Liebesglück auf Sylt - Nele Blohm - E-Book
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Liebesglück auf Sylt E-Book

Nele Blohm

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Beschreibung

Alle drei Bände der erfolgreichen »Liebesglück auf Sylt«-Reihe in einem Sammelband: Nora Hansen verkauft in ihrer kleinen Werkstatt auf Sylt selbstgebundene Kränze und Sträuße und bietet in ihren Workshops Dekoratives aus Trockenblumen an. Außerdem hat Nora ein Geheimnis, das sie seit zehn Jahren hütet. Niemand darf erfahren, was damals passiert ist. Schon gar nicht Max, die Liebe ihres Lebens. Doch als Jonte plötzlich zurück auf der Nordseeinsel ist, gerät ihr Herz aus dem Takt und die Bilder von einst schieben sich vor ihr geistiges Auge. Hin- und hergerissen muss Nora vor der malerischen Traumkulisse Sylts zwischen ihrem Herzen und ihrem Verstand entscheiden. Wird es ihr gelingen? Ida Nielsen verwirklicht sich mit ihrem kleinen Laden Nähkomplizin einen großen Kindheitstraum auf Sylt. Dort verkauft sie verschiedene Stoffe, Garn und Selbstgeschneidertes, vorzugsweise für Babys und Kinder. Nur sie selbst hat noch nicht ihr Glück gefunden. Als Moritz Christiansen auf der Nordseeinsel auftaucht, scheint es Liebe auf den ersten Blick zu sein. Während Ida ihr Herz in die Waagschale wirft und sich ihre Zukunft mit Moritz in den schillerndsten Farben vorstellt, ist er von einen Tag auf den anderen von der Nordseeinsel verschwunden. Wird Ida sein Geheimnis lüften können? Kurz vor Weihnachten erhält Svea Ahrens ein Jobangebot als Event-Managerin im renommierten Landhaus Janssen. Am liebsten würde sie sofort ihre Koffer packen und die Stelle antreten. Doch zu ihrem Leidwesen befindet sich das Landhaus Janssen ausgerechnet auf Sylt - jener Insel, der Svea vor knapp fünfzehn Jahren den Rücken gekehrt hat und auf die sie nie wieder einen Fuß setzen wollte. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, die Stelle anzunehmen, und der Angst vor der Vergangenheit, entschließt sich Svea schließlich, ein paar Tage vor Weihnachten auf die Insel zu reisen, um sich die Sache vor Ort durch den Kopf gehen zu lassen. Dumm nur, dass sie gleich bei ihrer Ankunft ihrer Jugendliebe Nils in die Arme läuft und ihr Herz allein bei seinem Anblick völlig aus dem Takt gerät. Dabei war sie doch längst über ihn hinweg. Oder etwa nicht?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nele Blohm

 

Liebesglück auf Sylt

1-3

 

 

 

Über das Buch:

Nora Hansen verkauft in ihrer kleinen Werkstatt auf Sylt selbst gebundene Kränze und Sträuße und bietet in ihren Workshops Dekoratives aus Trockenblumen an. Außerdem hat Nora ein Geheimnis, das sie seit zwölf Jahren hütet. Niemand darf erfahren, was damals passiert ist. Schon gar nicht Max, die Liebe ihres Lebens. Doch als Jonte plötzlich zurück auf der Nordseeinsel ist, gerät ihr Herz aus dem Takt, und die Bilder von einst schieben sich vor ihr geistiges Auge. Hin- und hergerissen muss Nora vor der malerischen Traumkulisse Sylts zwischen ihrem Herzen und ihrem Verstand entscheiden. Wird es ihr gelingen?

 

 

Über die Autorin:

Hinter Nele Blohm steht die erfolgreiche Bestsellerautorin und Selfpublisherin Mila Summers. Sie wurde 1984 in Würzburg geboren. Als Kulturwissenschaftlerin arbeitete sie lange für eine Onlinedruckerei, bevor sie in der Elternzeit zum Schreiben fand, dem sie sich nun ganz widmet. Sie liebt das Meer und Liebesgeschichten mit Happy End, die uns an wunderschöne Orte entführen. Mit Mann, Kindern und ihrem übermütigen Jack Russell Lizzy lebt sie in ihrer Heimatstadt.

 

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Bisher von der Autorin erschienen:

Wie das Leuchten von Bernstein

Dein Flüstern im Meereswind

Weihnachten auf Hiddensee

Die Liebe will Meer

Alles auf Sommer

Weihnachtszauber auf Föhr

Weihnachtsglanz

Meer Zeit für die Liebe

Lass den Sommer in dein Herz

Weihnachtswunder auf Sylt

Ein Syltsommer zum Verlieben

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

NELE

BLOHM

 

 

Meer Zeit für die Liebe

 

Roman

 

 

 

 

Deutsche Erstauflage März 2024

Copyright © Nele Blohm

Lektorat: Textwerkstatt Anne Paulsen

Korrektorat: SW Korrekturen

Covergestaltung: Nadine Kapp

Covermotiv: Shutterstock ©Kamrulhkhkhk, ©Daria Ustiugova

Impressum: D. Hartung

Frankfurter Str. 22

97082 Würzburg

 

 

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Danksagung

Weitere Bücher der Autorin

 

Kapitel 1

 

 

»Hast du die Trockenblumenkränze für die Weidmanns schon fertig? Käthe hat gerade zum vierten Mal angerufen, weil sie nicht mehr wusste, ob sie drei oder vier Kränze bestellt hat. Oh, und Silvia Petersen hat vorhin nachgefragt, ob noch ein Platz in deinem Workshop am Samstag frei ist.« Oma Enna zupfte den Kragen ihres Mantels zurecht. »Sie würde gerne selbst mal einen Kranz binden, weiß aber nicht, ob sie das schaffen wird. Du weißt ja, ihr Hund bleibt nicht gern allein, mitnehmen kann sie ihn schwerlich. Das hab ich ihr schon klargemacht.« Nun kramte sie in ihren Manteltaschen und zog einen Schlüssel daraus hervor. »Und vergiss bloß nicht, die Bestellungen bis vierzehn Uhr zur Post zu bringen. Dina schließt überpünktlich, du kennst sie. Ich muss jetzt leider zum Zahnarzt nach Westerland. Ich hoffe, bis zum frühen Nachmittag zurück zu sein. Aber versprechen kann ich nichts. Vielleicht bummle ich auch ein bisschen am Strand entlang, solange die Insel noch uns gehört. Ab spätestens Mai geht es hier wieder zu wie im Taubenschlag.«

Oma Enna wartete meine Antworten gar nicht erst ab, sondern schnappte sich ihren Weidenkorb, ohne den sie für gewöhnlich nicht das Haus verließ, und war schon im nächsten Moment durch die Tür meiner kleinen Werkstatt verschwunden.

Lächelnd blickte ich ihr nach, wie sie mit diesem festen Schritt den schmalen Weg von meiner Werkstatt zum Holzgatter lief, es schwungvoll aufmachte und eilig hindurchschlüpfte. Für eine fast Achtzigjährige war sie noch außergewöhnlich fit. Wenn es das Wetter und die Gezeiten zuließ, schwamm sie von März bis Oktober, wann immer ihr danach war, in der Nordsee und fuhr überall mit dem Rad hin. Sogar bei Schnee und Regen.

Auch jetzt schwang sie sich auf ihr Hollandrad, legte ihr Handgepäck in den Korb und radelte so schnell los, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihr her.

Kopfschüttelnd machte ich mich daran, die bestellten Trockenblumensträuße und -kränze anzufertigen, ehe ich meine Liste mit den Bestellungen durchgehen und mich auf den Workshop am Samstag vorbereiten wollte.

Es war schon immer ein Traum von mir, mich als Floristin selbstständig zu machen. Nach meiner Lehre in Westerland war ich in das alte Kapitänshaus meiner Familie zurückgekehrt und hatte mir die angrenzende Werkstatt meines verstorbenen Großvaters für meine Bedürfnisse umgebaut.

Anfangs hatte ich noch zeitweise in Westerland in der Friedrichstraße in Fenjas Blumenladen gearbeitet und nebenher mein eigenes kleines Geschäft aufgebaut. Heute arbeitete ich nur in meinem Blumenmeer, band Kränze für Festlichkeiten wie Hochzeiten, Geburtstage und Jubiläen, verkaufte Trockenblumensträuße – mal gemischt mit frischen Blumen, mal ohne –, bot Workshops an und erfand mich immer wieder neu.

Gerade das machte den Reiz meiner Arbeit aus. Kein Tag war wie der andere. Und jede Herausforderung konnte ich so angehen, wie ich es für richtig hielt. Es gab niemanden, der mir hineinredete oder etwas besser wusste.

Oma Enna hatte meine Buchhaltung übernommen und spielte zudem sehr gerne meine Sekretärin. Zwar tat sie bei letzterer Beschäftigung stets so, als wäre sie ihr furchtbar lästig, rannte aber dennoch immer als Erste ans Telefon, das sowohl im Kapitänshaus als auch bei mir in der Werkstatt klingelte, um abzunehmen.

Die meisten dieser Gespräche waren für mich. Ich hatte Oma Enna schon oft vorgeschlagen, mir einen eigenen Anschluss legen zu lassen. Doch Oma Enna wollte davon nichts hören. Sie war der Meinung, dass ich die Kosten besser sparen sollte. So viele Anrufe kämen ohnehin nicht.

