Liebesgrüße aus Napoli - Un Amore Italiano - Martina Meier - E-Book

Liebesgrüße aus Napoli - Un Amore Italiano E-Book

Martina Meier

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Beschreibung

Luigi stand an der Uferpromenade und starrte auf das schlammige Meerwasser. Wellen schlugen an den Strand und brachten den fauligen Gestank von Fisch mit sich. Das Wasser war höher als sonst und unzählige Zweige und Äste trieben in der Strömung mit. Es war bereits fast dunkel und viel zu kalt für diese Jahreszeit. Er fröstelte und vergrub seine Hände in den Taschen seiner alten, ausgefransten Regenjacke. Einige Jogger liefen an ihm vorbei, Leute mit Hunden und ein verliebtes Pärchen. Er war unsichtbar, die Leute bemerkten ihn nicht. Er war der Schattenmann. (Dörte Müller) Was es mit dem Schattenmann auf sich hat, tja, das verraten wir natürlich hier noch nicht. Aber in „Liebesgrüße aus Napoli“, so haben wir den siebten Band unserer Reihe „Un Amore Italiano“ betitelt, geht es um tödliche Affären, mörderische Verhältnisse, um Auftragsmorde, die große Liebe und ... natürlich um die Mafia.

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Un Amore Italiano

Liebesgrüße aus Napoli

Italienische Liebesgeschichten – Band 7

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Herausgegeben von CAT creativ - www.cat-creativ.at

Lektorat und Gestaltung im Auftrag von

© 2022 – Herzsprung-Verlag

Mühlstraße 10 – 88085 Langenargen

www.herzsprung-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2022. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Cover erstellt von Papierfresserchens MTM-Verlag unter Verwendung von Bildern mit AdobeStock-Lizenz: © adonsky + © simbos

Reisen Sie mit uns in das Sehnsuchtsland Italien und erleben immer wieder neue „Un Amore Italiano – Geschichten einer Liebe in Italien“.

ISBN: 978-3-99051-076-6 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-077-3 - E-Book

*

Inhalt

Sara & Francesco

Buon Natale

Genug gelaufen

Eine Nacht in Neapel

Mailänder Scala

Die Schöne und das Biest

Ins Glück entführt

Colpo di fulmine - Liebe auf den ersten Blick

Un problema in bella Italia

Allegros letzter Akt

#spontan#Nachtzug#Neapel

Wir finden dich überall ...

Italienische Geschäfte

Trophäen

Luigis Geheimnis

Kunst verführt

Der Fluch der Genetik

L’amore ist eine harte Probe

Der Anhänger

Das Bildnis des Adriano

Uomo ombra

Melania und Stefania

Das Mädchen auf dem Foto

Die Sinnsuche

Lorenzos Glück

Liebe deinen Nächsten

Gutschein mit Folgen

Sancus trägt Trauer

Ein Sommerurlauber

Der Rettungsring des Todes – Tutti rosso

Schwör, wenn du lügst

Napoli, im Guten und Schlechten

Assassinio S.r.l.

Sizilianische Eröffnung

Perfekter Gentleman

rosa

An der Treppe

Der Plan im Plan

Ein fast perfekter Plan

Verliebt in einen Engel

Buchtipp: Un Amore Italiano

*

Sara & Francesco

Er lächelt und tupft sich mit einem Taschentuch Schweißperlen von der Stirn. Luca blickt zufrieden auf seine Heidelbeer-Sahnecremetorte, die noch ihre Verzierung braucht, und lässt seinen Blick hinüber zu dem kleinen Fenster schweifen. Draußen laufen Touristen über die sonnige Piazza Navona.

Er steht an diesem Sonntagmittag alleine in der hell erleuchteten Backstube, schiebt seine Konditormütze zurecht und greift nach der weißen Einladungskarte. Unter einem Bild mit den beiden steht in dunkelblauer Schrift: Wir laden ein – zur Hochzeit. Sara & Francesco.

Dunkelblau wie Heidelbeeren, Saras Lieblingsfrüchte mit ihrem süßlich-herben Geschmack. Luca lächelt und tastet über seinen leichten Bauchansatz. Er wird erst am Nachmittag kommen. Hoffentlich gibt es keine Verzögerung im Tagesablauf oder beim Transport der Torte durch die Straßen Roms. Er hat genau kalkuliert. Um 16 Uhr muss die Torte serviert werden. Der weiche Sahnemantel umhüllt die fünf violetten Cremeschichten mit Heidelbeeren. Während Luca kleine Sahnehäubchen aus einer Spritztüte auf den Rand drückt, denkt er an Sara, wie sie wohl jetzt gerade in der Kirche Francesco ihr Jawort gibt. Dann werden sie alle ins Restaurant fahren, ein Fünf-Gänge-Menü genießen und am Nachmittag wird seine Heidelbeer-Sahnecremetorte der kulinarische Höhepunkt des Tages sein.

Er zieht sich Handschuhe an und hält inne. Das Aroma der eingelegten Beeren wird sich erst in einer Stunde entfalten. Er nimmt zögernd kleine Heidelbeeren aus einer Metallschüssel und setzt eine auf jedes kleine Sahnehäubchen.

Wie bezaubernd sie auf dem Bild lächelt. Ob sie mit Francesco glücklich sein wird? In guten wie in schlechten Tagen? In Gesundheit und Krankheit? Bis der Tod sie scheidet?

Luca setzt eine kleine dunkelblaue Spritztüte auf der Torte an. In geschwungenen Buchstaben schreibt er Sara & France… . Seine Hand zittert. Ein dicker Klecks ergänzt das Missgeschick. Er flucht kurz in sich hinein, trägt mit einem kleinen Spatel die letzten Buchstaben wieder ab und setzt erneut an. Wie kann man nur Francesco heißen? So ein langer Name. Luca wäre kürzer gewesen. Sara und Luca. Das hätte auf die Torte gepasst.

Er denkt an seine gemeinsame Zeit mit Sara. Seit ihrer Jugend waren sie zusammen, saßen verliebt an den Brunnen im Rom, verkauften Heidelbeeren am Marktstand ihrer Eltern und rannten durch das nächtliche Rom, bis sie Francesco auf einem Businessseminar kennenlernte. Sie meinte, Francesco sei ein Immobilienmakler mit Stil, Weitblick und Geld. Da konnte Luca als Konditor nicht mithalten, mochte er auch noch so gute Heidelbeer-Sahnecremetorten für sie zaubern. Luca sollte dafür Verständnis haben und sich in eine andere Frau verlieben. Das hat bis heute nicht geklappt.

Luca versucht, entspannt zu lächeln, aber es gelingt ihm nicht. Spätestens um 16 Uhr wird er lächeln, wenn das Brautpaar die Torte vor seinen Augen anschneidet.

Luca zieht um Sara und Francesco ein dunkelblaues Sahneherz. Damit ist die Torte vollendet und sein Ausrutscher nicht mehr zu erkennen. Alle Zutaten sind drin. Er überprüft sein handgeschriebenes Rezept und seine Zeichnung, die er mit den beiden letzte Woche besprochen hatte. Er und Francesco saßen sich gegenüber wie Rivalen, Sara dazwischen.

„Bist du noch nachtragend wegen damals?“, wollte sie wissen.

Francesco verdrehte die Augen. Luca musterte ihn, wie er dasaß mit Anzug, Krawatte, Dreitagebart, Gelfrisur.

