London Dark - Die ersten Fälle des Scotland Yard - Benjamin K. Scott - E-Book

London Dark - Die ersten Fälle des Scotland Yard E-Book

Benjamin K. Scott

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Dunkle Machenschaften in der größten Metropole ihrer Zeit!

London, 1830: Constable Graham Cluskey von Scotland Yard ist der Verschwörung gegen die Krone auf der Spur. Für seine Fahndungserfolge wird er zum Chief Inspector befördert. Doch ist die Gefahr gebannt?

Da wird Cluskey zu einem Unglück gerufen: Bei der Eröffnung der Liverpool and Manchester Railway wird der Parlamentsabgeordnete von Liverpool von der Lokomotive "The Rocket" überfahren. Alles deutet zunächst auf einen Unfall hin - bis Cluskey die Beteiligten vernimmt. Denn dies ist nur der Auftakt für ein neues, größeres, unglaubliches Unheil!

LONDON DARK: Suchtpotential garantiert - John Sinclair meets Sherlock Holmes! Diese Ausgabe enthält 4 neue, bisher unveröffentlichte Folgen der Serie.

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Inhalt

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Über dieses Buch

Dunkle Machenschaften in der größten Metropole ihrer Zeit!

London, 1830: Constable Graham Cluskey von Scotland Yard ist der Verschwörung gegen die Krone auf der Spur. Für seine Fahndungserfolge wird er zum Chief Inspector befördert. Doch ist die Gefahr gebannt?

Da wird Cluskey zu einem Unglück gerufen: Bei der Eröffnung der Liverpool and Manchester Railway wird der Parlamentsabgeordnete von Liverpool von der Lokomotive »The Rocket« überfahren. Alles deutet zunächst auf einen Unfall hin – bis Cluskey die Beteiligten vernimmt. Denn dies ist nur der Auftakt für ein neues, größeres, unglaubliches Unheil!

Diese Ausgabe enthält 4 neue, bisher unveröffentlichte Folgen der Serie.

Benjamin K. Scott

LONDON DARK

DIE ERSTEN FÄLLE DES SCOTLAND YARD

Sammelband 2: Folgen 9–12

Buch 9: Auf der Flucht

London, April 1830

»Da unten sind sie! Legt an!« Die Schreie der Soldaten gellten von der Westminster Bridge durch die Nacht. Sekunden später ging der erste Kugelhagel auf das Themseufer nieder. Die Geschosse verfehlten Cluskey und Peel nur knapp, sausten haarscharf über ihre Köpfe hinweg und schlugen in die dahinter liegende Kaimauer ein. Steinsplitter spritzten in alle Richtungen; ein besonders scharfkantiger Brocken grub sich in Cluskeys Nacken. Er schrie vor Schmerz auf, bremste aber keine Sekunde ab und rannte weiter hakenschlagend in die aufziehenden Nebelschwaden hinein. Wieder krachten Schüsse, diesmal jedoch gingen sie meterweit daneben.

»Der Nebel gibt uns Deckung«, sagte Peel keuchend. »Trotzdem müssen wir so schnell wie möglich das Ufer verlassen und in den Gassen untertauchen. Hier unten sitzen wir wie auf dem Präsentierteller.«

Cluskey stimmte brummend zu. Seit sie den Palace of Westminster durch einen streckenweise überfluteten Geheimausgang verlassen hatten, wurden sie von dem Soldatentrupp oben auf der Kaimauer unentwegt den Fluss hinuntergetrieben. Das Brackwasser reichte ihnen mittlerweile bis über die Knöchel. Zwar befand sich der Wasserpegel auf einem historischen Tiefstand, wodurch ein schmaler Kiesstreifen entlang des Mauerwerks freigelegt worden war, allerdings fiel das Gelände vor ihnen ab. Viel weiter würden sie so nicht kommen, und bevor sie sich dazu entschlossen, ins Wasser zu waten und gegen die tödlichen Strömungen anzuschwimmen, konnten sie sich auch gleich dem Erschießungskommando stellen, das ihnen der Geheimbund auf den Hals gehetzt hatte.

Fieberhaft versuchte Cluskey durch die wabernden Schwaden etwas zu erkennen, doch in dieser Nacht hatte der Nebel eine fast schon zähflüssige Konsistenz. Sogar die aufgebrachten Stimmen ihrer Verfolger, die eben noch ganz nah geklungen hatten, schien er zu verschlucken.

Mit den Händen auf die Knie gestützt, blieb Cluskey schwer atmend stehen. Der Steinsplitter hatte ihn schwerer getroffen als zunächst vermutet. Zusätzlich zu dem brennenden Schmerz spürte er das Blut warm durch den Kragen sickern und die Vertiefung an der Wirbelsäule hinunterrinnen.

Peel suchte derweil die nähere Umgebung ab. Es dauerte nicht lange, bis er Cluskey aufgeregt zu sich rief. »Da vorne ist ein Abwasserkanal. Und das Gitter fehlt!«

Cluskey, der wieder zu Kräften gekommen war, kletterte behände hinauf und reichte dem Innenminister die Hand. Mit seinen glatten Lederstiefeln rutschte Peel immer wieder an der moosübersäten, glitschigen Wand ab. Erst beim dritten Anlauf gelang es ihm, sich hochzuhieven.

In dem schmalen Schacht roch es erbärmlich nach Exkrementen und Verwesung. Der Fischmarkt öffnete nicht weit entfernt an zwei Tagen in der Woche seine Tore. Cluskey versuchte zunächst noch, nicht durch die Nase zu atmen, damit der Gestank erträglicher wurde, gab das Vorhaben jedoch schnell auf, als ihm bereits in den ersten Minuten gleich zweimal fast ein gewaltiger Schwall der krankheitsverseuchten Brühe in den Mund gespritzt wäre.

