Lilly - Voll verknallt und ziemlich crazy - Patricia Schröder - E-Book

Lilly - Voll verknallt und ziemlich crazy E-Book

Patricia Schröder

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Beschreibung

Lilly und der Stress mit den Jungs

Endlich Sommerferien! Lilly freut sich riesig auf die Quatsch-und-KicherÜbernachtungen im Drei-Mädels-Zelt mit Blümchen und Yassi im Ferienlager am Nesselsee. Dumm nur, dass ihre beiden Freundinnen neuerdings nur noch Jungs im Kopf haben. Doch dann gerät auch Lilly mitten hinein ins Liebeskuddelmuddel und dabei scheint selbst ihre lebensrettende Wundersprüchebox den Dienst zu versagen. … Aber Lilly wäre nicht Lilly, wenn sie Yassi, Blümchen und sich selbst nicht ein Mega-Happy-End bescherte!

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Seitenzahl: 229

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Patricia Schröder

Band 3

Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage 2015

© 2015 cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag

in der Verlagsgruppe Random House, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild und Vignetten: Dagmar Henze

Lektorat: Maren Jessen

Umschlaggestaltung: basic-book-design, Karl Müller-Bussdorf

cl · Herstellung: CF

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-15708-1

www.cbj-verlag.de

Sorgenfalten

»Ich habe das Gefühl, ich bin um Jahre gealtert.«

Blümchen lässt ihr Handy sinken und blickt seufzend über den Pausenhof.

»Lass mal sehen«, sage ich, fasse sie unters Kinn und mustere aufmerksam ihre veilchenblauen Augen. »Hmmm, stimmt. In den letzten acht Wochen hast du mindestens fünf Falten mehr bekommen.«

»Waaas?«, ruft Blümchen entsetzt.

»Pro Seite natürlich«, füge ich hinzu und habe alle Mühe, ernst zu bleiben.

»Das ist nicht wahr!«, stößt meine Freundin hervor.

Sie springt auf, stopft das Handy in ihre selbst genähte Umhängetasche und geht mit strammen Schritten auf das Schulgebäude zu.

»Wo willst du denn hin?«, rufe ich ihr hinterher. »Die Pause ist doch erst in fünf Minuten zu Ende.«

Anstatt mir zu antworten, beschleunigt Blümchen ihren Schritt und verschwindet kurz darauf durch die Außentür im Mädchenklo.

»Das war nicht nett«, bemerkt Yassi, die neben mir auf der Steinbank bei den Tischtennisplatten hockt.

»Ich weiß«, sage ich und stupse sie an. »Los komm!«

»Wohin?«

»Na, ihr nach«, sage ich und springe ebenfalls auf.

»Tut mir leid«, erwidert Yassi und zupft ihr türkisfarbenes Kopftuch zurecht. »Das musst du schon alleine ausbaden.«

»Keine Sorge, das werde ich.« Verständnislos schüttele ich den Kopf. »Aber was spricht dagegen, dass du dabei bist?«

Und mir hilfst, Blümchen wieder aufzuheitern, füge ich im Stillen hinzu. Wozu hat man schließlich beste Freundinnen, die einem in allen Lebenslagen zur Seite stehen? Bisher hat das bei Blümchen, Yassi und mir zumindest immer bestens funktioniert.

»Also gut«, sagt Yassi und erhebt sich nun auch. »Ich verstehe ohnehin nicht, wieso Blümchen sich diesen Jakob nicht endlich aus dem Kopf schlägt.«

»Weil es nun mal nicht dieser Jakob ist, sondern ihr Jakob«, erkläre ich, während ich mich bei ihr unterhake und wir uns langsam in Bewegung setzen.

»Das ist er ja gerade nicht«, gibt Yassi irritiert zurück.

»Eben«, bestätige ich. »Und genau das ist das Problem.«

Exakt ausgedrückt: nicht nur Blümchens, sondern unser Problem. Und zwar seit einem dreiviertel Jahr! So lange kennt Blümchen Jakob nämlich schon, und genauso lange versucht sie, mit ihm zusammenzukommen. Weiß der Geier, warum das nicht klappt. Ich kapiere es jedenfalls nicht.

