Liebesglück unter dem Mistelzweig (4-teilige Serie) - Kandy Shepherd - E-Book
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Liebesglück unter dem Mistelzweig (4-teilige Serie) E-Book

Kandy Shepherd

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Beschreibung

EROBERT VON EINEM GRAFEN

Kellnerin Emma ist zwar froh, dass Jack Westwood, Earl of Redminster, sie auf einer Party vor ihrem zudringlichen Chef rettet. Aber muss er dazu unbedingt "Finger weg von meiner Frau" rufen? Jetzt ist Emma nicht nur kurz vor Weihnachten ihren Job los, die Klatschpresse stürzt sich auch auf das Liebesmärchen zwischen dem attraktiven Earl und der einfachen Aushilfe. Um einen Skandal zu vermeiden, müssen sie nun vorübergehend wirklich das glückliche Paar spielen. Dumm nur, dass Emma sich zunehmend nach wahrer Liebe sehnt, sobald Jack sie vor den Paparazzi verlangend in die Arme zieht und sinnlich küsst …

DER MILLIARDÄR UND DAS DIENSTMÄDCHEN

Eine schöne Fremde sitzt nackt in seiner Badewanne und singt Weihnachtslieder … Milliardär Lukas Christophedes ist schockiert, als er nach einer langen Geschäftsreise seine Luxusvilla betritt. Hat die Putzfrau etwa seine Abwesenheit ausgenutzt? Tatsächlich! Doch statt Ashleigh anzuzeigen, hat er spontan eine Idee: Sie soll sich während eines Geschäftsessens als seine neue Lebensgefährtin ausgeben. Natürlich nur, um eine aufdringliche Kundin abzuwehren. Doch Ashleigh ist so betörend, dass sich in Lukas unerwartet Gefühle für sie regen …

IM SCHLOSS DER SEHNSUCHT

Weihnachten ist die schönste Zeit im Jahr für Zimmermädchen Grace. Als der faszinierende Unternehmer Finlay Armstrong sie bittet, sein Londoner Luxushotel festlich zu schmücken, ist sie in ihrem Element. Bald scheint nicht nur sie, sondern auch der einsame Witwer verzaubert vom Lichterglanz, und sie kommt ihm immer näher. Doch während sie nach einer Liebesnacht auf seinem Schloss in den schottischen Highlands von einer Zukunft mit ihm träumt, stellt er plötzlich klar: Nach dem tragischen Verlust seiner Frau will er sein Herz niemals wieder verschenken!

DER MILLIONÄR UND DIE GEHEIMNISVOLLE SCHÖNE

Als Millionär Marco Santoro im Schneegestöber mit einer jungen Schönheit zusammenprallt, lädt er sie spontan auf einen Drink ein und verführt sie zu einer Nacht im Hotel. Beim Aufwachen am Morgen ist die geheimnisvolle Fremde verschwunden … Aber schneller als gedacht, sieht er sie überraschend auf einem Silvesterball wieder. Bevor seine Cinderella ihm erneut davonläuft, fordert er sie zum Tanz auf. Natürlich nur, um ein bisschen Spaß ohne Verpflichtungen zu haben, schließlich will er keine Beziehung! Doch dann erfährt er etwas, dass all seine Vorsätze ins Wanken bringt …

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Seitenzahl: 785

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Christy Mckellen, Kandy Shepherd, Scarlet Wilson, Jessica Gilmore

Liebesglück unter dem Mistelzweig (4-teilige Serie)

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „A Countess for Christmas“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 232017 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Anike Pahl

Abbildungen: Harlequin Books S.A., Phase4photography | Jozef Sedmak / Dreamstime, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733708757

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Es war mit Abstand die anstrengendste Party, auf der Emma Carmichael jemals gearbeitet hatte.

Den ganzen Abend über war die Atmosphäre steif und leblos geblieben. Daran konnte auch der wunderschöne Ort nichts ändern – ein großes Stadthaus in Chelsea, aufwendig und authentisch restauriert, mit Blick auf den eleganten Sloane Square.

Und Emma wusste genau, warum dieses Fest einfach nicht in Gang kam. Die Leute, denen sie im Vorbeigehen Erfrischungsgetränke von einem Tablett reichte, waren allesamt professionelle Partyteilnehmer, die Gelegenheiten wie diese lediglich nutzten, um mit den Wichtigen und Mächtigen der Londoner Society zusammenzukommen. Sie waren nicht hier, um sich zu amüsieren.

Solche Partys kannte Emma, auch aus der Sicht eines Gastes. In ihren späten Teenagerjahren war sie oft auf Events wie dieses eingeladen gewesen: entweder mit ihren Eltern oder mit Freundinnen aus der privaten Mädchenschule in Cambridge. Allerdings war sie damals noch eine ganz andere Person gewesen als heute – verwöhnt und unbedarft. Diese privilegierten Tage waren mittlerweile längst vorüber. Vergangenheit, genau wie das Leben ihres geliebten Vaters.

Seit sechs Jahren war er nun schon tot, und sie trauerte noch heute um ihn.

Ihr Handy vibrierte, und nachdem sie es unauffällig aus ihrer Tasche gezogen hatte, entdeckte sie eine Kurznachricht von ihrem letzten verbliebenen Kreditgeber, der sie daran erinnerte, dass sie mit ihrer Schlusszahlung im Rückstand war.

Sie bekam Magenschmerzen und steckte das Telefon eilig zurück in ihre Tasche. Trotzdem setzte sie für ihren Boss Jolyon Fitzherbert genau das professionelle Lächeln auf, das er während der Arbeitszeit von seinen Mitarbeitern erwartete.

„Emma, auf ein Wort!“, rief der Mann herrisch am anderen Ende des Raums.

Verdammt. Er hatte sie erwischt.

Sie begegnete dem finsteren Blick ihres Vorgesetzten und schluckte. Er winkte sie zu sich in die Ecke, wo er gerade eine kleine Gruppe von Gästen unterhielt. Dabei stützte er sich mit dem Ellenbogen auf einem kitschigen marmornen Kaminsims ab.

Emma war diesen unsympathischen Draufgängern schon mehrfach begegnet, seit sie vor zwei Monaten für Jolyon zu arbeiten angefangen hatte. Und sie hatte sich an deren geringschätzige Blicke gewöhnt, die ihr auch in diesem Moment zugeworfen wurden, als sie langsam näher kam.

Wenn doch Jolyon die gleiche kühle Distanz zu ihr an den Tag legen würde.

Es wurde immer schwieriger für sie, seinen gierigen Händen und unverschämten Blicken auszuweichen, ganz besonders, wenn sie allein mit ihm war.

Bis jetzt war sie stets höflich und distanziert geblieben, und das schien ihn in Schach zu halten. Aber immer wenn er ein paar Drinks genossen hatte, wurden seine Annäherungsversuche lästiger.

Tapfer kämpfte sie gegen ihre Aversion an, nickte Jolyon respektvoll zu und blieb lächelnd vor ihm stehen. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

Seine Augen glänzten, und sein Gesicht war gerötet. „Ich habe Sie hoffentlich nicht gerade eben dabei beobachtet, wie Sie mit Ihrem Handy gespielt haben, obwohl Sie eigentlich damit beschäftigt sein sollten, meine Gäste zu bewirten? Denn das wäre höchst rüde und unprofessionell, meinen Sie nicht?“

Ihre Magenschmerzen wurden stärker. „Ja, ich meine, nein. Ich habe nicht …“ Ihr wurde unangenehm heiß unter den prüfenden Blicken der Anwesenden. „Ich habe nur etwas nachgesehen.“

„Oder sind Sie sich wohl zu fein, um uns Getränke zu bringen?“, erwiderte Jolyon, und seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

„Nein, natürlich nicht.“

Wütend funkelte er sie an. „Solange ich Sie für Ihre Arbeit hier bezahle, erwarte ich auch volle Aufmerksamkeit von Ihnen.“

„Selbstverständlich, Jolyon. Und die bekommen Sie auch“, versicherte Emma ihm, und ihr Lächeln blieb starr, obwohl sie sich gewünscht hätte, der Boden würde sich unter ihr auftun.

Ihm bereitete es offensichtlich Vergnügen, sie vor seinen Gästen zu demütigen. „Wenn das so ist … dann nehme ich noch ein großes Glas Whisky.“

Sie öffnete den Mund, um die Umherstehenden nach ihren Wünschen zu fragen, doch ihr Arbeitgeber entließ sie mit einer ungeduldigen Handbewegung. „Na los! Holen Sie es schon!“

Überrascht von seiner aggressiven Haltung wich sie zurück und tat, wie ihr geheißen.

Dabei wickelte sie ihre lange Silberkette um den Zeigefinger, die sie immer um den Hals trug und die sie an bessere Zeiten erinnerte. An die Zeiten, bevor alles in ihrem Leben den Bach hinuntergegangen war.

Sie atmete durch und ging zu dem Schrank, in dem Jolyon seine Whiskyflaschen hortete. Dann schenkte sie ihm großzügig ein Glas ein, verschüttete dabei ein paar Spritzer und wischte die Flecken sofort mit ihrer Schürze vom dunklen Holz, um eine weitere Predigt zu vermeiden.

Das war die frustrierende Seite dieser Arbeit: Jolyon behandelte sie zutiefst respektlos, und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich auf die Zunge zu beißen und es zu ertragen.

Clio Caldwell, die die renommierte Agentur Maids in Chelsea betrieb, hatte diese Stelle als Haushälterin für sie gefunden und Emma vorgewarnt, dass Jolyon ein schwieriger Kunde war. Andererseits zahlte er ausgesprochen gut, also hatte sie beschlossen, sich mit seinen ungerechten Ausbrüchen und schmierigen Annäherungsversuchen abzufinden.

