Lost City Boys: Die Entliebten - Katharina Jach - E-Book

Lost City Boys: Die Entliebten E-Book

Katharina Jach

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Beschreibung

Vor fünfzehn Jahren zerstörte eine blutige Revolution das Land. Am Ende blieb Nick und Albert nichts, als ihre Freundschaft. Nun müssen die beiden jungen Männer ihren Weg in einer Welt finden, die sie nicht verstehen. Während Nick alles tut, um seiner Familie einen Neuanfang zu ermöglichen, verliert sich Albert in einem Leben unter Gesetzlosen. In der Hoffnung, seinen Freund zu retten, reist Nick nach Norden in die Ruinen seiner Heimatstadt, ohne zu ahnen, welche Feuerprobe dort auf ihn wartet. Die Geschichte erschien erstmals 2015 unter dem Titel »Die Entliebten« und wurde nun umfassend überarbeitet.

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Seitenzahl: 98

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Widmung

Lost City Boys

Danksagung

Die Autorin

LOST CITY BOYS

–––

Die Entliebten

Katharina Jach

LOST CITY BOYS: DIE ENTLIEBTEN

© 2018 Katharina Jach

ISBN: 978-3-752873-40-5

Verlag: Katharina Jach | Marienthaler Straße 71 | 20535 Hamburg | www.katharinajach.de | [email protected]

Lektorat: Bojana Kalanj, www.textpolitur.at 

Korrektorat: Roswitha Uhlirsch, www.spreadandread.de

Umschlaggestaltung: Katharina Jach, Hamburg.

Illustration © 2014 Arthur Tissen, Hamburg

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 

Triggerwarnung: Diese Geschichte enthält explizite Darstellungen körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt.

FÜR ARTHUR

ohne dessen Zuspruch es dieses 

Buch nicht geben würde.

∙ / ∙ / ∙

DEUTSCHLAND

Herbst 2053

DIE LANDSCHAFT VERÄNDERTE SICH, als sich der Expresszug der Sperrzone näherte. Das dichte Buschwerk wich zurück und überließ Moos und kranken Flechten das Feld. Die Farbe der Erde wandelte sich zu einem schlammigen Grau und weiße Flocken hingen wie Staub in der Luft. Der Anblick ließ mich frösteln, obwohl die Heizung über meinem Kopf dröhnend arbeitete und den Zug mit fiebriger Hitze erfüllte.

Ich sah auf die Welt hinaus und versuchte, mich zu erinnern, wie es hier in meiner Kindheit ausgesehen hatte. In meinem Kopf entstanden undeutliche Bilder von Spaziergängen im Schatten des Waldes, entlang endloser Felder voller Heidekraut. Die letzten Bruchstücke einer untergegangenen Zeit.

Ein Rumpeln ging durch den Zug, als er in den Checkpoint am Rande der Sperrzone einfuhr. Uniformierte Männer mit Maschinengewehren schritten den Bahnsteig ab. Ein Zugführer, den man leicht an seiner roten Arbeitskleidung erkennen konnte, begrüßte die Wächter und öffnete ihnen die Türen. Die Stiefel der Soldaten verursachten ein metallenes Poltern auf dem Boden, das mir durch Mark und Bein ging.

Ich betrachtete die übrigen Passagiere im Wagen. Schräg gegenüber hatte sich eine Frau mit ihren Habseligkeiten über mehrere Bänke ausgebreitet und hielt ein zappelndes Mädchen im Arm. Beide sahen krank und unterernährt aus. Ihre Kleidung war vom Dreck der Straße verkrustet und hatte die Farbe von feuchtem Kompost angenommen. Weiter hinten saßen zwei Männer in den dunkelblauen Overalls der Seetaucher. Sie saßen schweigend da und schienen weder von der Landschaft noch von ihren Mitreisenden Notiz zu nehmen. Die Anwesenheit der Wächter schien sie nicht im Geringsten zu beunruhigen.

Die Tür zum nächsten Wagen glitt mit einem Zischen auf. Der Zugführer trat ein, die beiden Wächter folgten dicht hinter ihm. Beide Soldaten hatten die Visiere ihrer Helme heruntergeklappt. Nur das dumpfe Glimmen des Heads-up-Displays erhellte das dunkle Glas und ihre Gesichter.

Der Zugführer bat die beiden Seetaucher um ihre Fahrscheine. Die Männer hoben ihre CommUnits. Noch während der Mann die Displays der Seetaucher überprüfte, drückte die zerlumpte Frau ihre Tochter fester an sich. Panik stand in ihren Augen. Sie wimmerte, als der Zugführer neben ihren Sitz trat und sie um ihr Ticket bat.

»Bitte«, flehte sie mit gequälter Stimme.

»Ihren Fahrschein, bitte«, wiederholte der Mann.

Die Wächter rückten näher. Einer von ihnen hob das Gewehr und entsicherte es mit einer fließenden Bewegung.

