LILLESANG – Das Geheimnis der dunklen Nixe - Nina Blazon - E-Book

LILLESANG – Das Geheimnis der dunklen Nixe E-Book

Nina Blazon

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Beschreibung

Irgendetwas war in diesem Meer ...

Als Jo und ihre Familie das alte Haus an der dänischen Küste erben, erzählt die kauzige Nachbarin Bente die Geschichte von dem Gongur, der an Land kommt und Menschen ins Meer zieht. Anders als ihre Mutter, die das Wasser meidet, lässt Jo sich von der Alten nicht ins Bockshorn jagen. In der Nacht jedoch wird sie tatsächlich von einer Stimme an den Strand gelockt. Bente kann das schlafwandelnde Mädchen in letzter Minute retten. Was hat es mit dem Nixen-Wesen auf sich? Und warum versteckt Jos Mutter alte Fotos, auf denen Gesichter herausgekratzt sind? Jo ahnt, dass ein uraltes Geheimnis auf ihrer Familie lastet. Sie ahnt nicht, dass Bente den Schlüssel dafür in der Hand hält ...

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Seitenzahl: 434

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Nina Blazon

Das Geheimnis der dunklen Nixe

Kinder- und Jugendbuchverlagin der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage 2014

© 2014 by cbt Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie

Innenillustrationen: Iris Luckhaus|www.irisluckhaus.de

MI · Herstellung: KW

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-14620-7www.cbt-buecher.de

Inhalt

Happy Halloween

Skelettgeklapper

Angeber und Elfen

Strandläufer

Im Geisterhaus

Möwenfüße

Blitz und Donner

Das Mädchen ohne Gesicht

Dunkle Spuren

Rümpelkammer

Den lille Havfrue

Böse Wesen

Feuertränen

Lillesang

Christensenblut?

Mettes Erbe

Agnete und der Wassermann

Andersens Albtraum

Die Herzen der Drachen

Drei Kronen

Freunde und Feinde

Meerjahre

Das graue Raubtier

Aaltanz

Kröten-Boogie

Kellermärchen

Nixe Nummer zwei?

Die Königin der Makrelen-Gang

Fischblüter

Traum und Wirklichkeit

Töchter der Luft

Jahrhundertflut

Blutsbande

Nixensommer

Märchen oder Wahrheit?

Happy Halloween

Du willst wohin?« Jos Mutter schrie nicht, aber ihre blauen Augen blitzten vor Empörung und auf ihrer Stirn braute sich das Gewitter zusammen, das gleich auf Jo niedergehen würde.

»Du hast doch erlaubt, dass ich mitfahre«, beharrte Jo tapfer.

Ihre Mutter senkte Messer und Gabel, es klirrte am Tellerrand. »Ich habe lediglich erlaubt, dass du übers Wochenende mit zu Tanjas Verwandten fährst. Aber vom Meer war nie die Rede.«

»Ich habe dir aber gesagt, wir besuchen Tanjas Tante und Onkel. Bei denen war ich doch schon hundertmal und nie hattest du was dagegen.«

»Aber diesmal hast du wohl ganz zufällig vergessen zu erwähnen, dass sie vor einem Monat an die Nordsee gezogen sind!«

Jo duckte sich tiefer über ihre Spaghetti. Warum hatte sie sich nur verplappert, dass die Wochenendfahrt diesmal nicht in die Pampa hinter Paderborn führen würde? Nein, so ganz zufällig hatte sie nicht vergessen, ihrer Mutter vom Umzug zu erzählen, und natürlich wusste Mama das. »Tja, ich habe es mir anders überlegt. Du bleibst über die Herbstferien zu Hause.«

»Was?« Jetzt war es an Jo, vor Empörung nach Luft zu schnappen. »Aber es ist doch alles schon abgemacht! Tanjas Eltern holen mich morgen mit dem Auto ab und bringen mich am Sonntag zurück.«

»Dann wirst du Tanjas Eltern eben anrufen und sagen, dass du diesmal nicht mitfährst.«

Jo warf ihrem Vater einen Hilfe suchenden Blick zu. Doch der wickelte ungerührt Spaghetti um seine Gabel. »Oh nein«, sagte er. »Schau nicht mich an. Ich war nicht dabei, als du Mama gefragt hast.«

Na prima, jetzt ließ er sie auch noch im Stich. Aber Jo gab noch nicht auf.

