Looking Backward. Roman - Edward Bellamy - E-Book

Looking Backward. Roman E-Book

Bellamy Edward

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Beschreibung

Julian West, ein unbedarfter Aristokrat, der im Jahr 1887 in Boston lebt, fällt in einen tiefen hypnotischen Schlaf. Als er 113 Jahre später im Jahr 2000 erwacht, hat sich Amerika in eine streng zentralisierte demokratische Gesellschaft verwandelt, in der alles von einem humanen und effizienten Staat kontrolliert wird. Vollbeschäftigung, materieller Überfluss und soziale Harmonie sind überall zu finden. In kaum mehr als hundert Jahren sind die Schrecken des Kapitalismus des neunzehnten Jahrhunderts so gut wie vergessen. Breite Straßen haben die Elendsviertel von Boston ersetzt, und technologische Erfindungen haben das tägliche Leben der Menschen verändert. Aus der Vergangenheit verbannt, richtet sich West in der idealen Gesellschaft der Zukunft ein, während er immer noch befürchtet, dass er seine Erfahrungen als Zeitreisender nur geträumt hat. Wests anfängliches Staunen, seine allmähliche Akzeptanz der neuen Ordnung und einer neuen Liebe sowie Bellamys wunderbare prophetische Erfindungen – elektrisches Licht, Einkaufszentren, Kreditkarten, elektronischer Rundfunk – sorgten für die große Popularität dieses Romans von 1888. Doch so reich an Fantasie und Romantik der Roman auch sein mag, “Looking Backward” ist ein leidenschaftliches Plädoyer für soziale Reformen und moralische Erneuerung und gegen die sozialen Missstände des Industrialismus im 19. Jahrhundert. Edward Bellamys Roman ist eine donnernde Anklage gegen den Industriekapitalismus und eine glänzende Vision vom Leben in einer sozialistischen Utopie. Die Geschichte spiegelt die Ängste und Hoffnungen der damaligen Zeit wider und verkörpert gleichzeitig einen Mythos der amerikanischen Literaturtradition, nämlich dass die Vervollkommnung des Menschen in der Neuen Welt möglich ist.

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Seitenzahl: 357

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Edward Bellamy

LOOKING BACKWARD

RÜCKBLICK AUS DEM JAHR 2000 AUF DAS JAHR 1887

 

ROMAN

 

LOOKING BACKWARD wurde im englischen Original zuerst veröffentlicht von Ticknor and Company, Boston 1888.

Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von

© apebook Verlag, Essen (Germany)

www.apebook.de

1. Auflage 2021

V 1.0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-96130-422-6

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

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Inhaltsverzeichnis

Looking Backward

Impressum

Vorrede

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

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Zu guter Letzt

VORREDE

Abteilung für Geschichte im Shawmut College, Boston, den 28. Dezember 2000.

 

Wir leben im letzten Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und genießen die Segnungen einer ebenso einfachen wie logischen sozialen Ordnung, die lediglich als Triumph des gesunden Menschenverstandes erscheint. Jedoch denjenigen, welche nicht gründliche geschichtliche Studien gemacht haben, mag der Gedanke fern liegen, dass die gegenwärtige Organisation der Gesellschaft weniger als hundert Jahre alt ist. Keine geschichtliche Tatsache stand fester, als der bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts festgehaltene allgemeine Glaube, dass das alte Gewerbesystem mit all seinen schrecklichen sozialen Folgen, vielleicht mit etwas Flickwerk, bis zum Ende aller Tage dauern würde. Wie wunderbar und fast unglaublich scheint es doch, dass eine so großartige moralische und materielle Umgestaltung, wie sie seitdem stattgefunden hat, in einem so kurzen Zeitraum sich vollziehen konnte! Die Leichtigkeit, mit welcher sich die Menschen an eine Besserung ihrer Lage gewöhnen, die selbst die kühnsten Hoffnungen übertrifft, könnte nicht besser illustriert werden. Was könnte die Begeisterung der Reformatoren, welche auf lebhafte Dankbarkeit zukünftiger Jahrhunderte rechnen, gründlicher herabstimmen!

Dieses Schriftchen soll denen eine Hilfe sein, welche zwar einen bestimmten Begriff von den sozialen Gegensätzen des 19. und 20. Jahrhunderts sich aneignen möchten, aber durch den Umfang des historischen Materials über diesen Gegenstand abgeschreckt werden. Meine Erfahrung als Lehrer hat mir gezeigt, dass Lernen als unliebsame Anstrengung angesehen wird, deshalb habe ich mich bemüht, die in dem Buch enthaltenen Lehren in die Form einer romantischen Erzählung zu kleiden, welche, wie ich hoffe, ihrer selbst wegen, nicht ganz ohne Interesse sein wird.

Der Leser, welchem die modernen sozialen Einrichtungen und die Grundsätze, auf denen sie beruhen, geläufig sind, wird bisweilen Dr. Leetes Auseinandersetzungen etwas trocken finden, aber er muss bedenken, dass dieselben dem Gaste des Doktors nicht geläufig waren, und wir müssen ihn bitten, auch einmal zu vergessen, dass sie es ihm sind. Noch ein Wort. Das fast allgemeine Thema der Schriftsteller und Redner, welche diesen zweitausendjährigen Zeitraum gefeiert haben, war mehr die Zukunft als die Vergangenheit, nicht die Verbesserung, die gemacht worden ist, sondern der Fortschritt, der gemacht werden soll, bis das Menschengeschlecht seine Bestimmung wird erreicht haben. Dies ist ja ganz gut, aber es will mir scheinen, dass wir nirgends solidere Grundlagen für hohe Erwartungen menschlicher Entwicklung in den nächsten tausend Jahren finden können, als indem wir einen Rückblick tun auf den Fortschritt der letzten hundert Jahre.

Dass dieses Schriftchen das Glück haben möchte, Leser zu finden, deren Interesse für den Gegenstand sie die Mängel der Behandlung desselben übersehen lässt, ist die Hoffnung, mit welcher der Verfasser zurücktritt und es Herrn Julian West überlässt, selbst zu sprechen.

ERSTES KAPITEL

 

Ich erblickte das Licht der Welt in der Stadt Boston im Jahre 1857. »Was«, wird der Leser sagen, »achtzehnhundertsiebenundfünfzig? Das ist ein komisches Versehen; er meint natürlich 1957.« Bitte um Entschuldigung, es ist kein Versehen. Es war etwa um vier Uhr Nachmittag am 26. Dezember, einen Tag nach Weihnachten, im Jahre 1857, nicht 1957, dass mir zum ersten Male der Ostwind von Boston um die Nase wehte, welcher, ich versichere es dem Leser, in dieser grauen Vorzeit ebenso durchdringend war, als in dem gegenwärtigen Jahre des Heils, 2000.

