Lords & Ladies: Gefährliches Verlangen: Die Trilogie in einem eBook - Jane Feather - E-Book
SONDERANGEBOT

Lords & Ladies: Gefährliches Verlangen: Die Trilogie in einem eBook E-Book

Jane Feather

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Erbschaft mit prickelnden Bedingungen: Der Romance-Sammelband »Lords & Ladies: Gefährliches Verlangen« von Jane Feather als eBook bei dotbooks. England im Jahre 1761. Über den bisher so unbeschwerten adligen Sullivan-Brüdern sind dunkle Wolken aufgezogen: Sie müssen dringend die Gunst ihres Onkels gewinnen – und dessen beträchtliches Erbe. Doch daran knüpft Viscount Bradley eine exzentrische Forderung: Jasper, Sebastian und Peregrine sollen drei gefallene Mädchen finden, um sie auf den Weg der Tugend zurückzuführen. Ungeheuerlich … aber nicht unmöglich! Tatsächlich ist Jasper, der älteste Sullivan, bald überzeugt, dass die schöne Taschendiebin Clarissa dringend der Rettung bedarf. Er ahnt nicht, dass sie ein Geheimnis hütet – und während Clarissa ihn mit ihrem Liebreiz um den Finger wickelt, stehen auch Jaspers in Liebesdingen sonst so erfahrene Brüder plötzlich vor Herausforderungen, die sie bisher nie für möglich gehalten hätten! Drei Romantik-Highlights, liebenswert, humorvoll und mit einem Schuss prickelnder Gefahr: »Die unvergleichliche Jane Feather überzeugt mit großartigen Charakteren und einer spannenden Geschichte!« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Lords & Ladies: Gefährliches Verlangen« von Jane Feather ist der Sammelband ihrer romantischen Trilogie »Das Erbe von Blackwood« und umfasst die historischen Liebesromane »Das Geheimnis des Earls«, »Das Begehren des Lords« und »Der Kuss des Lords« – ein fesselndes Lesevergnügen für alle Regency-Fans! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1747

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

England im Jahre 1761. Über den bisher so unbeschwerten adligen Sullivan-Brüdern sind dunkle Wolken aufgezogen: Sie müssen dringend die Gunst ihres Onkels gewinnen – und dessen beträchtliches Erbe. Doch daran knüpft Viscount Bradley eine exzentrische Forderung: Jasper, Sebastian und Peregrine sollen drei gefallene Mädchen finden, um sie auf den Weg der Tugend zurückzuführen. Ungeheuerlich … aber nicht unmöglich! Tatsächlich ist Jasper, der älteste Sullivan, bald überzeugt, dass die schöne Taschendiebin Clarissa dringend der Rettung bedarf. Er ahnt nicht, dass sie ein Geheimnis hütet – und während Clarissa ihn mit ihrem Liebreiz um den Finger wickelt, stehen auch Jaspers in Liebesdingen sonst so erfahrene Brüder plötzlich vor Herausforderungen, die sie bisher nie für möglich gehalten hätten!

Drei Romantik-Highlights, liebenswert, humorvoll und mit einem Schuss prickelnder Gefahr: »Die unvergleichliche Jane Feather überzeugt mit großartigen Charakteren und einer spannenden Geschichte!« Romantic Times

Über die Autorin:

Jane Feather wurde in Kairo geboren, wuchs in Südengland auf und lebt heute mit ihrer Familie in Washington D.C.. Sie studierte Sozialkunde und war als Psychologin tätig, bevor sie ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte – und inzwischen eine internationale Fangemeinde begeistert.

Bei dotbooks erschien bereits die Regency-Trilogie »Die Ladys vom Cavendish Square« mit den Einzelbänden »Das Verlangen des Viscounts«, »Die Leidenschaft des Prinzen« und »Das Begehren des Spions«.

***

eBook-Sammelbandausgabe Februar 2020

Die in diesem Sammelband vorliegenden Romane erschienen bereits zwischen 2011 und 2014 bei Blanvalet: »Das Geheimnis des Earls« unter dem Titel »Die charmante Teufelin«, »Das Begehren des Lords« unter dem Titel »Süßes Spiel der Begierde« und »Der Kuss des Lords« unter dem Titel »Sinnliche Maskerade«.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe »Rushed to the Alter« (»Das Geheimnis des Earls«) 2010 by Jane Feather. Das Buch erschien erstmals 2010 bei Pocket Books, A Division of Simon & Schuster, Inc., New York. Copyright © der deutschen Erstausgabe 2011 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe »A Wedding Wager« (»Das Begehren des Earls«) 2011 by Jane Feather. Das Buch erschien erstmals 2011 bei Pocket Books, A Division of Simon & Schuster, Inc., New York. Copyright © der deutschen Erstausgabe 2012 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe »An Unsuitable Bride« (»Der Kuss des Lords«) 2012 by Jane Feather. Das Buch erschien erstmals 2012 bei Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York. Copyright © der deutschen Erstausgabe 2014 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München.

Copyright © der Neuausgaben 2018 dotbooks GmbH, München

Published by Arrangement with Jane Feather.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © der Neuausgaben 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Sammelbandausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Ozz Design, Wika Graphic

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-093-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Lords & Ladies: Gefährliches Verlangen« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Jane Feather

LORDS & LADYS: Gefährliches Verlangen

Die Trilogie in einem E-Book

Aus dem Englischen von Jutta Nickel

dotbooks.

Erster RomanDAS GEHEIMNIS DES EARLS

Prolog

London, 1761

Überall im Zimmer brannten Kerzen, und durch ihren duftenden Rauch war die Luft zum Schneiden. Das Kaminfeuer loderte so hoch, dass die Hitze den drei Männern, die schwitzend am Fußende des baldachinbewehrten Bettes hinter den Vorhängen standen, schier den Atem raubte. Die Kerzen warfen lange Schatten auf die reich verzierten Tapeten an den Wänden, deren dunkle geschnitzte Zierleisten den Schnitzereien am Bett und an den schweren Möbeln ähnelten. Die Samtvorhänge an den hohen Fenstern erstickten die Geräusche, die von der Straße heraufdrangen. Der schwere türkische Teppich dämpfte die Schritte, als einer der drei Männer rückwärts aus der bedrückenden Enge der Bettvorhänge hinaustrat.

»Wo steckt Jasper?« Die nörgelnde Stimme, die aus den aufgetürmten Kissen vom Kopfende des Bettes drang, zog sich wie ein dünnes Fädchen durch die Hitze und die Dämmerung. Einer der beiden Männer, die noch am Bett standen, hastete unverzüglich an seine Seite. Er trug die schlichte schwarze Kleidung eines Anwalts oder Geschäftsmannes.

»Ja, in der Tat«, murmelte der Mann, der sich vom Bett entfernt hatte. Er war groß und schlank, und das Kerzenlicht ließ sein goldblondes Haar glänzen, das er sich aus der breiten Stirn zurückgekämmt und mit einem schwarzen Samtband im Nacken gebunden hatte.

»Er wird gleich hier sein, Perry.« Der Mann, der gesprochen hatte, sah dem mit den goldblonden Haaren auffallend ähnlich. Jetzt trat er ebenfalls vom Bett zurück. »Du kennst doch Jasper. Er ist niemals in Eile.«

»Wenn er nicht bald auftaucht, wird es zu spät sein, und wir werden alle darunter zu leiden haben.« Peregrine sprach immer noch leise. »Sebastian, du weißt ebenso gut wie ich, dass der alte Herr sich ohne Jasper nicht festlegen wird.«

Sebastian zuckte die Schultern. »Dann kann ich es auch nicht ändern«, meinte er und warf seinem Zwillingsbruder einen spöttischen Blick zu. Körperlich ähnelten sie sich aufs Haar, aber im Wesen waren sie grundverschieden. Es gab nur wenige Dinge, die Sebastian aus der Ruhe bringen konnten; den Wechselfällen des Lebens begegnete er mit heiterer Sorglosigkeit. Peregrine dagegen nahm alles sehr ernst, gelegentlich sogar bis zur Besessenheit, wenn man die Meinung seines Zwillingsbruders teilte.

»Alton, ich brauche diese verdammten Blutsauger nicht. Ich brauche meinen verdammten Neffen, verflucht sei er!« Der Jähzorn ließ die Stimme aus dem Bett kräftiger klingen, und ein wedelnder Arm verscheuchte die schwarz gekleidete Gestalt, die am Kopfende seines Bettes herumlungerte. Das Gesicht in den Kissen war von dünnen weißen Locken umrahmt, glänzte gelblich vor Siechtum und Alter, die Haut war faltig und spröde, die blauen Augen blass, trübe und verschwommen. Aber all das konnte ihren scharfen und klugen Ausdruck nicht mindern. Die langen, skelettartigen Finger der blau geäderten Hand zählten ruhelos die elfenbeinernen Perlen des Rosenkranzes.

»Ich freue mich zu hören, dass Sie sich in so ausgezeichneter Verfassung befinden, Sir.« Eine neue Stimme drang von der Tür ins Zimmer, weich und samtig mit einem Anflug von Sarkasmus. Sebastian und Peregrine schwangen herum und blickten zur Tür. Jasper St. John Sullivan, der fünfte Earl of Blackwater, trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er sah prächtig aus in seinem tiefblauen Samtanzug, und in den Falten seiner Halsbinde aus Mechelner Spitze glänzte ein Amethyst.

