Lore-Roman 25 - Yvonne Uhl - E-Book

Lore-Roman 25 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Caroline Winters Leben ist so verlaufen wie das vieler anderer Mädchen auch. Nur in einem unterscheidet es sich: Sie ist bei Pflegeeltern aufgewachsen und weiß nichts von ihrer wirklichen Familie. Jetzt, im Alter von zweiundzwanzig Jahren, hat sie sich längst mit der Tatsache abgefunden, dass sie keine Wurzeln in die Vergangenheit besitzt. Ja, sie ist sogar ganz zufrieden mit ihrem Leben. Schließlich hat sie die solide Stelle als Sekretärin bei einem Anwalt, gilt als äußerst fleißig, bescheiden und gewissenhaft.

Was Caroline jedoch nicht ahnt, ist, dass es durchaus Menschen gibt, die sich für sie, das einfache Waisenmädchen, interessieren, die bereits Nachforschungen anstellen, um sie zu finden, koste es, was es wolle ...

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Seitenzahl: 137

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Inhalt

Cover

Impressum

Geheimnis eines Findelkindes

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: wundervisuals/iStockphoto

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6377-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Geheimnis eines Findelkindes

Der spannende Roman um eine Millionenerbschaft

Von Yvonne Uhl

Caroline Winters Leben ist so verlaufen wie das vieler anderer Mädchen auch. Nur in einem unterscheidet es sich: Sie ist bei Pflegeeltern aufgewachsen und weiß nichts von ihrer wirklichen Familie. Jetzt, im Alter von zweiundzwanzig Jahren, hat sie sich längst mit der Tatsache abgefunden, dass sie keine Wurzeln in die Vergangenheit besitzt. Ja, sie ist sogar ganz zufrieden mit ihrem Leben. Schließlich hat sie die solide Stelle als Sekretärin bei einem Anwalt, gilt als äußerst fleißig, bescheiden und gewissenhaft.

Was Caroline jedoch nicht ahnt, ist, dass es durchaus Menschen gibt, die sich für sie, das einfache Waisenmädchen, interessieren, die bereits Nachforschungen anstellen, um sie zu finden, koste es, was es wolle …

Caroline Winters Leben verlief so wie das vieler anderer Mädchen auch.

Nur in einem unterschied sie sich: Sie war bei Pflegeeltern aufgewachsen und wusste nichts von ihrer wirklichen Familie.

Jetzt, im Alter von zweiundzwanzig Jahren, hatte sie sich längst mit der Tatsache abgefunden, dass sie keine Wurzeln in die Vergangenheit besaß. Ihre Pflegeeltern waren nach Kanada ausgewandert. Sie hätte mitfahren sollen, doch nach langem Nachdenken hatte sie schließlich den Entschluss gefasst, in Deutschland zu bleiben.

Caroline Winter arbeitete bei einem Anwalt als Sekretärin, war fleißig, bescheiden und gewissenhaft.

Ihr Hobby waren Bücher über Ausgrabungen. In ihrer Freizeit besuchte sie regelmäßig die Bibliotheken und schleppte dicke Wälzer nach Hause. Ihre Wissbegierde war ihr manchmal selbst unheimlich.

Sie lernte aus Büchern Spanisch und Französisch fließend. Englisch konnte sie noch von der Schule. Im Augenblick befasste sie sich mit Italienisch und Russisch.

Junge Männer wies sie energisch ab. Allerdings machte sie eine Ausnahme: Und das war Bob Timmerding. Er war der Bruder von Kitty. Die beiden Geschwister lebten in einer Wohnung in dem alten Mietshaus direkt ihr gegenüber. Kitty war Verkäuferin von Damenbekleidung in einem Kaufhaus, Bob war Schaufensterdekorateur in demselben Unternehmen.