Grinsend nahm ich einen Metallring, an dem ich einen Trockenblumenkranz für die Tür begonnen hatte, und griff mir ein paar Hortensien, um sie einzuarbeiten, als meine Tür an diesem Vormittag bereits zum zweiten Mal aufging.

Max. Mein Verlobter.

»Guten Morgen, mein Schatz. Wie schön, dich zu sehen. Musst du nicht schon längst in der Schule sein?«

Max kam zu mir, nahm mich ganz fest in den Arm und küsste mich auf den Mund.

»Die ersten beiden Stunden habe ich frei«, erklärte er, nachdem er mich wieder losgelassen hatte.

»Und das sagst du mir erst jetzt? Wir hätten in die Kleine Teestube gehen und gemeinsam frühstücken können. Das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht.«

Max seufzte.

»Das wäre wirklich mal wieder schön. Allerdings muss ich momentan so viel für die Schule organisieren und Arbeiten korrigieren, dass ich erst mal meinen Schreibtisch ein wenig freischaufeln muss, damit mich das schlechte Gewissen in Ruhe lässt und ich entspannt frühstücken kann.«

Ein verführerisches Lächeln zauberte sich auf seine Lippen.

Max und ich waren schon seit der Schulzeit ein Paar. Über zwölf Jahre. Eine echt lange Zeit. Im Sommer wollten wir endlich heiraten und zusammenziehen. Da Max nur zwei Häuser weiter wohnte und Keitum ein winziges Nest war, erschien es uns nie notwendig, eine gemeinsame Wohnung zu suchen. Nachdem Max’ Großeltern im letzten Jahr in ein Pflegeheim gezogen waren, hatten sie ihm ihr Haus vermacht. Es musste zwar einiges renoviert werden, aber wenn alles so klappte, wie Max und ich uns das vorstellten, dann könnten wir schon in wenigen Wochen einziehen. Noch vor der Hochzeit.

»Ich muss außerdem mal am Haus vorbei. Die Fliesen, die wir für die Küche bestellt haben, kommen voraussichtlich erst in zwei Wochen. Es gab wohl Lieferschwierigkeiten. Ich will mit Hannes besprechen, was er bis dahin schon erledigen kann. Bei den Badfliesen waren wir uns doch einig, oder?«

»Ja, mir gefallen die grauen Fliesen mit den weißen überlappenden Kreisen sehr gut. Zudem passt es vom Stil her ganz wunderbar zum Haus, da es in den Fünfzigerjahren gebaut wurde. Gute Idee, dass du Hannes erst das Bad fliesen lässt. Aber was ist mit der Küche? Sollte die nicht schon in zehn Tagen kommen und eingebaut werden?«

So langsam, aber sicher verlor ich bei unseren Bauplänen den Überblick. Zum Glück hatte Max immer den Durchblick. Im Gegensatz zu mir war er ausgesprochen gut organisiert, beständig und verlässlich.

»Das kriegen wir schon hin«, munterte er mich auf, ehe er mir einen weiteren schnellen Kuss gab und sich auf den Weg zur Tür machte.

Doch noch ehe er sich von mir verabschieden oder die Hand auf die Klinke legen konnte, hielt er in der Bewegung inne und wandte sich erneut zu mir um.

»Hast du noch etwas vergessen?«, fragte ich lächelnd, weil Max, so organisiert er auch meist war, oft mehrmals am Tag seine Schlüssel verlegte.

Ein Widerspruch in sich. Aber Max lebte ihn.

»Ja, ich habe tatsächlich vergessen, dir etwas zu erzählen. Jonte kommt in den nächsten Tagen zurück.«

»Jonte?«, fragte ich ungläubig.

Max nickte.

»Seine Mutter hat es meiner Mutter in Jessens Landbäckerei erzählt. Offenbar hat er keine Lust mehr, ständig durch die Welt zu reisen. Er kommt zurück nach Sylt und will wohl dauerhaft hierbleiben. Sind das nicht tolle Nachrichten?«

Max grinste freudig.

»J-ja, d-das sind s-sie wirklich«, stotterte ich ein wenig hilflos.

»Geht es dir nicht gut? Du bist plötzlich ganz blass um die Nase. Soll ich dir einen Tee machen?«

Max sah mich besorgt an, und ich hoffte, dass er mir meine innere Unruhe nicht ansah.

»Nein, nein. Alles bestens. Ich bin nur sehr überrascht, dass Jonte wiederkommt. Er war so lange fort, das ist alles«, versuchte ich mich zu erklären, während Max mich zu meinem Sessel am Kamin führte.

»Es sind jetzt fast zwölf Jahre. Verrückt, wie die Zeit vergeht. Ich freu mich sehr, dass er wiederkommt. Schließlich ist er mein bester Freund. In den letzten Jahren hatten wir nur sporadisch Kontakt. Endlich können wir abends einen trinken gehen oder uns treffen und zocken. Wie früher.«

Max verlor sich gedanklich in alten Zeiten, während ich alles tat, um nicht an früher zu denken.

Alles.

»Ich freu mich sehr für dich«, beeilte ich mich dennoch zu sagen, um mir nicht anmerken zu lassen, was Max’ Worte in mir anrichteten.

»Wir werden sicher eine gute Zeit miteinander haben. Vielleicht kann er uns beim Haus helfen. Soweit ich weiß, hat er vor seinem Medizinstudium drei Semester Architektur studiert. Gut möglich, dass er noch die ein oder andere Anregung für den Wintergarten hat, den wir bauen wollen. Kann ja nie schaden, noch ein prüfendes Auge über unseren Anbau schauen zu lassen.«

Max zwinkerte mir vielsagend zu.

»Sicher. Das ist eine tolle Idee«, bestätigte ich ihn, während ich die Erinnerungen, die bei Jontes Namen in mir aufflackerten, zu verdrängen versuchte.

»Oh, so spät schon.«

Max’ Blick streifte seine Armbanduhr.

»Ich muss jetzt leider los. Geht es dir echt gut? Muss ich mir keine Sorgen um dich machen?«, fragte er, nach wie vor nicht ganz überzeugt.

»Geh ruhig! Bei mir ist alles bestens. Ich werde mir eine Tasse Tee kochen und eine Kleinigkeit frühstücken. Dafür blieb bisher noch keine Zeit. Das ist sicher nur mein niedriger Blutzuckerspiegel, der mich da ärgert. Weiter nichts.«

Max lächelte wissend.

»Dann sehen wir uns heute Abend. Ich bin gespannt, was Oma Enna kochen wird.«

Max liebte das Essen meiner Großmutter und war, seit wir zusammen waren, mindestens dreimal die Woche zum Abendessen da. Er gehörte schon lange zu unserer Familie, war ein fester Bestandteil.

Jonte.

Bilder zuckten vor meinem geistigen Auge auf. Bilder aus einer längst vergangenen Zeit. Dennoch konnte ich sie gestochen scharf sehen. Sie behagten mir nicht. Sie behagten mir ganz und gar nicht.

Nach all den Jahren. Warum musste er ausgerechnet jetzt zurückkommen? Jetzt, wo Max und ich endlich vor den Traualtar treten und heiraten wollten?

Aber Jonte Nielsen war schon immer ein Mysterium gewesen.

Kapitel 2

 

 

»Hast du’s schon gehört?«

Ida, meine beste Freundin, schneite gegen Mittag zu mir ins Blumenmeer herein und wirkte dabei so aufgeregt wie lange nicht mehr.

»Hallo, Ida. Was meinst du?« Auch wenn ich mir ziemlich sicher war, worauf sie anspielen wollte, gab ich mich unwissend.

»Jonte kommt zurück. Ist das nicht verrückt? Mein Bruder, der Weltenbummler, will auf Sylt sesshaft werden. Das ist so unwahrscheinlich wie die Vorstellung, Pinguine könnten fliegen.«

»Pinguine?«

»Na, du weißt schon, was ich meine. Es ist einfach sehr, sehr unwahrscheinlich, dass Jonte länger als für ein paar Monate bleibt. Mama ist trotzdem ganz aus dem Häuschen. Seit seinem Anruf schrubbt sie sein altes Kinderzimmer. Sogar die alten Poster an der Wand hat sie entstaubt. Kannst du dir das vorstellen?«

»Sie freut sich eben, dass er wiederkommt. Es ist schon eine ganze Weile her, seit er der Insel den Rücken gekehrt hat.«

Ida nickte.

»Da sagst du was. Aber bei Jonte stand es schon früh fest, dass er weggehen würde. Die Insel war ihm bereits zu klein, als er noch nicht mal wusste, wie groß sie wirklich ist.«

Ida lachte.

»Hat er denn schon gesagt, wie lange er bleiben will?«

Obwohl Max mir schon gesagt hatte, dass Jontes Aufenthalt von Dauer sein würde, hegte ich den winzigen Hoffnungsschimmer, es könnte sich um eine Fehlinformation handeln und Jonte schneller wieder verschwunden sein, als ich Pinguin sagen konnte.

»Angeblich will er dauerhaft bleiben. Was ich mir bei meinem Bruder nur schwerlich vorstellen kann. Er wird sicher bald merken, dass Sylt noch immer so klein ist wie damals, als er es verließ, und dann wieder verschwinden. Besonders beständig ist er nicht. Seine letzte Beziehung ging nach drei Jahren in die Brüche, weil seine Freundin es gewagt hat, über die nächsten Schritte ihrer Beziehung zu sprechen. Sie hätte gerne geheiratet und Kinder mit ihm bekommen. Aber für Jonte war das der Startschuss fürs Ende. Du kennst ihn. Er ist ein Freigeist.«

»Dann wird er also allein nach Sylt zurückkehren?«

Die Vorstellung behagte mir nicht. Sie behagte mir ganz und gar nicht.

