Lore-Roman 74 - Wera Orloff - E-Book

Lore-Roman 74 E-Book

Wera Orloff

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Auf einer Wiese locken Schausteller mit wilden Gebärden und lautem Geschrei die Gaffer in ihre Buden, Kinder umlagern mit sehnsüchtigen Augen die Karussells. Auch Graf Solln mischt sich an diesem Tag unter die Zuschauer. Er kann seine Blicke nicht abwenden von dem so fremdartigen Schauspiel, das ihm geboten wird: Während ein Zigeunerbursche klingenden Schellen in seiner Hand rhythmische Klänge entlockt, tanzt vor ihm ein kleines Mädchen in zerschlissenem Röckchen mit einem Affen.
Als das Mädchen die Augen hebt und ihn direkt ansieht, mit den dunkelblauen Veilchenaugen und der Marmorhaut, da trifft es den Grafen wie ein Blitz. Elisabeth! Hier vor ihm sieht er ihr Ebenbild aus Fleisch und Blut! Und trotzdem kann es nicht sein ... Nie hat seine verstorbene Elisabeth ein Kind ihr eigen genannt! Wie unsichtbare Fäden zieht es den Grafen zu dem Kind. Er kauft es den Zigeunern ab, ein Findelkind von ungeklärter Herkunft, und alles will er tun, um diesem verhärmten Wesen ein freudiges Leben zu schenken ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Woher kommst du, schöne Komtess?

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: SunKids / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9310-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Woher kommst du,schöne Komtess?

Ein Mädchen ohne Vergangenheit

Von Wera Orloff

Auf einer Wiese locken Schausteller mit wilden Gebärden und lautem Geschrei die Gaffer in ihre Buden, Kinder umlagern mit sehnsüchtigen Augen die Karussells. Auch Graf Solln mischt sich an diesem Tag unter die Zuschauer. Er kann seine Blicke nicht abwenden von dem so fremdartigen Schauspiel, das ihm geboten wird: Während ein Zigeunerbursche klingenden Schellen in seiner Hand rhythmische Klänge entlockt, tanzt vor ihm ein kleines Mädchen in zerschlissenem Röckchen mit einem Affen.

Als das Mädchen die Augen hebt und ihn direkt ansieht, mit den dunkelblauen Veilchenaugen und der Marmorhaut, da trifft es den Grafen wie ein Blitz. Elisabeth! Hier vor ihm sieht er ihr Ebenbild aus Fleisch und Blut! Und trotzdem kann es nicht sein … Nie hat seine verstorbene Elisabeth ein Kind ihr eigen genannt! Wie unsichtbare Fäden zieht es den Grafen zu dem Kind. Er kauft es den Zigeunern ab, ein Findelkind von ungeklärter Herkunft, und alles will er tun, um diesem verhärmten Wesen ein freudiges Leben zu schenken …

Baronin Wingen, eine entfernte Cousine des Grafen Solln, kam diesem in der Halle entgegen. Sie trug heute ein weißes Kleid mit violettem, sehr dezentem Muster – eine Farbzusammenstellung, die ihr als einer rassigen Blondine mit dunkelbraunen Augen ausgezeichnet stand.

„Schönen guten Morgen, Nils! Hast du gut geschlafen?“ Sie bot dem Vetter in der gewohnt liebenswürdigen Weise die Wange zum Kuss. „Ein prächtiger Tag heute“, setzte sie unbekümmert hinzu. „Grund genug, dich endlich wieder einmal lachen zu hören, mein Lieber! Bist du einverstanden, wenn wir nächste Woche einmal Gäste zu uns laden würden?“

„Herta, ich bitte dich!“, wehrte der Graf befremdet ab.

Sie ließ sich jedoch die Führung des Gesprächs nicht entreißen.

„Heute tun sich unsere Klostermauern endlich auf“, bemerkte sie wie erlöst, „wir haben viel zu weltabgewandt während der ganzen Zeit gelebt. O, Nils, das muss nun wieder anders werden!“ Sie hob mit einer zärtlichen Geste die Hände und strich ihrem jungen Verwandten über das Haar. „Weißt du nicht, welche Bedeutung der heutige Tag hat, mein Lieber?“ Ihre Augen ruhten fragend auf dem Vetter. „Das Trauerjahr ist beendet, Nils!“, fügte sie gedämpft und erwartungsvoll hinzu.

„Für mich gilt das nicht, Herta!“, entgegnete der Graf müde. „Für mich jährt sich an diesem Kalendertag immer wieder Elisabeths Todestag. Du hast umsonst geschmückt, denn ich sehe keinen Grund zum Feiern!“

„O, Nils! Willst du uns für dauernd lebendig hier begraben?“

Graf Solln hob beschwörend die Hände.

