Lore-Roman 107 - Ursula Fischer - E-Book

Lore-Roman 107 E-Book

Ursula Fischer

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es ist Zufall, dass die beiden jungen Frauen am gleichen Tag, zur gleichen Stunde in die Klinik eingeliefert werden. Sabine Gräfin Grietenholm liegt im besten Zimmer des Hauses, während Christa Limberg wesentlich bescheidener untergebracht ist. Im Kinderzimmer stehen die beiden Körbe nebeneinander. Zwei Jungen liegen in ihnen, beide fast gleich schwer, beide fast zur gleichen Zeit geboren, und doch werden sie ein ganz verschiedenes Schicksal haben.
Die Hebamme blickt auf die Säuglinge hinab. Sie ist die Mutter von Christa. Sie weiß, dass ihre Tochter die Wahrheit nicht verkraften kann, denn erst kürzlich hat sie ihren Mann verloren. Christa braucht jetzt ein gesundes Kind, um seinen Verlust ertragen zu können.
Aber das Schicksal ist nicht gerecht. Die Grietenholms sind reich, denkt die Hebamme. Sie können das kranke Kind in ein Heim geben. Christa kann es nie. Und die Grietenholms sind gesund, sie werden noch viele Kinder bekommen können, gesunde Kinder.
Die beiden Körbchen stehen nebeneinander, und wenn man nun dem Schicksal ein wenig nachhilft, wenn man es korrigiert ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 157

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

In der Wiege vertauscht

Vorschau

Impressum

In der Wiege vertauscht

Ein dramatischer Schicksals- und Liebesroman

Von Ursula Fischer

Es ist Zufall, dass die beiden jungen Frauen am gleichen Tag, zur gleichen Stunde in die Klinik eingeliefert werden. Sabine Gräfin Grietenholm liegt im besten Zimmer des Hauses, während Christa Limberg wesentlich bescheidener untergebracht ist. Im Kinderzimmer stehen die beiden Körbe nebeneinander. Zwei Jungen liegen in ihnen, beide fast gleich schwer, beide fast zur gleichen Zeit geboren, und doch werden sie ein ganz verschiedenes Schicksal haben.

Die Hebamme blickt auf die Säuglinge hinab. Sie ist die Mutter von Christa. Sie weiß, dass ihre Tochter die Wahrheit nicht verkraften kann, denn erst kürzlich hat sie ihren Mann verloren. Christa braucht jetzt ein gesundes Kind, um seinen Verlust ertragen zu können.

Aber das Schicksal ist nicht gerecht. Die Grietenholms sind reich, denkt die Hebamme. Sie können das kranke Kind in ein Heim geben. Christa kann es nie. Und die Grietenholms sind gesund, sie werden noch viele Kinder bekommen können, gesunde Kinder.

Die beiden Körbchen stehen nebeneinander, und wenn man nun dem Schicksal ein wenig nachhilft, es korrigiert ...

»Nehmen Sie gefälligst mehr rote Rosen, ist schließlich ein Brautbukett«, schimpfte die Chefin, als Christa den Strauß fertig gesteckt hatte. »Bei denen ist das nicht wie bei armen Leuten«, keifte sie weiter. »Als Sie geheiratet haben, da genügten wohl ein paar Nelken, aber für die Gräfin Grietenholm ist das Beste gerade gut genug.«

Christa Limberg schluckte tapfer ihren Zorn hinunter. Manchmal musste sie die Zähne zusammenbeißen, um ihrer Chefin nicht unverblümt die Meinung zu sagen.

Aber sie brauchte das Geld, das sie hier verdiente. Wenn es auch wenig genug war. Ralf musste sich als Vertreter erst einen festen Kundenstamm schaffen, und bis dahin würde sie mitarbeiten.

»Binden Sie den Strauß neu!«, befahl Frau Krumbiegel, bevor sie hinausging.

Christa atmete auf, als sie allein war. Sie nahm den Brautstrauß, den sie so geschmackvoll zusammengestellt hatte, in den Arm und trat vor den kleinen, halbblinden Spiegel.