Nach einer gefühlten Ewigkeit teilte sich der Kanal endlich in vier Richtungen. Eine davon führte nach oben. In die Wände waren Sprossen eingemeißelt, die den Aufstieg erleichterten. Peel kletterte voran, vergewisserte sich, dass die Luft rein war, und gab Cluskey anschließend ein Zeichen, ihm zu folgen.

In ihren vor Dreck starrenden, mit übel riechenden Abwässern vollgesogenen Fracks zogen sie augenblicklich die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich, die pikiert die Nase rümpften. Andererseits hatten die Londoner Bürger gelernt, um alles und jeden, der nach Ärger aussah, einen weiten Bogen zu machen, und so machte auch dann niemand Anstalten, sich ihnen in den Weg zu stellen, als die Soldaten unter lautem Tumult in die Gassen einfielen und sich nach zwei Männern in Ballbekleidung erkundigten.

Die sie gegen Arbeiterhemden und abgewetzte Hosen tauschten, die in einem Hinterhof unbeaufsichtigt zum Trocknen auf einer Leine hingen. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, liefen sie direkt an den Soldaten vorbei in die andere Richtung und tauchten spurlos in der Menge unter.

* * *

Stöhnend wälzte sich Cluskey im Bett hin und her. Nicht einmal im Halbschlaf wollten seine Gedanken zur Ruhe kommen. Sein Verstand hatte Schwierigkeiten, die Fülle an neuen Informationen zu verarbeiten. Es kam ihm vor, als wäre es bereits eine Ewigkeit her, seit er in der Sache der ermordeten Kronratsmitglieder ermittelt hatte. Dabei waren in Wirklichkeit gerade einmal ein paar Tage vergangen. In denen er Unglaubliches herausgefunden hatte! Nicht nur, dass der Geheimbund im Untergrund weiter sein Unwesen getrieben hatte. Dieser hatte im letzten Jahr dafür gesorgt, dass König Georg und sein Hofstaat dem Wahnsinn anheimfielen. Cluskey hatte den Bund mit dem Tod des Großindustriellen Jonathan Morrison zerschlagen geglaubt, doch ging die Verschwörung sogar noch viel weiter.

Die Mitglieder des Geheimbunds trachteten nicht bloß danach, die Kontrolle über das Empire zu übernehmen, sie strebten die Vorherrschaft über die ganze Welt an. Alle Staaten sollten sich dem British Empire unterwerfen – ein irrwitziges Vorhaben, kämpften sie doch bereits jetzt zeitgleich an mehreren Fronten.

Das erste ihrer Ziele hatte der Geheimbund indes erreicht: Die Kronratsmitglieder waren tot, ebenso wie Premierminister Burnwood. Ermordet von August Thatcher im Rahmen eines morbiden Aufnahmeritus. Indem er die Drecksarbeit für den Geheimbund erledigte, versuchte er sich einen Platz in ihren Reihen zu sichern. Doch Thatcher war nicht nur ein willfähriger Auftragsmörder, er besaß auch einen messerscharfen Verstand, denn es war ihm gelungen, alles so zu arrangieren, dass Cluskey und Peel als Mörder dastanden. Mit der Folge, dass Scotland Yard für alle Zeiten diskreditiert wäre. Der Sprecher des Unterhauses, Ilija Stenton, ein hochrangiges Mitglied der Verschwörer, würde als neuer Premierminister vereidigt und die offenen Plätze im Kronrat mit Geheimbündlern besetzt werden. Kein Umsturz wie bei einer Revolution, sondern eine stillschweigende Machtübernahme.

Bilder von der geheimen Zusammenkunft, die er im Palace of Westminster infiltriert hatte, zogen an Cluskeys innerem Auge vorbei. Bischof Boyd war anwesend gewesen, ebenso wie der Sprecher des Unterhauses; die Identität der anderen Mitverschwörer lag für Cluskey jedoch nach wie vor im Dunkeln. Wer war der Mann in der purpurnen Robe gewesen? Diese Frage ließ Cluskey nicht mehr los. Von ihm war eine fast schon greifbare Aura der Autorität ausgegangen. Morisson konnte es nicht gewesen sein, Cluskey hatte ihn persönlich sterben sehen, aber es musste sich um eine nicht minder einflussreise Persönlichkeit handeln. Dass Fourthsdale, Cluskey ehemaliger Partner, in die Fußstapfen seines Vaters getreten war, war allerdings ausgeschlossen. Cluskey hätte seine Stimme wiedererkannt. Dennoch war Fourthsdale nach wie vor in die Verschwörung verwickelt, immerhin hatte Clara beobachtet, wie er sich vor einigen Tagen mit Bischof Boyd und dem Mann, der hinter den Morden an den Kronratsmitgliedern steckte, getroffen hatte.

Cluskey zuckte heftig zusammen. Auf einmal befand er sich wieder in dem Raum im Palace of Westminster, umringt von den anderen Robenträgern. Aus dem Halbschlaf, in dem er eben noch die Ereignisse der letzten Tage rekapituliert hatte, wurde er erbarmungslos in eine surreale, bedrohliche Traumwelt hineingezogen …

»Brüder, ein Spion hat sich in unsere Reihen geschlichen!«, donnerte der Zeremonienmeister mit hasserfüllter Stimme. »Ein Königstreuer! Eine widerwärtige, speichelleckende Kreatur. Ihr Gestank verrät sie. Ich rieche den Angstschweiß bis hier.« Die purpurne Robe bauschte sich bedrohlich auf, als der Anführer des Geheimbunds hinter dem Globus mit dem weltumspannenden Union Jack hervortrat und mit ausladenden Schritten durch den Raum eilte, während sich die Menge so selbstverständlich und lautlos vor ihm teilte, als würde er durch Wasser gleiten.