Wenn sie es noch ein bisschen länger bei ihm aushielt, war sie in der Lage, die letzten ausstehenden Schulden ihres Vaters abzuzahlen und dieses ganze leidige Thema hinter sich zu lassen. Erst dann konnte sie ein normales Leben führen.

Was für eine Erleichterung würde das sein.

Aus dem Nichts traf sie der Schmerz um ihren geliebten Vater. Was würde sie darum geben, ihn zurückzuhaben … von ihm stürmisch umarmt zu werden, während er ihr versicherte, dass alles wieder gut werden würde. Während er ihr sagte, dass er sie liebte und dass er es niemals zulassen würde, wenn ihr jemand wehtat.

Aber dafür hatte er nicht vorgesorgt. All die Jahre, die er so liebevoll für sie da gewesen war, hatte er gleichzeitig astronomische Schulden angehäuft. Ihr vertrautes, scheinbar so sicheres Leben hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst, als er starb. Ihre Mutter war vor ihren Augen verfallen, und Emma hatte mit ihrer Trauer und Einsamkeit allein fertigwerden müssen.

Sie umfasste das Whiskyglas so hart, dass ihre Knöchel knackten, während sie zu ihrem Arbeitgeber zurückkehrte. „Bitte schön, Jolyon“, sagte sie betont ruhig.

Er würdigte sie keines Blickes, sondern nahm ihr das Glas aus der ausgestreckten Hand und drehte ihr den Rücken zu. Dann murmelte er etwas in Richtung des Mannes, der neben ihm stand, und der warf Emma daraufhin einen anzüglichen Blick zu und lachte.

Wütend zwang sie sich, diesen offensichtlichen Affront zu ignorieren, und floh in die Küche – ihren Zufluchtsort. Sie wartete, bis sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, und seufzte tief.

Für sie war die Küche der angenehmste Raum im ganzen Haus. Hier war sie in netter Gesellschaft, und von hier aus koordinierte sie das Fest. Jahrelang hatte sie gelernt, wie man schwierige Situationen im Job meisterte, deshalb wollte sie heute auch auf keinen Fall aus der Rolle fallen.

Zum Glück hatte Clio von der Agentur ihr am heutigen Abend ihre besten Leute geschickt. Zwei der Kellnerinnen, Sophie und Grace, waren im Verlauf des vergangenen Jahres sogar ihre Freundinnen geworden. Sie hatten schon oft zusammengearbeitet.

Davor war es Emma eher schwergefallen, Freunde zu finden, die mit ihr auf einer Wellenlänge lagen. Der öffentliche Skandal um ihren Vater und seine enormen Schulden hatte sie eine Menge alter Freundschaften gekostet. Das passierte wohl eben, wenn man der Familie eines guten Freundes plötzlich jede Menge Geld schuldete. Zumindest in den Kreisen, in denen sie sich zu dieser Zeit bewegt hatte.

Sophie, eine quirlige Blondine mit einem strahlenden Lächeln und einem blitzgescheiten Verstand, hatte heute Abend eine Schulfreundin mitgebracht: eine niedliche Australierin namens Ashleigh, die für einige Monate England besuchte, und deren kastanienbraunes Haar so sehr glänzte, dass Emma sie immer wieder fasziniert anstarren musste.

Während der kurzen Pausen an diesem Abend waren die vier Frauen wunderbar miteinander ausgekommen. Vor allem, wenn sie sich über das teilweise unmögliche Verhalten der Gäste austauschten.

Trotzdem war Emmas Fröhlichkeit aufgesetzt. Sie erinnerte sich daran, dass sie selbst als junges Mädchen ähnlich dreist und unhöflich gewesen war. Und heute schämte sie sich dafür.

„Hey, ihr Lieben“, sagte sie und stellte sich zu den anderen an den Tresen, wo eifrig frische Kir Royals und Mojitos gemixt wurden.

„Hallo, Emma! Ich habe Ashleigh gerade erzählt, wie viel Spaß die Arbeit auf dem letzten Snowflake-Silvesterball gemacht hat“, sagte Sophie und zwinkerte ihr vergnügt zu. „Wirst du dieses Jahr wieder dort arbeiten? Bitte sag Ja!“

„Hoffentlich, falls Jolyon bereit ist, mir dafür freizugeben. Er will zum Skifahren nach Kanada, also sollte es klappen“, antwortete Emma voller Zuversicht.

Der jährliche Silvesterball war eine höchst beliebte Veranstaltung für die High Society von Chelsea. Im vergangenen Jahr hatten sie und die Mädels noch lange gut gelebt von den köstlichen Resten, die nach dieser exklusiven Veranstaltung übrig geblieben waren. Im Eifer des Gefechts hatte Emma sich sogar vorgestellt, wie schön es wäre, diesen Ball einmal als Gast zu besuchen, statt dort zu arbeiten.

Doch diese Fantasie lag in weiter Ferne, solange sich ihre Finanzen nicht erholt hatten.

„Werdet ihr dort sein?“, wollte Emma wissen, und ihre Kolleginnen nickten.

Grace, eine sehr dünne und trotzdem umwerfend schöne Frau, die warmherzig und gleichzeitig erschreckend pragmatisch war, schenkte ihr ein breites Lächeln. „Ich würde das um nichts in der Welt verpassen wollen. Du solltest es Clio mitteilen, wenn du auch interessiert bist, Ashleigh. Ich weiß, dass sie nach klugen, engagierten Leuten für dieses Event sucht. Dich würde sie sofort nehmen.“

„Ja, vielleicht mache ich das. Zu Weihnachten wollte ich eigentlich zurück zu meiner Familie, aber ich weiß noch nicht, ob ich wirklich schon dafür bereit bin“, gestand die junge Australierin und schob sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr. „Es würde nicht sehr feierlich enden, wenn ich dauernd versuche, meinem ehemaligen Verlobten auszuweichen.“

„Der ist an Weihnachten bei deinen Eltern zu Hause?“, fragte Grace entsetzt. „Wow, das ist ziemlich merkwürdig.“

„Ja, ein bisschen schon“, gab Ashleigh zu und trat auf der Stelle. „Aber falls ich hierbleibe, muss ich noch einen neuen Platz zum Wohnen finden. In meiner Pension kann ich bis Anfang Dezember bleiben, deshalb bleibt mir nur ein Monat, um mir was Neues zu suchen.“ Hoffnungsvoll blickte sie in die Runde. „Braucht vielleicht eine von euch eine Mitbewohnerin? Ich schlafe auch auf dem Sofa oder auf dem Boden.“

„Tut mir leid, Süße“, erwiderte Sophie und schüttelte den Kopf. „Wie du weißt, habe ich nur ein winziges Schlafzimmer, und mein Sofa ist unter den ganzen Nähmaterialien praktisch begraben. Außerdem ist es völlig heruntergekommen und klapprig.“

Auch die anderen Mädels lehnten kleinlaut ab.

„Ich kann dir auch nicht helfen, Ashleigh“, sagte Emma bedauernd. „Meine Mutter wohnt bei mir, weil ihr Apartment in Frankreich renoviert wird. Und sie würde nicht damit fertigwerden, wenn jemand auf unserer Couch lebt. In dieser Hinsicht ist sie ziemlich empfindlich.“

„Keine Sorge“, murmelte Ashleigh und wirkte dabei trotzdem ziemlich angespannt. „Ich bin sicher, da ergibt sich noch etwas.“

In dieser Sekunde erschien eine andere Kellnerin und rief aufgeregt: „Emma, die Gäste beklagen sich allmählich darüber, dass die Getränke nicht schnell genug geliefert werden.“

„Alles klar“, erwiderte Emma und schnappte sich ein volles Tablett. Dann eilte sie aus der Küche hinaus. „Bis später, Mädels!“

Während sie sich mit einem professionellen Lächeln auf den Lippen ihren Weg durch die Gästeschar bahnte, bemerkte sie einen großen, dunkel gekleideten Mann am anderen Ende des Raums, der ihr vorher noch nicht aufgefallen war.

Irgendetwas an ihm kam ihr bekannt vor, und das machte sie unruhig. Lag es an seinen breiten Schultern oder an der Art, wie sich sein Haar im Nacken kräuselte? Sein Oberkörper war kräftig und passte perfekt zu den langen, muskulösen Beinen.

Diese Statur erinnerte sie an jemanden, in den sie einmal sehr verliebt gewesen war.

Das Blut schoss ihr mit einem Mal schneller durch die Adern.

Es war Jack Westwood, Earl of Redminster. In diesem Augenblick drehte er sich zur Seite, sodass sie sein Profil erkennen konnte. Und Emma sah ihre Befürchtung bestätigt: Er war es tatsächlich. Jack.

Ihr wurde unerträglich heiß, während sie diesen Mann, den sie seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hatte, mit einer Mischung aus Schock und freudiger Erregung anstarrte.

Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit ihr wundervolles Leben in winzige Einzelteile zersprungen war.

Instinktiv machte sie einen Schritt rückwärts und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit, um sich in Ruhe sammeln zu können.

Was machte dieser Kerl überhaupt hier? Er sollte in den Staaten sein und das Multi-Milliarden-Dollar-Imperium leiten, für das er sechs Jahre zuvor England verlassen hatte.

Mit einundzwanzig Jahren war er fest entschlossen gewesen, sich einen Namen außerhalb des aristokratischen Lebens zu machen, in das er hineingeboren worden war. Er wollte sich nicht auf seinem Familiennamen ausruhen, sondern durch harte Arbeit Erfolg haben und der Beste auf seinem Gebiet werden.

