Lore-Roman 21 - Wera Orloff - E-Book

Lore-Roman 21 E-Book

Wera Orloff

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Beschreibung

Seit jenem schrecklichen Tag, an dem Corinnas Bruder Holger, der einzige Sohn der Familie Gerdauen, gefallen ist, vernachlässigt der Vater den Gutsbetrieb völlig. Nun ist es Corinna, auf deren Schultern die ganze Verantwortung für den prächtigen landwirtschaftlichen Besitz ruht. Doch das Mädchen lässt sich nicht unterkriegen. Sie wird ihrem Vater schon beweisen, dass sie imstande ist, den Platz des toten Bruders einzunehmen.

Als Corinna zur Erntezeit einige Kriegsgefangene aus dem nahen Lager als Helfer einsetzt, verändert sich ihr Leben schlagartig. Denn unter den Männern ist Gösta, der große, unnahbare Mann, dem Corinna von der ersten Minute an verfallen ist. Als auch er ihr seine Liebe gesteht, ist dies wie ein Licht in dem grauen Alltag voller Sorgen.

Aber als die Front von Osten gefährlich näher rückt, fliehen die Liebenden gemeinsam gen Westen. Für eine Zukunft mit Gösta lässt Corinna schweren Herzens die geliebten Eltern und die Heimat zurück. Doch ein unbarmherziges Schicksal trennt die beiden jungen Menschen wenig später ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Ein Mädchen wartet

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: ORLIO/shutterstock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6037-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ein Mädchen wartet

Corinna glaubt an die Treue des Geliebten

Von Wera Orloff

Seit jenem schrecklichen Tag, an dem Corinnas Bruder Holger, der einzige Sohn der Familie Gerdauen, gefallen ist, vernachlässigt der Vater den Gutsbetrieb völlig. Nun ist es Corinna, auf deren Schultern die ganze Verantwortung für den prächtigen landwirtschaftlichen Besitz ruht. Doch das Mädchen lässt sich nicht unterkriegen. Sie wird ihrem Vater schon beweisen, dass sie imstande ist, den Platz des toten Bruders einzunehmen.

Als Corinna zur Erntezeit einige Kriegsgefangene aus dem nahen Lager als Helfer einsetzt, verändert sich ihr Leben schlagartig. Denn unter den Männern ist Gösta, der große, unnahbare Mann, dem Corinna von der ersten Minute an verfallen ist. Als auch er ihr seine Liebe gesteht, ist dies wie ein Licht in dem grauen Alltag voller Sorgen.

Aber als die Front von Osten gefährlich näher rückt, fliehen die Liebenden gemeinsam gen Westen. Für eine Zukunft mit Gösta lässt Corinna schweren Herzens die geliebten Eltern und die Heimat zurück. Doch ein unbarmherziges Schicksal trennt die beiden jungen Menschen wenig später …

Corinna seufzte tief auf und richtete den Blick geradeaus über den tief gebeugten Kopf des Pferdes hinweg. Ihr Leben bestand nur aus Arbeit und Mühe. Sie wusste nicht, wie glänzende Bälle aussahen, sie kannte nur den grauen Alltag und die schweren Sorgen, die die harte Zeit mit sich gebracht hatte.

Seitdem ihr Bruder Holger gefallen war, vernachlässigte ihr Vater den Gutsbetrieb völlig, saß fast immer in der Halle, und sie hatte den Eindruck, dass ihn nichts mehr zu interessieren vermochte. Er hatte nur noch sie, und sie war nur ein Mädchen.

Corinna presste die Lippen fest zusammen, während ein harter Glanz in ihre blauen Augen trat. Sie wollte ihm schon beweisen, dass sie imstande war, den Platz des Toten einzunehmen und genau wie Holger ein Gut verwalten konnte.

Arbeitskräfte fehlten, die Frauen der eingezogenen Scharwerker konnten ihre Männer nicht ersetzen. Die Herbststürme kamen, bevor die Ernte unter Dach und Fach war. Das kostbare Getreide verdarb auf den Feldern.

Hinten am Horizont kräuselte sich Rauch empor. Dort lebten Männer, viele Männer, und sie taten nichts als warten. Einige von ihnen würden schon genügen …

Corinna schluckte, als sie daran dachte, dass es ihr vielleicht gelingen konnte, die Ernte in diesem Jahr hereinzubringen. Sie straffte ihren schlanken Körper und ließ die Zügel klatschend auf den gedrungenen Hals ihres Antons sausen.