„Nach der Trennung dachte ich manchmal, du würdest mir aus Eifersucht etwas antun“, sagte sie.

Doch Luca schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. „Was hätte ich davon gehabt?“

„Vielleicht Genugtuung. Du bist oft so nachtragend. Aber das wäre ja lächerlich. Wir sind erwachsene Menschen.“

Luca blickt erneut zur Einladungskarte. „Was passiert, wenn sie Nein sagt? Habe ich dann wieder eine Chance?“

Er nimmt die Konditormütze ab und legt sie neben die Torte. Ein optischer Genuss für die Fotoapparate der Hochzeitsgesellschaft. Und ein besonderer Geschmack. Luca ist sich nun sicher, die Torte heute Nachmittag mit einem fröhlichen Lächeln anliefern zu können. Und mit Genugtuung, während er sich danach direkt auf den Weg nach Mailand machen würde.

Er nimmt die Schüssel, in der die Heidelbeeren eingelegt waren, und wäscht sie sorgfältig aus. Dann nimmt er ein Fläschchen vom Tisch und wirft es in den Ofen. Er lächelt, als das Totenkopfsymbol darauf kurz aufglüht und in harmlose Asche zerfällt.

Andreas Obster,Jahrgang 1979, studierte in Bonn Germanistik, Medienkommunikation und Deutsch als Fremdsprache und ist in der Erwachsenenbildung tätig. Seit 20 Jahren schreibt er Kurzgeschichten und leitet Schreibwerkstätten.

*

Buon Natale

Der gigantische und stilvoll geschmückte Weihnachtsbaum und die filigran gearbeitete Krippe im Wohnzimmer wollten so gar nicht zu der Todesnachricht passen, die Commissario Gino Ginetto zu überbringen hatte. Er seufzte, versuchte, den Kloß in seinem Hals zu ignorieren. In drei Tagen war Weihnachten, das Fest der Liebe und Familie.

Er würde die Tage alleine und allenfalls in Gesellschaft einiger Flaschen Rotwein verbringen. Dementsprechend düster mies war seine Stimmung, obgleich das historische Zentrum Neapels dank der vielen Lichterketten überall regelrecht funkelte. Der Kommissar vermisste Sonne und Wärme. Er liebte den Sommer.

Paola di Marenzi, die Ehefrau des Mordopfers, die wegen ihrer MS-Erkrankung an den Rollstuhl gefesselt war, reagierte gefasst, als sie von dem Tod ihres Mannes hörte. Ein Jogger hatte den Richter leblos auf einer Bank unweit des alten Neptunbrunnens entdeckt.

„Der Fundort der Leiche ist nicht der Tatort. Das wissen wir bereits von der Spurensicherung. Ihrem Gatten wurde übrigens die Zunge postmortal, also erst nach dem Tod, herausgeschnitten. Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, Signora. Hatte Ihr Mann Feinde?“

Frau di Marenzi schluckte. „Jede Menge. In seinem Job hat ... ähm ... hatte er es doch mit vielen Psychopathen zu tun. Es gab immer wieder Drohbriefe.“

„Ich werde dem nachgehen. Kann ich irgendetwas für Sie tun? Eine Freundin oder Bekannte anrufen? Kommen Sie ohne Hilfe überhaupt zurecht?“

„Nicht nötig, Commissario. Ich komme alleine klar.“

Gino Ginetto nickte.

„Tja, da hat ihn tatsächlich jemand mundtot gemacht. Wer hätte das gedacht?“, schob die Witwe leise nach.

„Hatte Ihr Mann denn in seinem privaten Umfeld Feinde?“

„Nein. Wir haben hier eigentlich ziemlich zurückgezogen gelebt. Ich zumindest. Aber fragen Sie doch seine Geliebte.“

Der Kommissar zog fragend die Augenbrauen hoch.

„Giulia Molinari. Sie ist Staatsanwältin. Mein Mann und ich haben eine offene und freie Ehe geführt.“

Gino Ginetto bedankte sich für die Informationen, ehe er die Witwe um die Identifizierung des Toten am Nachmittag in der Rechtsmedizin bat und sich das Notebook des Verstorbenen aushändigen ließ.

„Wir hatten keine Geheimnisse voreinander, Herr Kommissar. Das Kennwort meines Mannes lautet Vito*1991, nach dem Geburtsjahr unseres Sohnes. Er studiert in den USA. Ich werde ihn wohl gleich anrufen müssen.“

„Darf ich Sie etwas fragen, Signora? Hat es Sie nie gestört, dass Ihr Mann eine Geliebte hatte?“

„Ach, wissen Sie, man gewöhnt sich daran. Sie kamen und gingen. Und seitdem ich im Rollstuhl sitze, habe ich das Roberto sogar gegönnt.“ Paola di Marenzi hüstelte. „Unsere Beziehung basiert ... ähm ... basierte auf tiefem Vertrauen. Wir haben letztes Jahr erst unsere Silberne Hochzeit gefeiert. Und Roberto hat sich wirklich rührend um mich gekümmert, nachdem ich so krank wurde. Wir haben neulich noch eine ausführliche Tour durch die Stadt gemacht und unter anderem die magische Atmosphäre von San Gregorio Armeno auf uns wirken lassen. Ich liebe die traditionelle neapolitanische Weihnachtskrippe. Danach waren wir noch am Schloss Ottaviano. Ich mag die Weihnachtsbeleuchtung dort sehr. Ach, was rede ich? Ich bin völlig durch den Wind.“ Die letzten Worte waren kaum zu verstehen.

Der Polizeibeamte beendete das Gespräch, als Paola di Marenzi den Wunsch äußerte, alleine sein zu wollen. Er fuhr zum Gericht, um als Nächstes mit Giulia Molinari zu sprechen.

Die Staatsanwältin reagierte schockiert, als sie von dem Mord hörte. Es dauerte eine Weile, bis sie in der Lage war, zu reden. „Wir wollten zusammenziehen. Roberto wollte sich scheiden lassen. Seine Frau war dagegen, auch, weil sie alleine in dem großen Haus kaum zurechtkommt. Sagt sie zumindest.“

„Können Sie sich vorstellen, dass der Tod von Roberto di Marenzi mit seiner Arbeit hier zusammenhängt? Seine Frau sprach von Drohbriefen.“

„Roberto hat diese Briefe immer gleich weggeschmissen. Er hat dem ganzen Dreck keine Bedeutung beigemessen. Vielleicht war es auch tatsächlich einer seiner Klienten. Möglich ist in einer Stadt wie Neapel alles.“

„Können Sie mir Namen nennen?“

Giulia Molinari überlegte. „Giorgio Rossi ist mehrfach ausgerastet.“

Der Commissario notierte den Namen und ließ sich die Anschrift geben. Dann sprach er mit dem Abteilungsleiter, ehe er das Dienstzimmer von Roberto di Marenzi mit Handschuhen durchsuchte und sicherheitshalber versiegelte.

Mit einigen Akten unter dem Arm machte er sich auf den Weg in sein eigenes Büro, in dem der Obduktionsbericht schon auf ihn wartete.

Das Opfer war in klassischer Manier mit Digitalispräparaten vergiftet worden. Der Tod musste gestern am frühen Abend eingetreten sein. Spuren des Täters waren nirgends entdeckt worden.

