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Das Glück in der glänzenden Metropole Berlin zu finden, davon träumt die junge Clara, als sie 1928 ihr Dorf verlässt. Im Alten Eierhäuschen in Treptow lernt sie den feschen Friseur Otto kennen, die Liebe zieht in ihr Herz. Doch die Weltwirtschaftskrise lässt die jungen Eheleute mit ihrem Salon in Kreuzberg scheitern. Als Otto 1940 zum Wehrdienst eingezogen wird, brechen für Clara harte Zeiten an. Sie muss allein Friseursalon, Haushalt und Kinder bewältigen, bis sie im Bombenhagel nur noch den Ausweg der Flucht sieht …
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Seitenzahl: 726
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Simona Wernicke
Lindenblütenzeit
Roman
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Satz/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © msyoko / stock.adobe.com
ISBN 978-3-7349-3298-4
Für meine Mutter
Liebe Leserinnen und Leser,
vor Ihnen liegt ein Roman, der auf meiner Fantasie basiert. Die Geschichte knüpft zwar an wahre Begebenheiten an, es werden jedoch ausschließlich fiktive Geschehnisse, Personen und Orte dargestellt. Personen und Ereignisse sind inspiriert von Erinnerungen, jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie deren Handlungen sind jedoch rein zufällig und frei erfunden. Die Handlung und die dargestellten Beziehungen sind Ergebnisse künstlerischer Freiheit und dienen der Erzählung und nicht der Darstellung historischer Fakten.
Ich lade Sie ein, sich auf eine Reise einzulassen, die Sie durch die Höhen und Tiefen des Lebens einer deutschen Familie führt. Möge diese Geschichte Ihnen nicht nur Einblicke in die damalige Zeit gewähren, sondern auch Gedanken und Gefühle anregen, die über die Grenzen des Gelesenen hinausgehen.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und wünsche Ihnen eine fesselnde Lektüre.
1926
Mit einem Ruck schloss Clara den quietschenden Riegel des Stalles. Sie musste sich mit aller Kraft und dem ganzen Gewicht ihres zierlichen Körpers gegen die schwere alte Holztür stemmen, um die Scheune schließen zu können. Die beiden Kühe hatten endlich Ruhe gegeben, nachdem sie sie jetzt am frühen Abend noch einmal gemolken hatte.
Der Herbstwind fuhr ihr an diesem frischen Oktobertag unter die wadenlangen Röcke. Bereits im Frühjahr hatte sie die Säume ihrer Unterröcke und Kleider kürzer genäht und sich dabei einen grimmigen Blick von Mama eingehandelt. Aber warum sollte sie hier auf dem Lande nicht auch ein wenig nach der neuen Mode gehen? Schließlich war Kranzig nicht allzu weit von der schönen Stadt Berlin entfernt, und Clara war eine hübsche junge Frau von 20 Jahren. Ach, Berlin! Wie gern wäre sie in der Metropole! Sie erinnerte sich daran, als sie im letzten Jahr mit Mama und ihrer Schwester Anna bei Tante Minna in Kreuzberg gewesen war. Dieses pulsierende Leben! Stattdessen musste sie hier die Kühe, Pferde, Schweine und das Federvieh versorgen, Ställe ausmisten, melken und beim Schlachten helfen. Missmutig sah sie auf ihre schmutzigen Holzpantinen hinab, an denen noch Pferdedung klebte.
»Clara, bring mal bitte eine Kiepe Holz mit rein, es wird langsam kühl in der Stube!« Wenn Mama rief, gab es keinen Widerspruch. Also ging Clara noch einmal in den Schuppen, füllte einen Korb mit Holzscheiten und brachte ihn in die Küche.
»Ich bin gleich wieder da!«, rief sie der Mutter zu und schlich noch einmal rasch hinaus.
Clara öffnete das große quietschende Hoftor, das zur Straße ging, und lief die paar Schritte zum See hinunter. Zwischen Linden und Birken und mannshohem Gebüsch schimmerte er golden in der frühen Abendsonne hindurch. Der Wind pustete heute etliche Blätter von den Zweigen, sodass die Sicht auf das Wasser bald noch besser sein würde. Clara liebte den See. Wenn es im Sommer sonntags mal ihre Zeit erlaubte, saß sie mit Hans oder Georg in Hempels Kuhle am Ufer. Das war eine kleine lichte Stelle am sonst bis ans Wasser mit Bäumen und Sträuchern bewachsenen Seeufer, die auf dem Grundstück der Familie Hempel lag. Das waren Claras Großeltern, Mama war eine geborene Hempel.
Meist hatte Georg dann auch eine Angel dabei und fing nebenbei die eine oder andere Plötze, seltener einen Barsch. Wie gern wären die Geschwister einmal mit einem Kahn über den See gerudert. Doch eigentlich war das Angeln nicht erlaubt, denn der See war Eigentum vom Fischereimeister, der das Befahren des Sees nur gegen Entgelt gestattete. Eine Mark für eine Runde mit dem Kahn auszugeben, das konnten sich die Kranziger Landwirte allerdings nicht leisten.
Der Sommer war die schönste Zeit für Clara, doch nun hatte er sich schon wieder verabschiedet. Sie liebte die Sonne, die Wärme, die Blumen im Garten. Sie ließ ihren Blick schweifen. Dort drüben fuhr wieder ein Lastkahn der Ziegelei Wieboldt die Flusskanäle hinunter, um frisch ausgehobenen Torf oder Kies aus einer der Gruben nach Berlin zu bringen. Oder waren gar gebrannte Ziegel geladen? Clara konnte es aus der Entfernung nicht ausmachen.
Sie atmete tief die frische, würzige Luft ein und ging wieder zurück zur Kate. Das kleine lehmverputzte Fachwerkhaus mit dem Spitzdach, das mit roten Dachziegeln gedeckt war, stieß rechts mit seinen Wänden an die Nachbarkate der Schmelings. Beide Familien hatten ihre gute Stube nach vorn zur Straße und zum See hinaus. Links der kleinen Kate der Kortes stand das Große Haus vom Winkler in seiner ganzen Pracht, zweistöckig, fein verputzt, mit großen Fenstern, die Freitreppe mit dem schmiedeeisernen Geländer von rosafarbenen Kletterrosen umrankt. In einem Beet tummelten sich die letzten orangefarbenen Ringelblumen und lila Löwenmäulchen. Die schwere eingemauerte Hoftür aus Eichenholz quietschte, als Clara auf den gepflasterten Hof zurückkam. Ein Blick zum Großen Haus, nein, Anna schaute nicht aus dem Fenster. Sie vergewisserte sich, dass Stall und Scheune gut verschlossen waren, dann öffnete sie die hofseitige Küchentür ihrer kleinen Kate.
»So, Mama, alles fertig. Die Viecher sind versorgt, die Milchkannen kann sich der Georg dann vornehmen!« Clara fröstelte ein wenig, als sie in die Küche der niedrigen Kate trat und ihr wollenes braunes Umschlagtuch ablegte. Sie rieb sich die kalten Hände. Obwohl Mutter den Herd schon angefeuert hatte, einen Topf mit Kartoffelsuppe darauf, wollte es nicht so richtig warm werden. Mit Ruß vermischter Rauch stieg in die Esse empor. Trotzdem war die Küche noch der wärmste Ort im Haus. Die drei angrenzenden Stuben – das Elternschlafzimmer, eine Stube für die Jungen und ein kleines Kämmerchen für Clara – wurden aus Sparsamkeitsgründen nur selten geheizt. Immerhin hatte eine Stube einen kleinen Kachelofen, doch die einfache Verglasung der Fenster hielt die Wärme in den Räumen nicht lange. Bruder Fritz gar, der oben im Dachstübchen schlief, musste in der kalten Jahreszeit hoffen, dass das auf dem Dachboden gelagerte Stroh den Wind abhielt, der durch die Ritzen pfiff. Geheizt wurde oben nie.
Ihre Kammer hatte sich Clara noch bis vor zwei Jahren mit Anna geteilt. Ihre große Schwester fehlte ihr sehr. Was war das für eine schöne Zeit gewesen, als sie sich beide abends im Bett Geschichten erzählten, sich gegenseitig die kalten Füße wärmten und von der Liebe träumten.
»Hilf mir mal beim Tischdecken, Clara! Es ist gleich sieben.« Mutter Wilma schniefte. Sie hatte sich doch nicht jetzt schon Ende Oktober eine Erkältung eingefangen? Was sollte das erst im Winter werden, wenn die Kälte im Haus durch alle Ecken zog? Sie war mit ihren 49 Jahren nicht mehr die Jüngste, doch immer noch eine schöne Frau mit feinem Profil, das lange dunkelblonde Haar in der Mitte gescheitelt und zu einem festen Knoten im Nacken aufgesteckt. Fünf Kinder hatte sie zur Welt gebracht, und oft fiel ihr die Arbeit schwer. Ihre Knochen taten weh, und sie war anfälliger für ein paar Wehwehchen. Doch sie hatte noch vier halbwüchsige Kinder im Haus, die ihr die schwere Arbeit abnahmen. Besonders seit Anna nicht mehr zu Hause wohnte, war Clara eine große Unterstützung im Haushalt. Sie nahm den Torfeimer und gab noch eine Schippe voll in den Ofen.