»Vielleicht ist es ja normal«, überlegt Yassi.

»Was meinst du?«

»Dass man nicht zusammenkommt«, erwidert sie.

»Wer man?«

»Na, alle. Blümchen und Jakob … deine Schwester Jackie und dieser Jonas …«, beginnt Yassi aufzuzählen.

»Das sind vier und nicht alle«, stelle ich nüchtern fest.

Meine Freundin verdreht die Augen. »Wir kennen ja auch nicht alle.«

»Immerhin sind deine, Blümchens und meine Eltern auch irgendwie zusammengekommen«, halte ich dagegen.

Es besteht also durchaus noch Hoffnung. Und zwar für alle vier.

»Mit Busra und Martin ist es jedenfalls aus«, sagt Yassi einfach so ins Blaue hinein.

»Wie bitte? Waaas?« Ich falle aus allen Wolken. »Wieso denn das? Lieben sie sich etwa nicht mehr?«

»Doch. Glaub schon.«

Yassi zuckt ein wenig hilflos mit den Schultern und plötzlich sieht sie furchtbar traurig aus.

»Tut mir leid, aber das verstehe ich nicht«, entgegne ich, obwohl ich durchaus so etwas wie eine Ahnung habe.

Yassis Schwester Busra ist türkische Muslimin und ihr Freund Martin deutscher Christ. Eigentlich sind die Celiks ziemlich westlich eingestellt. Yasemin trägt ihr Kopftuch, weil sie es selber will und nicht, weil sie es muss, und Busra läuft mit offenen Haaren, knallrotem Lippenstift und im Minirock herum.

»Unsere Religionen passen eben nicht zusammen«, sagt Yassi.

»Das ist doch nichts Neues«, erwidere ich aufgebracht. »Abgesehen davon sind Religionen ja wohl nicht wichtiger als Liebe!«

»Manchmal eben schon.«

»Aber Busra und Martin wollten doch heiraten!«

Wieder zuckt Yassi nur mit den Schultern.

Ja, schon klar. Das geht nicht, wenn jeder seinen eigenen Glauben behalten möchte. Doch auch das kriege ich nach wie vor nicht in meinen Schädel.

»Für Gott und Allah sind Liebe und Frieden das Wichtigste«, rede ich mich in Rage. »Eigentlich sollten alle froh sein, dass Busra und Martin sich gefunden haben. Anstatt sich anzufeinden, sollten die Familien sich lieber gegenseitig auf die Schulter klopfen und ein rauschendes Fest für die beiden ausrichten. Christlich und muslimisch. Deutsch und Türkisch.«

»Find ich ja auch«, gibt Yassi zurück. »Yenge Hatice ist allerdings noch immer der Meinung …«

»Sei bloß still«, fahre ich dazwischen. »Ich will das gar nicht hören. Deine Tante terrorisiert ja eure ganze Familie.«

Seitdem Yassi, Blümchen und ich miteinander befreundet sind, geraten wir ständig wegen dieses Themas aneinander. So deutlich wie gerade eben habe ich jedoch noch nie gesagt, was ich von Yassis Tante Hatice, der Schwägerin ihrer Mutter, halte. Und wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich auch diesmal meine Klappe gehalten hätte.

Yassi reißt sich mit einem Ruck von mir los, dreht sich um und rennt so schnell, als wäre der Teufel hinter ihr her, zu den Tischtennisplatten zurück.

Yassi!, will ich rufen. Es tut mir leid! Doch genau in diesem Moment schwingt die Tür des Mädchenklos auf und Blümchen stürmt heraus.

»Ich hab nicht eine einzige Falte entdeckt, du Blödi!«, pflaumt sie mich an.