„Beherrsche dich, meine Teure!“ Sprachs, verbeugte sich kühl und suchte sein Arbeitszimmer auf.

Die Baronin starrte ihrem Vetter nach.

„Und wenn ich die Sterne vom Himmel reißen müsste, einmal werde ich die Deine sein!“

Der Graf hörte ihre Worte nicht mehr. Weltentrückt lehnte er sich in die Tiefe eines Sessels zurück und versank in den Anblick eines Frauenbildnisses, das an der gegenüberliegenden Wand hing.

„Du einzig Geliebte!“, stöhnte er verzweifelt. „Dass ich dich so früh verlieren musste!“

Was hatte das eine Jahr ihrer Ehe an Seligkeit verschwendet, an unvergesslicher Hingabe und Erfüllung, aber es war eben nur ein Jahr gewesen – kurz wie ein Traum, unwirklich, schemenhaft.

Der Graf schob den frischen Rosenzweig in eine Vase zu Elisabeths Füßen und nahm dann an seinem Schreibtisch Platz. Es klopfte. Herr von Gerlach, der Inspektor seiner Güter, trat ein und verbeugte sich.

„Euer Gnaden: Die Zigeuner1 sind wieder da“, berichtete er mit einem sehr besorgten Ausdruck im Gesicht. „Sie geben sich als Messer- und Scherenschleifer aus, und die Frauen betteln im Dorf.“

Der Graf seufzte. „Wir müssen sie aus unserer Gemeinde verweisen“, ordnete er an. „Der Waldbrand im vorigen Sommer geht allein auf ihr Konto. Diese dauernden offenen Feuerstellen! Beinahe hätte der Funkenflug noch auf Schloss Duwenhorst übergegriffen. Außerdem ist Ninas Verschwinden noch immer nicht geklärt.“

Nina, die älteste Tochter des Dorfschusters, war vor Wochen wie vom Erdboden verschluckt. Die einen munkelten, sie sei mit einem reichen Liebhaber durchgegangen, weil ihre üppige Schönheit die Männer verrückt machte. Andere gaben Manuel, einem bildhübschen Zigeunerburschen die Schuld, der sich von Zeit zu Zeit immer wieder in der hiesigen Gegend zeigte. Zwar ließ sich nichts nachweisen, aber dies und manches andere trug dazu bei, um das fahrende Volk noch unbeliebter zu machen.

„Was ich noch vermelden wollte, Herr Graf: In Riedenfeld begehen die Bauern das Richtfest für die neue Schule, Schaustellertruppen haben sich eingefunden, und für die Kinder stehen Karussells und Schiffschaukeln bereit. Auch die Zigeuner wollen etwas zum Besten geben. Sie werden wie üblich die Zukunft voraussagen. Ihre Hauptnummer aber ist ein schönes Kind, das niemals als Zigeunermädchen geboren worden sein kann. Und diese kleine Elfe tanzt mit dem Affen.“

„Wir reiten hin“, bestimmte der Graf. „Sie begleiten mich, Herr von Gerlach. Bitte, lassen Sie die Pferde satteln.“

***

Vom Ausgang des Dorfes her ertönte auf einer Wiese blecherne Musik. Die Schausteller lockten mit wilden Gebärden und lautem Geschrei die Gaffer in ihre Buden, Kinder umlagerten mit sehnsüchtigen Augen die Karussells.

„Bitte, achten Sie auf die Pferde, Gerlach, ich sehe mir nur schnell den Rummel an und komme bald zurück.“

Graf Solln sprang aus dem Sattel und reichte seinem Begleiter die Zügel. Nach wenigen Schritten wurde er schon aufgehalten. Ein altes Weib mit öligem Haar und stechend schwarzen Augen haschte nach des Grafen Hand.

„Herr, lasst mich euch eure Zukunft deuten! Nur ein paar Münzen, um unseren Hunger zu stillen, und ihr werdet erfahren, was euch das Schicksal bestimmt.“

„Du wirst sehr um sie kämpfen müssen, wirst sie immer wieder verlieren und suchen, stattdessen …“ Schrecken und Angst lag in ihren Augen.

„Behalte deinen Unsinn für dich!“, verwies sie der Graf und ging weiter.

Böse sah ihm die Zigeunerin nach. Sie krümmte sich zusammen wie ein lauerndes Tier. Ihre eingesunkenen Lippen stießen Verwünschungen hervor in einer unverständlichen Sprache.