Und nach allem, was sie der Presse entnehmen konnte, war er dabei höchst erfolgreich gewesen. Eigentlich hatte sie niemals daran gezweifelt. Dieser Mann strahlte einfach mit jeder Pore Intelligenz und Entschlossenheit aus.

In den Zeitungen hatte sie gelesen, dass sein Großvater kürzlich verstorben war, und sie hatte schon befürchtet, dass er deswegen nach England zurückkehren könnte. Nun hatte sie ihre Antwort.

Wie üblich war er umgeben von kichernden, wunderschönen Frauen, die ihn anhimmelten, als wäre er der schönste Mann auf Erden. So war es schon immer gewesen.

Als Emma ihm im zarten Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal begegnet war, wurde er schon von Mädchen umschwärmt. Clare – Jacks Schwester und Emmas beste Freundin von der exklusiven Privatschule – hatte ihren Bruder deswegen oft ausgelacht. Aber Emma hatte immer gewusst, dass Clare ihren Bruder innig liebte und sein anziehendes Charisma bewunderte.

Emma selbst hatte Jahre damit verbracht, sich gegen das Gefühl zu wehren, dass dieser Kerl sie nicht leiden konnte. Und ihr größtes Problem dabei war, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, weshalb er sie eigentlich ablehnte.

Während sie Jack nun anstarrte, lehnte sich eine Frau eng an ihn, legte ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Emma fühlte sich, als würde jemand ihr Herz in einer Faust zerquetschen.

War er etwa mit dieser Dame zusammen hergekommen? Bei der Vorstellung wurde ihr sofort übel.

Vorsichtig machte sie ein paar Schritte zur Seite und hoffte inständig, er würde sich nicht umdrehen – und sie in dieser Schürze von Maids in Chelsea erwischen, während sie Drinks servierte.

„Hey, du! Steh da nicht rum und glotz in die Gegend, sondern bring mir mal was zu trinken!“, rief einer von Jolyons unangenehmen Freunden.

Mit hochrotem Gesicht kam Emma auf die Gruppe zu und betete, dass Jack sie nicht entdeckte, der ein Stück abseits stand.

Unglücklicherweise passte sie beim Gehen nicht auf, und in der nächsten Sekunde war es passiert. Sie war der Begleiterin des Mannes, der sie herbeigerufen hatte, auf ihren glitzernden, spitzen Schuh getreten.

Die Dame kreischte laut auf und schlug um sich, wobei sie Emma das Tablett mit den Getränken aus der Hand stieß. Die teuren Kristallgläser landeten samt Inhalt auf dem beigen Teppich, den Jolyon erst eine Woche zuvor hatte verlegen lassen.

Für einen kurzen Moment verstummten alle Gäste und blickten zu ihr herüber, dann machte sich ein amüsiertes Raunen breit. Rasch kniete Emma nieder, um zu verhindern, dass jemand aus Versehen in die Gläser trat. Sie spürte, wie die klebrige Flüssigkeit aus dem Teppich in ihre Strumpfhose und in ihren Rock sickerte.

Jetzt brauchte bloß noch ihr Arbeitgeber auf dieses Desaster aufmerksam zu werden, und die Katastrophe war perfekt.

Ratlos blickte sie auf und sah direkt in Jacks bemerkenswert stahlblaue Augen, die ihre Wirkung auf sie niemals verfehlt hatten.

Jack Westwood starrte sie genauso fassungslos an, wie sie ihn wenige Momente zuvor beobachtet hatte.

Mit klopfendem Herzen beendete sie den Blickkontakt und sammelte mit zitternden Händen die Glasscherben ein. Danach stand sie auf und bahnte sich eilig den Weg zurück in die rettende Küche.

„Entschuldigung, Entschuldigung“, murmelte sie unterwegs und drängelte sich an den Gästen vorbei.

Hoffentlich hat er mich nicht erkannt, schoss es ihr durch den Kopf. Hoffentlich nicht!

Die erste Person, die ihr in der Küche begegnete, war Grace.

„Oh mein Gott, Emma! Was ist passiert?“

Sofort war ihre Freundin bei ihr und nahm ihr das Tablett mit dem zerbrochenen Glas ab.

Emma klammerte sich an den Arbeitstresen und schnappte nach Luft, ehe sie sich zu ihrer Freundin umdrehte.

„Emma? Geht es dir gut? Du bist weiß wie die Wand“, rief Sophie erschrocken. „Hat jemand etwas Blödes zu dir gesagt? Waren die Gäste gemein oder unhöflich? Hat sich jemand beschwert?“

Es war offensichtlich, dass Sophie auf diesem Gebiet selbst reichlich Erfahrung gemacht hatte.

„Nein, nein, nichts dergleichen“, beruhigte Emma sie schnell. Sie wollte souverän bleiben, aber das schien angesichts der unverhofften Begegnung mit Jack absolut unmöglich. „Da war nur jemand, den ich lange nicht mehr gesehen habe“, versuchte sie zu erklären.

Diese Wirkung hatte Jack leider schon immer auf sie gehabt. Ihr Verstand löste sich in seiner Gegenwart auf, und ihre Emotionen gewannen Überhand. Sechs Jahre lang hatte sie seine tiefe Stimme nicht mehr gehört und sein umwerfendes Lächeln nicht mehr gesehen … seinen einzigartigen Duft nicht mehr eingeatmet, der so viel Sehnsucht in ihr auslöste.

„Ich hatte bloß nicht erwartet, ihn hier zu sehen, das ist alles. Darauf war ich überhaupt nicht gefasst. Es hat mich kalt erwischt“, versuchte sie zu erklären und bemühte sich erfolglos um ein Lächeln.

Doch die Freundinnen gaben sich mit diesen vagen Begründungen nicht zufrieden. Kein Wunder, so wie Emma immer noch zitterte …

„Wenn du ihn sagst, nehme ich an, wir sprechen von einem Exfreund?“, mutmaßte Ashleigh.

Emma nickte und wich ihrem Blick aus, weil sie ihren Freundinnen auf keinen Fall beichten wollte, was wirklich zwischen ihr und Jack vorgefallen war. Heute Abend musste sie unbedingt dazu in der Lage sein, ihre Arbeit gut zu machen, ansonsten würde sie gefeuert werden. Außerdem wollte sie nicht über Jack sprechen, sonst könnte es leicht passieren, dass sie die Fassung verlor.

„Schon gut, ich komme klar“, sagte sie. „Aber ich habe da draußen ein ganzes Tablett mit Getränken fallen lassen. Es hat den hellen Teppich erwischt, das cremefarbene Sofa und auch die Klamotten einiger Gäste, die nicht gerade begeistert reagiert haben.“ Ihr Lachen klang gequält.

„Keine Sorge, Emma, wir machen das schon“, beschwichtigte Grace sie und tätschelte ihren Arm. „Sophie, du holst bitte einen Wischer und Putzmittel, ja?“

„Alles klar“, rief Sophie und machte sich an die Arbeit.

„Ashleigh?“

„Ich bringe sofort ein neues Tablett mit Getränken raus und flirte außerdem mit den Typen, die du besudelt hast“, versprach Ashleigh und strahlte zuerst Emma, dann Grace an.

„Großartig“, stimmte Grace zu. „Emma, du setzt dich jetzt hin und hältst den Kopf zwischen deine Knie, bis wieder etwas Farbe in dein Gesicht zurückgekehrt ist.“

„Aber …“

Doch Emmas Protest wurde durch Grace abgeschnitten, die den Kopf ihrer Freundin sanft nach vorn drückte, bis Emma auf ihrem Küchenstuhl die gewünschte Position einnahm.

Im Grunde war sie erleichtert, dass sich jemand in dieser unwirklichen Situation um sie kümmerte, auch wenn sie ihren Freundinnen eigentlich keine Umstände machen wollte. Nach einer Weile ging es ihr wieder besser, und sie wollte zurück auf die Party gehen, um ihren Dienst zu beenden.

Sophie kam zurück in die Küche.

„Du siehst schon um einiges erholter aus“, sagte sie.

„Mir geht es auch wieder gut“, bestätigte Emma sofort. „Ich bin bereit, mich wieder in die Höhle des Löwen zu wagen.“

„Du kannst genauso gern hier in der Küche bleiben und alles von hier aus organisieren“, schlug Sophie vor. „Wir kriegen das da draußen schon hin mit den Gästen.“

Seufzend nahm Emma das lieb gemeinte Angebot zur Kenntnis, aber sie wusste auch, dass sie sich nicht vor der Wahrheit verstecken konnte.

„Danke, aber ich kann mich ja wohl kaum den ganzen Abend hier verstecken. Jolyon erwartet mich da draußen bei seinen Gästen, damit ich ein Auge auf den Ablauf des Abends habe. Dafür bezahlt er mich schließlich.“

Inständig hoffte Emma, sie würde überzeugender klingen, als sie sich fühlte.

„Okay, aber dann machen wir zumindest etwas mit deinen Haaren“, verlangte Sophie und streckte schon die Hände aus. „Wir nehmen dir erst einmal diese strenge Spange raus. Damit schreckst du bloß die Männer ab!“

Bereitwillig ließ Emma zu, dass ihre Freundin die Haarspange entfernte. Dann schüttelte sie leicht den Kopf, und ihr Haar fiel ihr locker um die Schultern.

