Lore-Roman 44 - Ursula Fischer - E-Book

Lore-Roman 44 E-Book

Ursula Fischer

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Beschreibung

Der Mann ohne Vergangenheit
Ina von Blennhorst kann sich nicht damit abfinden, dass es eine Frau gibt, die ältere Rechte besitzt. Sie weiß, der Mann macht sich unglücklich. Was zählt denn Ehre, was gilt Anstand, wenn es um das Glück geht?
Liebe Leserinnen und Leser, dieser Band der BASTEI-Reihe "Lore" wird Sie tief im Herzen berühren. Versäumen Sie auf keinen Fall dieses Glanzstück aus der Feder von Ursula Fischer - eine Geschichte zum Träumen schön!

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Seitenzahl: 144

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Mann ohne Vergangenheit

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Nejron Photo / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-7515-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Mann ohne Vergangenheit

Ein fesselnder Schicksalsroman

Von Ursula Fischer

Georg nennen sie den Mann ohne Vergangenheit in dem kleinen Ort Fährendorf, jenen eleganten Mann, der dem Tod von der Schippe gesprungen ist, als er in dieser schicksalhaften Nacht mit seinem Wagen am Ortsrand verunglückte. Seine körperlichen Wunden heilen mit der Zeit, aber in seiner Seele, in seinem Kopf ist nichts als eine schwarze Leere. Sein altes Leben ist wie ausgelöscht, er hat keinerlei Erinnerung. Im Dorf zerreißen sich die Frauen schon den Mund über den geheimnisvollen Fremden, und sogar in der Zeitung bringt man einen Artikel über den „Mann ohne Gedächtnis“. Aber niemand meldet sich, niemand scheint ihn zu vermissen, und so sucht Georg den Neuanfang in Fährendorf.

Er entdeckt seine Liebe zu den Pferden, und auf dem Gestüt Marensen findet er nicht nur eine Stellung, sondern bald darauf auch eine Frau, die er lieben kann. Die lebenslustige Ina Komtess von Blennhorst kann sein einsames Herz erreichen. Doch eines Tages taucht eine Frau auf, die behauptet, sie sei Erich, wie er wirklich heißt, versprochen und erwarte ein Kind von ihm: Eine Frau, die nicht zu ihm passt, die ihm fremd ist und die er niemals lieben wird …

„Wird Zeit, ins Bett zu gehen“, meinte Willi Kluge und gähnte herzhaft.

Er hatte vor Müdigkeit ganz kleine Augen, und ein Wunder war das nicht, denn als Bäcker stand er noch vor den Hühnern auf.

„Jetzt schon?“, murrte Gertrud. „Ich bleib noch ein bisschen auf, Vati, mein Buch ist gerade so spannend.“

Der korpulente Mann seufzte.

„Das kenne ich schon. Immer wenn du ins Bett sollst, bist du gerade an einer spannenden Stelle. Lies morgen weiter.“

„Ich bin überhaupt nicht müde“, versicherte Gertrud.

Sie brauchte morgens nicht so früh aufzustehen, denn sie verkaufte die Brötchen und Backwaren, die ihr Vater herstellte, im Laden.

„Was war das?“, fragte Willi Kluge. „Doch nicht etwa schon wieder ein Auto?“

„Ich geh mal nachsehen.“ Thekla Kluge, die es gelernt hatte, sich aus den Auseinandersetzungen zwischen Vater und Tochter herauszuhalten, stand auf. „Bin nur gespannt, wann sie die Kurve endlich mal begradigen. Letztes Jahr hat sich dort erst einer zu Tode gefahren.“

„Was müssen die Leute auch immer so rasen.“ Willi Kluge gähnte wieder. „Und dann noch bei diesem Wetter.“ Seit einer Stunde war es feucht, eine durchdringende Nässe, die den Staub auf den Straßen zu Schmierseife machte.

„Ich komm mit“, bot Gertrud ihrer Mutter an.

„Was war das?“, fragte Frau Thekla zusammenzuckend.

„Da ist etwas explodiert. Mein Gott, wenn das nun wirklich ein Auto war … Die armen Menschen.“

„Ich komme mit“, entschied Willi Kluge.

Er stapfte auf den Flur und schlüpfte in seine derbe Lodenjacke. Seine Bewegungen wirkten gemächlich, aber trotzdem hatte er sich schneller angekleidet als seine nervös herumzappelnden Frauen. Ohne sich weiter um die beiden zu kümmern, verließ er das Haus.

