Lore-Roman 66 - Helga Winter - E-Book

Lore-Roman 66 E-Book

Helga Winter

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der falsche Treueschwur

Roman um ein Mädchen in den Wirren des Krieges

Von Helga Winter

Norma von Hardenfeld, Tochter eines reichen Gutsherrn, ist auf dem Rückweg von einem Inspektionsritt, als sie im Wald auf einen verletzten englischen Soldaten trifft. Es ist Krieg, und doch kann sie den hilflosen Mann nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Sie bringt ihn in eine abgelegene Hütte, richtet ihm ein Reisiglager und versorgt ihn notdürftig. Fortan stiehlt sie sich heimlich jede Nacht zu ihm, bringt ihm Medikamente, Nahrung, warme Kleidung und versorgt seine Wunde - und verliebt sich rettungslos in den gut aussehenden Offizier.
Als Tage später bekannt wird, dass drei Fallschirme im Wald gefunden wurden und man nun in höchster Alarmbereitschaft ist, wird Norma zum ersten Mal bewusst, dass der sympathische Roger nicht nur ein hilfloser Mensch ist, sondern ein Feind, von dem eine große Gefahr ausgeht ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 151

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Der falsche Treueschwur

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: repinanatoly / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-8845-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der falsche Treueschwur

Roman um ein Mädchen in den Wirren des Krieges

Von Helga Winter

Norma von Hardenfeld, Tochter eines reichen Gutsherrn, ist auf dem Rückweg von einem Inspektionsritt, als sie im Wald auf einen verletzten englischen Soldaten trifft. Es ist Krieg, und doch kann sie den hilflosen Mann nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Sie bringt ihn in eine abgelegene Hütte, richtet ihm ein Reisiglager und versorgt ihn notdürftig. Fortan stiehlt sie sich heimlich jede Nacht zu ihm, bringt ihm Medikamente, Nahrung, warme Kleidung und versorgt seine Wunde – und verliebt sich rettungslos in den gut aussehenden Offizier.

Als Tage später bekannt wird, dass drei Fallschirme im Wald gefunden wurden und man nun in höchster Alarmbereitschaft ist, wird Norma zum ersten Mal bewusst, dass der sympathische Roger nicht nur ein hilfloser Mensch ist, sondern ein Feind, von dem eine große Gefahr ausgeht …

Es dämmerte schon, als Norma von Hardenfeld das Gutshaus verließ. Das Mädchen blieb auf der untersten Stufe der breiten Treppe stehen und schaute besorgt zum Himmel empor, der sich in der letzten Stunde zugezogen hatte.

„Es wird bestimmt ein Gewitter geben“, meinte der alte Gärtner Paul. „Hoffentlich zieht es schnell vorbei …“

„Vielleicht haben wir Glück, Paul.“ Norma hatte es in der drückenden Schwüle des Hauses nicht mehr ausgehalten. Sie ging auf die Ställe zu, sattelte sich selbst ihr Pferd und führte es an den Zügeln hinaus.

Norma schwang sich in den Sattel und trabte davon. Der Weg führte bald ziemlich steil bergauf, der hohe, dicht stehende Wald hatte die Hitze des vergangenen Tages gestaut, und Norma öffnete ein paar Knöpfe ihrer Bluse am Hals, als sie weiter ritt.

Der Waldweg war schmal geworden, sie musste sich ab und zu bücken, um Ästen auszuweichen.

Und plötzlich hörte sie ein Stöhnen. Sie riss sofort an den Zügeln, um ihr Pferd zum Halten zu bringen, und lauschte mit allen Sinnen in die Dämmerung hinein.

Doch sie hörte nichts mehr. Ich muss mich getäuscht haben, beruhigte sie sich.

Sie klatschte die Zügel auf den Hals ihres, Pferdes, und Aurora ging gehorsam weiter, war aber nervöser als vorher. Norma musste die Zügel sehr fest in die Hand nehmen, und plötzlich stieß die Stute ein helles, erschrecktes Wiehern aus und stieg steil in die Höhe.