„Du hast eine so tolle blonde Mähne“, schwärmte Sophie. „Du färbst sie gar nicht, oder?“

Verlegen nickte Emma. „Ich könnte mir momentan niemals leisten, regelmäßig zum Friseur zu gehen.“ Sie dachte daran, wie viel Geld sie in ihrer unbeschwerten Jugend für Frisuren rausgeworfen hatte, und was sie heute alles mit diesem Geld anstellen könnte. Mehr Abendkurse besuchen zum Beispiel, und mehr Studienmaterialien bezahlen …

Ihre Prioritäten hatten sich im Laufe der Zeit definitiv geändert.

Die Tür zur Küche flog auf, und Emma zuckte heftig zusammen, als sie Jolyon Fitzherbert auf sich zukommen sah. „Emma! Was ist hier eigentlich los? Wieso schmollen Sie, wenn Sie eigentlich da draußen dafür sorgen sollten, dass meine Party reibungslos verläuft? Und was haben Sie sich dabei gedacht, mit Ihren Drinks meinen neuen Teppich zu versauen?“

Hilflos hob sie eine Hand. „Ich habe lediglich die Vorräte hier überprüft, mich mit meinen Kolleginnen abgesprochen und bin natürlich gleich wieder draußen bei Ihnen“, erklärte sie in einem Ton, der selbst für ihre eigenen Ohren etwas zu schrill klang.

Ihr Vorgesetzter kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Kommen Sie jetzt mit!“, befahl er und machte unbeholfen auf dem Absatz kehrt, was ihr zeigte, wie betrunken er schon war.

Beschwichtigend legte Sophie Emma die Hand auf den Arm, doch die winkte nur müde ab.

„Schon gut, ich komme mit ihm klar“, murmelte Emma. „Ihr sorgt dafür, dass hier alles glatt läuft, solange ich da draußen bin, okay?“

Ihre Freundin nickte ihr beruhigend zu. „Kein Problem.“

Gehorsam lief Emma Jolyon nach und schluckte, als er die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete. In diesen Raum wurde man für gewöhnlich nur beordert, wenn es wirklich große Schwierigkeiten gab. Ihm gefiel es nämlich, dort in seinem Ledersessel hinter dem riesigen Eichenschreibtisch zu sitzen und seine Angestellten nach Strich und Faden runterzumachen.

Entschuldigend hob sie beide Hände. „Jolyon, es tut mir ehrlich leid wegen der verschütteten Getränke. Es war ein Unfall, und ich verspreche, es wird nicht wieder passieren.“

Noch bevor er seinen Schreibtisch erreicht hatte, drehte er sich schwankend zu Emma um und starrte sie an. Inzwischen hatte er schon deutlich einen über den Durst getrunken.

„Was gedenkst du zu tun, um mich dafür zu entschädigen?“, lallte er.

Ihr gefiel der Ausdruck in seinen geröteten Augen nicht. Er ließ ihre Alarmglocken schrillen.

„Ich bezahle auf jeden Fall eine professionelle Teppichreinigung. Von den Gläsern müssen nur wenige ersetzt werden, also geht es ja eigentlich nur um den Fleck, oder?“

Langsam schüttelte er den Kopf. „Ich finde, da reicht keine einfache Entschuldigung. Immerhin hast du meine Party ruiniert.“

Obwohl sie wusste, wie unklug es war, ihn in diesem Zustand zu reizen, verschränkte sie die Arme vor der Brust und hob angriffslustig ihr Kinn. Zugegeben, sie hatte für ein kleines Malheur gesorgt, aber das hatte dieser langweiligen Party höchstens den richtigen Pfiff gegeben!

„Jolyon, alle Gäste haben sich großartig amüsiert. Sie haben hier eine wundervolle Feier veranstaltet“, begann sie und wählte ihre Worte mit Bedacht. Denn am liebsten hätte sie ihm einfach direkt ins Gesicht gesagt, er könne sich seinen Job sonst wohin stecken. Doch sie biss sich auf die Zunge und rief sich den desolaten Stand ihres Girokontos in Erinnerung. Sie konnte es sich buchstäblich nicht leisten, ihrem Ärger nachzugeben und Jolyon die Meinung zu geigen.

Wie erwartet provozierten ihn ihre Widerworte, und er war offenbar entschlossener denn je, ihr körperlich näherzukommen. Abrupt machte er einen Schritt auf sie zu und schob seine Hand etwas ungeschickt über ihre Wange bis in ihr Haar. Dann packte er zu, und Emma bekam ein flaues Gefühl im Magen.

Schließlich befand sie sich hier allein mit ihm im Raum … ein ganzes Stück weit weg von der restlichen Gästeschar.

Mit dem Daumen strich er an ihrem Kiefer entlang bis hin zu ihrer Unterlippe.

Seine Berührung widerte sie an, trotzdem rührte sie sich keinen Millimeter. Sie blendete den Ekel einfach aus, da sie genau wusste, was für eine Sorte Mann sie vor sich hatte. Er inszenierte diese Situation wie einen Test. Und wenn er jetzt irgendein Anzeichen von Schwäche an ihr entdeckte, war sie auf der Stelle gefeuert.

„Tja, für mich hast du die Party aber ruiniert“, knurrte er und kam noch dichter an sie heran, sodass sie seinen scharfen Whiskyatem roch. „Aber vielleicht finden wir einen Weg, wie du es wiedergutmachen kannst.“

Sein gieriger Blick blieb an ihren Lippen hängen.

Verzweifelt überlegte sie, wie sie reagieren sollte, ohne diese Situation noch schlimmer zu machen.

„Jolyon, lassen Sie mich bitte los“, sagte sie mit fester, lauter Stimme, auch wenn ihr dieser Tonfall äußert schwerfiel. „Ich muss zurück zur Feier und mich weiter um die Gäste kümmern. Die werden sich auch alle schon fragen, wo Sie wohl geblieben sind“, betonte sie in der Hoffnung, ihn damit an den letzten Rest seiner guten Erziehung zu erinnern. Und um sich selbst die Flucht zu ermöglichen!

An sein Ego zu appellieren, hatte bisher eigentlich immer funktioniert. Leider sah sie in seinen starren Augen, dass sie mit diesem Trick heute kein Glück haben würde. Er wollte deutlich mehr von ihr als nur eine Entschuldigung.

Diese Vorstellung jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.

Energisch machte sie einen Schritt zurück und löste sich so aus seinem Griff. „Ich muss jetzt zurück. Lassen Sie uns doch morgen über die Sache reden, ja?“

Ehe er reagieren konnte, war sie schon aus dem Zimmer geflohen und ging mit steifen Schritten den Flur entlang. Sie konnte hören, wie er ihr folgte. Sein Atem kam keuchend, als er schneller lief, um sie einzuholen.

Kurz vor der Flügeltür zum Wohnzimmer packte er sie am Arm und zwang sie, sich zu ihm umzudrehen.

„Jolyon, bitte …“, begann sie und erstarrte, weil er in dieser Sekunde seine feuchten Lippen auf ihren Mund presste.

Seine Arme hielten sie brutal umklammert, und sie bekam keine Luft mehr. Ihr Puls wummerte in ihren Ohren, während sie nach Kräften versuchte, sich zu befreien.

Dann ließ er sie plötzlich los. Oder wurde er von ihr weggezerrt? Das gequälte Geräusch, das tief aus seiner Kehle drang, ließ jedenfalls vermuten, dass ihm jemand gerade Schmerz zufügte.

Panisch drehte Emma sich um und prallte dabei gegen Jack.

Seine hypnotisierenden Augen waren fest auf sie gerichtet, und sein Gesicht wirkte regungslos bis auf einen kleinen Muskel, der an seiner Schläfe zuckte.

Emma spürte ein Kribbeln in der Magengegend.

Als Nächstes wanderte sein Blick über ihre Schulter zu Jolyon, der keuchend am Türrahmen lehnte und sich krümmte, als würde ihm etwas wehtun.

„Was willst du, Westwood?“, stieß er hervor und blickte Jack feindselig an.

Jacks Haltung war starr, jeder Muskel schien angespannt, und es hätte Emma nicht gewundert, wenn er Jolyon einen Faustschlag ins Gesicht verpasst hätte.

Stattdessen ging Jack Westwood bloß auf den deutlich kleineren Mann zu, sodass Jolyon gezwungen war, aus nächster Nähe einem sehr großen, sehr wütenden Mann ins Gesicht zu sehen.

„Ich will, dass Sie die Finger von meiner Frau lassen!“

2. KAPITEL

Jack wusste sofort, dass er einen monumentalen Fehler begangen hatte, als er hinter sich den Aufschrei einiger Gäste hörte.

Was hatte er bloß angerichtet?

Es war gar nicht sein Stil, die Fassung zu verlieren. In Geschäftskreisen war er dafür bekannt, kühl und überlegt zu agieren und sich durch nichts und niemanden einschüchtern oder aus der Ruhe bringen zu lassen. Aber Emma wiederzutreffen, hatte ihn aus der Bahn geworfen.

Ironischerweise war der letzte Zeitpunkt, an dem er die Kontrolle über sich verloren hatte, genau der Moment gewesen, als er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Sie hatte einfach diese unerklärliche Wirkung auf ihn. Sie verdrehte ihm den Kopf und raubte ihm seine Selbstbeherrschung, bis er nicht mehr wusste, was er tat.

Mit Vernunft betrachtet, hätte er sich heute Abend strikt von ihr fernhalten müssen. Zumindest so lange, bis er sich gesammelt hatte und in der Lage war, ihr gefasst gegenüberzutreten. Aber es war schlicht unmöglich gewesen, sie zu ignorieren.