Es war irgendwie schicksalhaft, als an jenem Abend Bob zu ihr sagte: „So geht es nicht weiter mit dir, Caroline! Du machst dich ja selbst zur Schreckschraube. Also, wir haben beschlossen, dass du Montag nach Büroschluss zu Kitty ins Kaufhaus gehst.“

„Ich höre, Bob“, sagte Caroline mit Würde. Sie schlug die langen Beine, die in Tweedhosen steckten, übereinander und wartete.

„Du siehst abscheulich aus, weißt du das überhaupt?“, fuhr Bob fort.

Kitty nickte dabei so heftig, dass ihr brauner Wuschelkopf in Bewegung geriet.

„Ich sehe also abscheulich aus“, konstatierte sie leidenschaftslos. „Wen stört es? Euch etwa?“

„Die ganze Menschheit stört es!“, rief Kitty empört.

Caroline sah von Bob zu Kitty. „Was wollt ihr eigentlich von mir? Ich weiß immer noch nicht, warum ich Montag zu Kitty ins Kaufhaus soll.“

„Du wirst dich völlig neu einkleiden“, erklärte Bob kategorisch. „So geht es nicht mehr weiter.“

„Ich habe keine Ahnung, was ihr eigentlich von mir wollt. Meine Röcke sind ganz in Ordnung. Ich lasse sie wechselweise reinigen. Im Büro sehe ich immer adrett aus.“

„Adrett nennst du das? Mädchen, du bist jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Kaum bist du aus dem Büro gekommen, hängst du deine Kleider säuberlich auf und schlüpfst in diese abscheuliche Tweedhose, die ich nächstens verbrennen werde, und in den Kittel, der schon vor zehn Jahren einmal sehr billig war.“

„Jedenfalls kriegst du so nie einen Mann“, schloss Kitty. „Und das werden wir ändern.“

Caroline sah verblüfft von ihr zu Bob, dann fing sie schallend zu lachen an.

„Leider verbringt sie ihre ganze freie Zeit mit Lesen“, klagte Kitty.

„Und deshalb haben wir beschlossen“, kam Bob zum Kernpunkt des Problems wieder zurück, „dass du dich am Montag in Kittys Abteilung im Kaufhaus richtig toll einkleidest.“

„Das kostet zu viel Geld“, rief Caroline. „Ich brauche mein nächstes Gehalt für die seltene Ausgabe eines Werkes über die archäologischen Funde der Inkas.“

„Was soll das kosten?“, verhörte Kitty sie. „Mehr als zwanzig Mark?“

„Wie bitte?“

„Meine Schwester fragte dich laut und deutlich, ob es mehr als zwanzig Mark kostet“, erklärte Bob.

„O Bob“, prustete Caroline heraus, „solche seltenen Ausgaben sind viel teurer. Deshalb sind sie ja auch so rar.“

„Deshalb der Name ‚selten‘, wie?“, fragte er. „Zahlst du vielleicht Unsummen für so ein Werk?“

„Nicht direkt Unsummen“, wich Caroline aus, „aber immerhin …“ Caroline verließ plötzlich der Schneid. „Ich sag’s euch nicht. Ihr schimpft bestimmt.“

„Es ist dein Geld! Wir können dich höchstens für verrückt erklären“, ermunterte Bob sie.

„Ich zahle zweihundertdreißig dafür“, druckste Caroline, „und es ist ein Vorzugspreis. In einem anderen Geschäft würde das Buch mindestens zweihundertsiebzig kosten.“

Kitty ließ den Kopf nach hinten auf die Sessellehne fallen und schloss die Augen.