»Sieht ganz danach aus. Könnte sonst auch ein wenig eng in seinem alten Kinderzimmer werden.«

Ida lachte abermals.

»Hast du Zeit für einen Kaffee oder musst du gleich wieder in den Laden?«

Ida hatte sich wie ich ihren großen Kindheitstraum verwirklicht, indem sie vor wenigen Jahren ihren kleinen Laden Nähkomplizin hier in Keitum eröffnet hatte. Dort verkaufte sie verschiedene Stoffe, Garne und Selbstgeschneidertes, vorzugsweise für Babys und Kinder.

Ihr Geschäft lag nur wenige Gehminuten von meinem entfernt. Da wir bereits seit dem Kindergarten miteinander befreundet waren, wussten wir beide von unseren Ideen und freuten uns umso mehr für die jeweils andere, als sich ihr Traum erfüllte.

Nicht selten reisten Ida und ich gemeinsam zu Designmärkten in Norddeutschland und Dänemark. Wir waren ein gutes Team und hatten immer wieder neue Einfälle. Jede von uns hatte ein Regal in ihrem Laden, in dem sie die kreativen Ergüsse der anderen zum Kauf anbot. Win-win für uns beide.

»Nein, ein Kaffee ist drin. Hast du noch von den leckeren Zimtschnecken, die Oma Enna gestern gebacken hat?«

Suchend blickte sich Ida um. Für Zimtschnecken war die sonst so friedfertige Ida in der Lage zu töten. Ohne Witz. Ich hatte mich in der Schulzeit schon mal mit ihr um die letzte Zimtschnecke meiner Oma geprügelt. Und sie war als Gewinnerin vom Feld gezogen. Mit Zimtschnecke.

Bei der Erinnerung musste ich in mich hineinlachen. Ida und ich waren bereits durch dick und dünn gegangen. Wir waren immer füreinander da. Und doch wusste sie nicht alles von mir.

»Oma Enna hat extra mehr gebacken, damit wir dich die ganze Woche durchfüttern können.«

Nun lachten wir beide.

»Sie kennt mich einfach zu gut.«

Wenige Augenblicke später saßen wir mit Zimtschnecken und Kaffee an der kleinen Theke, auf der auch meine alte Registrierkasse stand. Mein Großvater hatte sie in seinem Krämerladen benutzt. Es erschien mir eine schöne Idee, ihn auf diese Weise zu einem Teil meines Ladens werden zu lassen. So hatte ich immer das Gefühl, er wäre noch bei mir.

»Mein Workshop am Samstag ist ausgebucht. Damit hätte ich zu dieser Jahreszeit gar nicht gerechnet. Ich meine, Ostern ist vorbei und Weihnachten noch lange hin. Für gewöhnlich sind die Kurse im April nicht so gefragt wie vor Festlichkeiten.«

»Ja, das kann ich gut nachempfinden. Allerdings kommen bald die ersten Hochzeiten. Und ein paar Jubiläen wird es in diesem Jahr geben. Die alte Krause wird hundert. Kannst du dir das vorstellen? Wahnsinn, was sie alles auf der Insel mitbekommen haben muss. Man behauptet, sie hätte sie nie verlassen. Was ich mir, ehrlich gesagt, nicht so richtig vorstellen kann. Nie runter von Sylt? Das ist schwerlich vorstellbar, oder?«

Bei Idas Worten musste ich darüber nachdenken, dass ich auch nie wirklich weg war. Nicht, weil ich nicht konnte, sondern weil ich nicht wollte. In meiner Heimat fühlte ich mich wohl, ich hatte meine Familie, meinen Verlobten und meine Freunde hier. Was sollte ich woanders?

»Die letzten Jahre hat sie kaum ihr Haus verlassen, weil sie auf Hilfe angewiesen war. Dann ist die Insel auf einmal riesig.«

Ida nickte.

»Auch wieder wahr. Sag mal, Mama hat sich vorgenommen, für Jonte eine Überraschungsparty zu schmeißen, wenn er am Sonntag ankommt.«

»Sonntag schon?«, fragte ich entsetzt.

Ida nickte abermals.

»Ja, er hat es offenbar sehr eilig, in die alte Heimat zurückzukehren. Keine Ahnung, wer ihm auf den Fersen ist. Aber so schlimm, dass er nach Hause kommen musste, war es noch nie. Ich bin gespannt, was er erzählen wird, wenn er wieder da ist. An sein Handy geht er so gut wie nie und auf Nachrichten antwortet er nur sporadisch. Und wenn, dann auch nur das Nötigste.«

Ida rollte genervt mit den Augen.

»Auf jeden Fall will Mama eine Party für ihn organisieren und ich soll alle einladen. Max und du, ihr kommt doch, oder?«

»S-sicher«, erwiderte ich, schon wieder stotternd.

Die Vorstellung, Jonte so schnell viel näher zu sein, als ich es eigentlich vorgehabt hatte, verunsicherte mich.

»Ich weiß ja, dass ihr beiden nie die größten Fans voneinander wart. Ich meine, mein großer Bruder hat keine Gelegenheit ausgelassen, um dich zu ärgern. Besonders schlimm fand ich, dass er dir das Pupskissen untergelegt hat. Und das bei deiner Konfirmation. Man hat noch Tage später darüber gesprochen.«

Daran musste Ida mich nicht erinnern. Ich konnte mir das Ereignis ganz prima selbst ins Gedächtnis rufen. Dazu brauchte ich niemanden. Denn dieses Erlebnis war so schrecklich gewesen, dass ich glaubte, nie wieder vor die Tür gehen zu können, geschweige denn zur Schule.

Oma Enna hatte mir damals gut zugeredet und mir versichert, dass es schon bald ein anderes Gesprächsthema geben würde, über das sich alle das Maul zerreißen würden. Und sie hatte recht behalten. Ein paar Tage nach dem Fiasko auf meiner Konfirmation hatte Frauke Knudsen ihren Mann für einen anderen verlassen. Das Spektakulärste an der Sache war, dass der Neue knapp zwanzig Jahre jünger war als sie und damit ihr Sohn hätte sein können. Zudem war Frau Knudsen die ehemalige Sportlehrerin seiner Klasse gewesen.

»Erinnere mich bloß nicht daran. Das war oberpeinlich. Ich hatte schon überlegt, die Insel zu verlassen und meine Schule aufm Festland fertig zu machen.«

»Echt jetzt? Du hättest mich hier einfach allein zurückgelassen? Das ist hoffentlich ein Scherz.«

Ida wirkte eingeschnappt. Und das nach all den Jahren.

»Oma Enna hat mir gut zugeredet und mir Mut gemacht. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre.«

»Sie ist die Beste! Und das sage ich nicht nur, weil ich für ihre Zimtschnecken sterben würde.«

Nun lachten wir beide.

»Aber noch mal zu Jontes großer Willkommensparty. Ich hoffe wirklich, dass ein paar Leute kommen werden, sonst wird das eine ziemlich trostlose Veranstaltung. Denn wie ich meinen Bruder kenne, hat er sich in den vergangenen Jahren nicht allzu oft bei seinen alten Freunden und Schulkollegen gemeldet. Viele sind auch weggezogen. Ich bin gespannt, wer überhaupt kommen wird. Am Ende hat Mama für hundert Gäste gekocht und eingekauft und es kommen fünf. Inklusive der Familie.«

»Max und ich kommen ganz sicher. Mach dir keine Sorgen! Und du weißt doch, wie es ist, wenn es irgendwo was umsonst gibt. Bestimmt kommen mehr, als du glaubst. Bis Sonntag sind es ja auch noch ein paar Tage.« Ich bemühte mich, meine Freundin aufzumuntern.

»Du hast vollkommen recht, Nora. Außerdem sollte ich mir keine Gedanken um die Party für meinen Bruder machen. Allerdings will ich nicht, dass Mama sich so viel Arbeit macht. Ich werde mal mit ihr reden und ihr meine Hilfe anbieten. Auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass Jonte das verdient hätte. Ich meine, wie oft war der Kerl in den vergangenen zwölf Jahren hier? Aber auf dem Ohr ist Mama taub. Immer wenn ich davon anfange, meint sie, wir sollten froh sein, dass er wiederkommen will. Das wäre alles, was zählt. Ob ich als Mutter später auch mal so sein werde? Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber dafür bräuchte ich erst mal einen Mann.«

Was Männer anbelangte, hatte Ida in der Vergangenheit kein besonders glückliches Händchen bewiesen. Entweder waren die Beziehungen nach wenigen Monaten wieder in die Brüche gegangen oder sie war hintergangen worden. Dabei nicht selten von Touristen, die ihr den Himmel auf Erden vorgaukelten und am Ende mit Frau und Kindern nach Hause ins bequeme Eigenheim zurückgereist waren.

»Der Richtige wird ganz sicher noch kommen, Ida. Oma Enna sagt immer, dass es für jeden Topf einen Deckel gibt. Und irgendwie muss ich ihr recht geben. Hast du schon mal einen Topf ohne Deckel gekauft?«

Ida machte eine abwehrende Handbewegung.