Diese Angaben, namentlich wenn ich noch hinzufüge, dass ich ein junger Mann von anscheinend etwa dreißig Jahren bin, scheinen offenbar so abgeschmackt, dass es niemand verdacht werden kann, wenn er sich weigert, auch nur noch ein Wort von dem zu lesen, was eine Zumutung an seine Leichtgläubigkeit zu werden verspricht. Nichtsdestoweniger versichere ich dem Leser, dass keine Täuschung beabsichtigt ist, und will es auf mich nehmen, ihn vollständig davon zu überzeugen, wenn er mir ein paar Seiten weiter folgt. Wenn ich also, mit dem Versprechen die Annahme zu rechtfertigen, annehmen darf, dass ich besser wissen muss als der Leser, wann ich geboren bin, will ich in meiner Erzählung fortfahren. Wie jeder Schuljunge weiß, gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts keineswegs eine solche, oder nur eine ähnliche Zivilisation als die heutige, obwohl die Elemente, aus welcher sie hervor gehen sollte, schon in Gärung begriffen waren. Jedoch war noch nichts geschehen, die seit undenklichen Zeiten bestehende Einteilung der Gesellschaft in vier Klassen zu mildern: die Reichen und die Armen, die Gebildeten und die Ungebildeten. Ich war reich und gebildet und vereinigte daher in mir alle Bedingungen eines Glückes, dessen sich in jenem Zeitalter die Bevorzugtesten erfreuten. Dass ich in Luxus lebte und nur bemüht war die Vergnügungen und Verfeinerungen des Lebens zu genießen, verdankte ich der Arbeit anderer und leistete nicht den geringsten Gegendienst. Meine Eltern und Großeltern hatten ebenso gelebt, und ich hoffte, dass meine Nachkommen, wenn ich solche haben sollte, sich einer ebenso leichten Existenz erfreuen würden.

Aber wie konnte ich leben, ohne der Welt zu dienen? wird der Leser fragen. Wie konnte die Welt jemand Unterhalt gewähren, der nicht arbeitete und doch arbeiten konnte? Die Antwort auf diese Frage ist, dass mein Urgroßvater ein Vermögen gesammelt hatte, von dem seine Nachkommen lebten. Man wird vermuten, dass das Vermögen sehr groß gewesen sei, da es durch das Leben dreier Generationen in Untätigkeit nicht aufgezehrt wurde. Das war jedoch nicht der Fall. Das Vermögen war ursprünglich keineswegs groß. In der Tat war es jetzt, nachdem drei Generationen untätig davon gelebt hatten, viel größer als anfänglich. Dieses Geheimnis von Benutzung ohne Verbrauch, von Wärme ohne Verbrennung scheint wie ein Zauber, war aber einfach die geistvolle Anwendung der, glücklicherweise jetzt verloren gegangenen, von unseren Vorfahren aber zu großer Vollkommenheit gebrachten Kunst, die Last für jemandes Unterhalt auf die Schultern anderer zu werfen. Der Mann, der das fertig brachte, und alle trachteten danach es soweit zu bringen, lebte dann, wie man sagte, von dem Abwurf seines Vermögens. Es würde uns zu weit führen, hier zu erklären, wie die alten Methoden der Industrie dies ermöglichten. Ich will nur soviel sagen, dass die Interessen von Kapitalanlagen eine Art Steuer waren, welche ein Mann, der Geld erworben oder geerbt hatte, von dem Erwerb derer erhob, welche sich mit Industrie beschäftigten. Man darf nicht glauben, dass ein nach modernen Begriffen so unnatürliches und widersinniges Verhältnis von unseren Vorfahren niemals getadelt worden wäre. Gesetzgeber und Philanthropen bemühten sich von den frühesten Zeiten an, die Zinsen abzuschaffen, oder doch auf möglichst geringes Maß zu beschränken. All diese Bemühungen sind jedoch misslungen und mussten notwendigerweise misslingen, solange die alte soziale Organisation herrschte. Zu der Zeit, von welcher ich schreibe, also vom Ende des 19. Jahrhunderts, hatten im allgemeinen die Regierungen den Versuch, die Sache zu regulieren, vollständig aufgegeben.

Um dem Leser einen allgemeinen Begriff davon zu geben, wie die Menschen damals zusammen lebten, namentlich wie das Verhältnis der Reichen und Armen zueinander war, kann ich keinen besseren Vergleich der damaligen Gesellschaft finden, als mit einem riesigen Omnibus, an welchen die große Masse des Volkes gespannt war, um ihn mühsam auf einer bergigen und sandigen Straße hinzuziehen. Der Kutscher war der Hunger, der keinen Aufenthalt duldete, obgleich es natürlich in einem sehr langsamen Schritt ging. Trotz der Schwierigkeit, den Omnibus auf dem unebenen Wege im Gange zu halten, war das Dach desselben mit Passagieren besetzt, die auch bei dem steilsten Anstieg nicht abstiegen. Diese oberen Plätze waren schön luftig und bequem. Sie waren außerhalb des Bereichs des Staubes und man konnte von dort nach Belieben die Aussicht genießen, oder die Güte des sich anstrengenden Gespanns besprechen. Natürlich waren diese Plätze sehr gesucht und jedermann betrachtete es für das höchste Lebensziel, für sich einen Platz oben auf dem Wagen zu sichern und denselben nachher seinem Kinde abzutreten. Es bestand eine Fahrbestimmung, dass man seinen Platz an eine beliebige Person abtreten konnte, aber auf der anderen Seite ereigneten sich auch viele Unglücksfälle, durch welche man seinen Platz verlieren konnte. Denn die Sitze waren zwar sehr bequem, aber auch sehr unsicher und bei jedem plötzlichen Ruck des Wagens fielen Passagiere von ihren Sitzen auf den Boden, wo sie dann sofort das Seil anfassen und helfen mussten, den Omnibus, auf dem sie eben so schön gefahren waren, zu ziehen. Es wurde natürlich als ein großes Unglück angesehen, seinen Platz zu verlieren und die Besorgnis, dass einem selbst, oder einem seiner Freunde dies begegnen möchte, hing beständig wie eine Wolke über dem Glücksgefühle der Passagiere.

