Lore-Roman 83 - Helga Winter - E-Book

Lore-Roman 83 E-Book

Helga Winter

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Beschreibung

Ilonas junges Herz ist schwer, denn sie hat vor wenigen Monaten ihre geliebte Mutter verloren. Seitdem wohnt sie bei Familie Brücks, die sie als Pflegetochter zu sich genommen hat. Während die Tante sie liebt, als wäre sie ihr eigen Fleisch und Blut, lässt der Onkel sie immer wieder spüren, dass sie unerwünscht ist. Ilona leidet sehr unter den ständigen Streitereien. Ihr einziger Lichtblick ist Pflegebruder Holger, der sie so zärtlich umsorgt. Leider kommt der tüchtige Ingenieur nur selten nach Hause.
So vergehen die Jahre. Ilona hat sich zu einer sehr schönen jungen Frau entwickelt, aber die Feindschaft ihres Pflegevaters hat sie ernst und scheu werden lassen. Nur wenn Holger nach Hause kommt, lebt sie merklich auf. Je älter Ilona jedoch wird, umso zurückhaltender wird sie auch Holger gegenüber. Er zerbricht sich vergebens den Kopf, warum Ilona ihm ausweicht. Er ahnt ja nicht, dass Ilona ihn abgöttisch liebt. Und als Holger eines Tages seine zukünftige Braut mit nach Hause bringt, da möchte Ilona am liebsten sterben ...

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Seitenzahl: 159

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Inhalt

Cover

Impressum

Einsam war mein Herz

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Boiko Olha / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0015-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Einsam war mein Herz

Ein dramatischer Schicksalsroman

Von Helga Winter

Ilonas junges Herz ist schwer, denn sie hat vor wenigen Monaten ihre geliebte Mutter verloren. Seitdem wohnt sie bei Familie Brücks, die sie als Pflegetochter zu sich genommen hat. Während die Tante sie liebt, als wäre sie ihr eigen Fleisch und Blut, lässt der Onkel sie immer wieder spüren, dass sie unerwünscht ist. Ilona leidet sehr unter den ständigen Streitereien. Ihr einziger Lichtblick ist Pflegebruder Holger, der sie so zärtlich umsorgt. Leider kommt der tüchtige Ingenieur nur selten nach Hause.

So vergehen die Jahre. Ilona hat sich zu einer sehr schönen jungen Frau entwickelt, aber die Feindschaft ihres Pflegevaters hat sie ernst und scheu werden lassen. Nur wenn Holger nach Hause kommt, lebt sie merklich auf. Je älter Ilona jedoch wird, umso zurückhaltender wird sie auch Holger gegenüber. Er zerbricht sich vergebens den Kopf, warum Ilona ihm ausweicht. Er ahnt ja nicht, dass Ilona ihn abgöttisch liebt. Und als Holger eines Tages seine zukünftige Braut mit nach Hause bringt, da möchte Ilona am liebsten sterben …

Mit gesenktem Kopf ging Ilona auf das kleine Häuschen zu, das abseits der Stadt lag. Ihr Herz war schwer, denn sie hatte vor wenigen Monaten ihre geliebte Mutter verloren. Seitdem wohnte sie bei der Familie Brücks, die sie als Pflegetochter zu sich genommen hatte.

Kaum hatte Ilona den Hof betreten, als sie heftige Stimmen vernahm. Scheu verhielt sie den Schritt. Sie hörte, dass Frau Brücks und ihr Mann sich wieder stritten.

Ilona war erst vierzehn Jahre alt, aber sie wirkte in diesem Augenblick viel älter. Ihre blauen Augen weiteten sich erschreckt, als sie ihren Pflegevater sagen hörte: „Sieh zu, wie du zurechtkommst, ich war von Anfang an dagegen, dass du dir dieses Kind ins Haus holtest. Eines sage ich dir aber heute schon, von dem Ersparten, das für Holgers Studium fortgelegt wurde, wird nichts genommen. Du hast dir die Sache selbst eingebrockt, und nun musst du sehen, wie du fertigwirst.“

Frau Brücks sah ihren Mann groß an.