»Mama, soll ich dir einen Kräutertee kochen?« Clara sah ihre Mutter besorgt an. »Ja, vielleicht nach dem Abendbrot, mein Kind. Aber jetzt wird erst mal gegessen. Vater, Fritz, Georg und Hans müssten gleich da sein. Und unter der Haube steht noch ein Rest Muckefuck.«
Kurz darauf, Clara hatte gerade die Suppenteller auf den groben Holztisch in der Küche gestellt und ein paar Scheiben Brot abgeschnitten, erschien Vater Bertram mit dem 23-jährigen Fritz, dem 14-jährigen Hans und dem 15-jährigen Georg. Sie hatten im nahen Wald Holz geschlagen. Den Karren mit den schweren Kiepen hatten sie im Hof unter einem Verschlag abgestellt. Morgen würde sich Georg darum kümmern und es ordentlich stapeln.
Hans schnupperte. »Hm, das riecht aber wieder gut, Mama. Hast du deine leckere Kartoffelsuppe gemacht?«
»Ja, Hans. Mit viel Speck. Lasst es euch schmecken.«
Hungrig von der Arbeit des Tages saß die Familie am Tisch und löffelte ihre Suppe. Clara ergriff das Wort: »Ich werde nach dem Abendbrot noch mal kurz zu Anna rübergehen.«
»Ja, Clara, mach das. Anna freut sich bestimmt über Gesellschaft. Sitzt da allein drüben mit ihrem alten Mann …« Mutter seufzte. Obwohl alle wussten, dass Anna eigentlich eine gute Partie gemacht hatte, konnten sie sich schwer vorstellen, wie die Ehe funktionierte. Und besonders glücklich schien Anna nicht zu sein.
»Träumst du nicht manchmal von der Liebe?« Clara konnte sehr direkt sein mit ihren Fragen, aber die brannten ihr auf dem Herzen, wenn sie zu Anna hinüberging. Die beiden Schwestern hatten es sich an diesem Herbstabend gerade am Küchentisch gemütlich gemacht. Inzwischen war es zu kalt, um auf der unbeheizten verglasten Veranda zu sitzen, wo man einen schönen Blick auf den Wald hatte. Ludwig saß im Ohrensessel in der Wohnstube, rauchte und las die Märkische Volksstimme. Er musste von dem Gespräch der beiden Frauen nichts mitbekommen. Zum Glück hörte er auch schon etwas schwer. Clara bemerkte sein Husten.
Anna schüttelte den Kopf und griff nach einer der Apfelspalten, die sie auf einem Tellerchen zum Naschen auf den Tisch gestellt hatte. »Du immer mit deinen frechen Fragen, Clara! Ich hatte eben die Wahl: große Liebe oder gute Partie. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich auf die große Liebe gewartet hätte. Dann wäre ich vielleicht auch in einer kleinen Kate mit Stall gelandet. Oder würde immer noch warten. Der Ludwig ist ein guter Mann, fast wie ein väterlicher Freund. Und ich habe das Glück, dass er sich nichts aus körperlicher Nähe zu machen scheint! Das könnte ich mir mit ihm wirklich nicht vorstellen.«
Clara betrachtete ihre Schwester lange und fragte sich, wie gut es ihr wirklich ging. Angefangen hatte alles mit einem Wirthausbesuch von Vater vor fünf Jahren, als er im Gasthaus Sommerfeld beim Bier einen Herrn im guten Anzug kennengelernt hatte. Dieser Ludwig Winkler, ein älterer Berliner Geschäftsmann mit eigener Bäckerei in Charlottenburg, war auf der Suche nach einem netten Wochenendgrundstück am Kranziger See, der nicht zuletzt wegen seiner attraktiven Seebäder schon bis nach Berlin bekannt geworden war. Diese wunderbare Ecke nahe der Großstadt war zügig mit der Bahn zu erreichen und erfreute sich immer größerer Beliebtheit. Die Besucher und Interessenten nach Grundstücken strömten nur so herbei. Herr Winkler hatte Vater direkt gefragt, ob er nicht Land hätte, das er verkaufen wolle. Bei einigen Mollen waren die Herren sich einig geworden. Bertram glaubte noch, mit dem Verkauf der Hälfte seines Grundstücks für 1.000 Mark einen Reibach gemacht zu haben. Leider fraß die wachsende Inflation kurze Zeit später einen Großteil des Geldes, sodass es nur noch für neue Fenster und kleine Ausbesserungsarbeiten in der Kate gereicht hatte.
Ludwig Winkler jedoch hatte sich ein großes, herrschaftliches Haus bauen lassen. Die Bauarbeiten am Großen Haus dauerten fast ein Jahr. Die Kortes staunten über die neue Bautechnik. Das Große Haus bekam einen Keller und wurde Stein auf Stein über zwei Etagen gemauert. Die Ziegel dafür bezog Herr Winkler aus der nahen Ziegelei am Ortsrand von Kranzig. Mit seinen Giebeln, den großen Fenstern zum See hin, dem Dach aus roten Dachziegeln und dem hellen Putz wirkte es sehr herrschaftlich. Die kleine Kate der Kortes und auch die anderen Häuser des Dorfes, die sich in die waldreiche Landschaft duckten, wirkten daneben noch unscheinbarer. Auf der Straße blieben die Dörfler stehen und staunten, wer es sich da leisten konnte, solch ein großes, modernes Haus zu bauen. Es sprach sich in Windeseile herum, welche Nachbarschaft die Kortes da jetzt hatten. Und in dieses herrliche Haus sollte nur eine Person einziehen?
Anfangs kam Herr Winkler nur an den Wochenenden von Mai bis September. Er lag im Garten in einem Liegestuhl unter dem Schatten des Birnbaums, ging hinunter zum Badeplatz schwimmen oder saß bei Sommerfeld auf der Seeterrasse und ließ sich Aal grün schmecken.
Doch schon im Sommer darauf erschien er eines Mittags unverhofft in der Kate der Kortes, die gerade beim Mittagessen saßen und sich genötigt sahen, den Gast dazu einzuladen. »Es ist doch ein recht idyllisches Fleckchen hier in Kranzig«, sagte Herr Winkler und häufte etwas Apfelmus auf seine Kartoffelpuffer. »Wenn ich von meinem Schlafzimmerfenster oben hinausschaue, sehe ich morgens überm See die Sonne aufgehen. Besser kann ich mir meinen Lebensabend gar nicht vorstellen. Ich will noch bis zum Jahresende arbeiten und werde dann meine Bäckerei verkaufen. Nächstes Jahr im Frühling werde ich dann ganz und gar nach Kranzig ziehen. Ich habe genug vom Trubel in Berlin und möchte hier die Ruhe genießen!«
Clara hatte ihn verständnislos angestarrt. Wie konnte man nur die schöne, aufregende Stadt Berlin verlassen wollen? Ja, auch sie liebte den See, aber in den langen Wintermonaten konnte es auf dem Lande auch ziemlich eintönig sein, wenn die einzige Abwechslung in der Ödnis der Kirchgang am Sonntag war.
Ein Jahr später zog Ludwig Winkler mit seinem Berliner Hausstand im Großen Haus ein.
Schon kurze Zeit darauf, es muss Anfang August gewesen sein, stand er am Gartenzaun und schaute zu, wie Mama die Tomaten goss.
»Tag, Herr Winkler!«
»Tag, Frau Korte!«
»Brauchen Sie etwas? Ein paar reife Tomaten habe ich schon abgenommen.«
»Nun ja, ich wollte Sie mal etwas fragen, aber nicht direkt wegen der Tomaten …« Herr Winkler druckste ein wenig herum. Wilma sah ihn fragend an. »Ich lebe ja nun ganz allein nebenan.« Herr Winkler suchte nach Worten. »Wissen Sie nicht jemanden, der mir im Haus zur Hand gehen kann? Ich suche eine Wirtschafterin oder ein Hausmädchen. Ich hatte eines in Berlin, Emma, aber die wollte nicht mit mir nach Kranzig kommen. Hat sich lieber eine andere Stellung in der Stadt gesucht, die ja auch immer größer wird.« »Hm, da muss ich mal überlegen, wer da im Dorf infrage kommt.« Wilma war unsicher und schaltete nicht gleich.
»Ich zahle natürlich auch einen angemessenen Lohn, Frau Korte. Nur im Moment ist es mit dem Geld etwas schwierig …« Verlegen kratzte sich Herr Winkler den Bart.
Wilma stöhnte und nickte. Die Inflation machte ihnen allen zu schaffen.
Ludwig Winkler fasste sich ein Herz und rückte mit der Sprache heraus. »Um ehrlich zu sein, Frau Korte, hatte ich da an Ihre Tochter Anna gedacht. Sie wäre doch im richtigen Alter, um mir den Haushalt zu führen. Es soll ihr an nichts fehlen, und, wie gesagt, im Rahmen der inflationären Möglichkeiten zahle ich ihr ein gutes Gehalt.«
Wilmas Gedanken überschlugen sich. Ihre Anna als Haushälterin bei dem alten Mann? Zunächst kam Stolz in ihr auf, doch dann zweifelte sie. Ob das gut ginge? Auf der anderen Seite hätte sie es drüben im Großen Haus angenehm, warm, immer gut zu essen, sogar einen Lohn hatte der Winkler ihr versprochen … Anna war nun schon Anfang 20 … Und sie selber hätten eine Esserin weniger am Tisch, die versorgt werden wollte. Trotzdem wäre sie nahe genug, um hier und da mit auszuhelfen. »Ich werde noch heute mit Anna sprechen!«, sagte sie. »Und natürlich hat mein Mann auch noch ein Wörtchen mitzureden. Aber wenn Anna einverstanden ist, wird sie sich morgen bei Ihnen melden. Sie ist vor Kurzem volljährig geworden und kann diese Entscheidung eigentlich schon selbst treffen.«
»Einverstanden!« Froh rieb sich Ludwig Winkler die Hände und hoffte, dass sein Wunsch in Erfüllung ginge.