Sie sah sich selbst in ihrem Brautkleid. Sie hatte damals nur Nelken gehabt, aber darauf kam es nicht an. Ein halbes Jahr lag ihre Hochzeit zurück, und noch immer hielt sie jenen Tag für den glücklichsten ihres Lebens. Ralf war so nett und zärtlich. Sie hätte keinen besseren Mann bekommen können, auch wenn er noch nicht viel verdiente.

Sollte sie tatsächlich noch mehr Rosen in den Strauß binden? Etwas von der Wirkung der Farben, die sie zusammengefügt hatte, würde dadurch verlorengehen.

Ein Räuspern ließ sie herumfahren. Ein fremder Herr stand in der Binderei.

»Wirklich wunderschön«, sagte er überwältigt. »Ich bewundere Ihren Geschmack, Frau Krumbiegel. Da wird meine Braut sich freuen.«

Das ist Graf Grietenholm, schoss es Christa durch den Kopf. Sie musterte ihn verstohlen und fand, dass er eigentlich aussah wie alle netten Männer.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir diesen entzückenden Strauß morgen pünktlich um zehn Uhr zu schicken?«, fragte er.

»Es wird mir eine Ehre sein«, versicherte die Krumbiegel kriecherisch. »Ich werde das Mädchen schicken.«

Graf Grietenholms Blick glitt flüchtig über die junge Frau. Er drückte Christa einen Schein in die Hand und nickte ihr freundlich zu, bevor er sich abwandte.

»Lassen Sie ihn also so!«, knurrte die Krumbiegel, als sie zurückkam. »Hab Ihnen ja gleich gesagt, dass er so richtig ist, aber Sie wissen ja immer alles besser. Zu viel rote Rosen sind geschmacklos. Doch davon verstehen Sie nichts.«

Es fiel Christa schwer, ihr Lachen zu unterdrücken. Sie wusste, dass ihre Chefin in vollem Ernst gesprochen hatte. Sie nahm einen Kranz und begann, weiße Chrysanthemen hineinzuflechten.

Ihre Gedanken kreisten um den Grafen. Man wunderte sich allgemein, dass seine Wahl ausgerechnet auf ein Mädchen aus armer Familie gefallen war. Christa kannte Fräulein von Welsingen nur von einem Zeitungsfoto. Aber sicherlich ist sie sehr schön, dachte die junge Frau. Sonst hätte er sie nicht gewählt. Aber glücklicher als ich kann sie auch nicht sein. Ob Ralf heute mehr Erfolg hatte als sonst?

Christas Finger blieben keinen Moment müßig, während ihre Gedanken um den geliebten Mann kreisten. Plötzlich glaubte sie, seine Stimme zu hören. Sie warf die Blumen schnell in den Eimer zurück und stürzte hinaus.

Frau Krumbiegel wirkte noch mürrischer als sonst.

»Meine Angestellten haben zu arbeiten und keine Privatgespräche zu führen, mein Herr!«

Ralf achtete nicht auf sie, als er seine kleine Frau zu Gesicht bekam. Unbekümmert um Frau Krumbiegels missbilligenden Blick zog er sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf den Mund.

»Ich habe den Abschluss mit Kohlmeier & Co in der Tasche«, strahlte er. »Dein Daumendrücken hat genützt, mein Herz!«

Frau Krumbiegel stieß ihm ihren Zeigefinger in den Rücken.

»Sie, hier wird nicht geküsst!«

»Ist schon gut«, strahlte Ralf sie an.

Vor seinem Lächeln schmolzen sonst die härtesten Herzen, aber Frau Krumbiegel erwies sich wieder einmal als Ausnahme. Sie behielt ihre grimmige Miene bei.

»Sind Sie mit Ihrer Arbeit schon fertig?«, fragte sie Christa gehässig. »Ich bezahle Sie nicht für das Herumknutschen, merken Sie sich das gefälligst.«

»Es war doch nur eine Minute, liebe Frau. Ich habe einen großartigen Abschluss getätigt ...«

Solange er aus diesem Anlass keine Blumen bei ihr kaufte, war es Frau Krumbiegel egal.

»Wir haben noch sehr viel zu tun«, warf sie Ralf Limberg hin und drehte ihm den Rücken zu.

Christa blieb nichts anderes übrig, als wieder in den hinteren Raum zurückzugehen. Aber sie war froh, dass Ralf endlich einen größeren Erfolg gehabt hatte.