Nach mehreren Telefonaten war dem Kommissar klar, dass Giorgio Rossi als Tatverdächtiger ausschied. Er verbüßte seit Längerem eine Haftstrafe. Ein Attentat der Camorra war zudem unwahrscheinlich. Die in die organisierte Kriminalität eingeschleusten V-Männer schlossen sofort einen Zusammenhang aus.

Die Geliebte des Opfers hatte ebenfalls ein glaubwürdiges Alibi. Sie war beim Probetraining im Fitnessstudio gewesen. Das hatten der ihr zugeteilte Personalcoach und die Frau von der Anmeldung telefonisch bestätigt.

Paola di Marenzi war dagegen angeblich wie jeden Nachmittag alleine zu Hause gewesen und hatte gelesen, später den Weihnachtsbaum geschmückt. Der Commissario notierte sich Stirn runzelnd die Angaben und begann kurz darauf, im Internet über Multiple Sklerose zu recherchieren.

„Zeugen, die Sie gestern gesehen haben, gibt es also nicht?“, fragte er skeptisch nach, als er die Witwe am Nachmittag zu Hause abholte, um mit ihr in die Rechtsmedizin zu fahren.

„Nein. Ich war wie so oft allein. Ich kann mich sehr gut selbst beschäftigen.“ Die in schwarz gekleidete Witwe schwieg einen Moment, ehe sie fortfuhr: „Aber wie hätte ich bei meinem Gesundheitszustand meinen Mann auch töten, wie eine Leiche transportieren sollen? Und vor allem: Warum? Roberto und mich hat eine tiefe und auf Vertrauen basierende Liebe verbunden. Und wir haben immerhin ein gemeinsames Kind. Unterschätzen Sie das nicht. Was ist mit seiner Klientel? Suchen Sie besser da den Täter!“

„Danke für den Tipp. Ich glaube, das erübrigt sich.“ Der Polizeibeamte räusperte sich, bevor er weitersprach: „Wie schmückt man eigentlich aus dem Rollstuhl heraus einen zwei Meter hohen Weihnachtsbaum alleine? Ich habe da mal gegoogelt. Nur 15 Prozent aller MS-Kranken brauchen tatsächlich dauerhaft einen Rollstuhl. Am häufigsten ist bei dieser Entzündung des Zentralen Nervensystems ein schubartiger Verlauf, bei dem sich beschwerdefreie Phasen mit heftigen Krankheitszeiten abwechseln.“ Der Kommissar legte eine kunstvolle Pause ein. „Sie haben doch sicher nichts dagegen, wenn wir jetzt gemeinsam Ihrem behandelnden Arzt einen Besuch abstatten, oder?“

Paola di Marenzi zuckte zusammen und schien auf ihrem Autositz in sich zusammenzuschrumpfen.

Gino Ginetto fuhr mit seinen Ausführungen fort: „Mord aus Eifersucht. Niedrige Beweggründe. Mit der herausgeschnittenen Zunge wollten Sie doch nur von sich ablenken. Signora di Marenzi, ich an Ihrer Stelle würde mir jetzt einen verdammt guten Anwalt suchen. Den haben Sie wahrscheinlich dringend nötig.“

„Das mag sein. Aber in einem Punkt irren Sie gewaltig, Commissario. Es war mir einfach ein Vergnügen, Roberto im wahrsten Sinne des Wortes mundtot zu machen. Ich wollte damit gar nicht von mir als Täterin ablenken. Es ging mir vielmehr darum, ihm endgültig das Maul zu stopfen. Ich konnte sein ewiges Geschwätz von der freien Liebe einfach nicht mehr ertragen.“

Ulli Krebs,geboren 1965 in Düsseldorf, Redakteurin und Hobbyautorin, Veröffentlichung mehrerer Kurzgeschichten, Gedichte und eines Regionalkrimis, wohnhaft in der Wesermarsch.

*

Genug gelaufen

Journalistin Lea verließ gerade mit ihrer besten Freundin das Multicinema Modernissimo, das Lieblingskino des unzertrennlichen Duos. Sie und Mona waren soeben glückliche Zeitzeugen von The French Dispatch geworden. „Ein klassischer Wes Anderson!“, fasste Lea das Meisterwerk zusammen.

Das Restprogramm bestand darin, sich mehrere Drinks servieren zu lassen und sich anschließend mit Mona über diesen verdammt genialen Film zu unterhalten. Die angenehme Sommerluft versprach einen erfrischenden Spaziergang zur angepeilten Bar. Bei dem Gedanken an den wartenden Alkohol musterte Lea ihre Hüften. Sie sollte wieder öfter Rad fahren oder joggen, so wie der von links kommende Mann, der offensichtlich sogar zu dieser abendlichen Stunde seinen inneren Schweinehund besiegen konnte. Wie sehr Lea doch solch disziplinierte Menschen respektierte. Für sie war jeder, der, wie dieser Mann, selbst abends noch seinen Allerwertesten hochbekam, ein richtiger …

„Bastard!“, entfuhr es ihr. Dieser Mistkerl hatte sich im Vorbeilaufen ihre Handtasche geschnappt und bog direkt in Richtung der Via Toledo ab. Mona blieb wie angewurzelt stehen und bekam vor lauter Schock ihre heruntergeklappte Kinnlade nicht mehr hoch. Lea hingegen bückte sich sofort und riss sich instinktiv die Plateauschuhe von den Füßen.

„So viel zum Besiegen von Schweinehunden!“, dachte sie sarkastisch und lief, so gut es ihr der knielange Rock zuließ, drauflos. An der Via Toledo angekommen, drehte sich der Dieb um, steckte die Beute in das Innere seines hellblauen Jogginganzugs und ging lockeren Schrittes nach rechts. Mit einer Hand packte Lea ein Stück vom herunterhängenden Stoff und zog den Rock gerade so weit nach oben, dass sie einen Sprint loslegen konnte, ohne dabei einen Striptease zu riskieren. Bei jedem Schritt spürte sie den harten, kühlen Asphaltboden, der sie verspottete und sie daran erinnerte, dass die Menschen nicht mehr dazu in der Lage waren, barfuß zu laufen. An der Kreuzung schüttelte sie ihre komischen Gedanken ab und bog mit einem fokussierten Blick in die Hauptstraße ein.

Als sie den elenden Dämlack erspähte, der für das heftige Brennen in ihren Lungen – sowie für ihr inneres Fluchen – verantwortlich war, schwenkte dieser direkt vor der Chiesa di San Michele Arcangelo nach rechts in die Querstraße hinein.

„Gott sei Dank!“, dachte sie, denn sie hatte keinerlei Lust, wie eine an Asthma erkrankte Kuh laut schnaubend und bloßfüßig, mit ihrem Rockzipfel in der Hand, weiterhin an der Via Toledo entlangzuhopsen – das Wort rennen schien ihr gerade etwas unpassend. Sie machte es dem Spielverderber des Tages gleich und bog vor der Kirche ab.

Ein in ein Priestergewand gekleideter, bärtiger Mann bekreuzigte sich mit großen, verwunderten Augen, als Lea laut schimpfend um die Ecke galoppierte. Kaum hatte sie ihn jedoch einen halben Schritt hinter sich gelassen, pfiff er ihr anzüglich hinterher. Dem Laut nach zu urteilen, waren Leas Hüften vielleicht doch schön, so wie sie waren. Vollkommen verwirrt riss sie im Eilschritt ihren Kopf über die Schulter und entdeckte erst jetzt einen jungen Kerl, der schelmisch grinsend neben dem Priester stand. Der Geistliche hob beschwichtigend die Hände, während sich sein Haupt blitzartig in eine glühende Tomate verwandelte. Mit gehetzten Schritten folgte Lea dem Weg links um die Kirche.