Das Mädchen hatte Mühe, sich im Sattel zu halten, klopfte beruhigend den Hals des erschreckten Tieres und spähte dabei gleichzeitig in das dichte Unterholz, in dem sich irgendetwas bewegte.

„Es war doch nur irgendein Tier, Aurora“, murmelte sie, aber ihre Stute tänzelte so unruhig, dass Norma beschloss, sich selbst zu überzeugen, ob es tatsächlich nur ein Dachs oder Fuchs gewesen war, der ihre Stute so erregte.

Sie stieg durch das Gebüsch, den rechten Unterarm vor das Gesicht gelegt, um es vor den peitschenden Zweigen zu schützen.

Fast wäre sie über einen Mann gestolpert, der am Fuß einer mächtigen Eiche saß und offensichtlich versuchte, sich vor ihr zu verbergen.

Als Erstes bemerkte sie einen Fuß, stutzte, ging um den Stamm herum und sah sich einem völlig fremden, anscheinend noch jungen Mann gegenüber, der sie düster anstarrte.

Erschreckt griff Norma von Hardenfeld sich ans Herz, denn es war in diesen Zeiten keineswegs ganz ungefährlich, in einem einsamen Wald einem fremden Mann zu begegnen.

Ein paar Sekunden lang starrten sie sich schweigend an, und dann erkannte Norma, dass der Fremde verletzt war. Um seinen rechten Knöchel hatte er ein paar Fetzen gebunden, durch die an einigen Stellen das Blut sickerte.

„Sie sind verletzt?“, fragte das Mädchen und kniete vor ihm nieder.

Mit heftigem Ruck zog der Mann sein Bein an sich. Er stöhnte, und seine gebräunte Haut wurde ganz grau. Schweißperlen liefen ihm von der Stirn und in sein offenes Hemd hinein.

„Lassen Sie mich sehen.“ Norma vergaß, dass diese Bewegung für sie nicht ganz ungefährlich war und griff nach dem Knoten, mit dem er etwas ungeschickt den Hilfsverband befestigt hatte.

Der Mann schüttelte ablehnend den Kopf.

„Gehen Sie!“, knurrte er.

Norma schaute ihn verdutzt an. „Ich möchte Ihnen doch nur helfen“, erklärte sie, und irgendwie gelang es ihr, ihm herzlich zuzulächeln.

Aber der Mann starrte sie weiterhin düster und verbissen an, und hätte er nicht so gut ausgesehen, würde Norma sich bestimmt vor ihm gefürchtet haben.

„Nein, ich muss Ihnen doch helfen. Wie kommen Sie eigentlich hierher?“, fragte sie.

Hinter ihr raschelte es, Norma wandte sich um, sah aber nichts als nur das dichte Gebüsch und ein paar Moosbänke auf einem kleinen Hügel.

„Können Sie gehen?“, fragte sie.

Der Mann schüttelte stumm den Kopf.

Norma krauste die Stirn und dachte nach. Es müsste doch eigentlich möglich sein, ihm in Aroras Sattel zu helfen und dann im Schritt nach Gut Hardenfeld zurückzuführen.

Es schien, als errate der Mann ihre Absicht, denn er schloss ablehnend die Augen.

„Lassen Sie mich allein!“, knurrte er mit einer tiefen, rauen Stimme, die Norma die Schmerzen verriet, die der verletzte Knöchel ihm verursachte.

„Nein“, lehnte sie knapp ab. Sie brachte es einfach nicht fertig, einen Menschen hilflos liegen zu lassen.

„Ich habe mein Pferd hier, nehmen Sie sich zusammen, dann wird es Ihnen gelingen, in den Sattel zu kommen. Stützen Sie sich auf meine Schulter!“

Sie bot ihm beide Hände, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein, aber der Fremde starrte sie an, ohne sie zu nehmen.