»Sie, Frau Limberg, das sagen Sie Ihrem Mann, so etwas wie heute, das gefällt mir ganz und gar nicht«, knurrte Frau Krumbiegel. »Und den Brautstrauß für den Herrn Grafen, den hätten Sie ruhig schon ins Wasser stecken können. Vertrocknete Blumen kommen für den nicht infrage. Ich will ja schließlich Ehre mit meinem Geschäft einlegen. Bei Ihnen muss man immer dahinterstehen, sonst machen Sie alles falsch.«

Christa überhörte ihren ungerechtfertigten Tadel. Ralf war ja auf dem besten Wege, ein erfolgreicher Mann zu werden. Wie konnten die kleinen Gehässigkeiten dieser vom Leben verbitterten Frau sie da kränken?

***

Ralf Limberg liebte seine kleine, entzückende Frau so sehr, dass er ihr sogar die Haltung ihrer Mutter verzieh.

Leni Schröder mochte ihn nicht, und sie machte aus ihrer Abneigung keinen Hehl. Er verdiente nicht genug, das war der Hauptgrund, und dann war sie der Meinung, dass überhaupt kein Mann der Welt für ihre Christa gut genug war. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, wie sehr die jungen Leute sich am Anfang ihrer Ehe einschränken mussten.

Nicht einmal eine Wohnung konnten sie sich richtig möblieren. Die wenigen Sachen, die in den beiden Räumen standen, stammten größtenteils vom Trödler. Sicher, Ralf hatte die Schränke und den Tisch neu gestrichen, aber nach Meinung der Hebamme Leni Schröder hatte ihre einzige Tochter Anspruch auf etwas Besseres.

Dreimal in der Woche besuchte sie abends ihre Tochter. Sie machte sich nicht klar, wie sehr sie die junge Ehe störte, denn sie meinte es schließlich nur gut. Sie kam kurz nach dem Abendessen, pflegte sich in den einzigen Sessel zu setzen und fragte Ralf dann aus. Was hatte er heute verdient? Warum war es ihm nicht gelungen, größere Abschlüsse zu erzielen? Andere schafften es doch!

Es war nicht gerade die Art der Unterhaltung, nach der Ralf sich sehnte, aber Christa zuliebe machte er gute Miene zum bösen Spiel.

***

Am nächsten Morgen zog Christa ihr schönstes Kleid an. Sie musste den Brautstrauß für den Grafen abliefern.

Die Hochzeit wurde im Palais des Grafen gefeiert. Auf der untersten Stufe der Freitreppe zögerte Christa. Durch die breite, geöffnete Glastür konnte sie die livrierten Diener sehen. Alles wirkte sehr vornehm, und unwillkürlich schlug ihr Herz höher. Nicht umsonst schrieben die Zeitungen von einer Märchenhochzeit.

»Was wollen Sie?«, fragte ein Diener und hielt sie am Arm fest. »Der Eingang für das Personal ist hinten. Geben Sie Ihr Gemüse in der Küche ab, es sind keine Vasen mehr frei.«

»Das ist – ich bringe – die muss ich persönlich abgeben«, stammelte sie verschüchtert mit hochrotem Kopf.

Es war geradezu eine Erlösung, als Graf Grietenholm in diesem Augenblick die Halle betrat.

Er trug einen gutsitzenden Frack. Bewundernd starrte Christa ihn an. Einen Moment vergaß sie ganz den Grund ihres Kommens, so faszinierte sie dieser Mann. Seine Augen waren zwingend. Ein Lächeln lag um seinen gutgeschnittenen, festen Mund.

»Ach, da sind Sie ja, kleines Fräulein.« Graf Grietenholm winkte ihr zu. »Ich habe schon auf Sie gewartet.«

»Ich bin – ich bin sehr pünktlich«, stotterte Christa.

»Das wollte ich auch nicht bezweifeln«, beruhigte sie der Graf. Seine Augen lächelten verständnisvoll. »Wirklich ein kleines Kunstwerk«, äußerte er, als Christa den weißen Bogen entfernte und ihm den Strauß hinhielt. Nachdem der Graf ihr einen großen Geldschein in die Hand gedrückt hatte, kümmerte er sich nicht mehr um sie.

