Lore-Roman 46 - Wera Orloff - E-Book

Lore-Roman 46 E-Book

Wera Orloff

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Beschreibung

Wenn Liebe sich bewähren muss
Bewegender Roman um ein bedrohtes Glück
Von Wera Orloff

Natalie Grootheer lebt mit ihrem Freund Axel in einem winzigen Studentenzimmer. Die Enge und die ständige Geldnot machen sie immer unzufriedener. Als sich auch noch ungeplant ein Kind ankündigt, ist Natalie todunglücklich und hadert mit ihrem Schicksal.
Da tut sich ihr nach der Geburt des Kindes eine Möglichkeit auf, halbtags zu arbeiten und der Armut wenigstens stundenweise zu entfliehen. Sie lebt richtig auf, solange sie im Haus von Herrn Möllendorf ist, und sie vergisst, dass irgendwo in der Stadt ein Kind liegt und ein Mann auf sie wartet ...

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Seitenzahl: 142

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Inhalt

Cover

Impressum

Wenn Liebe sich bewähren muss

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Kiselev Andrey Valerevich / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-7597-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wenn Liebe sich bewähren muss

Bewegender Roman um ein bedrohtes Glück

Von Wera Orloff

Natalie Grootheer lebt mit ihrem Freund Axel in einem winzigen Studentenzimmer. Die Enge und die ständige Geldnot machen sie immer unzufriedener. Als sich auch noch ungeplant ein Kind ankündigt, ist Natalie todunglücklich und hadert mit ihrem Schicksal.

Da tut sich ihr nach der Geburt des Kindes eine Möglichkeit auf, halbtags zu arbeiten und der Armut wenigstens stundenweise zu entfliehen. Sie lebt richtig auf, solange sie im Haus von Herrn Möllendorf ist, und sie vergisst, dass irgendwo in der Stadt ein Kind liegt und ein Mann auf sie wartet …

Sie trafen sich auf der Treppe, zwei nette, junge Mädchen, schlicht gekleidet, wie alle Bewohner dieses Mietshauses.

»Hallo!«, grüßte Sigrid Schomberg und lächelte geistesabwesend.

»Hallo!«, gab Natalie Grootheer ebenso geistesabwesend zurück. Beide trugen Aktentaschen, und beide waren auf dem Weg zur Universität.

Vor der Tür blieb Sigrid unschlüssig stehen. Nach links ging es zur Universität, ihr gewohnter Morgenweg.

»Ziemlich kalt heute«, stellte Natalie fest und zog die Schultern fröstelnd hoch. »Scheint einen frühen Winter zu geben.«

»Hoffentlich nicht. Ein Winter ist so teuer. Ich muss noch etwas besorgen. Wir sehen uns vielleicht nachher. Tschüss.« Sigrid Schomberg wandte sich nach rechts.

Natalie blieb stehen und schaute ihr nach, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwunden war, dann erst setzte sie sich gleichfalls in Bewegung – und ging auch nach rechts.

Zehn Minuten später stand sie vor der Tür eines Reihenhauses. Links neben der Tür war ein Emailleschild angebracht: Dr. med. Leipold, praktischer Arzt.

Die Haustür war nur angelehnt, das Wartezimmer, durch ein Schild an der Tür draußen gekennzeichnet, lag gleich links am Flur. Stimmengewirr verriet Natalie, dass sie auf keinen Fall, wie sie gehofft hatte, die Erste sein würde.

Dann eben nicht, dachte sie, als sie die Tür öffnete. Es waren fast alles Frauen, die auf den unbequem aussehenden Stühlen saßen, einige mit einer Zeitschrift in der Hand, die meisten aber in ein Gespräch verwickelt.

Die Blicke der Wartenden hefteten sich neugierig auf die junge Frau und glitten abschätzend über sie hinweg. So manche Stirn legte sich missbilligend in Falten. Diese Patientin sah gesund aus, das hätte man ihr vielleicht noch verziehen, aber sie sah auch schön aus, und das nahm man ihr ein bisschen übel. Sie war ein etwas herber Typ mit schmalem Gesicht und großen, blauen Augen, goldblondem, langem Haar, das bis über die Schultern hinweg hinabfiel, und an ihrer Figur konnte auch das kritischste Auge nichts auszusetzen finden.

Natalie Grootheer war eine Erscheinung, die alle Ehefrauen eifersüchtig machte. Sie war eine, nach der ihre Männer schauten und von der sie heimlich träumten.