Aber haben sie nur an sich selbst gedacht? wird man fragen. Ist ihnen ihr Glück nicht verleidet worden durch den Vergleich desselben mit dem Lose ihrer vorgespannten Brüder und Schwestern und durch das Bewusstsein, dass deren Mühe durch ihre Last erschwert wird! Hatten sie kein Mitleid mit ihren Mitmenschen, von denen sie sich nur durch ihr Glück unterschieden? O ja, diejenigen, welche fuhren, sprachen oft ihr Mitleid für diejenigen aus, welche den Wagen ziehen mussten, namentlich wenn der Omnibus, wie so oft geschah, an eine schlechte Stelle auf dem Wege, oder an einen besonders hohen Berg kam. Dann boten die verzweifelte Anstrengung des Gespanns, sein schmerzvolles Bäumen und Springen unter den erbarmungslosen Peitschenhieben des Hungers, die vielen, welche am Seil zusammenbrachen und in den Kot getreten wurden, einen erbarmenswürdigen Anblick, der oft anerkennenswerte Gefühlsausbrüche auf dem Dache des Omnibus hervorrief. Dann riefen wohl die Passagiere den Arbeitern am Seil ermutigend von oben zu, ermahnten sie zur Geduld, und stellten ihnen Hoffnung auf einen möglichen Ausgleich mit ihrem harten Los in einer besseren Welt in Aussicht, kauften auch wohl Salben und Balsam für die Beschädigten und Verstümmelten. Man stimmte darin überein, es sei schade, dass der Wagen so schwer zu ziehen sei und fühlte sich allgemein erleichtert, sooft man besonders schlechte Stellen des Weges hinter sich hatte. Diese Erleichterung fühlte man natürlich nicht einzig für das Gespann, denn an solchen schlechten Stellen lag stets die Gefahr nahe, dass der ganze Omnibus umfallen und alle ihre Plätze verlieren möchten.

Zur Steuer der Wahrheit muss man bekennen, dass der Haupteindruck, den der Anblick des Elends der Arbeiter am Seile auf die Passagiere machte, der war, dass sie den Wert ihrer Plätze auf dem Wagen erst recht schätzen lernten, und sich um so verzweifelter festhielten.

Wenn die Passagiere sicher gewesen wären, dass weder sie noch ihre Freunde abgeworfen werden könnten, so würden sie sich wahrscheinlich verzweifelt wenig um diejenigen, welche den Wagen zogen, gekümmert haben, außer dass sie sich an den Sammlungen für Salben und Verbandzeug beteiligten.

Es ist mir wohl bewusst, dass dies den Männern und Frauen des 20. Jahrhunderts als unglaubliche Unmenschlichkeit erscheinen wird, aber zwei sehr merkwürdige Tatsachen erklären sie wenigstens teilweise. Erstens war man des festen, aufrichtigen Glaubens, dass es kein anderes Mittel gäbe, die Gesellschaft aufrechtzuerhalten, als dass die Menge am Seil zog und die Bevorzugten im Wagen fuhren, und nicht dies allein, sondern dass auch keine radikale Besserung weder am Gespann, noch am Wagen, an dem Wege oder der Verteilung der Arbeit möglich war. Es sei immer so gewesen und würde immer so sein. Es war ein Jammer, aber man konnte nicht helfen und es war ein Gebot der Philosophie, an einem Übel, das man nicht heilen konnte, kein Mitleid zu verschwenden.

Die zweite Tatsache ist noch merkwürdiger und besteht in einer eigentümlichen Sinnestäuschung, welche von allen auf dem Wagen gemeiniglich geteilt wurde, dass sie nämlich mit ihren Brüdern und Schwestern, die am Seil zogen, nicht ganz gleich, sondern von besserem Ton gemacht seien, in gewisser Beziehung zu einer höheren Klasse von Wesen gehörten, die mit Recht erwarten dürften, gezogen zu werden. Dies scheint unglaublich, aber da ich selbst einmal auf diesem Omnibus gefahren bin und dieselbe Sinnestäuschung geteilt habe, sollte ich Glauben finden. Das sonderbarste bei dieser Täuschung ist, dass diejenigen, welche eben erst vom Boden auf den Wagen geklettert sind, noch ehe die Schwielen des Seils an ihren Händen verwachsen, ihrem Einflusse verfallen. Bei denen, deren Eltern und Großeltern schon so glücklich gewesen waren, Plätze oben auf dem Wagen eingenommen zu haben, war die Überzeugung von einem wesentlichen Unterschied zwischen ihrer Art und der gewöhnlichen Ware eine vollkommene. Eine solche Täuschung musste notwendig ein brüderliches Gefühl für die Leiden der großen Menge in ein philosophisches Mitleid verwandeln. Das ist das Einzige, womit ich meine Gleichgültigkeit gegen das Elend meiner Brüder zu der Zeit, von welcher ich schreibe, beschönigen könnte. - Im Jahre 1887 wurde ich dreißig Jahre alt. Ich war zwar noch unverheiratet, aber mit Edith Bartlett verlobt. Sie fuhr wie ich oben auf dem Wagen. Das heißt - um nicht länger in einem Bilde zu sprechen, welches hoffentlich seinen Zweck erreicht, und dem Leser einen Begriff von unserem damaligen Leben gegeben hat -ihre Familie war reich. In jener Zeit, wo alle Annehmlichkeiten und aller Luxus nur für Geld zu haben waren, genügte es für ein Mädchen reich zu sein, um Anbeter zu haben, aber Edith Bartlett war auch schön und anmutig. Meine Leserinnen werden dem widersprechen. »Schön mag sie gewesen sein«, höre ich sie sagen, »aber niemals anmutig in der Tracht, welche damals Mode war, da die Kopfbedeckung ein schwindelnder Aufbau von einem Fuß Höhe war, und die fast unglaubliche Ausdehnung des Kleides nach hinten mittelst einer künstlichen Erfindung, die Gestalt mehr entmenschlichte, als je zuvor die Kunst der Schneider getan hatte. Wer kann in solcher Tracht anmutig gewesen sein?« Das ist alles richtig und ich kann nur entgegnen, dass, während die Damen des 20. Jahrhunderts durch angemessene Kleidung die weibliche Anmut in lieblicher Weise zur Geltung bringen, ihre Urgroßmütter durch keine Unschönheit in der Tracht völlig entstellt werden konnten.