„Manchmal will es mir scheinen, als ob du kein Herz hättest, Peter. Ich konnte das arme Ding doch nicht einfach im Stich lassen. Ilona ist die Tochter meiner verstorbenen Freundin. Es war meine Pflicht, mich um sie zu kümmern.“

„Ach, lass mich doch in Frieden mit diesen Gefühlsduseleien, Lore! Du weißt selbst, wie sehr wir sparen müssen, um unserem Jungen eine bessere Zukunft bieten zu können. Er soll einmal etwas sein im Leben. Holger ist kaum ein Jahr in der Stadt, aber sein Studium hat schon eine ganze Menge Geld verschlungen. Der Junge ist tüchtig und sparsam. Ich will einmal voller Stolz auf ihn sehen können. Ich habe keine Lust, dies alles dahinschwinden zu sehen, nur weil du dich verpflichtet fühlst, ein fremdes Kind großzuziehen.“

„Ich finde, du übertreibst das Ganze, Peter. Erstens ist Ilona kein kleines Kind mehr, das man erst noch großziehen muss, und zweitens werden wir nicht gleich hungern müssen. Ich verdiene mit meiner Bügelarbeit auch eine ganze Menge. Natürlich stehen uns nicht die Mittel zur Verfügung, Ilona etwas lernen zu lassen, aber ich will versuchen, für sie eine leichte Stelle zu finden. Ich möchte sie nicht in eine Fabrik schicken. Sie soll eine Stelle bekommen, wo sie jeden Abend nach Hause kommen kann, sie soll wissen, dass sie nicht allein ist.“

„Du machst ein Getue um dieses Mädchen, als ob es deine Tochter wäre. Es wäre doch gar nicht schlecht, wenn du für sie eine Stelle finden würdest, wo sie uns nur hin und wieder besuchen kommen könnte“, warf Herr Brücks ein.

„Also, ich verstehe dich nicht, Peter! Was hat Ilona dir getan, dass du sie nicht magst? Das Kind ist immer freundlich und höflich zu dir, was verlangst du denn noch? Dass sie dir gegenüber schüchtern ist, ist ganz allein deine Schuld. Sie fürchtet sich vor dir, weil sie erkannt hat, dass du sie nicht magst.“ Mit feuchten Augen fuhr sie fort: „Mir tut oft das Herz weh, wenn ich in ihre großen, traurigen Augen sehe. Ich mag Ilona so sehr, als ob sie mein eigenes Kind wäre. Ich fühle mich verantwortlich für sie.“

„Ich weiß – ich weiß“, unterbrach ihr Mann sie. „Ich habe längst erkannt, was dir dieses Kind bedeutet. Ich will nicht behaupten, dass ich sie nicht mag, aber sie hat etwas an sich, das mich einfach zu diesem barschen Ton reizt. Wenn ich ihre blauen Augen so scheu auf mich gerichtet sehe, komme ich mir vor wie ein Unmensch. Ich muss sie dann ganz einfach anschreien. Und im Übrigen wäre es mir wirklich lieber gewesen, wenn du sie nicht ins Haus genommen hättest.“

Ilona presste draußen auf dem Hof die Hände fest auf den Mund.

Unaufhörlich rannen ihr die Tränen die schmalen, bleichen Wangen herunter.

„Mama“, flüsterte sie erstickt vor sich hin. „Warum hast du mich nur allein gelassen?“

Ihr zarter Körper wurde von einem verzweifelten Weinen geschüttelt.

Frau Brücks hob in der Küche lauschend den Kopf. Hörte es sich nicht an, als ob jemand weinte? Plötzlich schien sie zu wissen, wer es war, der so verzweifelt vor sich hin weinte. Eilig verließ sie die Küche und trat auf den Hof hinaus. In ihr Gesicht kam ein mitleidiger Ausdruck, als sie Ilona sah, die auf der Bank saß und vergebens versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten.

„Ilona, mein Liebling, was ist denn mit dir?“, fragte sie weich.