»Sebastian ... Perry ...« Die behandschuhte Hand des Mannes ruhte nachlässig auf dem Griff des Degens an seiner Hüfte, während er seine jüngeren Brüdern mit einem warmherzigen Nicken begrüßte und sich dem Bett näherte. »Ah, Sie sind auch hier, Alton.« Er nickte dem schwarz gekleideten Mann zu, der sich bei seiner Ankunft aufgerichtet hatte und ihn mit besorgtem Blick betrachtete. »Ich nehme an, die Anwesenheit des Anwalts meines Onkels bedeutet, dass wir zusammengekommen sind, um geschäftliche Angelegenheiten zu regeln.«

»Du weißt verdammt gut, warum ich dich hergerufen habe, Jasper.« Die Stimme des gebrechlichen Mannes klang von Minute zu Minute kräftiger, und er richtete sich angestrengt in den Kissen auf. »Hilf mir.«

Jasper beugte sich vor und richtete seinem Onkel die Kissen im Rücken. »Besser, Sir?«

»Es reicht ... es reicht«, brummte der alte Herr. Sekunden später wurde er von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt und presste sich ein dickes weißes Tuch auf den Mund, während seine Schultern sich hoben und senkten. Schließlich ließen die Krämpfe nach; er sank in die Kissen zurück und schnappte nach Luft, bevor er den Blick über die Gesichter der Männer schweifen ließ, die sich um sein Bett versammelt hatten. »Nun, die Krähen sind ausgeschwärmt, um sich ein Festmahl zu gönnen«, verkündete er.

»Wohl kaum, Sir, denn Sie sind es gewesen, der auf unserer Anwesenheit bestanden hat«, bemerkte Jasper liebenswürdig und warf seinen Zweispitz auf den Tisch. Er war so dunkelhaarig, wie seine Brüder blond waren. »Ich zweifle daran, dass auch nur einer unter uns es gewagt hätte, sich Ihnen aufzudrängen, wenn wir nicht eine offenkundig dringliche Vorladung erhalten hätten.«

»Du warst schon immer ein unverschämter junger Hund«, verkündete der bettlägerige Mann und wischte sich den Mund mit dem Tuch ab. »Nun, jetzt wo ihr alle versammelt seid, lasst uns also beginnen.« Er drückte sich den Rosenkranz an die Brust. »Sagen Sie es ihnen, Alton.«

Der Anwalt hustete diskret in seine Faust und erweckte den Eindruck, als würde er sich in diesem Moment überall auf der Welt lieber aufhalten als ausgerechnet hier an diesem Ort. Er ließ den Blick von Bruder zu Bruder schweifen und dann auf Jasper ruhen. »Wie Sie wissen, Mylord, ist Viscount Bradley, Ihr Onkel, jüngst in den Schoß der Kirche zurückgekehrt.«

»Eine Tatsache, die mein Onkel mit sich und seinem Gewissen ausmachen muss«, erwiderte der Earl mit einem Hauch Bitterkeit in der Stimme, »und die meine Brüder und mich kaum etwas angeht.«

»Ah, da irrst du dich, mein Junge«, widersprach der Viscount und lachte auf. In seinem verschwommenen Blick glitzerte es amüsiert, und auch eine Spur Bosheit konnte man entdecken. »Es geht euch alle drei etwas an, und zwar sehr direkt.«

Jasper zog eine lackierte Tabaksdose aus der Manteltasche, schlug den Deckel auf und nahm eine zarte Prise. Im Zimmer war es höllisch heiß, aber so sehr er sich auch wünschte, die Fenster aufzureißen und die kühle nächtliche Herbstluft einzulassen, so sehr hielt er sich zurück. »Wirklich, Sir?«, fragte er höflich.

»Aye.« Das Lächeln des alten Mannes wirkte beinahe süffisant. »Ihr habt es auf mein Vermögen abgesehen, und ihr sollt es bekommen, zu drei gleichen Teilen, sofern ihr meine Bedingungen erfüllt. Sagen Sie es ihnen, Alton.«

Die drei Brüder wechselten Blicke. Jasper verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Bettpfosten. »Alton, Sie haben unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.«

Wieder hustete der Anwalt, griff nach einem Stapel Unterlagen auf dem Tisch und begann mit seinem Vortrag. »Es ist niedergelegt in Lord Bradleys Willen und Testament, dass sein gesamtes Vermögen zu gleichen Teilen an seine drei Neffen Jasper St. John Sullivan, fünfter Earl of Blackwater, den Ehrenwerten Peregrine Sullivan und den Ehrenwerten Sebastian Sullivan gehen wird unter der Bedingung, dass diese noch vor Lord Bradleys Tod eine gefallene Frau ehelichen, die der Erlösung bedarf, und die besagte Frau durch den Schutz ihres Namens und Vermögens auf den Pfad der Tugend und Rechtschaffenheit zurückführen.«

Einen Moment lang herrschte erstauntes Schweigen. Dann fragte Peregrine: »Was um alles in der Welt soll das bedeuten? Eine Frau, die der Erlösung bedarf? Pfad der Tugend und Rechtschaffenheit?« Verwundert wandte er sich an seinen älteren Bruder.

Jaspers Schultern bebten vor stummem Gelächter. »Sir, Sie haben sich selbst übertroffen«, behauptete er und verbeugte sich in spöttischer Demut vor der Gestalt im Bett. »Ich hatte bereits mit etwas Außergewöhnlichem gerechnet, aber das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.«

»Nun, mein lieber Neffe, dann werde ich eines Tages hochzufrieden zu meinem Schöpfer heimkehren«, verkündete der Viscount, dessen Finger immer noch beflissen über den Rosenkranz spielten, obwohl es in seinen Augen amüsiert glitzerte. »Denn ihr seid drei lasterhafte Schurken, und ihr sollt nicht einen Penny von meinem Vermögen in die Finger bekommen, bis ihr eine verlorene Seele in euer Herz geschlossen und wieder auf den rechten Weg geführt habt. Ich bete täglich darum, dass ihr im Zuge dessen selbst euer Seelenheil findet.«

Die Zwillingsbrüder schwiegen. Peregrine starrte staunend aufs Bett, und selbst Sebastian sah ausnahmsweise verblüfft aus. Jasper tippte sich nachdenklich mit den Fingerspitzen an die Lippen. »Nun, Sir, ich bin überzeugt, dass Sie ein lohnenswertes Ziel verfolgen. Natürlich kann ich nicht für meine Brüder sprechen, aber ich selbst nehme demütig zur Kenntnis, dass die Unsterblichkeit meiner Seele Ihnen solche Sorge bereitet. Gehe ich recht in der Annahme, dass der Wille nichtig ist, sollten Sie Ihrer Krankheit erliegen, bevor wir unsere Aufgabe erfüllt haben?«

Der Viscount lachte auf und schloss die Augen. »Glaub mir, mein lieber Junge, ich habe nicht die geringste Absicht, vor meinen Schöpfer zu treten, bevor ich euch drei nicht fest an eine Frau gebunden weiß, die meinen Vorstellungen entspricht. Alton wird euch den Rest erläutern.« Er wedelte mit der Hand. »Und jetzt verschwindet. Schickt mir die Krähe Cosgrove rein. Ich habe noch zu schreiben.«

Alton raffte die Papiere zusammen und hastete zur Tür. Sebastian und Peregrine folgten ihm. Nur Jasper blieb zurück und schaute auf den alten Mann hinunter, der stoßweise atmete. Im flackernden Kerzenlicht wirkte die pergamentene Haut noch gelblicher. »Du alter Gauner«, murmelte Jasper, »natürlich hast du nicht die Absicht, uns in nächster Zeit mit deinem Tode zu beehren. Aber eines lass dir gesagt sein, Onkel. Von allen Streichen, mit denen du die Welt und deine Mitmenschen in deinem langen Leben geplagt hast, ist dieser hier wirklich die Krönung der Heuchelei.«

Das boshafte Lachen des alten Mannes verklang in einem Hustenanfall, während er Jasper mit einer Handbewegung fortscheuchte. »Raus, mein lieber Junge. Ich muss meine Kräfte schonen ... in der Tat, ihr drei solltet mehr als ängstlich darauf bedacht sein, dass ich sorgsam auf meine Gesundheit achte.« Er lehnte sich in die Kissen, und seine Augen funkelten, als er seinen Neffen betrachtete. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als würde er lächeln. »Du bist mir ähnlicher, als du es dir selbst eingestehen würdest, mein Junge.«

»Oh, das würde ich niemals bestreiten, Sir.« Jasper lachte leise. Als er sich vom Bett wegdrehte, schlüpfte ein Mann in der schwarzen Kleidung eines Priesters ins Zimmer. Die überaus ernste Miene des Mannes strafte seine Jugend Lügen.

»Pater Cosgrove«, grüßte Jasper freundlich.

»Mylord.« Der junge Priester verbeugte sich.

»Kommen Sie schon rüber, Cosgrove. Ich habe noch zu schreiben, und die Zeit läuft mir langsam davon.« Bei dem jähzornigen Tonfall des gebrechlichen Mannes eilte Pater Cosgrove zum Bett hinüber und murmelte: »Selbstverständlich, Mylord.«

Jasper schüttelte den Kopf. Der junge Priester tat ihm leid, denn es war sicher keine leichte Aufgabe, Viscount Bradley als Schreiber zu dienen ... ganz sicher nicht leichter als seine Aufgabe als Priester und Beichtvater. Nicht zum ersten Mal fragte Jasper sich, welches Vorhaben seinen Onkel in den letzten Monaten seines Lebens so in Atem halten mochte.