Wir warteten mit unserer Hochzeit nur auf die Vollendung des Hauses, das ich für uns in einem der gesuchtesten Teile der Stadt bauen ließ, d.h. in einem Teile, der hauptsächlich von den Reichen bewohnt war. Denn man muss wissen, dass die Annehmlichkeit der Wohnungen in den verschiedenen Teilen von Boston damals nicht von der Schönheit der Natur, sondern von dem Charakter der Nachbarschaft abhängig war. Jede Klasse wohnte abgesondert für sich. Wenn ein Reicher unter Armen, ein Gebildeter unter Ungebildeten wohnte, war es, als ob er isoliert unter einem fremden neidischen Volke lebe. Als unser Haus begonnen wurde, erwarteten wir, dass es bis zum Winter 1886 fertig sein würde. Der Frühling des folgenden Jahres fand es jedoch noch unvollendet und meine Verheiratung noch ein Ding der Zukunft. Der Grund dieser für einen feurigen Liebhaber doppelt unangenehmen Verzögerung lag in verschiedenen Streiks, d.h. verabredeten Arbeitsverweigerungen von Seiten der Maurer, Steinhauer, Zimmerleute, Maler, Gasarbeiter und anderer Handwerker, die am Bau beschäftigt waren. Ich erinnere mich nicht, was die einzelnen Ursachen dieser Streiks waren. Sie waren damals so allgemein geworden, dass man gar nicht mehr nach den Ursachen fragte. In einem oder dem anderen Zweige der Industrie hörten sie seit der großen Geschäftskrisis von 1873 fast gar nicht auf. In der Tat war es eine Ausnahme, wenn man eine Klasse von Arbeitern ihre Beschäftigung länger als ein paar Monate stetig ausführen sah.

Der Leser, welcher die angegebenen Zeitpunkte im Auge hat, wird natürlich in diesen Störungen der Industrie den ersten lockeren Zusammenhang der großen Bewegung erkennen, welche in der Gründung des modernen Systems mit all seinen sozialen Folgen endete. Dies ist so klar, wenn man zurückblickt, dass es jedes Kind verstehen kann; aber wir, die wir damals lebten, waren keine Propheten und hatten keinen klaren Begriff von dem, was sich bei uns ereignete. Wir sahen nur, dass die Industrie des Landes in einem wunderlichen Zustande war. Das Verhältnis zwischen Arbeitern und Arbeitgebern, zwischen Arbeit und Kapital schien in einer unerklärlichen Weise verschoben. Die arbeitenden Klassen waren ganz plötzlich und allgemein von einer gründlichen Unzufriedenheit mit ihrer Lage, von dem Gedanken befallen, dass sie wesentlich gebessert werden könnte, wenn man nur wüßte, wie man's anfangen sollte.

Auf allen Bauplätzen erhoben sie einstimmig Forderungen um höheren Lohn, kürzere Arbeitszeit, bessere Wohnungen und Schulen und Anteil an den verfeinerten Lebensgenüssen, Forderungen, von denen man nicht sah, wie man sie bewilligen konnte, solange nicht die Welt viel reicher wurde, als sie damals war. Sie wußten wohl, was sie wollten, aber nicht, wie sie es erreichen sollten, und die ungestüme Begeisterung, mit der sie sich um jeden scharten, der ihnen möglicherweise Aufklärung darüber geben konnte, verlieh manchem, der gern ihr Führer hätte sein mögen und der doch wenig Aufklärung zu geben wußte, einen ephemeren Ruhm. Für wie eingebildet man auch die Hoffnungen der arbeitenden Klassen halten mochte, so ließen doch die Hingebung, mit welcher sie sich gegenseitig bei ihren Streiks, die einzige Waffe, die sie hatten, unterstützten, und die Opfer, die sie sich auferlegten, um sie durchzuführen, keinen Zweifel darüber, dass sie es bitter ernstlich meinten. Was aus diesen Arbeiterunruhen, wie diese Bewegung gewöhnlich genannt wurde, werden sollte, darüber schwankten die Ansichten der Leute meiner Klasse je nach ihrer individuellen Verfassung. Die Sanguiniker behaupteten sehr entschieden, es liege in der Natur der Dinge, dass die Verwirklichung der neuen Hoffnungen der Arbeiter unmöglich sei, weil ganz einfach die Welt nicht die Mittel dazu hätte. Nur weil die Menge tüchtig arbeite und schmale Kost genieße, sei das Menschengeschlecht noch nicht verhungert, und es sei keine Besserung von irgendwelchem Belang möglich, solange die Welt im Ganzen so arm bleibe. Wer weniger sanguinisch dachte, gab das alles zu. Die Hoffnungen der Arbeiter konnten aus natürlichen Gründen unmöglich erfüllt werden, aber man hatte Grund zu fürchten, sie würden das erst erkennen, wenn sie die Gesellschaft auf den Kopf gestellt hätten. Sie hatten Stimmen und Gewalt genug, dies zu tun, wenn sie wollten, und ihre Führer reizten sie dazu an. Einige furchtsame Beobachter prophezeiten sogar eine soziale Sintflut. Die Menschheit, sagten sie, habe die höchste Sprosse der Zivilisation erstiegen, sei im Begriff, kopfüber in das Chaos zu stürzen, dann würde sie wieder aufstehen, sich herumdrehen und von neuem zu steigen beginnen. Wiederholte derartige Erfahrungen in geschichtlicher und vorgeschichtlicher Zeit seien möglicherweise der Grund für die unerklärlichen Beulen an der menschlichen Hirnschale. Die Geschichte der Menschheit sei, wie alle großen Bewegungen, zyklisch und kehre immer wieder zum Ausgangspunkt zurück. Die Idee von einem unendlichen Fortschritt in gerader Linie sei ein Trugbild der Einbildung und habe in der Natur keine Analogie. Die Parabel einer Kometenbahn sei vielleicht eine bessere Illustration vom Lebenslauf der Menschheit. Sie sei aus dem Aphel des Barbarismus auf zu dem Perihel der Zivilisation gestiegen, nur um sich wieder hinab in die Regionen des Chaos zu stürzen. Dies war natürlich eine extreme Ansicht, aber ich erinnere mich, dass sonst ernste Männer meiner Bekanntschaft einen ähnlichen Ton anschlugen, wenn die Zeichen der Zeit besprochen wurden. Zweifellos glaubten kluge Männer, dass die Gesellschaft einer kritischen Periode entgegengehe, welche große Veränderungen im Gefolge haben könne. Die Arbeiterunruhen, ihre Ursachen, ihr Verlauf und ihre Abhilfe nahmen in der Presse und in ernster Unterhaltung den ersten Platz ein.

Die Aufregung erreichte ihren Höhepunkt, als eine kleine Bande von Männern, die sich Anarchisten nannten, das amerikanische Volk durch Drohungen und Gewalt zwingen wollten, ihre Grundsätze anzunehmen, als wenn eine große Nation, die eben erst eine Empörung ihrer einen Hälfte erdrückt hatte, um ihr politisches System aufrechtzuerhalten, aus Furcht so leicht ein neues soziales System annehmen würde!

Da ich reich und bei der bestehenden Ordnung der Dinge stark beteiligt war, teilte ich natürlich die Befürchtungen meiner Klasse. Die ganz besondere Beschwerde, die ich zu der Zeit, die ich beschreibe, gegen die arbeitenden Klassen hatte, indem sie durch ihre Streiks die Erfüllung meines ehelichen Glückes in die Länge zogen, gab meinen Gefühlen gegen sie eine besondere Schärfe.