Sein Instinkt hatte ihn vor wenigen Minuten dazu gebracht, nach ihr zu suchen, nachdem er sie aus den Augen verloren hatte. Und als er gesehen hatte, wie penetrant Fitzherbert sie bedrängt hatte, musste er sie einfach verteidigen und beschützen.

Schließlich war sie immer noch seine Ehefrau. Auch wenn sie in den vergangenen Jahren keinen Kontakt mehr gehabt hatten.

Die maßlose Wut darüber, wie widerlich dieser Mistkerl mit ihr umgegangen war, rauschte noch immer durch Jacks Adern. Für wen hielt dieser Fitzherbert sich eigentlich? Zwang sich einer Frau auf, die ganz offensichtlich nicht an ihm interessiert war? Emma mochte ihren Chef nicht, daran hatte Jack keinerlei Zweifel. Er kannte sie immer noch gut genug, um ihre Körpersprache lesen zu können, selbst wenn sie versuchte, sie zu kontrollieren.

„Emma, alles in Ordnung?“, erkundigte er sich und suchte in ihrem Gesicht nach Spuren von Gewalt. Doch einzig ihr Stolz schien verletzt zu sein, jedenfalls war das sein erster Eindruck.

„Mir geht es gut, Jack. Ich komme schon allein klar“, versicherte sie ihm und legte lächelnd eine Hand auf seinen Arm.

Ihn machte das warme Gefühl verrückt, das sich auf seinem Arm ausbreitete, und er wandte sich schnell von ihr ab.

Hinter ihm richtete sich Jolyon auf und strich sich mit zitternden Fingern das zerknitterte Hemd glatt.

„Ich möchte, dass ihr beide verschwindet“, sagte der betrunkene Mann mit belegter Stimme.

Jack warf einen Blick über die Schulter und bemerkte, wie flehentlich Emma ihren Chef ansah. Zu verschwinden war offenbar das Letzte, was sie jetzt tun wollte. Aber wieso bleiben? Waren die beiden vielleicht sogar ein Paar?

Dieser Gedanke entsetzte ihn. So tief war sie doch bestimmt nicht gesunken, dass sie sich auf Playboys wie Fitzherbert einließ? Sie war zwar in der höheren Gesellschaft aufgewachsen und war es daher gewohnt, dass andere sie bedienten. An Fitzherberts Seite wäre ihre Existenz sozial und finanziell voll abgesichert. Aber eine Beziehung zu diesem Widerling?

„Jolyon, bitte, es handelt sich doch bloß um ein Missverständnis“, begann sie. „Können wir nicht in Ruhe darüber reden?“

Fitzherbert brachte sie mit erhobener Hand zum Schweigen und schüttelte den Kopf. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt.

„Ich will es gar nicht hören, Emma! Ich will nichts mehr hören! Ihr sollt nur verschwinden. Sofort! Die anderen Mädchen übernehmen deine Aufgaben. Soweit ich das beurteilen kann, ist das heute Abend eh schon so gelaufen. Wann immer ich dich gesucht habe, hast du dich in der Küche versteckt.“

„Von dort aus habe ich den Ablauf organisiert“, rechtfertigte sie sich.

Jetzt hielt er den Arm noch höher, und seine Handfläche kam ihrer blassen Wange dabei gefährlich nahe.

Diese Geste einer angedeuteten Ohrfeige empörte Jack, doch er hielt den Mund. Emma wüsste es bestimmt nicht zu schätzen, wenn er sich in diese Diskussion einmischte. Also ließ er sie die Sache selbst regeln.

Vorerst.

„Hast du mich nicht verstanden, Emma? Du bist gefeuert!“, fuhr Fitzherbert sie an. Auch wenn er betrunken war, konnte er sich plötzlich recht klar und deutlich ausdrücken.

Gefeuert? Demnach arbeitete sie für ihn? Diese Erkenntnis fand Jack noch schockierender als die Vorstellung, dass die beiden ein Paar waren.

Sie wollte widersprechen, aber Fitzherbert ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Ich habe der Agentur unmissverständlich aufgetragen, mir eine unverheiratete Haushälterin zu schicken, damit die Prioritäten klar sind. Ich brauche jemanden, der bis spät in die Nacht arbeiten kann und auch kurzfristig einspringt, ohne sich mit einem Partner absprechen zu müssen. Was solche Sachen angeht, habe ich nämlich schon genug schlechte Erfahrungen gemacht.“

Dann wandte er sich vorwurfsvoll Jack zu. „Ein echter Gentleman würde seine Ehefrau ohnehin niemals für einen stadtbekannten Junggesellen wie mich arbeiten lassen.“

Spätestens jetzt wurde deutlich, was Fitzherbert sich unter den Aufgaben einer Haushälterin vorstellte.

Jacks Verachtung kannte keine Grenzen.

„In deiner Bewerbung hast du deinen Familienstand als ledig angegeben“, fuhr Fitzherbert gereizt fort und ignorierte Jack, der schon die Fäuste ballte. „Du hast gelogen, deshalb kündige ich unseren Vertrag hiermit fristlos. In meinem Haus dulde ich weder eine Lügnerin noch die Tochter eines verschuldeten Versagers.“

Diese Beleidigung versetzte Emma sichtlich einen Schock, was ihrem Arbeitgeber zu gefallen schien. Lächelnd beugte er sich vor und genoss es, bei ihr einen Nerv getroffen zu haben. „Ja, genau, ich weiß nämlich alles über deinen Vater, und wie er achtlos das Geld anderer Leute verschleudert hat. Schon aus Gewohnheit und mich selbst zu schützen, überprüfe ich jeden, der für mich arbeitet, auf Herz und Nieren.“ Er zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf sie. „Dir habe ich nur eine Chance gegeben, weil du hart arbeitest und ganz passabel aussiehst. Aber wer weiß, was aus meinem Haus schon alles verschwunden ist, seit du dich hier aufhältst?“

Das reichte!

„Wagen Sie es nicht, so mit ihr zu sprechen!“, brauste Jack auf.

Frustriert sah Emma ihn an. „Jack, ich sagte doch, ich komme allein klar. Bitte halte dich da raus!“

„Kein Wunder, dass du deine Ehe geheim gehalten hast, wenn sie auf diese Weise mit dir umspringt“, murmelte Fitzherbert amüsiert mit einem Seitenblick auf Jack.

„Ach, fahren Sie doch zur Hölle, Jolyon!“, konterte Emma mit einer Wut, die Jack gleichermaßen überraschte und imponierte. „Und Ihren miserablen Job können Sie gern jemand anderem geben. Ich hätte Ende des Monats sowieso gekündigt. Mir geht Ihr Gegrapsche nämlich schon lange auf die Nerven.“

Entschlossen riss sie sich die Bistroschürze – die Jack bis jetzt gar nicht bemerkt hatte – von der Taille und ließ sie vor Fitzherberts Füßen zu Boden fallen. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und stolzierte zur Tür hinaus.

Inzwischen hatte sich fast die gesamte Gästeschar versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen, und nun starrten alle Anwesenden neugierig und erwartungsvoll Jack an. Offenbar gingen sie davon aus, dass er sofort hinter seiner Frau hereilen müsste.

Verdammt!

Jetzt war das gut gehütete Geheimnis seiner Ehe gelüftet, und er musste dringend einen Weg finden, damit umzugehen, ohne dabei einen Imageschaden zu erleiden. Was er momentan gar nicht gebrauchen konnte, war die Aufmerksamkeit der Klatschpresse, denn er musste nach seinem USA-Aufenthalt in England wieder Fuß fassen – und das ohne Skandale.

Zwar war er es als Geschäftsführer gewohnt, komplexe und schwierige Situationen in den Griff zu bekommen. Aber auf diesen Eklat hätte er gut verzichten können …

Er warf Fitzherbert einen letzten verächtlichen Blick zu, dann schritt er zur Garderobe und nahm seinen Mantel, um Emma hinaus in die kalte Novembernacht zu folgen.

Sie drehte sich nicht zu ihm um, während sie die breiten Marmorstufen des Stadthauses hinunterlief und den Vorplatz überquerte.

„Emma, warte mal!“, rief Jack und befürchtete, sie könnte sich ein Taxi rufen und verschwinden, ehe er sie erreichte. Er musste unbedingt wissen, was es mit diesem Drama auf sich hatte.

„Wieso musstest du dich da einmischen, Jack?“, fuhr sie ihn an und blieb stehen. Ihre blassen Wangen hatten mittlerweile etwas Farbe bekommen, und ihre schönen Augen funkelten vor Aufregung.

Wow! Dieser Anblick ließ ihn wie angewurzelt stehen bleiben. Selbst in diesem aufgeheizten Moment war er sich bewusst, was für eine bezaubernd hübsche Frau da vor ihm stand. Sie war sogar noch hübscher als vor sechs Jahren.

Damals waren sie sich zuletzt begegnet. Diese vollen, weichen Lippen hatten ihn bis in seine Träume verfolgt. Und er liebte ihre hellgrünen, intelligenten Augen, die so häufig vor Witz und Lebensfreude förmlich sprühten.

Im Augenblick sah sie jedoch nicht gerade fröhlich aus.

Jack verdrängte die Gedanken an früher, verschränkte die Arme und zog arrogant eine Braue hoch.

„Ich konnte nicht einfach danebenstehen und zugucken, wie herablassend Fitzherbert dich behandelt hat“, erklärte er und schlug dabei einen möglichst kühlen, neutralen Ton an. Er wollte hier mitten auf dem berühmten Sloane Square keine öffentliche Szene provozieren. Immerhin konnten hinter jedem Baum und hinter jedem Auto Paparazzi lauern.