»Wieso hast du es überhaupt geglaubt?«, knurre ich und tippe mir an die Schläfe. »Falten kriegt man doch sowieso erst mit dreißig oder noch später.«

»Ja, normale Falten«, erwidert Blümchen. »Wenn man aber dauernd grübelt, passiert das schon viel früher. Guck!«, sagt sie und reckt mir ihre tief gerunzelte Stirn entgegen.

»Zum Glück rennst du so aber nicht den ganzen Tag herum«, sage ich. »Und deshalb musst du dir wegen Grübelfalten auch keine Gedanken machen.«

Wegen Lachfalten allerdings ebenso wenig, denke ich bei mir.

Blümchen stößt einen undefinierbaren Brummton aus, blickt sich um und fragt: »Wo ist eigentlich Yassi?«

»Abgedampft.«

»Hä? Warum denn das?«

»Ich habe sie vor den Kopf gestoßen«, antworte ich, nachdem ich ein Mal geräuschvoll Luft ausgeschnaubt habe.

»Ach, sie auch?« Blümchen mustert mich besorgt, und diesmal ist die tiefe Furche auf ihrer Stirn echt. »Lilly, Lilly«, sagt sie dann. »Was ist bloß los mit dir?«

Nach der Pause kommt Yassi nicht mehr in den Unterricht, und mit jeder Minute, die ihr Platz leer bleibt, nehmen meine Gewissensbisse zu.

Eigentlich finde ich ja nicht, dass Blümchens Frage, was mit mir los sei, berechtigt ist. An mir hat sich schließlich nichts verändert. Ich bin die Einzige von uns dreien, die keine Probleme hat. Zumindest keine echten. Weder bin ich unglücklich verliebt – so wie Blümchen, noch macht mir meine Familie unnötig das Leben schwer – so wie die von Yassi. Mein Kommentar wegen Blümchens Falten war ein Scherz und deswegen werde ich mir ganz bestimmt keine grauen Haare wachsen lassen. Die Bemerkung bezüglich Yassis Tante dagegen war unüberlegt und entspricht auch nicht der Wahrheit. Die muslimische Religion ist mir fremd, und zwar vor allem, weil sie Dinge verbietet, die für mich völlig normal sind. Trotzdem kann ich verstehen, dass für jemanden wie Tante Hatice diese Regeln und Verbote wichtig sind. Sie glaubt fest daran und befürchtet, dass ihre Schwägerin und ihre Nichten in ihr Unglück rennen, wenn sie sich nicht daran halten. Mit Terrorisieren hat das im Grunde überhaupt nichts zu tun und deshalb hätte ich das auch nicht sagen dürfen.

Inzwischen ist die letzte Unterrichtsstunde angebrochen und ich kann das Ende des Schulvormittags kaum noch erwarten. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl herum und versuche, mich wenigstens halbwegs auf das zu konzentrieren, was Frau Schönerscheidt uns zu vermitteln versucht.

Die Sommerferien stehen kurz bevor, die Notenkonferenzen haben bereits stattgefunden, und wir sind, wie unsere Deutschlehrerin heute bereits zweimal hervorgehoben hat, mit dem Stoff dieses Schuljahres längst durch.

»Und deshalb werden wir uns in den verbleibenden Stunden noch ein wenig mit dem Lesen beschäftigen«, hatte sie zu Beginn der Woche angekündigt.

Deutliche Aussprache. Richtige Betonung. Den einzelnen Personen in den Geschichten eigene Stimmen geben und so weiter.

Ich beherrsche all das eigentlich ganz gut. Eines meiner Hobbys ist Bücherverschlingen und das laute Vorlesen habe ich schon immer gemocht. Vielleicht liegt es daran, dass meine Mutter in einer Buchhandlung arbeitet und Jackie, meinem Bruder Philipp und mir immer supertolles Lesefutter mit nach Hause bringt.

Gerade ist Björn-Dakota dran, und er beweist eindrucksvoll, dass das schöne Lesen noch nie eines seiner Vorlieben gewesen ist. Es hapert so ziemlich an allem, worauf Frau Schönerscheidt Wert legt. Nach jedem Satz, den BD herausleiert, verfinstert sich ihre Miene. Blümchen stößt ein tiefes Seufzen aus, und Kristina, Marie und Annabelle, alias die Pissnelken, kichern hinter vorgehaltenen Händen.

