Lore-Roman 11 - Yvonne Uhl - E-Book

Lore-Roman 11 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Mit brennenden Augen starrt Adrian Graf Diehl aus dem Fenster. Vor sechs Jahren hat er Deutschland verlassen, um Katja zu vergessen, die ihm die größte Enttäuschung seines Lebens zugefügt hat. Dieses wunderschöne, aber ganz und gar gefühllose und kalte Geschöpf hat Komödie mit ihm gespielt und ihn als Mittel zum Zweck benutzt. Denn schon kurz nach der Heirat hat sie ihn verlassen, und wie zum Spott hat sie ihm als "Entlohnung" zehntausend Mark hinterlassen.

Doch nun ist Adrian wieder in die Heimat zurückgekehrt, denn die Gedanken an die schöne Frau lassen ihm einfach keine Ruhe. Katja - noch immer hallt ihm dieser Name wie ein süßer Klang in seinen Ohren. Nur mühsam gelingt es ihm, den Zauber, der ihn von Neuem zu überfallen droht, zurückdrängen.

Er muss sie wiederfinden, will mit dieser hässlichen Episode endlich abschließen. Ich werde ihr meine ganze Verachtung ins Gesicht schreien, denkt er. Doch Graf Adrian ahnt nicht, wie nah er Katja bereits in diesem Moment ist ...

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Seitenzahl: 140

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Inhalt

Cover

Impressum

Einsames, stolzes Frauenherz

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: CoffeeAndMilk/iStockphoto

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5475-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Einsames, stolzes Frauenherz

Der große Erfolgsroman um das Schicksal der schönen Katja

Von Yvonne Uhl

Mit brennenden Augen starrt Adrian Graf Diehl aus dem Fenster. Vor sechs Jahren hat er Deutschland verlassen, um Katja zu vergessen, die ihm die größte Enttäuschung seines Lebens zugefügt hat. Dieses wunderschöne, aber ganz und gar gefühllose und kalte Geschöpf hat Komödie mit ihm gespielt und ihn als Mittel zum Zweck benutzt. Denn schon kurz nach der Heirat hat sie ihn verlassen, und wie zum Spott hat sie ihm als „Entlohnung“ zehntausend Mark hinterlassen.

Doch nun ist Adrian wieder in die Heimat zurückgekehrt, denn die Gedanken an die schöne Frau lassen ihm einfach keine Ruhe. Katja – noch immer hallt ihm dieser Name wie ein süßer Klang in seinen Ohren. Nur mühsam gelingt es ihm, den Zauber, der ihn von Neuem zu überfallen droht, zurückdrängen.

Er muss sie wiederfinden, will mit dieser hässlichen Episode endlich abschließen. Ich werde ihr meine ganze Verachtung ins Gesicht schreien, denkt er. Doch Graf Adrian ahnt nicht, wie nah er Katja bereits in diesem Moment ist …

Adrian Graf Diehl hielt sich ein Fernglas an die Augen. „Sagen Sie, Fräulein Roth, dort im Osten – die Häuser in der Ferne …“

„Das Rittergut des Baron von Waldner“, erwiderte Annegret Roth lächelnd.

Sie faltete die Hände über der Schürze und warf einen furchtsamen Blick zu dem weißhaarigen Südamerikaner, den der neue Herr des Gutes aus Colombia mitgebracht hatte. Annegret fürchtete sich ein bisschen vor dem glutäugigen Mestizen mit der dunkelbraunen Haut und dem scharfgeschnittenen Profil.

Dann kehrte ihr Blick zurück zu dem neuen Besitzer des Gutes. Er sah blendend aus. Das aschblonde Haar war lockig und dicht. Das markante, kantige Gesicht war tief von der südlichen Sonne gebräunt.

„Baron von Waldner!“, wiederholte Graf Diehl und setzte das Fernglas ab. „Hat er eine Tochter?“ Entgeistert sah er seine Beschließerin an.