»Lass mich bloß mit Töpfen und Deckeln in Ruhe.« Ida verdrehte die Augen. »Mama ist auch der Überzeugung, dass der Richtige schon noch aufkreuzen wird. Ich bin mir da allerdings nicht so sicher. Und wenn ich ehrlich bin, fehlt es mir gerade an nichts. Ganz im Gegenteil. Wenn ich einen Mann an meiner Seite hätte, müsste ich mich ganz schön einschränken, was die vielen Designmärkte anbelangt, auf denen ich meine Sachen verkaufe. Der würde das sicher nicht so gut finden, wenn ich jedes zweite Wochenende unterwegs wäre.«

»Ich bin auch oft weg und Max kommt prima damit klar«, widersprach ich ihr.

»Max ist Max. Er ist ein Heiliger. Den Typen bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Du kannst froh sein, ihn zu haben. Solche Männer wie Max werden gar nicht mehr geboren.«

Kopfschüttelnd sah ich meine Freundin an.

»Er hat auch ein paar Macken …«

»Ach ja? Nenn mir nur eine«, forderte sie mich postwendend auf.

»Er vergisst ständig, wo er seine Schlüssel liegen gelassen hat.«

Ida gab einen prustenden Laut von sich.

»Wenn das alles ist, nehme ich ihn dir mit Kusshand ab.«

Kaum dass sie ihre Worte geäußert hatte, ruderte meine Freundin eilig zurück.

»Ich würde dir Max natürlich nie wegnehmen. Ich hoffe, du weißt das. Ihr beiden seid ein absolutes Traumpaar. Und das schon so unfassbar lange. Ich beneide euch, wirklich.«

»Bei uns ist auch nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Stell dir vor, manchmal streiten wir uns sogar und sind nicht einer Meinung.«

Das kam zwar nur sehr selten vor, aber das brauchte ich ja nicht so zu betonen. Schließlich wollte ich Ida nicht das Gefühl geben, unsere Beziehung wäre perfekt. Auch wenn sie das in vielerlei Hinsicht sicher war.

Mehr als das. Max war mein Seelenverwandter. Ganz oft sagte er die Dinge, die mir zuvor durch den Kopf gegangen waren, fast so, als könnte er meine Gedanken lesen.

Max und ich waren jetzt schon so lange ein ausgesprochen gut eingespieltes Team. Wir wussten um die Ticks des jeweils anderen und konnten sehr gut damit umgehen. Unsere Beziehung war gewachsen. Und das würde sie noch weiter tun. Schließlich stand unsere Hochzeit kurz bevor. Dann würden wir eine Familie gründen, Kinder bekommen und im Winter im gemütlichen Wintergarten sitzen.

»Das gibt es sicher überall. Kommt in den besten Familien vor. Ach, übrigens, wie laufen denn die Planungen für die Hochzeit? Soll ich dir als deine Trauzeugin noch irgendwo zur Hand gehen? Du weißt, ich stehe jederzeit parat. Schließlich heiratet die beste Freundin nur einmal.«

»Es ist schon sehr viel gemacht. Und der Rest erledigt sich auch noch. Ich habe für die Wochen vor der Hochzeit weniger Aufträge angenommen, damit ich die Tischgedecke, Kränze und Blümchen für die Kirche alle selbst vorbereiten kann und genügend Zeit dafür habe. Ich freue mich schon sehr darauf.«

»Wenn du möchtest, gehe ich dir gerne zur Hand.«

»Das ist lieb von dir, Ida, danke. Darauf komme ich ganz bestimmt zurück.«

Nicht nur wegen ihrer Hilfe, sondern auch wegen der Aussicht, mehr Zeit mit ihr zu verbringen.

Durch unsere Selbstständigkeit war es manchmal gar nicht leicht, sich abends gemütlich zusammenzusetzen und einfach nur zu quatschen. Oftmals waren Pläne zu schmieden, Vorbereitungen für Workshops und Märkte zu organisieren oder die lästige Buchhaltung zu machen.

»Na sicher doch. Ich bringe uns einen guten Wein mit und wir drehen die Musik voll auf. Das wird ein Spaß. Ganz im Gegensatz zu der Party am Sonntag. Ich meine, Sonntag – am Montag müssen doch die meisten wieder arbeiten.«

Kopfschüttelnd saß Ida da, während ich nach den richtigen Worten suchte, um meine Freundin aufzubauen.

»Na ja, auch schon egal. Ich muss jetzt wieder in meinen Laden. Meine Mittagspause ist um. Und ich muss noch so viel für den nächsten Designmarkt vorbereiten. Der ist bereits in vierzehn Tagen in Hannover. Und ich habe bisher kaum etwas dafür genäht. Echt schade übrigens, dass du nicht mitkommst. Aber ich verstehe natürlich, dass du im Moment nicht auf allen Hochzeiten tanzen kannst.«

Ida zwinkerte mir vielsagend zu, ehe sie ihren Teller und die Tasse abwusch und verräumte und ich den Gedanken daran verdrängte, Jonte womöglich schon sehr bald viel näher zu sein, als mir lieb war.

Kapitel 3

 

 

»Ich habe so schreckliche Kopfschmerzen, Schatz. Macht es dir etwas aus, wenn du allein zu Jontes Überraschungsparty gehst?«

Es fiel mir nicht besonders leicht, Max diese Lüge aufzutischen. Aber noch viel schwerer würde es werden, Jonte nach all der Zeit gegenüberzustehen und dabei das Gefühl zu haben, es wäre kein Tag vergangen.

»Armer Schatz! Hast du schon eine Tablette genommen? Komm, ich massiere dich! Das hilft doch sonst immer.«

Max ließ sich von meinen Worten nicht beirren. Bereits im nächsten Moment hatte er mich auf seine Couch gesetzt und das duftende Massageöl aus dem Bad geholt. Nicht, ohne sich den Kopf am Balken zu stoßen.

»Aua!«

Max’ Eltern hatten ihrem Sohn vor mehr als zwanzig Jahren den Dachboden ausgebaut, damit der Junge ein eigenes Bad und ein geräumiges Wohnzimmer neben seinem Schlafzimmer hatte. Eine Küche gab es hier nicht, da seine Mutter ähnlich leidenschaftlich kochte wie Oma Enna. Nur nicht mit ganz so viel Erfolg.

So brannte das Essen schon das ein oder andere Mal an oder war auch so ungenießbar. Ein Grund mehr, warum Max so oft bei uns zu Abend aß.

»Geht’s? Tut’s sehr weh, Schatz?«, fragte ich ihn mit zunehmend schlechterem Gewissen, als er zurück im Wohnzimmer war.

Schließlich hatte er sich den Kopf nur gestoßen, weil er mir helfen wollte, meine imaginären Kopfschmerzen loszuwerden.

»Alles gut. Jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir dich wieder hinkriegen. Ich will nicht allein auf die Party. Irgendwie käme mir das falsch vor. Am Ende geht Jonte davon aus, dass wir gar kein Paar mehr sind. Stell dir das mal vor!«

Max lachte, während er sich in meinem Rücken an meinen Schultern und an meinem Nacken zu schaffen machte.

Zum Glück konnte er mir dabei nicht ins Gesicht sehen. Der Ausdruck darin musste mehr als entsetzt gewesen sein. Dummerweise hatte ich keinen Spiegel zur Hand. Oder sollte ich eher glücklicherweise sagen?

»Es geht mir bestimmt schnell besser«, behauptete ich und bereute es bereits, eine Lüge vorgeschoben zu haben, um Jonte nicht begegnen zu müssen.

Schließlich würde er nun dauerhaft hier in Keitum leben. Es war unvermeidbar, dass wir uns bald über den Weg liefen.

»Ein bisschen Zeit bleibt uns noch, wir kriegen dich schon wieder hin. Das wäre doch gelacht. Wirst sehen.«

Noch während ich etwas erwidern wollte, klopfte es an der Tür.

Barbara, Max’ Mutter, wagte es nicht, einfach so hineinzuplatzen, wenn ich da war. Seit sie Max und mich vor einer halben Ewigkeit in flagranti überrascht hatte, war sie zu diesem Schritt übergegangen. Max und ich waren sehr froh darüber. Auch wenn mich ihr Anklopfen jedes Mal an die peinliche Szene von damals erinnerte.

»Ah, ihr beiden macht euch für die Party fertig. Ganz Keitum ist in hellem Aufruhr. Jonte ist schon auf dem Weg. Margot hat eben angerufen und darum gebeten, dass ihr früher rüberkommt. Sie hat Angst, ganz allein dazustehen, wenn ihr Sohnemann nach all der Zeit wieder nach Hause kommt. Kommt ihr gleich mit oder geht ihr allein rüber? Rüdiger und ich wollen Margot eine moralische Stütze sein. Sie hat so viel durchgemacht mit den beiden Kindern.«

Sie hatte recht, das Leben hatte der Familie schon oft übel mitgespielt, nicht erst, seit Ansgar, ihr Mann, vor so vielen Jahren aufs Meer rausgefahren und nie wieder zurückgekommen war. Bei Margot klang es zwar immer so, als wäre Ansgar in einem Sturm ums Leben gekommen. Dabei war er auf einer Kreuzfahrt gewesen und hatte sich dort in eine andere verliebt.

»Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass die Party heute ein voller Erfolg für sie wird.«

»Du hast recht, Mama«, bestätigte ihr Max und ließ dabei von meinen Schultern ab.

»Wir kommen gleich«, bekräftigte ich ebenfalls.

Nur noch ein kleiner Moment, um mich zu beruhigen.