„Mein Gott, was für ein Dickschädel sind Sie!“ Norma fühlte, dass sie allmählich eine gesunde Wut packte. „Es wäre tatsächlich besser, wenn ich Sie hier allein zurückließe.“

Eine heftige Windbö, ein Vorläufer des schnell herannahenden Gewitters, rauschte mahnend durch die Kronen der Bäume. Es war in den letzten Minuten fast finster geworden, in spätestens einer Viertelstunde würde es gießen und bestimmt nicht so bald wieder aufhören.

Norma ging auf den Weg zurück, packte Auroras Zügel und zerrte das widerstrebende Pferd durch den Gebüschgürtel bis unmittelbar vor den fremden Mann.

„Jetzt reißen Sie sich mal zusammen!“, fuhr sie ihn heftig an.

Hinter ihr knackte es, ein scharfes, metallisches Geräusch. Der Mann, der an ihr vorbeischaute, schüttelte heftig abwehrend den Kopf. Sein Mund formte ein Wort, ohne es auszusprechen.

„Nein“, lautete es.

Norma schaute sich um. Aber sie sah nichts, während Aurora wieder nervös hin und her tänzelte.

„Er ist ein guter Mensch, Aurora, und er braucht Hilfe“, raunte Norma dem Tier in die gespitzten Ohren. „Das Gewitter macht die Stute nervös“, erklärte sie dem Fremden, der sie unverwandt anschaute.

„Gehen Sie“, bat er dann noch einmal.

Sie hatte versucht, ihn mit Gewalt hochzuzerren, aber ihre Kräfte reichten nicht aus, um den Körper des schweren Mannes zu bewegen.

„Ich werde Sie holen lassen, mein Lieber“, versicherte Norma, als sie sich schließlich in den Sattel schwang. „Sie werden sich hier den Tod holen.“

„Ich danke Ihnen“, sagte der Fremde ganz plötzlich, nachdem er vorher auf alle Fragen geschwiegen hatte. Er sprach in einem ungewohnten Tonfall, stammte bestimmt nicht aus dieser Gegend.

Norma dachte sich nichts dabei, als sie, so schnell es der Weg erlaubte, zum Gut zurückschritt.

Der Fremde schaute ihr nach, und dann fuhr er sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn.

„Es wäre besser gewesen, wir hätten sie getötet.“ Ein zweiter Mann kroch aus einem dichten Gebüsch hervor, in dem er unsichtbar für Normas Augen gelegen hatte.

Er schob seine Pistole in die Tasche zurück.

„Es wäre Mord gewesen“, erklärte er. „Sie wollte mir helfen, Jim.“

„Sie wird uns verraten, Roger“, gab der Mann zurück, „Und du weißt, was das für uns bedeutet.“

„Hättest du es fertigbekommen, sie … in den Rücken zu schießen?“, fragte Roger gepresst.

Jim zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht“, gestand er schamvoll, denn seltsamerweise glaubte er, dass es unverzeihliche Schwäche sei, dieses Mädchen nicht getötet zu haben. Es war Krieg, und sie waren nicht zu ihrem Vergnügen hier.

„Wir kämpfen nicht gegen junge Mädchen.“

Ein dritter Mann kroch hinter Jim hervor. Auch sein Gesicht war zerfurcht und verriet die seelische Qual der letzten Minuten. Sie waren alle drei gleich gekleidet, trugen graue, tadellos gebügelte Hosen und Hemden, die am Hals offen standen.

„Wir müssen hier fort.“ Jim gab seinem Kameraden einen Wink mit den Augen. „Fass mit an, Henry. Wir tragen ihn, bevor das Mädchen zurückkommt. So ein Pech, dass sie uns gesehen hat!“

„Nur mich“, schwächte Roger seinen Ärger ab. „Aber das ist natürlich schlimm genug.“

Unter der schweren Last keuchend, hasteten Jim und Henry quer durch den Wald davon.

Norma sprang zur gleichen Zeit, als sie Roger forttrugen, auf dem Hof von Hardenfeld aus dem Sattel. Sie stürmte ins Haus, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Füße auf der Matte zu säubern. Sie befahl dem Gärtner und einem weiteren Angestellten ihr zu folgen.