Mit einem wehen, erstickten Laut schlang Ilona die Arme um den Nacken Frau Brücks.

„Ich – ich wollte, ich wäre tot, dann wäre ich niemandem eine Last. Dann wäre ich ganz nah bei meiner Mutter. Tante Lore, warum durfte Mama nicht bei mir bleiben? Warum hat man sie mir genommen?“

Ihre Stimme versagte erneut. Ilona weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte.

Frau Brücks nahm sie ganz fest in ihre Arme.

„So etwas möchte ich nicht wieder hören, mein Mädchen. Ich hab dich sehr lieb. Du bist nicht allein, solange ich lebe, dieses Versprechen gab ich deiner Mutter, und ich werde es halten.“

Die feuchten Kinderaugen sahen sie selig an.

„Ich hab dich auch sehr lieb, Tante Lore, du bist der einzige Mensch, der gut zu mir ist. Ich – ich will nie wieder solche Worte sagen, ich will dir nicht wehtun.“

„Du darfst Onkel Peters Worte nicht so tragisch nehmen, Kind, er meint es nicht so“, versuchte Frau Brücks, Ilona zu beruhigen. „Du sagtest vorhin, du hättest nur mich. Hast du Holger vergessen? Weißt du nicht mehr, wie bemüht er war, dich von deinem Schmerz abzulenken, Ilona? Holger war sehr dafür, dass ich dich in unser Haus nahm. Er hat dich lieb wie eine eigene Schwester, das hat er mir selbst gesagt!“

Über Ilonas eben noch so traurige Züge glitt ein weicher Schein.

„Ja, Tante Lore, Holger war sehr gut zu mir, ich werde es nie vergessen können. Aber er ist nur selten hier; wenn er dann einmal kommt, hat er nur wenig Zeit.“

„Das ist nun mal so, Kind. Holger will einmal ein tüchtiger Ingenieur werden, er muss hart arbeiten, wenn er dieses Ziel erreichen will. Glaube mir, auch mir wird es manchmal schwer, ihn oft wochenlang nicht zu sehen, aber man gewöhnt sich an alles. Das wirst auch du noch einsehen lernen. Nun wollen wir beide aber ins Haus gehen; hast du alle Sachen bekommen?“

„Nein, Tante Lore, Hühnerfutter hatten sie nicht da, sonst habe ich aber alles bekommen.“

„Für heute haben wir noch Futter, es ist also nicht so schlimm. Hilfst du mir den Kaffeetisch decken, Kind? Ich habe auch ein paar Waffeln gebacken!“

Frau Brücks sah zu Ilona hinüber, die sich nun wieder etwas gefasst hatte. Sie hatte den Wunsch, das Kind ihrer besten Freundin glücklich zu machen. Sie würde alles tun, was in ihrer Macht stand, um Ilona ein schönes Leben zu gestalten.

***

Ein Tag verging wie der andere. Nur wenn Holger ihnen mitteilte, dass er wieder einmal übers Wochenende nach Hause kommen würde, war alles ganz anders. Dann war selbst Herr Brücks freundlich zu Ilona.

Am Abend, als Holger nach Hause kam, herrschte bei Brücks’ große Freude. Er musste erzählen, was er erlebt hatte und wie es ihm ergangen war.

Ilona saß schweigend dabei. Sie fühlte sich wohl und geborgen, wenn Holger in ihrer Nähe war. Ihr Vertrauen zu ihm war grenzenlos.

Holgers Blick glitt hin und wieder herzlich zu ihr. Er mochte Ilona sehr gern. Sie hatte etwas so Hilfloses an sich, dass er immer glaubte, sie beschützen zu müssen.

Am nächsten Tag forderte Holger sie zu einem Spaziergang in den nahe gelegenen Wald auf.

Freudig erregt ging Ilona ins Haus, um sich bei ihrer Pflegemutter die Erlaubnis zu holen.

„Darf ich mit Holger in den Wald gehen, Tante Lore? Wir pflücken auch ein Körbchen Waldbeeren.“

Ihre Wangen brannten, und in ihren Augen stand ein Leuchten, dass Frau Brücks sie ganz verwundert betrachtete.