„Für den Preis bieten wir ein todschickes Abendkleid an, zweiteilig und mit Lochstickerei“, stöhnte sie. „Du fühlst dich sonst ganz wohl, wie? Geht es dir gut?“

„Blendend“, erwiderte Caroline gelassen. „Warum soll es mir nicht gut gehen?“

„Machst du oft solche Käufe?“, platzte Bob misstrauisch heraus. „Kitty, jetzt ist mir auch klar, warum sie sich anzieht wie eine Bettlerin. Sie steckt ihr ganzes Geld in Bücher.“

„Ja, Bob.“ Kitty wurde schlagartig ernst. „Merkst du nicht, wo hier das Problem liegt? Solange Caroline nicht aufhört, solche dicken Bücher zu lesen, braucht sie keine neue Garderobe. Wenn sie sich elegant anziehen würde, müsste sie auch weggehen, sich im Theaterfoyer zeigen, im Schlosscafé oder hin und wieder schick essen gehen. Sie müsste die Garderobe herumzeigen. Auch einen wertvollen Ring verpackt man mit Goldpapier und Zierband, damit er Aufsehen erregt.“

Caroline gähnte. „Es ist ja ganz reizend von euch, dass ihr euch solche Sorgen um mich macht, aber es ist ganz überflüssig. Nett, dass ihr mich zum Abendessen eingeladen habt. Übermorgen seid ihr zum Kartoffelpufferessen zu mir eingeladen.“

„Warum gehst du schon? Bleib doch noch zum Fernsehen. Wir können auch Skat spielen!“, forderte Bob sie auf.

„Nein, geht nicht“, sagte Caroline, „ich habe noch zwei Kapitel einer Reisebeschreibung über Indonesien zu lesen. Hochinteressant, wirklich. Es ist so packend geschrieben, dass man direkt glaubt, dabei zu sein!“

„Viel Vergnügen“, meinte Bob ironisch. „Hauptsache, dir macht’s Spaß und du langweilst dich nicht.“

„Aber nein! Ich erbaue mich daran. Ich erweitere meinen Horizont, Bob. Soll ich dir einmal ein Buch heraussuchen und …“

„Kommt nicht infrage. Ich lese bloß die Sportnachrichten in der Zeitung“, winkte er ab.

Zwischen den drei Freunden gab es keine Spitzen oder Herausforderungen. Jeder sprach so, wie es ihm ums Herz war.

Caroline verabschiedete sich lächelnd von Bob und Kitty.

Als sie gegangen war, sagte Kitty: „Wir müssen sie unter die Haube bringen, sonst wird sie noch wunderlicher.“

„Stimmt. Und dabei ist sie erst zweiundzwanzig“, ergänzte Bob.

Kitty beugte sich vor. „Du möchtest sie nicht haben?“

„Ich? Wo denkst du hin! Statt mir das Essen zu kochen, würde sie dauernd lesen.“

***

Am nächsten Tag im Büro musste Caroline Winter gegen sechzehn Uhr zum Diktat. Sie eilte mit Stenoblock und Bleistift ins Chefzimmer und stutzte.

„Schreiben Sie diese Liste ab, Fräulein Winter“, sagte Rechtsanwalt Dr. Nordhaus und schob ihr einen eng beschriebenen Bogen Papier hin. „Nachher kommt ein Graf Rott zu mir. Lassen Sie ihn nicht warten. Führen Sie ihn sofort herein.“

„Ja, Herr Doktor!“, entgegnete Caroline.

„Außerdem“, fuhr Dr. Nordhaus fort, „wüsste mein Neffe gern, ob Sie einen spanischen Dolmetscher kennen. Er hat eine spanische Zeitung zugesandt erhalten mit einem Artikel über maurische Ausgrabungen. Leider spricht er nur sehr fehlerhaft diese Sprache.“

Das also ist sein Neffe, dachte Caroline. Sie sah die grauen Augen des jungen Mannes auf sich gerichtet.

„Ich kann Ihnen den Artikel übersetzen, Herr …“, begann sie.

Langsam erhob sich der junge Mann und verneigte sich.

„Frank Falkner, Fräulein Winter.“

„Mein Neffe ist bei einer archäologischen Gesellschaft angestellt, Fräulein Winter. Ausgrabungen sind aber gleichzeitig auch sein Hobby. Ich wusste gar nicht, dass Sie so gut Spanisch sprechen.“

„Auch Französisch und Englisch“, versicherte Caroline bescheiden.