Er verließ das Zimmer und schloss sich seinen Brüdern an, die sich mit dem Anwalt im Vorraum des Schlafzimmers versammelt hatten. »Ist der Alte verrückt geworden?«, platzte Sebastian heraus. »Können wir ihm auch nur ein einziges Wort glauben?«

»Oh, ja, das können wir schon, Seb«, meinte Jasper, ging zur Anrichte und griff nach der Sherrykaraffe. »Sieht so aus, als bliebe uns gar nichts anderes übrig. Darf ich euch auch ein Glas einschenken?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern füllte zwei Gläser für seine Brüder. »Alton, für Sie auch?«

»Äh, ja, Mylord. Vielen Dank.« Alton fummelte unbeholfen mit den Akten herum, als er das Glas annahm.

Jasper schenkte sich selbst ein und ging zum Kamin hinüber. Einen Fuß stellte er auf den Kaminschutz, legte den freien Arm auf den Sims, ließ den Blick zwischen seinen Brüdern und dem Anwalt schweifen und lächelte verhalten. »Nun, es sieht so aus, als gäbe es viel zu besprechen. Nein, Perry ...« Abwehrend hob er die Hand, als Peregrine das Wort ergreifen wollte. »Lass mich aussprechen und kurz darstellen, wie ich die Lage sehe.«

Peregrine gehorchte, zwängte sich auf das Sofa und starrte seinen älteren Bruder eindringlich an. Der Anwalt setzte sich steif auf einem schlichten Stuhl mit kerzengerader Rückenlehne, umklammerte die Akten mit der einen und das Sherryglas mit der anderen Hand.

»Zunächst einmal ist der geistige Zustand unseres Onkels vollkommen in Ordnung. Ich würde sogar behaupten, dass sein Verstand schärfer arbeitet als je zuvor.« Jasper schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, dass er diesen teuflischen Plan schon vor Monaten ausgeheckt hat. Sicher schon damals, als er beschlossen hat, sich vom Saulus zum Paulus zu wandeln.« Er lächelte bitter und gönnte sich noch eine Prise Schnupftabak. »Wenn ihr wollt, könnt ihr seine Wandlung natürlich für bare Münze nehmen. Ich für meinen Teil glaube kein Wort von dieser Geschichte. Aber um das Wieso und Warum brauchen wir uns gar nicht zu kümmern. Die Tatsachen liegen klar auf der Hand. Unser Onkel ist ein überaus reicher Mann.« Er sah den Anwalt an. »Können Sie uns eine Zahl nennen, Alton?«

»Äh ... ja, selbstverständlich, Mylord.« Er blätterte die Papiere durch, ohne wirklich einen Blick darauf zu werfen. »Alles in allem sind Viscount Bradleys Besitztümer mehr als neunhunderttausend Pfund wert.«

Jasper beschränkte sich darauf, die Brauen hochzuziehen. Peregrine sog die Luft scharf ein, und Sebastian stieß einen leisen Pfiff aus.

»In der Tat, eine beachtliche Summe«, bestätigte Jasper nach einem kurzen Moment. »Und eines Krösus' mit dem Einfallsreichtum unseres Onkels sicher würdig. Der alte Herr kann berechtigterweise annehmen, dass seine Neffen mehr als bereit sein werden, die Bedingungen zu erfüllen, um an das Erbe zu gelangen. Schließlich haben wir keinen Penny in der Tasche.«

Jasper, du hast wahrlich mehr als nur einen Penny«, warf Sebastian ohne Groll ein.

»Ja, ich habe ein hoch verschuldetes Anwesen in Northumberland geerbt und ein ebenso belastetes Mausoleum in der Stadt. Dazu noch mehr Schulden von unserem Vater, als ich jemals zurückzahlen kann«, entgegnete Jasper ebenfalls ohne Groll. »Und aus unerfindlichen Gründen scheint unser Name bei jedem strenggläubigen und von Armut geplagten Anhängsel der Familie die Erwartung auszulösen, wir seien ungemein freigebig.«

»Du brauchst das Geld auch«, stimmte Peregrine hastig zu.

»Stimmt genau. Und das weiß unser Onkel nur zu gut. Er hat niemanden sonst, dem er es vermachen könnte ...« Jasper brach ab, als der Anwalt sich räusperte.

»Wenn Sie eine Bemerkung gestatten, Mylord ... Lord Bradley hat verfügt, dass sein gesamter Besitz einem Konvent vermacht wird, falls Sie und Ihre Brüder die Bedingungen für den Antritt der Erbschaft nicht vor seinem Tode erfüllt haben ... ein Schweigeorden, wie ich hörte ... in den Pyrenäen.«

Jasper lachte voll aufrichtigem Vergnügen. »Oh, hat er das wirklich getan, der alte Fuchs?« Er ging zur Anrichte, schenkte sich Sherry nach und lachte immer noch, als er seinen Brüdern die Karaffe reichte. »Nun, meine Lieben, dann sieht es so aus, als müssten wir entweder die Straßen nach gefallenen Mädchen durchkämmen und die armen Geschöpfe auf den Pfad der Tugend zurückführen oder uns bestenfalls in der Armut und schlimmstenfalls im Schuldgefängnis gemütlich einrichten.« Er setzte sich in einen Sessel und schlug die Beine lässig übereinander. Das Kerzenlicht spiegelte sich in der silbernen Schnalle seines Schuhs, als er träge mit dem Fuß wippte.

»Ich verstehe nicht, was du daran so amüsant findest, Jasper«, meinte Peregrine.

»Wirklich nicht, Perry? Ich schon.« Sebastian lächelte seinen Bruder verbittert an. »Jasper hat recht. Uns bleibt keine andere Wahl.«

»Alton, nennen Sie uns die mörderischen Bedingungen«, wies Jasper den Anwalt mit einem Kopfnicken an.

»Nun, zunächst einmal müssen Sie alle drei den Letzten Willen erfüllen, bevor auch nur einer unter Ihnen das Erbe antreten kann.« Alton rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Die Eheschließungen müssen, wie Sie bereits wissen, vor dem Ableben des Viscounts stattfinden. Und der Besitz muss in gleiche Teile geteilt werden, nachdem sämtliche Hypotheken von Blackwater Manor und dem Stadthaus Blackwater House getilgt worden sind.«

Jasper nickte zustimmend. »Dann ist dem alten Herrn doch noch ein Rest Familienstolz geblieben. Fahren Sie fort. Erzählen Sie uns mehr über unsere künftigen Ehefrauen. Wie kann man sie beschreiben?«

Der Anwalt schaute wieder in den Papieren nach. Die Röte stieg ihm in die Wangen, als er zu lesen begann. »Jede angehende Braut muss aus einer Lage errettet werden, die das Heil ihrer unsterblichen Seele gefährdet. Keine angehende Braut darf über die Mittel für eine rechtschaffene Lebensführung verfügen. Selbstverständlich ist so eine Braut nicht in den üblichen gesellschaftlichen Zirkeln zu suchen, in denen meine Neffen sich gewöhnlich bewegen, vielmehr ist sie in den weniger anerkannten sozialen Kreisen zu finden, die meine Neffen sicher ebenso frequentieren.«

»Oh, sehr klug«, murmelte Jasper und lachte bewundernd. »Der alte Mann hat sich wirklich selbst übertroffen. Er war immer der Außenseiter der Familie, und jetzt will er die kleingeistige Sullivan-Sippschaft dazu zwingen, Frauen in der Familie zu akzeptieren, die sonst noch nicht einmal die schmutzige Wäsche anrühren dürften. Ein hübscher Rachefeldzug für all die Schläge, die er über die Jahre hat einstecken müssen. Könnt ihr euch die Entrüstung der Tanten vorstellen? Ich kann sie jetzt schon hören.« Lachend schüttelte er den Kopf.

»Das scheint der Kern dessen zu sein, was dem Viscount durch den Kopf gegangen ist, Mylord«, schloss Alton und sah noch unbehaglicher drein.

»Ich kann es kaum glauben, dass Onkel Bradley mit solch einer fürchterlichen Rache aufwartet. Nein, noch nicht einmal Onkel Bradley«, murmelte Peregrine. »Aber du bist das Oberhaupt der Familie, Jasper. Die Sullivans werden deine Frau anerkennen müssen, ob sie wollen oder nicht. Da können sie noch so sehr Gift und Galle spucken.«

»Du hast es erfasst, Perry.« Jasper lächelte in das Sherryglas.