Natalie spürte die Welle der Abneigung, die ihr entgegenschlug, und sie bemühte sich, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie war es ja gewohnt, dass Frauen sie nicht mochten.

Ihr Blick streifte flüchtig die fremden Gesichter, und dann stutzte sie. Erst jetzt bemerkte sie Sigrid Schomberg, ihre Studienkollegin. Sie hatte ein Lehrbuch in der Hand und las konzentriert. Was um sie herum vor sich ging, störte sie nicht. Der einzige freie Platz war neben ihr, und Natalie blieb nichts anderes übrig, als sich neben Sigrid zu setzen.

»Bereitest du dich auf ein Referat vor?«, fragte sie, als sie saß.

Sigrid hob den Kopf und schaute sie an, und es dauerte Sekunden, bis sie Natalie erkannte. »Ja«, erwiderte sie dann. »Du bist auch hier?«

»Du besitzt eine auffallend rasche Auffassungsgabe«, stellte Natalie fest. »Was fehlt dir?«

Sigrid zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Mein Magen ist nicht ganz in Ordnung. Aber was soll ich tun?«

»So, du hast es mit dem Magen …« Es klang fast ein wenig neidisch, wie Natalie es sagte. »Wenn es nichts Schlimmeres ist …«

»Ich wollte eigentlich gar nicht zum Arzt gehen, aber Mathias bestand darauf. Du kennst ihn ja, er ist sehr besorgt.«

»Wenn es sich um dich dreht«, ergänzte Natalie. »Trink weniger Kaffee, dann kommt dein Magen wieder ganz von selbst in Ordnung.«

»Ich bin abends immer so müde.« Auch jetzt lagen bläuliche Schatten unter Sigrids Augen. »Ich komme ja eigentlich erst immer spät zum Arbeiten.«

»Geht du noch immer putzen?«, fragte Natalie mit mäßigem Interesse. Was sie selbst nicht betraf, interessierte sie nur am Rande.

»Ja. Etwas anderes habe ich nicht gefunden, und es wird ja auch nicht direkt schlecht bezahlt. Mir fehlt nur die Zeit, die ich dort verbringe. Ich bin heute erst um zwei Uhr ins Bett gekommen. Nächste Woche muss mein Referat fertig sein, und du kennst Adam doch, wenn man sich nicht genug Mühe gibt, macht er einen vor versammelter Mannschaft fertig.«

»Ja …« Natalie starrte vor sich hin. »Eine Schande, dass wir so wenig Geld haben.«

»Immerhin bekommen wir fast fünfhundert Mark von Vater Staat …«

»Und wenn du davon die Miete abziehst und das, was du sonst noch dringend brauchst, dann bleibt nichts übrig. Die Läden sind voller Delikatessen, und wir essen Bratkartoffeln, jeden Abend Bratkartoffeln. Das habe ich mir geschworen: Wenn ich einmal Geld verdiene, dann esse ich niemals im Leben wieder Bratkartoffeln!«

Ein paar Frauen, die lasen, hoben ärgerlich die Köpfe. Es war nicht üblich, dass man sich hier so laut unterhielt, aber diese jungen Dinger nahmen keine Rücksicht auf andere, sie taten so, als seien sie allein auf der Welt.

»Dafür verdienen wir später mal ganz gut. Hätten wir Eltern, die uns unterstützen können …«

Natalie verstand Sigrids Haltung nicht. Sie neigte zur Unzufriedenheit, stellte Ansprüche an das Leben, auch wenn sie wusste, dass sich diese Ansprüche nicht erfüllen konnten und würden. Sigrid dagegen, nahm die Dinge, wie sie waren und versuchte, das Beste daraus zu machen. Auf Natalie wirkte diese vernünftige Haltung manchmal direkt aufreizend.

»Was fehlt dir?«, fragte Sigrid nun teilnahmsvoll.

Natalie zuckte die Schultern. »Weiß ich nicht. Ich fühle mich zum Kotzen.«

Die ältere Frau, die an ihrer rechten Seite saß, schüttelte entsetzt den Kopf. Eine Ausdrucksweise hatten diese jungen Mädchen heute, empörend! Sie schämte sich direkt für dieses langhaarige junge Ding in den verwaschenen Blue jeans.