Der Regen prasselte gegen die Scheiben, und das Unwetter erhöhte nicht gerade die Bereitwilligkeit der Männer, eines Fremden wegen hinauszugehen.

Norma trat in den strömenden Regen hinaus. Wortlos und verdrossen folgten ihr die beiden Männer.

„Bei dem Baum liegt er“, erklärte Norma, als sie am Ziel waren. Sie drängte sich durch das Gebüsch – und ihre Augen weiteten sich ungläubig.

„Wo ist er denn nun?“, knurrte Paul, dessen Stimmung sich durch seine nassen Füße –seine Schuhe waren nicht dicht – inzwischen keineswegs gebessert hatte. „Hat wohl Flügel bekommen und ist davongeflogen, was?“

Norma beachtete seine Aufsässigkeit nicht, sondern umschritt den dicken Stamm der Eiche. Nichts, nicht die geringste Spur verriet, dass hier vor einer Stunde ein Mann gelegen hatte, dessen verletztes Bein ihm nicht erlaubte, aus eigener Kraft fortzugehen.

War es tatsächlich dieser Baum gewesen? Norma wurde selbst unsicher, als sie sich umschaute. Sie verfügte über einen ausgezeichneten Orientierungssinn und glaubte, sich auf ihre Erinnerung voll und ganz verlassen zu können.

Der Regen prasselte noch immer herab.

„Wir müssen ihn suchen“, bestimmte Norma entschlossen. „Sie, Christian, gehen nach rechts, Paul nach links …“

Sie fanden nichts, keine Spur, und es war kein Wunder, dass Gärtner Paul ihr einfach nicht glaubte.

„Wer weiß, was Sie da gesehen haben, gnädiges Fräulein“, brummelte er mürrisch und zog fröstelnd die Schultern hoch. „Jedenfalls ist er nicht hier. Ich denke, wir sehen zu, dass wir nach Hause kommen. Ich habe keinen trockenen Faden mehr am Leibe.“

***

Als das Mädchen völlig durchnässt das Gutshaus betrat, kam ihr die Mutter freudestrahlend entgegengelaufen.

„Hartmut ist gekommen“, rief sie, völlig aus der Fassung geraten.

„Hartmut!“, jauchzte sie und fiel dem Mann in Uniform, der sich bei ihrem Eintritt aus dem Sessel erhoben hatte, um den Hals. „Hartmut!“

Ihr Bruder lächelte gerührt über ihre spontane Freude.

„Ich bin es in Lebensgröße, Kleines.“ Er strich ihr über das nasse Haar. „Du bist im letzten Jahr noch hübscher geworden“, stellte er dann stolz fest.

Jetzt erst bemerkte das Mädchen, dass er den rechten Arm in einer Schlinge trug.

„Du bist verwundet?“, fragte sie bang.

„Nur ein kleiner Kratzer“, versuchte Hartmut von Hardenfeld, ihre Besorgnis zu zerstreuen. „Ein schöner Heimatschuss.“

„Hast du große Schmerzen?“ Norma strich zärtlich über sein schmales, abgezehrtes Gesicht. „Aber die Hauptsache ist, dass du lebst. Als wir so lange nichts von dir hörten…“ Ein Schütteln durchrann ihren Körper. „Wie lange kannst du bleiben?“

„Wahrscheinlich eine ganze Zeit, Schwesterherz. Mein Arm muss erst ausheilen, und dann … wird man mich zu einer Genesungseinheit schicken. Wenn ich Glück habe, sogar zur Wachmannschaft des Staudammes.“

„Hier ganz in der Nähe? Oh, Hartmut, es wäre fast zu schön, um wahr zu sein!“

Hartmut war ihr einziger Bruder, der Erbe des Gutes, der vor vier Jahren ins Feld gezogen war.

„Du solltest dich umkleiden, Norma.“ Der Mann schüttelte lächelnd den Kopf. „Du hast dich inzwischen noch nicht geändert, Kleines. Je wilder das Wetter ist, desto lieber bist du draußen. Du siehst aus wie eine aus dem Wasser gezogene Katze“, fuhr er in brüderlicher Offenheit fort.