„Er starb vor knapp einem Jahr“, erwiderte Annegret. „Vor etwa vier Monaten zog die neue Herrin drüben ein. Eine Nichte des Barons.“ Sie dämpfte ihre Stimme. „Sie gehört nicht hierher“, verriet sie. „Sie ist hochmütig und arrogant, die Leute fürchten sie. Ich habe sie noch nie gesehen, aber mein Verlobter …“ Sie stockte.

Adrian zog die Augenbraue hoch. „Oh“, äußerte er und lächelte. „Sie sind verlobt, Fräulein Roth?“

Annegret war errötet. „Ja. Er heißt Kurt Assner und ist drüben auf dem Waldner’schen Gut Verwalter.“

„Und wann soll die Hochzeit sein?“ Graf Diehls Lächeln vertiefte sich.

„In drei Monaten, im Mai“, erwiderte Annegret.

In Adrians Kopf dröhnte es. „Es ist gut, Fräulein Roth“, entgegnete er. „Ich werde noch viele Fragen stellen müssen, auf die Sie mir hoffentlich Antwort geben. Aber vorläufig ist es genug. Wie alt ist die Nichte des verstorbenen Barons eigentlich?“

„Kurt sagt, so zwischen fünfundzwanzig und dreißig“, sagte Annegret erstaunt.

„Und ist sie ohne Anhang?“, fragte Adrian schnell.

„Ja“, erwiderte Annegret Roth erstaunt. Dann ging sie hinaus.

Adrian klatschte in die Hände. „Du kannst die Koffer auspacken, Pedro“, befahl er seinem Diener.

Der Mestize verneigte sich vor Adrian. „Ja, Herr. Koffer auspacken. Und später Auto waschen.“

Graf Diehl lächelte. Nichts tat sein Diener Pedro so gern wie Auto waschen.

„Also gut.“ Adrian seufzte. „Auto waschen, Pedro.“ Er warf ihm die Autoschlüssel zu, und geschickt fing Pedro sie auf. Dann schlüpfte er hinaus.

Adrian Graf Diehl ließ sich hinter dem Schreibtisch nieder und stützte seinen Kopf in beide Hände.

Ausgerechnet einem Baron von Waldner musste das Nebengut gehören! Da war er nun sechs Jahre lang in Südamerika, um zu vergessen. Und als er es vor Heimweh nicht aushielt, war er nach Deutschland zurückgekehrt. Und der erste Name, der ihm begegnete, war Waldner.

Er wurde mit der Vergangenheit einfach nicht fertig. Auch sie war eine Waldner gewesen, die Frau, die ihm vor sechs Jahren eine so tiefe Demütigung zugefügt hatte, die er einfach nicht überwinden konnte.

Adrian Graf Diehl nahm die Hände vom Gesicht und starrte vor sich hin. Wenn er zwei Monate seines Lebens ungeschehen hätte machen können – fürwahr, er hätte es getan.

Eigentlich, sann er, bin ich nur nach Deutschland zurückgekehrt, um diese Person wiederzufinden und mit ihr abzurechnen.

Und ausgerechnet einem Baron von Waldner gehört das Nachbargut. Ich werde dort, sobald ich mich hier heimisch eingerichtet habe, meinen Antrittsbesuch machen. Und vielleicht kann mir die Nichte des verstorbenen Gutsbesitzers etwas über Katja sagen?

Ich habe meine Ranch in Südamerika aufgegeben, weil der Gedanke an Katja mir keine Ruhe ließ. Ich werde sie wiederfinden, und wenn ich jeden Meter ganz Deutschlands nach ihr absuchen müsste.

***

Kathrin Baroness von Waldner und ihr Verwalter Kurt Assner ritten am Wald entlang.

Ab und zu warf Assner einen kurzen Blick auf seine neue Herrin. Sie war schlank, mittelgroß, und machte im Sattel eine gute Figur.

Was für eine Frau, dachte Kurt Assner. Er bewunderte und fürchtete sie. Seitdem die junge Baroness, seine Nichte, das Zepter auf dem Gut führte, zitterte alles Personal vor den Neuerungen, die sie einführte.