»Aber …« Die Stimme der Frau drohte zu versagen. »Ich habe keinen Ausweis.«

»Sie haben kein Ticket?«

»Nein, Sir. Ich … wir …« Sie verlor sich in leisem Gestammel.

»Ohne Fahrschein kann ich Sie nicht weiterfahren lassen.«

Die Frau verstummte.

»Sind Sie sicher, dass Sie kein Ticket bei sich haben?«

Man musste dem Zugführer zugutehalten, dass er die Frau vor Ärger zu bewahren versuchte.

»Wir können nirgendwo hin«, sagte sie schließlich und ihr Blick huschte zwischen dem Zugführer und den Wächtern hin und her. »Wir tun doch niemandem etwas.«

»Es tut mir leid, aber Sie kennen das Gesetz. Ohne Fahrschein kann ich Sie nicht weiterfahren lassen.«

Auf das Kopfnicken des Zugführers hin trat einer der Wächter vor, das Gewehr fest in einer Hand, und packte den Arm der Frau. Das kleine Mädchen gab ein verängstigtes Quieken von sich und versuchte, sich unter den Sitz ihrer Mutter zu drücken.

»Beschissene Drifter«, raunte einer der Seetaucher gerade so laut, dass ihn alle Leute im Wagen hören konnten. »Dieser Müll soll zusehen, wo er bleibt.«

Die Frau hielt ihrer Tochter die Hand hin und lockte sie mit sanfter Stimme unter dem Sitz hervor. Zaghaft ergriff das Mädchen die Finger seiner Mutter. Sie erinnerte mich an meine eigene Schwester, als sie im selben Alter gewesen war. Sie sah aus wie ein dünner Zweig, der von einem stürmischen Wind umhergepeitscht wurde.

»So ist es brav, Madeleine«, flüsterte die Frau mit Tränen in den Augen.

»Mitkommen«, blaffte der Wächter und versetzte der Frau und ihrer Tochter einen heftigen Stoß. Ich folgte ihnen mit dem Blick. Mein Herz machte einen Satz, als der Zugführer und der zweite Wächter sich mir zuwandten.

»Fahrkarte«, sagte der Mann in der roten Uniform.

Ich zog das handliche CommUnit aus der Innentasche meines Mantels und rief die Datei mit dem Fahrschein auf den Bildschirm.

»Was wollen Sie denn in Hamburg?«, fragte er verblüfft, als er das Ziel meiner Reise auf dem Display ablas.

»Einen Freund besuchen«, antwortete ich.

»Muss ja ein toller Freund sein.«

»Er ist ein sehr guter Freund«, sagte ich, als würde es das irgendwie besser machen.

Der Mann schnaubte und ging davon. Der Wächter hielt einen Augenblick inne, um die verbleibenden Fahrgäste ein letztes Mal zu betrachten, dann folgte er dem Zugführer in den nächsten Wagen. Ich wartete, bis sich die Tür des Abteils mit einem Zischen hinter ihnen geschlossen hatte, bevor ich mich wieder entspannte.

Eine Viertelstunde später verließ der Zug den Checkpoint und ließ damit die Zivilisation endgültig hinter sich.

Ich wandte mich wieder dem Fenster zu und suchte nach dem Ziel meiner Reise. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis es am Horizont auftauchte. Meine Gedanken wanderten jedoch immer wieder zu der armen Frau und ihrer Tochter zurück. Ich fragte mich, wohin der Wächter sie wohl gebracht hatte. Wahrscheinlich würde man sie in Untersuchungshaft nehmen und versuchen, ihre Identitäten zu bestimmen. Wenn das nicht gelang, würde man sie entweder in eine der permanenten Unterbringungen in Hannover oder Kassel stecken oder sie irgendwo in der Wildnis aussetzen, in der Hoffnung, dass sie dort verhungerten.

Es war ein hartes System, doch die meisten von uns hatten nicht darunter zu leiden, so lange wir uns an die Regeln hielten. Also spielte ich mit. Ich hatte auch kaum eine andere Wahl. Meine Mutter litt seit Jahren an Arthrose und konnte nicht mehr für sich selbst sorgen, war also auf meine Unterstützung angewiesen. Meine Schwester war noch zu jung, um Geld zu verdienen, würde aber eine anständige Universität besuchen können, wenn ich es richtig anstellte. Es lag an mir, sie beide vor einem Schicksal wie dem zu bewahren, das ich erst vor wenigen Minuten mitansehen musste. Ich hatte die letzten fünf Jahre alles darangesetzt, uns dieses neue Leben zu ermöglichen. Und wir waren so kurz davor, es zu bekommen. Wir würden nach Osten gehen und noch einmal von vorne anfangen.

Dann entdeckte ich in der Ferne die Stadt, die über dem toten Land thronte. Ihre Gebäude waren Gebeine, die sich nackt und fahl wie die Finger eines Toten dem Himmel entgegenstreckten. Moos hatte Stahl und Panzerglas im Laufe der Jahre zurückerobert und sich über allem ausgebreitet.