»Tanjas ganze Familie fährt doch mit! Sogar ihr großer Bruder. Und wir sind die ganze Zeit bei Tanjas Tante, ihrem Onkel und ihren kleinen Cousinen. Was soll mir da schon passieren?«

»Was passieren soll?«, rief ihre Mutter. »Ha, ich kenne euch Mädchen doch! Glaub nicht, ich hätte nicht gemerkt, dass du wieder eine Schürfwunde am Knie hast. Wieder heimlich mit Tanja Mountainbike gefahren und gestürzt, Miss Unschuldsblick? Oder hast du dir das Skateboard von ihrem Bruder geliehen? Nein, sobald Tanjas Eltern sich nur fünf Minuten umdrehen, macht ihr beiden euch doch sofort ab-durch-die-Hecke davon. Und das Nächste, was ich höre, ist, dass man dich aus dem Hafenbecken gefischt hat – tolle Schlagzeile für Halloween: ›Todesdrama hinter den Dünen: Mädchen ertrinkt in stürmischer See‹.«

Jos Vater verschluckte sich und hustete. Dann legte er beschwichtigend eine Hand auf Mamas Arm. »Jetzt aber mal langsam, Inge«, sagte er mit seiner sanften, immer ruhigen Stimme. »Übertreibst du nicht ein bisschen?«

»Kein Stück! Sie ist flinker als ein Frettchen und unvorsichtig dazu. Und deshalb bleibt sie hier.«

Jo hatte die Fäuste fest um ihr Besteck gekrampft. Ihr Gesicht glühte, aber das Schlimmste war, dass ihr jetzt auch noch die Tränen in die Augen schossen. Warum konnte sie nicht einfach eine ganz normale Mutter haben? Eine, die stolz darauf war, dass ihre Tochter gut Skateboard fuhr und gern zum Schwimmen ging. Eine, die nicht bei jedem blauen Fleck gleich durchdrehte.

Ihr Vater bedeutete ihr mit einem Kopfschütteln, lieber den Mund zu halten. Aber Jo konnte sich nicht beherrschen.

»Immer verdirbst du mir alles, was Spaß macht!«, platzte sie heraus. »Außerdem würde ich niemals ertrinken. Ich kann besser schwimmen als ihr alle zusammen. Und nur weil du Angst vor Wasser hast …«

»Ich habe was?« Ihre Mutter knüllte ihre Serviette zusammen und warf sie neben den Teller.

»Oh, oh!« Jos Vater stand mit einem Seufzen auf. »Wieder mal Sturmwarnung. Käpt’n Tom bringt schon mal das Porzellan in Sicherheit.« Seelenruhig begann er die Teller abzuräumen.

Jo hob das Kinn und sah ihrer Mutter fest in die Augen. »Doch, du hast Angst«, beharrte sie. »Riesige Angst! Du gehst nicht mal in die Badewanne, immer nur unter die Dusche, du hasst ja sogar mein Aquarium.«

»So ein Unsinn.« Ihre Mutter schüttelte heftig den Kopf. Heute trug sie ihr Haar nicht wie sonst nach hinten gekämmt und hochgesteckt. Es floss in wunderschönen langen Wellen über Rücken und Schultern, dunkelbraun und dicht. Viele von Jos Freundinnen bewunderten sie. Sie war schlank und groß und hatte blaue Augen, die normalerweise strahlten. Und wenn sie gut gelaunt vor sich hin summte, blieben die Leute stehen und lauschten wie verzaubert.

Wenn Jo durch die Finger pfiff, war niemand bezaubert, und wenn ihr jemand hinterherschaute, dann nur, weil er sich wunderte, warum ein elfjähriges Mädchen sich hinter einer Hecke hastig umzog, ihre zerrissene Jeans in eine Tasche stopfte und ihr zerzaustes Pixie-Haar mit Fingern und Spucke glättete. Aber Jo hatte immerhin die Haarfarbe ihrer Mutter geerbt, und auch ihre meerblauen Augen. Und, naja, wenn man Papa glaubte, auch das Temperament.

»Unsinn?«, sprudelte sie nun hervor. »Ach ja? Und warum kommst du dann nie zu den Schwimmwettkämpfen in der Schule? Du wolltest meinem Lehrer sogar ein Attest andrehen, damit er mich vom Schulschwimmen ausschließt. Im Sommer darf ich nie mit zum Baggersee, und im Urlaub fahren wir nur zum Wandern in irgendwelche blöden Berge. Du kannst dir ja nicht mal Filme anschauen, in denen ein Boot vorkommt!«

»Kampfsittich, es reicht«, mahnte ihr Vater. »Deine Mutter hat nein gesagt und damit basta.«

Aber Jo spürte genau, dass ihr Vater eigentlich auf ihrer Seite war. Zumindest verbiss er sich gerade ein Grinsen. Und ihre Mutter merkte das auch, denn jetzt bekam auch Papa einen funkelnden Gewitterblick ab.