Ohnehin würden heute Abend sicher so viele Menschen bei den Nielsens im Haus sein, dass Jonte mich überhaupt nicht wahrnahm. Zudem war das alles schon so lange her. Und Ida brauchte mich. Sie hatte mich darum gebeten zu kommen. Was wäre ich für eine Freundin, wenn ich sie jetzt einfach im Stich ließe?

»Na, dann bis gleich bei den Nielsens.«

Und damit war Barbara auch schon wieder verschwunden.

»Meinst du, du schaffst das?«

Max sah mich so besorgt an, dass mein schlechtes Gewissen schier übermächtig wurde.

»Ja, deine Massage hat wahre Wunder vollbracht. Mir geht es schon viel besser«, log ich und lächelte tapfer.

Max lachte.

»Vermutlich zeigt die Kopfschmerztablette ihre Wirkung.«

Er zwinkerte mir vielsagend zu.

Da ich seinem Blick nicht standhalten konnte, ohne dass er mir ansehen würde, was wirklich los war, lenkte ich das Thema auf seinen übervollen Schreibtisch.

»Du Armer, hast du noch immer alle Hände voll zu tun?«

»Es sind so einige Klassenarbeiten zu korrigieren. Außerdem hält mich das Projekt der 8a ganz schön auf Trab. Es braucht deutlich mehr Zeit, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Aber die Arbeit ist so wertvoll, dass ich froh bin, bei dem Projekt zugesagt zu haben. Ich habe dir doch von Jenke erzählt, er hat bisher nicht so gute Noten in Deutsch bekommen.« Max legte ein paar einzelne Zettel auf seinem Schreibtisch auf einen Stapel, der dabei beachtlich ins Wanken geriet. »Bei unserem Gemeinschaftsbuch taut er richtig auf. Er hat schon sein eigenes Kapitel fertig, obwohl er erst in zwei Wochen fertig sein muss. Und du weißt doch, wie oft er immer seine Hausaufgaben vergisst. Es ist … ein Wunder. Ich bin wirklich zuversichtlich, was seine Entwicklung angeht, das könnte echt noch was werden.« Max schüttelte den Kopf. »Es ist so traurig, wenn die Kinder schon in frühen Jahren die Freude am Lernen verlieren. Oft sind es schlechte Noten oder der Druck von zu Hause. Es zerstört die Basis. Und es ist nur schwer, diese Kinder noch mal abzuholen. Umso glücklicher bin ich, dass Jenke sich so ins Zeug legt.«

Max strahlte übers ganze Gesicht, während er mir von dem Jungen erzählte, der ihm in der Vergangenheit so manchen Kummer bereitet hatte.

Mein Verlobter war noch einer dieser ambitionierten Lehrer, dem es nicht nur darum ging, den Stoff durchzubringen und ihn möglichst spannend für seine Schüler zu gestalten. Nein, ihm war es wichtig, sie abzuholen und ihnen zu zeigen, wie schön es sein konnte, etwas Neues zu erlernen und sich darüber mit den anderen auszutauschen.

»Das freut mich wirklich, mein Schatz. Klingt ganz so, als wäre der Junge auf einem guten Weg.«

Max nickte lächelnd.

»So, jetzt aber genug von der Arbeit. Wir sollten losgehen, bevor wir hinter der Couch der Nielsens keinen Platz mehr finden«, scherzte er.

Woraufhin wir beide lachten.

Wir zogen uns unsere Mäntel über und gingen aus dem alten Kapitänshaus, das von Max’ Ururgroßvater Mitte des achtzehnten Jahrhunderts errichtet worden war. Genau wie meine Familie waren die Männer aus seiner Familie zur See gefahren. Oft als Kapitäne.

Vom Fischfang oder dem Verschiffen von Waren lebte auf Sylt kaum noch jemand. Viele waren direkt zum Tourismus übergegangen. Auch Oma Enna hatte zeitweise Gäste in der kleinen Einliegerwohnung willkommen geheißen. Das war ihr auf Dauer allerdings zu anstrengend geworden. Also hatte sie sich irgendwann dagegen entschieden und gleichsam dafür ausgesprochen, weniger Besucher auf der Insel zu empfangen.

Dabei ging es ihr vor allem um die Natur. Sowohl Flora als auch Fauna litten unter dem übermäßigen Andrang der Feriengäste im Sommer. Davon war Oma Enna überzeugt. Naturschützer gaben ihr recht. Und dennoch waren viele nicht bereit, ihre neu gewonnene Einkunftsquelle so einfach wieder aufzugeben. Das Umdenken würde vermutlich erst einsetzen, wenn es bereits zu spät war. Wie so oft.

 

Kurz darauf fanden wir uns bei Nielsens ein. Das Haus lag dunkel vor uns, sodass ich schon glaubte, wir hätten uns im Tag geirrt. Dann öffnete sich ein Fenster.

»Kommt schnell rein, ihr beiden! Jonte kann jeden Moment hier sein«, rief Ida leise und winkte uns dabei hektisch aus Richtung des Küchenfensters zu, durch das man bequem von außen ins Haus steigen konnte.

Max und ich ließen uns nicht lange bitten, eilten zu ihr und waren wenig später im Haus.

Keinen Moment zu früh.

Ida hatte gerade erst das Fenster wieder geschlossen, als ein Wagen mit dem Schild einer Autovermietung vorfuhr.

Das musste er sein.

Jonte war zurück. Und mein Herz ließ einen Schlag aus.

»Jeder auf seine Position«, rief Margot, als handelte es sich bei uns um Schauspieler, die nun ihre Rollen einzunehmen hatten.

Mein Herz schlug wie wild gegen meinen Rippenbogen, während Max mich mit sich in Richtung Wohnzimmer zog. Ida war bereits hinter der Couch verschwunden. Auch Max machte Anstalten, sich dort verstecken zu wollen. Dabei kauerten da schon einige Gestalten, die ich aufgrund der widrigen Sichtverhältnisse allerdings nicht identifizieren konnte.

»Mama? Ida? Ist keiner da?«, hörte ich Jonte plötzlich von draußen rufen.

Kurzerhand entschied ich mich, hinter den Mänteln an der Garderobe Deckung zu suchen, als Jonte den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür schließlich öffnete.

Kaum dass die Tür offen war, sprangen alle aus ihren Verstecken und riefen ganz laut »Überraschung!«. Jemand schaltete das Licht ein, während ich nach wie vor hinter den Mänteln an der Garderobe stand und hoffte, nicht entdeckt zu werden.

Im besten Fall konnte ich mich im größten Trubel sang- und klanglos aus dem Staub machen. Ida und Max würde ich eine Nachricht schicken, dass es mir nicht gut ging und ich nach Hause gegangen war.

Mein Plan war perfekt.

»Hallo, Nora.«

Noch während ich mich darauf vorbereitete, jeden Moment zu verschwinden, zog Jonte die Mäntel beiseite und stand mir unmittelbar gegenüber. Unsere Blicke verfingen sich ineinander, und ich fand keine Möglichkeit, der Situation zu entfliehen. Ich hatte mich in eine Sackgasse manövriert und bis vor wenigen Sekunden auch noch geglaubt, das wäre ein gutes Versteck. Wie fehlbar der Mensch doch war, stellte sich immer wieder aufs Neue heraus. Besonders dann, wenn er sich in Sicherheit wähnte.

»H-hi, J-Jonte! Sch-schön, dass d-du wieder d-da bist«, stotterte ich bereits zum wiederholten Mal in dieser Woche.

Was war bloß los mit mir?

Jontes Lippen verzogen sich zu diesem wissenden schiefen Lächeln – wie früher. Seine blauen Augen funkelten übermütig, während sie mich fest ansahen. Er hatte noch immer diesen ganz besonderen Jonte-Schalk darin. Ohnehin schien er sich in den vergangenen Jahren kein bisschen verändert zu haben. Es machte fast den Eindruck, als hätten wir uns zwölf Tage und nicht zwölf Jahre nicht mehr gesehen.

»Jonte, mein Junge, Tante Gisela wartet darauf, dich begrüßen zu dürfen«, rief Margot.

Jonte verzog das Gesicht.

»Sie hat mir schon früher schrecklich feuchte Schmatzer auf die Wange gedrückt. Als Kind bin ich immer weggelaufen, wenn sie ihren Besuch angekündigt hat. Ob mir das heute wohl auch gelingen wird? Was meinst du, Nora?«

Jonte sah mir bei seinen Worten noch immer fest in die Augen.

»Ich befürchte, heute wird das nichts«, entgegnete ich.

»Was machst du denn da, Junge? Warum sprichst du denn mit der Garderobe? Die Leute warten doch auf dich. Sie freuen sich alle schrecklich, dass du wieder da bist. Max ist auch da. Hast du ihn schon entdeckt?«

Bei dem Namen seines besten Freundes huschte ein dunkler Schatten über Jontes Gesicht. Seine Züge verhärteten sich, während er mich nach wie vor durchdringend ansah.

Reglos stand ich da, wusste weder, was ich sagen, noch was ich machen sollte.

»Ich komme schon.«

Drei kleine Worte.

Dann war Jonte auch schon wieder verschwunden.

Kapitel 4

 

 

»Käthe Weidmann ist da. Sie will ihre Kränze abholen und hat sich vorher kurzerhand bei mir zum Kaffee eingeladen. Jetzt habe ich diese Klatschbase in meinem Wohnzimmer sitzen und muss mir anhören, was es Neues auf Sylt gibt, als wäre ich ein Tourist.«

Oma Enna schnaubte und ließ die Luft dabei stoßweise aus ihrem Mund heraus.