Die Trauung sollte im Dom stattfinden, und für den Grafen wurde es Zeit zum Aufbruch. Eine sehr vornehm wirkende alte Dame ging an seiner Seite auf den großen Wagen zu.

»Wenn Sie wollen, können Sie sich hier noch ein bisschen nützlich machen.« Eine rundliche Frau tippte Christa auf den Rücken. »Sie sind doch die vom Blumenhaus, nicht?«

»Ja.«

»Die Tischdekorationen sind noch nicht fertig. Wollen Sie sich etwas darum kümmern? Es wird Ihr Schaden nicht sein, Fräulein.«

»Ja, sehr gern«, strahlte Christa.

Sie dachte in diesem Moment nicht an ihre Chefin, die wahrscheinlich schon längst ihre Rückkehr erwartete.

»Da geht's hinein. Die Blumen stehen in den Eimern rechts neben dem langen Tisch. Hoffentlich schaffen Sie es noch. Ich muss mich wieder um das Essen kümmern. Mein Gott, ist das heute eine Aufregung hier!«

Sie lief davon, und Christa machte sich sogleich mit dem ihr angeborenen Geschmack an die Arbeit.

Plötzlich hörte sie Stimmengewirr und das Klappen von Autotüren. Die kleine Musikkapelle, die man in der Diele postiert hatte, stimmte den Brautchor aus Lohengrin an.

Wie schön, wie wunderschön, dachte Christa Limberg beim Anblick des gräflichen Paares. Das Gesicht des Mannes zeigte gesammelten Ernst, während die junge Frau verhalten lächelte. Man merkte, wie glücklich sie war.

Ihr Brautkleid war eine wahre Pracht. Zwei Kinder trugen die lange Schleppe. Christa drückte sich in eine Fensternische, ohne den Blick von den beiden zu lassen.

Sie ist bestimmt nicht viel älter als ich, dachte sie, aber um wie viel schöner! Ohne Neid betrachtete sie das liebliche Oval des Gesichtes, die blauen Augen mit den langen Wimpern und die feine, gerade Nase.

Sie hatte noch nie eine schönere Frau gesehen. Sie wischte sich hastig über die Augen und schluckte. Die junge Gräfin trug ihren Brautstrauß. Es ist, als hätte ich ihn genau für sie entworfen, dachte Christa. Die Farbe der Blumen passte zu ihrem blonden Haar, den blauen Augen und dem rosigen Schimmer ihrer Wangen.

»Zufrieden?«, fragte Ruprecht seine ihm eben angetraute Gattin.

Verstohlen drückte Sabine seine Hand.

»Sehr glücklich«, gab sie innig zurück. »Ich kann es manchmal gar nicht fassen, dass dies alles nicht nur ein Märchen ist.«

»Ein Märchen, das Wirklichkeit geworden ist«, verbesserte sie der junge Mann. »Wie man mich beneidet! Ich glaube, es gibt hier keinen Mann, der sich nicht an meine Stelle wünschte.«

Sabine lächelte fein. »Du übertreibst«, sagte sie. »Es gibt viel schönere Mädchen als mich.«

»Das weiß ich besser«, behauptete Ruprecht lachend. »Auf jeden Fall gibt es keinen glücklicheren Mann als mich.«

Sein Blick fiel auf die Blumen, die Christa so hübsch dekoriert hatte. Er wunderte sich flüchtig, denn die alte Mamsell besaß eigentlich kein sonderliches Geschick in solchen Sachen. Ich muss ihr nachher ein paar lobende Worte sagen, nahm er sich vor.

Aber im Augenblick hatte er Besseres zu tun, denn die Diener brachten die Speisen. Es war ein malerisches Bild für Christas staunende Augen. Sie kamen in einer langen Prozession, angeführt von einem dicken Koch mit hoher, weißer Mütze, der in der Rechten einen Kochlöffel und in der Linken ein Stück Brot hielt.

Der Koch trat auf das Paar zu, verneigte sich, soweit sein Umfang das zuließ, räusperte sich und überreichte ihnen Salz und Brot.

»Und wofür ist der Kochlöffel?«, fragte Ruprecht launig.