ZWEITES KAPITEL

 

Der 30. Mai 1887 fiel auf einen Montag. Es war ein nationaler Feiertag, welcher im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts unter dem Namen Dekorationstag eingesetzt war, um das Andenken der Krieger der Nordarmee, welche an dem Kriege zur Erhaltung der Union teilgenommen hatten, zu ehren. Die Überlebenden zogen an diesem Tage, von dem Militär und den Magistratspersonen begleitet, unter Musik auf die Kirchhöfe und legten Blumenkränze auf die Gräber ihrer toten Kameraden nieder. Die Zeremonie war sehr feierlich und ergreifend. Der älteste Bruder von Edith Bartlett war im Kriege gefallen und am Dekorationstag pflegte die Familie den Kirchhof Mount Auburn zu besuchen, wo er lag.

Ich bat um die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen, und als wir bei Einbruch der Nacht in die Stadt zurückkehrten, blieb ich zu Tisch bei ihnen. Nach Tisch nahm ich im Gesellschaftszimmer eine Zeitung in die Hand und las da von einem neuen Streik unter den Bauarbeitern, welcher voraussichtlich die Vollendung meines unglücklichen Hauses noch weiter verzögern würde. Ich erinnere mich noch deutlich, wie aufgebracht ich darüber war und was für Verwünschungen ich, soweit es die Gegenwart der Damen erlaubte, gegen die Arbeiter im Allgemeinen und diese Streiks im besonderen ausstieß. Ich hatte die volle Sympathie meiner Umgebung und die folgenden Bemerkungen über das leichtsinnige Benehmen der Agitatoren müssen diesen Herren in den Ohren geklungen haben. Man war darüber einig, dass die Dinge immer schlimmer würden und es sich gar nicht sagen ließe, wozu das noch führen würde. »Das Schlimmste ist«, sagte Frau Bartlett, wie ich mich noch erinnere, »dass es scheint, als ob die arbeitenden Klassen in der ganzen Welt auf einmal verrückt geworden seien. In Europa ist es noch schlimmer als bei uns. Ich möchte nicht dort leben. Ich fragte neulich meinen Mann, wohin wir auswandern würden, wenn alle die schrecklichen Drohungen jener Sozialisten ausgeführt werden sollten. Er sagte, er wüsste kein Land, wo die Gesellschaft jetzt stabil genannt werden könnte, außer Grönland, Patagonien und China.« »Diese Chinesen wussten, was sie wollten«, fügte jemand bei, »als sie unsere westliche Zivilisation nicht zu sich einließen. Sie wussten besser als wir, wozu sie führen würde. Sie sahen, es war nichts dahinter als verstecktes Dynamit.«

Ich erinnere mich, dass ich dann Edith auf die Seite genommen und versucht habe, sie zu bewegen, dass wir lieber sofort heiraten wollten, ohne auf die Vollendung des Hauses zu warten, und uns auf Reisen begeben, bis das Haus fertig wäre. Sie war an jenem Abend auffallend schön, die Trauerkleidung, die sie zu Ehren des Tages trug, hob die Reinheit ihrer Gesichtsfarbe aufs glänzendste. Ich sehe jetzt noch im Geiste, wie schön sie damals aussah. Als ich gehen wollte, folgte sie mir in den Vorsaal und ich küsste sie zum Abschied wie gewöhnlich. Dieser Abschied unterschied sich in nichts von anderen Gelegenheiten, wenn wir uns für eine Nacht oder einen Tag trennten. Weder ich noch sie ahnte, dass dies mehr als eine gewöhnliche Trennung war.

Für einen Bräutigam war es vielleicht etwas früh, dass ich meine Braut verließ, das darf aber keinen Zweifel an meiner Liebe zu ihr aufkommen lassen. Ich litt nämlich, obgleich sonst vollständig gesund, in hohem Grade an Schlaflosigkeit und war an jenem Tage vollständig abgespannt, da ich die zwei letzten Nächte fast gar nicht geschlafen hatte. Edith wusste das und hatte darauf bestanden, dass ich um neun nach Hause gehen und mich sofort zu Bett legen sollte.

Das Haus, das ich bewohnte, war durch drei Generationen in den Händen der Familie gewesen, deren einziger noch lebender Nachkomme in gerader Linie ich war. Es war ein großes altes Holzgebäude, das Innere von altmodischer Eleganz, aber in einer Lage, die wegen des Anbaues von Mietskasernen und Fabriken unbeliebt geworden war. Ich konnte nicht daran denken, in dieses Haus eine junge Frau einzuführen, noch dazu eine so verwöhnte wie Edith Bartlett. Ich hatte es zum Verkauf ausgeschrieben und benutzte es inzwischen nur zum Schlafen, da ich in meinem Club speiste. Ein Diener, ein treuer Neger namens Sawyer, wohnte bei mir und verrichtete meine Dienste. Eine Annehmlichkeit des Hauses fürchtete ich sehr zu entbehren, wenn ich es verlassen würde, nämlich das Schlafzimmer, das ich unter dem Fundament hatte bauen lassen. In der Stadt mit ihrem unaufhörlichen nächtlichen Lärm hätte ich gar nicht schlafen können, wenn ich ein oberes Zimmer hätte benutzen sollen. Aber zu diesem unterirdischen Gemache drang nicht das geringste Geräusch der Oberwelt. Wenn ich eingetreten war und die Tür geschlossen hatte, umgab mich Grabesstille. Um zu verhüten, dass die Feuchtigkeit des Untergrundes in das Zimmer drang, waren die Wände mit hydraulischem Zement bekleidet und sehr dick und der Boden war ebenso verwahrt. Damit das Zimmer auch als ein gegen Feuer und Diebe sicheres Gewölbe zur Aufbewahrung von Wertgegenständen dienen könnte, hatte ich es mit hermetisch gefügten Steinplatten decken lassen und die äußere Tür war von Eisen, dick mit Asbest überzogen. Eine kleine Röhre in Verbindung mit einem Flügelrad auf dem Dach des Hauses vermittelte die Ventilation.

Man sollte denken, dass der Bewohner eines solchen Zimmers hätte sicherlich schlafen müssen, aber ich schlief trotz alledem selten zwei Nächte nacheinander. Ich war aber so daran gewöhnt, dass mir der Verlust einer Nachtruhe nur wenig anhatte. Eine zweite Nacht jedoch, die ich in meinem Stuhle lesend, anstatt schlafend im Bette zubrachte, ermüdete mich aufs äußerste, und meine Nerven erlaubten mir nicht, den Schlaf noch länger zu entbehren, und nötigten mich, zu künstlichen Mitteln zu greifen, um mir denselben zu verschaffen. Sooft ich nach zwei schlaflosen Nächten fühlte, dass er auch in der dritten nicht kommen wollte, ließ ich Dr. Pillsbury rufen.