»Ich habe keine Angst! Bei deinem letzten Schwimmwettkampf hatte ich nur keine Zeit. Ich habe nun mal eine Arztpraxis und viel zu tun. Und ich finde es einfach nicht vernünftig zu schwimmen. Vor ein paar Jahren ist ein Kind im Baggersee ertrunken und keiner von den dreihundert Badegästen hat es rechtzeitig bemerkt. Gewässer sind gefährlich, das ist statistisch erwiesen. Wasser ist ein Risiko.«

Jo verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. »Tja, wenn du keine Angst hast – warum fahren wir dann über die Herbstferien nicht alle zusammen an die Nordsee? Papa hat frei, deine Praxis ist bis Montag geschlossen …«

Mama schnaubte. »Schluss jetzt, Jolanda!«

Jo klappte hastig den Mund zu. Obwohl ihr noch tausend Worte auf der Zunge lagen, wusste sogar sie, wann es besser war, die Klappe zu halten. Wenn es ganz ernst wurde, nannte ihre Mutter sie nur bei diesem schrecklichen altmodischen Namen, den sie ihr gegeben hatte. »Und vergiss nicht, Tanjas Eltern anzurufen«, sagte ihre Mutter mit dem Tonfall, der keine Widerrede mehr duldete. Jo schoss so schnell hoch, dass ihr Stuhl mit einem Poltern umkippte. Das war keine Absicht gewesen, aber Jo entschuldigte sich nicht, sondern sprang zur Treppe und fegte nach oben in ihr Zimmer. »Wage es nicht, mit der Tür zu knallen!«, rief ihre Mutter ihr hinterher. Jo holte tief Luft und musste sich beherrschen, die Tür einigermaßen leise zuzumachen. Vor dem Bett wartete ihre gepackte Reisetasche. Und ja, auch wenn ihre Mutter schon beim Gedanken daran Schnappatmung bekommen würde: eine wasserdichte Gürteltasche, ein Badeanzug und die Schwimmbrille waren auch darin verstaut. Nicht für die Nordsee – Ende Oktober war es natürlich zu kalt zum Baden –, sondern für das Erlebnis-Hallenbad, auf das Tanja und sie sich schon seit Wochen freuten. Mit einem Tritt beförderte Jo das Gepäckstück in die Ecke und warf sich auf ihr Bett. »Das wird ja ein tolles Halloween«, murmelte sie. Unglücklich starrte sie aus dem Fenster. Draußen rauschte der Ahornbaum, an dem sie manchmal heimlich nach draußen kletterte. Um ihn betrachten zu können, musste sie vom Bett aus durch ihr Aquarium hindurchschauen. Das war Absicht, denn so sah es aus, als würden ihre kleinen Guppy-Fische direkt am Himmel zwischen den Ästen und Blättern schwimmen. Und manchmal, wenn der Himmel im Winter blau war und die Äste ganz kahl, stellte Jo sich vor, ein Taucher zu sein und Fische zu betrachten, die zwischen Korallenfingern schwammen – schwerelos und schön mit ihren langen, schleierartigen Schwanzflossen.

Sie tippte mit dem Zeigefinger an die Scheibe. Ihre Guppys schwammen aufgeregt los und folgten der Fingerspitze. Mit den eifrig schnappenden Mäulern wirkten sie wie Reporter, die in ein Mikrofon blubberten. Manchmal bildete Jo sich sogar ein, die Fische versuchten ihr wirklich etwas zu sagen. »Statistisch erwiesen«, zischte sie ihren kleinen Freunden zu. »Na klar. Wenn sie könnte, würde sie mich in den Schrank sperren und den Schlüssel verschlucken, damit mir bloß nichts passiert!« Es war verrückt: Mit Papa war alles so einfach. Jo und er verstanden sich ohne Worte und lachten über dieselben Witze. Wenn sie an Wettkämpfen teilnahm, stand er in der ersten Reihe und feuerte sie an. Aber ihre Mutter kam Jo immer öfter so vor wie eine schöne Fremde von einem anderen Stern, so weit weg, dass sie nicht einmal dieselbe Sprache zu sprechen schienen.

Skelettgeklapper

Jo konnte die Stimmen ihrer Eltern im Wohnzimmer hören, als sie wenig später zum Arbeitszimmer huschte. »Was ist denn nur mit euch beiden los?«, sagte ihr Vater gerade zu ihrer Mutter. »In letzter Zeit reicht ja schon ein winziger Funke und ihr explodiert und verwandelt euch in zwei Kampfhähne, die sich die Federn ausrupfen.«

»Ich explodiere doch gar nicht, Tom.« Mama seufzte tief. »Ich mache mir nur Sorgen um sie. Sie ist so … so ein Hitzkopf!«

Papa lachte sein warmes, tiefes Lachen. »Tja, auch wenn du es nicht gerne hörst, Inge – das hat sie von dir. Ihr seid euch ähnlicher, als ihr zugeben wollt. Und Jo wünscht sich doch nur, mal das Meer zu sehen, ist das so schlimm? Ein Wochenendausflug wäre doch schön! Ich passe auf sie auf, versprochen.«

Zu Jos Überraschung schwieg ihre Mutter eine ganze Weile. Und als sie wieder zu sprechen anfing, klang ihre Stimme so zittrig, als würde sie mit den Tränen kämpfen. »Du hast keine Ahnung, Tom!« Jo stutzte. Sie trat näher an die Treppe und lauschte, aber unten klappte nur noch eine Tür.