Dabei, das musste ihr der Neid lassen, verstand sie etwas von Landwirtschaft und der Führung eines derartig großen Gutes.

Kathrin riss die Zügel hoch und deutete mit der Reitgerte über die Felder nach Westen.

„Dort endet mein Besitz, Assner?“

„Ja, Baroness“, bestätigte der Verwalter.

„Was für Häuser sind das in der Ferne?“

„Die Gutshäuser gehören zum ehemaligen Besitz des Fürstentums Breitenstein“, erwiderte Kurt Assner. „Vor etwa acht Jahren kaufte es eine Molkerei, doch die hat es nicht lange behalten. Es wurde vor etwa einem halben Jahr erneut verkauft.“

„An wen?“, fragte Kathrin knapp. Unwillig wandte sie sich an den Verwalter. „Lassen Sie sich doch nicht jedes Wort mühsam herauslocken, Assner. Ich will alle meine Nachbarn kennen.“

„Aber Baroness“, wich der Verwalter aus, „ich kenne nicht den Namen des Käufers. Keiner hier kennt ihn. Ein Anwalt hat in seinem Namen den Besitz erworben. Man munkelt, er sei ein südamerikanischer Rancher.“

„Was?“

Entgeistert sah Kathrin ihren Verwalter an. „Das fehlte uns gerade noch“, stieß sie hervor. „Ein Ausländer, der wahrscheinlich kein Wort Deutsch versteht!“ Sie warf spöttisch die Lippen auf.

„Das Personal des Gutes wurde übernommen“, fuhr Kurt Assner hastig fort. „Die Ankunftszeit des neuen Besitzers wurde auf diese Woche festgesetzt.“ Er kniff die Augen zusammen. „Vielleicht ist er sogar schon da?“, murmelte er etwas kleinlaut.

Kathrin Baroness von Waldner musterte ihren Verwalter stumm. Er war ein etwa fünfunddreißigjähriger drahtiger Mann mit vollem dunklem Haar.

„Sie sind merkwürdig gut informiert, Assner“, fuhr sie ihn an.

Kurt Assner lächelte verlegen. „Die Beschließerin von drüben“, erklärte er und wurde sogar rot, „ist meine … sie ist …“

„Ihre Geliebte?“, höhnte Kathrin geringschätzig.

Kurt Assner zuckte zusammen. „Meine Braut“, verbesserte er dann steif. „Wir wollen in drei Monaten heiraten.“

Sie blitzte ihn an. „Eine aus dem feindlichen Lager also?“, fragte sie in zynischem Ton. „Das passt mir ganz und gar nicht, Assner.“ Sie gab dem Braunen, auf dem sie saß, die Sporen. „Reiten wir weiter“, befahl sie.

Kurt Assner folgte ihr auf dem breiten Oldenburger. Seine Gedanken überschlugen sich. Der alte Baron hatte ihn selbstverständlich auf dem großen Gut schalten und walten lassen. Er war ein Gutsverwalter, wie ihn sich viele Gutsbesitzer ersehnen: Er verstand das Personal zu leiten, war ein guter Kaufmann, war sogar ein halber Veterinär und ein Experte im Hinblick auf Getreidegewinnung. Absolut ehrlich und nur auf die Belange seines Arbeitgebers bedacht, bedeutete er für das Riesengut Waldner ein wahres Kleinod.

„Und noch eins, Assner“, fuhr die Baroness fort und sah über die linke Schulter zu ihm zurück, der hinter ihr ritt. „Ich verlange von jedem unserer Angestellten absolute Höchstleistungen. Gefaulenzt wird bei mir nicht. Jedem, den ich beim Nichtstun erwische, kündige ich auf der Stelle. Es wäre gut, wenn Sie diese meine Einstellung unseren Leuten mitteilen würden.“

Eine halbe Stunde später ritten sie auf dem Gutshof ein. Kathrin warf einem Stallburschen die Zügel zu und sprang aus dem Sattel. Eine junge Magd überreichte ihr knicksend ein Telegramm. Die Baroness riss es auf und überflog den Text. Ganz deutlich bemerkte Kurt Assner, dass sie erblasste.