Anna runzelte die Stirn, als Mutter am Abendbrottisch mit dem Angebot des Herrn Winkler herausrückte. »Mama, das kann nicht dein Ernst sein! Als ob wir hier nicht schon genug zu tun hätten mit den Feldern und dem Vieh, Haushalt, Kochen, Wäsche und überhaupt!«
»Nun, dann wird eben Clara mehr übernehmen, das mit dem Melken wird sie auch schaffen. Und auf den Feldern sind doch meistens Vater und die Jungs beschäftigt, sei mal ehrlich!«
»Ja, aber …«
»Der Herr Winkler ist ein feiner Mann. Er bezahlt dich ja auch. Überleg doch mal, du wärst die Wirtschafterin im Großen Haus! Und kannst Geld für deine Aussteuer sparen!«
Das Große Haus! Dort einmal ein- und auszugehen, das wäre schon was! Anna überlegte hin und her. »Aber hoffentlich hat der Alte keine Hintergedanken!«, brach es aus ihr heraus. »Das hat man schon von Dorfmädchen gehört, die in einen Haushalt nach Berlin gegangen sind und plötzlich mit einem Kind gesegnet waren!«
»Nun, das wagt er nicht!«, sagte Wilma entschieden. »Dafür wohnen ich und Vater ja direkt in der Nähe. Das wird nicht passieren! Mach dir nicht zu viele Gedanken. Und wenn du es nicht machst, freut sich eine andere.«
Und so kam es, dass Anna zunächst als Haushälterin bei Ludwig Winkler angestellt wurde. Anfangs war sie abends noch heimgekommen, dann nur noch an den Sonntagen. Bald schon hatte sie das schöne Gästezimmer im Großen Haus bezogen, mit eigenem Bett, Tisch, Sessel, Schrank und Ofen im Zimmer. Sie kam mit dem alten Mann zurecht, der nicht besonders anspruchsvoll war. Hauptsache, er hatte es sauber und ordentlich, Garten und Vieh wurden versorgt, und er hatte ein appetitliches Essen auf dem Tisch. Für all das sorgte Anna vorbildlich.
Den Leuten im Dorf blieb allerdings nichts verborgen. Man fing an zu reden. »Man muss sich mal vorstellen, eine junge Frau wie die Anna Korte im heiratsfähigen Alter lebt allein in einem Haus mit einem älteren Mann!« »Unerhört!« »Das kann einem doch keiner erzählen, dass die da nur Staub wischt!« »Wer weiß, was der Winkler noch so für Dienste von ihr verlangt!« So wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt und gelästert. Wenn Familie Korte sonntags die Dorfstraße entlang zur Kirche ging, standen sie hinter den Fenstern, schoben die Vorhänge beiseite und zerrissen sich die Mäuler.
So kam es dazu, dass Vater eines Tages hinüberging zum Winkler, mit ihm eine Pfeife rauchte und ein Gespräch von Mann zu Mann führte.
Die Hochzeit fand zu Pfingsten in der Dorfkirche Kranzig mit anschließender Feier im Gasthaus Sommerfeld statt. Anna war nun eine ehrbare Frau. Es war erstaunlich, wie schnell sich alle geeinigt hatten. Zwar wurde Anna als Letzte gefragt, aber Mutter hatte ihr noch einmal ins Gewissen geredet. Sie machte mit der Eheschließung eine gute Partie, und immerhin war Ludwig schon 65 Jahre alt. Wer weiß, wie lange er noch zu leben hatte. In die Hand hatte er ihr versichert, dass er nach wie vor keine körperlichen Absichten hegte, und erstaunlicherweise hielt er sich daran. Ludwig war über den Auftritt von Vater nicht sonderlich überrascht gewesen. Auch ihm war das Gerede im Dorf schon zu Ohren gekommen. Die Männer am Stammtisch sprachen zwar nicht viel beim Kartenspiel, aber hier und da eine lustig gemeinte anzügliche Bemerkung hatte ihm gezeigt, in welche Lage er Fräulein Anna gebracht hatte. Er mochte die junge Frau, sie war ehrlich, fleißig und von freundlichem Gemüt. Sie verstanden sich beide auf eine respektvolle, freundschaftliche Art. Ludwig war nun alt genug, um in seinem Leben gelernt zu haben, dass das weibliche Geschlecht ihn nicht sonderlich anzog. Seine verstorbene Frau hatte sich nicht darüber beklagt, dass er sich nur selten zu ihr legte. Nicht zuletzt deshalb war die Ehe kinderlos geblieben. Warum sollte er sich jetzt nicht im Alter mit der Anna seine lebenslange Versorgung sichern? Besser konnte es nicht sein.
Auch Anna ihrerseits hatte es gut bei ihm, immer ordentlich zu essen, immer warme Stuben. Sie hätte es schlechter treffen können. Und eines Tages würde sie die Erbin des Großen Hauses sein.
»Aber Anna, die Liebe! Worüber sie in den Büchern schreiben und Lieder singen! Ich hatte manchmal schon so ein Bauchkribbeln, als mich der Adolf, der von Gogolls, in der Kirche mal so angeschaut hat. Das ging mir durch und durch! Ist aber schon lange her. Letztes Jahr hat er die Liesbeth geheiratet.« Clara ließ nicht locker. Versonnen zeichnete sie mit dem Finger die Maserung des Tisches nach. »Ich möchte am liebsten nach Berlin, Anna! Weihnachten fahren wir wieder zu Tante Minna nach Kreuzberg auf Besuch, ich freue mich schon. Was da alles gebaut wird! Und wie modern und groß alles ist! Man kann tanzen gehen oder in ein Lichtspielhaus. Und alle sind so schick gekleidet!«
Anna seufzte. »Ach, Clärchen. Irgendwie verstehe ich dich ja. Hier im Dorf gibt es auch kaum Auswahl an Männern zum Heiraten. Und leider läuft es immer darauf hinaus, dass wir Frauen den Haushalt machen, das Vieh versorgen und auf dem Feld mithelfen. Und möglichst viele Kinder gebären. Eine Plackerei von früh bis spät, ein Leben lang. Eine feine Frau in der Stadt sein, ja, das wäre schon was. Mit Dienstmädchen!«
Die beiden Schwestern kicherten. Das war eine wunderbare Vorstellung! Den lieben langen Tag nur Anweisungen geben, Freundinnen zum Kaffee einladen und sich bei der Schneiderin die neuesten Kleider und Kostüme nach Schnittmustern aus Die Dame, ganz nach der aktuellen Pariser Mode, anfertigen lassen.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag fuhr Clara mit Mutter, Vater, Fritz, Hans und Georg zu Tante Minna in die Schlesische Straße nach Kreuzberg. Anna war bei Ludwig zu Hause geblieben, dessen Husten sich noch nicht gebessert hatte.
Sie fuhren mit der dampfbetriebenen aus Taupach kommenden Kleinbahn. Die schmalspurige Bahnstrecke wurde schon vor Jahren bis Rixdorf/Hermannstraße verlängert, damit möglichst viele Berliner in das herrliche Umland fahren konnten. Die Fahrt ging über Wormitz, Laubhain, Schönefeld, Britz. Am Kleinbahnhof Herrmannstraße in Neukölln stiegen sie in die Ringbahn um. Clara wusste, dass in Berlin eine neue Stadtbahn gebaut wurde und die erste Linie schon im vorigen Jahr in Betrieb genommen worden war. Doch der Ausbau des Bahnnetzes würde wohl noch einige Jahre dauern.
Am Görlitzer Bahnhof stiegen sie aus, und Clara bekam sofort große Augen, als sie die Pracht des riesigen Bahnhofs sah. Das war nicht so ein kleiner roter Backsteinbau wie auf den Brandenburgischen Dörfern. Allein die große Bahnsteighalle, und dann das vornehme Empfangsgebäude mit seinen Türmen, den arkadenartigen Torbögen und den großen Säulen! Hier herrschte ein reges Treiben, Dienstmänner luden Gepäckstücke auf ihre Wagen, Verkäuferinnen mit Bauchläden boten Zigarren, Tabak und Zigaretten an. Nur die Zeitungsjungen fehlten an diesem Weihnachtsfeiertag. Geschäfte und Kneipen säumten den Bahnhofsvorplatz. Straßenbahnen klingelten, ein paar schwarze Taxis warteten auf Fahrgäste. Hier und da sah man vereinzelt auch noch eine Pferdedroschke, aber die Fuhrwerke verschwanden zunehmend aus dem Stadtbild. Sie waren inzwischen zum Verkehrshindernis geworden.