»Frau Weidmann ist da?«, fragte ich, einem Nervenzusammenbruch nahe.

»Ja, das sagte ich doch gerade. Stimmt etwas nicht? Du bist plötzlich ganz blass um die Nase.«

Oma Enna sah mich prüfend an.

»Ich habe ihre Kränze noch nicht ganz fertig. Irgendwie dachte ich, sie würde sie erst in der kommenden Woche abholen.«

In Windeseile ging ich an den Verkaufstresen und schlug meinen Kalender auf. Tatsächlich! Der Abholtermin war heute. Nicht in der kommenden Woche.

»So ein Mist aber auch! Ich muss es verwechselt haben«, sagte ich kleinlaut, während ich mir auf die Unterlippe biss.

Was sollte ich denn jetzt bloß tun? Frau Weidmann war eine penetrante Kundin, die viel Wert auf Pünktlichkeit legte. Wenn ich ihr sagte, dass die Kränze noch nicht fertig waren, würde sie mir das am Ende womöglich nie verzeihen und nichts mehr bei mir bestellen. Dabei war sie eine meiner beständigsten Kundinnen.

»Nora, ist auch alles gut bei dir? Du vergisst doch sonst keinen Termin.«

Oma Ennas Blick lastete schwer auf mir.

»Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte«, log ich.

Dabei wusste ich es ganz genau.

Seit Jontes Willkommensparty war nichts mehr wie zuvor. Ständig flogen meine Gedanken zu ihm und ich konnte nichts dagegen tun. Wann immer sich mein Geist in Sicherheit wähnte, dachte er wieder über den vergangenen Sonntag und den Moment an der Garderobe nach.

Dabei war rein gar nichts passiert. Wir hatten uns gesehen und kurz miteinander gesprochen. Dann war Jonte zu den übrigen Gästen gegangen und hatte mich keines Blickes mehr gewürdigt. Nachdem ich anstandshalber noch ein wenig geblieben war und mit Ida gequatscht hatte, war ich frühzeitig nach Hause aufgebrochen. Max gegenüber hatte ich abermals meine erfundenen Kopfschmerzen ins Rennen geführt. Und mich schrecklich schlecht dabei gefühlt.

»Du bist doch sonst so organisiert.«

»Im Moment ist viel los. Der Workshop am Samstag war planungsintensiver als sonst. Außerdem musste ich mich bei einigen meiner Waren nach neuen Lieferanten umschauen, weil meine bisherigen die Preise so angezogen haben, dass ich sie mir bald kaum mehr leisten kann. Es ist einfach sehr viel zusammengekommen in letzter Zeit.«

Nun sah Oma Enna mich besorgt an und legte ihre Hand einfühlsam auf meinen Arm.

»Wie lange benötigst du denn noch für Käthes Kränze?«

Angefangen hatte ich damit zwar schon, aber ich musste sicher noch eine weitere Stunde dafür veranschlagen. Wenn es ausreichte.

»Eine gute Stunde sollte reichen«, meinte ich schließlich.

Oma Enna nickte.

»Das kriege ich hin. Mach dir mal keine Sorgen, mein Kind.«

»Ich verstehe nicht …«

Oma Enna seufzte.

»Ich werde jetzt wieder rüber ins Haus gehen und mir eine weitere Stunde Käthes Ausführungen anhören. Zwar könnte ich mir meinen Mittwochvormittag durchaus schöner vorstellen, aber wir sind Familie. Und Familie hält zusammen.«

Oma Enna nickte bekräftigend, wie um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen.

»Das würdest du für mich tun?«

Oma Enna machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Und noch viel mehr«, sagte sie augenzwinkernd, ehe sie sich von mir verabschiedete, um Frau Weidmann für die kommende Stunde hinzuhalten.

Ich konnte nur hoffen, dass es ihr gelang.

Eilig machte ich mich ans Werk, holte die Auftragsarbeit aus dem Nebenraum und nahm passende Trockenblumen, um die Kränze zu vervollständigen.

Das Radio lief und spielte Urlaubslieder, die mich in ferne Länder entführten. Mein letzter Urlaub war dagegen schon ein paar Jahre her. Max war der Ansicht, dass Sylt uns im Sommer so viel zu bieten hatte, dass es sich nicht lohnte, die große weite Welt zu bereisen. Gleichzeitig sparten wir für den Umbau unseres Eigenheims. Und für den Neubau des Wintergartens, den ich mir wünschte.

Hygge sollte unser neues Zuhause sein. So richtig schön gemütlich. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir dafür auch noch eine Sauna eingebaut und im Garten einen Badeteich angelegt. Aber davon ließ Max sich nicht überzeugen. Baden konnte man schließlich im Meer, und eine Sauna war mal ganz nett, aber nichts, was man im eigenen Haus benötigte.

Seufzend band ich die Sterndolden, die Mimosen und den Lavendel in den Kranz, während meine Gedanken nur so flogen.

Ob Jonte auf seinen Reisen wohl viel von der Welt gesehen hatte? Welche Länder hatte er in den vergangenen zwölf Jahren bereist? Was hatte ihm besonders gut gefallen? Und warum war er nun wieder auf Sylt? Was hatte dazu geführt, dass er die große weite Welt hinter sich gelassen hatte und nach Keitum zurückgekehrt war? Heimweh? Geldsorgen? Oder eine Verflossene, die ihn nicht in Ruhe lassen wollte?

Wie so oft in den letzten Tagen versetzte mich meine Erinnerung zurück in die Zeit kurz vor dem Abi. Max und ich waren schon ein Paar, Ida meine beste Freundin. Und Jonte ließ keine Gelegenheit aus, mir Streiche zu spielen oder mich vor versammelter Mannschaft zu blamieren.

Schon seit wir ganz klein waren, machte es ihm riesige Freude, mich vorzuführen und sich auf meine Kosten lustig zu machen. Dennoch waren wir vier sehr eng miteinander, verbrachten viel Zeit zusammen.

Dann brach Max zu seinem dreimonatigen Aufenthalt nach England auf und alles veränderte sich von einen auf den anderen Tag.

»Nora, was machen die Kränze?« Oma Enna riss mich aus den Gedanken.

»Ich bin gleich fertig«, sagte ich und deutete auf die drei Kränze, die vor mir auf der Werkbank lagen, und auf den vierten, an dem ich soeben noch die letzten Blumen befestigte.

»Gott sei Dank! Diese Frau … Ich halte keine Minute länger mit ihr aus. Wie man seinen ganzen Tag nur damit füllen kann, in anderer Menschen Leben herumzustochern und Geheimnisse aufzudecken, bleibt mir ein Rätsel. Ich weiß meine Zeit wesentlich sinnvoller einzusetzen. Außerdem gibt es unzählige Dinge, die ich über meine Mitmenschen lieber nicht wüsste. Wusstest du beispielsweise, dass der alte Friedrichsen zweimal im Monat aufs Festland fährt und dort einen Swingerclub besucht?«

»Peet Friedrichsen? Der alte Apotheker?«, fragte ich ungläubig.

Oma Enna nickte.

»Das ist … verstörend. Schick Käthe doch gleich rüber. Dann kann sie bezahlen und die Kränze mitnehmen und du den Tag hoffentlich mit schöneren Dingen füllen.«

Oma Enna machte eine abwehrende Handbewegung.

»Ich muss noch mal zum Zahnarzt nach Westerland. Irgendwas an der Krone passt nicht so ganz, das sollen sie sich noch mal anschauen. Besonders schön wird das auch nicht. Aber danach gönne ich mir ein Mittagessen bei Fisch Blum. Und dann sieht man weiter.«

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ging Oma Enna aus meiner Werkstatt, während ich das Bild von unserem ehemaligen Apotheker im Swingerclub aus meinem Kopf zu bekommen versuchte. Erfolglos.

»Hallo, Nora. Tut mir leid, dass ich mich ein wenig verspätet habe. Aber deine Großmutter und ich hatten uns so viel zu erzählen und wir haben darüber ganz die Zeit vergessen. Ich werde in Zukunft wohl öfter bei Enna vorbeischauen. Unser Treffen war doch erstaunlich nett gewesen. Sonst hatte ich immer das Gefühl, Enna und ich hätten nur sehr wenig gemeinsam. Aber dieser Mittwochvormittag hat alles verändert.«

Und ich war schuld daran.

Ich konnte nur hoffen, dass Oma Enna mir das Ganze nicht doch noch übel nahm.

Das letzte Mal, als sie auf jemanden in der Familie sauer war, hatte sie kurzerhand das Kochen eingestellt. Mama war darüber schier verzweifelt, da sie noch Vollzeit in der Kurverwaltung arbeitete und nicht die Zeit fand, auch noch für uns alle zu kochen. Besonders an den Sonntagen hatte sich Oma Enna angewöhnt, Vor-, Haupt- und Nachspeise zu reichen. Da war man den ganzen Vormittag nur damit beschäftigt, alles vorzubereiten.

»Es freut mich sehr, dass ihr eine gute Zeit hattet. Und die Kränze laufen ja nicht weg. Ich habe sie hier für Sie bereitgelegt.«

Ich deutete auf die vier Kränze vor mir auf der Werkbank.

Ein Lächeln zauberte sich auf Frau Weidmanns Gesicht.