Das Telefon war ein altmodisches Ding, das sogar noch eine Telefonschnur am Hörer hatte. Neben dem Schreibtisch grinste ein vergilbtes Plastikskelett. Und auch sonst schien das Arbeitszimmer von Jos Eltern aus einer anderen Zeit zu stammen. Es roch muffig nach altem Papier: Fachbücher, die ihre Mutter nicht in ihrer winzigen Arztpraxis unterbringen konnte, standen hier in den Regalen, wild gemischt mit Fotoalben und gesäumt von Andenken, Glückwunschkarten und Familienfotos. Auch Urlaubsfotos waren dabei: Wanderwege, Wälder, Hügel. Und sogar auf diesen Fotos sah Mama besorgt aus.

Tanja hob schon beim zweiten Klingeln ab. »He, Jon-Jon! Alles schon gepackt fürs Wellenbad?«

Jo schnaubte. »Ich darf nicht mit.«

»Waaaas?« Jo musste den Hörer vom Ohr weghalten, so laut schrie ihre Freundin ins Telefon. »Warum denn nicht? Sie hat es doch schon erlaubt! Hast du was ausgefressen?«

Ja, ich habe keine Angst vor Wasser, dachte Jo.

»Meine Mutter denkt, dass ich im Meer ertrinke.«

»Oh Mann!«, schimpfte Tanja. »Nicht schon wieder die Gefängniswärter-Nummer! Zu deinem Geburtstag schenke ich dir einen gestreiften Gefängnispyjama!« Jetzt musste Jo doch kichern. »Und ich dachte, meine Mutter wäre streng!«, wetterte Tanja weiter. »Dabei ist meine schon hundert Jahre alt und deine ist viel jünger, da sollte man doch meinen, dass sie auch viel cooler ist und …«

Jos Blick fiel auf ein Foto ihrer Eltern. Es war auf ihrer Hochzeitsparty in Mamas Studentenwohnheim aufgenommen worden. Auf dem Foto war sie zwanzig Jahre alt, und es war das einzige Foto, auf dem sie über das ganze Gesicht lachte. Ihr Haar hatte sie zu einer wilden, hüftlangen Lockenmähne frisiert, und sie trug ein quietschrosa Minikleid und einen pinkfarbenen Tüllschleier. Unter dem Kleid wölbte sich ein runder Babybauch: Jo. Nur sechs Wochen später war sie auf die Welt gekommen. Papa hatte schon damals seine hoffnungslos unmodische Zusselfrisur gehabt, und seine dicke Brille und seine etwas langweilige Cordjacke hatten dieselbe hellbraune Farbe wie sein Haar. Tanja hatte einmal lachend gesagt, dass ihre Mutter auf dem Foto aussah wie ein wunderschöner, flippiger Popstar, der mit einem unscheinbaren Nerd-Fan ein Foto machte. Aber Jo fand, dass beide toll aussahen. Und auch jetzt wurde ihr warm ums Herz. Ihr Vater lächelte heute genauso verschmitzt wie damals.

»… Halloooo? Jon-Jon, spielst du Guppy?«

Jo schreckte aus ihren Gedanken hoch. »Was?«

»Na, soll meine Mutter bei deiner anrufen? Ohne dich gehe ich nicht ins Wellenbad!«

Tanja war wirklich die beste Freundin, die man haben konnte. »Vergiss es, das nützt gar nichts. Meine Mutter ist vorhin fast an die Decke gegangen.«

Wenn sie nicht gerade im Wohnzimmer steht und fast weint, setzte Jo in Gedanken hinzu. Es war komisch, wie sehr es sie beunruhigte. Dieser Tonfall und die zittrige Stimme …

Nebenan klopfte jemand an ihre Zimmertür. »Jo? Mach bitte auf«, hörte sie ihre Mutter sagen.

»Tanja, ich muss Schluss machen!« Hastig legte sie auf. Im selben Augenblick klingelte das Telefon noch in ihrer Hand. Sie nahm ab. Es war das zweite Mal, dass ihr der Hörer fast aus der Hand gefallen wäre.

»Christensen?«, bellte eine alte, rostige Männerstimme. »Inger Chris-ten-sen?«

Jo stutzte. Inger klang zwar so ähnlich wie Inge, aber Christensen?

»Nein, hier ist Familie Schmidt. Vielleicht haben Sie sich verwäh…«

»Kan jeg tale med Inger?«, schnarrte die Stimme im Hörer ungeduldig.

»Ach, hier bist du!« Ihre Mutter trat ins Arbeitszimmer. Sie bemühte sich um ein Lächeln, aber ihre Augen waren gerötet. Sie hatte also wirklich geweint.