Bis zur Schlesischen Straße musste man nur zehn Minuten laufen. Zahlreiche Baustellen säumten den Weg, überall entstanden neue Häuser, Gleise für S-Bahn und elektrische Straßenbahn wurden verlegt. Die Stadt Berlin wuchs und entwickelte sich. Am heutigen Feiertag ruhten allerdings die Arbeiten. Doch Clara saugte begierig die Baufortschritte in sich auf.
Minna Grabow, die fünf Jahre jüngere Schwester ihrer Mutter, wohnte im Seitenflügel des Hinterhofes eines viergeschossigen Mehrfamilienhauses. Sie hatte selbst zwei Söhne, Adolf und Heinrich, Claras Cousins. Die beiden Jungen waren etwas jünger als die Korte-Kinder, 13 und elf Jahre alt. Vater Max, Familienoberhaupt und Brötchenverdiener, arbeitete als Industriemechaniker in der Meierei Bolle. Er war außerdem sehr künstlerisch begabt und malte mit Leidenschaft Stillleben und Landschaften in Öl.
Die Wohnung lag im vierten Stock und hatte zwei Stuben und Küche. Die Gemeinschaftstoilette befand sich im Treppenhaus eine halbe Treppe tiefer. Sie wurde von vier Familien benutzt. Gut, dass man nicht mehr hinunter auf den Hof musste, wo noch vor einigen Jahren die Plumpsklos neben den Pferdeställen standen.
Clara fühlte sich sofort wohl, als sie die Wohnung betrat. Es war wohlig warm, Tante Minna hatte gut geheizt. Durch die Fenster im vierten Stock kam sogar ein wenig Wintersonne durch, alles wirkte behaglich, sauber und aufgeräumt. Ein langer Korridor führte nach hinten in die geräumige Wohnstube, wo vor dem Fenster ein kleiner geschmückter Tannenbaum stand. Der Duft von frisch gemahlenem und aufgebrühtem Bohnenkaffee zog durch die Wohnung. Der Tisch war mit Stollen und Plätzchen gedeckt. In der Röhre des braunen Kachelofens stand ein Blech mit Bratäpfeln, die mit Zucker und Zimt bestreut waren. Clara lief das Wasser im Mund zusammen.
Rechts vom Korridor befand sich gleich vorn die Küche mit dem gusseisernen weiß emaillierten Herd und einem modernen cremefarbenen Büfett, hinter dessen kleinen Vitrinenscheibchen schmucke weiße Spitzengardinen hingen. Dahinter war die kleinere Schlafstube. Die Wohnung war gemütlich und modern eingerichtet.
»Wie schön ihr es hier habt, Tante Minna!« Clara trank einen Schluck vom seltenen, teuren Bohnenkaffee, der eigens für das Weihnachtsfest aufgetischt worden war, und naschte den letzten Kuchenkrümel von ihrem Teller.
»Ja, Clara, jetzt geht es wieder. Wir hatten auch schon andere Zeiten, ich möchte nie mehr an die Inflation vor drei Jahren denken!« Minna sah zu ihrem Mann neben sich, der zustimmend brummte. »Da hattet ihr es auf dem Land besser, es gab immer genug Milch, Eier, Wurst, Käse und Brot. Wie oft sind wir zu euch rausgefahren und haben uns durchgefuttert.«
Minna schmunzelte und sah ihre Schwester Wilma dankbar an. »Aber der Spuk ist ja zum Glück vorbei. Jetzt mache ich mir nur manchmal Sorgen, wenn Onkel Max nach Karlshorst auf die Rennbahn fährt.« Sie schüttelte sich. »Aber zum Glück tut er das nur selten.«
Clara fasste sich ein Herz. »Ach, Tante Minna, ich möchte auch so gerne nach Berlin. Könntet ihr mich nicht bei euch aufnehmen?« Nun war es heraus. Sie war selbst überrascht über ihren Mut.
Wilma schaute erschrocken auf ihre Tochter. »Clara, wie kommst du denn auf solch einen Unsinn? Du kannst doch nicht einfach bei Tante Minna wohnen wollen. Sie sind doch selbst schon vier Personen hier. Und überhaupt, wir brauchen dich zu Hause!«, empörte sie sich. Was hatte sich das Mädel nur dabei gedacht?
»Aber zu Hause muss ich den ganzen Tag arbeiten, die Ställe ausmisten, melken, die Beete bestellen, bei der Ernte helfen. Es ist jeden Tag das gleiche, von früh bis spät. Alles ist so öde in Kranzig. Und nicht einmal eine Stunde mit der Bahn entfernt ist Berlin. Hier gibt es bunte Geschäfte, Kaufhäuser wie Paläste, Tanzlokale, Cafés, Lichtspielhäuser! Hier ist das moderne Leben! Ich finde es einfach so schön in Berlin!« Clara schluckte die aufkommenden Tränen hinunter. Und leise fügte sie hinzu: »Und ich möchte einen Mann kennenlernen. Im Juni werde ich 21, ich möchte keine alte Jungfer werden. Ich möchte eine eigene Familie und Kinder. Bei uns auf dem Dorf gibt es doch keine Auswahl. Was habe ich da für Möglichkeiten?« Nun war es heraus. Was schon lange in ihr gegärt hatte, ihr Traum von der Großstadt, hatte sich Luft gemacht. Sie schämte sich fast ein wenig für ihren Ausbruch. Was sollte Mama von ihr denken? Und Vater? Sie wollte nicht undankbar erscheinen, und sicher würde ihr auch in Berlin nichts in den Schoß fallen. Aber nun hatte sie einmal den Mut gefasst, aus ihrem Inneren zu sprechen. Auch wenn es wohl nichts nutzen würde. Wahrscheinlich war ihr Leben auf dem Dorf als Magd auf dem heimischen Hof schon besiegelt.
Betreten sahen sich alle am Tisch an. Claras Ausbruch war so unverhofft gekommen, keiner hatte damit gerechnet.
Minna ergriff das Wort. Sie legte Clara, die neben ihr saß, den Arm um die Schulter. »Clara, wir haben dich alle hier sehr gern. Wenn es dein großer Wunsch ist, bei uns zu wohnen, werden wir eine Lösung finden, vorausgesetzt, Wilma und Bertram sind einverstanden. Aber so groß die Möglichkeiten hier in Berlin auch sind, das schöne Leben kostet und will erst mal verdient werden. Ohne Geld nutzt dir auch der schönste Kaufpalast nichts. Mit versorgen können wir dich nicht, dafür verdient Max zu wenig. Und meine Schneiderarbeiten bringen auch kaum etwas ein. Du müsstest dir eine Stelle suchen. Was kannst du denn?«
»Na ja, alles, was man auf dem Land so können muss. Aber für eine Arbeit in der Stadt … Weißnähen habe ich gelernt im Handarbeitskurs der Gemeinde!«
»Nun, Weißnähen ist mehr das, was eine Hausfrau für den eigenen Bedarf können muss. Kannst du mit einer Nähmaschine umgehen?«
Clara schüttelte den Kopf. Eine Nähmaschine! Die kostete ein Vermögen. Solch einen Luxus hatten sie zu Hause nicht. Sie nähte alles mit der Hand, mit Nadel und Faden. Und sie konnte sticken, auf die Taschentücher und Servietten ihrer Aussteuer hatte sie schon ihre Initialen gestickt.
Da mischte sich Max ein. »Ich kann mich ja mal bei Bolle umhören, ob die jemanden suchen. Wir sind eine richtig große Fabrik geworden, da werden immer mal Arbeitskräfte gesucht. Gleich morgen gehe ich ins Personalbüro und frage nach. Vielleicht haben sie ja was für Clara!«
»Das wäre so lieb von dir, Onkel Max!« Clara wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihren Onkel umarmt, traute sich aber nicht. Ihr Herz hüpfte vor Freude.
Der Blick ihrer Mutter sprach jedoch eine andere Sprache. Grimmig schaute sie auf Clara. Was war nur in ihre Tochter gefahren? Und was sollte sie ohne Clara tun? Sie hatte gehofft, dass sie ihr weiter in Haus und Garten helfen würde. Wenn Clara nach Berlin ginge, hätte sie die ganze Arbeit allein am Hals: Haus, Hof, Vieh, Feld und vier Männer, die dreimal am Tag satt werden wollten. Sie stöhnte innerlich. An ihre alte Mutter schien Clara nicht zu denken. Und in einer Fabrik arbeiten, das sollte sie sich nur nicht so leicht vorstellen!
»Aber wo soll Clara denn schlafen, Mutti?« Adolf meldete Bedenken an. Schließlich musste er auf der Küchenbank schlafen und Heinrich auf dem Kanapee in der Wohnstube. Mehr Schlafplätze gab es neben dem elterlichen Schlafzimmer nicht. »Ach, Platz ist in der kleinsten Hütte, Adolf. Da finden wir schon etwas«, sagte Minna.
»Wenn ich nur hier ein Dach über dem Kopf hätte! Ich könnte auch auf dem Fußboden schlafen!« Clara würde alles tun, nur um nach Berlin zu kommen.
»Pass auf, die Kerzen vom Baum brennen ab, da kleckert schon das Wachs herunter. Schnell, Heinrich, hole mal die Schachtel mit den neuen, damit ich sie einsetzen kann.« Minna erhob sich rasch, eilte zur Tanne und pustete die Kerzen aus, die schon angefangen hatten zu tropfen. Damit entstand ein allgemeiner Tumult, und das Thema war für diesen Abend erledigt.