„Geh nur, Kind“, erwiderte sie dann in ihrer gütigen Art.

Kaum hatte Ilona die Tür hinter sich geschlossen, als Herr Brücks ungehalten sagte: „Ich werde überhaupt nicht um Erlaubnis gefragt. Was ist das eigentlich für eine Art? Ich finde, Holger ist mit seinen fast neunzehn Jahren aus dem Alter heraus, wo er mit kleinen Mädchen im Wald herumtollt. Der Junge ist überhaupt zu viel um Ilona herum, das gefällt mir gar nicht.“

„Das habe ich schon bemerkt, Peter. Ich kann mir auch denken, warum es dir nicht gefällt. Du bist ganz einfach eifersüchtig. Es passt dir nicht, dass Holger sie gern hat. Du würdest es lieber sehen, wenn er sie genauso lieblos behandeln würde, wie du es immer tust. Ich bin sehr froh, dass der Junge sich um sie kümmert. Es tut mir manchmal weh, wenn ich sehe, wie sehr Ilona sich bemüht, dir alles recht zu machen, du aber scheinst es gar nicht zu bemerken. Noch nie hast du sie gelobt oder ihr ein liebes Wort gesagt. Fühlst du nicht, wie sehr sie darunter leidet? Ich habe mir schon oft Gedanken darüber gemacht, warum es so ist. Damals hatte ich den Eindruck, dass du Ilonas Mutter gern hattest. Warum ist es bei ihrer Tochter anders? Mir gehen oft die seltsamsten Gedanken durch den Kopf. Früher habe ich nie darüber nachgedacht, warum Marie nicht mehr zu mir kam, als ich mit dir verheiratet war. Sag mir offen, Peter, hast du Marie einmal geliebt?“

Forschend und ängstlich zugleich sahen ihn die großen grauen Augen seiner Frau an.

Herr Brücks wurde bei ihrer unvermuteten Frage sehr bleich. Nun stellte Lore ihm eine Frage, mit der er nie gerechnet hätte.

„Wie kommst du nur auf solche Gedanken, Lore?“, sagte er mit unsicher klingender Stimme.

„Es ist nicht schwer zu erraten, Peter. Früher fand ich nichts dabei, dass ich euch beide manchmal zusammen gesehen habe. Sicher, es gab eine Zeit, da glaubte ich, Marie und du, ihr würdet einmal heiraten. Als sie sich dann jedoch mit einem anderen verlobte, habe ich geglaubt, euch beide hätte nur eine herzliche Freundschaft miteinander verbunden. Ich war ehrlich gestanden sehr glücklich darüber. Als du mich dann wenig später zu deiner Frau machtest, war ich wunschlos glücklich. Nur manchmal – manchmal glaubte ich, du wärest ganz weit fort von mir. Ich habe nie darüber gesprochen, weil ich einfach nicht wissen wollte, warum du so oft abwesend warst. Ich wollte mir meine Illusionen bewahren. Ob es richtig war, weiß ich nicht. Wenn ich heute bemerke, wie du Ilona anschaust, und wie sich dein Gesicht dann verändert, drängt sich mir unwillkürlich die Frage auf, was es ist, das dich so gegen sie aufbringt.“

Erregt hatte Herr Brücks sich bei ihren Worten erhoben.

„Du musst doch selbst zugeben, Lore, dass seit Ilonas Hiersein alles ganz anders geworden ist. Früher hast du mir solche Fragen nie gestellt, da waren wir glücklich und zufrieden. Heute vergeht jedoch kein Tag, an dem wir uns nicht streiten, es geht dabei meistens um Ilona. Bleibt es da aus, dass ich ihr nicht gut gesinnt bin? Dieses Mädchen bringt Unruhe und Unfrieden in unser Haus. Wenn es nach mir ginge, würde sie es heute noch für immer verlassen.“