»Ganz nach meinem Geschmack. Die sehen wirklich sehr schön aus. Und vor allem werden sie sich wunderbar an den Türen meiner Ferienwohnungen machen. Das passt zu diesem neuen nordischen Lebensgefühl. Wie sagen die Dänen noch gleich dazu?«

»Hygge«, half ich ihr auf die Sprünge.

»Richtig. Hygge. Ich weiß zwar nicht, warum man nicht einfach gemütlich dazu sagen kann, aber sei es drum. Was bin ich dir schuldig?«

Hygge einfach nur mit gemütlich zu übersetzen, griff zu kurz. Da ich allerdings keine Grundsatzdiskussion mit Frau Weidmann anfangen wollte, behielt ich mein Wissen für mich und schluckte die Widerworte in meinem Mund kurzerhand hinunter.

»Das sind dann einhundertneunzehn Euro«, sagte ich und holte einen Karton, in den ich die vier Kränze legte.

»Kannst du mir bitte eine Rechnung mit Mehrwertsteuer ausstellen, die ich in die Buchhaltung geben kann? Mein Steuerberater ist sehr pingelig.«

Eine Tatsache, von der mir Frau Weidmann schon unzählige Male berichtet hatte. Genauer gesagt, immer dann, wenn sie bei mir ihre Bestellung abholte.

»Das ist kein Problem, Frau Weidmann.«

Sie lächelte zufrieden und strich sich dabei über die kurze graue Lockenpracht auf ihrem Kopf.

Irgendwann hatte sie mir mal erzählt, dass sie jede Woche zum Friseur ging und ihre Haare nie selbst wusch. Staunend hatte ich ihren Worten gelauscht und mich gefragt, wann ich das letzte Mal beim Friseur gewesen war.

Meine Großmutter schnitt mir die Spitzen, seit ich ein kleines Mädchen war. Für alles andere ging ich zum Friseur. Was nicht besonders häufig im Jahr vorkam.

Vielleicht war es an der Zeit, etwas zu verändern. Mich zu verändern. Eine neue Haarfarbe vielleicht? Oder ein paar hellere Strähnchen? Was Max wohl davon halten würde? Möglicherweise sollte ich doch nichts überstürzen. Am Ende sah ich schrecklich aus und musste monatelang so herumlaufen, bis die Strähnchen wieder herausgewachsen waren.

»Stimmt so«, sagte Frau Weidmann und überreichte mir einhundertzwanzig Euro.

»Vielen Dank«, erwiderte ich artig, während Frau Weidmann sich den bereitgestellten Karton mit ihren Kränzen darin schnappte und wenige Augenblicke später verabschiedete.

Doch auf halber Strecke zwischen Werkstattausgang und meiner Verkaufstheke hielt sie inne.

»Wusstest du eigentlich schon, dass Jonte Nielsen zurück ist?«

Ich seufzte innerlich auf, während ich hoffte, dieses Thema schnellstmöglich abzuhandeln. Schließlich stand noch einiges an Arbeit an. Die Kränze für Frau Weidmann waren dabei nicht eingeplant gewesen. Das bedeutete, dass ich heute Nachmittag länger arbeiten musste als veranschlagt.

»Ja, Max und ich waren auf seiner Willkommensparty«, entgegnete ich auskunftsfreudig.

Auf diese Weise erhoffte ich mir, Frau Weidmann den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Schließlich war sie nicht dort gewesen und würde mir so auch nichts erzählen können, was ich nicht schon wusste.

Frau Weidmann rümpfte die Nase über meine Antwort.

»Offenbar hat man vergessen, mich einzuladen. Wenn ich das richtig sehe, dann war halb Keitum dort. Allerdings bin ich auch wahnsinnig beschäftigt. Wahrscheinlich hätte ich mir die Zeit dafür gar nicht nehmen können. Sicher hat man mich deshalb nicht eingeladen. Aus Rücksichtnahme.«

Frau Weidmann machte sich ihre Welt so, wie sie ihr gefiel, ganz nach dem Motto von Pippi Langstrumpf.

»Na, wie dem auch sei, ich würde dennoch allzu gerne wissen, wie es Jonte ergangen ist. Er hat früher bei meinen Ferienhäusern den Rasen gemäht und sich um den Garten und den Pool gekümmert.«

Das rechtfertigte natürlich das gesteigerte Interesse. Schließlich war das kaum länger als zwölf Jahre her. Da hatte man praktisch ein Anrecht darauf, zu erfahren, was in den Jahren, die er nicht da war, vorgefallen war. Am besten en détail, wie meine Französischlehrerin stets zu sagen pflegte, wenn ich mal wieder versucht hatte, mich mit dem Nötigsten herauszureden.

»Es geht ihm gut. Leider weiß ich auch nicht wirklich, was er in den letzten Jahren so getrieben hat. Da müssen Sie ihn wohl selbst fragen. Aber da er vorhat, länger auf Sylt zu bleiben, bietet sich sicher die Gelegenheit dazu, ins Gespräch zu kommen«, erwiderte ich lächelnd.

Frau Weidmann hüstelte verlegen.

»Ja, nun … Ja, man wird sehen, wie man so schön sagt. Jetzt muss ich aber dringend weiter.«

Dann wandte sie sich zum Gehen und war wenige Augenblicke später verschwunden.

»Ist sie endlich weg?«, fragte Oma Enna einige Minuten später.

Ich nickte.

»Ja, sie ist gegangen. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob ich sie gerade verärgert habe.«

Als Oma Enna mich fragend ansah, fasste ich das Gespräch mit Frau Weidmann für sie zusammen.

»Ach Nora, mach dir deshalb mal keine Sorgen. Käthe wird dir auch weiterhin die Treue halten. Da bin ich mir ganz sicher. Wo soll sie denn sonst all die schönen Trockenblumenkränze und -sträuße herkriegen?«

Kapitel 5

 

 

»Ida, Jonte und ich wollen heute nach der Arbeit in die Sylter Welle. Hast du Lust, mitzukommen?«

Max’ Frage überrumpelte mich.

Schon im nächsten Augenblick sah ich mich wieder mit Jonte am Strand von Westerland, unweit der Sylter Welle, ein wenig abseits vom allgemeinen Geschehen. Seine Lippen, die auf meinem Körper auf Wanderschaft gingen, und seine Hände, die zärtlich Linien auf meiner Haut zeichneten, während wir im Sand lagen und die Welt um uns herum ausblendeten. Der durchdringende Blick aus seinen Augen und die Zuversicht, dass alles gut werden würde, nun, da wir wussten, wie sehr wir uns liebten und begehrten. Keinen Tag würden wir mehr ohneeinander verbringen. Denn so wie das Rauschen des Meeres zu Sylt gehörte, gehörten Jonte und ich zusammen …

»Ähm, also, ich weiß nicht, ob ich das heute mit meinen Bestellungen alles noch rechtzeitig schaffe. Ich hatte einen Auftrag ganz vergessen und muss heute wahrscheinlich länger arbeiten als sonst«, erklärte ich, nachdem ich mich wieder gefasst und die Schatten der Vergangenheit abgeworfen hatte.

Betretenes Schweigen trat am anderen Ende der Leitung ein.

»Könntest du nur heute eine Ausnahme machen? Ich fände es toll, wenn wir vier mal wieder etwas gemeinsam unternehmen würden. So wie früher.«

Bei Max’ Worten schloss ich für einen Augenblick meine Lider.

Neben dem Hausbau und unserer Arbeit war in den letzten Wochen und Monaten nur wenig Zeit für andere Aktivitäten geblieben. Und wenn Max mich allein gefragt hätte, ob ich mit ihm in das Freizeitbad nach Westerland fahren wollte, hätte ich auch freudig gejubelt. Aber mit Jonte? Das war zu viel des Guten. Und vor allem viel zu schnell. Schließlich war er erst seit Sonntag zurück und wurde in unserem Kreis empfangen, als wäre er nie weg gewesen.

»Ich versuche es, kann aber nichts versprechen«, sagte ich, weil ich Max nicht vor den Kopf stoßen wollte.

Er konnte ja nichts dafür, dass ich mich nicht zu den Jonte-Fans zählte. Mit Ida mehr Zeit zu verbringen, war auch eine schöne Idee. Auch wenn wir uns oft auf den Märkten trafen, waren wir beide dort so beschäftigt, dass keine Zeit für private Gespräche blieb.

»Dann sehen wir uns um siebzehn Uhr bei mir und fahren mit den Rädern rüber?«, hakte Max so erwartungsvoll nach, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam.

»Ja, das klappt«, sagte ich schließlich.

»Super. Ich freu mich riesig. Das wird toll. Wir können bis zum Schluss bleiben. Ich glaube, sie haben bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet. Und endlich mal wieder in die Sauna. Das wird toll. Bis später, mein Schatz. Ich liebe dich.«

Und noch ehe ich etwas erwidern konnte, hatte er das Telefonat beendet.

Tut. Tut. Tut.

Während ich darüber nachdachte, worauf ich mich da soeben eingelassen hatte, machte ich mich an eine weitere Auftragsarbeit – einen Trockenblumenstrauß für eine große Vase – und holte dafür Wiesenblumen, Astern, Nelken und Rosen aus meinem Vorratsraum.

Im Verlauf des Tages versuchte ich mich voll und ganz auf meine Tätigkeit zu konzentrieren, nur schweiften meine Gedanken dummerweise immer wieder zu dem bevorstehenden Treffen ab. Und je länger ich darüber nachdachte, desto weniger war ich der Überzeugung, es wäre eine gute Idee gewesen, Max zuzusagen.