Der alte Klepper schüttelte nur erstaunt den Kopf, dachte aber gar nicht daran, seinen Gang zu verändern. Unendlich langsam trabte er auf das von einem Stacheldrahtzaun umgebene Lager zu. Nur wenige Baracken standen innerhalb des Platzes.

Corinna verschloss gewaltsam die Augen, als sie durch den Mittelgang des Lagers auf die schwarz gestrichene Verwaltungsbaracke zuging. Die Sonne lag voll auf ihrem goldglänzenden Haar und übergoss es mit warmem, lebendigem Schein.

Die Männer, die apathisch auf der Erde hockten, starrten sie an wie eine Erscheinung aus der anderen Welt. Sie rührten sich nicht, nur ihre Blicke gingen mit ihr und folgten ihr, bis sie in der Tür des Holzhauses verschwand.

Der Kommandant des Lagers, ein alter, ergrauter Hauptmann, erhob sich langsam bei Corinnas Eintritt und begrüßte sie mit einem festen Händedruck.

„Was führt Sie zu mir, gnädiges Fräulein?“, erkundigte er sich und rückte ihr höflich den primitiven Holzstuhl zurecht.

„Ich brauche Arbeitskräfte, Herr Hauptmann. Können Sie mir ein halbes Dutzend kräftiger Männer zur Verfügung stellen, die uns beim Einbringen der Ernte behilflich sind?“

Der Mann strich sich über sein eisgraues Haar.

„Es ließe sich machen, gnädiges Fräulein. Sie müssten allerdings die Leute selbst verpflegen und dazu den Wachtposten, den ich mitgeben muss. Ich werde Ihnen geeignete Gefangene heraussuchen.“

„Ich danke Ihnen, Herr Hauptmann.“

„Ich schicke Ihnen die Männer noch heute Nachmittag herunter.“

***

Dort hinten kamen sie. Sechs Mann und ein Wachtposten, der sein Gewehr über die Schulter gehängt hatte und mit gesenktem Kopf neben ihnen hertrottete.

Corinna sah sie lange an. Sie erkannte die zerschlissenen Jacken und zerfransten Hosen, sie sah ungepflegte Bärte und gebräunte Gesichter.

„Bleibt stehen“, brummte der Posten und schlich dann in das Haus hinein.

Corinna eilte ihm entgegen und begrüßte ihn mit einem herzlichen Händedruck.

„Ich bringe Ihnen die Leute, Fräulein Gerdauen.“

Sechs Männer standen auf dem Hof. Sie waren barhäuptig und schauten sie an, ohne dass der Ausdruck ihrer Gesichter sich auch nur im Geringsten veränderte.

Stumpf, müde, apathisch …

Corinna musterte einen nach dem anderen. Sie begann links, mit dem Kleinsten, der von einer geradezu unwahrscheinlichen Magerkeit war, und sie endete rechts, bei einem hochgewachsenen, breitschultrigen Mann, der als einziger den Kopf stolz im Nacken trug und ihren Blick frei und offen erwiderte.

Seine Jacke hing ihm, genauso wie allen anderen, viel zu weit um den abgemagerten Körper. Sein Haar war lang, ungepflegt, und sein Bart war von einem hellen Blond. Er gab ihm ein fast wildes Aussehen.

Corinna wusste nicht, dass sie ihn schon lange anschaute, sie bemerkte nicht, dass die anderen Gefangenen sie anstarrten und sich wunderten.

Sie trat einen Schritt auf den hochgewachsenen Mann.

„Wer sind Sie?“, fragte sie leise.

Der Mann rührte sich nicht. Ach so, natürlich, sie hatte vergessen, dass er nicht Deutsch konnte. Corinna verstand sich selbst nicht mehr, sie presste die Zähne in die Unterlippe und warf den Kopf in den Nacken.

Was für einen Blick hatte dieser Mann. Es kostete Corinna große Mühe, ihre Augen aus seinen zu lösen und sie wieder über die gebeugten Köpfe der anderen gleiten zu lassen.

„Ich habe Arbeitszeug für die Leute. Sie können sich waschen, und dann werde ich ihnen sagen, was sie tun sollen.“

„Gut.“ Der Mann nickte gleichgültig.

Er hängte sein Gewehr auf die andere Schulter, als sei ihm das Gewicht zu schwer geworden, und nickte den ihm anvertrauten Leuten zu.

Mit einer Kopfbewegung forderte er sie auf, ihm zu folgen. In einer Ecke des Hofes stand eine große Pumpe. Die Gefangenen freuten sich wie Kinder. Sie tranken das erfrischende Nass aus der hohlen Hand und lachten, klatschten sich gegenseitig auf die Schultern.