Der Feuerschein wies ihm den Weg, aber auch ohne diesen Hinweis hätte er gewusst, wo er zu suchen hatte. Die Straße machte hier eine scharfe Rechtskurve, nachdem sie fast einen Kilometer schnurgerade verlaufen war. An der linken Straßenseite standen ein paar Eichen, und ihre zerfetzte Rinde verriet, dass sich dort häufiger Unfälle ereigneten. Auf den Gedanken, die Bäume zu fällen, war noch niemand gekommen.

Hinter den Bäumen fiel das Gelände etwa dreißig Meter steil ab. Wenn der da runtergestürzt ist, dachte Willi und ging unwillkürlich schneller. Eine neue Explosion, wahrscheinlich ausgelaufenes Benzin, das in die Luft ging.

Oben am Straßenrand blieb er entsetzt stehen. Der Wagen lag auf dem Dach, und er brannte wie eine Fackel. Da kommt jede Hilfe zu spät, dachte er.

Seine Bäckerei lag am Rande des Dorfes, die anderen Einwohner hatten die Explosion wahrscheinlich nicht gehört. Ich muss die Polizei benachrichtigen, dachte er. Es hatte keinen Zweck, zu dem verunglückten Auto zu gehen, man musste warten, bis es ausgebrannt war.

„Wie viele da wohl drin sein mögen?“, fragte Gertrud, und vor Aufregung flüsterte sie unwillkürlich. „Dass sie immer so schnell fahren müssen.“

Die Mutter packte mit beiden Händen den Arm des neben ihr stehenden Mannes. „Willi, da liegt einer.“

„Tatsächlich …“ Der Bäckermeister war mit ein paar Schritten neben dem Mann, der offenbar durch die Windschutzscheibe hinausgeschleudert war.

„Sieh nicht hin“, flüsterte Frau Thekla, konnte selbst aber der Versuchung nicht widerstehen, das blutüberströmte Gesicht des Verletzten anzustarren.

Bestimmt war er tot. Der fünfte Tote an dieser Stelle.

Willi war neben dem Mann niedergekniet und richtete sich jetzt auf.

„Er lebt noch“, warf er seinen Frauen hin. „Wir müssen sofort Hilfe holen. Lauf zurück und ruf die Polizei an, Gertrud. Und sag, sie sollen einen Arzt mitbringen. Und es wäre eilig. Nun lauf schon, du hast die jüngsten Beine.“

„Wer mag das sein?“, fragte Frau Thekla. Sie flüsterte noch immer.

„Das wird die Polizei schon feststellen. Schade um das Auto. Ein ganz neuer Opel, letztes Modell.“ Der Wagen tat ihm offenbar mehr leid als der Mann, der in ihm gesessen hatte.

„Meinst du, dass er durchkommen wird?“

„Woher soll ich das wissen, bin ich Arzt?“ Willi hatte den Krieg von Anfang bis zum Ende mitgemacht und war durch den Anblick von Blut nicht aus der Ruhe zu bringen. „Hoffentlich kommt bald ein Arzt. Sein Schädel sieht bös aus, sollte mich gar nicht wundern, wenn er draufgeht. Verdammt kalt, findest du nicht auch? Möchte nur mal wissen, wann wieder besseres Wetter kommt.“

Dort unten lag der Wagen, und er brannte noch immer lichterloh.

Willi stellte sich derweil vor, wie schön es jetzt im Bett sein müsste, und insgeheim stieß er eine grimmige Verwünschung aus. Warum konnte er mit seinem Unfall nicht warten, bis er das Dorf hinter sich hatte?, fragte er sich. Hoffentlich kommt die Polizei bald.

Er musste noch eine Weile warten, bis die Sirene des Polizeiwagens zu hören war.

„Wurde auch Zeit“, knurrte er gereizt. „Da kommt ja auch Gertrud. Warum bist du nicht im Hause geblieben? Hier gibt es nichts zu sehen. Und nicht einmal ein Kopftuch hast du dir umgebunden. Willst du dir mit aller Gewalt den Tod holen?“

Die beiden Polizisten, die aus dem Streifenwagen gestiegen waren, tippten flüchtig an ihre Mützen, warfen einen Blick auf das Wrack des Wagens, das noch furchtbar qualmte, dann schauten sie auf den Arzt, der neben dem Verunglückten kniete und ihn untersuchte.

„Wer ist es?“, fragte Frau Thekla.

Der Mann lag auf dem Rücken, trug ein elegantes Hemd, wahrscheinlich reine Seide, aber keine Jacke.