»Vielleicht liegt es an der Jahreszeit«, meinte Sigrid. »Wenn es auf den Winter zugeht, fühle ich mich auch immer ziemlich abgeschlafft. Und ausgerechnet das Wintersemester ist so lang. Aber wir haben es ja bald geschafft, Natalie.«

»Gott sei Dank! Dieses elende Leben hängt mir zum Halse heraus.«

»Wie geht es Axel?«

Zum ersten Mal lächelte Natalie, als sie den Kopf zu Sigrid drehte.

»Er paukt wie ein Besessener. Und darüber vergisst er sogar manchmal mich. Ein Glück, dass wir zusammen wohnen, ich wüsste nicht, wie ich sonst rumkommen sollte. Er bekommt ja nicht viel von seinen Eltern dazu, aber ab und zu schickt ihm seine Mutter doch mal etwas. Und vor allem teilen wir uns die Miete, und zu zweit wirtschaftet man einfach billiger als allein.«

Die füllige Frau an ihrer Seite rückte ihren Stuhl demonstrativ ein Stück zur Seite. So eine also war das! Sie hatte es sich ja fast gedacht. Lebte mit einem Mann zusammen, ohne mit ihm verheiratet zu sein, und sie schämte sich nicht einmal dafür, im Gegenteil, sie sprach davon, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Und mit solchen Geschöpfen musste man nun in einem Zimmer zusammen sein.

Natalie registrierte das Verhalten ihrer Nachbarin nicht.

»Manchmal steht mir alles bis obenhin«, bekannte sie. »Da studiert man nun Jahr für Jahr, hungert sich durch, gönnt sich nichts, und andere, die so vernünftig waren, sich einen Beruf zu suchen, leben herrlich und in Freuden. Eine Klassenkameradin von mir ist gleich nach dem Abitur ins Büro gegangen. Sie bekommt jetzt ein Bombengehalt, hat eine hübsche Wohnung, einen Wagen, zwar gebraucht, aber immerhin, kann sich schöne Urlaubsreisen erlauben, und wir …«

»Mir macht das Studieren einfach Spaß.«

»Mir würde es auch Spaß machen, hätte ich mehr Geld. Du wohnst wenigstens allein, aber zu zweit in einem Zimmer ist einfach zu eng!«

Die Sprechstundenhilfe kam herein und lächelte freundlich unverbindlich.

»Ich fange jetzt an zu spritzen. Wer kommt zuerst?«

Es stellte sich heraus, dass die meisten Patienten nur gekommen waren, um sich eine Spritze geben zu lassen. Eine Viertelstunde später waren außer Sigrid und Natalie nur noch zwei Frauen im Warteraum.

»Ich drücke dir die Daumen«, sagte Natalie, als Sigrid im Sprechzimmer des Arztes verschwand.

Sie hatte Angst vor dem Ergebnis der Untersuchung, weil sie ahnte, wie die Diagnose lauten würde.

***

Natalie hatte keine Gelegenheit, Sigrid zu fragen, was der Arzt gesagt hatte, die Sprechstundenhilfe winkte sie nämlich schon herein. Das Wartezimmer war inzwischen wieder bis auf den letzten Platz gefüllt.

Dr. Leipold war ein Mann Anfang fünfzig, der eine unglaubliche Ruhe ausstrahlte. Es schien, als mache ihm das tägliche Arbeitspensum nichts aus. Er begrüßte Natalie, überflog die Karteikarte, die seine Sprechstundenhilfe inzwischen ausgefüllt hatte, bat seine neue Patientin, ihm von ihren Beschwerden zu erzählen und untersuchte sie gründlich.

»Sie sind nicht verheiratet?« Es war mehr eine Feststellung.

»Ich lebe mit einem Mann zusammen. Zum Heiraten fehlt uns das Geld. Wir studieren beide.« Natalies Stimme klang unnötig gereizt, aber sie konnte sich einfach nicht besser zusammennehmen.

»Hm.« Dr. Leipold stellte die notwendigen Fragen, und dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und schaute Natalie Grootheer voll an. »Wahrscheinlich erwarten Sie ein Kind«, stellte er fest. »Ich nehme an, dass Sie mit dieser Möglichkeit gerechnet haben.«

»Ja.« Die junge Frau lächelte verkrampft. »Natürlich. Aber ein Kind, ausgerechnet jetzt … Ich brauche noch zwei Semester bis zum Examen.«

»Wahrscheinlich werden Sie ein Semester pausieren müssen.«

»Noch ein halbes Jahr verloren«, murmelte Natalie. »Das hat mir gerade noch gefehlt.«

»Ich muss jetzt einen Test machen lassen, in drei Tagen kann ich Ihnen Nachricht geben, ob unsere Vermutung stimmt, Frau Grootheer. Ein Kind ist kein Unglück. Heutzutage schon gar nicht. Vielleicht heiraten Sie ja …«

Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn.