„Fräulein Hilde“, sagte sie dann herrisch, „wo ist Fräulein Hilde, zum Donnerwetter?“

Mit wehenden Schürzenzipfeln eilte nach einigen Rufen Hilde Karsten, die Haushälterin, die Steintreppe zum Hof hinunter. Sie kam offensichtlich geradewegs aus der Küche, denn ihre Hände waren voller Mehl. Verächtlich starrte Kathrin sie an.

„Ich möchte wissen, wozu ich einer Köchin das Gehalt bezahle!“, fuhr sie die Haushälterin an. „Müssen Sie in der Küche arbeiten?“

„Heute ist Backtag“, verteidigte sich Hilde Karsten.

Sie war eine stämmige Person von etwa vierzig Jahren und hatte schon beim alten Baron eine Vertrauensstellung eingenommen. Zu ihr war Kathrin um eine Spur milder als zu den anderen Leuten.

„Wir bekommen Besuch, Fräulein Hilde“, erklärte Kathrin heiser. „Wer von unseren Mägden könnte die Rolle eines Kindermädchens übernehmen?“

Hilde Karsten zeigte offen ihr Staunen. „Eines Kindermädchens?“

„Jaja“, wehrte Kathrin ungeduldig ab. „Ein kleines fünfjähriges Mädchen kommt. Und es wird vorläufig hierbleiben.“

„Aber wenn es fünf Jahre ist, muss es ja bald zur Schule!“, rief Hilde Karsten erstaunt. „Und bis zur Dorfschule sind es vier Kilometer.“

„Darüber können wir später reden“, winkte Kathrin hochmütig ab. „Ich muss die Kleine zu mir nehmen, denn sie hat kein Zuhause mehr.“ Sie stockte. „Sie ist das Töchterchen einer – einer guten Freundin“, fuhr sie fort. „Sie hat nur noch mich auf der Welt. Bisher war das Kind in einem kirchlichen Heim, das jetzt aber aufgelöst wird. Ein junger Pater wird das Kind morgen bringen.“

„Morgen schon?“, rief Hilde. Sie überlegte. „Die Lieselott aus der Wäscherei ist sehr kinderlieb“, fuhr sie nachdenklich fort. „Ein nettes Mädchen ist sie. Sie könnte vielleicht für das Kind sorgen.“

„Gut, Fräulein Hilde. Schicken Sie mir die Lieselott ins Büro. Und dann überlegen Sie sich, wo zwei Zimmer im Herrenhaus frei sind. Lieselott muss neben dem Kind wohnen.“

Als Fräulein Hilde sie verblüfft ansah, nickte Kathrin ungeduldig.

„Jaja, Sie haben richtig gehört. Die Kleine wird zwar hier wohnen, aber Zeit darf sie mir nicht stehlen. Und jetzt beeilen Sie sich. Die Zimmer müssen heute noch hergerichtet werden.“

In stolzer Haltung stieg Kathrin Baroness von Waldner die Steinstufen hinauf. Beim Laufen schlug sie ungeduldig mit der Reitgerte an ihre Stiefel. Fräulein Hilde und Kurt Assner starrten ihr nach.

„Ein Kind zu dieser Teufelin“, entfuhr es der Haushälterin. „Armes Kind! Aber ich werde aufpassen, dass es nicht auf alle Liebe verzichten muss.“

„Eine solche Frau wie unsere Herrin ist mir noch nie begegnet, Fräulein Hilde“, gestand der Verwalter. „Da lobe ich mir doch meine Annegret. Die ist so warmherzig, wie eine Frau sein soll. Frieren Sie auch so in der Nähe der Baroness?“

„Wissen Sie, Kurt“, murmelte Fräulein Hilde, „vielleicht kann die Baroness gar nichts dafür? Vielleicht war sie früher ganz anders? Sie mag ein böses Erlebnis gehabt oder einen Schock erlebt haben, der sie zu dem gemacht hat, was sie heute ist!“

***

Am nächsten Tag, als der Wagen in den Gutshof einfuhr, war das Personal des Riesengutes vollzählig versammelt. Hinter Scheunen und Fenstern sahen alle zu, wie die hochgewachsene Gestalt des Paters im schwarzen Priestergewand das kleine Mädchen die Treppe hinaufführte.