»Ich glaube, du brauchst ein wenig Hilfe«, unterbricht meine Klassenlehrerin Björn-Dakota schließlich genervt und ihr Blick wandert zu mir und Blümchen herüber. »Kamilla, würdest du bitte weiterlesen?«

Blümchen reagiert nicht, und ich sehe, dass sie den Blick gesenkt hält und unter dem Tisch auf ihrem Handy herumtippt.

»Kamilla!«, donnert Frau Schönerscheidt, ehe ich meiner Freundin einen warnenden Stupser verpassen kann.

Blümchen zuckt zusammen.

»Ja, äh … was …?«, stammelt sie, und im nächsten Moment poltert ihr Handy zu Boden.

»Oh, wie ich sehe, warst du gerade anderweitig beschäftigt«, kombiniert Frau Schönerscheidt messerscharf und kommt nun mit flinken Schritten auf uns zu.

Reflexartig tauche ich unter den Tisch ab, um das Handy vom Boden aufzuklauben, doch leider hat Blümchen dieselbe Idee und so rasseln wir krachend mit unseren Köpfen zusammen.

»Aouuh!«, jaule ich, und Blümchen faucht: »Mann, bist du bescheuert?«

»Ich wollte doch nur …«, verteidige ich mich.

»Ja, ja«, knurrt Blümchen.

Sie streckt ihre Hand aus, um nach dem Handy zu greifen, aber unsere Klassenlehrerin ist schneller.

Frau Schönerscheidt schnappt sich das begehrte Teil, richtet sich hastig wieder auf, streicht ihr Kleid glatt und stolziert mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen zum Lehrerpult zurück.

»Dann wollen wir doch mal sehen, wen du meinem Unterricht vorziehst.«

»Das geht Sie gar nichts an!«, ruft Blümchen empört. »Das ist nämlich meine Privatsache.«

»Irrtum, meine Liebe«, erwidert unsere Klassenlehrerin. »Die Benutzung eines Mobilfunkgerätes während der Schulstunden ist verboten. Und deshalb …«

»Wenn Sie Blü… äh, Kamillas Nachrichten lesen, sage ich allen, welche Farbe Ihre Unterhose hat!«, rufe ich empört dazwischen.

Sofort fliegen alle Blicke zu mir.

Die Pissnelken prusten los.

»Oh ja!«, johlt Jannik. »Los, sag es!«

Frau Schönerscheidt lässt das Handy sinken und fixiert mich mit zusammengekniffenen Augen.

»Das wirst du nicht tun, Lilly Wunderbar«, erwidert sie drohend. »Denn das hätte unangenehme Konsequenzen für dich.«

»Dann lasst uns doch einfach raten!«, ruft Ole, dessen Stimme sich seit den Osterferien abwechselnd wie eine quietschende Tür oder wie ein ratternder Rasierapparat anhört.

»Rosa!«, brüllt Bent.

»Ne, braun!«, hält Jannik dagegen. »Sollen wir wetten?«

»Schluss jetzt!«, donnert Frau Schönerscheidt.

Ihr Gesicht ist dunkelrot angelaufen. Zornig knallt sie Blümchens Handy auf den Lehrertisch. Ein unheilvolles Knacksen ertönt, das sogar ich bis zu meinem Platz in der vorletzten Reihe hören kann.

»Scheiße, jetzt haben Sie es kaputt gemacht«, platzt es aus Niklas heraus.

»Unsinn!« Frau Schönerscheidt nimmt das Handy und begutachtet es stirnrunzelnd. »Kamilla hat es zu Boden fallen lassen«, sagt sie, während sie nun im Zeitlupentempo so fahl wie die Wand neben der Tafel wird. »Es funktionierte schon nicht mehr, als ich es aufgehoben habe.«

»Das kann ja jeder behaupten«, kommt es klar und deutlich und mit perfekter Betonung von Björn-Dakota. Er springt von seinem Stuhl auf und flitzt nach vorne. »Kann ich mal sehen?«

Unsere Klassenlehrerin schüttelt energisch den Kopf, öffnet ihre Tasche und lässt das Handy hineingleiten.