Im Februar traf in Kranzig ein Brief aus Berlin ein. Tante Minna schrieb an ihre Schwester Wilma:
Berlin, am 21. Februar 1927
Liebe Schwester,
es ist nun schon eine Weile her, dass ihr uns Weihnachten besucht habt. Das neue Jahr ist inzwischen ein paar Tage ins Land gegangen und nimmt wie immer seinen Lauf. Heinrich und Adolf gehen wieder in die Schule, wobei sie morgens und abends aufpassen müssen, dass sie nicht ausrutschen. Die ganze Stadt scheint vereist zu sein, ständig fällt neuer Schnee auf die eisigen Straßen und Gehwege. Wenn man nicht aufpasst, rutscht man aus und bricht sich was. Aber auch einige Automobile sind schon von den Straßen abgekommen und haben Unfälle gebaut. Wie ist es euch bisher auf dem Land ergangen? Seid ihr auch eingeschneit?
Nun zu dem, worüber wir Weihnachten gesprochen haben und was euch sicher brennend interessiert. Max hat bei Bolle in der Personalabteilung vorgesprochen, und nach ein paar Mal Nachfragen hat man ihm eine Stelle für Clara zugesichert. Und zwar schon ab dem 1. April! Also, wenn Clara immer noch möchte, kann sie Ende März zu uns kommen. Wir freuen uns auf sie! Bitte schreibt uns, wie sie sich entscheidet und ob wir mit ihr rechnen können.
Mit vielen herzlichen Grüßen
Minna und Familie
Wilma ließ entmutigt den Brief sinken. Nun würde es also doch etwas werden mit Berlin. Sie erhob sich schwerfällig von der Küchenbank und ging hinüber zum Herd, wo ein Weißkohleintopf mit Rindfleisch vor sich hin köchelte. Sie prüfte mit dem Löffel, ob der Kohl und das Fleisch schon weich genug waren. Sie verbrannte sich an der heißen Suppe den Mund und legte ärgerlich den Löffel beiseite. Mit der Ofengabel stocherte sie in der Röhre, wo zwei Kohlen noch stark genug vor sich hin glommen. Die Hitze würde bis zum Ende der Garzeit ausreichen.
Das Thema Berlin hatte die Familie Korte seit Weihnachten nicht mehr aufgenommen. Clara, die gespürt hatte, dass ihre Mutter nicht gerade dafür war, traute sich nicht, es noch einmal anzusprechen. Aber jetzt ließ sich eine Entscheidung nicht mehr aufschieben. Als die Familie mittags gemeinsam am Tisch saß und dem würzigen Eintopf zusprach, ergriff Wilma das unaufschiebbare Wort. »Heute kam ein Brief von Tante Minna!« Sie schob mit dem Löffel auf dem Teller ein Stück Fleisch hin und her. Alle Augen waren auf einmal auf sie gerichtet.
Claras Herz schlug sofort schneller. Sie schluckte und hörte auf zu essen. »Und, was schreibt sie? Hat es mit der Stelle bei Bolle geklappt?«
Wilma sah ihre Tochter an und nickte. Sie reichte ihr den leicht zerknitterten Brief, den sie in ihrer Schürzentasche getragen hatte. »Lies selber. Schon Ende März kannst du kommen!« Sie seufzte. Nun war es also entschieden. Sie würde ihre Clara an die große Stadt verlieren.
Clara überflog die Zeilen und sprang erfreut auf. »Oh Mama, es klappt! Ich kann nach Berlin kommen. Ach, ich bin ja so froh!« Clara wäre am liebsten gehüpft vor Freude, aber sie wollte nicht kindisch wirken.
»Clara, eigentlich bist du ja noch nicht volljährig. Erst im Juni wirst du 21!«, gab da plötzlich Vater zu bedenken. »Töchter sollten erst das Haus verlassen, wenn sie volljährig sind! Und in Berlin herrschen Sünde und Verderben, das haben sie schon beim Sommerfeld erzählt.«
»Aber Papachen«, entgegnete Clara ihrem Vater, »das sind doch nur ein paar Monate bis zu meiner Volljährigkeit. Vielleicht können Tante Minna und Onkel Max bis Juni meine Vormundschaft übernehmen. Ich möchte lieber nicht so lange warten, dann ist nachher die Stelle bei Bolle weg. Und ich will doch mein eigenes Geld verdienen. Und außerdem braucht ihr euch um mich nicht sorgen. Ich passe schon auf mich auf!«
»Ja, du musst sogar dein eigenes Geld verdienen, sonst nehmen dich die Grabows gar nicht erst auf!«, sagte Vater noch einmal nachdrücklich. »Bliebest du hier zu Hause, müsstest du keine andere Arbeit annehmen und Geld verdienen. Wir versorgen uns hier selbst.«
Doch dieses Argument zählte nicht für Clara. Sie war versessen auf Berlin, dort wollte sie glücklich werden. In sich spürte sie, dass dort ihr Leben auf sie wartete. Flehend sah sie zu Mama hinüber.
»Nun, wenn das so ist«, sagte Wilma und gab sich einen Ruck. Sie wollte dem Glück und dem unbedingten Willen ihrer Tochter nicht im Wege stehen. »Ich werde Minna schreiben, auch wegen der Vormundschaft für die Monate bis zu deiner Volljährigkeit. Und Clara …«, sie sah ihre Tochter eindringlich an, »bleib anständig. Gib den Versuchungen nicht nach, die Berlin bietet. Sie sind nicht gut für ein junges Mädchen!« Man hatte von freizügigen Bars und Kaschemmen gehört, von Männern, die junge unerfahrene Frauen gefügig machten, und von Kokain, was immer das sein mochte.
Clara umarmte ihre Mutter und versprach es. Dann verfasste sie ebenfalls einen Brief an ihre Tante und ihren Onkel, bedankte sich für deren Einsatz und versicherte ihnen, dass sie mit ihr keine Probleme haben würden.
Schnell lief sie zu Anna hinüber, um ihr von der Neuigkeit zu berichten.
1927 – 1928
Alle standen sie am vorletzten Märztag am Bahnhof Kranzig und schauten dem dampfenden Zug entgegen, der mit quietschenden Bremsen zum Stehen kam. Auch Anna war mit Ludwig zum Abschied gekommen. Sie legte Mama, die, das braune Kopftuch fest um Haar und Hals geschlungen, ganz verloren wirkte, den Arm um die Schulter. Hans und Georg halfen Clara mit ihrem kleinen Pappköfferchen, in das sie einige Kleider, Unterwäsche, Strümpfe, zwei Nachthemden, Schuhe und Schreibzeug gepackt hatte, beim Einsteigen.
Da steht sie, meine Clara, dachte Mutter traurig und unterdrückte die Tränen. Wie eine elegante junge Frau steht sie da auf dem Trittbrett in ihrem kurzen Kleid und dem hübschen Wollmantel. Dazu dieser komische Topfhut, den trägt man in Berlin jetzt wohl. Ach, mein Mädchen, hoffentlich passiert dir nichts in Berlin! Nun kullerte doch eine Träne über ihre Wange, die sie eilig mit dem Taschentuch wegwischte. Hoffentlich würde alles gut gehen mit Clara in der Stadt, nicht, dass sie eines Tages ihren Entschluss bereuen sollte. Sie musste Minna gleich schreiben, dass sie gut auf ihr Mädchen aufpassen sollte.
Der Schaffner pfiff auf seiner Trillerpfeife und hob die Kelle zur Abfahrt, die Türen wurden geschlossen. Clara ging zum Fenster und zog es ein Stück herunter. »Ich bin ja nicht aus der Welt«, rief sie der Familie zu, als der Zug sich in Bewegung setzte. »Nur in Berlin bei Tante Minna!« Und mit diesen Worten winkte sie froh mit einem Tuch so lange, bis der Zug in eine Kurve fuhr und der Bahnhof mit ihren Lieben nicht mehr zu sehen war.
Die Lok pfiff und zischte ihren Dampf in den Himmel. Dann blieb sie kurz und ruckartig stehen, um einen Güterzug, der vor ihnen auf den Gleisen ebenfalls zum Stehen gekommen war, zuerst passieren zu lassen. Er hatte mehrere Waggons mit Ziegelsteinen aus den Ziegeleien von Kranzig geladen, die er nach Berlin fuhr. In Berlin wurde gebaut, die Stadt wuchs. Fast täglich musste Nachschub an Ziegeln aus einer der Brennereien im Ort transportiert werden. Der Wieboldt muss inzwischen recht wohlhabend sein, dachte Clara, die das Geschehen aus dem Zugfenster beobachtete.