Obwohl er wusste, dass er sich dadurch verriet, wich Cluskey unwillkürlich zurück. Verfolgte mit angehaltenem Atem und weit aufgerissenen Augen, wie der Mann immer näherkam. Unmenschliche, raubtierhafte Augen glommen wie kleine gelbe Sonnen in den Schlitzen der schwarzen Maske auf. Der Anblick versetzte ihn in Todespanik, der Schweiß rann ihm jetzt in Strömen den Rücken herunter. »Bitte, ich …«, begann er zu stammeln. »Ich kann das erklären. Ich werde niemandem verraten, dass –«

»Dafür ist es zu spät«, schleuderte ihm der Zeremonienmeister entgegen. »Du wolltest unbedingt hinter verschlossene Türen blicken, jetzt sieh auch deinem Schicksal ins Auge!« Die knorrige Hand des alten Mannes schoss nach oben, und er riss sich in einer einzigen flüssigen Bewegung die Maske vom Gesicht. Entblößte das absolute Grauen! Am Schädelknochen hingen bloß noch Haut- und Fleischfetzen, doch damit nicht genug: Sie besaßen ein Eigenleben, pulsierten und wanden sich hin und her. Auch mit dem Knochen darunter stimmte etwas nicht. Der Anblick übte eine morbide Faszination auf Cluskey aus; er konnte nicht anders, als hinzusehen. Da erkannte er es. Statt der Knochenhaut war der Schädel mit einer Art glänzenden Schicht überzogen, die bewegte Bilder wiedergab. Und was er in diesen Bildern ausmachte, war noch grauenhafter als der unwirkliche Totenschädel selbst: Menschen wanden sich in Lavabächen, malträtiert von Dämonen. Da wusste Cluskey, wessen Zorn er auf sich gezogen hat. Er schaute in Luzifers Antlitz und durch ihn hindurch hinab bis in die Hölle!

* * *

Sein Schrei verhallte noch, als sich Cluskeys Verstand aus einem Albtraum heraus zurück an die Oberfläche kämpfte. Er war tatsächlich wieder tief eingeschlafen. Die schweißdurchtränkten Laken, in denen er sich hin und her geworfen hatte, klebten ihm wie eine zweite Haut am Leib. Die Überdecke hatte er abgeworfen.

Er schlotterte. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt, und ein eisiger Luftzug bahnte sich seinen Weg durch den Schlitz in den dicken Samtvorhängen bis zum Bett. Ruckartig setzte er sich auf. Der Kamin, die Möbel, die Porträts an den Wänden … das war nicht seine Wohnung. Dennoch tastete er unwillkürlich nach dem Messer, das er zu Hause im Nachtschrank aufbewahrte. Erst nachdem das Gefühl der Desorientierung nachgelassen hatte, ließ er die Hand wieder sinken.

Er stand auf, ging zum Fenster und schob die Vorhänge beiseite. Der opulente, von Buchssträuchern und Blutbuchen gesäumte Garten des Herrenhauses war in fahles Mondlicht getaucht, am Horizont, dort wo die Erlen am River Lea den Blick auf die dahinter liegenden taubedeckten Auen freigaben, zeichnete sich aber bereits dunkelviolett glimmend die Morgendämmerung ab.

Cluskey öffnete das Fenster und sog begierig die nach Lavendel duftende Morgenluft ein. Direkt unterhalb des Schlafzimmers befand sich ein Kräuterbeet, dessen Ertrag die langjährige Köchin ihres Gastgebers vortrefflich einzusetzen wusste.

Auf leisen Sohlen, um niemanden aufzuwecken, schlich Cluskey in seinem geborgten Morgenmantel durch die Flure bis zur Küche. In den Schlaf würde er ohnehin nicht allzu bald zurückfinden, also konnte er die Zeit auch nutzen, um seine Gedanken zu sortieren. Es war die zweite Nacht, die er auf dem Landsitz der Brackenstalls verbrachte, alte Bekannte von Peel, die der Innenminister für absolut vertrauenswürdig erachtete und die ihnen ohne zu zögern Unterschlupf gewährt hatten.

Hier draußen, außerhalb des beschaulichen Städtchens Broxbourne und fast zwanzig Meilen entfernt vom Londoner Stadtzentrum, vermutete sie niemand, zumal die Brackenstalls seit Jahren ein äußerst zurückgezogenes Leben führten.

Die Tür zur Terrasse stand offen. Cluskey fand Peel vor, wie er, in eine Decke gewickelt, den Sonnenaufgang beobachtete.

»Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt«, begrüßte ihn der Innenminister.

Cluskey schüttelte den Kopf und setzte sich neben ihn auf die Bank, die Arme vor der Brust verschränkt, um sich vor der Kälte zu schützen. »Morpheus schließt mich schon seit vielen Jahren nicht länger als ein paar Stunden in seine Arme. Ist wohl ein, wie sagt man neuerdings: Berufsrisiko.«

»Wem sagen Sie das?« Peel nickte eine Weile stumm vor sich hin. Dann reckte er den Kopf, und ein entschlossener Ausdruck trat in seine Augen. »Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass wir genug geruht haben, mein Freund. Es ist an der Zeit, Pläne zu schmieden. Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, werden die Verräter endgültig die Macht an sich reißen. Die Neuwahl der kürzlich verstorbenen Kronratsmitglieder steht noch Ende dieser Woche bevor.«

»Die Kronratsmitglieder, die der Geheimbund ermordet hat, um Platz für die eigenen Kandidaten zu schaffen«, sagte Cluskey grimmig. »Genauso wie den Premierminister.« Noch immer sah er Burnwoods grauenhaft entstellten Leichnam vor sich, sobald er auch nur einen kurzen Moment die Augen schloss.