„Erstaunlich! Onkel, du bezahlst sie offensichtlich viel zu niedrig.“ In den grauen Augen des jungen Mannes begann es zu funkeln.

„Können Sie mir den spanischen Artikel geben, Herr Falkner?“, fragte Caroline.

„Ich komme nachher zu Ihnen heraus!“, wehrte der junge Mann ab. Er sah sie nachdenklich an und wandte nur zögernd den Kopf von ihr, um seinen Onkel anzusehen.

Nachdem Caroline hinausgegangen war, sagte er: „Sie ist ein außergewöhnliches Mädchen.“

„Das ist sie. Sehr intelligent und fleißig! Mit der habe ich einen guten Fang gemacht.“

„Sie ist in deinem Anwaltsbüro falsch am Platze. Dieses Mädchen sollte weite Reisen machen und etwas von der Welt sehen.“

„Nimm sie doch mit zu der nächsten Ausgrabungsexpedition!“, schlug er vor. „Wäre das nicht großartig?“

„Dazu müssen wir nach Marokko“, erwiderte Frank Falkner ernsthaft. „Ich kann sie ja als meine Sekretärin mitnehmen. Ich suche sowieso eine.“

Davon aber wollte Dr. Nordhaus nichts hören.

„Es war nur Spaß. Untersteh dich, sie mir wegzunehmen“, warnte er. „Mein Laden muss weiterlaufen. Und sie ist einfach unentbehrlich für mich.“

Frank erhob sich. „Du siehst dich besser beizeiten nach einer anderen Kraft um, die sie noch einarbeiten kann“, riet er. „Mit diesen Sprachkenntnissen ist sie hier wirklich nicht richtig ausgelastet.“ Er lächelte seinem Onkel zu, drückte ihm die Hand und murmelte: „Also, dann bis heute Abend am Stammtisch, Onkel!“

Und draußen war er.

Er setzte sich im Vorzimmer Caroline direkt gegenüber.

„Hier ist der Artikel! Bis wann könnten Sie ihn fertig haben, Fräulein Winter?“

„Warten Sie … ist er lang? Ach, nur diese eine Seite? Er ist bis morgen fertig übersetzt“, erwiderte Caroline. Vor Eifer hatten sich ihre Wangen gerötet. „Ich habe schon viel über Archäologie gelesen. Es wird mir richtig Spaß machen!“

Kopfschüttelnd betrachtete er den gesenkten dunkelblonden Mädchenkopf. So ein eigenartiges, fesselndes Mädchen wie dieses hatte er noch nie zuvor kennengelernt.

„Unsere nächste Ausgrabungsstelle liegt ganz in der Nähe von Marokko“, fuhr er fort. „Etwa sechzig Archäologen werden dort zusammenkommen. Es ist zu vermuten, dass in Richtung Westen wertvolle Funde aus dem sechsten Jahrhundert nach der Zeitrechnung, als das Land noch unter byzantinischer Herrschaft stand, zu entdecken sind.“

Caroline lauschte wie gebannt. „Das ist ja hochinteressant!“

„Ich möchte Sie meinem Onkel am liebsten wegnehmen“, entfuhr es ihm. „Doch dann bekäme ich es leider mit ihm zu tun. Aber eine junge Dame wie Sie könnte ich gut gebrauchen.“

Caroline wurde rot vor Freude. „Oh, sicher könnte ich Ihnen gar nicht viel helfen“, sagte sie leise.

Es klopfte. Als Caroline „Herein“ rief, tat es ihr leid, dass nun das spannende Gespräch mit dem Neffen des Chefs unterbrochen worden war.

Ein eleganter, schlanker Herr von etwa Dreißig trat ein. Auffallend war sein längliches Gesicht, das einen ungewöhnlich ernsten Ausdruck besaß.