Während sie weiterfuhr, vorbei am Seebad und den zart grünenden Wäldern, machte sie sich Gedanken. Nun war es wohl endgültig, sie hatte ihr Zuhause verlassen, das wurde ihr jetzt erst richtig bewusst. Plötzlich wurde ihr Herz klamm. Es war ernst geworden. Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen? Kleine Zweifel nagten an ihr. Würde ihr Traum wahr werden, oder hätte sie nicht doch lieber bei Mama und Anna, ihrer lieben Familie bleiben sollen? War Mama jetzt enttäuscht von ihr? Aber sie hatte doch noch Anna im Haus nebenan, und Fritz als Mittzwanziger war auch eine große Hilfe und half dem Vater bei der schweren Arbeit auf dem Feld, genau wie Georg und Hans. Da musste sie doch kein schlechtes Gewissen haben? Der Zug rumpelte, während Clara grübelte. Mit Tante Minna würde sie gut auskommen, da war sie sicher. Sie war eine warmherzige Frau. Onkel Max, nun ja … Er war ein in sich gekehrter, verschlossener Mann. Die Bilder, die er malte, waren ganz schön. Hm, mit Pferdewetten hatte er angefangen, das schien Tante Minna nicht zu gefallen. Die Cousins waren in Ordnung, mit denen würde sie sich verstehen. Außerdem gingen die ja noch zur Schule. Aber auch sie würde den ganzen Tag nicht zu Hause sein, wenn sie arbeitete. Bei dem Gedanken daran krampfte sich ihr Magen zusammen und ihr wurde heiß und kalt zugleich. Sie bekam Angst. Hoffentlich würde sie der Arbeit in der Meierei gewachsen sein. Aber hatte sie es nicht so gewollt? Eigenes Geld verdienen, um in Berlin wohnen zu können und sich auch mal das eine oder andere zu gönnen? Einmal eines der schicken Cafés und Tanzlokale besuchen, einmal ein Kaufhaus von innen sehen! Und sie spürte, irgendwo in Berlin wartete die Liebe auf sie, das große Glück, von dem sie schon lange träumte.
Heinrich und Adolf holten Clara vom Görlitzer Bahnhof ab und trugen ihr den Koffer bis nach Hause. Tante Minna empfing sie mit offenen Armen. »Schön, dass du jetzt bei uns bist, Clara. Ich habe dir hier in der Flurkommode zwei Fächer freigemacht. Deine Kleider kannst du bei uns in den Schlafzimmerschrank hängen. Und wenn Onkel Max nach Hause kommt, essen wir Abendbrot. Der ist schon wieder in der Wett-Kneipe.« Minna verdrehte die Augen. »Leider in letzter Zeit immer häufiger. Wo das noch hinführt!«
Clara fühlte sich sofort wohl bei Tante Minna, die sie so warmherzig empfing und immerfort redete. Als sie jedoch am späteren Abend nach dem Gute-Nacht-Sagen auf ihrer mit Stroh gefüllten Matratze im Korridor unter einem alten Federbett lag, wurde ihr doch wieder ein wenig mulmig. Nun war sie ganz allein, fern von Mama und Anna und dem Rest der Familie, allein in der großen Stadt Berlin. Auch Hans fehlte ihr so mit seinem spitzbübischen Lachen. Und sie würde am Montag mit Onkel Max zur Arbeit fahren zum Milchhof Bolle, dem nun auch eine große Eisfabrik angeschlossen war. Was sie dort wohl arbeiten sollte? Ihr Herz klopfte vor Aufregung und Anspannung und ließ sie nicht einschlafen.
Montag früh stand Clara mit Onkel Max schon um 6 Uhr an der Straßenbahnhaltestelle der Linie 13, die von der Schlesischen Straße direkt bis nach Mitte in die Straße Alt Moabit 98 durchfuhr. Es war dunkel, die Gaslaternen brannten noch. »Ist das nicht wunderbar, dass jetzt dank Siemens auch überall Elektrische fahren?«, sagte Max. »Da komme ich viel schneller zur Arbeit. Wir müssen die Straßenbahn nehmen«, erklärte er, als er Claras Blick sah, der in Richtung Hochbahn fiel. »Die Linie 1 fährt zwar auch vom Schlesischen Tor, aber in Richtung Westen, die nutzt uns nichts. Aber mit der Elektrischen kommen wir gut hin. Sonst gehe ich ein kleines bisschen später los, aber du musst ja heute erst noch ins Personalbüro. Und um 7 Uhr ist Schichtbeginn!«
In Claras Magen war Aufruhr. Sie konnte ein Zittern nicht unterdrücken und fror in ihrem leichten Frühjahrsmäntelchen. Das erste Mal in ihrem Leben würde sie eine Arbeit aufnehmen, und dazu noch in solch einer großen Fabrik! Hoffentlich würde sie sich dort zurechtfinden. Und welcher Art ihre Arbeit sein würde, das wusste Onkel Max auch nicht. Sie war ja so aufgeregt! Sie knetete ihre feuchten Hände im Schoß.
Die Elektrische zuckelte durch die Stadt, weiter hinein ins Zentrum. Clara schaute aus dem Fenster. Obwohl es erst dämmerte und nur langsam hell wurde, konnte sie doch überall schon die Fassaden der schmucken Jugendstilbauten, aber auch der Moderne im Bauhausstil erkennen. Hier und dort schossen einfache Mietskasernen aus dem Boden, von Weitem machte sie sogar das Reichstagsgebäude aus. Viel Grün gab es in der Innenstadt nicht, dafür war an fast jeder Ecke eine Baustelle. Neue Untergrundbahnen, Wohn- und Geschäftshäuser wurden gebaut. Wo man hinsah, überall Bauzäune, Absperrungen, Stapel mit Ziegeln, Kräne und Baugerüste.
Etliche Menschen waren schon unterwegs zur Arbeit, überwiegend Männer.
Die Bahn quietschte, wenn sie um eine Ecke bog, und machte einen Schlenker, sodass Clara sich an der Messingstange festhalten musste. Onkel Max hatte ihr gezeigt, wie sie sich beim Schaffner eine Fahrkarte für zehn Pfennig kaufen konnte. Die Tour zurück würde Clara dann allein fahren müssen, da Onkel Max oft länger arbeitete.
Als sie ausgestiegen waren, sahen sie schon von Weitem das imposante mehrteilige Fabrikgebäude im roten Backsteinbau von Bolle am Ufer der Spree stehen. »Meierei C. Bolle« stand in riesigen, weit sichtbaren Lettern oben an der Fassade. Clara blieb vor Ehrfurcht fast der Mund offenstehen. Solch ein großes Gebäude hatte sie nicht erwartet und noch nie gesehen. Ob sie sich dort jemals zurechtfinden würde?
»Nu komm man, Meechen, keene Angst! Die fressen dir nicht!« Onkel Max war selbst ein wenig vor Aufregung ins Berlinern geraten und nahm Clara beim Arm. Auf dem riesigen Gewerbehof standen die Milchwagen, von denen viele schon unterwegs in die Straßen der Stadt waren, um aus den Milchkannen die frische Milch vom Wagen herunter an die Bevölkerung und die Milchläden zu verkaufen. Die meisten waren schon motorisiert, manche hatten aber noch Pferdegespanne. Inzwischen war auch der Absatz an gestoßenem Eis stark angestiegen, das die Fahrer auch mit sich führten.
»Ick selber arbeite im Maschinenhaus und muss da rüber. Da ist det Kesselhaus, und det sind die Kühlhäuser der Eisfabrik. Da drüben ist das betriebseigene Haus mit Werkswohnungen für Fahrer und Stallburschen. Und in dem Gebäude da hinten war früher mal eine Kapelle. Jetzt gibt’s dort ein Kino, das heißt ›Welt-Kino‹. Ganz schön groß, mit 1100 Sitzplätzen.« Max zeigte in verschiedene Richtungen. Stolz schwang in seiner Stimme, als er über die große Firma sprach, in der er schon seit fast zehn Jahren arbeitete. Überall eilten Männer mit ihren Aktentaschen unter dem Arm in die Eingänge. Clara wurde schwummrig. »Aber vorher bring ick dir noch ins Personalbüro.« Damit steuerte er mit Clara in einen Bau, der überwiegend aus Büros zu bestehen schien.
Sie stiegen die Treppe in die vierte Etage hinauf und kamen etwas außer Atem oben an. Max klopfte an die Tür. Nach einem »Herein!« betraten sie das Büro. »Guten Morgen, Herr Luckau, das ist meine Nichte, die Clara Korte. Wir hatten darüber gesprochen, dass sie heute hier anfangen kann.« Mit diesen Worten schob er Clara näher in Richtung Schreibtisch, hinter dem ein älterer Mann im grauen Anzug mit Stirnglatze und Kneifer auf der Nase saß und gerade etwas in seinen Büchern notierte.
Clara sah, wie Herr Luckau sie von oben bis unten musterte. Krampfhaft hielt sie ihre Handtasche an sich gepresst. Sie hatte sich schick gemacht für ihren ersten Arbeitstag und hoffte, dass man ihr nicht die Landpomeranze ansah. Die Haare hatte sie gut frisiert, den Bubikopf sogar ganz modern in Wellen gelegt. Ihre besten Schuhe trug sie, die Pumps mit dem hohen Fünfzentimeterabsatz. Doch sie konnte den abschätzigen Blick von Herrn Luckau nicht deuten. Hoffentlich entsprach sie seinen Vorstellungen.