»Wenn die Öffentlichkeit erst davon erfährt, wird in London das Chaos ausbrechen«, brummte Peel. »Ein ermordeter Premierminister … das schürt die Ängste der Menschen. Und Angst macht gefügig.«

»Stenton wird sich als der Retter in der Not aufführen.«

Wieder nickte Peel und schwieg eine Weile, bevor er Cluskeys Gedanken aufgriff. »Den Sprecher des Unterhauses zu diskreditieren, ist unsere einzige Chance, um den Einfluss des Geheimbunds zu schwächen.«

»Aber wie?«, fragte Cluskey. »Es wird so gut wie unmöglich sein, ihn mit dem Mord an Burnwood und den Kronratsmitgliedern in Verbindung zu bringen.«

»Was ist mit dem Pinsel, von dem Sie mir erzählt haben?«

»Den McGowan aus der Asservatenkammer hat verschwinden lassen?« Cluskey rümpfte bei dem Gedanken daran die Nase.

»Bei allem berechtigten Misstrauen, Graham, Sie vergessen, dass sich der Chief Inspector zuletzt besonnen und auf unsere Seite gestellt hat. Er hat den Pinsel verschwinden lassen, und er kann ihn vermutlich auch wieder auftauchen lassen.«

»Selbst wenn er ihn nicht vernichtet hat und wir darüber hinaus chemisch nachweisen können, dass die daran haftenden Farbpigmente mit den Malereien am Tatort übereinstimmen, belasten wir damit immer noch bloß diesen Thatcher. Unser verehrter zukünftiger Premierminister wird es tunlichst vermieden haben, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.«

»Mit Miss May haben wir allerdings eine Zeugin, die ein konspiratives Treffen zwischen Thatcher, Bischof Boyd und Ihrem abtrünnigen Partner, Charles Fourthsdale, beobachtet hat.«

»Wir werden etwas Handfesteres brauchen, wenn wir die Verschwörung zerschlagen wollen, Herr Innenminister –«

»Robert«, erinnerte ihn Peel. »Wir sind jetzt Gesetzlose, Graham. Zwei Männer auf der Flucht vor dem langen Arm des Gesetzes. Mehr nicht.«

»Gut, … Robert«, setzte Cluskey erneut an. »Haben Sie mittlerweile Rückmeldung von Winterhorn erhalten? Allmählich mache ich mir Sorgen.«

Winterhorn war Cluskeys treuer Gefährte, auf den er sich bis zuletzt hatte verlassen können.

»Der Bote hat die Depesche mit dem verschlüsselten Standort der Brackenstall-Villa überbracht«, sagte Peel. »Seitdem keine Reaktion.«

»Das gefällt mir ganz und gar nicht.« Cluskey sprang auf und begann damit, vor dem Rosenbeet auf und ab zu gehen. Immer wieder ballte er die Hände zu Fäusten, um sie dann kurz darauf wieder zu öffnen. Das Gefühl, zur Untätigkeit verdammt zu sein, zerrte an seinen Nerven. Seit sie in dem abgeschiedenen Herrenhaus ausharrten, vergingen die Stunden quälend langsam, und mit jeder weiteren verstreichenden Minute schien sich sein Puls um einen Herzschlag zu beschleunigen. »Es muss etwas passiert sein«, sagte er gepresst. »Eine unvorhergesehene Komplikation. Ich spüre es.«

»Bewahren Sie Ruhe, mein Freund. Gut möglich, dass sich die beiden bedeckt halten müssen. Immerhin können Sie nicht riskieren, die Schergen des Geheimbunds direkt zu uns zu führen.«

Cluskey schüttelte entschieden den Kopf. »Ich sage Ihnen: Clara steckt in Schwierigkeiten. Sie ist gewieft, sie weiß, wie man Verfolger abschüttelt. Wenn es bloß darum gegangen wäre, wäre sie längst hier. Wir müssen zurück nach London! Und bevor Sie auch nur daran denken, mir mein Vorhaben ausreden zu wollen: Seien Sie versichert, dass ich –« Die Hände in die Hüften gestemmt, baute sich Cluskey vor Peel auf, der gelassen sitzen blieb und die Mundwinkel zu einem wissenden Lächeln verzog.

»Was?«, fragte Cluskey gereizt. »Amüsiert Sie etwa die Vorstellung, dass sich die Frau, die ich liebe, in diesem Moment in höchster Gefahr befinden könnte?«

»Mitnichten«, entgegnete der Innenminister. »Ich bewundere bloß Ihren Kampfgeist. An Ihnen ist ein guter Politiker verloren gegangen. Diese rechtschaffene Wut …«

»Wollen Sie damit sagen, Sie stimmen mir zu?«

»Vollumfänglich.« Der ältere Mann erhob sich jetzt ebenfalls. »Wenn Sie mich eben hätten ausreden lassen, wären wir mit unserem Plan bereits ein gutes Stück weitergekommen. In der Tat ist unsere Anwesenheit in London erforderlich. Während Sie noch an Ihrer Drohkulisse gefeilt haben, hatte ich eine Eingebung.«

»Wollen Sie mich auf die Folter spannen? Heraus damit, Robert!«

Doch Peel lächelte bloß in sich hinein. »Ziehen Sie sich etwas an, wir treffen uns in einer Viertelstunde im Foyer.« Und damit schritt er von dannen.

»Herr Innenminister!«, rief ihm Cluskey noch nach, indes Peel bereits die knarzende Holztreppe ins Obergeschoss hinauf polterte.