Etwas verlegen trat er auf der Stelle. „Das hätte ich auch für jede andere Frau in deiner Lage getan.“

Ein verletzter Ausdruck schlich sich in ihre schönen Augen. „Tja, dann merke es dir bitte für die Zukunft! Ich bin durchaus in der Lage, auf mich selbst aufzupassen. Es war völlig unnötig, dass du dich einmischst, Jack.“

Die Muskeln in seinen Schultern verkrampften sich. „Ich bin dein Ehemann. Natürlich war es nötig, dass ich mich einmische.“

Sie seufzte und stieß mit der Fußspitze gegen den Boden. „Formell stimmt das vielleicht, aber niemand dort wusste von unserer Ehe. Ich hätte es zumindest nie im Leben erwähnt.“

Ihm gefiel ganz und gar nicht, wie abgeschoben er sich bei diesen Worten fühlte. Als wäre ihre Hochzeit ein schmutziges Geheimnis, für das man sich schämen musste.

Ihm lagen tausend Fragen auf der Zunge. Er wollte wissen, was in den letzten Jahren geschehen war. Wieso sie für einen Mann wie Fitzherbert arbeitete, und warum sie sich nie bei ihm, ihrem Ehemann gemeldet hatte – sei es auch nur, um ihm mitzuteilen, wie es ihr seit ihrer Trennung ergangen war.

Aber er stellte ihr keine dieser Fragen. Dies war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort, um solche Dinge zu diskutieren.

„Warum hast du überhaupt vor all diesen Leuten herausposaunt, dass wir beide verheiratet sind?“, wollte sie wissen, und ihre Stimme schwankte.

Angestrengt rieb er sich mit der Handfläche über die Stirn. „Ich habe in der Hitze des Augenblicks einfach überreagiert.“

Das war schon immer das Problem gewesen, wenn sich Emma in seiner Nähe befand. Aus irgendeinem Grund brachte sie ihn aus dem Tritt und ließ ihn die Kontrolle verlieren. Niemand sonst auf der Welt hatte diese Wirkung auf ihn.

Zu seiner Überraschung zeigte sich ein Lächeln auf ihrem ernsten Gesicht.

„Nun, die ganze Angelegenheit wird sich in der Oberschicht von Chelsea wie ein Lauffeuer verbreiten. Die Menschen lieben Klatsch und Tratsch.“

Seufzend winkte er ab. „Keine Sorge, das währt nicht lange. Bald wird unsere Geschichte von anderen Neuigkeiten verdrängt. Ich werde mich schon um alles kümmern.“

Eine Weile sah sie ihn schweigend an, so als könnte sie nicht recht glauben, dass er dieses Dilemma in den Griff bekam.

Jack erwiderte ihren Blick und kämpfte heimlich gegen die Gefühle, die sie in ihm wachrief. Am liebsten hätte er die Tatsache, dass sie beide noch verheiratet waren, einfach verdrängt, aber das war natürlich keine Option. Und da er zurückgekommen war, bestand kein Grund mehr, diese Sache zu ignorieren. Der Stier musste bei den Hörnern gepackt werden, damit sie beide mit ihrem Leben fortfahren konnten, ohne größeren Schaden zu nehmen.

Denn sicherlich würde eine Scheidung trotzdem schmerzhaft für sie werden … auch nach all der Zeit.

Emma brach den Blickkontakt ab und starrte auf den Bürgersteig vor ihren Füßen. „Ich wollte den Job eigentlich behalten. Er wurde wirklich gut bezahlt“, murmelte sie frustriert. „Und wer weiß, was es für Folgen hat, Jolyon auf diese Art und Weise zu brüskieren?“

Er ballte die Hände zu Fäusten und bemühte sich, nicht rasend zu werden bei dem Gedanken daran, wie Fitzherbert mit ihr umgesprungen war. „Er wird gar nichts unternehmen. Dieser Typ ist ein Feigling.“

„Jolyon ist ein sehr einflussreicher Mann“, erklärte sie und biss sich besorgt auf die Unterlippe. „Viele bedeutende Leute hören auf ihn und vertrauen seinem Urteil.“

Sie starrte in die Ferne, und in der kalten Luft sah er, dass ihr Atem stoßweise kam. „Hoffentlich glaubt wenigstens Clio von der Agentur meiner Version der Geschichte und vermittelt mich weiter in andere Jobs. Obwohl die Kunden mich wahrscheinlich nicht mehr beschäftigen werden, wenn Jolyon vorher mit ihnen geredet hat.“

„Aber bestimmt bist du nicht so extrem auf eine neue Stelle angewiesen, oder?“, erkundigte er sich vorsichtig. Es verwunderte ihn, dass sie sich darüber Gedanken machte, ob sie einen neuen Job als Kellnerin bekam. Was war aus ihren Plänen geworden, an der Universität zu studieren? Sie arbeitete doch wohl nicht schon die ganze Zeit als Aushilfe für irgendwelche Auftraggeber?

Ihr trauriges Lächeln ging ihm sehr nahe, und noch irgendetwas anderes regte sich in seiner Brust.

„Unglücklicherweise bin ich das, Jack. Wir sind nicht alle Geschäftsführer einer eigenen Firma“, fügte sie sarkastisch hinzu.

Er lachte trocken und schüttelte ungläubig den Kopf. Schließlich hatte er es Emmas überzeugender Ermutigung zu verdanken, dass er damals nach dem Universitätsabschluss das vielversprechende Angebot einer amerikanischen Elektronikfirma angenommen hatte. Und erst diese Anstellung hatte ihm den Traum von einem eigenen Unternehmen ermöglicht.

Es war eine unglaubliche Gelegenheit gewesen. Eine, auf die man sofort hatte reagieren müssen. Emma hatte verstanden, wie wichtig es für ihn gewesen war, finanziell unabhängig zu werden und nicht einfach nur den Namen und die Geschäfte seines Vaters weiterzutragen. Sie hatte ihn dazu gedrängt zu gehen.

In einem Anfall von jugendlichem Optimismus hatte er sie gebeten, seine Frau zu werden, damit sie mit ihm kommen konnte. Immerhin war sie der wichtigste Mensch in seinem Leben gewesen. Er war von seiner Liebe zu ihr regelrecht besessen gewesen. Jede Sekunde der Trennung hatte sich zu jener Zeit leer und falsch angefühlt. Es war einfach undenkbar für ihn gewesen, sie allein in England zurückzulassen.

Rückblickend war es natürlich lächerlich, so jung schon eine solche Bindung auf Lebenszeit einzugehen. Er hatte gerade die Cambridge Universität abgeschlossen, und Emma war erst achtzehn Jahre alt.

Im Grunde waren sie beide noch halbe Kinder gewesen, naiv und unerfahren.

Sie räusperte sich, und ihm wurde bewusst, dass er sie eine ganze Weile gedankenverloren angestarrt hatte.

„Jedenfalls war es nett, dich wiederzusehen, Jack“, sagte sie bemüht freundlich. Aber sie schien auf der Hut zu sein, denn ihre Miene blieb wachsam. „Trotz dieser widrigen Umstände. Doch ich denke, ich sollte jetzt besser gehen.“

An der Art, wie sie die Arme um sich schlang, sah er, dass sie fror.

„Wo ist dein Mantel?“, fragte er und konnte sich die Antwort schon denken.

„Der ist noch im Haus, genau wie meine Handtasche“, gestand sie. „Aber ich kann da jetzt nicht noch mal reingehen. Ich rufe nachher eines der Mädchen an und bitte sie, mir die Sachen morgen vorbeizubringen.“ Sie machte eine kurze Pause, dann gab sie sich einen Ruck. „Du kannst mir nicht zufällig ein paar Pfund für den Bus leihen?“

Ihre zaghafte Stimme rührte etwas in seinem Inneren an. Schlagartig wurde ihm klar, was für einen fürchterlichen Abend sie heute gehabt hatte.

„Ja, natürlich.“ Sofort schlüpfte er aus seinem Mantel und hängte ihn ihr über. „Du kannst ihn erst einmal behalten, und das Geld ist in der Tasche.“

Dankbar strahlte sie ihn an. „Ehrlich? Danke schön.“

„Sicher“, stieß er hervor und merkte, wie sein Körper auf ihre Nähe reagierte. Jack räusperte sich schnell. „Kommst du denn in deine Wohnung rein?“ Im Grunde wusste er nicht, wie sie inzwischen lebte. Er hatte zwar gehört, dass sie nach London gezogen war, nachdem das Haus ihrer Familie in Cambridge verkauft wurde, aber darüber hinaus hatte er nichts weiter erfahren. Er hatte es gar nicht wissen wollen. Es war ihm lieber gewesen, auf Abstand zu bleiben … nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war.

Er hatte sich vorgenommen, sie aufzusuchen, sobald er sich in London richtig eingerichtet hatte. Aber bis dahin war es eben noch ein weiter Weg. Zuerst hatte er einen stellvertretenden Geschäftsführer für sein Unternehmen in den USA finden und einarbeiten müssen.

Und nun stand er vor der Aufgabe, hier in England seine familiären Angelegenheiten zu klären.

„Meine Mutter wohnt zur Zeit bei mir, sie kann mir die Tür aufmachen“, erwiderte Emma mit einem müden Lächeln.

Er nickte langsam, und sein Verstand drehte sich im Kreis. Mit einem unguten Gefühl im Bauch stellte er fest, dass er sie nicht einfach nach Hause fahren lassen konnte. Wenn sie jetzt verschwand, stand er wie ein Idiot da, falls die Presse tatsächlich auf ihn aufmerksam wurde. In dem Fall behauptete er vielleicht etwas, das Emma nachträglich revidierte, sobald die Journalisten sie ausquetschten. Und das würde früher oder später passieren.