»KAN JEG TALE MED INGER!«, brüllte der Fremde. »INGER CHRISTENSEN?«

Jo zuckte vom Hörer weg. Sogar ihre Mutter hatte den Namen gehört. Mit zwei Schritten war sie bei Jo und nahm ihr den Hörer aus der Hand. »Wer ist da?«, sagte sie sehr deutlich. Und dann sagte sie eine ganze Weile gar nichts mehr. Nur ihre Augen wurden riesengroß und sie wurde so blass, dass sogar das winzige Muttermal neben ihrem linken Mundwinkel heller zu werden schien. »Moment!« Sie gab Jo einen Wink, dass sie aus dem Zimmer gehen sollte. Jo gehorchte. Zumindest tat sie so. Denn sobald sie die Schwelle übertreten hatte, zog sie zwar die Tür zu, machte sie aber nach ein paar Sekunden lautlos wieder auf und linste durch den Spalt. Ihre Mutter hatte sich abgewandt. »Ja«, sagte sie leise. »Inger Christensen.« Und dann wurde Jo klar, dass Mama und sie offenbar wirklich verschiedene Sprachen sprachen. Denn jetzt verstand sie kein Wort mehr. »Er De sikker?«, fragte Mama. Dann kamen viele Worte mit -isk am Ende, außerdem viel Ö und ein kehliges R und schließlich das entsetzte Flüstern: »For fire uger siden?« Mama ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen. Die Lehne rumpelte gegen den Tisch. Mamas Lieblingsvase kippte um und rollte auf die Tischkante zu. Mama bemerkte nichts, so sehr war sie damit beschäftigt, Seehundsprache von sich zu geben. Jo spurtete einfach los, um die Vase zu retten – und riss dabei einen Hocker um, der quer durchs Zimmer polterte und das Skelett traf. Mama sprang erschrocken auf. Die Vase rutschte Jo durch die Finger und zerbrach mit einem fiesen Scheppern, das Skelett schaukelte schaurig klappernd hin und her.

»Was ist denn hier los?« Jos Vater lugte durch die Tür. »Werft ihr jetzt schon mit Vasen? Wenn das so weitergeht, laufe ich hier demnächst nur noch mit einem Baustellen-Helm herum.« Dann bemerkte er Mamas ernste Miene und sein Grinsen verschwand. Jo biss sich auf die Unterlippe. Mist, jetzt würde sie gleich das nächste Donnerwetter erleben. Aber Mama legte nur den Hörer auf.

»Mette ist tot«, sagte sie sehr sachlich. »Die Beerdigung fand schon vor vier Wochen statt. Der Nachlassverwalter hat so lange gebracht, um mich ausfindig zu machen.«

»Wer ist Mette?«, wollte Jo wissen.

»Es hilft nichts, ich muss hinfahren«, sagte Mama. »Ich bin ja die einzige noch lebende Verwandte und damit ihre Erbin, und den Papierkram kann ich nur vor Ort erledigen.«

Papa trat zum Schreibtisch und legte ihr den Arm um die Schultern. »Wenn, dann fahren wir alle zusammen. Das ist schließlich eine Familienangelegenheit.«

»He, hallo!« Jo winkte. »Bin ich ein Geist? Hört und sieht mich keiner mehr?«

Mama warf ihr einen seltsamen, verzagten Blick zu. Dann schüttelte sie den Kopf, dass ihre Haare wie Wellen über ihr Schultern wallten. »Nein, Tom. Sie war meine Tante, also ist das auch ganz allein meine Sache.«

Tante? Jo klappte der Mund auf. Das wurde ja immer besser. »Du hast doch gar keine Verwandten mehr. Und seit wann heißt du Inger Christensen und sprichst in einer fremden Sprache? Er De sikker und so. Englisch war das nicht!«

Mama wurde rot. Und so ertappt, wie sie aussah, wirkte sie plötzlich genauso jung wie auf ihrem Hochzeitsfoto. Jetzt runzelte auch Jos Vater verblüfft die Stirn. »Du sprichst Dänisch?«, wandte er sich an Mama. »Du hast mir doch erzählt …«

»Jedenfalls: Ihr zwei bleibt hier und macht euch ein hübsches Halloween«, unterbrach Mama ihn aufgesetzt munter. »Ich buche einen Flug für mich – und noch bevor ihr mich richtig vermisst, bin ich wieder da.« Mit diesen Worten rauschte sie hinaus.

Papa wollte ihr folgen, aber Jo fasste ihn am Ärmel und hielt ihn zurück. »Was ist hier eigentlich los? Und was ist das für eine Tante?«

Endlich schien sich jemand daran zu erinnern, dass sie auch noch da war. Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Eigentlich war Mette gar nicht die Tante, sondern eine Cousine ihrer längst verstorbenen Großmutter. Mehr weiß ich allerdings auch nicht.« Jos Blick wanderte über die Familienfotos und aufgestellten Kärtchen. Danke, Doktor Inge!, las sie auf einer Karte. So nannten ältere Patienten Mama liebevoll. Aber keine Mette weit und breit, keine Weihnachtskarte, kein Foto, nichts.