Cluskey grunzte. Zum ersten Mal ließ ihn jemand seine eigene Medizin kosten. So mussten sich also seine Kollegen gefühlt haben, jedes Mal, wenn er sie einer plötzlichen Eingebung folgend stehen gelassen hatte. Widerwillig zog er die Terrassentür hinter sich ins Schloss und verschwand in seinem Gästezimmer, um sich umzuziehen.

* * *

Das Erste, was Clara wahrnahm, nachdem sie das Bewusstsein zurückerlangt hatte, war Kälte – eine aggressive, schneidende Kälte, die ihr durch die dünnen Kleider direkt ins Mark kroch.

Tatsächlich ertastete sie weder gefrorenen Boden noch Stein, mit dem sie gerechnet hätte, sondern etwas Kaltes, aber zugleich Weiches, Glitschiges. Erschrocken zog sie die Hand zurück, als hätte sie etwas Giftiges berührt. Sie versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen, doch die Schwärze war fast vollkommen. Kein Vergleich zu dem zwar spartanisch eingerichteten, aber von Öllampen erhellten Zimmer, in dem sie zuvor festgehalten worden war.

Clara May wurde eines deutlich bewusst, und bei der Erkenntnis fröstelte sie noch einmal von innen: Ihre Entführer schienen keine Verwendung mehr für sie zu haben. Das, was sie eben glitschig unter den Fingerspitzen gefühlt hatte, waren Algen. Algen wie in einer feuchten, unterirdischen Gefängniszelle, in denen man die Insassen zum Sterben zurückließ.

Immerhin hatten sie ihr keine Ketten angelegt, sie konnte sich frei bewegen. Rasch erhob sie sich; auf dem modrigen Steinboden würde sie sich schneller den Tod holen, als ihr Hunger und Durst den Garaus machen konnten.

Wie aufs Stichwort wurde in diesem Moment ein eiserner Riegel oder eine Klappe beiseite geschoben und ein Stück trockenes Brot in die Zelle geworfen, dessen Umrisse sie jetzt in dem schwach hereinfallenden Lichtschimmer ausmachen konnte.

»Iss!«, befahl eine tiefe, knurrende Stimme. »Du musst bei Kräften bleiben. Zumindest für den Moment noch.« Dann wurde der Riegel wieder vorgeschoben und das Verlies in fast völlige Schwärze getaucht.

»Halt!«, schrie Clara. »Was wollt ihr von mir? Warum lasst ihr mich am Leben?«

Der Wärter blieb ihr die Antwort schuldig. Die schweren Schritte verklangen auf dem Gang.

Mit Tränen in den Augen griff Clara nach dem Brot, damit es sich nicht mit dem Dreckwasser vom Boden vollsog, und steckte es sich in die Tasche ihres Unterkleids. Jetzt würde sie eh keinen Bissen herunterbekommen, auch wenn ihr der Magen knurrte; aber wer wusste schon, wie lange sie hier unten noch würde ausharren müssen. Oder bereits ausharrte. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Es mochten vielleicht erst ein paar Stunden vergangen sein, seitdem die Männer des Geheimbunds sie im Palace of Westminster aufgegriffen hatten, vielleicht waren es aber auch Tage oder Wochen. Sie zog sich in eine halbwegs trockene Ecke zurück und wippte dort auf den Fersen vor und zurück. Graham würde kommen und sie befreien. Das war der einzige Gedanke, der sie daran hinderte, völlig den Verstand zu verlieren.

* * *

Cluskeys Unbehagen wuchs mit jeder Minute, die sie sich der City of Westminster näherten. Er drückte sich tief ins Polster der schwarzen geschlossenen Kutsche, damit ihn niemand durch das Fenster erkennen konnte.

»Nur gemach, mein junger Freund«, sagte Peel. »Wir genießen Immunität, dort, wo wir hinfahren.«

»Das gesamte Yard sucht nach uns«, entgegnete Cluskey weiterhin verunsichert. »Jeder Constable kennt mein Gesicht.«

Peel schmunzelte. »Keinem Constable würde an unserem Bestimmungsort Zutritt gewährt. Vertrauen Sie mir: Niemand wird uns behelligen.«

»Ich müsste mir keine Sorgen machen, wenn Sie mich nicht länger im Unklaren ließen.«

Kaum hatte Cluskey die Worte ausgesprochen, bog die Kutsche von der Straße ab, setzte rumpelnd über eine Bodenschwelle und fuhr eine lange Zufahrt zu einem eindrucksvollen klassizistischen Gebäude hinunter. Grenadier Guards in rot-weißen Uniformjacken und dunklen Bärenfellmützen schlossen die schweren Eisentore hinter ihnen.

»Clarence House!«, verkündete Peel. »Vor nunmehr genau zwei Jahren fertiggestellt.«

Clarence House … Cluskey durchforstete sein Gedächtnis. Zumindest der Name kam ihm bekannt vor; er meinte, damals in der Times etwas über das Bauvorhaben gelesen zu haben. In Auftrag gegeben durch den Duke of … Clarence! Jetzt fiel der Groschen. Prinz William Henry, der Duke of Clarence und St. Andrews, war eines der zahlreichen Kinder König Georgs III. – ein royaler Nachkomme in erster Linie. Und der jüngere Bruder des amtierenden Königs Georg IV., der nach dem Opium-Anschlag im Buckingham Palace im letzten Jahr geistig umnachtet in einem Sanatorium außerhalb von London vor sich hin vegetierte. Da Friedrich August bereits vor drei Jahren gestorben war, hatte das William Henry in der Erbfolge aufsteigen lassen. Sobald Georg IV. das Zeitliche segnete, würde er den Thron besteigen.