In der offenen Tür hatte Hilde Karsten Aufstellung genommen. Gütig nickte sie dem Pater zu und neigte sich zu dem Kind nieder.

„Ich bin Tante Hilde“, sagte sie und lächelte. „Und wie heißt du?“

Das Kind nickte schüchtern. „Ich bin Annette“, antwortete sie.

„Was für ein schöner Name!“, staunte die Haushälterin.

Das Kind hatte große dunkelbraune Augen. Das Haar, zu zwei dicken Zöpfen geflochten, war hellblond und schimmerte, wenn die Sonne darauf fiel, wie pures Gold.

Das ovale Gesicht war tiefernst. „Darf ich das gnädige Fräulein sprechen?“

Der Pater drückte ihre Hand. „Aber Annette“, schalt er. „Die gnädige Baroness ist gewiss sehr beschäftigt.“

„Sie ist in ihrem Büro“, meldete Hilde Karsten. „Ich werde Sie anmelden, Hochwürden.“

Sie wollte sich umdrehen, doch da kam atemlos die junge Magd Marlies die Treppe zur Halle hinuntergestürmt.

„Fräulein Hilde!“, schrie sie. „Hier ist ein Zettel von der Baroness und ein Briefumschlag.“

Wie vom Blitz getroffen blieb Hilde Karsten stehen. „Wieso? Was soll das heißen?“, fuhr sie die Magd an.

„Die Gnädige ist oben in ihrem Schlafzimmer“, berichtete Marlies ängstlich.

Sie drückte Hilde den Zettel und den leeren Briefumschlag in die Hand. Verständnislos sah Hilde Karsten darauf nieder. Sie las:

Fräulein Hilde, grüßen Sie den Pater von mir. Ich habe Migräne und kann ihn nicht empfangen. Er soll die Papiere des Kindes in den Briefumschlag tun und ihn verkleben. Bieten Sie ihm eine Erfrischung an. Ich bin für niemand zu sprechen.

„Ich lese gerade, Hochwürden, dass die gnädigste Baroness erkrankt ist“, sagte sie mit belegter Stimme. „Sie lässt Sie grüßen und bitten, meine Erfrischung anzunehmen. Auch möchte sie, dass die Papiere von Annette in diesen Briefumschlag getan werden und dass der verschlossene Umschlag mir übergeben wird.“

In den Augen des jungen Paters zuckte es auf. „Sehr wohl“, sprach er dann höflich. „Die gnädige Baroness war immer sehr hochherzig unserem Kinderheim gegenüber. Der Orden St. Vinzenz ist ihr zu großem Dank verpflichtet. Leider wird das Kinderheim aufgelöst, um einem Krankenhaus für ältere Menschen Platz zu machen. Wie gut, dass die Baroness von Waldner sich bereit erklärt hat, Annette zu sich zu nehmen. Nicht wahr, Annette, du freust dich?“

„Ja, Hochwürden!“, entgegnete Annette leise.

Der Pater öffnete seine Aktentasche, die er unter dem Arm trug, und nahm einen verschlossenen Umschlag heraus.

„Hier sind sämtliche Papiere von Annette drin: Taufschein, Geburtsschein, Impfscheine und ein kurzer Krankenbericht. In einem guten Jahr muss sie zur Schule.“ Er neigte sich zu Annette nieder. „Und nun leb wohl, mein Kind. Sei so brav und artig wie bisher. Gott segne dich und sei mit dir, Annette!“

„Hochwürden!“ Plötzlich standen Tränen in Annettes Augen. Sie klammerte sich an dem langen schwarzen Gewand fest. „Bitte … muss ich hierbleiben?“

Der Pater schickte einen langen Blick zu Fräulein Hilde hinüber.