Er verneigte sich. „Ich bin bei Herrn Doktor Nordhaus angemeldet. Mein Name ist Graf Rott.“

Caroline stand schnell auf. „Ja, Sie werden schon von ihm erwartet! Bitte, Herr Graf …“

Ein scharfer Blick der blauen Augen des Adeligen traf sie.

Sie führte den Besucher ins Chefzimmer und kam wieder heraus. Frank Falkner wartete noch.

„Komischer Vogel, dieser Graf, wie?“, murmelte er. „Na, egal. Mein Onkel kann sich seine Klienten nicht aussuchen. Ich muss weiter. Ich hole mir die Übersetzung morgen ab, einverstanden?“

„Morgen ist Sonnabend!“, entgegnete sie und lachte. „Soll ich Ihnen die Arbeit irgendwo hinbringen, Herr Falkner?“

„Darf ich sie mir nicht bei Ihnen abholen? Bitte, wo wohnen Sie?“

Caroline zögerte sekundenlang.

„Lindenstraße neunundvierzig“, antwortete sie. „Wann werden Sie kommen?“

„Am frühen Nachmittag.“

„Gut. Ich werde zu Hause sein“, bestätigte Caroline.

Er drückte ihr die Hand und ging hinaus.

Als nach zwanzig Minuten Graf Rott aus dem Zimmer des Anwalts kam, streifte er Caroline Winter mit einem nachdenklichen Blick. Dann eilte er hastig hinaus.

Caroline war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie es nicht bemerkte.

Rechtsanwalt Dr. Nordhaus blieb eine Weile neben Caroline stehen.

„Ich gehe heute pünktlich, denn Freitagabend ist immer mein Stammtisch.“ Er lächelte zu ihr nieder. „Heute wird mein Neffe mit uns Skat spielen. Er ist ein gerissener Fuchs.“ Er lachte leise. „Hat er Sie abwerben wollen?“

Caroline sah erstaunt hoch. „Ungefähr stimmt es“, erwiderte sie. „Und wenn ich nicht bei Ihnen unter Vertrag stünde, würde ich sofort mit ihm nach Marokko gehen.“

Der Anwalt lachte. „Lassen Sie das bloß Gundula nicht hören, seine Verlobte“, warnte er. „Sie kratzt Ihnen sonst die Augen aus. Bis Montag, Fräulein Winter.“

„Auf Wiedersehen, Herr Doktor!“

Heftiger Wind empfing sie, als sie später auf die Straße trat. Sie band ein Kopftuch um, stemmte die Hände in die Tasche des Mantels und ging schnell über die Straße.

Sie bemerkte nicht, wie ein Mann ihr unauffällig folgte, aber in großem Abstand und sehr geschickt, sodass auch andere Passanten es nicht bemerken konnten. Er wartete, als sie einen Supermarkt betrat und eine Viertelstunde später wieder mit einer kleinen Tüte herauskam.

Vor dem Haus Lindenstraße 49 trat er rasch hinter eine Litfaßsäule, um nicht gesehen zu werden. Er zog einen Block aus der Manteltasche und notierte sich etwas. Erst dann verließ er seinen Beobachtungsposten und entfernte sich.

***

Wie kam es nur, dass sich Caroline so intensiv in ihren Gedanken mit Frank Falkner beschäftigen musste? Sie ärgerte sich darüber. Er war der Neffe ihres Chefs, verlobt und ganz nett, na und? Sie war doch wirklich hoffnungslos romantisch in ihrer Vorliebe für die Archäologie.

Kitty Timmerding, ihre Freundin, behauptete, dass Ausgrabungen ein seltsames Hobby für weibliche Wesen wären. Eigentlich wäre dieses Wissensgebiet meist Männern vorbehalten.

Caroline aber ließ gern ihre Fantasie spielen bei der Vorstellung, wie die Menschen vor langer Zeit gelebt hatten, und sie wurde nicht müde, alte Pläne freigelegter Städte zu studieren.