»Das Mobilfunkgerät ist beschlagnahmt.«

»Das dürfen Sie nicht«, sagt BD.

Er klingt jetzt ziemlich wütend.

»Darüber hast du wohl kaum zu befinden«, gibt Frau Schönerscheidt zurück.

»Das Mobilfunkgerät!«, stöhnt Jannik, verdreht die Augen, klatscht sich gegen die Stirn und fällt seitlich vom Stuhl. Er krabbelt unter dem Tisch hervor und robbt auf unsere Klassenlehrerin zu. »Was krieg ich, wenn Ihre Unterhose tatsächlich braun ist?«, feixt er.

In diesem Augenblick läutet es.

»Das wird ein Nachspiel haben!«, verkündet Frau Schönerscheidt.

Sie ergreift ihre Tasche und rauscht auf den Gang hinaus.

»Und was ist mit meinem Handy?«, brüllt Blümchen ihr hinterher.

»Das kannst du erst mal vergessen«, prophezeie ich ihr.

Ich erinnere mich nämlich noch sehr gut an das letzte Schulhalbjahr, als ich meinen Rucksack im Klassenraum vergessen und Frau Schönerscheidt ihn danach in Gewahrsam genommen hatte. Damals hat es geschlagene drei Tage gedauert, bis ich ihn zurückbekam.

»So ein Mist!« Fluchend stopft Blümchen die Deutschunterlagen in ihre Umhängetasche. »Jetzt hatte ich ihn gerade so weit, dass er sich vielleicht mit mir treffen wollte.«

»Wer? Jakob-popa-kob?«

»Wer sonst?«, brummt sie. »Und hör endlich auf, ihn so zu nennen.«

»Das würde ich«, erwidere ich. »Wenn er nicht so irreal wäre.«

»Jakob ist nicht irreal, sondern äußerst real«, korrigiert Blümchen mich.

Ich schließe den Schnappverschluss meines Rucksacks und hieve ihn mir über die Schulter.

»Nicht für mich. Mir kommt es manchmal so vor, als ob das Ganze nur ein Traum gewesen wäre.«

»Du schreibst ja auch nicht mit ihm«, erwidert Blümchen. »Zum Glück.«

Also, das sehe ich ein bisschen anders. Wenn ich mit Jakob schreiben würde, wären die beiden nämlich längst zusammen. Ich meine: richtig zusammen. Stattdessen führen sie seit den letzten Herbstferien eine reine SMS-Beziehung. Dabei hatte alles so gut angefangen, zumindest, wenn ich Blümchens Berichten glauben darf. Danach war das erste und bisher leider einzige Treffen der beiden ziemlich gut verlaufen. Warum sie das Ganze dann nie wiederholt haben, begreife ich bis heute nicht.

»Was mache ich denn jetzt?«, jammert Blümchen.

»Keine Ahnung«, sage ich schulterzuckend. »Vielleicht solltest du zur Abwechslung mal mit ihm telefonieren.« Meiner Meinung nach wäre das jedenfalls schon mal ein Fortschritt. »Oder noch besser: skypen.«

»Keine gute Idee«, brummt Blümchen.

»Und wieso nicht?«, frage ich.

»Weil Jakob inzwischen garantiert vergessen hat, wie ich aussehe.«

»Hm. Warum sollte er?«

»Weil unser Treffen bereits Monate her ist«, verdeutlicht Blümchen mir.

»Das ist ja das Problem«, sage ich.

Meine Freundin nickt.

