“ Pedro rauschte davon und Alicia machte sich mit Zodiak auf den Heimweg.

 

3

Am nächsten Morgen wurde Alicia etwas unsanft geweckt, weil ihr jemand das Gesicht abschleckte. Als sie die Augen öffnete, sah sie einen großen Hundekopf über sich.

Sie stieß Zodiak von sich. Er ließ sich neben ihrem Bett nieder und sah sie erwartungsvoll an. Alicia griff nach ihrem Handy auf dem Nachttisch, um auf die Uhr zu schauen.

„Zodiak, wir haben nicht mal 8 Uhr. Bist du verrückt mich so früh zu wecken? Ich hab Urlaub.“

Zodiak verstand ihre Worte falsch, sprang mit einem Satz aufs Bett und ließ sich neben sie plumpsen.

„Ich hab dir nicht erlaubt ins Bett zu kommen“, tadelte sie ihn.

Zodiak interessierten ihre Worte nicht. Er ließ seinen Kopf auf seine Vorderbeine sinken und begann vor sich hin zu dösen. Alicia kuschelte sich an Zodiak und versuchte wieder einzuschlafen, doch der Schlaf war ihr an diesem Morgen nicht vergönnt. Ein Klingeln an der Haustür ließ sie aus ihrem Dämmerschlaf schrecken. Zodiak sprang auf und raste bellend die Treppe nach unten. Alicia brauchte etwas länger. Sie quälte sich aus dem Bett, eilte auf den Flur und nahm den Hörer der Sprechanlage ab.

„Hallo?“, sagte sie.

„Guten Morgen, hier ist Ihr Schornsteinfeger“, hörte sie eine Stimme.

Sie verdrehte genervt die Augen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

„Einen Moment, bitte. Ich bin gleich da.“

Sie raste zurück in ihr Schlafzimmer, zog ihr Schlafshirt aus und schlüpfte in ihre Klamotten vom Vortag. Sie fuhr sich mit den Fingern ein paar Mal durch die Haare, damit sie nicht aussah wie ein explodierter Wischmopp und raste nach unten. Zodiak stand an der Haustür und machte noch immer ein Höllenspektakel.

„Zodiak, es reicht.“ Sie nahm ihn am Halsband und verfrachtete ihn in die Küche, damit er nicht über den Schornsteinfeger her fiel. Dann öffnete sie die Tür.

„Guten Morgen“, grüßte der Schornsteinfeger.

„Guten Morgen“, erwiderte Alicia den Gruß, obwohl es alles andere als ein guter Morgen war. Sie hatte ausschlafen wollen, um danach gemütlich und entspannt in den Tag zu starten.

Während sie dem Schornsteinfeger den Weg zum Speicher zeigte, nahm Zodiak offensichtlich die Küche auseinander. Er bellte und mehrmals hörte sie ein lautes Scheppern.

„Ich schaue mal nach meinem Hund“, sagte Alicia entschuldigend, als der Schornsteinfeger gerade die Speichertreppe hinauf kletterte.

„Das erscheint mir sehr sinnvoll“, erwiderte der Mann. „Die Geräusche klingen nicht gut.“

Alicia raste wieder nach unten. Als sie die Küchentür öffnete, schaffte es Zodiak beinahe sich an ihr vorbei zu drängeln. Im letzten Moment konnte sie ihn aufhalten.

„Hiergeblieben, mein Freund. Was veranstaltest du hier?“ Sie sah sich in der Küche um. Der leere Futternapf stand nicht mehr an seinem Platz, sondern lag halb unter dem Tisch und die Töpfe mit den Kräutern, die normalerweise auf der Fensterbank standen, lagen am Boden.

„Was ist los mit dir?“

Sie ging hinüber zum Fenster, hob die Töpfe auf und stellte sie zurück auf die Fensterbank.

„Schau nur, was du angerichtet hast“, schimpfte sie mit ihm.