Die Übersetzung hatte ihr keine Mühe gemacht und sie bis Freitagnacht wach gehalten. Samstag gegen vierzehn Uhr wurde sie merklich nervös. Sie trug ihren schönsten Rock, der gerade von der Reinigung abgeholt worden war, und dazu den gestreiften Pullover. Natürlich brachte sie auch ihre kleine Dachwohnung auf Hochglanz.

Gegen halb drei Uhr klingelte es an ihrer Wohnungstür. Caroline eilte hinaus und riss in Erwartung von Frank Falkner die Wohnungstür auf.

Sie prallte erschrocken zurück, als sie eine elegante Dame mit Hornbrille vor sich sah.

„Sind Sie Fräulein Winter?“, erkundigte sie sich kühl. Sie beobachtete Caroline aufmerksam.

„Ja. Es steht ja am Türschild“, erwiderte Caroline.

„Ich bin Gundula Crantz“, erklärte die Dame. „Die Verlobte von Herrn Falkner. Er ist leider unabkömmlich und schickt mich, die Übersetzung abzuholen.“

Sekundenlang gab sich Caroline ihrer Enttäuschung hin.

„Bitte, kommen Sie herein“, bat sie. „Ich habe alles fertig.“

Gundula Crantz folgte Caroline in das Wohnzimmer und sah sich um. Die Regale waren bis zur Zimmerdecke mit Büchern vollgestellt.

„Meine Güte, haben Sie die alle gelesen?“, fragte Fräulein Crantz.

„Ja“, erwiderte Caroline kurz. Sie übergab der Besucherin einen Umschlag. „Es ist alles drin.“

Gundula Crantz nickte, öffnete ihre Handtasche und zog eine Geldbörse heraus.

„Wie viel bekommen Sie für Ihre Arbeit?“

Caroline Winter wurde rot. „Lassen Sie doch“, wehrte sie ab. „Es hat mir Spaß gemacht.“

Gundula Crantz glaubte nicht richtig zu hören.

„Spaß?“, wiederholte sie. „Eine Übersetzung über alte Ausgrabungen?“

„Mein Hobby“, erklärte Caroline.

„Sie wollen sich wohl bei Frank einschmeicheln?“, stieß Gundula Crantz misstrauisch hervor. „Ich warne Sie, Fräulein Winter. Ich bin wahnsinnig eifersüchtig. Wie viel Seiten haben Sie in die Maschine geschrieben?“

„Neun, aber …“

Gundula öffnete die Geldbörse, holte einen Hundertmarkschein heraus und warf ihn auf den Tisch.

„Zehn Mark pro Seite, der Rest für die Unkosten“, sagte sie. „Wir lassen uns nichts schenken, Fräulein Winter. Merken Sie sich das.“

Sprachlos sah Caroline sie an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, die hundert Mark wollte sie aber auch nicht nehmen.

„Ich werde das mit meinem Chef Doktor Nordhaus am Montag besprechen“, erklärte sie. „Hundert Mark sind zu viel.“

Gundula Crantz sah sie spöttisch an und trat, den Umschlag unter den Arm geklemmt, hinaus.

„Ist es wahr, dass Sie meinen Verlobten baten, Sie nach Marokko mitzunehmen?“, erkundigte sie sich mit erhobener Stimme.

Caroline wollte das richtig stellen, dann aber gab sie es auf. Sie wollte mit dieser Frau, die ihr herzlich unsympathisch war, keine längere Unterhaltung führen.

„Ich stehe bei Doktor Nordhaus im Vertrag“, erwiderte sie herb. „Guten Tag, Fräulein Crantz.“

Jetzt war die Reihe, sprachlos zu sein, an Gundula Crantz. Entrüstet funkelte sie Caroline an, dann trat sie auf den Hausflur hinaus und eilte die Treppe hinunter, ohne sich noch einmal umzublicken.

Die hundert Mark steckte Caroline in ihre Schultertasche. Sie war fest entschlossen, den Geldschein am Montag Dr. Nordhaus zu übergeben.

***