Seine Worte erinnerten Norma wieder an den Mann, der spurlos verschwunden war. Aber bevor sie von ihrem Abenteuer erzählen konnte, stellte sie sich unter die Dusche und zog sich trockene Kleider an.

Die Mutter hatte ein paar Flaschen Wein aus dem Keller heraufholen lassen, und Hartmut goss das edle Getränk in die kostbaren Gläser, als Norma in den Salon zurückkam.

„Wie geht es Hannelore?“

Norma verzog unwillkürlich den Mund, riss sich dann aber schnell zusammen, als sie bemerkte, dass Hartmut stutzte.

„Es geht ihr soweit wohl gut, denke ich“, äußerte sie möglichst unbefangen, aber es gelang ihr nicht, Hartmuts Misstrauen zu beschwichtigen.

„Ist sie etwa krank?“, fragte der Bruder schnell. „Heute ist es zu spät, um sie zu besuchen …“ Er warf einen Blick durch das Fenster nach draußen. Pechschwarze Finsternis und strömender Regen verboten es ihm ganz von selbst, das geliebte Mädchen sofort aufzusuchen.

Sie waren verlobt, und seine Gedanken suchten sie sehr oft, wenn er draußen allein und in Gefahr war.

„Nun erzähl von dir, Hartmut“, versuchte die Mutter, ihn abzulenken, aber es gelang ihr nicht, denn der Sohn spürte feinfühlig, dass die beiden Frauen ihm irgendetwas Wichtiges verschwiegen.

„Sie ist wirklich nicht krank?“, fragte der Mann noch einmal. „Ihr müsst mir die Wahrheit sagen.“

„Es geht Hannelore gut, sogar sehr gut“, brachte Norma hervor, und ihre Worte klangen ungewollt bitter. „Ihretwegen brauchst du dir bestimmt keine Sorgen zu machen, Hartmut, die Hannelore passt in die Welt.“

„Du sagst es so, als fändest du das nicht sonderlich erfreulich“, stellte der junge Mann ahnungsvoll fest. „Was ist denn mit ihr? Ihr verschweigt mir etwas?“

Norma schüttelte heftig abwehrend den Kopf.

„Lass uns den Wein trinken, bevor er warm wird“, schlug sie vor. „Ich werde etwas Gebäck holen.“

Sie lief fluchtartig hinaus und spürte den fragenden und misstrauischen Blick des Bruders auf ihrem Rücken. Ihr junges Gesicht war hart, und sie atmete schwer, als sie an Hannelore Ewert dachte, die es gar nicht wert war, dass ein Mann wie Hartmut sie liebte.

Sie waren verlobt und, das glaubte sie damals, ein Paar, das gut zusammenpasste. Dann kam der Krieg, Hartmuts Einberufung, und Hannelore sah, dass es auch noch andere Männer außer ihm gab.

Niemals würde sie imstande sein, Hartmut die bittere Wahrheit zu sagen, die er selbst herausfinden musste. Sie konnte ihn höchstens schonend vorbereiten, wusste aber nicht, wie sie die passenden Worte finden sollte.

„Was ist mit dem Arm deines Bruders?“, fragte Renate, die Tochter der vor einigen Jahren gestorbenen Haushälterin, die sich auf Hardenfeld nützlich machte, obwohl sie es nicht brauchte. Sie gehörte mit zur Familie, ein etwas schüchternes, aber ungewöhnlich hübsches Mädchen, das selbst in abgetragenen Kleidern stets apart aussah.

„Ich weiß es selbst nicht“, musste Norma gestehen. „Du kennst Hartmuts Verschlossenheit.“ Sie griff nach der Keksdose und füllte den Inhalt in eine Porzellanschale. „Komm mit in den Salon, Reni.“

Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf.

„Ich würde nur stören“, lehnte sie Normas Vorschlag ab.