„Du hast dich sehr verändert, Peter. Ich hätte nie geglaubt, dass du imstande wärest, so lieblos handeln zu können. Ilona ist doch noch ein Kind. Sie braucht uns doch. Warum willst du dies nicht einsehen? Ist es denn wirklich zu viel verlangt, sie ein wenig lieb zu haben? Sie ist doch wirklich ein nettes, wohlerzogenes Mädchen.“

„Wir beide reden aneinander vorbei, Lore. Ich verstehe gar nicht, warum du dich immer auf Ilonas Seite stellst. Bedeutet sie dir mehr als ich?“

Herr Brücks wusste, wie töricht diese Frage war, sie war ihm gegen seinen Willen über die Lippen gekommen. Er musste seiner Frau innerlich recht geben, er behandelte Ilona ungerecht. Obwohl er sich dies oft heimlich sagte, konnte er es nicht ändern. Abrupt wandte er sich der Tür zu und verließ, ohne noch ein Wort zu sagen, das Zimmer.

Unterdessen gingen Holger und Ilona dem Wald zu. Holger erzählte der eifrig zuhörenden Ilona, wie sich sein Leben in der Großstadt abspielte. In Ilonas blauen Augen stand ein sehnsüchtiger Ausdruck.

„Wenn ich erwachsen bin, möchte ich auch in der Großstadt leben“, sagte sie sehnsüchtig.

Mitleidig sah Holger auf sie herab.

Seine Stimme klang ganz weich, als er sagte: „Sei nicht traurig, kleine Ilona. Auch für dich wird das Leben wieder schön werden. Zum Glück hast du meine Eltern. Sie mögen dich gern. Mutter zum Beispiel liebt dich wie eine eigene Tochter, und ich hab dich auch so lieb, als ob du meine Schwester wärst!“

Dankbar sah Ilona zu ihm auf.

„Ich weiß, Holger, deine Mutter und du, ihr beide habt mich gern; das tröstet mich immer, wenn ich traurig bin und Sehnsucht nach meiner Mutter habe. Manchmal aber habe ich Angst, dass es nicht so bleiben wird. Vielleicht werde ich schon bald euer Haus verlassen müssen.“

„Was soll das heißen, Ilona, was redest du dir da ein? Meine Mutter würde dich niemals gehen lassen.“ Sie waren an einer Bank angelangt. Holger nahm Ilonas Arm und führte sie darauf zu. „Nun sag mir, was dich quält, du hast doch Vertrauen zu mir!“ Er nahm ihr kleines Gesicht in seine Hände und sah ihr tief in die Augen. „Willst du es mir nicht sagen, Ilona?“, fragte er weich.

Verlegen senkte sie den Kopf.

„Ich möchte eigentlich nicht darüber reden, Holger, es könnte so aussehen, als ob ich deinem Vater Unrecht tun wollte. Du kannst mir aber glauben, dass ich mir die größte Mühe gebe, um ihn nur ja nicht zu verärgern. Ich kann jedoch tun, was ich will, ich mache nie etwas recht. Immer wieder höre ich, wie deine Eltern sich streiten. Es geht dabei meistens um mich. Diese Gewissheit macht mir das Herz schwer. Ich frage mich oft, wie lange deine Mutter dies noch durchhält. Dein Vater sagt ihr immer wieder, sie solle mich in eine Stellung geben, wo ich nur hin und wieder einmal nach Hause käme. Wenn ich – wenn ich daran denke, könnte ich immerfort weinen. Ich habe doch nur noch euch. Wenn ich zu ganz fremden Menschen käme, würde ich sterben vor Sehnsucht nach meiner Mutter. Ihr gebt mir immer wieder neuen Mut. Fremde Menschen würden meinen Kummer nicht verstehen.“ Sie schluchzte weh auf. „Ich möchte gern bei euch bleiben.“

„Hab keine Angst, Kleines, du wirst bei uns bleiben.“ Holger strich ihr sacht über das schöne braune Haar.

Müde vom Weinen lehnte Ilona sich an seine breite Schulter.