„Was ist mit ihm, Herr Doktor?“, fragte einer der Polizisten.

„Schwere Gehirnerschütterung.“

„Wir werden im Krankenhaus anrufen und einen …“

„Der Mann ist nicht transportfähig. Am besten ist es, wir legen ihn auf eine Trage und bringen ihn vorsichtig ins nächste Haus. Ich kann die Verantwortung für seinen Transport nicht übernehmen.“

„Das hat uns gerade noch gefehlt“, brummte Willi Kluge. Das nächste Haus war die Bäckerei, und Platz hatten sie. Es gefiel ihm nicht, dass sie ihnen einen fremden Mann ins Haus schleppen wollten. „Im Krankenhaus ist er bestimmt besser aufgehoben“, wandte er sich an den Arzt.

„So weit kommt er gar nicht. Die Straßen sind viel zu schlecht, die Erschütterungen beim Transport würden ihn umbringen. Haben Sie eine Trage?“

Die Polizisten holten sie aus ihrem Wagen, legten den Verletzten vorsichtig hinauf und trugen ihn dann den Feldweg entlang zur Bäckerei. Frau Thekla lief ihnen voraus und öffnete die Hintertür.

„Hier hinein.“ Gertrud öffnete die Tür zu einem Gastzimmer. „Er scheint noch nicht alt zu sein …“

„Vielleicht ein Mann für dich?“, fragte ein Polizist augenzwinkernd und lachte.

Der Arzt stellte seine Tasche auf den Boden und bereitete eine Spritze vor. Frau Thekla drehte den Kopf zur Seite, als er die Nadel ins Fleisch stach. Sie konnte so etwas nicht mit ansehen.

„Was meinen Sie, wie lange wird er bei uns bleiben müssen?“, fragte Bäckermeister Kluge den Arzt.

„Weiß ich noch nicht. Ich brauche warmes Wasser, einen Schwamm und Handtücher.“

Er wird sie mir verderben, war das Erste, was Frau Thekla einfiel. Natürlich konnte sie ihm die Handtücher nicht verweigern, es wäre unchristlich gewesen, aber auf keinen Fall würde sie ihm welche von den guten geben.

„Als brauchte ich nicht meinen Schlaf“, murrte Willi. Er folgte ihr und ging ins Wohnzimmer. „Kann ja eine feine Nacht werden.“ Er gähnte wieder herzhaft.

Seine Frau hatte ihn im Laufe ihrer langen Ehe ganz gut erzogen, aber es war ihr nicht gelungen, ihm beizubringen, die Hand vor den Mund zu nehmen, wenn er gähnte.

„Kannst dich ja schon hinlegen. Du schläfst ja immer wie ein Bär.“

„Warum eigentlich nicht? Helfen kann ich dem Doktor doch nicht … Gut, dass er gerade zu Hause war. Also dann, Thekla … Morgen früh ist die Nacht zu Ende.“

***

„Du darfst die Maschine nicht laufen lassen“, wisperte Gertrud ihrem Vater in der Backstube zu. „Denk doch an den Mann.“

„Was hat der damit zu tun?“, fragte Willi Kluge brummig. „Die Leute wollen ihre Brötchen haben. Steh mir nicht im Weg; seit wann stehst du überhaupt so früh auf?“

„Ich war gar nicht im Bett.“

„Du warst nicht im …?“, wiederholte Willi Kluge und schüttelte den Kopf. „Sag bloß, du hättest die ganze Nacht bei dem Mann gesessen. Wie geht es ihm übrigens?“

„Er ist noch immer bewusstlos, glaube ich, vielleicht schläft er auch nur. Und deshalb darfst du die Maschine nicht anstellen. Er braucht Ruhe.“

„Wer braucht die nicht?“, fragte Willi Kluge. „Und wer bekommt sie? Wenn es danach geht, was man brauchte … Ich könnte zum Beispiel gut einen Lottohauptgewinn brauchen.“

„Er sieht gut aus. Von seinem Gesicht ist ja nicht viel zu sehen, aber … Ich bin gespannt, wer er ist. Bestimmt etwas Besseres. Hast du dir mal seine Hände angeschaut? Er hat ganz schlanke, gepflegte Finger.“

„Braucht wohl nicht zu arbeiten. Steh mir hier nicht im Wege, Gertrud. Hoffentlich ist er bald transportfähig. Ich habe keine Lust, einen Fremden im Hause zu haben. Sollen sich seine Angehörigen um ihn kümmern. Man muss seine Frau benachrichtigen.“

„Er trägt keinen Ehering.“

„Dann seine Eltern. Mir ist es egal, wer ihn abholt, die Hauptsache ist, man holt ihn bald.“ Er schaltete die Mischmaschine an, und er grinste nur, als Gertrud protestierte.