Wieder hustete der Anwalt. »Es gibt noch etwas, Gentlemen.« Er blätterte um. »Seine Lordschaft stellt jedem von Ihnen sofort die Summe von fünftausend Pfund zur Verfügung, um Ihnen die Suche nach einer angemessenen Braut zu erleichtern. Er weiß, dass Sie alle, aus welchen Gründen auch immer, nicht besonders flüssig sind.«

»Noch nie hat jemand so wahr gesprochen«, murmelte Jasper und schaute seine Brüder an. »Nun, Gentlemen, wie sieht es aus? Stimmen wir der Vereinbarung zu trotz der offensichtlichen Misslichkeiten, die sie mit sich bringt?«

Sebastian zuckte die Schultern. Dann trat er mit ausgestreckter Hand vor. »Ja, ich stimme zu ... Perry?«

»Ja ... ja, selbstverständlich.« Peregrine sprang auf und legte seine Hand auf die seines Bruders. »Aber es ist ein verdammt zwielichtiges Geschäft, was auch immer ihr dazu sagt.«

»Natürlich ... was hast du von Onkel Bradley sonst erwartet?«, fragte Jasper, ließ eine Hand auf denen seiner Brüder ruhen und hob das Glas zu einem Toast. »Trinken wir auf den Erfolg unseres Unternehmens.«

Kapitel 1

Der Earl of Blackwater drängte sich durch die Menge betrunkener Nachtschwärmer vor dem Cock, einer Spelunke in Covent Garden, und schlenderte lässig an den Säulen der Piazza entlang. Seine schwarze Kleidung hätte düster gewirkt, wären da nicht der schimmernde Glanz des Samtes und die milchig weiße Seidenspitze an Hals und Handgelenken gewesen. Abgesehen von dem blutroten Rubin in seinem Siegelring trug er keine Juwelen. Das schwarze Haar hatte er mit einer schlichten Silberschnalle im Nacken gebändigt, und in der Hand trug er einen schwarzen Dreispitz, dessen Krempe mit einem goldenen Flechtband verziert war.

Er blieb stehen und schnupfte eine Prise Tabak, während er den Blick träge über die gedrängte Menge schweifen ließ. Es war ein herrlicher Nachmittag Anfang Oktober, die Sonne strahlte golden vom Himmel, und die Leute strömten in Massen auf die Straße, Männer und Frauen jeglichen Stands und Berufs. Eitle Gecken lungerten mit grell geschminkten Huren am Arm herum. Covent Garden war ein Markt, auf dem hauptsächlich Fleisch gehandelt wurde; ob es nun von modisch gekleideten Frauen in Begleitung ihrer Lakaien angeboten wurde oder von ihren weniger glücklichen Schwestern, die sich auf den Türschwellen von Kaffeehäusern oder vor den gedrängten Holzhütten am Rande des Platzes herumdrückten und die zerlumpten Unterröcke lupften, um die plumpen Schenkel einladend zu präsentieren.

Jasper setzte sich den Hut auf, als er weiterging. Wie immer ruhte eine Hand auf dem Heft des Degens an seiner Hüfte; Geist und Körper waren wachsam. Genau wie in allen anderen dicht bevölkerten Gebieten der Stadt machten sich die flinken Finger der Taschendiebe in Covent Garden nur allzu oft an ihren Opfern zu schaffen.

Er kam gerade von Viscount Bradley, und nach dem Besuch in dem überhitzten Schlafzimmer verspürte er das Bedürfnis nach ein wenig frischer Luft. Sein Onkel war so jähzornig wie immer gewesen, hatte sich aber außerhalb des Bettes in einem Sessel neben dem lodernden Kaminfeuer aufgehalten und sich, gegen den ausdrücklichen Rat seiner Ärzte, eine Karaffe rubinroten Portweins schmecken lassen. In der Fensterlaibung hatte Pater Cosgrove gesessen, die Schreibfeder in der Hand, und wieder einmal hatte Jasper tiefes Mitgefühl empfunden, als der Mann bei dem unangekündigten Besuch des Earls einen herzergreifenden Seufzer der Erleichterung ausgestoßen hatte.

Der Hauch eines Lächelns spielte über Jaspers Lippen, als er sich an die Erwiderung des Onkels auf das Angebot seines Neffen erinnerte, seinen Leichnam nach dem Tod in die Familiengruft auf Blackwater Manor überführen zu lassen – eine Erwiderung, die den armen Pater Cosgrove veranlasst hatte, sofort Trost bei seinem Rosenkranz zu suchen und mit den Lippen ein stummes Gebet zu sprechen.

Mein lieber Neffe, ich habe nicht die Absicht, in Gesellschaft dieser frömmelnden, scheinheiligen Ahnen zu verrotten. Ich habe mein Leben gelebt und für meine Sünden gebüßt, und zusammen mit anderen guten, ehrlichen Sündern will ich auf einem guten, ehrlichen Kirchhof ruhen.

Anschließend hatte der Viscount sich erkundigt, wie weit Jaspers Suche nach einer Ehefrau gediehen war; eine Frage, die den Earl of Blackwater daran erinnert hatte, wie sehr er die Angelegenheit bisher vernachlässigt hatte. Er hatte das Haus seines Onkels verlassen, spazierte jetzt durch Covent Garden und zerbrach sich den Kopf über das unlösbare Problem. Denn es war keineswegs seine Absicht, jemanden zu heiraten, geschweige denn irgendein verlorenes Geschöpf, eine Frau, die in ihrer Not auf geistliche Rettung angewiesen war. Not gab es schließlich auch bei ihm im Überfluss; aber ohne das Geld seines Onkels würde er unter Umständen sogar im Schuldgefängnis landen und später dann auf dem Armenfriedhof, ganz zu schweigen von dem unwiederbringlichen Verlust all dessen, was die Blackwaters in Ehren hielten. Und er musste sich eingestehen, dass er auf den Namen und den Stammbaum seiner Familie stolz genug war, um dem drohenden Verlust nicht mit Gleichgültigkeit ins Auge zu blicken.

Unwillkürlich hatte er seine Schritte in Richtung eines Pastetenverkäufers gelenkt. Das Tablett, das um den Hals des Burschen hing, war beladen mit goldenen, knusprigen Gebäckstücken, von denen ein verführerischer Duft aufstieg. Erst jetzt bemerkte Jasper, wie hungrig er war. Seit gestern Abend hatte er nichts mehr gegessen, und bei dem Duft lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Just in dem Moment, als er nach dem mit Münzen gefüllten Lederbeutel in der Innentasche seines Überrocks griff, stieß etwas mit dem Kopf voran in seine Magengrube.

Ein paar Minuten zuvor hatte Clarissa Astley sich durch die wogende Menschenmenge auf der großen Piazza gedrängt und versucht, ihr Opfer nicht aus den Augen zu verlieren. Glücklicherweise war Luke ein großer Mann, und er trug einen hohen Hut aus Biberhaar, der es ihr einfacher machte, ihn im Blick zu behalten. Um neun Uhr an diesem Morgen war ihre einwöchige Wachsamkeit belohnt worden. Luke hatte sein Haus in Ludgate Hill verlassen und war zielsicher über den High Holborn geschritten. Clarissa war ihm im Schutz des regen Verkehrs auf der Durchgangsstraße in gebührendem Abstand gefolgt.

Sie hatte keine Ahnung, wohin es ihn zog, und konnte nur hoffen, dass er sie zu ihrem Bruder führen würde. Oder wenigstens irgendwohin, wo sie einen Hinweis auf Francis' Aufenthaltsort erhalten würde. Nachdem Luke ein paar Mal abgebogen war und seinen Weg durch enge Gassen und über dämmrige Plätze abgekürzt hatte, war klar, wohin es ihn trieb – nach Covent Garden. Dann habe ich mich also im Kreis gedreht, dachte Clarissa müde. Schon früh am Morgen hatte sie die King Street in Covent Garden verlassen und kehrte jetzt, vier Stunden später, wieder dorthin zurück.

Sie versteckte sich hinter den Säulen der Piazza, behielt Luke aber die ganze Zeit über im Blick. Inzwischen hatte er den Schritt verlangsamt und schaute sich die Pamphlete an, die an die Buden am Rande der Piazza angeschlagen worden waren. Beinahe hätte sie zu spät bemerkt, dass er abrupt vor einer Bude stehen blieb, die berüchtigt war für ihre besonders obszönen Angebote; sie konnte den Zusammenstoß gerade noch verhindern, indem sie den Kopf einzog und seitlich abtauchte. Erstaunt registrierte sie, dass ihr gesenkter Kopf auf einen Widerstand aus Fleisch und Blut getroffen war und zwei harte Hände sie unsanft an den Schultern packten.

»Oh nein, das werden Sie nicht tun«, verkündete eine verärgerte Stimme. »Glauben Sie mir, Mistress, den Tricks von Taschendieben bin ich mehr als gewachsen.«

Clarissa hob den Kopf und starrte den Mann, der sie immer noch an den Schultern festhielt, mit ungläubiger Entrüstung an.

»Lassen Sie mich los.« Sie versuchte, sich aus seinem Griff herauszuwinden.

»Warum sollte ich? Sie wollten mich gerade bestehlen«, widersprach Jasper beinahe liebenswürdig.

Obwohl sie eindeutig wütend war, klang ihre Stimme doch sehr melodiös, und er konnte keinerlei Andeutung des Londoner Slangs ausmachen. Jasper ließ den Blick aufmerksam über sie schweifen. Ein Paar jadegrüner Augen schaute ihn ebenso überrascht wie zornig an, und diese Augen gehörten zu den zauberhaftesten Gesichtszügen, die er jemals gesehen hatte.

»Das wollte ich ganz gewiss nicht«, verkündete Clarissa außer sich vor Wut. »Warum sollte ich Sie bestehlen wollen?«

»Warum sollten Sie es nicht wollen?«, fragte er sanft zurück. In Covent Garden trieben sich allerlei Raufbolde und Scharlatane beiderlei Geschlechts herum, und trotz der wundervollen Gesichtszüge der jungen Frau und ihrer feinen Aussprache gab es nichts, wodurch sie sich von den übrigen Schurken auf der Piazza unterschied. Sie trug ein bäuerliches Leinenkleid mit Schürze, hatte das Haar unter ein Tuch gezwängt, das hinten im Nacken geknotet war, sodass er nur ein paar rötlichblonde Strähnen auf ihrer Stirn erkennen konnte. Aber es reichte, dass er den Wunsch verspürte, auch den Rest zu betrachten.