Max klopfte Clara noch kurz auf die Schulter und verabschiedete sich leise von ihr. Sie stand nun allein vor Herrn Luckau. »Also, mein liebes Fräulein Korte. Wie ich schon gehört habe, können Sie nicht viel. Und die meiste Arbeit, die bei uns getan werden muss, ist schwere Arbeit an den Kesseln und an den Anlagen, die nur Männer bewältigen können. Und auf dem Milchwagen wollen Sie sicher auch nicht mitfahren. Aber wie Sie vielleicht wissen, fabrizieren wir auch verschiedene Sorten Käse, und in der Käseherstellung brauchen wir jemanden wie Sie, der geschickt ist, zum Käseeinpacken. Meinen Sie, Sie können das?«
Clara atmete erleichtert auf. Käse einpacken! Na, das würde sie doch wohl hinbekommen. »Aber selbstverständlich, Herr Luckau. Ich werde mich sehr bemühen!«
»Also gut!« Herr Luckau nahm seinen Füllfederhalter und griff nach einem Formular. »Die Arbeitszeit ist täglich acht Stunden an sechs Tagen, das hat die Gewerkschaft so ausgehandelt.« Er runzelte die Stirn. Ganz recht schien ihm diese Regelung nicht zu sein. »Also morgens um 7 Uhr fangen Sie an und können schon nachmittags um 16 Uhr wieder heimgehen. In der Frühschicht! Fragen Sie Ihren Schichtleiter, wann die Spätschicht beginnt und endet. Zwei Pausen sind drin, Frühstück und Mittag. Sonntags haben Sie frei. Nach einem Jahr bei uns erhalten Sie sogar vier Tage bezahlten Urlaub.«
Clara schluckte. Zwei Schichten? Davon war nie die Rede gewesen. Oder hatte Onkel Max es mal erwähnt, und sie hatte nicht genau hingehört? Aber sie nickte erst einmal zu allem, was Herr Luckau sagte. Sie musste eine bezahlte Arbeit haben, sonst wäre der Traum von Berlin schon wieder ausgeträumt.
»Wenn Sie einverstanden sind, unterschreiben Sie hier, Fräulein. Ganz unten neben dem Datum.« Mit diesen Worten hielt Herr Luckau Clara den Füllfederhalter hin. In der Spalte »Lohn« hatte er handschriftlich eine Summe eingetragen: 30,-- RM wtl. Das war nicht viel für eine Arbeit im Schichtdienst. Herr Luckau bemerkte mit seinen Adleraugen Claras Zögern und versicherte: »Bei guter Arbeit erhalten Sie nach einem Jahr eine Lohnerhöhung von fünf Mark die Woche. Sie werden sich bestimmt gut einarbeiten.«
Clara unterschrieb mit zitternden Fingern.
Herr Luckau schraubte die Kappe auf den Federhalter, steckte ihn in einen eigens dafür vorgesehenen Halter und pustete die Tinte trocken. Dann übergab er Clara eine Durchschrift. »So, Fräulein Korte, nun gehe ich mit Ihnen hinüber in die Käsehalle. Ich hoffe, Sie mögen Käse?« Clara bejahte die Frage. So genau hatte sie darüber noch nicht nachgedacht. Da sie in Kranzig selber Kühe hatten, war sie mit der Quark-, Sahne-, Butter- und Käseherstellung vertraut.
Was sie aber in der Käserei bei Bolle erwartete, überstieg ihre Vorstellungen bei Weitem. Eine riesige Industrieanlage knetete und formte die Laibe, die dann zum Ruhen in die Kühlregale kamen. Die vielen Maschinen mit ihren malmenden Zahnrädern verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm. Dampfmaschinen, die gewaltige Zentrifugen antrieben, ratterten. Ein intensiver Geruch nach Käse lag in der Luft.
Herr Luckau winkte dem Schichtmeister, Herrn Behrends, der eilig herübergelaufen kam. »Das ist Fräulein Korte, die Neue«, sagte er. »Ich übergebe sie Ihnen und empfehle mich!« Herr Luckau war zur Tür hinaus, und Clara wurde von Herrn Behrends begrüßt. »Nun ein bisschen schnell, in fünf Minuten ist Schichtbeginn. Kommen Sie mit!« Er zeigte Clara einen Spind, in den sie ihre Handtasche und ihren Mantel hängen konnte, sowie einen Stapel mit weißen Kitteln und Hauben. So ausgestattet führte er Clara an einen Packtisch, wo sich bereits drei andere Frauen eingefunden hatten.
In diesem Moment schrillte die Werksglocke zum Schichtbeginn. »Auf geht’s!«, sagte Herr Behrends und nickte Clara zu. »Fräulein Sellinger wird Ihnen zeigen, wie es geht.«
Die junge Frau in Claras Alter, die mit Fräulein Sellinger angesprochen worden war, lächelte Clara zu. »Ick bin die Elfie«, sagte sie, »kannst du zu mir sagen. Reden könn wa inner Pause, sonst jibt’s Ärger. So, pass uff!« Und sie zeigte Clara, wie man in Windeseile einen kleinen runden Camembert vom Fließband nahm, ein Stück Stanniolpapier von einem Stapel nahm und ihn damit einwickelte. Zum Schluss wurde noch ein Etikett oben drauf geklebt. Der kleine runde Käse wurde dann ordentlich in eine Kiste gepackt. Und schon kam der nächste Käse angerollt.
Clara begann mit der Arbeit und schwitzte trotz der Kühle in der Halle. Was so einfach aussah, war es nicht. Man musste den Käse genau mittig platzieren und das Papier so geschickt drumwickeln, dass es nicht gleich wieder auseinanderfiel. »Det Etikett en bisken gerader druff!« Elfie zeigte es Clara noch einmal. »Und schneller muss et jehn. Bei Schichtende müssen wa 400 Kisten jeschafft haben, sonst jibt’s Lohnabzug!«
Etwa nach dem zehnten Käse hatte Clara den Dreh heraus und stellte sich gar nicht einmal schlecht an. Doch schon nach kurzer Zeit begannen ihre Schultern vor Anspannung zu schmerzen, und ihre Füße erst! Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihre besten Spangenpumps mit den Absätzen anzuziehen? Und sie hatte noch so viele Stunden vor sich! Mit einem Auge schielte sie zu der riesigen runden Werksuhr, die in der Halle hing. Erst 9 Uhr.
In der Frühstückspause packten die Frauen ihre ersten Stullen aus und machten sich mit Clara bekannt. Außer Elfie, die das Sagen hatte, waren noch zwei ältere Frauen um die 50 dabei, Luise und Grete. Beide hatten im Krieg ihre Männer verloren und mussten sich mit der Fabrikarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. »Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig«, stöhnte Grete. »Von dem Lohn muss ick noch zwanzich Märker Miete zahlen. Da kannste dir ja vorstellen, dass ick de Leberwurscht nich so dick ruffschmiern kann uff de Stulle.« Lachend biss sie in ihr Brot. »Aba wat will man machen. Hauptsache Arbeit!« Die anderen beiden nickten zustimmend.
Als zum Feierabend um 16 Uhr endlich die Glocke schrillte, war Clara so erschöpft wie noch nie zuvor. Gut, außer vielleicht bei der Kartoffelernte im Sommer in Kranzig, aber das waren nur fünf Tage im Jahr. Und hier sollte sie jetzt jeden Tag herkommen und schuften? Da hatte sie sich etwas Schönes eingebrockt.
Mit schmerzenden Füßen schleppte sie sich zur 500 Meter entfernten Straßenbahnhaltestelle. Vom Lärm in der Halle hatte sie Kopfweh. Elfie war noch ein Stückchen in ihre Richtung mitgekommen. »Na, Clara, der erste Tag ist nicht einfach, wa?« Mitfühlend sah sie die neue Kollegin an. »Aber warte man, bald jewöhnste dir dran, und denn wird det schon. Bis morgen, ick jeh zu Fuß. Zehn Pfennig jeden Tag für eene Tour kann ick mir nicht leisten. Und zieh dir morgen andere Schuhe an! Atschö!« Sie winkte Clara noch kurz zu und lief die Invalidenstraße hoch, wo sie mit ihren Eltern und ihren beiden Schwestern wohnte.
Eine halbe Stunde musste Clara noch warten, ehe die Elektrische angefahren kam. Ihre Beine schmerzten und die Schuhe drückten höllisch, wahrscheinlich hatte sie an jeder Ferse eine Blase. Sie kaufte sich beim Schaffner einen Fahrschein und ließ sich erschöpft auf einen Sitzplatz fallen. Doch müde war sie eigenartigerweise nicht. Zu interessant war alles in Berlin, was sie durch die Fensterscheiben der Bahn sehen konnte.
Auch die nächsten Tage wurden für Clara nicht leichter. Sie trug nun flache bequeme Schnürschuhe, die zwar nicht so gut zu ihrem Kleid passten, aber dafür nicht drückten. Doch das stundenlange Arbeiten im Stehen fiel ihr schwer, genau wie die Akkordarbeit. War anfangs noch alles aufregend, was sie nachmittags von der Straßenbahn aus beobachtete, so fielen ihr nach fünf Tagen schon nach zwei Stationen die Augen vor Erschöpfung zu. Zum Glück war die Schlesische Straße Endstation und sie musste sowieso aussteigen, sonst hätte sie der Schaffner wohl wecken müssen.
Am Sonnabendnachmittag bekam Clara das erste Mal ihren Wochenlohn ausgezahlt. Es war ein stolzes Gefühl, das erste eigene Geld in den Händen zu halten. Sie hatte hart dafür gearbeitet. Schweren Herzens gab sie Tante Minna einen Teil davon für Kost und Logis ab, so war es ausgemacht.