Mit einer lässig wirkenden Handbewegung schob er sie zur Seite. Im Haus hatte Thekla die Hosen an, aber hier in seiner Backstube war er der Herr. Und da ließ er sich auch von seinen Frauen nicht hineinreden.

„Wo bleibt Paul?“

„Frühstückt noch. Er schlingt sein Frühstück nicht so runter wie du, Vati.“

„Der hat es gut, der trägt keine Verantwortung.“

„Da kommst du ja endlich, Paul. Auch schon ausgeschlafen?“

„Morgen, Meister.“ Der Geselle Paul, der mit im Hause wohnte, grinste ungerührt. Er kannte Willi Kluge und hatte längst aufgehört, sich über seinen Meister zu wundern.

„Du hast einen gesegneten Schlaf. Hast du von dem Unfall gestern nichts gehört?“

„Wenn ich schlafe, dann schlafe ich“, erwiderte Paul friedfertig. An seinem Meister vorbei schaute er auf Gertrud und lächelte ihr zu.

Heute allerdings lächelte die Tochter des Meisters nicht zurück. Es passte nicht zu ihrer neuen Würde als Pflegerin eines Schwerverletzten, fand sie wohl.

„Hübsch siehst du wieder aus, wirklich hübsch“, stellte Paul fest.

„Hast du nichts zu tun?“, fuhr der Meister ihn an. „Und du steh hier nicht länger herum und hältst ordentliche Menschen von der Arbeit ab“, wandte er sich dann an seine Tochter.

Paul grinste nur. Er wusste, dass der Meister und seine Frau sich gut verstanden, wenn der Meister auch gern ein bisschen stichelte. Und besonders Gertrud gefiel ihm. Eigentlich war er nur ihretwegen hierhergekommen. Sein Traum war es, bei Kluge einzuheiraten und später einmal den Betrieb zu übernehmen. Und Gertrud war ein Mädchen, das man auch ohne die Bäckerei ihres Vaters haben wollte.

Auf Zehenspitzen trat Gertrud ins Gastzimmer. Der Verletzte lag noch so, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte. Sein Kopf war mit weißen Binden bedeckt, von seinem Gesicht war nicht viel zu sehen. Der Doktor hatte seinen Schädel rasiert, um die Verletzungen besser versorgen zu können, und Gertrud hatte sein dichtes, blondes Haar sorgsam aufbewahrt. Vielleicht wollte er es wiederhaben?

Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und hing ihren Gedanken nach. Gertrud fühlte sich zu Höherem berufen. Sie wusste natürlich, dass Paul sich für sie interessierte, aber eigentlich war er ihr nicht gut genug. Ein Bäcker …

Sie geriet unversehens wieder einmal ins Träumen. Und sie träumte von ihrem Märchenprinzen, der eines Tages auftauchen und sie auf sein Schloss mitnehmen würde. Und kam so etwas nicht häufig genug vor? Sie las begierig alle Illustrierten, die sie bekommen konnte, und dort wurden solche Schicksale oft genug erzählt.

Und nun war jemand ins Haus gekommen, der nicht in ihre Welt gehörte, ein gut aussehender, junger Mann, der ihnen vielleicht sein Leben verdankte. Die Straße, an der er verunglückt war, war nicht viel befahren. Es hätte Stunden dauern können, bis irgendjemand ihn fand, und bei dem Wetter hätte das mit Sicherheit eine Lungenentzündung und damit seinen Tod bedeutet.

Je mehr Gertrud sich das alles klarmachte, desto sicherer war sie, dass er ihnen sein Leben verdankte und entsprechend reagieren würde, wenn er erst wieder zu sich kam. Was er wohl sein mochte? Einer aus der Industrie? Vielleicht ein ganz reicher Mann, Herr über viele Arbeiter und Angestellte …?

„Dein Frühstück.“ Frau Thekla trat mit dem Tablett in der Hand ein und stellte es auf den Tisch. „Du könntest ihn ruhig allein lassen, der braucht dich jetzt nicht. Hoffentlich geht er uns hier nicht ein.“

Bei dieser etwas lieblosen Formulierung zuckte Gertrud zusammen.