»Der Duke verfolgt Stentons Ambitionen, der nächste Premierminister zu werden, mit Argwohn«, erklärte Peel. »Um nicht zu sagen: Er feindet ihn offen an, hält ihn für einen Intriganten und absolut ungeeignet, die Geschicke des Landes zu lenken.«

»Was ihn zu einem potenziellen Verbündeten macht«, sagte Cluskey und nickte anerkennend. Wenn der Duke Stenton tatsächlich nicht ausstehen konnte, ihn sogar verdächtigte, Intrigen um das Empire zu spinnen, dann war es ein kluger Schachzug von Peel, ihn ins Vertrauen zu ziehen.

William Henry empfing die beiden Besucher höchstselbst – ein hochgewachsener Mann von Mitte sechzig: heller, fast schon weißlicher Teint mit dafür ungewöhnlich dunklen Augenbrauen, große Ohren, markantes Kinn … Das silberweiße Kopfhaar wich an den Schläfen bereits deutlich zurück, und die gebeugte Haltung ließ auf altersschwache Knochen schließen. Nicht so dagegen der Blick, in dem Stärke und Unbeugsamkeit lagen. Er strahlte eine für einen Aristokraten erfrischend bescheidene Würde aus. Peel schloss er wie einen alten Kumpan in die Arme, und die Männer klopften einander gegenseitig auf den Rücken. Cluskey streckte der Duke die Hand hin und packte für einen Mann seines Alters erstaunlich kräftig zu.

Im Garden Room, einem zu den traumhaften Gärten hin ausgerichteten Salon, in dem allerlei kostbare Gemälde an den Wänden hingen, wies er ihnen zwei der Chaiselongue gegenüberstehenden Ohrensessel zu.

»Danke, dass du uns empfängst, alter Freund«, sagte Peel, sobald sie Platz genommen hatten. William Henry winkte energisch ab. »Du weißt, wie sehr mir Floskeln zuwider sind. Sprecht frei heraus, alle beide!«

»Die Zukunft und die Stabilität des Empires stehen auf dem Spiel, Ihre Königliche Hoheit. Ohne Ihr Zutun wird das Land schon bald ins Chaos stürzen«, hörte sich Cluskey zu seinem eigenen Erstaunen sagen, bevor Peel das Wort ergreifen konnte. Die wenig formelle Art des Herzogs hatte ihn geradezu herausgefordert.

William bedachte ihn mit einem abschätzigen, frostigen Blick. Cluskey rechnete bereits damit, einen unentschuldbaren Fauxpas begangen zu haben, als sich die Mundwinkel des Dukes stückchenweise nach oben zogen, bis er herzhaft zu lachen begann. »Gottlob, ein Mann, der ohne Umschweife zum Punkt kommt.« Beherzt griff er nach einer Flasche Weinbrand und schenkte sich und seinen Gästen großzügig ein. Von Bediensteten fehlte weit und breit jede Spur. »Trinkt! Trinkt!«, forderte er Cluskey und Peel auf.

Der Cognac brannte Cluskey wie Feuer in der Kehle. Nur mit Mühe gelang es ihm, ein Husten zu unterdrücken.

»Nun gut«, sagte der Duke, nachdem er das Glas in einem Zug ausgetrunken und auf dem Beistelltisch abgestellt hatte, »sagen Sie mir, junger Mann, wer hätte ein Interesse daran, das Königreich ins Chaos zu stürzen?«

»Dieselbe Gruppierung, die für das Massaker im Buckingham Palace verantwortlich war, dem auch Ihr Bruder zum Opfer gefallen ist«, entgegnete Cluskey. Dann erzählte er dem zukünftigen Herrscher die ganze Geschichte. Angefangen mit den grauenhaften Ereignissen im April letzten Jahres, über die Veränderungen bei Scotland Yard, einschließlich McGowans Beihilfe zur Vertuschung der Mordfälle an den Kronratsmitgliedern, bis hin zu dem konspirativen Treffen des Geheimbunds beim April-Ball vor drei Tagen. Kein Detail ließ er aus, berichtete so knapp und so wahrheitsgemäß wie möglich. Verschränkte William Henry zunächst noch argwöhnisch die Arme vor der Brust, unverständliche Einwände brummend, wich der zweiflerische Ausdruck in seinem Gesicht nach und nach echter Besorgnis. Am Ende war er leichenblass.

»Und Sie vermuten, dass es sich bei Ilija Stenton um den Kopf dieses ominösen Geheimbunds handelt?«, sagte er, nachdem Cluskey geendet hatte.

»Zumindest scheint er eines der auserwählten Mitglieder zu sein«, präzisierte Cluskey. »Die wahre Macht geht von einem älteren, unbekannten Mann aus.« In kurzen Worten schilderte Cluskey die körperliche Erscheinung des Zeremonienmeisters mit der purpurnen Robe, und er meinte, bei der Beschreibung der Körpergröße und der gekrümmten Haltung des Mannes kurz etwas in William Henrys Augen aufblitzen zu sehen – der Anflug eines Verdachts.