»Möge die gnädige Frau ihn in diesem Hause schwingen wie früher die Könige ihr Zepter. Der Kochlöffel ist mehr wert als eine Krone. Wo der Kochlöffel mit Takt und Geschick regiert, dort herrschen Zufriedenheit und Glück.«

Sabine dankte dem Mann mit ein paar netten Worten. Ihre Augen strahlten, und Christa Limberg verstand sie.

Die Mamsell winkte Christa hinaus. Sie war im Eingang des Saales stehen geblieben, um sich von dort aus zu überzeugen, dass die Lohndiener ihre Pflicht taten.

Als Ruprecht ihr zuwinkte und lächelte, errötete sie vor Stolz. Sie hatte ihre Sache gut gemacht. Dieses kleine Mädchen aus dem Blumenladen übrigens auch, das sah selbst sie, als sie die Tischdekorationen kritisch musterte.

»Sie können in die Küche kommen. Was möchten Sie essen, Fräuleinchen? Es ist genug von allem da. Schlagen Sie sich nur ordentlich den Magen voll, Sie sehen aus, als könnten Sie es vertragen.«

»Eine wunderschöne Hochzeit«, sagte Christa in der Halle. »Ist sie nicht zu beneiden?«

»Das sagen Sie man«, bestätigte die Mamsell. »Ich kenne den Grafen, seit er so klein war.« Sie zeigte zwischen beiden Händen eine unwahrscheinliche Größe. »Und ich weiß, dass an dem kein Falsch ist. Die junge Frau hat wirklich Glück gehabt. Hoffentlich weiß sie das auch.«

»Es sieht eigentlich so aus«, meinte Christa lächelnd.

»Wir sind jedenfalls alle froh, dass jetzt eine junge Frau hier zu sagen hat«, tratschte Mamsell Anna in der riesigen Küche. »Die alte Gräfin, ich will ja nichts Schlechtes von ihr sagen, aber manchmal ist sie ein richtiges Biest.« Anna schaute sich um, als fürchte sie, die alte Gräfin könne unerwartet hinter ihr stehen. »Die hat nämlich Augen im Rücken und Haare auf den Zähnen. Aber jetzt wird Gott sei Dank alles anders. Wenn der älteste Sohn 'ne Frau ins Haus bringt, dann muss die Alte abtreten.«

Die Mamsell goss Christas Weinglas zum zweiten Mal voll und nötigte sie zum Zulangen. Fern hörte man die Klänge der Musik.

***

Fast ein Vierteljahr befand sich das gräfliche Paar auf Hochzeitsreise. Es war Sommer geworden, als der große Wagen vor dem Palais vorfuhr.

Je näher sie ihrem neuen Heim kam, desto stiller war die junge Frau geworden. Sie schmiegte sich zum Schluss ganz eng an den Mann, dem sie ihr Schicksal und ihre Zukunft anvertraut hatte.

Ruprecht ahnte, was in ihr vor sich ging.

»Du brauchst keine Angst zu haben, mein Lieb, ich bin ja bei dir«, raunte er ihr zu, bevor der Chauffeur die Wagentür für sie öffnete.

Sabine war doch ein wenig bleich, als sie auf die Fassade des Hauses schaute, in dem sie einen Teil des Jahres verleben würde.

»Komm.« Ruprecht bot ihr den Arm, und an der Heftigkeit, mit der Sabines Hand ihn umklammerte, merkte er deutlich, wie sehr sich Sabine vor der Begegnung mit ihrer Schwiegermutter fürchtete.

Mamsell Anna wollte gerade durch die Halle gehen, als die jungen Leute hereinkamen. Ihre Augen strahlten, sie stürzte auf die beiden zu, und erst im letzten Moment kam ihr zum Bewusstsein, dass es vielleicht ungehörig war, dem Grafen zuerst die Hand entgegenzustrecken. Aber für sie war er ja noch »ihr« Junge, der so manchen Extrahappen von ihr bekommen hatte.

Der junge Graf nahm ihre Hand, bevor Anna sie zurückziehen konnte. Dann drehte er die füllige Frau zu Sabine herum.