Keine hundert Meter weiter befand sich der Verfolgte am Außenbereich des Al 53, einem ihr bekannten Restaurant. Lea erkannte einen der Kellner und schrie nach Luft schnappend darauf los: „Halt ihn auf! Blaue … Jacke!“

Der Ober reagierte sofort und machte Anstalten, sich dem Jogger in den Weg zu stellen. Der Dieb, der gar nicht wie einer aussah, schaltete ebenfalls schnell und drehte sich zu Lea um. „Es ist vorbei mit uns! Du sollst mich in Ruhe lassen!“, rief er lauthals – gewürzt mit einem genervten Blick.

Der Kellner senkte seinen Kopf schlagartig auf die Brust und schaute mit einem Mix aus Verwirrung und Fremdscham zu Boden. Für einen langen Atemzug ließen die im Freien sitzenden Gäste von ihren Speisen ab und fixierten die schuhlose Verfolgerin mit weit aufgerissenen Augen.

„Du kreatives A-Loch!“, dachte Lea kurz anerkennend. Doch auch sie war gut darin, zu improvisieren, und schrie ihm – den Rest Sauerstoff aus ihrem Körper pressend und heiser – hinterher: „Du kannst mich doch nicht für deine eigene Cousine verlassen, verdammt noch mal!“

Aus der Richtung der Restaurantbesucher vernahm Lea Gäste, die laut auflachten, ihr Besteck fallen ließen und sogar eine arme Seele, die sich vor Entsetzen verschluckt haben musste. Umgehend wurde der Jogger zum Mittelpunkt der Szene. Jetzt war er es, der laut fluchte und sich mit beschleunigtem Tempo wieder in Bewegung setzte.

An der nächsten Kreuzung, vor dem BMD Tattoo-Laden, blieb der Dieb ganz dreist stehen, um sich die Schnürsenkel zu binden, und ging dann nach rechts auf die Via Port’ Alba. In gleichbleibendem Abstand liefen sie am Libreria Berisio vorbei – ausgerechnet der Cocktailbar, in der eigentlich eine Runde Aperol Spritz wartete. Als sie die Universität Kampanien Luigi Vanvitelli passierten, war Lea aufgrund von plötzlich auftretenden Oberschenkelkrämpfen bereit, zu resignieren. Der Jogger verschmolz mit einer kleinen Traube an abendlichen Spaziergängern, doch dank der hellblauen Jacke bemerkte sie, wie er an der Kreuzung Via Arti –Via dei Tribunali in das Gino e Toto Sorbillo hineinschlenderte – es war die beste Pizzeria Neapels.

Lea verlangsamte ihren Schritt und ging keuchend zum Restaurant, vor dem seltsamerweise die Menschenmenge fehlte, die eigentlich jeden Tag vor dem Lokal Schlange stand. Am Eingang angelangt, sah sie dann das Schild mit den Worten: Heute geschlossene Gesellschaft!

„Raffiniert geplant!“, dachte sie. Doch weil sie nichts zu verlieren hatte – zumindest nicht mehr, als eh schon – ging sie schnurstracks auf den großen, bulligen Security zu. „Entschuldigung …“

„Ich liebe Ihre Reportagen!“, unterbrach sie der sprechende Schrank. Ihre nackten Füße ignorierend, öffnete er die Eingangstüre und nickte knapp.

Das Licht im Inneren des Lokals war gedämmt. Nur ein einziger Tisch des Speisesaals war gedeckt. Eine in Schatten umhüllte Gestalt blickte sie an. Mit aufgestellten Nackenhaaren ging Lea entgegen jeder Vernunft auf diese zu.

„Verzeihen Sie meine etwas raue Einladung, Frau Casa“, sagte der Mann, „aber Sie haben meinen persönlichen Anruf als einen schlechten Scherz abgetan und einfach aufgelegt.“

„Giovanni … Tonelli?“

„Sie dürfen mich Giovan nennen“, sagte der bekannte Mafiaboss. Er strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den Schnauzer und schenkte ihr das warme Lächeln eines verknallten Schuljungen. „Bitte, setzen Sie sich. Ich möchte unbedingt für Ihre Unannehmlichkeiten aufkommen.“ Er bückte sich unter den Tisch, zog ihr Paar Plateauschuhe hervor und klatschte gut gelaunt, mit der Eleganz eines Prinzen, in die Hände.

Im nächsten Moment erschien der Jogger. Er verbeugte sich tief, gab Lea mit einem Augenzwinkern die Handtasche zurück und schenkte beiden jeweils ein Glas Aperol Spritz ein.

„Ich würde mich sehr über Ihre Gesellschaft freuen. Ganz ungezwungen. Sie können jederzeit gehen.“ Giovans Augen glänzten voller Charme, was so gar nicht zu einem Mafiabaron passen wollte.

„Ich glaube, was heute angeht“, setzte Lea an und strich sich mit der Linken eine Schweißlocke von der Stirn, „bin ich schon genug gelaufen.“

Aufgeregt lächelnd nahm sie Platz und setzte das gefüllte Glas an ihre Lippen. Mona würde ihr das niemals glauben!

Peter Bellmannist 34 Jahre alt. Er wohnt in Neu-Ulm, im schönen Bayern. Zu seinen Hobbys zählen das Improtheater, Basketball, Lesen sowie das Schreiben von Kurzgeschichten, Gedichten und experimentellen Texten. Die Erinnerungen an seine Urlaube wecken in ihm die Lust auf mehr Bella Italia.

*

Eine Nacht in Neapel

So schön habe ich dich noch nie gesehen, Neapel

es ist zwei Uhr nachts und

du raubst mir den Schlaf.

Während die Stadt schläft,

spiegelt sich das Mondlicht im Wasser zwischen Fischernetzen,

begleitet von sanften Wellengeräuschen.

Unendlich viele Lichter beschmücken deinen Golf,

von Ischia bis nach Sorrent,

und der Vesuv bedeckt

von einem malerischen Sternehimmel.

Sprachlos stehe ich vor dir, Neapel.

Bin erstarrt von deiner Pracht und Einzigartigkeit,

du bist Poesie, so weit das Auge reicht.

Wie sehr würde ich dir all das sagen,

was ich dir nicht sagen konnte,

als ich fern von dir war.

Aber die Sehnsucht und den Schmerz,

die mich von dich trennten,

lassen sich kaum in Worte fassen.

Wie gerne würde ich nachts

deinen Mond von diesem Balkon aus betrachten.

Wie sehr würde ich nachts

deine Stimme hören.

Wird es nur eine pure Illusion bleiben

oder werde ich bald neben dir aufwachen?

Leider muss ich gleich wieder los,

doch wenn ich nachts nicht schlafen kann,

so werden meine Augen den Mond und die Sterne suchen,

um die Erinnerung an dieser Nacht zu erwecken.

Carmine Bonanno lebt in Hamburg.

*

Mailänder Scala

Entsetzte Schreie und Hilferufe gellten durch das altehrwürdige Konzerthaus, dann herrschte knisterndes Schweigen. Während im Orchestergraben die Streicher wieder aufgespielt hatten, war die in ein rubinrotes Galakleid gehüllte Sopranistin und Hauptdarstellerin des Abends vor den Augen des Publikums mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammengebrochen. Regungslos lag Cora di Stefano auf der Opernbühne, aus ihrem Mund quoll eine weiße, schaumige Masse.