Nur einer stand abseits, die Hände über der Brust verschränkt, den Kopf gegen den Stamm der Buche gelehnt, und beobachtet ihr fröhliches Treiben.

Ein versonnener Ausdruck lag in seinem Gesicht. Er sah nicht die Menschen, die sich wie Kinder um den Wasserstrahl balgten, er sah ein Mädchengesicht mit Augen voller Anteilnahme, er hörte eine weiche, melodische Stimme, und er dachte an die Vergangenheit zurück, in der alles anders gewesen war.

Der Posten stand neben ihm und machte die Bewegung des Waschens.

„Du auch.“ Er wies mit einer Kopfbewegung auf die Männer, die jetzt ihren Oberkörper einseiften, als sei es ein neues, wunderbares Spiel.

Der Mann nickte nur. Der Gefreite Mikeleitis wunderte sich nicht über seine Schweigsamkeit, denn er war es gewohnt, dass dieser Mann kaum jemals ein Wort sprach.

Der Posten beschäftigte sich wieder mit seiner Pfeife, während der blonde, hochgewachsene Mensch langsam seine wattierte Jacke aufknöpfte und sie dann in das Gras warf. Sein gebräunter Oberkörper war breit und kräftig, und trotz der Entbehrungen des Lagerlebens hätte er jedem Bildhauer für eine Statue Modell stehen können.

Das dachte auch Corinna, die jetzt langsam näher kam und ihn allein sah. Die anderen Menschen standen dicht daneben.

Wer mochte er sein? Sie bedauerte, seine Sprache nicht zu kennen, denn die Beantwortung dieser Frage hätte sie sehr interessiert.

Der Mann trocknete sich das Gesicht ab und wandte den Kopf. Seine Züge blieben unbewegt wie immer, und der dichte Bart verdeckte die leichte Röte, die die Bräune seines Gesichtes noch vertiefte.

Nur einen winzigen Augenblick stutzte er, dann hob er das Tuch und trocknete sich gelassen sein Gesicht. Seine Augen wanderten gleichgültig weiter, von ihr fort zu dem Herrenhaus, dessen verwitterter Anstrich in der Sonne leuchtete.

Gut sah er aus, das musste ihm der Neid lassen. Ihr toter Bruder war auch hochgewachsen und schlank gewesen, aber er hielt nicht im Entferntesten den Vergleich mit diesem Fremden stand. Er hatte fast immer eine jungenhafte, unbekümmerte Fröhlichkeit gezeigt, hätte viel besser zu den anderen Männern gepasst als dieser hochgewachsene, Distanz wahrende Mann.

„Hier!“, rief sie ihnen zu und warf das Kleiderbündel ins Gras.

Mit kindlicher Freude stürzten sich die Männer auf die im Gras liegenden Kleidungsstücke – bis auf einen, der ruhig stehen blieb und sie gelassen beobachtete.

Wieder ärgerte Corinna sich. „Sie auch!“, rief sie und zeigte mit dem Finger zuerst auf ihn und dann auf die Männer, die zwischen den Jacken und Hosen herumwühlten.

Ganz langsam wandte der Mann den Kopf. Er schaute sie mit kühlem Erstaunen an, aber er rührte sich nicht. Es war auch nicht mehr nötig. Einer der anderen kam jetzt auf ihn zu und hielt das am besten erhaltene Zeug in der Hand. In einer fremden Sprache schnatterte er auf den Mann ein und reichte ihm die Kleider.

Das Kopfnicken, mit dem er sich bedankte, war das eines Herrn seinem Diener gegenüber. Corinnas Augen verengten sich, als sie sah, dass er die Kleider prüfend herumdrehte und dem anderen dann anscheinend ein paar freundliche Worte sagte.

Der Gefreite Mikeleitis grinste Corinna Gerdauen an.

„Der ist anders“, wies er mit dem Daumen auf den fremden Mann, der jetzt gelassen in die Jacke schlüpfte, die ein kleinerer, untersetzter Mann ihm hielt. „Wir nennen ihn den gnädigen Herrn.“

„Das wird er sich abgewöhnen müssen“, stieß Corinna hervor. „Auf Gerdauen ist er nicht mehr als andere. Sorgen Sie dafür, dass sich die Leute rasieren, und dann bringen Sie sie in die Scheune. Die Mamsell hat etwas für sie gekocht.“

Täuschte sie sich, oder hatte der Mann tatsächlich einen winzigen Augenblick zu ihr herübergeschaut, als sie das Wort Essen erwähnte? Es musste wohl ein Irrtum sein, denn als sie ihn jetzt genau beobachtete, war sein Gesicht gleichgültig wie immer.