Er wurde nur aus Artigkeit Doktor genannt und war, was man damals einen Pfuscher und Quacksalber nannte. Er nannte sich Professor des animalischen Magnetismus. Ich hatte aus Liebhaberei Forschungen über den tierischen Magnetismus angestellt und ihn bei dieser Gelegenheit kennen gelernt. Ich glaube, er verstand nichts von Medizin, aber er war unzweifelhaft ein vorzüglicher Magnetiseur. Wenn ich sah, dass mir eine dritte schlaflose Nacht bevorstand, schickte ich nach ihm, damit er mich magnetisiere. Meine nervöse Erregung oder geistige Abgespanntheit mochten noch so stark sein, dem Dr. Pillsbury gelang es immer, mich in kurzer Zeit in tiefen Schlaf zu bringen, der so lange anhielt, bis ich durch eine Umkehrung des magnetischen Prozesses wieder erweckt wurde. Der Prozess zum Aufwecken des Schläfers war viel einfacher als der zum Einschläfern, und so ließ ich Sawyer von Dr. Pillsbury belehren, wie das zu tun sei.

Mein treuer Diener allein wusste, dass und zu welchem Ende mich Dr. Pillsbury besuchte. Wenn Edith meine Frau wurde, musste ich sie natürlich in meine Geheimnisse einweihen. Ich hatte ihr bisher nichts davon gesagt, weil unzweifelhaft der mesmerische Schlaf nicht ganz gefahrlos ist und ich wusste, dass sie sich dieser Gewohnheit widersetzen würde. Die Gefahr lag darin, dass ich zu fest einschlafen und in einen Zustand geraten möchte, der durch Mesmerismus nicht mehr gehoben werden und mit dem Tode endigen konnte. Wiederholte Versuche hatten mich völlig überzeugt, dass so gut wie keine Gefahr vorlag, wenn vernünftige Vorsichtsmaßregeln angewendet wurden, und ich hatte die leise Hoffnung, Edith hiervon überzeugen zu können. Nachdem ich sie verlassen, ging ich direkt nach Hause und schickte sofort Sawyer aus, um Dr. Pillsbury zu holen. Indessen begab ich mich in mein unterirdisches Schlafgemach, vertauschte meinen Straßenanzug mit einem bequemen Schlafrock und setzte mich an meinen Schreibtisch, um die mit der Abendpost eingegangenen Briefe zu lesen, die Sawyer dahin gelegt hatte.

Einer war von dem Baumeister meines neuen Hauses und bestätigte, was ich aus der Zeitungsnotiz vermutet hatte. Die neuen Streiks, sagte er, hätten die Erfüllung des Bauvertrags auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben, indem weder die Werkmeister noch die Arbeiter ohne einen langen Kampf die Streitpunkte zugestehen würden. Caligula hatte gewünscht, dass das römische Volk nur einen Kopf hätte, damit er ihn auf einmal abschlagen könnte, und als ich diesen Brief las, hegte ich einen Augenblick denselben frommen Wunsch bezüglich der arbeitenden Klassen von Amerika. Die Rückkehr Sawyers mit dem Doktor unterbrach mich in meinen düsteren Gedanken.

Ich erfuhr, dass es ihm nur mit Mühe gelungen war, den Doktor zum Kommen zu bewegen, da er im Begriffe stand, noch in dieser Nacht die Stadt zu verlassen. Der Doktor erklärte mir dies dahin, dass er, seitdem er mich zuletzt gesehen, von einer glänzenden beruflichen Stellung gehört, die sich in einer fernen Stadt für ihn eröffne, und er sich entschlossen habe, davon sofort Gebrauch zu machen. Ich war erschrocken und fragte ihn, wie ich nun jemand bekommen solle, der mich einschläfern könnte; da nannte er mir mehrere Mesmeristen in Boston, die, wie er versicherte, dieselbe Kraft wie er besäßen. Ich war hierdurch etwas beruhigt und befahl Sawyer, mich am nächsten Morgen um neun Uhr zu wecken, legte mich dann in meinem Schlafrock zu Bett, nahm eine bequeme Lage ein und überließ mich den Manipulationen des Doktors In Folge meiner ungewöhnlichen Aufregung vielleicht verlor ich das Bewusstsein nicht so schnell als gewöhnlich aber endlich kam eine angenehme Schläfrigkeit über mich.

DRITTES KAPITEL

 

Er öffnet die Augen. Es wäre besser, wenn er zuerst nur einen von uns sähe.«

»Versprich mir aber, dass Du es ihm nicht sagen willst.«

Die ersten Worte sprach ein Mann, die zweiten eine Frau und beide flüsterten nur.

»Ich will sehen, wie es mit ihm steht«, erwiderte der Mann.

»Nein, nein, versprich mir's«, wiederholte die andere.

»Tu' ihr den Willen«, flüsterte eine dritte Stimme, auch wieder die einer Frau.

»Ja, ja, ich verspreche es«, antwortete der Mann. »Schnell, geht! Er kommt zu sich.«

Kleider rauschten und ich schlug die Augen auf. Ein etwa sechzigjähriger Mann von angenehmem Äußeren beugte sich über mich, mit dem Ausdruck von Wohlwollen und zugleich großer Spannung in seinen Zügen. Er war mir vollständig fremd. Ich stützte mich auf den Ellenbogen und sah mich um. Das Zimmer war leer. Soviel war gewiss, ich war noch niemals in demselben oder in einem ähnlich möblierten gewesen. Ich sah den Mann wieder an. Er lächelte.

»Wie fühlen Sie sich?« fragte er.

»Wo bin ich?« fragte ich dagegen.

»Sie sind in meinem Hause«, war die Antwort.

»Wie bin ich hierher gekommen?«

»Darüber wollen wir reden, wenn Sie sich gekräftigt haben. Inzwischen, bitte ich, seien Sie ganz ruhig, Sie sind bei Freunden und in guten Händen. Wie fühlen Sie sich?«

»Ein bisschen sonderbar«, sagte ich, »aber ich denke, ich bin wohl. Wollen Sie die Güte haben, mir zu sagen, wie es kommt, dass ich Ihre Gastfreundschaft genieße? Was ist mit mir geschehen? Wie kam ich hierher? Ich legte mich doch in meinem Hause schlafen.«

»Es wird sich später Zeit genug finden, das zu erklären«, antwortete mein unbekannter Wirt mit einem beruhigenden Lächeln. »Es ist besser, alles aufregende Gespräch zu unterlassen, bis Sie etwas mehr wieder Sie selbst sind. Wollen Sie die Güte haben, ein paar Schluck von diesem Trank zu nehmen? Es wird Ihnen gut tun. Ich bin Arzt.«

Ich stieß das Glas mit der Hand zurück und setzte mich auf meinem Lager auf; jedoch kostete mir das etwas Anstrengung, denn mein Kopf war sonderbar verwirrt.