»Dieser Zeremonienmeister«, setzte der Duke an und machte dann eine Kunstpause, »hat er … Morrisons Nachfolge angetreten?«

»Ich kann darüber natürlich nur spekulieren, aber mein Gefühl, mein Instinkt als Ermittler sagt mir, dass er die ganze Zeit hinter allem gesteckt hat – der kriminelle Kopf. Oder Morrison und er haben gemeinsame Sache gemacht. Sie müssten etwa im gleichen Alter sein.«

Der Herzog lehnte sich auf der Chaiselongue zurück. »Sagen wir, dass ich bereit bin, Ihnen Glauben zu schenken, Mr Cluskey. Dass die Verschwörung damals nicht mit Morrisons Inhaftierung zerschlagen wurde und dieser Geheimbund seitdem auf Rache sinnt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, beabsichtigen die Männer, die Einflusssphäre des Empires zu erweitern. Im Grunde genommen ein hehres Ziel, wenn Sie meine bescheidene Meinung hören wollen.«

»Expansion ja, aber das, was diese Splittergruppe vorhat, grenzt an Wahnsinn.« Peel mischte sich in das Gespräch ein. »Niemals könnten wir uns militärisch gegen alle Großmächte auf einmal durchsetzen. Nach den Rückschlägen in Amerika haben die Streitmächte des Empires ihren Siegeszug über die Welt angetreten. An allen Fronten schlagen sich unsere Männer heldenhaft, kein Zweifel, insbesondere nach dem Sieg über Frankreich. Allerdings wurde das Staatengleichgewicht mit den Ergebnissen des Wiener Kongresses neu geordnet, und das nicht unbedingt zu unseren Gunsten. Die sogenannte Heilige Allianz mit Preußen, Österreich und dem russischen Zarenreich an der Spitze würde im Falle einer offenen militärischen Konfrontation zum ernsten Problem. Dass die Kriegsführung seit jeher als Kunst gilt, brauche ich dir, alter Freund, wohl am wenigsten zu erklären, und diese Vaterlandsverräter missachten in ihrem Größenwahn jegliche Spielregeln.«

William Henry, der bis vor zwei Jahren als Lord High Admiral den Oberbefehl über die Royal Navy innegehabt hatte, nickte konzentriert. »Indien zu unterwerfen und unter unsere Kontrolle zu stellen, wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten unsere größte Herausforderung werden.« So schlagartig wie seine Launen, für die er unter der Bevölkerung berüchtigt war, wechselte er jetzt das Thema. Sein Kopf ruckte herum, und er fixierte wieder Cluskey. »Sei es nun, wie es sei: Haben Sie irgendwelche Beweise für Ihre gravierenden Anschuldigungen, junger Mann?«

Cluskey berichtete von dem Treffen zwischen Boyd, Thatcher und Stenton. Ebenso von dem Pinsel, der seitdem als verschollen galt. Einer Eingebung folgend, fügte er noch hinzu: »Der Sprecher des Unterhauses mag für uns aufgrund seiner Stellung noch unangreifbar sein. Außerdem rechnet er damit, dass wir versuchen werden, ihn zu diskreditieren. Indes tut sich vor unseren Augen eine Schwachstelle in der Abwehr des Geheimbunds auf.«

»Erleuchten Sie uns, Graham«, sagte Peel gönnerisch. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er mit der Wendung nicht gerechnet hatte.

Cluskey beugte sich vor. »Bisher sind wir in der Annahme gegangen, lediglich die Identitäten von drei der Kultisten, oder wie auch immer man die Verräter bezeichnen mag, aufgedeckt zu haben. In Wirklichkeit sind es allerdings sechs.«

Alle Augen waren auf Cluskey gerichtet, der eine Kunstpause machte, bevor er fortfuhr: »Wir wissen, dass die Kronratsmitglieder ermordet wurden, um Platz für die Kandidaten des Geheimbunds zu schaffen. Dementsprechend –«

»– brauchen wir lediglich die Nominierung für die anstehende interne Wahl abzuwarten, und wir haben drei weitere Identitäten aufgedeckt«, sagte Peel, indem er den Satz für ihn zu Ende brachte. »Ein wahrer Geistesblitz, Herr Inspector!«

»Und meine Wenigkeit verfügt über die notwendige Autorität, um Einblick in das Wahlprozedere zu fordern«, ergänzte der Duke, schenkte sich einen weiteren Cognac ein und lehnte sich zufrieden lächelnd zurück. »Aber was dann, junger Mann? Ein neues Kronratsmitglied zu werden, ist kein Verbrechen. Zwar vermag ich meinen Einfluss geltend zu machen, indem ich im Namen meines Bruders spreche, dennoch bedarf es stichhaltiger Beweise, wenn ich beabsichtige, diese Männer des Hochverrats zu bezichtigen.«

»Ich verspreche Ihnen, wir werden sie bei einer Durchsuchung zutage fördern.« Damit lehnte sich Cluskey weit aus dem Fenster. In die Häuser von hochrangigen Politikern einzudringen und sie auf den Kopf zu stellen, dafür würde sich, wenn überhaupt, nur eine einzige Gelegenheit bieten. Das spürte auch William Henry, denn tiefe Sorgenfalten zogen sich durch das Gesicht des Herzogs, als sein Lächeln erstarb.

»Niemand rechnet mit unserem Erscheinen. Sie werden keine Zeit haben, Beweise zu vernichten«, beschwichtigte ihn Cluskey. Darauf musste auch er vertrauen. Anderenfalls würde das Unterfangen nicht mit einem Befreiungsschlag gegen den Geheimbund enden, sondern damit, dass er an einem Galgen baumelte.

Als sie einige Stunden später von der Unterredung mit dem Duke of Clarence zurückkehrten, kam ihnen das Dienstmädchen der Brackenstalls aus der Villa entgegengerannt. Jegliche Farbe war aus dem ohnehin schon blassen Gesicht gewichen, die Hände zitterten stark, sodass sie den Staubwedel, den sie mit der linken Hand umklammert hielt, fallen ließ.

»Sie müssen umkehren!«, schrie sie schwer atmend. »Scotland Yard … Sie sind hier. Zwei Männer warten im Salon auf Sie!«

* * *

»Mr Peel, Mylord, glauben Sie mir, ich habe versucht, sie abzuwimmeln, aber –« Das junge Dienstmädchen kam kaum zu Atem.