„Du hast überhaupt kein Selbstbewusstsein!“ Die Tochter des Hauses zog sie einen flüchtigen Moment an sich. „Du gehörst doch zur Familie, Reni, weshalb willst du nicht mitkommen? Hartmut freut sich bestimmt.“

„Er sieht mich gar nicht“, gab Renate schroff zurück. Sie drehte sich hastig zur Seite und machte sich am Schrank zu schaffen. „Hoffentlich bleibt sein Arm nicht steif“, sagte sie.

Norma stutzte. Sie kannte Renate als ein frisches, zwar stilles, aber doch stets ausgeglichenes Mädchen, und diese unverständliche Weigerung machte sie stutzig.

„Oder hat er etwa nach mir gefragt?“, fragte Reni, die ihr noch immer den Rücken zuwandte.

„Nein, das allerdings nicht …“, musste Norma widerstrebend zugeben. „Aber er freut sich bestimmt, seine kleine Schwester wiederzusehen.“

„Ich bin nicht seine kleine Schwester!“, begehrte das Mädchen auf. „Soll ich euch Waffeln backen?“, fuhr sie dann schnell fort, aber ein paar verräterische Tränen liefen über ihre Wangen. „Er hat sie früher doch immer so gern gegessen. Und ich kann sie genauso gut backen wie meine Mutter.“

„Meinetwegen“, gab Norma nach, aber als sie mit der gefüllten Schale in den Salon zurückging, fragte sie sich, was in der kleinen Renate vor sich gehen mochte. Es passte nicht zu ihr, dass sie plötzlich Launen zeigte, und sie musste sich doch genauso über Hartmuts Kommen freuen wie sie selbst.

Schulterzuckend gab sie es auf, dieses Rätsel lösen zu wollen. Die Mutter sprach mit ihrem Sohn über die Ernteaussichten und beklagte den Gewitterregen, der das Einbringen des Korns um Tage verzögern würde.

„Wer jetzt draußen ist, kann mir leidtun“, meinte sie gerade, als ihre Tochter die Schüssel auf den Tisch setzte. „Bei diesem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür.“

„Ich hatte heute am Spätnachmittag ein seltsames Erlebnis“, fiel Norma ihr ins Wort. Sie erzählte von dem verletzten Mann, der sich nicht helfen lassen wollte.

„Und als wir hinkamen, um ihn zu holen, war er spurlos verschwunden.“

„Vielleicht hast du das alles nur geträumt?“, neckte Hartmut sie.

„Er liegt jetzt bei diesem Wetter irgendwo im Walde, Hartmut, und das kann bedeuten, dass er sich den Tod holt!“

„Aber Kleines, nun reg dich doch nicht unnötig auf. Wer weiß, was mit ihm los war. Das, was du erzählt hast, klingt … sagen wir einmal unwahrscheinlich.“

„Du glaubst also, ich hätte mir das alles nur eingebildet?“ Norma schob aggressiv den Kopf vor. „Ich träume doch nicht am helllichten Tage, Hartmut. Ich möchte nur einmal wissen, wo der Mann ist!“

Es war gut, dass Renate Kuhnert in diesem Augenblick die Waffeln brachte, denn Norma sah nicht aus, als würde sie sich mit dem gutmütigen Spott des Bruders zufrieden geben.

„Guten Tag, Reni“, strahlte Hartmut das Mädchen an. „Du bist ja ein sehr hübsches Mädchen geworden. Komm, lass dich einmal anschauen.“ Er bot ihr die unverletzte Hand zur Begrüßung.

Renate legte ihre Rechte flüchtig hinein und zog sie sofort zurück.

„Du bist ja ganz verlegen“, stellte Hartmut verdutzt fest. „Hat dir denn noch niemand gesagt, dass du eine kleine Schönheit geworden bist, Reni? Du hast doch bestimmt schon einen heimlichen Schatz.“

„Nein. Ich … ich habe noch in der Küche zu tun …“ Das Mädchen hastete hinaus und schlug in ihrer Aufregung die Tür viel zu fest hinter sich zu.

Hartmut schüttelte verdutzt den Kopf.

„Was hat sie denn?“, fragte er die beiden Frauen, die ihr Verhalten genauso wenig verstehen konnten wie er.