»Ich bestehe darauf, erst zu erfahren, wo ich bin und was Sie mit mir gemacht haben«, sagte ich.

»Mein lieber Herr«, antwortete der Arzt, »ich muss Sie bitten, sich nicht aufzuregen. Es wäre mir lieber, Sie beständen nicht so bald auf Erklärungen; wenn Sie es nun doch nicht anders wollen, so will ich versuchen, Sie zu befriedigen, vorausgesetzt, dass Sie erst diesen Trank nehmen; er wird Sie stärken.«

So nahm ich denn den angebotenen Trank. Dann sagte er: »Es lässt sich nicht so leicht sagen, wie Sie hierher kommen, als Sie augenscheinlich denken. Sie können mir hierüber ebensoviel sagen, als ich Ihnen. Sie sind eben aus einem tiefen Schlaf oder vielmehr einer Betäubung erwacht. So viel kann ich Ihnen sagen. Sie behaupten, Sie seien in Ihrem Hause gewesen, als Sie in diesen Schlaf fielen. Darf ich fragen, wann das gewesen ist?«

»Wann?« erwiderte ich, »wann? Nun, gestern Abend natürlich, etwa um 10 Uhr. Ich hatte meinem Diener Sawyer Befehl gegeben, mich um 9 Uhr zu wecken. Was ist aus Sawyer geworden?«

»Ich kann Ihnen das nicht so genau sagen«, erwiderte jener und sah mich mit einem sonderbaren Ausdruck an, »aber ich bin überzeugt, seine Abwesenheit ist entschuldbar. Und können Sie mir nun etwas genauer sagen, wann Sie einschliefen, ich meine das Datum?«

»Nun, gestern Abend natürlich; habe ich es Ihnen nicht eben gesagt? Das heißt, wenn ich nicht einen ganzen Tag verschlafen habe. Großer Gott, das ist ja nicht möglich; und doch habe ich ein sonderbares Gefühl, als hätte ich eine gute Weile geschlafen. Es war Dekorationstag, als ich mich schlafen legte.«

»Dekorationstag?«

»Ja, Montag den 30.«

»Entschuldigen Sie, den 30. welchen Monats?«

»Nun, dieses Monats selbstverständlich, es sei denn, dass ich in den Monat Juni hineingeschlafen hätte; aber das ist eine Unmöglichkeit.«

»Jetzt haben wir September.«

»September! Sie wollen doch nicht behaupten, dass ich seit Mai geschlafen hätte! Gott im Himmel! Nein, das ist unglaublich.«

»Wir werden ja sehen«, sagte mein Wirt; »Sie sagen also, es sei am 30. Mai gewesen, als Sie sich schlafen gelegt hätten.«

»Ja.«

»Darf ich fragen in welchem Jahre?«

Unfähig zu sprechen, starrte ich ihn einige Augenblicke an.

»Ja, in welchem Jahre, wenn ich fragen darf? Wenn Sie mir das gesagt haben, werde ich imstande sein, Ihnen zu sagen, wie lange Sie geschlafen haben.«

»Es war im Jahre 1887«, sagte ich.

Mein Wirt bestand darauf, dass ich noch einmal von dem Glas trinken sollte, und fühlte mir den Puls.

»Mein lieber Freund«, sagte er, »Ihr Benehmen zeigt mir, dass Sie ein Mann von Bildung sind, was in Ihren Tagen keineswegs so selbstverständlich war, als es jetzt ist. Zweifellos haben Sie also die Beobachtung gemacht, dass man in dieser Welt ein Ding nicht wunderbarer nennen kann als ein anderes. Denn jede Wirkung steht im direkten Verhältnis zu ihrer Ursache. Dass Sie von dem, was ich Ihnen zu sagen habe, sehr überrascht sein werden, ist zu erwarten; aber ich habe das Zutrauen zu Ihnen, dass Sie dadurch Ihren Gleichmut nicht verlieren werden. Sie erscheinen wie ein junger, kaum dreißigjähriger Mann und Ihre Körperbeschaffenheit scheint nicht wesentlich von derjenigen eines Mannes verschieden zu sein, der eben aus einem etwas zu langen und tiefen Schlaf erwacht ist, und doch ist heute der 10. September des Jahres 2000, und Sie haben grade 113 Jahre, 3 Monate und 11 Tage geschlafen. Da ich mich etwas betäubt fühlte, trank ich auf Empfehlung meines Arztes eine Tasse einer Art Bouillon, worauf ich sofort sehr schlaftrunken wurde und in einen tiefen Schlaf fiel.

Als ich erwachte, strahlte das Zimmer, das bei meinem ersten Erwachen künstlich erleuchtet war, im hellen Tageslicht. Mein geheimnisvoller Wirt saß neben mir. Er sah mich nicht an, als ich die Augen aufschlug; so hatte ich eine gute Gelegenheit, ihn zu betrachten und über meine ungewöhnliche Lage nachzudenken, ehe er bemerkte, dass ich wach war. Mein Schwindel war vergangen und mein Geist vollkommen klar. Die Geschichte, dass ich 113 Jahre geschlafen haben sollte, die ich in meinem früheren schwachen und verwirrten Zustand ohne Frage hingenommen hatte, kam mir jetzt wieder als eine abgeschmackte Mystifikation vor, über deren Motiv ich mir keine Klarheit verschaffen konnte.

Etwas Außergewöhnliches musste sich jedenfalls ereignet haben, das mein Erwachen in diesem fremden Hause bei diesem Unbekannten erklärte, aber meiner Phantasie war es rein unmöglich, mehr zu tun, als ins Blaue hinein zu raten. War es möglich, dass ich das Opfer einer Verschwörung geworden wäre? Es sah wirklich danach aus, und doch war es sicher, dass, wenn menschliche Züge jemals die Wahrheit gesprochen haben, dieser Mann neben mir, mit seinem so feinen und geistvollen Gesicht, nicht Teilnehmer an einem Verbrechen oder Frevel sein konnte. Dann fragte ich mich, ob ich nicht die Zielscheibe eines Scherzes von Seiten meiner Freunde sein könnte, die auf irgendeine Weise hinter das Geheimnis meines unterirdischen Zimmers gekommen wären und mir auf diese Weise die Gefahr, die mit diesen mesmerischen Versuchen verbunden sei, beweisen wollten. Diese Annahme war sehr unglaublich; Sawyer würde mich nie verraten haben, auch hatte ich keine Freunde, die so etwas zu unternehmen gewagt hätten; nichtsdestoweniger war die Annahme, dass man sich einen Scherz mit mir gemacht, die einzig haltbare. Ich erwartete jeden Augenblick hinter einem Stuhl oder Vorhang hervor ein bekanntes Gesicht grinsen zu sehen und sah mich im Zimmer um. Als meine Augen zunächst auf meinen Wirt fielen, sah er mich an.