Der Graf ging indessen auf einen freien Platz und blieb unversehens inmitten einer Menschenansammlung stehen. Gebannt starrte er auf das Schauspiel, das sich seinen Augen bot. Ein Zigeunerbursche entlockte klingenden Schellen in seiner Handfläche rhythmische Klänge. Mit nackten, schmutzigen Füßen bediente er gleichzeitig den Klöppel einer Trommel. Die Musik war faszinierend.

„Schneller!“, zischte der Bursche, „schneller, oder soll ich dir mit meiner Peitsche zeigen, wie man Stimmung macht?“

Vor ihm tanzte ein etwa sechsjähriges Mädchen in zerschlissenem kurzen Flitterröckchen und feuerrotem Mieder mit einem Affen.

Dem Affen saß eine Clownsmütze zwischen den Ohren. Er hielt seine behaarten Pfoten um die mageren Schultern des Kindes geschlungen und watschelte zum Ergötzen des Volkes auf seinen krummen Beinen im Takt der Musik immer im Kreis herum, bis die Musik eine Pause machte. Er hustete und keuchte, leichter Schaum flockte vor seinem Maul.

„Bald, Panso — bald!“, flüsterte das Kind und versuchte, den taumelnden Tierkörper zu stützen.

„Lieber Panso, halte aus“, flehte es. „Du weißt doch, dass er uns sonst wieder schlägt. Bald dürfen wir ausruhen. Dann gehe ich los und bitte um Milch, und du darfst sie ganz alleine schlürfen, hörst du, ganz allein, und auf meinem Kissen darfst du auch liegen. Panso, Armer! Nur noch ein kleines Weilchen, bitte …“

Es schien, als gäben die tröstenden Worte dem geschundenen Tier noch einmal ein wenig Kraft. Der Affe riss sich zusammen und stampfte wieder zu den Takten im Kreis. Das Mädchen schmiegte sich dichter an sein zottiges Fell und drehte sich gehorsam mit, doch als sie ihre Augen hob – dunkelblaue, von namenlosem Schmerz beschattete Veilchenaugen in dem schmalen, verhärmten Gesicht, da entfuhr Graf Solln ein Schrei: „Elisabeth!“

Die Umstehenden schraken auf und stießen sich an.

„Was hat er nur?“

Auch die Kleine sah herüber. Sie ahnte nicht, dass ihr der Ausruf galt. Aber trotzdem war etwas in dem Ruf und in dem Gesicht des fremden Mannes, das sie in ihrem Inneren traf, ein leises Echo wurde wach. Sie spürte etwas, das sie bisher noch nicht gekannt hatte: Sorge, Mitleid, nein mehr noch: Liebe!

Graf Solln fühlte ergriffen, wie ihn nach jeder Drehung der verstörte hilfesuchende Blick des Kindes streifte, der um Erbarmen bettelte. Das herrliche, aber ungepflegte Haar hing wie blauschwarze Schlangen über dem gebrechlichen Nacken. Ihre mageren Hände hatten sich in dem Fell des Affen verkrampft, und jetzt perlten Tränen unter den gesenkten Lidern der kleinen Tänzerin hervor. Es war das stumme, lautlose Weinen einer verschüchterten Kreatur.

Die meisten Gaffer merkten nichts, weil sie sich an den Possen des Affen ergötzten. Als endlich die Musik schwieg, warf der Bursche dem Tier eine zerlumpte Decke über, drückte dem Mädchen einen Blechteller in die Hände und befahl ihm, Münzen zu betteln.

„Danke, vielen Dank!“, flüsterte die Kleine, wenn ein kleines Kupferstück auf ihrem Teller klimperte. Sie zitterte, als sie zu Graf Solln trat.

„Eine kleine Gabe, bitte, euer Gnaden!“

Sie hielt ihm den Blechteller hin, sie sah ihn mit einem herzzerreißenden Ausdruck an und vergaß darüber ganz, ihre Bitte zu wiederholen. Und wieder versanken des Grafen Augen in diesen veilchenblauen Sternen, die denen seiner Frau so täuschend glichen, wieder verglich er die Marmorhaut, das rabenschwarze Haar.

Elisabeth! Hier vor ihm stand ihr Ebenbild aus Fleisch und Blut, viel zarter und rührender noch und unaussprechlich liebreizend! Keine Künstlerhand hätte es vollkommener gestalten können. Und trotzdem konnte es nicht sein … Nie hatte Elisabeth ein Kind ihr eigen genannt!