Der Fußboden war mit Blumenerde bedeckt, die Zodiak mit den Pfoten in der ganzen Küche verteilt hatte.

Wütend kehrte sie alles zusammen. Was für ein beschissener Vormittag.

„Frau Kenntner?“, vernahm sie die Stimme des Schornsteinfegers.

„Ja, ich komme sofort. Und du benimmst dich gefälligst“, zischte sie Zodiak zu, bevor sie die Küche verließ.

„Oben bin ich fertig. Ich müsste noch in den Keller“, sprach der Schornsteinfeger.

„Kein Problem.“ Sie knipste das Licht im Keller an und ging voraus.

 

Als sie eine Viertelstunde später in die Küche zurückkehrte, glücklich darüber, dass der Schornsteinfeger wieder weg war, erwischte sie Zodiak bei einer weiteren Untat. Er lag auf dem Boden und kaute auf dem Holzstiel des Besens herum.

„Was ist denn heute los mit dir?“, schimpfte sie und wollte ihm den Besen abnehmen.

Zodiak knurrte.

„Aus, Zodiak!“, sagte sie streng und erzielte damit die gewünschte Wirkung. Er ließ von dem Besenstiel ab.

Erschöpft ließ sich Alicia auf einen Stuhl fallen. Was für ein Vormittag. So hatte sie sich ihren Urlaub nicht vorgestellt. Nach einer Weile schlich Zodiak auf sie zu und legte seinen Kopf auf ihren Schoß.

„Willst du dich entschuldigen?“

Zodiak sah zu ihr auf und winselte leise.

„Manchmal treibst du mich zur Weißglut“, sagte Alicia. „Aber ich liebe dich trotzdem.“

Zodiak hörte anscheinend am Tonfall ihrer Stimme, dass sie ihm nicht länger böse war. Er lief in den Flur und kam kurz darauf mit seiner Leine im Maul zurück.

„Also gut, du hast gewonnen. Wir gehen raus.“

Seufzend stand sie auf, hakte die Leine am Halsband fest und verließ das Haus. Draußen war es schon sehr warm, fast zu warm. Nach wenigen Metern hechelte Zodiak stark, weshalb sie sich für eine kleine Runde entschied.

 

Eine gute halbe Stunde später kehrte sie nach Hause zurück und hatte ordentlich Hunger. Es wurde höchste Zeit fürs Frühstück. Sie überließ Zodiak sich selbst und widmete sich der Zubereitung ihres Frühstücks. Schon seit Tagen hatte sie Lust auf selbstgemachte Waffeln, aber im täglichen Alltagsstress fehlte ihr meistens die Zeit für die Zubereitung. Nun, da sie Urlaub hatte, nahm sie das Projekt in Angriff.

Ein paar Minuten später backte die erste Waffel im Waffeleisen vor sich hin und der Duft verwandelte ihre Küche in eine Backstube. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sie hätte am liebsten sofort in die dampfende Waffel hinein gebissen, als sie sie aus dem Waffeleisen nahm. Stattdessen legte sie sie zum Abkühlen auf einen Teller und verteilte eine weitere Ladung Teig auf dem heißen Eisen.

Der süße Gebäckduft hob ihre Stimmung, sie summte vergnügt vor sich hin. Vielleicht wurde der Tag doch noch gut, obwohl er mies angefangen hatte.

Nach einer Weile hörte sie Zodiak im Flur bellen. Sie ging zu ihm. Er stand an der Haustür, bellte und bearbeitete die Tür mit den Pfoten.

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“

Zodiak beantwortete ihre Frage mit einem weiteren Bellen.

„Willst du raus?“ Sie hielt Zodiak am Halsband fest, öffnete die Tür und sah sich um, ob vielleicht jemand gekommen war. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Sie ließ Zodiak gehen, lief aber gemeinsam mit ihm nach draußen, um das Gartentor abzuschließen, damit er nicht ausbüxen konnte. Danach kehrte sie ins Haus zurück und ließ die Haustür offen, damit Zodiak wieder rein kommen konnte, wenn er im Garten alles erledigt hatte.