Seine Wut war verflogen. An ihre Stelle war Neugier getreten, und darüber hinaus regte sich auch ein durchaus persönliches Interesse in ihm. »Ich muss doch stark bezweifeln, dass Sie auch nur einen einzigen Penny bei sich tragen. Wie es bei Taschendieben allgemein üblich ist.« Jasper hatte auf gut Glück geraten, hoffte aber, dadurch mehr zu erfahren.

»Wer gibt Ihnen das Recht zu solchen Unterstellungen?«, fragte sie zurück. »Es ist ganz allein meine Sache, was ich bei mir trage und was nicht.«

»Solange es sich nicht um mein Eigentum handelt, würde ich Ihnen zustimmen.« Er schaute sie an. »Wenn Sie nicht versucht haben, mich zu bestehlen, warum haben Sie mir dann mit so unverhohlener Absicht den Kopf in den Magen gerammt?«

Ihre Aufmerksamkeit schweifte ab, wie er ungläubig feststellte. Anstatt ihm eine Antwort zu geben, linste sie sichtlich frustriert an ihm vorbei und achtete gar nicht darauf, dass er sie immer noch bei den Schultern gepackt hatte. »Jetzt habe ich ihn verloren«, brummte sie.

»Wen verloren? Antworten Sie, wenn ich bitten darf. Wen haben Sie verloren, und warum sind Sie absichtlich mit mir zusammengestoßen, wenn nicht in der Absicht, meine Taschen zu plündern?«

»Ich wollte mich vor jemandem verstecken«, erklärte sie ungeduldig, »und Sie haben alles verdorben, weil Sie mich festgehalten haben.«

»Ich bitte um Entschuldigung«, meinte er trocken. »Vielleicht werde ich eines Tages begreifen, welche Logik in diesen Worten steckt. Soweit ich es beurteilen kann, habe ich Ihre Anwesenheit niemandem zu erkennen gegeben. Wer sollte auch an Ihnen interessiert sein?« Er sah sich betont um. Wie üblich drängte sich die Menge achtlos an ihnen vorbei, und Jasper konnte keine verdächtig aufmerksamen Blicke in ihre Richtung ausmachen.

»Warum müssen Sie sich verstecken?« Jasper weigerte sich, den Griff um ihre Schultern zu lockern, obwohl sie sich wieder schüttelte, um sich zu befreien. Aber er war überzeugt, dass sie wie der Blitz in der Menge verschwinden würde, und er war noch nicht bereit, sie tatsächlich ziehen zu lassen.

»Auch das geht Sie nichts an«, sagte sie. »Bitte lassen Sie mich einfach gehen. Sie haben kein Recht, mich festzuhalten.«

»Kommen Sie aus einem der Hurenhäuser?«, fragte er wieder auf gut Glück. Das würde ihre Anwesenheit auf der Piazza erklären. Bestimmt war sie vor einem unwillkommenen Angebot geflüchtet. Die Frau war ganz sicher so zauberhaft und frisch, dass sie nur beste Kundschaft anzog, und er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass die Zuhälter und Kupplerinnen in den Etablissements rund um den Covent Garden sie als wertvollen Neuzugang begrüßen würden. Ihr schlichtes Kleid sprach nicht unbedingt für ein erstklassiges Haus; aber bedachte man ihre gepflegte Aussprache, so hatte sich jemand große Mühe mit dem Polieren ihres Akzents gegeben, um sie auf hochkarätige Kundschaft vorzubereiten. Es mochte also sein, dass sie herausgeputzt worden war, um sie in die Riege der auserwählten Kurtisanen aus gutem Hause einzureihen.

Irgendetwas blitzte in ihren grünen Augen auf, aber er konnte nicht sagen, was es war. Dann antwortete sie ihm: »Kann sein, kann auch nicht sein. Was geht Sie das an, Sir?« Plötzlich verengten sich ihre Augen. »Treiben Sie sich etwa auf dem Markt herum, weil es Sie nach einer kleinen Tändelei gelüstet?«

Das klang ja beinahe so, als wollte sie ihm den Fehdehandschuh hinwerfen. Sie war Jasper zwar ausgewichen, aber gerade die Unbestimmtheit ihrer Antwort musste er doch als Bestätigung seines Verdachts verstehen. Und dann wurde ihm plötzlich die Offensichtlichkeit seines nächsten Zuges bewusst, und er platzte vor Lachen laut heraus.

Das Lachen brachte Clarissa durcheinander. Schon längst bedauerte sie den ärgerlichen Impuls, der sie zu ihrer letzten Frage getrieben hatte. Manchmal war sie wie vom Teufel geritten, und dann musste sie zusehen, wie sie mit den Folgen ihrer unbedachten Bemerkungen zurechtkam.

»Was ist so lustig?«

»Oh, nur ein höchst erfreuliches Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage«, erwiderte er. »Ich glaube, Sie passen. Ja, Sie passen sogar ganz ausgezeichnet.«

»Wozu?« Sie sah zu ihm auf. Ihr Ärger war einem Missbehagen gewichen.

»Es geht um einen kleinen Auftrag, den ich erledigt haben möchte«, meinte er.

»Was für einen Auftrag?« Sie trat einen Schritt zurück, aber er verstärkte den Griff um ihre Schultern.

»Wenn Sie mich begleiten, erkläre ich es Ihnen.«

»Sie sind verrückt. Lassen Sie mich sofort los, oder ich rufe die Wache.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn überhaupt jemand die Wache ruft, dann ich. Und was glauben Sie wohl, wem der Mann glauben wird?«

Ihre jadegrünen Augen blitzten ärgerlich. »Das ist nicht fair.«

»Stimmt«, bestätigte er, »aber so geht es nun mal im Leben. Wie heißen Sie?«

»Clarissa.« Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen, so schnell war ihr die Antwort über die Lippen gekommen.

»Nun, Clarissa, ich schlage vor, dass wir uns auf den Weg machen und irgendwo zusammen ein Glas Wein trinken und uns den Magen füllen. Anschließend werde ich Ihnen einen Vorschlag machen.«

»Ich habe nicht das geringste Interesse an Ihren Vorschlägen, worum auch immer es sich handeln mag ... und wer auch immer Sie sein mögen.« Sie bemühte sich, so stolz und hochmütig zu klingen, wie es angesichts ihrer prekären Lage nur möglich war. Denn es verhielt sich so, wie er es gesagt hatte: Sämtliche Vorteile waren auf seiner Seite. Niemand würde den Worten einer jungen Frau Glauben schenken, die offensichtlich einen niedrigen gesellschaftlichen Rang bekleidete und sich schutzlos hinter den Säulen der Piazza herumtrieb, wenn ihr ein Gentleman widersprach, der Reichtum ausstrahlte und der oberen Schicht der Gesellschaft angehörte.

»Jasper St. John Sullivan, fünfter Earl of Blackwater, zu Ihren Diensten, Madam.« Lächelnd blickte er zu ihr hinunter, und sein Lächeln wirkte, als hätte man ein kleines Licht in seinen Augen angezündet. »Würden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu speisen?«

Sie kniff kurz die Augen zusammen. Plötzlich wirkte ihr Blick nachdenklich und berechnend. Konnte es sein, dass sich ihr hier eine Chance bot? Wenn ihre gegenwärtige Suche sie eins gelehrt hatte, dann, dass sie niemals die Augen vor einer guten Gelegenheit verschließen sollte. Dieser Gentleman konnte sich als überaus mächtiger Freund erweisen, und wenn es in letzter Zeit überhaupt einen Menschen auf der Welt gegeben hatte, der dringend einen Freund brauchte, dann war es Clarissa. Falls die Begegnung ihr lästig fallen würde, war sie durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen – wie sie schon mehr als einmal bewiesen hatte.

Und doch, der Mann hatte irgendetwas an sich ... irgendetwas in seinen schwarzen Augen zog sie an. Sie wollte mehr über den Vorschlag erfahren, von dem er gesprochen hatte. Vielleicht handelte es sich um eine Angelegenheit, bei der sie ihm leicht helfen konnte, um dann ihrerseits seine Hilfe einzufordern. Außerdem war sie, ganz nüchtern betrachtet, einfach hungrig. Seit dem Morgengrauen hatte sie nichts mehr gegessen, und das lag schon einige Zeit zurück.

»Nun gut«, sagte sie und schoss alle Vorsicht in den Wind. »Im Angel werden dienstags Wildpasteten serviert.«

»Dann essen wir Wildpastete.« Jasper ließ zwar ihre Schulter los, ergriff aber stattdessen ihren Arm und legte ihn über seinen; Clarissa sah sich ebenso gefangen wie zuvor, wenn auch weniger offensichtlich. Sie fühlte sich unbehaglich, doch sie hielt sich an einem der belebtesten Plätze Londons auf und war umgeben von Menschen, die ihr sofort zu Hilfe eilen konnten, falls sie laut schreien würde. Andererseits würden die Leute genau das natürlich nicht tun, grübelte sie. Aber sie wusste auch, wie und wo sie ihr Knie zu ihrem Vorteil platzieren konnte; sie besaß scharfe Zähne und konnte schneller rennen als der Mann mit seinem Degen an der Hüfte. Sie wäre in der Menschenmenge verschwunden, bevor er überhaupt bemerkte, dass sie entwischt war.