Zwei herbeigeeilte, in dunkle Sakkos gekleidete Ärzte, die sich in den Zuschauerrängen befanden, konnten nur noch den Tod von Cora feststellen.

Auch Kriminalhauptkommissarin Antonietta Ferrari war eine große Liebhaberin der klassischen Musik. Etwas unwillig erhob sie sich aus ihrem mit rotem Samt bezogenen Sessel. Mit freundlich gemurmeltem „Scusi“ zwängte sie sich an den Knien ihrer Sitznachbarn vorbei.

„Signore e signori ... meine Damen und Herren, bitte beruhigen Sie sich, bleiben Sie auf Ihren Plätzen und verlassen Sie nicht den Saal!“, bat sie die Anwesenden eindringlich durchs Bühnenmikrofon.

Die über zwanzig Bühnendarsteller, die sich in ihren barocken Kostümen völlig aufgelöst und hysterisch um die leblose Cora scharten, forderte Kommissarin Ferrari der Reihe nach auf, sich mit ihr hinter die Bühne zu begeben.

Zweifellos war Cora di Stefano vergiftet worden. Noch in der Pause hatte die temperamentvolle Operndiva putzmunter, jedoch überaus launisch vor dem Garderobenspiegel gesessen – nicht ohne ihre Maskenbildnerin Sarah White für die angeblich misslungene Hochsteckfrisur aufs Schärfste zu kritisieren. Wie Kommissarin Ferrari bei ihrer weiteren Befragung feststellte, schien auch Coras Zweitbesetzung, Anna Greco, ein starkes Motiv zu haben, sich an der arroganten Berühmtheit zu rächen. Obgleich Cora im Vergleich zu dem jungen, überaus attraktiven Ausnahmetalent eine regelrechte Gießkannenstimme besaß, bereitete es ihr größtes Vergnügen, Anna kleinzureden und äußerst herablassend zu behandeln.

Francesco Martinelli, die Bratsche des renommierten Streichorchesters, hatte einen Tag zuvor seine heimliche Affäre mit Cora di Stefano beendet, noch bevor sie recht begonnen hatte. Coras selbstherrliche Art, mit der sie dem athletischen Junggesellen bei ihrem ersten Rendezvous mehrfach über den Mund gefahren war, hatte ein solches Befremden in Francesco ausgelöst, dass er von weiteren Treffen dieser Art absah – was die erste Geige Chiara Rossi zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste.

Bis vor einem Vierteljahr war Chiara mit Francesco fest liiert gewesen, und noch immer litt die Achtundzwanzigjährige unter heftigem Trennungsschmerz. Die brünette Virtuosin war rasend vor Eifersucht. Rund um die Uhr ließ sie Francesco beschatten. Als schließlich die Operndiva ins Spiel kam, entwickelte Chiara Mordabsichten.

Seit ihrer frühesten Kindheit ging Chiara in der farmacia ihres Vaters ein und aus. So war es für sie ein Leichtes, an ein todbringendes, schnell wirkendes Gift zu gelangen. Chiara brauchte es ihrer vermeintlichen Rivalin nur im richtigen Moment in den Kaffee zu träufeln ...

Wie erwartet, hatte Antonietta Ferrari den Fall innerhalb kurzer Zeit gelöst. „Chiara Rossi, ich nehme Sie fest unter dem dringenden Tatverdacht, Cora di Stefano aus Eifersucht ermordet zu haben!“, sagte sie ruhig und bestimmt zugleich.

Indes wurden die Opernliebhaber auf einen Ersatztermin vertröstet, an dem die Aufführung nachgeholt werden sollte. Auch Kriminalhauptkommissarin Antonietta Ferrari kam in den Genuss.

Der Opernabend war brillant. Mehr als zweitausend Zuschauer feierten in der voll besetzten Mailänder Scala den neuen Star am Opernhimmel und bejubelten Anna Greco. Mehr oder weniger über Nacht war sie in der Hierarchie aufgerückt.

Endlich konnte die talentierte Nachwuchssängerin ihre begnadete Stimme unter Beweis stellen und sie mit Bravour einsetzen. Nicht eine Träne weinte sie Cora di Stefano nach.

Ulrike Müller, 1964 geboren, vierfache Mutter und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Baden-Baden. Das Schreiben ist zu einem ihrer großen Hobbys geworden.

*

Die Schöne und das Biest

Gott hatte seinen Spaß gehabt, als er sie schuf. Die blass machende Weiße des Krankenzimmers schmälerte ihr wunderschönes Erscheinungsbild kaum. Auch konnten die Stichverletzungen ihren feinen Gesichtszügen nichts anhaben. Dieses Gesicht. Regelmäßig war es in den italienischen Klatschblättern zu bewundern. Als sie jetzt hilflos, mit geschlossenen Augen in einer Art Luftkammer vor ihm lag, dachte Commissario Valentino nur eines: Sie ist das Opfer. Aber sie war auch die Täterin. Und deshalb war er hier. Sie musste ihn gehört haben. Ihre veilchenblauen Augen trafen seine. Mit voller Wucht.

Valentino, ein hart gesottener und ehrgeiziger Neapolitaner, musste schlucken. Denn das hier war nicht das Opfer, sondern auch die Täterin, die er befragen sollte. Doch für ihn und die ganze Welt war sie nur das Opfer. Und ihr milliardenschwerer Ehemann der Täter. Ein reiches Schwein sondergleichen. Er hatte im Ehevertrag zahlreiche eheliche Gefälligkeiten, welche sie erbringen musste und in welcher Menge, genauestens dokumentieren lassen. Jeder, der die Einzelheiten des Ehevertrages gelesen hatte, wollte selbst dreimal auf den Milliardär schießen. Und dies ganz ohne Notwehr. Die Medien betitelten den Fall als Die Schöne und das Biest.

In jener Nacht, als sie sich von ihm hatte trennen wollen, stach er dreimal auf sie ein. Ein Stich verfehlte ihr Herz nur um wenige Zentimeter. Wer konnte diesem schönen Engel so etwas antun? Warum hatte der Dienststellenleiter ihn überhaupt hergeschickt? Die Untersuchung war fast abgeschlossen. Ja, sie hatte ihren Mann erschossen. Hatte in letzter Sekunde nach der Pistole im Schrank ihres Gatten gegriffen. Und dreimal auf ihn gezielt. Danach schleppte sie sich mit letzter Kraft und blutverschmiert zum Schreibtisch und rief den Notruf. Als die Sanitäter eintrafen, war sie bereits bewusstlos. Und kurze Zeit später im Operationssaal.

Das gesamte Imperium von ihm hatte einen aktuellen Wert von sechs Milliarden. Bei einer Scheidung hätten ihr, nach dem heutigen Stand, 20 Millionen zugestanden.

Er wollte die Befragung hinter sich bringen, so schnell es irgendwie ging. Er zog seinen Dienstausweis und erläuterte ihr, dass er ein paar Fragen stellen müsse. Dass dies der formale Dienstweg sei, bevor der Fall offiziell abgeschlossen werden konnte.