Außerdem hatte er selbst tausend Fragen an sie, nachdem sie sich gute sechs Jahre lang nicht mehr gesehen hatten. Und die würden offen bleiben, wenn Emma nun einfach nach Hause zurückkehrte.

Nein, er konnte sie nicht einfach entkommen lassen.

„Hör mal, wieso gehen wir nicht zu mir nach Hause und unterhalten uns ein bisschen?“, schlug er vor. „Ich wohne hier gleich um die Ecke.“

Warum hatte er bloß seinen Chauffeur für heute entlassen? Eigentlich hatte Jack gar nicht ausgehen wollen. Doch dann hatte er sich spontan von einem alten Kommilitonen aus Universitätszeiten überreden lassen, der geschäftlich mit Fitzherbert zu tun hatte.

„Wir müssen darüber reden, wie wir mit dieser Situation jetzt umgehen“, fuhr er hastig fort, als sie keine Anstalten machte, seinem Plan zuzustimmen. „Du weißt, wie fies die Medien in diesem Land werden können. Und wenn die Journalisten irgendwann vor der Tür stehen, müssen wir ihnen eine plausible Erklärung liefern. Solange sie von einer mysteriösen Geschichte ausgehen, werden sie uns ständig verfolgen. Keine Ahnung, wie es dir dabei geht, aber ich persönlich lege keinen Wert darauf, dass in meiner Vergangenheit herumgewühlt wird.“

Dieser Einwand drang endlich zu ihr durch, und er entdeckte einen Funken von Einsicht in ihrem Blick. Und Beklommenheit.

Vorsichtig kam er noch näher und bereute es sofort, als ihm ihr süßer, verführerischer Duft in die Nase stieg. „Du brauchst ja bloß für eine Stunde oder so mitzukommen, damit wir ein bisschen Zeit haben, uns zu unterhalten. Das letzte Mal ist immerhin ziemlich lange her. Ich würde gern erfahren, wer du heute bist, Em.“

Ausdruckslos starrte sie ihn an. Diese eiserne Miene hatte sie seit dem plötzlichen Tod ihres Vaters sozusagen perfektioniert, um ihre wahren Gefühle dahinter zu verstecken. Funktionierte hervorragend als Selbstschutz!

Auch Jack war früher schon in den zweifelhaften Genuss dieser distanzierten Geste gekommen. Gleich nach der großen Tragödie … und dann sehr häufig während der langen, schmerzvollen Tage, die darauf folgten.

„Okay“, stimmte sie schließlich zu und atmete seufzend aus.

Er nickte kurz und zeigte in die Richtung, in die sie gehen mussten. „Dort entlang“, murmelte er und bereitete sich innerlich auf den vermutlich wortkargen Heimweg mit seiner Frau vor, die er ganze sechs Jahre lang nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte.

3. KAPITEL

Zum Glück befand sich Jacks Haus gleich zwei Straßen weiter, denn Emma hätte es wohl nicht länger in Jacks schwerem, warmem Wollmantel ausgehalten. Er duftete zu maskulin, zu erotisch. Und weckte Sehnsüchte in ihr, die sie lieber nicht zulassen wollte.

Es hatte sie allergrößte Anstrengung gekostet, dort vor Jolyons Haus Jack gegenüber Haltung zu bewahren. Und sie hatte fast die Selbstbeherrschung verloren, als er ihr in die Augen sah und erkannte, dass sie fror. Mit genau diesem Blick hatte er sie auch angesehen, als sie noch jünger waren. Es war dieses intensive Interesse an ihrem Wohlbefinden, das ihr direkt ins Herz ging und sie vollkommen durcheinanderbrachte.

Er winkte sie eine steinerne Treppe zu einem eleganten Stadthaus hinauf, und dann standen sie vor einer dunklen Eingangstür, die so sehr auf Hochglanz poliert war, dass sie sich in ihr spiegelten.

Das Haus selbst war, wie erwartet, zutiefst beeindruckend, auch wenn die Einrichtung an sich nichts wirklich Besonderes war. Eine Mischung aus hochwertigen Antikmöbeln, viel dunkles Mahagoniholz, mit relativ modernen, ebenfalls dunklen Tapeten und Wandbehängen kombiniert.

Jacks Familie war außerordentlich wohlhabend und besaß eine ganze Reihe von Häusern in England, unter anderem eines in Cambridge, in dem Jack und seine Schwester Clare aufgewachsen waren. Doch dieses Anwesen hatte Emma noch nie zu Gesicht bekommen. Dafür waren sie und Jack nicht lange genug ein Paar gewesen.

„Was für ein … einzigartiger Ort“, bemerkte sie zögernd und wusste nicht recht, wie sie sich ausdrücken sollte.

„Danke“, erwiderte er kühl und ignorierte ihr uncharmantes Zögern einfach. Zielstrebig steuerte er auf das Wohnzimmer zu.

Sie folgte ihm und empfand auch hier die Einrichtung als ziemlich deprimierend. „Hat dieses Haus deinem Großvater gehört?“

„Genau“, antwortete er und wirkte dabei angespannt und sogar ein wenig traurig. „Mir hat er dies hinterlassen und meiner Schwester Clare das in Edinburgh.“

Emma erinnerte sich daran, wie gern Jack Zeit mit seinem Großvater verbracht hatte, einem eigenbrötlerischen Geschäftsmann und respektiertem Gefolgsmann des Königreichs. Dieser hatte immer ein Lächeln und ein freundliches Wort für Emma übrig gehabt – ganz im Gegensatz zu Jacks Eltern – und sie hatte sich mit dem alten Mann glänzend verstanden. Jack hatte auch sein gutes Aussehen von ihm geerbt, genauso wie seinen Geschäftssinn.

„Es tat mir sehr leid zu hören, dass er gestorben ist, Jack“, sagte sie mitfühlend und hätte gern den Schmerz gelindert, den sie in seinen Augen entdeckte. Aber das war nicht möglich, ohne eine gewisse Grenze zu überschreiten.

Bisher hatte er es offenbar bewusst vermieden, sie zu berühren. Das schloss sie aus seiner angespannten Körperhaltung, und wahrscheinlich würde er ihr sogar ausweichen, wenn sie den ersten Schritt wagen sollte.

Sie musste unbedingt einen kühlen Kopf bewahren! Diese Sache würde für sie beide nicht einfach werden, daher war es am klügsten, die Emotionen so weit wie möglich außer Acht zu lassen. Im Grunde sollten sie beide diesen ganzen Schlamassel wie eine geschäftliche Transaktion behandeln. Nicht mehr und nicht weniger. Ansonsten würde mindestens einem von ihnen das Herz gebrochen werden.

Der bloße Gedanke daran, was vor ihnen lag, trieb Emmas Adrenalin in die Höhe. Resigniert ließ sie sich in den nächstbesten Sessel sinken und genoss das wohlige Gefühl der dicken, weichen Kissen in ihrem Rücken. Sie zog die Knie eng an ihren Körper.

„Hast du Clare in letzter Zeit gesehen?“, wollte sie wissen. Ihr wäre jetzt jedes Thema recht gewesen, um die angespannte Atmosphäre zwischen ihnen etwas aufzulockern.

„Nicht seit der Beerdigung von meinem Großvater“, gab er zu und runzelte die Stirn. „Ihr geht es aber gut, sie ist in Edinburgh glücklich.“ Jetzt sah er Emma direkt in die Augen. „Und sie vermisst dich. Weißt du das eigentlich?“

Seine Worte machten sie unendlich traurig. „Ich vermisse sie auch“, gestand sie leise. „Es ist lange her, seit wir zum letzten Mal miteinander gesprochen haben. Allerdings war ich vor allem in letzter Zeit ziemlich beschäftigt …“

Sie brach ab, weil sie selbst merkte, wie lächerlich, erbärmlich und schwach diese Ausrede klang.

In Wahrheit hatte sie zugelassen, dass ihre Freundschaft zu Clare einfach im Sande verlief.

Einige Monate nach dem Tod von Emmas Vater war Clare zum Studieren nach Edinburgh gegangen. Emma war dagegen zu Hause geblieben und hatte ihr Kunststipendium sausen lassen, damit sie ihrer Freundin besser aus dem Weg gehen konnte.

Natürlich hatte Clare deswegen keinen offenen Streit angefangen. Aber trotzdem war sie mehr und mehr verletzt gewesen, wenn Emma immer neue lahme Ausreden hervorbrachte, weshalb sie nicht nach Schottland fliegen konnte, um ihre Freundin zu besuchen.

Dabei hatte es für all dies einen guten Grund gegeben. Clare hatte nichts von der Wirbelwind-Beziehung zwischen ihrem Bruder und Emma geahnt. Damals hatte Emma gar nicht gewusst, wie sie es ihrer Freundin hätte erklären sollen. In ihrer jugendlichen Unschuld hatte sie diese Affäre ja nicht einmal selbst richtig einschätzen können. Außerdem hätte Clare bestimmt nicht gerade angetan auf die Nachricht reagiert, dass ihr Bruder hinter ihrem Rücken mit ihrer Freundin angebändelt hatte.

Und ganz sicher auch nicht darauf, dass Emma Jack später zutiefst verletzt hatte, weil sie aus der Ehe geflohen war.

Sie hätte die Nähe ihrer Freundin Clare, deren Lächeln dem von Jack erschreckend ähnlich war, nicht länger ertragen. Es hatte Emma körperliche Schmerzen bereitet, dieses Lächeln zu sehen. Und sie hätte mit Clare nicht über ihren Bruder sprechen können. Aber ihr die Tatsachen zu verschweigen, war auch keine Option gewesen. Also hatte Emma ihre Freundin schlicht aus ihrem Leben gestrichen. Ihr war keine bessere Lösung des Problems eingefallen.