„Wie heißt er?“, fragte sie den Posten Mikeleitis.

„He!“, schrie Mikeleitis ihn an und winkte ihm, näher zu kommen.

Gemächlich setzte der Mann sich in Bewegung und schaute den Gefreiten fragend an.

„Name?“, fragte er und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Brust des Fremden.

Der zog die Augenbrauen ein klein wenig in die Höhe, sagte aber nichts.

„Du Iwan oder Grischa oder Petrowitsch?“

Jetzt schien er verstanden zu haben. „Gösta“, erwiderte er gelassen und schaute Corinna an.

Diesmal war das vergnügte Funkeln in seinen Augen unverkennbar, und das stolze Mädchen hatte den finsteren Verdacht, dass er sich im Geheimen über das Interesse, das sie ihm entgegenbrachte, köstlich amüsierte.

„Gösta!“ Sie nickte und drehte ihm dann den Rücken zu.

„Die armen Kerle.“ Mamsell Wanda schnäuzte sich umständlich und versenkte ihr Taschentuch dann wieder in ihren Ausschnitt, bevor sie weitersprach.

Sie stand in der Halle vor den Herrschaften, die heute allerdings ungewöhnlich schweigsam waren. Nur das gnädige Fräulein hatte bei ihrem einleitenden Satz kurz aufgeblickt, dann aber sofort wieder begonnen, in ihrer Kaffeetasse herumzurühren.

„Die sind ja sehr hungrig“, fuhr sie fort. „Ich habe Ihnen noch mal einen Topf voll Kartoffeln gekocht. Die sind auch schon alle. Schade, dass sie kein Deutsch können, es sind doch wirklich fixe Kerle darunter.“

„Wanda, halten Sie gefälligst den Mund!“, mahnte der Herr des Gutes unwillig.

Wanda schluckte, denn sie war es durchaus nicht gewohnt, in diesem Ton angepfiffen zu werden, drehte sich beleidigt herum und stapfte hinaus, dass die Dielen krachten.

Ihr Blick wurde erst wieder freundlicher, als sie in die Scheune zurückkam, in der die Männer noch auf der Bank saßen.

Der Posten zog an seiner Pfeife, und die Mamsell sah, dass die Männer den Rauch schnuppernd einsogen und einen sehnsüchtigen Ausdruck im Gesicht trugen.

Sie machte entschlossen kehrt und kam wenige Minuten später mit Tabak und Zigarettenpapier zurück, das sie regelmäßig auf Marken bekam und nicht brauchte.

„Da“, sagte sie und warf das Päckchen auf den Tisch. „Ihr mögt doch sicherlich rauchen.“

Einen Augenblick herrschte atembeklemmendes Schweigen, dann ging es fast wie ein Stöhnen durch die Männer.

„Danke“, sagte der hochgewachsene Mann in klarem, akzentfreiem Deutsch. Unter seinem warmen Blick errötete Mamsell Wanda und machte, dass sie hinauskam.

Als eine halbe Stunde später ein Ruf des Postens ertönte, trat sie ans Küchenfenster und sah, dass die Leute sich im Schatten des Hofes aufstellten und auf das gnädige Fräulein starrten, das ihnen gegenüberstand.

Corinna war um Worte verlegen. Die Männer hatten sich inzwischen rasiert und waren kaum wiederzuerkennen. Jetzt sah sie, dass der blonde Mann markante, edelgeschnittene Züge hatte. Sein Gesicht war länglich, das Kinn hart und energisch, und nur das amüsierte Funkeln seiner blauen Augen irritierte sie etwas.

Sie teilte die Sensen aus und sah, dass die Leute sie mehr oder weniger geschickt schulterten. Gösta hielt seine einen Augenblick in der Hand, und es schien ihr, als streichele er den verwitterten Schaft, bevor er das scharfe Eisen über seine Schulter legte.

Sie hatte schon auf seine Hände geachtet und gesehen, dass sie keine schwere Arbeit gewohnt waren. Immerhin schien er aber eine Sense tragen zu können.

Der Posten Mikeleitis trottete hinterher, warf sich am Feldrand in den Schatten eines Baumes und trocknete sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Es war etwa fünfzehn Uhr geworden, die Hitze vielleicht noch stärker als am Vormittag. Der Geruch des reifen Ährenfeldes war für Corinna das Schönste auf der ganzen Welt.