Den Gottesdienst am Sonntag besuchte die Familie Grabow in der Emmauskirche am Lausitzer Platz. Es war ein gutes Stück zu laufen. Wie kurz waren doch die Wege in Kranzig! Clara sehnte sich danach, einmal die Füße hochzulegen. Auch nach der Arbeit war sie fast jeden Tag noch Tante Minna beim Bügeln oder Kochen zur Hand gegangen.
Minna hatte bemerkt, dass Clara nach der ersten Woche Arbeit recht erschöpft war. Als sie vom Kirchgang heimkamen, sagte sie: »Clara, du legst dich jetzt gemütlich im Wohnzimmer auf das Kanapee und liest ein Buch. Such dir man eins von Onkel Max aus dem Regal aus, vielleicht ist da was für dich dabei. Leg dir ein Kissen unter die Beine und ruh dich mal richtig aus. Und dann essen wir alle Mittag. Es gibt Rinderleber mit geschmorten Zwiebeln und Kartoffelstampf!« Clara atmete auf. Jetzt wusste sie wieder, warum sie zu Tante Minna gewollt hatte. Sie hatte Verständnis für sie. Und kochen konnte sie. Rinderleber! Das hatte Clara schon lange nicht mehr gegessen. Ihr lief das Wasser im Munde zusammen.
Die Schicht am Montag begann um 16 Uhr und endete um Mitternacht. Damit sie nicht so lange allein im Dunkeln an der Straßenbahnhaltestelle stehen musste, beeilte sich Clara mit dem Umziehen und rannte fast zur Bahn. Elfie kam kaum hinterher. »Du hast es gut, kannst gleich in die Bahn einsteigen und bist sicher«, keuchte sie. »Aber ick muss jetzt zu Fuß nach Hause und trau mir kaum an den Spelunken bei mir in der Straße vorbei. Det is nich nett, wenn da die besoffenen Kerle raustorkeln und mir dumm kommen.«
Clara guckte erschrocken. »Was meinst du?«
»Na, kannste dir nicht vorstellen, wat die wollen, wenn sie sich Mut anjetrunken haben? Einmal hat mir einer begrapscht, seitdem hab ick immer ein Messer dabei!« Elfie deutete auf ihre Handtasche.
Clara erschrak. Auch sie musste von der Endhaltestelle noch etwa zehn Minuten nach Hause laufen. Ihr wurde mulmig. Hoffentlich passierte ihr nichts!
Am nächsten Vormittag erzählte sie Tante Minna von ihren Ängsten. Die sah Clara erschrocken an. »Dass wir daran nicht gedacht haben! Gleich heute Abend rede ich mit Max. Vielleicht kann er seine Spätschichten so einteilen, dass er mit dir zusammen nach Hause fährt. Schließlich haben wir für dich die Verantwortung übernommen!«
Zum Glück ließ Onkel Max mit sich reden, und Clara fiel ein Stein vom Herzen. Von nun an fuhr sie um Mitternacht in Begleitung nach Hause.
Der Frühsommer kam, und Claras 21. Geburtstag rückte näher. An ihrem freien Sonntag danach fuhr sie nach Kranzig. Mit Mama und Anna unterhielt sie einen lockeren Briefverkehr und hatte sich angekündigt. Es war ein sonniger Tag Ende Juni mit über 20 Grad, der Himmel blau und wolkenlos.
Hans stand am Bahnhof und winkte seiner Schwester fröhlich zu, als der Zug einfuhr. »Clara, endlich bist du wieder zu Hause!«, rief er. »Ich habe dich schrecklich vermisst!«
»Ich dich auch, Hans, das kannst du mir glauben. Heinrich und Adolf sind ja auch ganz nett, aber nicht so wie du!« Clara fiel dem Bruder um den Hals. »Erzähle, was gibt’s Neues?«
»Och, bei uns nicht viel. Die Kuh Lore hat gekalbt, das Kälbchen kannst du dir nachher gleich mal ansehen. Na ja, das Übliche eben. Aber am meisten wirst du zu erzählen haben. In deinen Briefen stand ja schon, dass die Arbeit in der Meierei ganz schön schwer ist.«
»Das ist sie, Hans, das ist sie. Und im Vertrauen, ich weiß nicht, ob ich das lange durchhalte.«
Clara sah sich um und atmete die frische saubere Luft ein, saugte das Grün der Bäume und das noch dunklere Grün des Sees in sich auf. Die Linden dufteten betörend, der Jasmin trug ein Brautkleid aus zahllosen weißen Blüten. Die Vögel zwitscherten laut. Das Große Haus mit seiner rosenumrankten Freitreppe leuchtete schon von Weitem in der Sonne. Daneben duckte sich die kleine Kate. Ludwig hatte zur Straße hin einen schmucken, schwarzen schmiedeeisernen Zaun mit verschnörkelten Spitzen setzen lassen, der gut zum zierlichen Rankgitter an der Treppe passte.
Sie waren zu Hause angekommen, und Mutter begrüßte ihre Tochter mit offenen Armen. »Clärchen! Wie dünn du geworden bist! Bekommst du in Berlin nicht genug zu essen? Richtig spack siehst du aus!« Sie war erschrocken. Clara musste einige Kilo abgenommen haben. Das neue Kleid, das sie trug, war zwar locker geschnitten, aber den Augen einer Mutter entging nichts. Fast hohlwangig wirkte sie, das runde Gesicht war schmal geworden.
Zur Feier des Tages hatte Wilma eine Ente geschlachtet, die noch im Ofen brutzelte, als Clara die Küche betrat. Es roch köstlich, genau wie der Rotkohl, der auf dem Herd vor sich hin schmorte. Wie seltsam es war, wieder hier in der kleinen Kate zu sitzen, dachte Clara. Alles kam ihr winzig und primitiv vor. Auf dem Küchenschrank saß ein Huhn, hatte den Kopf im Gefieder und schien zu schlafen, ein anderes kam gackernd gerade vom Hof herein stolziert. Mit einem Handtuch scheuchte Wilma es hinaus.
Beim Essen musste Clara erzählen, wie es ihr ergangen war. Mitfühlend sah die Familie sie an. Wilma nickte erleichtert, als Clara ihr berichtete, dass Onkel Max die Spätschichten mit ihr parallel arbeitete, damit sie nicht nachts allein nach Hause fahren musste.
»Aber dein eigenes Geld verdienst du nun!«, stellte Vater fest.
»Ja, Papa, und ich habe euch auch allen etwas mitgebracht.« Damit holte Clara ihre Tasche und packte Tabak und Pralinen aus. Sie war extra an einem Nachmittag einen Umweg gefahren und hatte bei Sawade Unter den Linden einen guten Konfektkasten, sorgfältig verpackt mit rosa Schleifen, für Mama und für Anna ausgesucht. Die beiden staunten. So etwas Besonderes hatten sie hier im Dorfladen noch nie gesehen.
»Und ein neues Kleid hast du dir auch gekauft!« Anna hatte gleich festgestellt, wie mondän ihre jüngere Schwester nun aussah.
»Ja, stellt euch vor, es gibt große Kaufhäuser am Alexanderplatz, da komme ich immer mit der Elektrischen vorbei. Dort kann man Kleider einfach so von der Stange kaufen. Da hängen verschiedene Größen von einem Modell, und man probiert es in einer Umkleidekabine an. Wenn es passt, kauft man es!«
Anna staunte. In Kranzig ging man immer noch zur Schneiderin und ließ sich etwas aus dem mitgebrachten Stoff nähen. Clara arbeitete nun für ihr eigenes Geld und konnte damit, bis auf den Anteil für Tante Minna, machen, was sie wollte. Seit sie, Anna, verheiratet war, musste sie Ludwig immer um Geld bitten, wenn sie etwas brauchte. Aber Clara hatte es verdient, sich für die schwere Arbeit auch mal das eine oder andere zu gönnen.
»Warst du denn auch schon einmal im Theater oder im Varieté?«, fragte sie die Schwester. »Oder gar zum Tanzen?«
Clara schüttelte den Kopf. »Dazu bin ich abends viel zu müde, Anna. Wenn die Schicht zu Ende ist, könnte ich tot umfallen. Aber doch, einmal war ich mit Elfie, meiner Kollegin, nach der Arbeit im Bolle-Kino, das heißt ›Welt-Kino‹. Stellt euch vor, sie haben Ein Walzertraum gezeigt, mit Willy Fritsch in der Hauptrolle! Was für ein Mann! Das war unglaublich!« Claras Blick wurde schwärmerisch. »In einem Café im Schlosspark Bellevue waren wir auch einmal und haben ein Tässchen Mokka getrunken. Der Park ist gleich in der Nähe von Bolle. Aber zu mehr ist es noch nicht gekommen.« Sie verdrehte die Augen. Da hatte die Familie einen wunden Punkt getroffen. Berlin war eigentlich nur harte Arbeit und Schlafen. Aber tauschen wollte sie trotzdem nicht. Sie war jetzt eine Berlinerin, das war das, was sie immer gewollt hatte.
Doch Anna staunte und wirkte fast ein wenig neidisch: »In einem Kino? Clara! Das muss ja großartig sein. Bewegte Bilder, wie kann man sich das denn vorstellen?« Sie hatte schon davon gehört, dass es so etwas gab, aber dass Clara nun schon einen sogenannten »Film« angeschaut hatte, war unglaublich.