»Eben. Und jetzt komm, vielleicht erwische ich Frau Schönerscheidt ja noch im Lehrerzimmer.«

Das kann ich mir zwar nicht vorstellen, trotzdem widerspreche ich nicht. Blümchen wird sowieso nicht eher Ruhe geben, bis sie sich mit eigenen Augen davon überzeugt hat, dass unsere Klassenlehrerin längst über alle Berge ist. Ich dackele also neben ihr her den Gang entlang und die Treppe in die Pausenhalle hinunter.

»Ich warte so lange hier«, sage ich und lehne mich neben der Eingangstür gegen die Wand, während Blümchen in Richtung Direktorat und Lehrerzimmer abbiegt.

Sollte Frau Schönerscheidt nämlich doch noch im Lehrerzimmer sein, möchte ich ihr unter gar keinen Umständen vor die Füße laufen. Inzwischen würde ich mir am liebsten in den Hintern beißen, weil mir das mit der Unterhosenfarbe herausgerutscht ist. Erstens konnte ich meiner Klassenlehrerin in Wahrheit gar nicht so weit unter den Rock gucken, und zweitens ist es weder nett noch besonders klug gewesen, so etwas in die Klasse zu posaunen. Ich weiß doch, wie die Jungs sind, und hätte mir denken können, dass zumindest Jannik sofort darauf einsteigen würde.

BDs Verhalten fand ich aber ziemlich toll. Ohnehin hat er sich in den letzten Monaten immer mehr zum Positiven verändert und mittlerweile mag ich ihn richtig gern.

Ob er wohl noch immer in Blümchen verliebt ist? Anmerken lässt er sich das zumindest nicht. Dabei kommen die beiden seit ihrem gemeinsamen Auftritt bei unserer Talentpräsentation auf dem Schulfest letzten Herbst eigentlich recht gut miteinander klar.

Oh Mann, es könnte alles so viel unkomplizierter sein, wenn Björn-Dakota und Blümchen zusammen wären. Die Geschichte mit Jakob gefällt mir nämlich überhaupt nicht. Dabei fand ich ihn damals ziemlich cool. Es war total süß, wie er mit Blümchens Schwindelei umgegangen ist, und daher will mir auch partout nicht in den Kopf, dass die beiden sich danach nie wieder getroffen haben. Manchmal denke ich, dass sie ihm irgendwas Blödes geschrieben hat. Unabsichtlich vielleicht. Und dass er sie deshalb nicht mehr sehen will.

Aber wieso simsen sie dann die ganze Zeit? Ich kapier das einfach nicht und würde Blümchen sooo gerne helfen. Aber leider hält sie mich ja, was Jungs betrifft, für total unterbelichtet.

Außerdem habe ich im Moment genug damit zu tun, meine eigenen Sorgenfalten zu glätten. Hier steht Yassi ganz oben auf der Liste. Bei ihr muss ich mich so schnell wie möglich entschuldigen, und da passt es ganz gut, dass ich gleich sowieso ohne Blümchen zu Oma Brille nach Wittenfeld hinausfahre.

Verzwickt, verzwackt, vertrackt

Nachdem Blümchen aus dem Bürotrakt zurückgekehrt ist, begleite ich sie zum Fahrradunterstand.

»Wetten, dass Frau Schönerscheidt noch da war«, beharrt sie. »Garantiert hat sie sich irgendwo versteckt.«

Klar doch. Wahrscheinlich unter dem Lehrerzimmertisch oder hinter dem Kopierer!

»Wenn sie mir das Handy morgen nicht zurückgibt, beschwere ich mich beim Handaufsherz«, wettert meine Freundin weiter, während sie ihren Drahtesel aus dem Ständer zerrt.