Sie bestätigte mit heiserer Stimme, dass sie sich von ihrem Mann trennen wollte, der ein egozentrischer Tyrann war, und dass sie es war, die die Scheidung wollte. Dies belegten auch ihre anwaltlichen Konsultationen. Am besagten Abend sprach sie das Thema an, was ihren Göttergatten zum Ausrasten brachte. Hasserfüllt stach er wie aus dem Nichts mit einem großen Küchenmesser auf sie ein. Dreimal. Dazu schrie er wutentbrannt: „Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich auch kein anderer haben!“

Niemals hatte Valentino eine schönere Mörderin gesehen. Beziehungsweise ein weibliches Opfer, was in Notwehr seinen Mann erschossen hatte. Fast wehmütig-leise schloss er die Tür. Nicht ohne einen letzten Blick auf den schneewittchenhaften Engel mit der hellen Haut, den dunklen Locken und den blutroten Lippen zu werfen.

Draußen im Krankenhausflur stieß er fast mit einem Weißkittel zusammen. Dr. Trussardi stand auf dessen Schild.

„Wie geht es Aurora? Sie haben sie hoffentlich nicht aufgeregt. Ruhe hat jetzt oberste Priorität. Ihre Wunden müssen heilen.“

„Nein, keinesfalls Dr. Trussardi. Darf ich fragen, warum Sie ihre Patientin duzen?“

„Aurora und ich kennen uns von der Universität. Ein sehr tragischer Zufall, sich so wiederzusehen.“

Commissario Valentino glaubte nicht an Zufälle und war wieder ganz in seinem Ermittler-Element. Er hatte die Akte von Aurora Grande gelesen. Sie hatte in Wirtschaft promoviert. „Sie haben sich demnach an der Universität zufällig kennengelernt?“

„Nein, wir haben lange nebeneinandergesessen. Aurora hat zwei Jahre Medizin studiert, bevor sie zur Wirtschaft wechselte.“

Valentinos Schläfe begann zu pochen. Sein schöner Engel war gerade dabei, sich in eine Bestie zu verwandeln. Während er zur Dienststelle fuhr, fühlte er sich wie ein Hai, dem der erste blutlachende Happen ins Wasser geworfen wurde.

Er durchleuchtete die betreffende Akte. Zum wiederholten Male. Immer und immer wieder war er sie durchgegangen. Und nicht nur er. Auch Kollegen. Der Todesfall einer bekannten Persönlichkeit wurde akribisch untersucht. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Doch in der Akte gab es nicht den leisesten Hinweis. Keine einzige Spur, welche zu ihr führte. Völlig nebensächlich, ob sie Medizin studiert hatte oder nicht. Nichts stand hier, womit er sie drankriegen konnte. Sie würde als Alleinerbin das gesamte Vermögen erben. Ein weiteres Mal schlug er die Akte auf und las alles. Das große Nichts an Spuren.

Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Das Nichts an Spuren! Das war es! Genau das. Euphorisch rief er zu dieser späten Abendstunde einen bekannten Richter an. Er benötigte einen Durchsuchungsbeschluss. Möglichst sofort.

Es war früh am nächsten Morgen. Diesmal kam er mit Vorankündigung, der Staatsanwaltschaft und dem Dienststellenleiter. Ihre drei Anwälte hatten sich schon wie ein Heer um sie positioniert. Einer jeweils neben und einer hinter ihrem Rollstuhl.

Sie wusste, wie man einen Auftritt hinlegt. Das musste er ihr bewundernd zugestehen. Zerbrechlich-zart schien sie in dem Rollstuhl unter den Verbänden zu versinken. Eine Sauerstoffmaske unterstrich dramatisch ihre Opferrolle. Doch genau die nahm er ihr nicht mehr ab. „Signora Grande. Sie haben in Wirtschaft promoviert?“

„Das ist korrekt.“

„Doch vorher studierten Sie Anatomie. Ist das ebenfalls korrekt?“

„Ja!“

„Was für ein erstaunlicher Zufall.“ Theaterhaft improvisierte er die drei ausgeführten Stiche in der Luft. „Ihr Mann hat Sie am Unterschenkel verletzt, aber keine wichtigen Arterien getroffen. Ein Stich ging in den Bauch, ebenfalls wurde dort auch kein einziges Organ nur angeritzt. Dann der Stich in die Brust. Nur Zentimeter am Herz vorbei. Ein erstaunlicher Zufall, nicht wahr? Und nun erben Sie das ganze Vermögen!“

Ihre Gegenwehr folgte sofort: „Was hätte ich geerbt, wenn ich gestorben wäre?“

Doch darauf war er vorbereitet und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

Einer ihrer Anwälte schaute bedrohlich auf seine goldene Rolex. „Sie verschwenden unsere Zeit. Unsere Mandantin muss sich ausruhen. Sie haben nichts gegen Sie in der Hand.“

„Ich komme zum springenden Punkt. Nur, um das Ganze zu verstehen, …“ Nun stand er unmittelbar vor ihr, ging in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Stahlblaue Augen fokussierten Veilchen.

„Ihr Mann stach also dreimal auf Sie ein. Mit dem Küchenmesser.“

„Ja.“

„Sie griffen in die Schublade, drei Schritte entfernt. Wo die geladene Waffe ihres Mannes war, von der Sie wussten. Sie schossen auf ihn. Dreimal.“

„Ja!“

„Dann erklären Sie mir doch, warum wir keine Fingerabdrücke gefunden haben!“

Sie zögerte. „Ich weiß nicht, warum das wichtig sein sollte. Ich habe doch bereits zugegeben, dass ich ihn erschossen habe. Ist es da nicht unwichtig, dass keine Fingerabdrücke auf der Pistole sind?“

„Nicht auf der Pistole. Sondern am Messer! Das Messer, mit dem Sie sich selbst die gefährlichen Stiche zufügten. Um danach Ihren Mann kaltblütig zu ermorden. Und bevor Sie antworten, informiere ich Sie, dass wir im Büro ihres Mannes einen Aktenvernichter gefunden haben, welcher Überreste von Latexhandschuhen enthielt.“

Aurora Grande würgte Magensäure in ihre Nierenschale. Valentino nahm ihr diese sanft ab und verschloss sie mit einem der Laborbeutel, welche er immer mit sich trug.

„Die DNA wird noch heute im Labor abgeglichen.“

Sie zischte wütend. „Warum zum Teufel hätte ich das alles tun sollen?“

„Ich wüsste da gleich sechs Milliarden Gründe …“

Ramona Wesselow-Krystoseklebt mit ihrer Familie in Zürich. Die gebürtige Berlinerin findet im Schreiben den ausgleichenden Kontrast zur beruflichen Finanzbranche. Bisher lag der Fokus auf Kurzgeschichten. Sie bezeichnet sich als genre-offen und interessiert – an allen Dimensionen des Schreibens. 2021 wurde ihr Schreibfederkleid mit dem Kinderbuch „Alex’ Reise nach Saphora“ erstmals sichtbar. Aktuell arbeitet sie an der Entstehung eines Thrillers mit lyrischen Elementen.

*

Ins Glück entführt

„Nein, das kannst du nicht von mir verlangen! Ich kann diesen Mann unmöglich heiraten. Er ist fett und sein Gesicht ist übersät mit Narben! Bitte, Papa, ich heirate jeden, aber nicht Maximiliano.“ Flehend sah Francesca ihren Vater an. Verzweiflung und Wut spiegelten sich in ihren dunklen Augen.