Aus dem Waffeleisen quoll Qualm, der bestialisch stank und den schönen Zuckerbäckerduft vertrieb. Sie stürzte auf das Gerät zu und hob den Deckel ab, eine verkohlte, schwarze Masse kam zum Vorschein.

„Na toll. So viel dazu, dass der Tag vielleicht doch noch besser wird.“

Sie kratzte die verbrannten Überreste der Waffel ab und startete einen neuen Versuch.

Nach einer Weile war der Waffelberg ganz schön angewachsen. Sie hatte zu viel Teig gemacht und so wie es aussah, gab es den Rest der Woche Waffeln.

Endlich war es geschafft, der Teig war verarbeitet und sie konnte ihrem leeren Magen etwas Gutes tun. Genüsslich bestrich sie eine Waffel mit Nutella und eine weitere mit Erdbeermarmelade. Es war vielleicht nicht das gesündeste Frühstück, aber es schmeckte.

Sie wollte gerade eine dritte Waffel mit Nutella bestreichen, da hörte sie Zodiak draußen bellen.

„Dieser Hund macht mich noch wahnsinnig“, murmelte sie und lief nach draußen.

Zodiak stand am Gartentor und versuchte mit seinem Bellen die Briefträgerin zu vertreiben. Alicia erstarrte kurz, als sie sie sah. Gestern hatten ihre Haare engelsgleich ihr Gesicht umrahmt, heute trug sie sie zum Pferdeschwanz gebunden. Sie redete auf Zodiak ein, als Alicia hinzu kam. Zodiak ließ sich durch Alicias Auftauchen kaum irritieren und verteidigte weiterhin sein Grundstück.

„Zodiak, Aus! Es reicht!“

Augenblicklich verstummte das Bellen, aber er fixierte die Postbotin. Sie schien ihm nicht geheuer zu sein.

„Guten Morgen“, grüßte Alicia.

„Guten Morgen“, erwiderte die Postbotin und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Er mag mich wohl immer noch nicht.“ Ihr Blick zeigte auf Zodiak.

„Seine extreme Wachsamkeit ist manchmal anstrengend“, meinte Alicia. „Bisher konnte ich das nicht in den Griff kriegen.“

„Ich habe mich gestern auf solche Fälle vorbereitet“, sagte die Postbotin. Sie griff in ihre Hosentasche und zog eine Tüte heraus. Das Rascheln der Verpackung weckte Zodiaks Interesse.

„Leckerchen für Hunde. Vielleicht kann ich mir damit ein wenig Sympathie bei den besonders schwierigen Fällen sichern“, erklärte sie. „Darf er eins haben?“

„Ja, darf er“, gab Alicia die Erlaubnis. Ihr Gegenüber machte sich an der Tüte zu schaffen und zog ein Leckerchen heraus.

„Hoffentlich mag er sie.“

„Klar, er frisst alles“, sagte Alicia.

Vorsichtig steckte sie das Leckerchen durch das Tor. Zodiak schnüffelte zuerst misstrauisch, nicht sicher, ob er der Fremden trauen konnte, dann nahm er das Leckerchen behutsam.

„Es scheint zu funktionieren“, bemerkte die Postbotin lächelnd.

Alicia betrachtete sie verzückt. Sie hatte ein wunderschönes, warmherziges Lächeln und der Klang ihrer Stimme brachte ihr Herz dazu schneller zu schlagen.

„Zodiak ist bestechlich“, meinte Alicia. „Mit Leckerchen erreicht man bei ihm fast alles.“

„Gut zu wissen. Somit gehören die nun zu meiner täglichen Grundausstattung.“

„Dann werden Sie schon bald die Sympathie aller Hunde erlangt haben, die in dieser Gegend leben.“

„Na, ob das so leicht wird, wage ich zu bezweifeln.“

„Das wird schon“, sagte Alicia lächelnd. „Haben Sie gestern eigentlich den Weg gut gefunden?“

„Ja, dank der tollen Erklärung war es kein Problem.