»Tolle Idee«, erwidere ich. »Würde ich auch tun.«

»Mann, Lilly!«, schnaubt Blümchen und knallt ihre Tasche auf den Gepäckträger. »Dann mach doch bitte mal einen besseren Vorschlag!«

»Kein Problem, ich habe meine Wundersprücheersatzschachtel immer dabei.«

»Hör mir bloß damit auf!«, knurrt Blümchen. »Deine Sprüche haben mir noch nie weitergeholfen.«

Was absolut nicht stimmt. Das Gegenteil ist der Fall, und das würde ich ihr auch am liebsten sofort unter die Nase reiben. Aber wenn Blümchen auf hundertachtzig ist, tut man gut daran, ihr weder zu widersprechen noch mit irgendwelchen klugen Argumenten zu kommen. Und deshalb sage ich nur: »Aha.«

»Ein Gutes hat das Ganze jedenfalls«, eröffnet sie mir nun. »Jakob kann mir jetzt so viel schreiben, wie er will … Ich muss ihm nicht mehr antworten.«

Okaaay …?

»Ich weiß, dass du das nicht verstehst.«

Blümchen bedenkt mich mit einem genervten Blick. Dann schwingt sie sich auf den Sattel und braust davon.

Für ein paar Augenblicke stehe ich wie belämmert da und gucke ihr noch belämmerter hinterher.

»Pass auf, Blümchen«, murmele ich und setze mich langsam in Bewegung. »Jetzt reden wir mal Klartext: Ich verstehe nicht nur das nicht, sondern vor allem dich nicht … mehr.«

Und dabei handelt es sich eindeutig um die niederschmetterndste Erkenntnis des Jahrhunderts!

Mit hängenden Schultern trotte ich über den Schulhof und mache mich auf den Weg zur U-Bahn-Station. Früher – und das heißt: vor Jakob – hätte Blümchen mich auf den Gepäckträger genommen und dorthin kutschiert. Sie wäre sogar mit mir zum Bahnsteig hinuntergestiegen, um nicht eine einzige wertvolle Sekunde des Zusammenseins mit mir zu verpassen.

Früher hatten wir immer was zu quatschen, zu planen und zu lachen. Und so wie es sich für echte allerbeste Freundinnen gehört, haben wir auch stets alle Probleme gemeinsam gelöst.

Ich mag nicht einsehen, dass das nicht wieder so sein kann, und daher werde ich auch nicht aufgeben, sondern die vertrackte Angelegenheit erst einmal beiseitelegen und die weniger verzwickten Dinge angehen.

Nachdem ich dreimal tief geseufzt habe und mein Herz dabei immer schwerer geworden ist, zwinge ich mich zu einer aufrechten Haltung. Ich straffe die Schultern, recke meine Brust heraus und richte den Blick nach vorn. Und da fallen sie mir ins Auge: die drei Pissnelken Kristina, Marie und Annabelle in ihren hellblauen Gitzertops, den Silberjeans (mit denen sie seit einer Woche tierisch angeben) und den bescheuerten Hochsteckfrisuren mit den noch bescheuerteren Glimmerspängchen darin.

Wie die Hühner auf der Stange hocken sie nebeneinander auf der Mauer vor der Sparkasse, haben wie immer die Köpfe zusammengesteckt und kritzeln in einem quietschgelben Notizbuch herum.

Ihre Rucksäcke stehen ebenso fein säuberlich aufgereiht neben ihnen auf dem Boden. Natürlich besitzen sie alle drei den gleichen pinkfarbenen mit haargenau den gleichen Schmetterlingsansteckern und love- und kiss me-Buttons an den exakt identischen Stellen. Ich möchte nicht wissen, wie viel Zeit sie damit zugebracht haben, das alles genau auszumessen, und ich will mir auch nicht vorstellen, was passiert, wenn eine von ihnen einen dieser Anstecker verliert. Vermutlich ist dann richtig große Krise angesagt.

Auf dem Rucksack direkt neben Kristina liegt ein extrem rutschgefährdeter Kollegblock.

Ich verlangsame meinen Schritt und überlege, ob ich den Umweg durch die Hinterhaussiedlung machen soll, denn ich habe wenig Lust, von den dreien entdeckt und mit höhnischen Kommentaren überhäuft zu werden. Für die Pissnelken, mit denen wir seit der fünften Klasse verfeindet sind, ist es nämlich stets ein gefundenes Fressen, wenn sie Blümchen, Yassi oder mich irgendwo alleine erwischen.

ENDE DER LESEPROBE