Als blutjunges Ding war sie Hertas Zofe geworden, hatte mit stiller Demut alle Launen ihrer unsteten Herrin ertragen, bei der es sonst keine Bedienstete lange aushielt. Hatte auch den Hass der Baronin ertragen wegen ihrer einmaligen Schönheit. Dieser Hass schlug hohe Flammen, als die Baronin Wingen verspürte, dass ihr die Neigung des Vetters langsam entglitt. Sie gab Elisabeth die Schuld und jagte sie bei Nacht und Nebel aus dem Haus.

Nachts barg ein Fischer, der Netze ans Ufer zog, eine treibende Gestalt aus dem Fluss und brachte die im letzten Moment Gerettete in das nahe Schloss. Ein schweres Nervenfieber verwirrte damals Elisabeths Sinne.

„Franziska!“ Immer wieder gellte ihr Schrei durch die dunklen Nächte, flehend und ratlos. Wer war Franziska? Wem galt der Ruf? Ratlos stand der Arzt dabei. Als Elisabeth endlich zum Bewusstsein erwachte, zuckte sie die Achseln.

„Ich weiß von nichts!“ Ihre Augen brannten noch immer wie im Fieber, und sie presste die Hände gegen die schmerzenden Schläfen.

„Ich fürchte mich vor dem Leben“, flüsterte sie, „ich war stets einsam und verlassen, nie durfte ich glücklich sein wie andere! Alles hat sich seit ehedem gegen mich verschworen, selbst der Tod, den ich freudig suchte. Mir kann niemand mehr helfen.“

Ihre keusche Zurückhaltung entzückte den Grafen. Ihre tränenerstickten Worte umgaben sie wie ein heller Schein. Sie flehten um Erbarmen und wanden doch schon ein goldenes Band zwischen beiden Seelen.

„Ich helfe dir“, versicherte der Graf. „Ich werde dich mit so viel Liebe umgeben, dass du in meinen Armen alles Leid der Welt vergisst.“

„Das kann ich nicht“, klagte Elisabeth. „Vielleicht wirst du mich eines Tages wieder verstoßen, und dann ist es noch schlimmer als heute, weil ich dann deine Geborgenheit nicht mehr besitze.“

„Nie darfst du jemals an mir zweifeln“, mahnte er. „Ich werde dich vor allen Unbilden schützen, ich werde dir den Himmel auf Erden bereiten. Werde die Meine, damit ich dir ewig danken kann.“

Da fügte sich Elisabeth, scheu, folgsam und doch beglückend froh. Es folgten berauschende Wochen, ehe sich vor ihrem Ende ihr Geist wieder umnachtete. Sie schied, ohne Mutter geworden zu sein.

Aber hier auf dieser Wiese hielt das Leben eines seiner seltenen Wunder bereit. Es hatte in aller Heimlichkeit ein Abbild der Geliebten geschaffen.

Die Kehle des Grafen schnürte sich zusammen.

„Wie heißt du, mein Kind?“

Die Lippen des Mädchens zitterten. Warum fragte jetzt auch dieser Fremde? Es hatten sie schon so viele gefragt und sie dann wegen ihres fremdartigen Namens verlacht.

„Wird’s bald?“, grölte der Bursche. „Denkst du, die Almosen werden größer, wenn du den Herrn warten lässt?“

„Ich werde Barbro genannt!“, flüsterte das Kind.

Ihre Stimme war zart und sanft wie die Elisabeths.

„Willst du mit mir gehen?“, fragte der Graf.

Das Mädchen sah ihn verschüchtert an.

„He, lass dir nichts entgehen!“ Der Bursche winkte dem alten Zigeunerweib. „Hier gibt es einen Handel für dich!“

Die Alte humpelte heran. „Du wirst sie nicht bekommen!“ Ihre Augen glühten wie Kohlen in ihrem verwitterten Pergamentgesicht.

„Wem gehört das Kind?“, herrschte der Graf sie an. „Wem habt ihr sie gestohlen?“

„Niemandem!“ Das zerfurchte uralte Zigeunergesicht versteinerte in Abwehr und Hass. „Sie ist eine Tochter unseres Stammes!“

„Mit weißer Haut und blauen Augen? Du Lügnerin! Soll ich dir im Gefängnis deine Lippen öffnen lassen?“ Der Graf wandte sich dem Burschen zu. Dem stand das schlechte Gewissen in seinem flackernden Blick geschrieben.