„Das freut mich. Wenn Sie wieder mal Hilfe brauchen, klingeln Sie einfach bei mir. Ich habe die nächsten zwei Wochen Urlaub und da ich mit Zodiak viel unterwegs bin, kenne ich mich hier in der Gegend ganz gut aus.“

„Vielen Dank, für das Angebot. Darauf komme ich gerne zurück, wenn ich mal wieder nicht weiter weiß.“

„Stellen Sie hier nur vertretungsweise die Post zu?“

„Wenn ich die Probezeit bestehe, bleibe ich erstmal.“

„Ach, wie schön. Ihr Vorgänger war… wie soll ich sagen… nicht besonders sympathisch.“

„Das habe ich schon öfter gehört. Muss ja ein ziemlich unfreundlicher Zeitgenosse gewesen sein.“

„Ja, das kann man so sagen.“

„Das Leckerchen scheint tatsächlich etwas bewirkt zu haben“, bemerkte sie und deutete auf Zodiak, der sich auf dem Rasen niedergelassen hatte, die Fremde jedoch nicht aus den Augen ließ.

„Vielleicht wird aus Misstrauen irgendwann Freundschaft.“

„Ja, vielleicht. Ich bin übrigens Kathrin.“ Sie reichte Alicia die Hand.

„Alicia.“

„Jetzt könnte das mit der Freundschaft tatsächlich was werden, wo wir uns alle beim Namen kennen“, sagte Kathrin schmunzelnd.

„Ganz bestimmt“, erwiderte Alicia. Sie wunderte sich über sich selbst. Die kurze Berührung hatte ihre Knie weich werden lassen und ihr Herz raste ungewöhnlich schnell. Was war bloß los? Bahnte sich da etwas an? Nein, das war nicht möglich.

„Ich muss jetzt auch mal weiter“, sagte Kathrin. Sie griff in ihre Postkarre, nahm ein paar Briefe heraus und klappte den Deckel nach unten.

„Magst du vielleicht eine Waffel?“, fragte Alicia, die Kathrin unbedingt zum Bleiben bewegen wollte. „Ich habe vorhin welche gebacken.“

„Das klingt verlockend“, meinte Kathrin.

„Aber?“, hakte Alicia nach.

„Na ja, ich möchte ungern, dass mir am Ende jemand Bestechlichkeit vorwirft.“

Alicia runzelte verwirrt die Stirn. „Wer sollte so etwas tun?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht einer deiner Nachbarn.“

„Ich kann sie dir ja so einpacken, dass es niemand sieht.“

„Das wäre eine Möglichkeit. Unter diesen Umständen sage ich nicht Nein.“ Sie schenkte Alicia ein strahlendes Lächeln. Der Anblick löste bei Alicia eine wohlige Gänsehaut aus.

„Ich bin gleich wieder zurück.“ Alicia eilte davon. Zodiak blieb an Ort und Stelle und bewachte das Tor.

Kurz darauf kehrte Alicia zurück und überreichte Kathrin eine Waffel, die sie ganz unverdächtig in Alufolie gewickelt hatte.

„Danke, das ist sehr lieb.“ Kathrin schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Wenn man den ganzen Tag durch die Gegend läuft, tut eine kleine Stärkung zwischendurch ganz gut.“

„Das stimmt.“

„So, ich muss jetzt aber wirklich weiter, sonst schaffe ich meine Runde nicht.“ Sie umfasste den Griff der Postkarre und Alicias Blick fiel auf Kathrins Hände. Sie waren zierlich, mit langen Fingern und sehr gepflegt. Alicia gefiel, was sie sah. Schöne Hände waren ihr bei einer Frau sehr wichtig.