Peel unterbrach sie harsch. »Kannten die Männer die Parole? Haben Sie ihre Namen genannt?«

»Nein, ja … Der eine schien Bescheid zu wissen, der andere …«

Seelenruhig stieg Cluskey aus der Kutsche.

»Graham, um Himmels willen, steigen Sie wieder ein!«, zeterte Peel, was Cluskey vor Augen führte, dass er eben doch nur ein Politiker und kein hart gesottener Ermittler war, auch wenn er sich von Beginn an tatkräftig für das Yard eingesetzt hatte. »Wenn sie hier wären, um uns festzunehmen, Robert, dann lägen wir längst in Ketten«, sagte er und ging gemessenen Schrittes den kiesgestreuten Weg zum Portal des herrschaftlichen Anwesens hinauf. Auf halber Strecke winkte er Peel noch einmal bekräftigend zu, ihm endlich zu folgen. Das Hausmädchen eilte an ihm vorbei.

Obwohl Cluskey äußerlich ruhig wirkte, kämpfte er innerlich mit dem mulmigen Gefühl, in eine Falle zu tappen. Die Wahrscheinlichkeit, dass im Salon tatsächlich zwei Constables mit der Order auf sie warteten, sie umgehend festzunehmen, war äußerst gering, aber dennoch nicht ausgeschlossen, und je näher er dem Gebäude kam, desto schneller schlug sein Herz.

Vor der Tür zum Salon blieb er kurz stehen und atmete noch einmal tief durch. Dann drückte er sie auf; sie war lediglich angelehnt.

»Graham«, sagte eine vertraute, überschwänglich freundliche und zugleich erleichterte Stimme, und Cluskey entspannte sich augenblicklich. Duncan Winterhorn sprang vom Sessel auf, in dem er bis eben noch gesessen und gewartet hatte. Er schüttelte Cluskeys Hand so energisch, dass dem Inspector die Handgelenke schmerzten. »Welch Stein mir vom Herzen fällt, dich wohlbehalten wiederzusehen, mein Freund«, sagte er sichtlich erleichtert.

Cluskeys Blick wanderte über Winterhorns breite Schultern zu dem anderen Sessel beim Kamin, aus dem sich, ein wenig schwerfällig, der zweite Besucher erhob. Ein dunkelvioletter Bluterguss zog sich über die gesamte linke Wange, der Kiefer war stark geschwollen.

»Mr McGowan«, sagte Cluskey mit reservierter Stimme. Er traute dem Chief Inspector – sofern die Bezeichnung nach allem, was sich der raubeinige Schotte geleistet hatte, überhaupt noch angebracht war –, trotz dessen plötzlichen Sinneswandels keinen Meter mehr als nötig über den Weg. »Sind Sie gekommen, weil Sie es sich anders überlegt haben? Hier, lassen Sie die Schellen zuschnappen!« Herausfordernd streckte Cluskey ihm die Hände entgegen.

McGowan sackte in sich zusammen. Wie ein geprügelter Hund schlug er den Blick nieder, um dann reumütig eine Entschuldigung zu murmeln. Cluskey wollte bereits ansetzen, ihm zu sagen, dass er sich seine Reuebekundungen in den Allerwertesten schieben könne, als Winterhorn zwischen die beiden trat und Cluskey beide Hände auf die Schultern legte. »Du hast allen Grund, erzürnt zu sein, aber hör ihn an. Die Dinge liegen anders, als du vermutest.«

»Er soll sich erklären«, forderte Peel, der unbemerkt den Raum betreten hatte.

»Nun gut«, entschied Cluskey, obwohl er innerlich kochte. »Welche rührselige Geschichte gedenken Sie uns aufzutischen, Chief? Schlägt auch Ihr Herz so stark für das Vaterland, dass Sie nicht anders konnten, als einen Staatsreich zu unterstützen?«

»Ich …«

»Was?«, zischte Cluskey.

»Lassen Sie ihn ausreden!« Vom Schrecken erholt, gewann Peel seine alte Autorität zurück.

»Der Orden hat mich in seiner Gewalt. Seit mehreren Jahren schon«, erklärte McGowan.

»Sie wurden erpresst?«, fragte Cluskey nun ruhiger.

Der Chief Inspector nickte.

»Sagen Sie ihnen, womit die Bastarde Sie unter Druck setzen«, bekräftigte ihn Winterhorn.

»Es … Es geht um meine Schwester«, begann McGowan zögerlich. »Sie ist, sie wurde –«

»Ist Ihnen jemals eingefallen, uns, das Yard, um Hilfe zu bitten?«, fuhr ihm Cluskey dazwischen. »Wir hätten Ihre Schwester aus den Fängen des Geheimbunds befreien können.«

McGowan straffte sich und blickte Cluskey jetzt direkt in die Augen. »Meine Schwester, Gott hab sie selig, ist seit vielen Jahren tot, darum geht es nicht.« Wieder machte der Chief Inspector eine Pause. Fast eine geschlagene Minute verstrich, ehe er zwischen den Zähnen herauspresste: »Der Orden erpresst mich, weil ich ein Mörder bin!«

* * *

Mit vielem hatte Cluskey gerechnet, diese Offenbarung jedoch drohte ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Der Chief Inspector von Scotland Yard: ein Mörder! Das war mehr als ein Skandal – ein absolutes Desaster. Er konnte immer noch kaum fassen, was er da eben gehört hatte. »Sie haben Ihre Schwester …«

»Gott bewahre, nein!«, entgegnete McGowan. »Niemals könnte ich einem unschuldigen Menschen etwas zuleide tun. Wessen ich mich schuldig gemacht habe, ist der Tatbestand der Blutrache.«

Gebannt lauschten alle im Raum McGowans Ausführungen.