Mit solch zweifelhaften Beruhigungen ließ sie sich ins Angel fuhren, eine dämmrige, laute und überfüllte Schenke. Auf den ersten Blick konnte sie keine freien Plätze entdecken, aber ihr Begleiter lotste sie mühelos durch die Menge an einen kleinen, abgelegenen Tisch in einer Nische neben dem Kamin. Die beiden Männer, die dort saßen, schauten auf, als sie sich näherten. Ohne ein Wort erhoben sie sich, packten ihre Humpen und verzogen sich in das Gewühl in der Mitte des Raumes.

Die stumme Macht des Reichtums und der Privilegien hatte gesprochen, wieder einmal. »Erstaunlich«, murmelte Clarissa, »ein Blick genügt, und sie verschwinden. Muss ein erhebendes Gefühl sein, solche Macht über andere Menschen zu haben, Mylord.«

Mit dem Fuß stieß er einen Stuhl beiseite und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sich zu setzen. »Oh ja, man kann sich durchaus daran. gewöhnen.« Wieder funkelte ein Lächeln in seinen Augen, als er auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz nahm. Clarissa dachte, dass jemand, der ihn mit ein paar sarkastischen Nadelstichen zur Weißglut treiben wollte, kein leichtes Spiel haben würde.

Jasper warf einen Blick über seine Schulter und entdeckte die Bedienung, die sich mit zwei gefüllten Krügen, aus denen das Ale auf ihre Hände schwappte, den Weg durch das Gewühl bahnte. Gebieterisch machte er auf sich aufmerksam. Sie nickte, stellte die Krüge auf einem Tisch ab, auf dem sich bereits eine Pfütze verschüttetes Ale befand, und wischte sich auf dem Weg zur Nische die Hände an ihrer verschmutzten Schürze ab. Rasch registrierte sie die Eleganz des Gentlemans und die eher triste Aufmachung seiner Begleitung.

»Was wünschen Sie, Sir?«

»Zwei Dutzend Austern, zwei Humpen Rheinwein ... dann die Wildpastete mit einer Flasche Burgunder ... eine von denen, die der Wirt hinten aufbewahrt. Er weiß schon, was ich meine.«

Das junge Mädchen musterte ihn mit einer gewissen Bewunderung. »Ja, Mylord.« Sie machte sich nicht die Mühe, Clarissa ebenfalls einen Blick zuzuwerfen; Clarissa nahm ganz richtig an, dass die Bedienung offenbar zu dem Schluss gekommen war, ihresgleichen schon öfter gesehen zu haben und genau zu wissen, in welchem Geschäftsverhältnis sie zu dem Gentleman stand. »Aber Jake lässt uns hier draußen keine Flaschen servieren. Die sind nur für die privaten Partys und so.«

»Du wirst feststellen, dass er für uns eine Ausnahme macht«, erwiderte Jasper gelassen. Als die Bedienung den Tisch verlassen hatte, nahm Jasper eine Prise Schnupftabak, ließ die silberne Tabaksdose wieder in seiner Manteltasche verschwinden und schaute sein Gegenüber nachdenklich an.

»Nun, Clarissa, seit wann sind Sie in London?«

»Wie kommen Sie darauf, dass ich nicht schon mein ganzes Leben hier verbracht habe?« Die Frage erstaunte sie.

»Oh ... es ist etwas an Ihnen ... an Ihrer Stimme. Sie sprechen nicht wie jemand, der in London geboren und aufgewachsen ist.«

»Sie aber auch nicht, Mylord«, betonte sie.

»Nein. Auch meine Wurzeln liegen anderswo, und ich bin in London nur zu Gast.«

»Aber Sie besitzen hier ein Haus?«

»Das stimmt. Nun, seit wann sind Sie in London?«

»Seit ein paar Monaten«, erwiderte sie ausweichend, denn sie war fest entschlossen, dem Earl keinesfalls persönliche Details anzuvertrauen, bevor sie nicht herausgefunden hatte, auf welche Art er ihr nützlich sein könnte.

»Aus welchem Teil des Landes stammen Sie?« Er beugte sich vor und wischte die Krümel mit der behandschuhten Hand vom Tisch, bevor er seine Unterarme darauflegte. Seine schwarzen Augen musterten sie zwar durchdringend, aber Clarissa stellte fest, dass nichts in seinem Blick unfreundlich oder gefährlich wirkte.

»Aus der Gegend von Bedfordshire«, erwiderte sie schulterzuckend. »Ich bin hergekommen, um mein Glück zu machen.« Es schien vernünftig, ihm eine Erklärung zu liefern, und zwar eine, die so vage war, dass sie alles und nichts bedeuten konnte. Eine nutzlose, hingeworfene Bemerkung. Sie lachte. »Eine törichte Hoffnung, könnte man sagen.«

»Nicht zwangsläufig.« Er hielt inne, als die junge Bedienung sich über seine Schulter beugte und eine Platte mit geöffneten Austern in die Mitte des Tisches stellte. Das perlgraue Muschelfleisch glänzte in den schillernden Schalen. Dann platzierte sie zwei Zinnbecher mit goldfarbenem Wein neben der Platte und entfernte sich.

»Man sagt, dass Austern die Lust anregen«, bemerkte Jasper, schlürfte eine Auster aus der Schale und genoss es, wie ihm die Flüssigkeit die Kehle hinunterrann. »Aber das wissen Sie sicher.« Er griff nach dem Zinnbecher und trank einen tiefen Schluck, ohne seine Begleiterin auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Warum sollte ich das wissen? Clarissa wunderte sich über diese Bemerkung und nahm ebenfalls eine Auster. Weder ihre Mutter noch ihre Gouvernante hatten es für nötig gehalten, ihr in solchen Dingen Unterricht zu erteilen. Mit einer kräftigen Bewegung der Zunge löste sie die Auster aus der Schale, ließ sie in ihren Mund gleiten und griff gleich nach der nächsten. Als die Auster sich kurz vor ihren Lippen befand, hielt sie inne und fragte sich, warum er sie so eindringlich musterte. Aber dann löste sie das zarte Fleisch mit der Zunge und schlürfte es aus der Schale.

Einen Moment lang war Jasper wie gebannt. Ihre Geste war geradezu unverfroren verführerisch, und wenn sie es tatsächlich darauf angelegt hatte, sich einen wohlhabenden Kunden zu angeln, dann ging sie überaus geschickt zu Werke. Bei jeder anderen Frau hätte ihn die verführerische Art amüsiert und erregt, aber aus einem unbestimmten Grund passte sie nicht zu ihr ... er bemerkte, dass sie ihm bei ihr ganz und gar nicht gefiel.

»Was ist los?«, fragte sie, legte die leere Schale ab und griff nach der nächsten Auster. »Warum starren Sie mich so an?«

»Oh, spielen Sie nicht das Unschuldslamm.« Sein Lachen klang ein wenig zornig, als er sich die nächste Auster nahm. »Ich schätze es sehr, wenn meine Frauen gleich zur Sache kommen. Und das gilt auch für meine ...«, er zögerte, suchte nach dem passenden Wort, »... meine Arrangements. Eine Ware steht zum Verkauf, man einigt sich auf den Preis, und alle sind zufrieden.«

Ach du lieber Himmel, wie hatte sie ihre Antwort nur für einen schlauen Weg halten können, um seine Neugier zu zerstreuen? Ich bin hergekommen, um mein Glück zu machen, hatte sie gesagt. Was hatte sie erwartet, wie er diese Worte auffassen würde? Es war höchste Zeit, diese Maskerade zu beenden. Der Mann war eine Nummer zu groß für sie, und mit jedem weiteren Wort würde sie sich nur tiefer in den Schlamassel reiten.

Ihre Stimme klang ruhig, aber entschlossen, als sie weitersprach. »Ich bin sicher, dass Ihre Frauen sich mehr als glücklich schätzen, Ihre Bedürfnisse zu befriedigen, Sir. Ich hingegen gehöre nicht zu dieser Sorte und habe nicht das geringste Interesse, daran etwas zu ändern.« Sie stieß ihren Stuhl zurück und wollte aufstehen, aber er schnellte nach vorn und drückte ihre Hände auf den Tisch.

»Warten Sie, Clarissa, nur eine Minute. Wir wissen beide, welches Spiel gespielt wird. Also lassen Sie uns die Karten auf den Tisch legen. Glauben Sie mir, wenn Sie mit solchen Tricks den Preis hochtreiben wollen, ziehen Sie am Ende den Kürzeren. Ich finde es weder amüsant noch anregend.«

Clarissa starrte ihn ungläubig an. Aber ihre Ungläubigkeit galt mehr sich selbst und ihrer eigenen Dummheit. Natürlich hätte sie damit rechnen müssen, dass sein Vorschlag in diese Richtung ging. Denn schließlich war er auf sie gestoßen, als sie inmitten der Dirnen über die Piazza gestreunt war; sie hatte nicht rundheraus abgestritten, dass sie in einem der Hurenhäuser lebte – nun, das wäre auch schwerlich möglich gewesen, aber ihre Umstände unterschieden sich doch gewaltig von denen der anderen Frauen. Sie musste sich so schnell wie möglich aus der Affäre ziehen.