»Deine neue Chefin, Anna«, sagte er schmunzelnd. »Ich erbitte mir Respekt vor meiner jungen Frau. Du weißt doch, dass sie einen großen Kochlöffel hat, den sie sicher bald schwingen wird.«

»Wenn sie man keinen Pantoffel hat ...« Anna schlug sich auf den Mund und wurde über und über rot. »Das habe ich eigentlich gar nicht sagen wollen, Frau Gräfin«, entschuldigte sie sich, »das ist mir bloß ebenso ›rausgerutscht.«

Sabine lachte, und ihr Lachen eroberte Annas Herz. Mit der jungen Gräfin würde sie bestimmt gut auskommen.

»Ihre Zimmer sind fertig. Wir hatten Sie eigentlich erst heute Abend erwartet. Es ist schön, dass Sie wieder da sind.«

Es klang drollig. Sabine nahm sich vor, um die Freundschaft dieser treuen Seele zu werben.

»Ruprecht hat mir viel von Ihnen erzählt. Und nur Gutes. Besonders Ihr Gulasch hat er gelobt. Sie müssen es unbedingt bald einmal kochen, Anna. Und mir das Rezept verraten.«

»Schrecklich gern, gnädiges Fräulein. Frau Gräfin, meine ich«, verbesserte sich die Mamsell erschrocken.

»Komm jetzt.« Ruprecht zog Sabine mit sich. »Ich habe unsere Zimmer ein wenig renovieren lassen. Hoffentlich haben die Handwerker alles richtig gemacht.«

»Der Herr Graf stand immer hinter ihnen«, rief Anna ihnen nach.

Sabine war geradezu überwältigt. Tränen traten ihr in die Augen, als sie sich in ihrem neuen Reich umschaute. Man sah, dass alles mit viel Liebe geplant und ausgeführt worden war.

Dabei hatte das Leben sie bisher keineswegs verwöhnt. Niemals hätte sie sich träumen lassen, einmal Herrin eines solchen Hauses zu werden. Es war fast zu viel für die bescheidene junge Frau.

Ruprecht verstand, was in ihr vorging. Er nahm sie in den Arm und drückte den Mund in ihr duftendes, weizenblondes Haar.

»Störe ich?«, fragte eine missbilligende Stimme. »Ich dachte, eure Flitterwochen müssten allmählich vorbei sein.«

Unbemerkt von ihnen hatte Gräfin Angela den Raum betreten. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, eine ehrfurchtgebietende Gestalt. Ihre Augen waren kalt wie Gletscherseen.

Ruprecht schnellte herum. Er lächelte der alten Dame freundlich zu, während es Sabine viel Mühe machte, ein Lächeln auf ihre Lippen zu bringen. Im Herzen fürchtete sie sich vor dieser Frau. Sie war zu arm, das hatte Gräfin Angela an ihr auszusetzen.

»Willst du uns nicht willkommen heißen?«, fragte Ruprecht noch immer sehr freundlich.

Ein Zucken glitt über das Gesicht der alten Frau. Sie steckte die Zurechtweisung ein, ohne sich dazu zu äußern. Ihr Blick musterte die junge Frau, und was sie sah, schien ihr ganz und gar nicht zu gefallen.

Sabine war noch sehr jung, aber dennoch spürte Gräfin Angela die innere Stärke, die Ruprecht so an ihr liebte.

Noch immer hatte sie kaum etwas gesagt, nur ihr Blick sprach für sie.

»Die Räume sind wunderschön geworden«, fuhr der junge Mann anscheinend unbekümmert fort. »Ich finde es furchtbar nett von euch, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, alles während unserer Abwesenheit in Ordnung bringen zu lassen. Auch Sabine ist begeistert.«

»Es ist wirklich alles sehr schön«, stimmte die junge Frau ihm leise zu.

»Wenn ihr euch erfrischt habt, erwarte ich euch unten im Salon«, äußerte Gräfin Angela in ihrer kalten Art. »Ihr habt uns sicherlich viel zu erzählen.«

»Gern, Mutter.« Man merkte deutlich, dass Ruprecht jetzt mit seiner jungen Frau lieber allein sein wollte.

»Ich habe Angst«, gestand Sabine beschämt, als Gräfin Angela sie verlassen hatte. »Deine Mutter mag mich nicht. Ich bin ihr nicht gut genug für dich. Du hättest ganz andere Frauen bekommen als mich.«