Das Skelett schaukelte immer noch und schien höhnisch zu grinsen. Jo ließ den Ärmel ihres Vaters los und verschränkte die Arme. »Sag mal, das ist doch ein Streich von euch beiden, oder?« Komischerweise hoffte sie das. Aber zu ihrer Enttäuschung wurde ihr Vater so ernst, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. »Ich wünschte, es wäre ein Scherz, aber ich bin genauso überrascht wie du.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Warum spricht sie Dänisch? Mir hat sie gesagt, sie war damals noch viel zu klein, um …« Er verstummte. Jetzt sah er sogar ziemlich verwirrt aus, und das erschreckte Jo. Reichte es nicht, wenn ihre Mutter sich in eine Fremde verwandelte? »Deinen Ausflug ans Meer bekommst du jedenfalls«, fügte Papa hinzu. »Wir fahren nämlich alle drei. Und zwar nach Kopenhagen!«

Angeber und Elfen

Ich verstehe immer nur Tante Mettwurst!« Tanja saß im Schneidersitz auf dem Bett und starrte Jo an, als hätte sie grüne Sommersprossen. Mit dem zu weiten Kapuzenshirt ihres Bruders und ihrer karamellbraunen Wuschelfrisur wirkte Jos Freundin auch heute eher wie ein Junge. »Deine Mutter kommt gar nicht aus Köln, sondern aus Kopenhagen? Und deine Eltern haben dir nie was davon erzählt?«

Jo nickte und holte ihren schwarzen Pulli aus dem Kleiderschrank. Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, dass sie alle Trauerkleidung mitnehmen mussten. Sie würden auch Mettes Grab besuchen. »Mama wollte nicht, dass es jemand weiß. Sie hat es nur Papa erzählt. Ihre richtigen Eltern sind gestorben, als sie noch klein war. Diese Tante Mette konnte sie nicht aufnehmen und sonst war keiner mehr da. Die ganze restliche Familie war nämlich auch schon tot.«

»Echt, alle?«, sagte Tanja. »Auch die Jüngeren? Ziemlich komisch.«

Ehrlich gesagt, fand Jo das auch. »Jedenfalls kam sie deshalb als Baby nach Deutschland. Meine Kölner Oma ist also nur ihre Adoptivmutter gewesen. Von ihr hat sie den Namen bekommen. Aber früher hieß sie Inger Christensen.«

Tanja ließ sich ins Kissen zurücksinken und tippte mit dem Zeigefinger ans Aquarium. Bei ihr kamen die Guppys nicht herangeschwommen, wie sie es bei Jo immer machten. Stattdessen verkrümelten sie sich hinter die Wasserpflanzen. Tanja zog die Hand enttäuscht wieder zurück. Aber dann grinste sie und ihre Augen begannen zu funkeln. »Vielleicht war Tante Mettwurst ja steinreich und ihr erbt eine Villa mit Swimmingpool? Dann hast du dein Privatschwimmbad fürs Training.«

»Nein, es ist nur ein kleines Häuschen. Und es ist ganz alt und baufällig. Mama will es so schnell wie möglich verkaufen.«

»Weißt du, was noch komisch ist? Wenn diese Tante das Haus hatte – warum konnte sie deine Mutter dann nicht bei sich aufnehmen? Ein Baby braucht doch nicht viel Platz?«

Jo konnte wieder nur mit den Schultern zucken. Aber sie hatte auch schon darüber nachgedacht. Und selbst wenn diese Tante kein Kind großziehen konnte – warum hatte sie ihrer Großnichte nicht wenigstens mal Weihnachts- oder Geburtstagskarten geschickt? Immerhin war sie ja die einzige noch lebende Verwandte der kleinen Inger gewesen. Und auch Jos Mutter hatte wohl keinen Wert auf diese Tante gelegt. Im ganzen Haus gab es kein Foto von der alten Frau – in keinem einzigen Fotoalbum. Jo hatte gestern noch lange danach gesucht.

»Oh Mann!« Tanja seufzte. »Jon-Jon darf an Halloween im Haus einer Toten rumstöbern! Und ich? Werde das ganze öde Wochenende lang bei meinen kleinen Cousinen rumhocken und langweiliges Barbie-Fernsehen schauen. Kann ich nicht mitkommen?«

Jo rollte mit den Augen. »Meine Mutter wollte ja nicht mal, dass Papa und ich mitfahren. Gestern Abend gab es noch einen Riesenstreit deswegen.« Das stimmte. Ihre Eltern hatten sich bis tief in die Nacht gestritten – und diesmal war die Tür so gut verschlossen gewesen, dass Jo nicht lauschen konnte.

»Mädchen?«, rief Papa von unten. »Verabschiedet euch, wir müssen los zum Flughafen!«

Jo stopfte den Pulli hastig in ihre Tasche und schaute nach, ob genug Futter für ihre Fische neben dem Aquarium stand. Eine Nachbarin würde sie die nächsten Tage über füttern. Tanja rutschte vom Bett. »Ruf mich an – und schick Fotos! Ich will alles wissen, verstanden?«

Jo lächelte. »Klar! Aber erwarte nicht zu viel. Kopenhagen liegt am Meer. Kann gut sein, dass meine Mutter die Tür aus dem Hotelzimmer zumauert und ich das Haus nicht mal zu sehen kriege.«

Tanja lachte und umarmte Jo zum Abschied. »Dann musst du eben heimlich aus dem Fenster klettern – wie du es hier machst.«