Hilde Karsten bückte sich und nahm Annette in die Arme. „Liebling, nun sei doch vernünftig“, schmeichelte sie. „Es wird dir bei uns wirklich gut gehen. Und wir haben so viele niedliche Tiere hier. Du magst doch Tiere gut leiden?“

„Ja“, hauchte das kleine Mädchen.

„Kleine Hunde und Katzen gibt es hier, lustige gelbe Küken und winzige Entenbabys. Hast du übrigens Hunger? Wir haben gestern Mohnstrudel gebacken! Am besten, du kommst gleich mit hinunter in die Küche. Die Köchin hat schon dicken Sahnekakao für dich gekocht. Wir alle freuen uns so, Annette, dass du zu uns gekommen bist.“

Vertrauensvoll legte das Kind seine Patschhand in Hilde Karstens Hand.

„Ja, Tante Hilde“, flüsterte es.

Hilde Karsten richtete sich auf.

„Gott segne Sie, liebe Frau!“, sprach der Pater warm. Er drückte Hildes Hand.

„Seien Sie unbesorgt, Hochwürden“, erklärte Hilde Karsten feierlich, „ich verbürge mich persönlich dafür, dass es Annette gut geht.“

„Ich werde mir gestatten, in einigen Monaten vorbeizusehen, wie es meinem Schützling geht“, erklärte der Pater.

„Darf ich Ihnen nicht doch eine Erfrischung anbieten?“

Nach einem bedeutsamen Blick auf das Kind schüttelte der Pater den Kopf.

„Nein, es ist besser, ich fahre gleich wieder ab.“ Sekundenlang ruhte die Hand des Geistlichen auf dem goldblonden Schopf der Kleinen, als ob er sie segnen wollte, dann drehte er sich um und ging.

Um das Kind abzulenken, drückte Hilde Karsten es liebevoll an sich.

„Nun komm, Annette“, sagte sie zärtlich und lächelte. „Ich zeige dir erst mal die Küche. Es ist eine ganz große Küche mit Holzbänken und riesigen Öfen. Da unten ist auch Lieselott. Sie wird bestimmt deine Freundin werden.“

„Auch ein kleines Mädchen wie ich, Tante?“, erkundigte sich Annette.

„Lieselott ist schon siebzehn“, sagte Hilde und zog das Kind zur Tür, die zum Souterrain führte, in dem sich die Küche und Wirtschaftsräume befanden. „Aber sie wird immer für dich da sein, mit dir spielen und mit dir essen. Und sie schläft sogar neben dir, Annette. Ist das nicht großartig?“

„Im Heim hatte ich zwei Freundinnen“, sagte das Kind leise. „Gerlinde und Edith. Sie hatten ganz schöne Puppen. Aber ich spiele nicht mit Puppen. Ich mag viel lieber Cowboy spielen.“

„Cowboy?“, staunte Hilde Karsten. Sie stiegen jetzt die Treppe zum Souterrain hinunter.

„Ja“, erzählte Annette zutraulich. „Ich habe immer mit dem Jungen im Heim gespielt. Und unser Pater hat uns gezeigt, wie man ein Lasso wirft. Wir hatten auch drei Ponys, und auf denen kann ich reiten!“

„Hier hast du richtige große Pferde, auf denen du reiten kannst“, erzählte Fräulein Hilde. Sie stieß die Küchentür auf. „Nun seht mal her, wen ich euch bringe.“

Die Köchin, zwei Küchenmädchen und drei Zimmerfräulein standen in weißen Schürzen da und blickten Hilde und dem Kind entgegen. Annette wurde über und über rot.

„Nun gafft sie nicht so an“, schalt Fräulein Hilde. „Sie heißt Annette und ist ein sehr liebes kleines Mädchen.“