„Akute Lebensgefahr besteht nicht, hat Doktor Sieber gesagt.“

„Hoffentlich.“ Frau Thekla traute den Ärzten nicht. „Lass den Kaffee nicht kalt werden. Irgendjemand muss sich ja um ihn kümmern, aber dass ausgerechnet wir das sein sollen … Hoffentlich ist er bald transportfähig. Hat er schon etwas gesagt?“

„Nein. Was meinst du, wer er wohl ist?“

„Ein besserer Herr“, bestätigte Frau Thekla die Vermutung ihrer Tochter. „Sobald er zu sich kommt, muss er uns sagen, wen wir benachrichtigen müssen. Seine Angehörigen werden sich Sorgen machen.“

„Seine Papiere waren wohl im Wagen.“

„Sicher. Ich lass dich jetzt allein …“

Und prompt geriet Gertrud wieder ins Träumen, während sie automatisch das reichhaltige Frühstück verzehrte. Dabei verging ihr die Zeit wie im Fluge.

Dann trat Paul ein, mehlbestäubt, aber ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Unten in der Backstube war jetzt eine Pause, und die benutzte er natürlich, um mit Gertrud zu sprechen.

„Was macht er?“, fragte er mit einer Kopfbewegung zu dem Verletzten hin.

„Sprich leise“, wisperte Gertrud. „Er schläft.“

„Wer schläft, der sündigt nicht“, verkündete Paul eine Alltagsweisheit. „Werd mir auch bald ein Auto zulegen, hab ich dir das schon erzählt? Ein Freund von mir kann mir vielleicht eins besorgen. Erst sechs Jahre alt, aber noch so gut wie neu. Hat erst fünfzigtausend runter.“

„Du mit deinem alten Auto …“

Paul war im ersten Moment eingeschnappt.

„Für dich kommt wohl nur einer mit Mercedes infrage? Aber den Zahn lass dir nur schnell ziehen, Gertrud.“

„Meinst du, ich sei für einen Mercedes nicht gut genug?“, schnappte das Mädchen ein.

„Du bist gut genug für jeden Wagen, das weißt du doch. Wollen wir am Sonnabend mal wieder tanzen gehen? War doch eigentlich immer nett.“

„Weiß noch nicht, ob ich kann.“

„Bis dahin ist er längst weg“, meinte Paul, der ihren Blick auf den Verletzten richtig gedeutet hatte. „Soll ja wohl kein Dauergast werden. Wer weiß, was für einer das ist. Sieht aus wie ein Hochstapler.“

„Du musst es ja wissen, du hast die Weisheit ja mit der Schöpfkelle gegessen.“

„Ich lass mir jedenfalls nicht so leicht etwas vormachen wie andere Leute, wobei ich hier niemanden scharf ansehen will“, gab Paul ungerührt zurück. „Nur weil einer ein neues Auto fährt und seidene Hemden trägt …“

„Man sieht doch gleich, dass er jemand ist.“

„Ach, und bin ich niemand?“, fragte Paul. „Du bist schon eine komische Nummer, Gertrud. Du gehst zu oft ins Kino.“

„Tut dir bloß leid um das Geld, wenn du mich einlädtst.“

Paul grinste breit. „Das mit Sonnabend behalte mal im Auge. Ich muss wieder nach unten, sonst explodiert der Meister. Heute ist mal wieder kein Auskommen mit ihm.“

„Muss auch schwer sein, mit dir auszukommen.“

Paul grinste ungerührt. Er wusste, dass sie ihre Bemerkung nicht böse gemeint hatte und war keineswegs eingeschnappt. Gertrud Kluge war wirklich ein ungewöhnlich hübsches Mädchen, genau das, was ein Mann sich so fürs Herz wünschte. Und ihre Kratzbürstigkeit würde sich schon geben, wenn sie erst verheiratet waren. Die Mädchen stellten sich alle an, wenn sie merkten, dass ein Mann sich für sie interessierte. Paul sah selbst gut aus und wusste Bescheid.

Als er gegangen war, beugte sich Gertrud über den Verletzten und studierte sein Gesicht, Zug um Zug. Er hatte eine kräftige, Willensstärke vorratende Nase, feste, sympathische Lippen … Jetzt waren sie ziemlich blass, er hatte wohl viel Blut verloren, aber es waren Lippen, die Gertrud zum Träumen veranlassten. Es war ihr Glück, dass niemand etwas von diesen Träumen wusste, sie hätte sich sonst vor dem Spott ihrer Umgebung nicht retten können.