„Glaubst du wirklich, dass ich für immer bei euch bleiben kann, dass dein Vater mich nicht hinauswerfen wird?“

„Wie kannst du so etwas nur annehmen, Ilona! Mein Vater ist etwas rau, vielleicht meint er es gar nicht so. In Wahrheit hat er ein weiches Herz. Ich kenne ihn, eines Tages wird er dich auch gern haben. Ich würde dir raten, dir nicht zu viel Kopfschmerzen darüber zu machen. Du wirst sehen, es ist vollkommen überflüssig.“ Er trocknete ihr die Tränen ab. „Weine nicht mehr, Ilona, ich möchte dich nicht traurig sehen. Ich bin so selten zu Hause, dann möchte ich eine frohe und zufriedene Ilona sehen.“

„Ich habe mich schrecklich gefreut, als ich erfuhr, dass du wieder mal nach Hause kommen würdest“, gestand Ilona ihm offen ein. „Du warst von der ersten Minute an gut zu mir. Früher habe ich mir immer einen Bruder gewünscht, der älter ist als ich, und der mich beschützen kann, wenn ich in Not bin. Ich glaube, mein Wunsch hat sich nun erfüllt. Du bist wie ein guter Bruder zu mir.“ Vertrauensvoll hängte sie sich bei ihm ein. „Ich habe deiner Mutter versprochen, dass wir ihr Beeren mitbringen, Holger, hilfst du mir, welche zu pflücken?“ Gespannt sah sie zu ihm auf.

Holger musste lächeln. Ilona war noch ein richtiges Kind. Sie schien im Augenblick ihren Kummer völlig vergessen zu haben. Als er ihr versprach, ihr beim Beerenpflücken zu helfen, strahlten ihre Augen ihn freudig an.

„Ich wusste, dass du mir diesen Gefallen tun würdest, Holger.“

***

Ein Jahr nach dem anderen verging. Holger kam alle paar Wochen nach Hause. Es änderte sich nichts. Sein Vater hatte sich immer noch nicht damit abgefunden, dass Ilona in ihrem Hause lebte.

Ilona hatte sich zu einem sehr schönen, schlanken Mädchen entwickelt. Sie war sehr ernst und zurückhaltend. Die heimliche Feindschaft ihres Pflegevaters hatte sie zu einem ernsten Mädchen werden lassen.

Nur wenn Holger nach Hause kam, lebte sie merklich auf. Dann konnte man sie sogar herzhaft lachen hören. An solchen Tagen sah man auf Frau Brücks Zügen ein weiches, verstehendes Lächeln. Je älter Ilona jedoch wurde, umso zurückhaltender wurde sie auch Holger gegenüber. Er zerbrach sich vergebens den Kopf, warum Ilona ihm auswich. Er nannte sie immer noch seine kleine Schwester.

Ein wenig müde kam Ilona an diesem Abend nach Hause. Sie trug einen weiten, bunten Rock, dazu eine weiße Spitzenbluse. Ihre schöngeformten Beine lenkten manchen Männerblick auf sich.

„Oh, war das heute wieder heiß“, stöhnte sie. Sie drückte Frau Brücks einen Kuss auf die Wange und brachte dann ihre Tasche fort. „Ich bekomme ab nächsten Monat mehr Geld, Tante Lore“, sagte sie, als sie zurückkam. „Ich freue mich sehr darüber, dann kann ich dir endlich etwas Schönes zum Namenstag kaufen. Ich fange gleich an zu sparen.“

„Ich habe dir schon so oft gesagt, du sollst mir nicht so viel schenken, Kind. Kaufe dir für dieses Geld etwas Aussteuer, du weißt doch, dass ich dir nicht viel geben kann. Holgers Studium hat sehr viel gekostet.“

„Bitte, Tante Lore, du musst mir in diesen Dingen freie Hand lassen. Du hast so viel für mich getan, ich kann es dir gar nicht gutmachen. Wenn du nicht gewesen wärest, wäre mein Leben sicher nicht so schön geworden. Du hast mir Liebe und ein Zuhause gegeben, das werde ich dir nie vergessen.“

„Meinst du dies wirklich ernst, Kind, war dein Zuhause bei uns wirklich schön?“, fragte Frau Brücks forschend.