Während die Gefangenen Halme ausrissen und die Ähren im Munde zerkauten, stand der fremde Mann abseits von ihnen und ließ seine Hand über die hohen Halme gleiten. Es war eine fast segnende Gebärde, sie sprach von einer Liebe zum Korn, die Corinna im Innersten ihres Herzens berührte. Sie trat neben ihn. Irgendwie wusste sie, dass dieser Mann zu ihren Kreisen gehörte, während die anderen einfache Leute waren.

Gösta wandte den Kopf. Sein Gesicht sah etwas scheckig aus, denn dort, wo vorher der wilde Bart wuchs, waren jetzt weiße Stellen, die seltsam vom Braun der übrigen Haut abwichen, aber Corinna fand nichts Komisches an seinem Äußeren.

Sie lächelte ihn mit ihren Augen an, und ihr Herz begann stark zu pochen, als sie sah, dass er ihr Lächeln auf die gleiche Art erwiderte. Sein Mund blieb hart und schmallippig, aber seine Augen waren warm und fast zärtlich wie der laue Wind, der die Ährenfelder sanft streichelte.

Sie wurde rot wie ein Backfisch, schalt sich selbst eine Närrin, aber trotzdem vermochte sie nicht, ihren Blick aus seinem zu lösen.

„Wir wollen anfangen, Gösta“, sagte sie leise.

Ihre Worte lösten irgendwie den Bann, den diese graublauen Augen über sie gelegt hatten, und als sie mit fester Hand den Griff der Sense packte, wusste sie selbst nicht mehr, weshalb ihr Herzschlag sich so beschleunigt hatte. Sie ließ die blitzende Sense gewandt durch die Halme fahren und arbeitete einige Minuten, bevor sie das erste Mal den Kopf zur Seite wandte.

Gösta stand noch immer am Feldrain und schaute sie an. Wieder errötete Corinna, doch diesmal stieg Trotz in ihr hoch, dass sie sich so wenig beherrschen konnte.

„Anfangen!“, rief sie mit ihrer klingenden Stimme.

Die Männer grinsten sie gutmütig an und griffen dann nach ihren Sensen, die sie vorher am Rande des Feldes niedergelegt hatten.

Nicht einen Augenblick kam Corinna der Gedanke, dass dieses Werkzeug in ihren Händen eine furchtbare Waffe sein konnte. Die Männer hatten sanfte Augen. Sie würden ihr nichts tun.

Sie lächelte, als sie weiterarbeitete. Die Lerchen sangen hoch in der Luft, Grillen zirpten gleichmäßig und einschläfernd, der warme Wind umkoste ihr von der Anstrengung gerötetes Gesicht.

Gösta arbeitete neben ihr, blieb mit ihr auf gleicher Höhe, sie brauchte nur ein klein wenig den Kopf zu wenden, um sein helles Haar in der Sonne leuchten zu sehen. Es hatte fast die Farbe des Weizenfeldes, war heller als die gebräunte Stirn und die graublauen Augen.

Einmal begegneten sich ihre Blicke, Göstas Mund verzog sich zu einem Lächeln, das sein Gesicht weich und sympathisch machte.

Sie arbeiteten, bis die Sonne hinter den hohen Wipfeln der Eichen unterging. Als Erste richtete Corinna sich aus ihrer halb gebückten Haltung auf und gab das Zeichen, die Arbeit einzustellen.

Schweigend und müde gingen sie nach Gerdauen zurück. Corinna spürte den Blick des Mannes auf ihrem Rücken, ihr Schritt wurde befangen, fast ein wenig eckig, aber sie schaute sich nicht um.

Gösta war auch der Einzige, der sich unter der Pumpe auf dem Hof wusch, bevor er den anderen in die Scheune folgte, in der Mamsell Wanda Riesenschüsseln mit Bratkartoffeln bereitgestellt hatte.

Corinna stand am Fenster, als die Gefangenen, vom Posten geführt, über den Hof zum Ausgang gingen. Sie mussten wieder in das Lager zurück.

Die Männer trugen die Köpfe höher, ihre Körper waren gestraffter als am Morgen, und nur der Erste, der hochgewachsene blonde Mann, schritt genauso gelassen davon, wie er gekommen war.

Was für einen Beruf mochte er haben? Sicherlich war er kein ungebildeter Mann. Er verstand etwas von Landarbeit, wenn er das Zupacken vielleicht auch nicht gewöhnt war.

Gösta musste sich immer aus der Masse herausheben, auch ohne sein Zutun würde er stets den Mittelpunkt bilden.