»Mit einem Kind haben wir nicht gerechnet«, gestand sie. »Wir wollen heiraten, wenn wir mit unserem Studium fertig sind und Geld verdienen, und dann wollen wir natürlich auch Kinder haben, aber jetzt schon …«

Dr. Leipold lächelte in einer väterlichen Art, die Natalie direkt aufregte. Er nahm ihre Sorgen nicht ganz ernst, begriff sie. Natürlich, ein Mann, der alles hatte, wusste ja nicht, was es bedeutet, von der Hand in den Mund zu leben.

»Sie werden die Zeit, die vor Ihnen liegt, auch überstehen, Frau Grootheer. Natürlich wird sie nicht leicht sein, das ist mir völlig klar, aber das Kind wird Sie mit Ihrem Freund fester verbinden.«

»Ich habe keine Angst, dass Axel mich nicht heiratet«, belehrte ihn Natalie direkt hochfahrend. »Nur – wir haben ein Zimmer, nicht einmal ein großes Zimmer, eine Wohnung können wir uns natürlich nicht erlauben.«

»Ein Säugling braucht nicht viel Platz, und wenn das Kind erst größer ist, verdienen Sie beide und können sich auch eine größere Wohnung erlauben.«

So einfach sieht das für dich aus, dachte Natalie. »Danke«, presste sie hervor. »Darf ich Sie anrufen, um das Ergebnis des Tests zu erfahren, oder muss ich dafür wieder ein paar Stunden hier herumsitzen?«

Dr. Leipold nahm ihr die Heftigkeit offenbar nicht übel, jedenfalls ließ er sich nichts anmerken. Er blieb unverändert freundlich.

»Es genügt völlig, wenn Sie anrufen, Frau Grootheer. Und wenn Sie ein Kind erwarten, dann möchte ich Sie bitten, wieder vorbeizukommen.«

Sie stand auf und klemmte sich ihre schäbige Aktentasche unter den Arm.

»Danke, Doktor Leipold.«

Der Arzt brachte sie bis zur Tür, und er lächelte, als er ihr nachschaute. Sie war, soweit er es beurteilen konnte, kerngesund und würde sicherlich auch ein gesundes Kind zur Welt bringen, und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sie im Moment hatte, würden ja in absehbarer Zeit vorüber sein.

»Der nächste bitte«, warf er seiner Sprechstundenhilfe hin und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch.

Natalie ging langsam zurück. Heute würde sie die Vorlesung in der Uni schwänzen, es lag sowieso nichts Wichtiges an. Ein Kind … Sie zitterte innerlich vor Nervosität, als sie sich einen schreienden Säugling in ihrem Zimmer vorstellte. Sie hatten die Lippen so fest zusammengepresst, dass ihr Gesicht einen verkniffenen Ausdruck bekam.

Natalie Grootheer haderte mit dem Schicksal. Auf den Gedanken, sich zu fragen, ob sie ihre Situation nicht selbst verschuldet hatte, kam sie allerdings nicht. Was für ein Gesicht wird Axel machen, wenn ich ihm die frohe Botschaft sage?, fragte sie sich.

Als sie das Haus betrat, wollte Sigrid es gerade verlassen. Einen Moment schauten die beiden sich an, dann lächelte Sigrid unsicher.

»War es schlimm, Natalie?«

»Ich kriege ein Kind«, knirschte die junge Frau. »Und der Trottel von Arzt gratuliert mir noch dazu.«

»Du auch?« Ein unsicheres Lächeln glitt über Sigrids Gesicht. »Ich erwarte nämlich auch ein Kind. Ich bin gar nicht darauf gekommen, dass …«

»Sag bloß, dass du dich auch noch darüber freust«, stieß Natalie hervor.