„Keine Widerrede, Francesca. Du wirst tun, was ich dir sage. Du weißt, wir brauchen das Geld. Mit eurer Heirat können wir unsere Schulden bezahlen und unsere Besitztümer behalten. Es geht nicht anders. Außerdem liebt er dich.“

„Ja, aber ich ihn nicht. Ich hasse dieses Ekelpaket!“, schrie Francesca.

„Wähle gefälligst einen anderen Ton, junge Dame. Du bist eine Baroness, vergiss das nicht. Und jetzt kein Wort mehr. Eure Hochzeit ist bereits arrangiert und du wirst dich fügen.“

Wutentbrannt stürmte sie aus dem Saal und warf sich in ihrem Zimmer auf das Bett. Tränen strömten aus ihren Augen. Wie konnte Vater so etwas von ihr verlangen? Er wusste, wie sehr sie diesen Mann hasste. Schon sah sie die Schlagzeilen: Verarmter Adel heiratet reichen Emporkömmling. Ihre Familie würde das dringend benötigte Geld bekommen, seine den heiß ersehnten Adelstitel. Eine Win-win-Situation. Nur ihre Gefühle übersah man dabei. Sie wurde einfach verkauft und hatte zu funktionieren!

Natürlich war sie sich ihrer Pflicht bewusst, für Nachkommen, vor allem männliche Nachkommen, zu sorgen, um den Fortbestand ihrer Familie zu sichern, doch schon alleine der Gedanke, dass sie mit diesem Fettwanst das Bett teilen sollte, verursachte ihr Übelkeit. Lieber wollte sie sterben.

Sterben? – Ihre Gedanken begannen ein Spiel, welches sie selbst beinahe entsetzte. Warum sollte sie sterben? Was wäre, wenn sie Maximiliano heiratete und er in der Hochzeitsnacht an einem Herzinfarkt verstürbe? Es wäre ein Leichtes, ein paar Tropfen in seinen Drink zu mischen. Bei seiner Leibesfülle würde niemand daran zweifeln. Die Aufregung der Hochzeit, die Hochzeitsnacht selbst, alles wäre einfach zu viel für ihn gewesen. Antonio war Apotheker. Er würde ihr sicher das passende Mittel hierfür geben. Antonio – ein glückliches Lächeln erleuchtete ihr Gesicht. Ja, ihn würde sie ohne zu zögern heiraten. Er sah umwerfend aus, war intelligent und küsste wie ein junger Gott. Wenn sie nur daran dachte, wurde ihr heiß und sie konnte seine Lippen auf ihren spüren. Einen kurzen Augenblick gab sie sich der schönen Erinnerung hin, doch dann zwang sie sich wieder in die Realität zurück.

Hatte sie tatsächlich gerade an Mord gedacht? Francesca kannte sich selbst nicht mehr. Wäre sie überhaupt dazu fähig? Das war doch nicht sie selbst! Sie musste raus, fort von hier. Schnell griff sie nach ihrem warmen Pelzmantel und machte sich auf den Weg. Die eisige Luft der Lagunenstadt würde Klarheit und Ruhe in ihre Gedanken bringen. Sie achtete nicht auf den Weg und lief ziellos durch die Gassen. Ohne es zu merken, stand sie plötzlich vor Antonios Apotheke. Es war kurz vor Ladenschluss und niemand mehr drinnen. So konnte sie ungestört mit ihm reden. Er würde wissen, was zu tun sei.

„Francesca, das ist ja eine Freude, dass du hierherkommst. Oder bist du krank? Brauchst du etwas?“ Die Freude in Antonios Stimme, Francesca zu sehen, schlug augenblicklich in Besorgnis um.

„Nein, nein, ich bin nicht krank“, lächelte sie. „Aber ich brauche trotzdem etwas von dir. Hast du Zeit? Lass uns ein paar Schritte gehen.“

Antonio sah sie ernst an. Sie wirkte so blass und ihr Blick war eigenartig verschleiert. So kannte er sie gar nicht. Sie, die sonst immer so fröhlich war. Was immer auch vorgefallen war, er würde alles tun, um ihr zu helfen. Niemand durfte seiner Francesca etwas antun. Eine gewisse Traurigkeit machte sich in ihm breit. Er wusste nur zu gut, dass sie nie seine Francesca sein würde. Ihre Eltern würden einer Heirat nicht zustimmen. Wer war er denn? Nur ein kleiner Apotheker. Sie hingegen stammte aus einem uralten Adelsgeschlecht hier in Venedig. Etwas verarmt in letzter Zeit, aber eben adelig. Er seufzte und nahm den Schlüssel.

„Komm, erzähl mir, was dich bedrückt.“ Fürsorglich legte er den Arm um ihre Mitte. Sie sah in dankbar an und dann sprudelte alles aus ihr heraus. Die geplante Hochzeit, ihr Widerwillen diesem Mann gegenüber und schließlich ihr Plan. Sie wunderte sich selbst, wie leicht es ihr fiel, darüber zu reden. Als sie geendet hatte, herrschte für einen Augenblick Schweigen zwischen ihnen.

„Francesca, du bist völlig verrückt. Das geht nicht! Wie stellst du dir das vor? Ich kann dir unmöglich etwas dafür geben. Das kann ich nicht verantworten und du kannst es auch nicht. Du zerbrichst daran, wenn du ihn wirklich töten solltest. Hast du schon einmal daran gedacht, dass sie den Vorfall vielleicht doch untersuchen? Dann gehen wir beide ins Gefängnis. Du weißt, was das heißt.“

„Du willst mir also nicht helfen?“ Fast tonlos kam die Frage aus ihrem Mund.

„Du verstehst nicht. Natürlich will ich dir helfen. Ich liebe dich und ich würde alles für dich tun. Aber ich bin kein Mörder.“

Traurig sah sie ihn an, dann drehte sie sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, um und rannte davon.

Antonio blickte ihr noch lange nach. Natürlich hätte er eine passende Mischung herstellen können. Aber er wusste, dass Francesca dadurch nicht glücklich werden würde. Ganz im Gegenteil. Er war sich sicher, dass sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könnte, einen Menschen getötet zu haben, und dass sie selbst daran zerbrechen würde. Nein, es musste eine andere Lösung geben. Ihm würde schon etwas einfallen.

Francesca fühlte sich einsam und hilflos. Antonio war ihre ganze Hoffnung gewesen, doch die war gerade wie eine Seifenblase zerplatzt.

Die Hochzeit war in drei Monaten angesetzt und ihre Mutter war die nächsten Tage damit beschäftigt, Einladungen zu verteilen und alles zu arrangieren. Francesca beteiligte sich kaum daran. Auch die Anprobe des Hochzeitskleides ließ sie nur widerwillig über sich ergehen. Antonio sah sie die ganze Zeit über kein einziges Mal. Sie mied es, in die Nähe seiner Apotheke zu kommen, und er meldete sich ebenfalls nicht bei ihr.

Schließlich war der Tag der Hochzeit gekommen. Man weckte sie früh und hatte ein herrliches Frühstück für sie vorbereitet, doch Francesca konnte nichts essen. Wie in Trance nahm sie die Fahrt zur Kirche wahr. Kaum, dass sie aus dem Auto ausgestiegen war, schoss ein Motorrad heran. Der ganz in Schwarz gekleidete Fahrer brachte sein Gefährt neben ihr zum Stehen, riss sie an sich und mit einem Dreh zog er sie zu sich auf den Rücksitz. Alles geschah in Sekundenschnelle. Bevor die erschrockenen Gäste überhaupt reagieren konnten, waren sie bereits außer Sichtweite.