„So, dann bis morgen“, sagte Kathrin.

„Ich wünsche dir einen schönen Tag.“

„Danke, hab du auch einen schönen Tag. Bis morgen.“

Kathrin lief los und Alicia sah ihr hinterher. Als sie es selbst merkte, wandte sie den Blick rasch ab. Wie peinlich! Kathrin durfte auf keinen Fall merken, dass sie ihr gefiel.

„Kommst du mit rein?“, sprach sie Zodiak an und entfernte sich einige Schritte von ihm.

Zodiak machte keine Anstalten ihr zu folgen.

„Es gibt Waffeln“, versuchte sie ihn zu bestechen, aber das half auch nicht und so kehrte Alicia allein ins Haus zurück, um ihr Frühstück zu beenden. Allerdings bekam sie keinen Bissen mehr runter. Ihr Magen war mit Schmetterlingen und Aufregung gefüllt.

„Du solltest dich besser nicht in sie verlieben“, sprach sie laut zu sich selbst. „Wenn Nikki sie nicht kennt und auch keiner ihrer Kontakte, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie auf Frauen steht.“

In Gedanken versunken räumte sie die Küche auf.

 

4

Am Abend hatte Alicia es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht, auf dem Tisch vor ihr stand eine dampfende Tasse Früchtetee und sie schmökerte in einer Psychologie Zeitschrift. Zodiak kuschelte neben ihr auf dem Sofa, hatte seinen Kopf auf die Vorderpfoten gelegt und döste vor sich hin. Das Klingeln der Türglocke störte ihre friedliche Zweisamkeit. Zodiak war sofort hellwach. Er sprang vom Sofa und war schneller an der Haustür, als Alicia ihre Zeitschrift zur Seite legen konnte. Lustlos folgte sie Zodiak. Sie erwartete niemanden und hatte auch keine Lust auf Besuch. Warum sie dennoch die Tür öffnete, wusste sie selbst nicht.

Nikki fragte nicht lange, ob sie ungelegen kam, mit so etwas hielt sie sich nie lange auf. Zodiak freute sich über den unerwarteten Besuch. Er liebte Nikki, woran die Leckerchen in ihrer Tasche sicher nicht ganz unschuldig waren. Nikki ging voraus ins Wohnzimmer.

„Magst du auch einen Tee?“, rief Alicia ihr nach.

„Ja, gerne.“

„Es ist ganz schön frisch draußen“, meinte Nikki, als Alicia mit dem Tee ins Wohnzimmer kam.

„Ja, das stimmt und heute Nachmittag war es so heiß.“

„Da hat man sich ganz schnell eine Erkältung eingefangen“, sagte Nikki.

„Hör bloß auf.“

Alicia stellte die Tasse auf dem Tisch ab und ließ sich neben Nikki auf dem Sofa nieder, die damit beschäftigt war Zodiak ausgiebig zu kraulen.

„Ich habe Neuigkeiten“, rückte Nikki gleich mit der Sprache raus.

„Ach ja? Dann lass mal hören.“

„Ich habe mein gesamtes lesbisches Netzwerk mobilisiert, aber niemand kennt eine Briefträgerin.“

„Ich habe dir ja gleich gesagt, dass sie nicht auf Frauen steht.“ Für Alicia war es keine Überraschung. Sie hatte es sich gleich gedacht, ein wenig enttäuscht war sie schon, ließ es sich aber nicht anmerken.