Ihre Eltern schwiegen sich an, als das Flugzeug sich dem Himmel entgegenhob. Papa las in einem Reiseführer. Jos Mutter blätterte in einer Zeitschrift. Aber zwischen ihnen schien die Luft zu knistern wie bei einem Gewitter. Jo holte die Digitalkamera hervor. Unter ihr verwandelten sich Häuser in winziges Spielzeug. Neblige Felder, Wiesen und Straßen wurden kleiner und waren schließlich nur noch grau-braun-grüne Muster auf einem Landschaftsteppich. An den Fenstern wehte Weiß vorbei, dann durchstieß das Flugzeug die Wolkendecke. Und als es viel später wieder nach unten tauchte, vergaß Jo sogar, Fotos für Tanja zu machen. Das Flugzeug glitt über das Meer hinweg. Weiße Wellenkronen wirkten wie tanzende helle Delfine. Aber das Seltsame war: Jo sah das alles nicht nur, sie fühlte es, als würde das endlose Wasser wie ein blauer Schauer durch sie hindurchrieseln.

»Na, da strahlt aber eine.« Papa beugte sich zu ihr herüber. »Oh, schaut mal, die Küste von Dänemark!«

Jos Mutter blickte nicht mal von ihrer Zeitschrift auf, aber Jo entging nicht, wie sie tiefer in den Sitz rutschte und ihre Hände um das Magazin krampfte. Sie hatte eindeutig Angst.

Zu Jos Enttäuschung war das blaue Blinzeln vorerst das Letzte, was sie vom Meer sah. Vom Flughafen aus hetzten sie zu einem Zug, der sie zum Bahnhof nach Kopenhagen brachte. Das düstere, rotweiße Gewölbe erinnerte mit seinen gemauerten Bögen aus Backstein an eine sehr alte Kirche. Ein seltsamer Anblick, Züge durch eine Kirche fahren zu sehen! Aber kaum hatte Jo sich staunend umgeschaut, saßen sie schon in einem Taxi. »Warum fahren wir wieder aus der Stadt raus?«

»Weil Mettes Häuschen in einem Vorort ist«, murmelte Mama.

»In Ishøj«, sagte Papa und blätterte in seinem Reiseführer. »Dort gibt es ein großes Kunstmuseum, das so ähnlich wie ein Schiff gebaut ist – mit großen Betonsegeln. Es liegt genau an einem Sandstrand voller Dünen. Wir können schon heute Nachmittag dort spazieren gehen.«

Jo begann zu strahlen.

»Nein, ihr fahrt zu unserer Ferienwohnung«, wandte Mama prompt ein. »Und ich gehe derweil zum Verwalter.«

Papa rückte seine braune Hornbrille zurecht. »Ich dachte, das hätten wir gestern geklärt. Wir kommen auch zum Verwalter mit.«

Jo befürchtete schon, dass jetzt gleich die nächste Diskussion losgehen würde, aber Papa legte ihrer Mutter den Arm um die Schultern. »Mach dir keine Sorgen. Ich habe dir versprochen, ich lasse unsere kleine Kampfschwimmerin nicht aus den Augen. Und Jo gibt mir das Fünf-Schritte-Ehrenwort, stimmt’s?« Er zwinkerte Jo verschwörerisch zu. »In Sichtweite des Meeres geht sie höchstens fünf Schritte von mir weg.«

Jo wollte protestieren, dass sie kein Baby war, aber als sie sah, wie Mama zum ersten Mal seit gestern ein bisschen lächelte, nickte sie. »Und Papa gibt mir sein Handy.«

Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Haha, netter Versuch …«

»Das ist eine gute Idee«, rief Mama begeistert und griff einfach in seine Jackentasche. »Warum habe ich nicht selbst daran gedacht? So erreiche ich dich immer und überall. Und wehe, du gehst nicht ran!«

Mit diesen Worten drückte sie Jo das schwarze Handy in die Hand.

Na klasse, dachte Jo. »Ich bin doch keine Robbe, der man einen Peilsender verpassen kann!«

»Schade«, sagte Mama ungerührt.

Papa grinste nur spöttisch. Tja, das hast du jetzt davon, sagte sein Blick.

Von einer Villa war weit und breit keine Spur. Bis jetzt bestand der Vorort aus graubraunen Häusern mit dunkelgrauen Dächern, Parkplätzen und Straßen, die recht verlassen wirkten. Überall wiesen Schilder auf Campingplätze hin. Das Taxi stoppte vor einer Siedlung von klotzigen Hochhäusern aus hellem Beton. Ein paar Jugendliche fuhren mit Skateboards davor herum. Ein dunkelhaariger, dünner Junge sprang mit seinem Board auf die Lehne einer Parkbank, legte einen Slide hin und landete mit einer waghalsigen Drehung wieder auf dem Pflaster. Seine Skaterklamotten flatterten. Betont cool klatschte er mit einem anderen Skater einen High five ab. Dann zupfte er sich die Frisur zurecht. Er hatte genauso dunkles Haar wie Jo. Nur, dass es länger war als ihres, und schräg und fransig geschnitten. Angeber, dachte Jo im Stillen. Ihre Mutter kramte einen Zettel aus der Tasche. »Hier wohnt der Verwalter. Es muss das Haus da hinten sein.« Sie stieg aus dem Taxi und eilte voraus. Papa bezahlte den Taxifahrer und wuchtete die beiden Koffer auf die Straße. Jo ging ein Stück hinter ihren Eltern her. Ein Schatten, der über sie hinwegglitt, ließ sie zusammenzucken. Drei Möwen! Sie kreisten direkt über ihr. Jo konnte erkennen, dass ihre Augen so gelb waren wie ihre Schnäbel. Sie kramte die Digicam hervor – und prallte erschrocken zurück. Ein Schatten witschte direkt vor ihr vorbei, schnappte ihr die Kamera weg und wirbelte davon. Jungs lachten in der Nähe. Nach dem ersten Schreck begriff sie nun, was los war: Der dünne Angeber war auf seinem Skateboard herangeflitzt und hatte ihr hinterrücks die Kamera geklaut.