Der Gedanke daran erfüllte Emma mit Scham und einem unerträglich schlechten Gewissen.

„Wie geht es denn deiner Mutter?“, erkundigte sich Jack etwas unbeholfen und beendete damit ihren inneren Tumult.

Ihr wurde klar, dass sie kurz davor war, an ihren Fingernägeln herumzukauen. Eine schlechte Angewohnheit, die sie sich erst kürzlich mühsam abgewöhnt hatte.

„Es geht ihr gut, danke“, murmelte sie und entschied, ihm nichts davon zu erzählen, wie sehr ihre Mutter abgebaut hatte, nachdem sie ihren ersten Ehemann, ihr Vermögen und ihren Ruf verloren hatte. Ihre Mutter selbst weigerte sich, über all das zu reden, und sie hatte auch ihre Tochter dazu verdonnert, das Thema zu vermeiden.

„Sie lebt in Frankreich mit ihrem neuen Ehemann. Außer in dieser Woche … ihr Haus wird renoviert, und sie wohnt eine Weile bei mir.“

Er seufzte, und es klang so, als fände er es schrecklich, was für einen banalen Verlauf ihr Gespräch genommen hatte. „Möchtest du etwas trinken?“

Es war offensichtlich, dass er für seinen Teil jetzt einen Drink vertragen konnte.

„Ähm, ja, bitte. Ich nehme gern einen Whisky ohne Eis.“ Ein Schluck purer Alkohol kam ihr gerade recht und würde sie hoffentlich wieder zu Sinnen bringen. Immerhin galt es als patente Medizin, wenn man einen Schock erlitten hatte, oder etwa nicht?

Jack stand auf, ging zur Bar und schenkte ihnen beiden ein.

Das unruhige Gefühl in Emmas Magen wurde noch schlimmer. Sie hatte gehofft, sie wäre in der Lage, unbefangen mit ihm umzugehen. Aber seine unterkühlte Distanziertheit zerrte mehr und mehr an ihren Nerven.

„Also, wie läuft das Elektronikgeschäft in den Vereinigten Staaten?“, fragte sie betont gut gelaunt, um die Atmosphäre etwas aufzulockern.

„Es ist profitabel“, antwortete er knapp und drückte ihr das Whiskyglas in die Hand.

„Willst du mich etwa betrunken machen?“, fragte sie scherzhaft mit einem Blick auf das gut gefüllte Glas.

Doch Jack erwiderte ihr Lächeln nicht, sondern wandte sich von ihr ab und starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit.

Ihr wurde ganz flau. Wo war bloß der leidenschaftliche, verspielte Mann geblieben, den sie damals kennengelernt hatte? Anscheinend war er durch einen streng kontrollierten Roboter ersetzt worden, der nicht mehr über den Witz und Charme verfügte, in den Emma sich Hals über Kopf verliebt hatte.

In der Hoffnung auf etwas mehr Mut stürzte sie einen großen Schluck Whisky hinunter. Dann drehte sie sich auf ihrem Sessel zu ihm um und war entschlossen, sich nicht durch seine finsteren Blicke einschüchtern zu lassen. „Demnach hast du entschieden, nach England zurückzukommen, um deine sozialen Verpflichtungen als Graf wahrzunehmen?“ Abwartend drehte sie ihr Glas in den Händen und spürte dabei das geschliffene Muster unter ihren Fingerspitzen.

Er sah sie an, und sie fühlte sich sofort auf unerklärliche Weise von ihm durchschaut.

„Tja, nun, wie soll ich das erklären?“, begann er unschlüssig. „Nachdem ich mich in den vergangenen fünf Jahren ausschließlich um die Entwicklung und um das Tagesgeschäft meiner Firma gekümmert habe, ist mir klar geworden, wie wichtig mir meine Herkunft ist.“ Er verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Fensterbank. „Heute weiß ich, wie viel Mühe es kostet, ein Erbe mit Bestand aufzubauen. Meine Vorfahren haben hart dafür gearbeitet, ihr Anwesen zu erhalten. Es wäre arrogant und vermessen von mir, dieser Anstrengung keinen Tribut zu zollen und all dem den Rücken zu kehren.“

Es überraschte sie, diese Worte von ihm zu hören. Sie hätte viel eher erwartet, dass er sich dagegen wehren würde, seine aristokratischen Pflichten ernst zu nehmen, nachdem er unglaublich viel Arbeit in seinen persönlichen Erfolg gesteckt hatte.

Andererseits hatte er das Leben schon immer auf seine ganz eigene Art angepackt. Und es klang, als wäre es seine freie Entscheidung gewesen, in dieses Land zurückzukehren. Niemand hatte ihn dazu gezwungen.

Unfreiwillig zitterte sie, als von irgendwoher eine kalte Brise ihre Haut streifte.

Sofort zog Jack die Stirn kraus und verließ seinen Platz am Fenster, um sich vor den offenen Kamin zu hocken und Brennholz aufzuschichten.

„Dann wirst du ab jetzt in England leben?“, hakte sie nach, und ihre Stimme bebte, als sie sich vorstellte, was das bedeutete. In jedem Fall würden sie sich von nun an über den Weg laufen. Das Schlimmste daran war, dass sie ihm dabei vermutlich des Öfteren Häppchen und Drinks servieren würde, da es sich die High Society dieser Stadt nicht nehmen lassen würde, ihn auf ihre Feste einzuladen.

„Ja, meine Basis ist ab sofort definitiv hier“, bestätigte er und zündete ein Streichholz an, um das Kaminfeuer zu entfachen. Sorgfältig beobachtete er die ersten züngelnden Flammen und pustete hin und wieder auf das Holz.

Dann drehte er sich plötzlich zu ihr um und blickte sie ernst an. „Wir sollten uns dringend darüber unterhalten, was wir mit dem Umstand anfangen, dass wir noch verheiratet sind.“

Scheidung. Das war es, was er ansprechen wollte!

Sie wusste, es war höchste Zeit, dass sie ihre Ehe offiziell beendeten, doch die Vorstellung setzte ihr zu. Niemals würde es für sie einfach sein, über eine Scheidung von Jack nachzudenken. Genau darum hatte sie auch in den vergangenen Jahren jeden Kontakt mit ihm vermieden. Ihr wurde einfach schlecht bei dem Gedanken.

Damals waren sie unendlich glücklich gewesen, so verliebt und voller Hoffnung auf eine grandiose Zukunft.

Sie wollte um das weinen, was sie beide verloren hatten.

„Ja. Ich denke, wir sollten Anwälte beauftragen, die sich mit der Abwicklung und dem Papierkram beschäftigen“, schlug sie vor und wollte dabei aufgeklärt und ruhig klingen. Dabei tobte in ihrem Inneren ein Sturm der Emotionen! „Das ist es doch, was du willst, oder?“

Zuerst sagte er nichts, sondern starrte nur schweigend vor sich hin.

„Willst du …“ Die Worte kamen ihr kaum über die Lippen. „Willst du etwa wieder heiraten?“

Zu ihrer Erleichterung schüttelte er den Kopf.

„Nein“, bekräftigte er. „Aber es ist höchste Zeit, dass ich meine Angelegenheiten regele, jetzt, wo ich wieder hier bin.“

„Bevor das mediale Interesse an dir hochkocht, stimmt’s?“

Er schluckte und nickte. „Da wir gerade davon reden. Wir müssen uns darüber einig werden, was wir den Reportern über unsere Beziehung verraten, sobald sie vor unserer Tür stehen.“ Steif und unbeholfen setzte er sich auf das Sofa gegenüber von ihrem Sessel.

Zischend atmete sie ein und gab vor, intensiv nachzudenken. „Sollen wir ihnen weismachen, dass wir zwar verheiratet waren, aber jetzt geschieden sind und Freunde bleiben?“ Die Unsicherheit in ihrer Stimme implizierte schon, dass sie selbst nicht an diese Geschichte glaubte.

Er schüttelte den Kopf. „Das lässt sich viel zu leicht nachprüfen. Wenn wir wegen der Termine lügen, machen wir die ganze Sache dadurch noch schlimmer.“

Ratlos schob sie sich das Haar hinter die Ohren. „Okay, was behaupten wir dann? Dass unsere Ehe schon vor sechs Jahren gescheitert ist, nachdem du in die Staaten gegangen bist? Und dass wir bis jetzt gewartet haben, um dem ganzen Dilemma ein Ende zu setzen?“

„Sie würden wissen wollen, warum du nicht mit mir nach Amerika gegangen bist“, wandte er ein.

„Wir könnten sagen, ich hätte aus familiären Gründen hierbleiben müssen“, schlug sie vor. Gleichzeitig fiel ihr siedend heiß ein, dass die Journalisten sich in diesem Fall auch auf ihre Mutter stürzen würden.

„Das wäre zumindest dicht an der Wahrheit. Und es ist schlauer, die Dinge so einfach wie möglich zu halten“, murmelte Jack und bemerkte offenbar nichts von ihrer herannahenden Panik.

„Klingt auch nicht gerade toll, oder?“, fragte sie, und ihr Herz klopfte schneller. „Doch es würde vermutlich noch mehr lästige Fragen aufwerfen und das Interesse dieser Schmeißfliegen weiter reizen. Meinst du nicht? Sie würden erfahren wollen, was mich hier in England gehalten hat, und dann wäre auch die Pleite meines Vaters wieder in den Schlagzeilen.“