„Oder sie ist wirklich ganz neu hier und deshalb kennt sie niemand.“

„Schon möglich, aber du musst dir nicht so viele Umstände deswegen machen.“

„Das sind keine Umstände. Ich bin ja auch daran interessiert herauszufinden, ob es Frischfleisch in unserer Mitte gibt.“

„Frischfleisch, wie das klingt, als wären wir lesbenfressende Monster.“

„Du weißt doch, was ich meine.“

„Ich ja, aber manch anderer nicht.“

„Ist doch egal. Ich bleibe auf jeden Fall an der Sache dran. Wenn man was raus finden will, muss man nur lange genug graben. Gibt es denn was Neues? Hast du sie heute gesehen?“

„Ja, hab ich.“ Alicia musste sofort lächeln, als sie an die Begegnung und das Gespräch vom Vormittag dachte.

Nikki wirkte sehr aufgeregt. „Das ist ja toll. Und wie war’s?“

„Zunächst mal etwas brenzlig. Zodiak ist der Meinung mich vor ihr beschützen zu müssen.“

Nikki beugte sich zu Zodiak hinunter. „Das ist nicht gut, Alter. Damit vermasselst du alles.“

Alicia musste lachen. „Ich glaube nicht, dass es gegen sie persönlich geht. Wahrscheinlich mag er einfach die Postboten Uniform nicht. Damit scheinen viele Hunde Probleme zu haben.“

„Oder er spürt, dass sie dir gefällt und will sie deshalb auf Abstand halten, um dich nicht teilen zu müssen.“

„Ich weiß es nicht. Er nimmt aber ihre Leckerchen.“

„Das heißt bei ihm nichts. Wie wir wissen, ist er ein kleiner Fresssack.“

„Sie heißt übrigens Kathrin“, berichtete Alicia nicht ohne eine gehörige Portion Stolz, weil sie das nach so kurzer Zeit bereits herausgefunden hatte.

„Ihr seid schon beim Du? Na, das ging ja schnell.“

„Es hat sich so ergeben. Wir haben eine Weile geplaudert und ich habe ihr eine Waffel geschenkt. Übrigens, magst du auch eine Waffel? Ich habe viel zu viele gemacht.“

„Au ja, da sage ich nicht Nein.“

Alicia lief ein weiteres Mal in die Küche und kehrte mit einem Teller voller Waffeln zurück.

„Die sind alle übrig?“, wunderte sich Nikki.

„Ja, ich sagte doch, dass ich zu viele gemacht habe und die Begegnung mit Kathrin hat mich so sehr aufgewühlt, dass ich danach keinen Bissen mehr runter bekommen habe.“

Erst im Nachhinein wurde Alicia klar, was sie da gerade gesagt hatte.

„Dich hat es ganz schön erwischt“, stellte Nikki fest und schob sich ein weiteres Waffelherz in den Mund.

„Ein bisschen vielleicht“, gab Alicia zu.

„Das ist aber stark untertrieben. Deine Waffeln sind übrigens genial. Ich nehme mir noch eine.“ Sie langte über den Tisch und angelte noch eine Waffel vom Teller.

Alicia seufzte. „Eigentlich kenne ich sie ja gar nicht, aber es fühlt sich irgendwie gut an mit ihr zu reden und ich freue mich darauf sie morgen wiederzusehen.“

„Frag sie doch, ob ihr am Wochenende was zusammen unternehmen könnt.“

„Ist das nicht ein wenig zu früh? Wir kennen uns doch kaum.“

„Je schneller du raus findest, was Sache ist, umso besser. Dann bleibt dir keine Zeit dich lange in etwas hineinzusteigern und die Enttäuschung ist vielleicht nicht ganz so groß, wenn sie kein Interesse hat.“

„Eigentlich hast du Recht.“

„Klar hab ich Recht.“ Nikki nahm sich eine dritte Waffel. „Das ist die letzte. Versprochen!“, sagte sie schuldbewusst.

„Du kannst so viele essen, wie du magst.“

„Du weißt, ich liebe die Dinger, aber wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, bin ich meistens zu faul, um das Waffeleisen anzuschmeißen.“

„Wem sagst du das? Geht mir genauso.“

„Ich bin mir sicher, allein wegen der Waffeln, wird Kathrin dich lieben“, meinte Nikki.