»He!«, schrie Jo. »Gib sie wieder her!«

Sie wollte hinterherstürzen, aber da stoppte er, grinste dreckig und hielt die Kamera wie eine Trophäe hoch. Seine blauen Augen blitzten vor Schadenfreude. Die anderen Idioten kriegten sich nicht mehr ein, vor allem, als der Angeber Jo mit ihrer eigenen Kamera ins Visier nahm. »Smile!«, rief er und machte ein paar Fotos. Jetzt platzte Jo der Kragen. Er war zwei Köpfe größer als sie und bestimmt schon dreizehn oder vierzehn. Trotzdem stürzte sie auf ihn los. Damit hatte er nicht gerechnet – und schon gar nicht damit, dass sie ihn aus dem Gleichgewicht brachte und ihm das Skateboard mit einem gezielten Kick unter den Füßen wegstahl. Motorengeräusch röhrte in der Nähe auf, ein paar ältere Jugendliche starteten ihre Mofas und schauten dem Duell zu. Das Lachen war dem Angeber gründlich vergangen. Und ehe Jo es sich versah, war er bei ihr und versetzte ihr einen Stoß, der sie zum Straucheln brachte.

»Mads!«, brüllte jemand. Aber der empörte Schrei ging unter. Die Gang des Angebers johlte, als Jo vergeblich versuchte, ihm die Kamera abzujagen oder ihm wenigstens einen Boxhieb zu verpassen. Er umrundete sie und diesmal hatte sie keine Chance mehr, ihn zu überrumpeln. Und dann kam es noch schlimmer.

»Jolanda!«, donnerte ihre Mutter. Zu allem Überfluss spielte die Gang sofort Echo.

»Jolanda! Jolanda!«, äfften sie den Ruf hämisch nach. Jo schoss das Blut in die Wangen. Der Angeber grinste feixend: »Gå til Mama, Jolanda!« Das verstand sie auch, ohne Dänisch zu können: »Geh zu Mama, Jolanda.« Dann flitzte er an ihr vorbei und warf ihr die Kamera zu. Es war reines Glück, dass Jo sie auffing. Beinahe wäre sie dabei auch noch hingefallen. »Du … Arschkopf!«, brüllte sie ihm hinterher.

»Geht’s noch?«, schalt Mama sie, als sie mit hochrotem Kopf und kochend vor Wut bei ihr ankam. »Solche Ausdrücke will ich von dir nie wieder hören, verstanden?«

»Er hat angefangen«, murmelte Jo. Über die Schulter warf sie einen Blick zurück. Der Blödmann und seine Gang hatten sich verdrückt, sie hörte nur noch Mofaröhren und Gelächter irgendwo zwischen den Betonwänden hallen. Aber neben der Parkbank stand ein Mädchen. Es war etwa so alt wie Jo, aber das war auch die einzige Gemeinsamkeit, die sie hatten. Das Mädchen hatte nämlich langes, seidiges Goldhaar und war zierlich und klein. Nie im Leben hätte Jo zudem einen rosa Strickrock und pinkfarbene Stulpen getragen. Und schon gar keinen Haarreif mit einem albernen Glitzerschmetterling. Tanja hätte mit den Augen gerollt und »Achtung, Barbie-Alarm!« gemurmelt und sie und Jo hätten ein paar Witze über ihr kitschiges Outfit gerissen. Hatte dieses Püppchen dem Rüpel vorher voller Empörung etwas zugeschrien?

Strandläufer

An der Tür erschien ein alter, kleiner Mann mit grauem Haar, das sich in Löckchen hinter den Ohren ringelte. Sein Anzug war ihm drei Nummern zu groß, dafür wirkten die Augen hinter der dicken Brille so winzig wie die eines Maulwurfs. Heute brüllte er nicht. »Inger Christensen?« Er streckte erst Mama und dann Papa eine gruselig dürre, bleiche Hand hin, die an ein Skelett erinnerte. Jo war froh, dass er sich dann umwandte und in die Wohnung schlurfte. So musste sie diese Halloween-Hand nicht schütteln.

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