»Sie haben zwölf Stunden schön geschlafen«, sagte er erfreut, »und ich sehe, es hat Ihnen gut getan. Sie sehen viel besser aus; Ihre Farbe ist gut, Ihr Auge klar; wie fühlen Sie sich?«

»Ich habe mich nie besser gefühlt«, erwiderte ich und setzte mich auf.

»Sie erinnern sich zweifellos Ihres ersten Erwachens«, fuhr er fort, »und Ihres Erstaunens, als ich Ihnen sagte, wie lange Sie geschlafen hätten.«

»Sie sagten, glaube ich, ich hätte 113 Jahre geschlafen.«

»Ganz recht.«

»Sie werden zugestehen«, sagte ich mit einem spöttischen Lächeln, »dass diese Geschichte etwas unwahrscheinlich klingt.«

»Ungewöhnlich, das gebe ich zu«, antwortete er, »aber unter den richtigen Vorbedingungen nicht unwahrscheinlich, auch nicht im Widerspruch mit dem, was wir von dem Betäubungszustand wissen. Wenn er vollständig ist, wie in Ihrem Falle, wird die Lebenstätigkeit vollständig aufgehoben, und es tritt keine Zerstörung der Gewebe ein. Wenn die äußeren Bedingungen den Körper vor physischer Verletzung schützen, kann man gar nicht sagen, wie lange eine solche Betäubung dauern kann. Die Betäubung, in der Sie gelegen, ist allerdings die längste, von der wir je gehört haben; aber wir haben keinen Grund anzunehmen, dass Sie nicht noch undenkliche Zeiten in einem Zustand gehemmter Lebenstätigkeit hätten bleiben können, wären Sie nicht gefunden worden und wäre der Raum, in dem wir Sie fanden, unberührt geblieben; die allmähliche Abkühlung der Erde würde dann das Zellengewebe zerstört und den Geist befreit haben.«

War ich wirklich Gegenstand eines Scherzes geworden, so musste ich zugestehen, dass die Urheber desselben ein ausgezeichnetes Werkzeug zur Ausführung gewählt hatten. Dieser Mann hätte mit seiner eindringlichen und sogar beredten Sprache beweisen können, dass der Mond ein Käse sei. Das Lächeln, mit dem ich seine Betäubungshypothese aufnahm, brachte ihn nicht im mindesten in Verlegenheit.

»Wollen Sie nicht fortfahren«, sagte ich, »und mir die genaueren Umstände erzählen, unter welchen Sie das Zimmer, von dem Sie sprachen, gefunden haben. Ich bin ein Freund von gut erfundenen Geschichten.«

»In unserem Falle«, war seine ernste Antwort, »könnte keine Erfindung so seltsam sein als die Wahrheit. Ich dachte nämlich schon seit Jahren daran, in dem großen Garten neben diesem Hause ein Laboratorium für chemische Experimente zu bauen. Am letzten Donnerstag wurde die Ausgrabung für den Keller endlich begonnen; am Abend war sie fertig und am Freitag sollten die Maurer kommen. Am Donnerstagabend hatten wir einen schrecklichen Regenguss und am Freitagmorgen fand ich meinen Keller in einen Teich verwandelt und die Wände abgewaschen. Meine Tochter, die mit mir gegangen war, um das Unglück zu besehen, machte mich auf eine Ecke des Mauerwerks aufmerksam, das durch das Einfallen der Wände bloßgelegt war. Ich räumte die Erde fort und da ich fand, dass es ein Teil einer großen Masse zu sein schien, beschloss ich es genauer zu untersuchen. Ich ließ Arbeiter holen und ein längliches Gewölbe, etwa acht Fuß unter der Oberfläche, bloßlegen, das augenscheinlich zu einem alten Hause gehört hatte. Eine Lage Asche und verkohltes Holz über dem Gewölbe bewies, dass das darüberstehende Haus von Feuer zerstört worden war. Das Gewölbe selbst war unversehrt, der Zement war wie eben erst angelegt. Es hatte eine Tür; diese konnten wir aber nicht aufbrechen, so entfernten wir eine der Steinplatten, welche das Dach bildeten, und gingen hinein. Die Luft war flau, aber rein und trocken und nicht kalt. Bei dem Schein meiner Laterne fand ich, dass das Gemach als Schlafzimmer nach der Mode des 19. Jahrhunderts eingerichtet war. Auf dem Bette lag ein junger Mann. Dass er tot war und schon seit einem Jahrhundert tot sein musste, war uns außer allem Zweifel; aber dass der Körper so außerordentlich gut erhalten war, fiel mir und den ärztlichen Kollegen, die ich zugezogen hatte, auf. Wir wollten nicht glauben, dass eine solche Kunst des Einbalsamierens, wie wir sie hier vor uns sahen, jemals bekannt gewesen sei; doch hier schien ein deutlicher Beweis vorzuliegen, dass unsere Vorfahren sie besessen. Meine Kollegen, deren Neugier aufs höchste gespannt war, wollten sofort Experimente machen, um die Art des angewandten Verfahrens zu prüfen, aber ich hielt sie ab. Mein Beweggrund dazu, wenigstens der einzige Beweggrund, von dem ich jetzt zu sprechen brauche, war, dass ich mich erinnerte, einmal gelesen zu haben, wie sehr man zu Ihrer Zeit den tierischen Magnetismus gepflegt hatte. Es schien mir nicht ausgeschlossen, dass Sie in einem magnetischen Schlaf liegen könnten und dass das Geheimnis Ihrer körperlichen Erhaltung nicht die Kunst des Balsamierers, sondern das Leben sei. So äußerst chimärisch schien selbst mir dieser Gedanke, dass ich fürchtete, mich durch Aussprechen desselben bei meinen Kollegen lächerlich zu machen, und gab einen anderen Grund für Verschiebung der Experimente an. Sobald mich nun meine Kollegen verlassen hatten, ging ich systematisch an das Werk der Wiederbelebung, dessen Erfolg Sie kennen.«