„Schön wär’s, aber so einfach ist es bestimmt nicht.“

„Abwarten.“

„Wie war denn dein Tag?“, wechselte Alicia das Thema.

„Ach, das Übliche. Ich habe mir heute mal die Teeküche vorgenommen. Da sah es aus wie im Schweinestall. Keiner von den Kollegen fühlt sich dafür verantwortlich.“

„Oh je, das klingt übel“, bestätigte Alicia. „Schlimm, wenn man den Leuten alles hinterher räumen muss. Ich ärgere mich auch regelmäßig über meine Kunden, deshalb bin ich froh, dass ich das die nächsten zwei Wochen nicht machen muss, obwohl, mit Zodiak ist es beinahe dasselbe. Er verteilt im ganzen Haus sein Spielzeug und ich darf es wegräumen.“

„Selbst schuld. Warum gibst du ihm auch so viel?“

„Vielleicht weil ich an der Quelle sitze. Ich verkaufe das Zeug und weiß immer als erste, was es neues gibt und dann muss ich es kaufen, damit Zodiak es testen kann.“

„Bin ich froh, dass ich keine Tiere habe.“

„Ich dachte, du magst Tiere“, wunderte sich Alicia.

„Ich liebe Tiere, aber ich möchte selbst keine haben, zu viel Verantwortung. Man kann nicht mehr spontan verreisen, muss sich ständig kümmern… Das ist alles nichts für mich. Wenn ich einen Hund streicheln möchte, komme ich eben zu dir.“

„Eine sehr gute Strategie.“

„Apropos Strategie, welche verfolgst du bezüglich Kathrin?“

„Keine. Du weißt, dass Pläne meistens zum Scheitern verurteilt sind.“

„Na ja, aber du musst doch wissen, wie du vorgehen willst.“

„Ich schaue einfach, was sich ergibt, taste mich langsam ran.“

„Das Leben ist viel zu kurz, um sich zurückzuhalten“, meinte Nikki.

„Ich weiß, bei dir muss immer alles schnell gehen, bei mir aber nicht.“

Zodiak schien instinktiv zu spüren, dass bei den beiden Frauen eine hitzige Diskussion kurz bevor stand und entschied, etwas dagegen zu unternehmen. Er sprang auf, raste zur Haustür und bellte.

„Ich glaube, er muss mal“, meinte Alicia. „Eigentlich müsste ich mit ihm spazieren gehen.“ Sie klang nicht sehr angetan.

„Lass ihn doch einfach kurz in den Garten“, schlug Nikki vor.

Alicia haderte kurz mit sich. Normalerweise war sie sehr verantwortungsbewusst und ein Hund musste nun mal mehrmals am Tag raus, aber an diesem Abend konnte sie sich nicht dazu aufraffen. Stattdessen lief sie zur Terrassentür und öffnete sie.

„Zodiak, komm her!“, rief sie.

Fast im selben Moment kam er angeflitzt, nahm kaum Notiz von ihr und raste nach draußen. Alicia schaltete das Licht auf der Terrasse ein und schloss die Tür.

„Würdest du dich eigentlich von Zodiak trennen, wenn deine Partnerin nicht mit ihm klar kommt oder Zodiak sie nicht mag?“, fragte Nikki.

„Nein, niemals. Mich gibt es nur zusammen mit Zodiak. Man gibt ja auch nicht sein Kind weg.“

„Du würdest für Zodiak auf die Liebe verzichten?“

„Klar, jederzeit.“

„Wow, ich weiß nicht, ob ich das könnte.“

„Du hast kein Tier und weißt deshalb nicht, wie sehr man es lieben kann.“

„Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Dein Tee ist übrigens klasse“, wechselte Nikki das Thema. „Was ist das für eine Sorte?“

„Die Sorte nennt sich Sweety fruits. Ich habe sie in dem kleinen Teeladen in der Stadt entdeckt.“