»Lassen Sie mich gehen. Bitte.«

Er zog seine Hand nicht fort. »Meine Liebe«, meinte er ungeduldig, »Sie sind mitgekommen, weil Sie sich einen Vorschlag anhören wollten. Es gab nur einen einzigen Vorschlag, den ich gemeint haben könnte. Also tun Sie nicht so beleidigt.«

Mit der freien Hand schnappte Clarissa sich die kleine Austerngabel. Eine Sekunde später heulte der Earl of Blackwater auf vor Schmerz und schlug sich mit der blutenden Hand auf den Mund. Clarissas Stuhl flog krachend zu Boden, so schnell war sie verschwunden.

Jasper starrte ihr nach, sprang fluchend auf und stieß beinahe mit der Bedienung zusammen, die ein Tablett mit Wildpastete und einer verstaubten Flasche Burgunderwein trug. Er warf eine Münze auf den Tisch, drängte sich durch den Schankraum hinaus auf die Piazza und ließ den Blick auf der Suche nach der jungen Frau über die Menge schweifen. Sie verschwand gerade hinter einer der Säulen. Jasper machte sich an die Verfolgung, gewann mit seinen langen Schritten rasch an Boden.

Als er an der St. James Street um die Ecke bog, sah er sie wieder. Sie war noch ein Stück voraus, blieb aber stehen, um sich umzuschauen. Er verbarg sich hinter einem Pfosten und folgte ihr in einigem Abstand, als sie ihren Weg fortsetzte. Er konnte sich nicht erklären, warum er sich überhaupt um die Frau kümmerte; in einer Stadt wie London gab es Tausende wie sie. Aber noch nie war ihm eine mit so einer faszinierenden Haltung begegnet, gestand er sich ein. Sie besaß eine rasche Auffassungsgabe, einen wendigen Geist, der sie zur idealen Partnerin in der Maskerade machen würde. Und er fühlte sich durch ihr merkwürdiges Benehmen provoziert. Warum sollte sie einen vermutlich ausgezeichnet zahlenden Kunden mit solchen Unhöflichkeiten vergraulen? Er rieb sich über die schmerzende Hand und wusste, dass er sich im Moment nichts mehr wünschte als handfeste Rache. Schließlich hatte sie ihn auch noch um den Burgunder und die Pastete gebracht.

Sie hatte ihr Ziel erreicht. Er verbarg sich im Türbogen eines Badehauses und beobachtete, wie sie in einem verschwiegenen Gebäude in der King Street verschwand. Es handelte sich um das Bordell von Mother Griffiths; ein Haus, das zwar nur Kundschaft aus höchsten Kreisen bediente, gleichwohl aber keinen guten Ruf genoss.

So war es also um Mistress Clarissas wütende Verteidigung ihrer Unschuld bestellt. Jasper lächelte in sich hinein. Welches Spiel sie auch immer spielen mochte, die besseren Trümpfe hielt er in der Hand. Er überquerte die Straße und ließ den Messingklopfer auf die Tür sausen.

Kapitel 2

Clarissa betrat die Halle und hörte, wie der Diener die Tür hinter ihr schloss. Sie seufzte erleichtert. Sie fühlte sich so erschöpft, als wäre sie von einer Meute Jagdhunde gehetzt worden. Offenbar war es ein großer Fehler gewesen, sich einzubilden, dass sie in dieser verwirrenden und verdorbenen Stadt selbst auf sich achtgeben könne. Was um alles in der Welt hatte sie bewogen zu glauben, es mit einem Earl of Blackwater aufnehmen zu können? Sich in einen Händel mit ihm einzulassen?

Gelächter, sanfte Stimmen und die schwachen Klänge eines Pianofortes drangen durch die Doppeltüren, die von der Halle abgingen. Einige Mädchen kümmerten sich anscheinend schon um die Unterhaltung der Gäste, obwohl es für ihre Arbeit eigentlich noch zu früh war. Aber die meisten Frauen hatten Stammkunden, die sie mit der Gastfreundschaft empfingen, die der Lady eines herrschaftlichen Anwesens würdig war. Der Verkauf von nacktem Fleisch war schon ein seltsames Gewerbe, dachte Clarissa.

Sie ging die ausladende Treppe hoch, bis sie im großen Flur des zweiten Stockwerks angekommen war, stieg dann weiter über eine schmale Treppe zum Dachboden hinauf, wo sie ein eigenes kleines Reich bewohnte.

Es handelte sich um eine Kammer direkt unter dem Dach mit einer Luke, die auf die King Street hinauszeigte. Eigentlich war es das Zimmer eines Dienstmädchens gewesen, einfach möbliert mit einem klapprigen Bett an der Wand, einer wackligen Kommode, auf der eine gesprungene Waschschüssel und ein Wasserkrug standen, und einem in die Wand eingelassenen Kleiderschrank. Außerdem gab es noch einen niedrigen Stuhl neben dem kleinen Feuerrost, der jetzt nicht genutzt wurde. Wenn der Winter anbrach, würde sie Kohlen kaufen und die Last drei Stockwerke aus dem Keller ins Dachgeschoss schleppen müssen.

Nein, wenn der Winter kam, würden Francis und sie irgendwo warm und trocken untergekommen sein, weit weg von der Stadt. Clarissa setzte sich auf das Bett, löste den Knoten ihres Kopftuchs und zog sich die Schuhe aus. Eigentlich sollte sie die Straßen auf der Suche nach einer geeigneteren Unterkunft durchstreifen; aber nach ihrem nutzlosen Rundgang nach Ludgate Hill und zurück taten ihr die Füße weh, und im Moment fehlte ihr einfach die Kraft. Hier war sie wenigstens allein und wurde nicht bedroht, obwohl die Behausung ziemlich unpassend war.

Die Kammer, die sie zurzeit bewohnte, hatte Clarissa gleich nach ihrer Ankunft in der Stadt über eine Anzeige gefunden, die in einem der Läden auf der Piazza aushing. Im Nachhinein war ihr natürlich klar geworden, dass die Zimmer in den Häusern am Covent Garden nur an bestimmte Leute vermietet wurden, besser gesagt an Frauen, die sich ihr Geld im horizontalen Gewerbe verdienten. Und nach der Pleite an diesem Vormittag sah es danach aus, als hätte sie immer noch nicht begriffen, wie die Uhren in dieser Gegend der Stadt tickten.

Nach ihrem anfänglichen Erstaunen darüber, dass eine junge Lady, die eindeutig keine Prostituierte war, die Kammer mieten wollte, hatte Mother Griffiths herzlich gelacht und zugestimmt, falls Clarissa sich bereit erklärte, dieselbe Miete zu zahlen wie die arbeitenden Mädchen im Haus. Nach ihrer Ankunft in dieser Stadt, die sie ebenso sehr verwirrte wie verängstigte, war Clarissa über das freundliche Angebot der Vermieterin froh gewesen und hatte angenommen. Inzwischen wusste sie, dass sie hier nicht bleiben konnte. Schon mehrmals hatte es auf der Treppe unangenehme Begegnungen mit der Kundschaft gegeben, und die Aussicht auf weitere Zusammenstöße zerrte so sehr an ihren Nerven, dass sie kaum noch den Mut aufbrachte, ihre Kammer abends zu verlassen.

Und nun hatte sie sich wie ein kleines Dummchen verhalten, hatte bei einem vollkommen fremden Mann den Eindruck erweckt, dass sie nicht abgeneigt war, Einladungen anzunehmen, die auch die gewöhnlichen Bewohnerinnen der Badehäuser und Bordelle am Rande der Piazza nicht ausschlagen würden. Gut, sie hatte gerade noch mal entwischen können und ihre Lektion hoffentlich gelernt. Aber dabei hatte sie Luke aus den Augen verloren. Obwohl sie inzwischen überzeugt war, dass sein Ziel in Covent Garden höchstwahrscheinlich nichts mit Francis' Verbleib zu tun hatte. Luke hatte nur sein Vergnügen im Sinn gehabt. Warum sonst hätte er sich auf der Piazza herumtreiben sollen?

Morgen würde sie die Beobachtung seines Hauses wieder aufnehmen und hoffentlich mehr Glück haben. Bis dahin musste sie noch einen ganzen Nachmittag und den Abend überstehen. Dem Kreischen, dem Poltern, den quietschenden Betten lauschen, den gelegentlichen Schreien und Schritten die Treppe hinauf und hinunter, all den Geräuschen, mit denen man es nachts in einem lebhaften Bordell zu tun hatte.

Sie lehnte sich auf dem Bett zurück und versuchte, ihren Hunger zu ignorieren. Die beiden Austern hielten nicht besonders lange vor, und sie bedauerte beinahe, dass sie sowohl auf die restlichen Austern als auch auf die Wildpastete und den Burgunder verzichtet hatte. Vielleicht hätte sie einfach so tun sollen, als würde sie dem Vorschlag des Earls lauschen, um im Gegenzug wenigstens eine gute Mahlzeit genießen zu können. Sie schloss die Augen.

Ob Francis wohl Hunger hat?

Abrupt setzte Clarissa sich auf. Plötzlich war ihr Hunger verflogen. Wie hatte sie nur vergessen können – wenn auch nur für ein paar Sekunden –, warum sie überhaupt hier war? Schließlich war die Suche nach ihrem kleinen Bruder noch nicht weiter gediehen als vor einer Woche, als sie gerade erst angekommen war. Und es gab eine Sache, die ihr immer deutlicher vor Augen stand: Ohne fremde Hilfe würde sie ihn niemals finden. Die Stadt kam ihr vor wie ein wogendes, verwirrendes Monster, durchzogen von einem Netz sich ständig verzweigender Straßen und Gassen, merkwürdigen dunklen Höfen mit wabernden Schatten ... und überall gab es Menschen, hungrige, laute und ruppige Menschen. In jeder Ecke schien Gefahr zu lauern, irgendeine dunkle Bedrohung, und jedes Mal, bevor sie sich hinauswagte, musste Clarissa sich innerlich stählen.