Francesca konnten keinen klaren Gedanken mehr fassen. Angst breitete sich in ihr aus. Wer war dieser Mann und was wollte er? Warum entführte er sie genau am Tag ihrer Hochzeit? Die Gedanken wirbelten durch Francescas Kopf. „Was willst du von mir?“, versuchte sie, gegen den Fahrtwind anzubrüllen.

Doch es kam keine Antwort. Eigenartigerweise fühlte sie, wie sich ihre Angst mit jedem Kilometer, den sie fuhren, zu legen begann und eine gewisse Vertrautheit mit dem Entführer aufkam. Dieser Geruch und die Muskeln, welche sie durch die Motorraddress spüren konnte, kamen ihr irgendwie vertraut vor.

Sie waren bereits Stunden durch die Gegend gebraust, als sie schließlich vor einer verlassenen Almhütte Halt machten. Die schwarze Gestalt stieg ab und zog sie ebenfalls mit zur Hütte. Ein muffiger Geruch schlug ihnen entgegen.

Was um alles in der Welt wollten sie hier? Endlich nahm ihr Entführer den Helm ab und Francesca stieß einen überraschten Schrei aus. „Antonio! Du?“

„Ja, meine Liebe. Hast du wirklich gedacht, ich lasse dich im Stich? Francesca, ich liebe dich, aber ich konnte dich nicht zur Mörderin werden lassen. Sag mir eins: Willst du dein Leben mit mir verbringen? Auch wenn das bedeutet, dass du deine Familie vielleicht nie wiedersehen wirst?“

„Antonio, wenn ich mit dir glücklich sein kann, würde ich alles dafür tun. Du weißt, dass ich mir nie etwas aus Geld gemacht habe.“

Er seufzte erleichtert auf. „Dann hör mir zu“, begann er scheinbar verunsichert, ob er ihr wirklich alles erzählen sollte.

„Ich habe über Umwege Verbindungen zur Mafia und man hat uns neue Pässe ausgestellt. Wir sind nun Herr und Frau Mancini auf dem Weg nach Amerika. Wir haben in Chicago für den Anfang eine kleine Wohnung. Alles andere wird sich zeigen. Unser Flug geht übermorgen von Frankfurt aus. Morgen bekommen wir ein anderes Auto, mit dem wir weiterfahren werden. Und du natürlich etwas anderes zum Anziehen.“ Er grinste und deutete auf ihr langes Hochzeitskleid. „Es ist alles arrangiert. Hier oben wird uns heute niemand suchen. Was sagst du?“

Francesca saß da und rührte sich nicht. Antonio hatte ihre Flucht organisiert und sich dafür sogar mit der Mafia eingelassen. Sie war zwar frei und konnte ein neues Leben beginnen, doch musste sie dafür ihre Eltern verletzen. Vielleicht würde sie sie nie wiedersehen. War es das wert?

Langsam hob sie den Kopf und sah Antonio in die Augen. Die stumme Frage und gleichzeitig die bedingungslose Liebe zu ihr, die aus seinen Augen sprach, rührte sie. Ja, dieser Mann liebte sie wirklich. Alles würde gut werden und vielleicht würden ihre Eltern es irgendwann einsehen und sie verstehen.

Sie stand auf und ging auf Antonio zu. Dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals und flüsterte ihm glücklich ins Ohr. „Ja, Antonio, ich will. Mit dir kann ich überall glücklich sein.“

Sabine Galler wurde 1973 in Knittelfeld geboren. Nach mehrjähriger Berufspraxis kehrt sie noch einmal an die Schulbank zurück, um an der Karl-Franzens-Universität in Graz Geschichte zu studieren. Heute ist sie verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Großlobming. Sabine Galler schreibt seit ihrer Kindheit. Schon früh verschenkte sie kleine Geschichten als Weihnachtsgeschenke an ihre Familie. Derzeit schreibt sie für verschiedene Anthologien und hat bereits ein (bisher noch unveröffentlichtes) Kinderbuch geschrieben.

*

Colpo di fulmine

Liebe auf den ersten Blick

Geschickt lenkte Totò den Scooter durch die engen Gassen der Altstadt Neapels und beachtete dabei nicht die verärgerten Blicke der Fußgänger, die mehrmals vor ihm zurückschreckten. Hauptsächlich waren es Touristen, die sich hier tummelten und sich über den undisziplinierten Rollerfahrer empörten. Totò würdigte sie keines Blickes, hupte noch mehrmals, um sich Platz durch die Masse zu verschaffen, dann hatte er sein Ziel erreicht. Kurz darauf betrat er die unscheinbare Werkstatt, begrüßte den alten Krippenbauer, der konzentriert an einer Figur arbeitete, und begab sich dann in die hinteren Räume der Krippenwerkstatt, wo die wahren, nicht allzu legalen Geschäfte stattfanden.

„Ciao Totò“, wurde er von seinem Onkel Ciro begrüßt.

„Ciao, zio, was gibt’s?“

„Ist nicht viel los heute. Die ragazzi sind unterwegs, um Ware zu verkaufen. Ich erwarte noch eine Lieferung, dann mache ich Feierabend. Was ist mit dir?“

„Ich habe den Deal mit den Handtaschen klargemacht“, erklärte Totò. „Die Teile sehen aus wie das Original.“

„E bravo, Totò.“ Ciro nickte anerkennend, dann hob er eine Augenbraue, bevor er misstrauisch fragte: „Was hast du wieder mitgehen lassen?“

Innerlich fluchte Totò. Sein Onkel kannte ihn einfach zu gut. „Zio …“, wollte er protestieren, doch Ciros warnender Blick sorgte dafür, dass Totò ihm das geklaute Portemonnaie schließlich aushändigte.

„Mannaggia, Totò! Du sollst dich nicht mit solchem Kleinkram abgeben!“ Missbilligend blickte Ciro auf seinen Neffen, bevor er das Portemonnaie untersuchte. „Keine Kreditkarten, nur ein Zehneuroschein. Tolle Beute!“ Schnaubend warf er Totò das Portemonnaie zurück, wobei etwas zu Boden flatterte.

Totò erkannte, dass es ein Foto war und hob es auf. „Wow!“, entfuhr es ihm schließlich, während er fasziniert die hübsche Blondine musterte, die auf dem Bild zu erkennen war. Ihre grünen Augen schienen gedankenverloren in die Ferne zu blicken. „Bellissima“, flüsterte er ehrfürchtig, während sich ein warmes Gefühl in ihm ausbreitete und sein Herz wild zu pochen begann. Es war zweifellos Liebe auf den ersten Blick!

„Mamma mia, Totò!“, riss ihn sein Onkel zurück in die Realität, als er ihm einen leichten Hieb auf den Hinterkopf verpasste. Ciro mustere ihn amüsiert. „Jetzt sag bloß, du hast dich in ein Foto verliebt.“

„Ich muss wissen, wer sie ist, zio. Das da ist meine Traumfrau und ich werde sie finden!“

Ciro verdrehte die Augen und schmunzelte. „Dich hat es ja richtig erwischt. Eh, l’amore …“, seufzte er, klopfte Totò auf die Schulter und ging.

Totò hatte das Portemonnaie penibel untersucht, jedoch lediglich den Ausweis eines gewissen Gennaro Esposito gefunden.

---ENDE DER LESEPROBE---