„Ich lasse dir eine Minute Zeit, um dein Gedächtnis aufzufrischen, ehe ich euch allesamt der Polizei wegen Kindesentführung ausliefere!“

„Euer Gnaden, wir taten es nicht!“ Der Bursche wich zurück und wies zu den Buden, wo ein junges braunhäutiges Weib im Schatten eines überspringenden Daches einem Säugling die Brust gab. „Santizza wird ihre Mutter sein, nehme ich an. Den Vater kenne ich nicht!“

Mit drei schnellen Schritten stand der Graf vor dem blühenden, noch kindhaft jungen Frau, das noch keine siebzehn Jahre zählen mochte. Er warf ihr einen größeren Geldschein in den Schoß. Gierig griff sie danach.

„Wer ist der Vater des Mädchens?“, fragte er.

Die Zigeunerin lächelte mit blitzenden Zähnen zu dem schönen stattlichen Mann hinauf. Dann streifte ihr Blick mit liebevoller Zärtlichkeit den trinkenden Säugling.

„Manuel – wer sonst?“ Sie nahm das Kind von der Brust. Ohne die Knöpfe ihres Leinenhemdes zu schließen, stand sie auf. Ihre feurigen Augen lauerten hinter den langen Wimpern.

„Er ist jetzt nicht hier“, flüsterte sie verheißungsvoll. „Heute nicht und lange nicht. Ich darf nie erfahren, was er indessen treibt. Und was ich mache, geht ihn nichts an. Warum lässt er mich allein?“

Die roten sinnlichen Lippen waren halb geöffnet. Begehren und Leidenschaft verzerrten das junge Gesicht und steigerten noch seine maßlos wilde Schönheit, die jedoch in ihrer brutalen Sinnenlust für einen feinempfindenden Mann eher abstoßend war.

„Darf ich bei dir bleiben?“, lockte der bereitwillige Mund.

Angewidert trat Graf Solln zurück. „Du hast mich falsch verstanden! Mache dir keine trügerischen Hoffnungen.“ Er wies zu Barbro hinüber. „Bist du ihre Mutter?“

„Sie ist von dir, sag ihm doch, was er hören will!“, krächzte die Alte dazwischen.

„Von mir?“ Santizzas Rache, dass der schöne Fremde sie nicht begehrte, ließ sie jede Vernunft vergessen. Verächtlich wandte sie sich ab. „Das fremde Balg gehört nicht mir“, zischte sie. „Es ist ein Findelkind!“

„Wann und wo fandet ihr sie?“, forschte der Graf in der Runde. Doch er bekam die Antwort erst, als er sie bezahlte.

„Irgendwann, in irgendeinem Wald, das ist schon lange her!“

„Ihr werdet mir das Kind überlassen müssen!“ Der Graf drehte sich der Alten zu und nahm einen größeren Geldbetrag aus der Tasche. Die brennenden Augen der Zigeunerin hafteten auf den verlockenden Scheinen.

„Sie ist uns nicht feil“, murmelte sie mit ihrem zahnlosen Gaumen. „Wir sind ein armes Volk und leben von ihrem Tanz.“

„Entscheide dich sofort!“ Der Graf legte um Barbro den Arm. „Sonst …“, seine Stimme drohte, „… sperre ich euch ein, bis Barbros Herkunft geklärt ist. Wo habt ihr sie gefunden?“

„Dort drüben …“, die Alte wies mit einer weitausholenden Handbewegung zu dem nördlichen Wald. „Vier Jahre mögen es wohl her sein. Das Kind war ausgesetzt von einer ledigen Mutter und wäre längst verkommen. Wir hätten es liegen lassen sollen. Es ist ein unnützer Fresser. Es kann noch nicht mal tanzen. Nun, wenn Ihr durchaus es so haben wollt, plagt euch mit ihm herum und lasst mir das Geld!“ Ihre knöcherne Hand streckte sich ihm verlangend entgegen.

„Panso!“, wimmerte das Mädchen. „Ich will bei Panso bleiben!“

Der schwindsüchtige Affe kauerte ergeben unter seiner Decke und fror trotz der warmen Sonne. In seinem Blick lag ein schmerzliches Wissen von Krankheit, Trennung, Leid und Tod.

„Mit dem Geld ist auch der Affe bezahlt!“

Graf Solln winkte seinen Inspektor heran. Er wickelte den Affen in die zerlumpte Decke und reichte dann seinem Begleiter das zitternde Tier.

„Nach Hause“, gebot er und hob Barbro vor sich in den Sattel. Das Pferd fiel in einen leichten Trab.

Von unerklärlichen Gefühlen bewegt, sah Graf Solln auf das Kind in seinen Armen. Zärtlich koste die Hand des Grafen die durchsichtigen Wangen. Alles wollte er tun, um diesem verhärmten Wesen eine freudige Kindheit zu schenken.

***