Warum war mir keine passende Ausrede eingefallen? Warum hatte ich nicht irgendeinen Vorwand gefunden, um mich der Situation zu entziehen? Ich war doch sonst nicht auf den Mund gefallen.

Je länger ich darüber nachdachte, desto mieser wurde meine Laune. Am Ende stand ich kurz davor, Max anzurufen und abzusagen. Aber dann war da wieder dieses schlechte Gewissen ihm gegenüber. Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen und ihm das Gefühl geben, unsere gemeinsame Zeit wäre mir nicht wichtig. Ganz im Gegenteil. Aber musste Jonte denn unbedingt dabei sein?

»Na, du machst ja ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? War Käthe noch mal da?«

Oma Enna las schon immer in meinem Gesicht wie in einem offenen Buch.

»Max will ins Schwimmbad.«

»Und deshalb das betrübte Gesicht?«, fragte sie, während ich mir ein Butterbrot mit Kresse machte.

»Jonte und Ida kommen auch mit.«

»Was genau machst du denn da?«

»Etwas zu essen. Ich muss gleich los.«

Oma Enna schob mich behutsam, allerdings auch bestimmt zur Seite.

»Es ist noch Hühnerfrikassee von gestern da. Das mache ich dir schnell warm. Dann hast du wenigstens was Anständiges im Magen.«

Und noch ehe ich michs versah, saß ich auf der Eckbank in der Küche und wartete darauf, dass Oma Enna mir den Teller reichte.

Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen war, wie ich in der Küche bei meiner Großmutter saß, während sie für uns kochte. Ich liebte die Gerüche, die an diesem magischen Ort in der Luft hingen und sich mit dem Eigengeruch von Oma Enna vermischten. Nirgends im Haus roch es so gut wie in diesem Raum.

»Iss mal, meine Kleine.«

Mit diesen Worten überreichte mir Oma Enna den Teller und setzte sich mir gegenüber.

Der Rest meiner Familie würde erst gegen neunzehn Uhr essen, wenn alle wieder zu Hause waren. Zu dieser Zeit würde ich schon im Schwimmbecken meine Bahnen ziehen oder in der Sauna die Wärme genießen.

Ich versuchte, es positiv zu sehen.

»Dich scheint Jontes Rückkehr nicht ganz kaltzulassen«, sagte Oma Enna, während ich gerade den ersten Bissen im Mund hatte.

Daraufhin verschluckte ich mich dermaßen, dass ich ein ganzes Glas Wasser hinunterspülte und Oma Enna mir auf den Rücken klopfen musste.

»Wir waren befreundet. Und seitdem ist viel Zeit vergangen«, holte ich weit aus und blieb dabei äußerst vage.

»Ich dachte damals ja, ihr beiden hättet was miteinander. So wie ihr euch immer angesehen habt. Vor allem Jonte. Der schien richtig in dich verknallt zu sein.«

»Oma!«

»Was denn? Darf man denn jetzt nicht mehr offen miteinander reden, oder was? Ich sage ja nicht, dass es so war, sondern nur, wie ich das damals wahrgenommen habe. So als Außenstehende. Und als deine Großmutter. Vergiss das nicht, mein Kind, ich kenne dich seit dem ersten Tag auf unserem schönen Planeten.«

»Jonte fand es besonders toll, mich vorzuführen und sich auf meine Kosten lustig zu machen. Wir waren nie besonders eng miteinander befreundet. Es war mehr eine Zweckgemeinschaft wegen Ida und Max«, behauptete ich.

Oma Enna sah mich lange an.

»Hm, wenn du das so siehst, dann wird da schon was dran sein. Trotzdem wäre ich an deiner Stelle vorsichtig. Diesem Jonte haftet etwas Verwegenes und Abenteuerlustiges an. Und er ist ausgesprochen attraktiv. Wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, dann … Aber das spielt jetzt keine Rolle. Jonte ist kein Mann, mit dem man eine Familie gründen kann. Er wird seine Freiheit immer mehr lieben als seine Partnerin.«

Oma Enna legte bei ihren Worten ihre Hand auf meine, während ich sie nur mit offenem Mund anstarren konnte. Mit einem solchen Vortrag hatte ich nicht gerechnet. Und auch nicht damit, dass meine Großmutter Idas Bruder heiß fand.

»Jonte wäre also dein Typ«, stellte ich fest.

Oma Enna lachte.

»Er ist schon nett anzusehen.«

Als ich sie daraufhin mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, entgegnete sie:

»Was? Darf ich in meinem Alter niemand mehr attraktiv finden? Meinst du, nur weil ich alt bin, habe ich keine Bedürfnisse mehr? Ich weiß, wie es ist, sich zu verlieben, Nora. Und ich hoffe, dass ich mich noch bis an mein Lebensende an dieses Gefühl erinnern werde. Was ist der Mensch denn ohne die Liebe?«

 

Nachdem ich meinen Teller aufgegessen, ihn mitsamt dem Besteck abgespült und wieder verräumt hatte, machte ich mich auf, meine Badetasche zu richten und zu Max zu fahren.

Nach wie vor war ich der Meinung, es wäre keine gute Idee, zu viert in die Sylter Welle zu gehen. Dennoch war ich mir im Klaren darüber, dass ich kein triftiges Argument hatte, warum ich mich dem Abend entziehen konnte.

Ganz im Gegenteil.

Als ich schließlich bei Max eintraf, warteten neben ihm schon Ida und Jonte. Es sah ein wenig aus wie früher, wenn wir gemeinsam an den Strand gefahren waren, um dort zu picknicken oder baden zu gehen.

Ich hatte die Bilder noch deutlich vor mir. Ganz so, als wäre seit unserem letzten Ausflug kaum ein Tag vergangen.

»Sehr schön. Dann kann es ja losgehen.«

Max klang, als hätten sie eine halbe Ewigkeit auf mich warten müssen. Dabei war ich gerade einmal fünf Minuten zu spät dran. Aber Unpünktlichkeit mochte Max ganz und gar nicht. Das bekamen besonders seine Schüler zu spüren. Die ließ er fürs Zuspätkommen nämlich regelmäßig nachsitzen.

Ich wollte schon auf mein Rad steigen und losfahren, als mir Jontes amüsierter Blick ins Auge fiel. Ihm musste Max’ rügender Unterton aufgefallen sein. Das gab ihm allerdings noch lange nicht das Recht, sich derart überheblich zu zeigen. Schon bereute ich es, dass ich zugesagt hatte.

Jonte und Max fuhren mit den Rädern voraus, Ida und ich hinterher.

»Max meinte, du hättest gerade so viel zu tun. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag gerne Bescheid. Hörst du?«

»Ach, der ganz normale Wahnsinn. Du weißt doch selbst, wie das ist. Wir haben eben keinen sicheren Beamtenjob, sondern müssen jeden Tag schauen, wie wir zurechtkommen.«

»Das hab ich gehört«, vermeldete Max von vorn, woraufhin Jonte sich zu mir umblickte und abermals amüsiert grinste.

»Trotzdem kannst du dich immer an mich wenden, Nora. Ich habe weder einen Freund, um den ich mich kümmern muss, noch ein Haus, das ich umbaue. Ganz zu schweigen von der anstehenden Hochzeit.«

Bei dem Wort Hochzeit kam Jontes Fahrrad beträchtlich ins Schlingern. Für einen kurzen Augenblick rechnete ich sogar damit, dass er vom Rad fallen würde. Doch dann fing er sich wieder und erklärte Max irgendwas von einer Bodenwelle, die mir überhaupt nicht aufgefallen war.

Am Schwimmbad angekommen, machten wir unsere Räder fest. Da sich die Sylter Welle unmittelbar an der Nordsee befand, konnte man das Rauschen des Meeres hören und die aufschäumende Gischt am Strand beobachten. Nicht zu vergessen die kreischenden Möwen, die verzweifelt auf den Start der Saison zu warten schienen und bis dahin scheinbar schier umkamen vor Hunger. Immer das Gleiche mit ihnen. Und dennoch blieben sie.

»Sieht fast so aus, als hätten wir das Bad heute für uns«, sagte Jonte.

Da ich nicht wusste, ob das ein Vorwurf oder eine einfache Feststellung war, erwiderte ich nichts, schnappte mir stattdessen meine Badetasche und ging mit Ida im Schlepptau in Richtung Eingang.

Die Jungs trotteten gemächlich hinter uns her.

Nachdem jeder selbst seinen Eintritt bezahlt hatte, zogen wir uns um und trafen uns nach dem Duschen im Bad. Während Ida sich erst mal auf der Liege ausruhen wollte, entschied ich mich, ein paar Bahnen zu schwimmen. Der Sport war in meinem Leben in letzter Zeit leider viel zu kurz gekommen.

Also besänftigte ich mein schlechtes Gewissen mit zehn Bahnen im eiskalten Schwimmerbecken und trollte mich dann zu Ida. Die Jungs hatten ihre Taschen abgestellt und waren verschwunden.

»Wo sind Max und Jonte denn hin?«, fragte ich meine Freundin.

»Die wollten in die Sauna, glaube ich«, meinte Ida und legte das Buch zur Seite, in dem sie während meiner Abwesenheit gelesen hatte.

»Wie geht’s dir?«, fragte sie mich plötzlich mit Bestimmtheit und sah mich fest an.