Sigrid schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Wir wollten ja noch keine Kinder, schließlich sind wir nicht einmal verheiratet. Aber wenn es nun mal passiert ist – irgendwie kriegen wir das Kind schon durch die ersten Jahre, und später werden wir froh sein, es zu haben.«

»Du und dein Optimismus.« Es regte Natalie einfach auf, dass Sigrid an jeder Sache immer die guten Seiten sah. »Wie willst du denn arbeiten, wenn ein Kind die ganze Nacht schreit?«

»Kinder schreien nicht die ganze Nacht. Es wird schon irgendwie gehen. Es muss ja auch gehen. Oder …« Ein Gedanke kam ihr, der ihre Augen richtig groß werden ließ. »Oder hast du etwa die Absicht …?«

»Ich weiß noch nicht«, beantwortete Natalie ihre nicht zu Ende formulierte Frage. »Es wäre an und für sich das Beste, und einen Arzt, der es macht, finde ich bestimmt. Nur das Risiko – es ist immer ein ziemliches Risiko. Wenn sie nun pfuschen und ich danach keine Kinder mehr bekommen kann? Axel ist verrückt nach Kindern. Ginge es nach ihm, dann würden wir später einmal eine Großfamilie sein.«

»Dann solltest du dich darüber freuen. Ich wollte gerade Kaffee kaufen, hast du Lust, gleich eine Tasse bei mir zu trinken? Hier ist der Schlüssel. Geh schon rein, ich beeile mich. Wir können dann über alles sprechen.«

Du dummes Ding freust dich sogar noch, dachte Natalie verbittert. Sie nahm den Schlüssel, nickte Sigrid flüchtig zu und ging dann die Treppe hinauf. Es roch immer nach Essen im Haus, denn die Bewohner kochten zu den unmöglichsten Zeiten, wie es ihre Vorlesungen gerade erlaubten, und bei dem Geruch nach gebratenen Eiern wurde Natalie übel.

Sigrids Zimmer war aufgeräumt und sauber. Kein Wunder, dachte Natalie mit einem Anflug von Neid, hier wohnt auch kein Mann, der alles rumwirft und keine Ordnung halten kann. Dass sie selbst keine Ordnung hielt, machte sie sich nicht klar.

Bei ihnen war es nämlich Axel Eckstein, der gelegentlich das Zimmer aufräumte, wenn die Unordnung gar zu groß geworden war. Er tat es übrigens stets ohne ein Wort des Vorwurfs.

Sie lehnte sich in dem alten, bequemen Sessel zurück und drückte den Kopf gegen den zerschlissenen Bezug. Allmählich spürte sie, dass sie etwas ruhiger wurde. Sie hatte nun die Gewissheit, und sie musste versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Ein Glück, dass Axel heute erst spät nach Hause kam, bis dahin war sie bestimmt ruhiger geworden und konnte vernünftig mit ihm reden. Natalie kannte ihr Temperament und bedauerte, es so schwer zügeln zu können.

Als Sigrid zurückkam, schaltete sie die Kochplatte ein. »Wann willst du es Axel sagen?«, fragte sie.

»Sobald wie möglich.«

»Ich sage es Mathias auch heute noch. Bin gespannt, was für ein Gesicht er machen wird.«

»Die Männer haben es eigentlich verdammt gut im Leben«, stellte Natalie mürrisch fest. »Sie haben die Freude an den Kindern, wir die ganze Last und Arbeit. Und so etwas nennt man dann Gleichberechtigung.«

»Man müsste im Bundestag ein Gesetz einbringen, dass in Zukunft auch Männer Kinder kriegen«, äußerte Sigrid mit todernstem Gesicht.

Immerhin lächelte Natalie, wenn es auch ein gezwungenes, verbissenes Lächeln war. Das Schicksal hatte ihr nicht die Gabe geschenkt, sich mit den Dingen abzufinden, wie sie nun einmal waren.

***

»Hattest du heute keine Lust zum Arbeiten?«, fragte Mathias Hagenau, als er sich am frühen Abend mit Sigrid traf. »Den ganzen Tag habe ich nach dir Ausschau gehalten.«

»Ich muss mit dir sprechen, Mathias. Wollen wir zu mir gehen?«

»Wenn du mich so darum bittest«, stimmte der Mann sofort schmunzelnd zu. »Ich hätte auch kein Geld mehr gehabt, dich zu einer Cola einzuladen.«

»Lass uns etwas schneller gehen, Mathias, du weißt ja, ich habe nicht viel Zeit.«

Auf der breiten Stirn des Mannes bildeten sich tiefe Falten. »Dass du Putzfrau spielen musst …«

»Es gibt Schlimmeres. Ich habe nichts gegen die Arbeit, mir tut es nur leid um die Zeit, die ich dadurch für mein Studium verliere. Ich habe übrigens Fleisch eingekauft, du bekommst heute ein Kotelett bei mir.«