Sie erhob sich von ihrem klapprigen Bett und ging zu dem Lederkoffer, der die wenigen Besitztümer barg, die sie mit nach London gebracht hatte. Eigentlich hatte es nie ein ausgedehnter Besuch werden sollen. Sobald Francis sich wieder in ihrer Obhut befand, würde sie sich den schmutzigen Staub der Stadt aus den Kleidern schütteln und sich einen anderen Unterschlupf suchen. Irgendeinen sicheren Hafen ansteuern, in dem sie sich die kommenden zehn Monate verstecken konnten. Sie kniete sich vor den Koffer, öffnete ihn und nahm den Brief heraus. Er war in einer schlechten, krakeligen Handschrift geschrieben, aber die Botschaft war unmissverständlich. Wenn sie den anonymen Briefschreiber doch nur ausfindig machen könnte ...

Der Diener, der auf das gebieterische Klopfen des Earl of Blackwater hin die Tür öffnete, verbeugte sich tief. »Mylord. Was für eine Freude, Sie zu empfangen, wenn ich so offen sein darf?«

»Sie dürfen.« Der Earl reichte ihm Hut und Spazierstock und betrat die Halle. »Ist Mistress Griffiths zu Hause?«

»Ja, Mylord. Ich werde sie sofort über Ihre Anwesenheit unterrichten. Wenn Sie solange im Salon Platz nehmen möchten?« Der Diener öffnete die Tür zu einem kleinen, angenehm möblierten Zimmer, in dem die männlichen Besucher gewöhnlich auf ihre Ladys warteten. Das Zimmer war leer. Jasper ging zum Fenster und schaute auf die Straße hinunter, die Hände lässig auf dem Rücken verschränkt.

Nach wenigen Minuten wurde die Tür wieder geöffnet. »Mylord Blackwater, was für ein seltenes Vergnügen.« Eine Frau in einer wogenden Robe à la française, einem Kleid im französischen Stil, von schockierender gelber Farbe, das hochgetürmte Haar unter einem auffällig gestreiften Turban verborgen, schloss die Tür hinter sich und schaute ihren Besucher fragend an. »Darf ich zu hoffen wagen, dass Sie mein bescheidenes Etablissement in geschäftlichen Angelegenheiten aufsuchen, Mylord?«

Jasper wendete sich vom Fenster ab und verbeugte sich mit einem freundlichen Lächeln. »Guten Tag, Nan.« Er führte seine Augengläser vor sein Gesicht und sagte: »Sie sehen bemerkenswert gut aus, Madam.«

»Oh, Sie Schmeichler.« Sie winkte ab. »Um die Wahrheit zu sagen, ich rackere mich ab bis zur Erschöpfung. Darf ich Ihnen ein Glas Madeira anbieten?«

»Mit Vergnügen.« Er setzte sich in die Ecke des Sofas und lächelte immer noch freundlich, während er sie betrachtete. Margaret Griffiths, gute Kunden nannten sie vertraulich Nan, befand sich in jenem gewissen Alter, in dem selbst großzügig aufgetragene Schminke die Spuren nicht mehr zu tilgen vermochte, die ein Leben am Rande der Ausschweifung hinterlassen hatte. Ihr Kleid hätte einer jüngeren Frau deutlich besser zu Gesicht gestanden, und dem überquellenden Busen fehlte der unverfälschte cremefarbene Teint, den ein tief ausgeschnittenes Dekolleté eigentlich präsentieren sollte. Aber niemand würde den Fehler begehen, Mother Griffiths als alte Vettel abzutun, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hatte; sie galt als eine der scharfsinnigsten Geschäftsfrauen in der ganzen Stadt.

Er schwenkte sein Augenglas in der Hand und fragte: »Nun, wie laufen die Geschäfte dieser Tage?«

»Oh, recht ordentlich. Wie immer.« Sie reichte ihm den Madeira und nahm ihm gegenüber Platz. »Es findet sich immer Kundschaft für die Ware, die ich anzubieten habe. In guten wie in schlechten Zeiten.« Sie nippte an ihrem Madeira. »Nur Sie, Jasper, Sie gehören leider nicht mehr dazu. Zumindest nicht mehr seit Ihrer Volljährigkeit.«

Jasper lächelte verhalten. Er erinnerte sich an seinen ersten Besuch in Mother Griffiths Etablissement ... sechzehn Jahre alt war er damals gewesen, und sein Onkel Bradley, der in jenen Tagen sein Geschäftsimperium in Indien aufbaute, hatte ihn während einer seiner seltenen Besuche in England begleitet. Lord Bradley war entsetzt gewesen, dass sein Neffe sich immer noch im Zustand der Jungfräulichkeit befand, und hatte sich mit wahrer Hingabe darum bemüht, dem Mangel abzuhelfen. Diese Geschichte hatte sich natürlich ein paar Jahre vor dem Entschluss Seiner Lordschaft zugetragen, in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren. Und Jasper hegte immer noch seine Zweifel an dieser merkwürdigen Bekehrung.

»Ja, Sie haben Ihre Besuche damals sehr genossen«, bemerkte Mother Griffiths, als könnte sie seine Gedanken lesen. »Wie war doch gleich der Name des jungen Füllens, das Ihr Herz eroberte? Meg ... Mollie ... Millie ...«

»Lucille«, korrigierte Jasper trocken. »Lucy.«

»Oh, ja, jetzt fällt es mir wieder ein.« Sie nickte. »Hat Ihr Herz erobert und gebrochen, wenn ich mich recht erinnere.«

»Ich war ein naiver Einfaltspinsel.« Jasper schüttelte den Kopf. »Es ist mir niemals in den Sinn gekommen, dass eine Liebesdienerin sich Gefühle in ihrem Geschäft nicht leisten kann.«

»Und seither sind Sie solchen Ladys aus dem Weg gegangen, wenn ich recht verstehe.« Sie zog die Brauen hoch.

»Gewisse Arrangements treffe ich gern exklusiv«, stimmte er zu, »und das, meine liebe Nan, führt mich zu dem Anlass meines Besuchs ... obwohl Ihre Gesellschaft allein selbstverständlich schon Grund genug wäre.«

Sie lachte. »Welch süße Worte, mein Lieber. Sie hatten schon immer eine schmeichelnde Zunge, selbst als Grünschnabel.« Sie griff nach der Karaffe und schenkte nach. »Nun, heraus mit der Sprache.«

»Vorhin bin ich auf der Piazza auf eines Ihrer Mädchen gestoßen.«

»Oh?« Sie kniff die Augen zusammen. »Ich wusste gar nicht, dass heute jemand das Haus verlassen hat. Die meisten Mädchen liegen noch im Bett und halten ihren Schönheitsschlaf. Oder sie bereiten sich auf den Abend vor. Nur Anna und Marianna empfangen im Salon.«

»Es handelt sich um eine eher ungewöhnliche junge Lady«, erklärte Jasper bedächtig und nippte an seinem Wein. »Recht schlicht gekleidet, aber in der Haltung alles andere als schlicht. Ich glaube, sie hieß Clarissa.«

Plötzlich wirkte Nans Gesicht leer und ausdruckslos. Aus der Vergangenheit wusste Jasper, was los war: Wenn es darum ging, über Geschäfte zu sprechen und zu verhandeln, zeigte Nan Griffiths, dass sie ihre Gedanken ebenso klug zu verbergen verstand wie der geschickteste Glücksspieler der Stadt.

»Clarissa«, murmelte sie. »Ja ... ganz frisch ... ein Neuankömmling ... Mädchen vom Lande.«

»Das sagte sie auch.«

»Sie haben sich ausführlicher mit ihr unterhalten?«

»Ich habe es versucht, aber ich muss sie irgendwie beleidigt haben.« Reumütig betrachtete er seine Hände. Um die beiden kleinen Einstiche auf der Hand, wo sie ihn mit der Austerngabel getroffen hatte, bildete sich eine Schwellung. »Ich bin mir nicht sicher, ob es daran lag, was ich gesagt habe, oder an der Art, wie ich es gesagt habe. Wie auch immer, sie hat ziemlich stürmisch reagiert. Ich hatte die Absicht, ihr einen Vorschlag zu machen, aber sie hat die Flucht ergriffen, bevor ich anfangen konnte. Ich bin ihr hierher gefolgt.«

»Hat sie ... hat sie gesagt, dass sie hier arbeitet?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, darüber hat sie kein Wort verloren. Aber wie gesagt, ich bin ihr gefolgt, sah sie eintreten und nahm an, dass ... es sei denn ...« Er hielt inne. »Gehört sie zum Hauspersonal? Ist sie ein Dienstmädchen?«

»Nein ... nein, das nicht.« Nan tippte mit den lackierten Fingernägeln auf die Stuhllehne. »Sie hatten die Absicht, ihr einen Vorschlag zu machen ... welchen, wenn ich fragen darf?«

»Ich würde es vorziehen, direkt mit Clarissa zu sprechen«, wehrte er ab. »Bitte verzeihen Sie, Nan, aber es handelt sich um eine delikate Angelegenheit. Selbstverständlich zahle ich Ihnen die übliche Provision.«

»Für ihre exklusiven Dienste?«

Er nickte. »Das versteht sich.«