Wie gebannt starrte ich die baufälligen Türme an. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was wohl passieren würde, wenn ich die Stadt erst erreicht hatte. Die Wahrheit war, dass ich nicht den blassesten Schimmer hatte, und das machte mich nervös.

Jeder kannte die Geschichten, die man sich über die Bewohner der vergessenen Metropole erzählte. Die meisten handelten von Krankheit und Elend. Andere berichteten von Anarchie, grausamen Menschenopfern und Straßen voller Blut.

Ich versuchte, diesen Geschichten keinen Glauben zu schenken. Sie weckten zu viele schmerzvolle Erinnerungen an den Ausbruch des Krieges. Trotzdem waren es wilde Gerüchte wie diese, die mir als Erstes in den Sinn kamen, als mich vor ein paar Tagen Alberts Nachricht erreicht hatte.

Wir hatten seit über einem Monat nicht miteinander gesprochen. Seit er von mir erfahren hatte, dass ich mit meiner Familie wegziehen würde, war er mir aus dem Weg gegangen und hatte auf keine meiner Anrufe oder Nachrichten geantwortet. Ob aus Wut oder Enttäuschung konnte ich nicht sagen, doch ich nahm an, dass er einfach Zeit brauchen würde, um die Neuigkeiten zu verarbeiten. Umso überraschter war ich gewesen, als ich nach dem beharrlichen Schweigen seinen Namen auf dem Display meines CommUnits entdeckte. Ich hatte die Botschaft aktiviert und eine böse Überraschung erlebt.

»Bin in Hamburg.«

Mehr hatte er nicht geschrieben, trotzdem hatten mich diese drei Worte fast aus der Haut fahren lassen. Wir waren beide in Hamburg aufgewachsen, auch wenn wir uns erst nach dem Untergang der Stadt über den Weg gelaufen waren. Fest stand, dass weder er noch ich einen Grund hatten, in diese Ruine zurückzukehren.

Was auch immer er in Hamburg suchte, ich hatte gleich gewusst, was er mir mit seiner Nachricht sagen wollte. Er wollte, dass ich zu ihm kam. Zurück in die Stadt unserer Kindheit. Meine Vernunft warnte mich davor, Alberts Ruf zu folgen, aber meine Intuition sagte mir, dass er mich brauchte.

Und so saß ich hier, auf dem Weg nach Norden.

Bald wirst du wissen, was los ist, sagte ich mir und versuchte, die düsteren Vorahnungen aus meinen Gedanken zu verbannen.

Ratternd überquerte der Zug die Brücke, die über das verschlickte Flussbett der Elbe führte. Die morbide Majestät der Stadt füllte inzwischen mein gesamtes Blickfeld aus.

Kurz darauf kam der Zug mit einem markerschütternden Knarren zum Stehen. Als die Türen sich öffneten, gaben sie den Blick auf einen verlotterten Bahnsteig frei, der so hoch über der Elbe errichtet worden war, dass es einem schlecht werden konnte. Der Wind blies heftig aus dem Norden und ein modriger Geruch, vermischt mit dem Salz des Meeres, klebte mir schwer in Mund und Nase.

Ich stieg aus und zog den Reißverschluss meines Parkas zu. Hinter mir setzte sich der Zug kreischend in Bewegung und schob sich weiter nordwärts, der Eisküste entgegen. Ich sah ihm nach, bis er zu einem Punkt in der Ferne schrumpfte und verschwand.

Den Kopf zwischen die Schultern gezogen eilte ich voran. Mein Weg führte mich direkt ins alte Stadtzentrum, das einem Labyrinth aus engen Gassen ähnelte. Die Straßen waren geprägt von der Abwesenheit des Lebens. Es versteckte sich in den tiefen Rissen und dunklen Schatten, als lauerte es auf die Rückkehr des unsagbaren Grauens, das einst den Untergang der Stadt verursacht hatte. Ein Gefühl von Gefahr, die sich knapp außerhalb meines Sichtfelds verbarg, kroch mir in die Glieder.

Um meiner Nervosität Einhalt zu gebieten, fummelte ich ein Päckchen Zigaretten aus der Jackentasche. Gierig sog ich den Geschmack von Teer und Tabak auf und vergaß darüber den Pesthauch, welcher der Stadt seit dem Krieg anhaftete.

Hastig rauchte ich zwei Zigaretten, dann erreichte ich endlich unseren Treffpunkt. Es war ein weites Feld aus Zement, das einst als Ort für Vergnügungen gedient hatte. Zu Beginn des neuen Jahrtausends war seine Geschichte mit Blut neu geschrieben worden.

Vor fünfzehn Jahren hatte hier der Untergang der Republik begonnen. In der Bevölkerung hatte schon lange Unmut geherrscht, doch in Berlin hatte niemand so recht daran geglaubt, dass die Demonstranten und Aktivisten der Regierung wirklich gefährlich werden konnten. Zu spät hatten die Mächtigen gesehen, wozu ihre Gegner fähig waren. Sie hatten einen Putsch gewagt und damit eine neue Ära eingeläutet. Von diesem Platz aus im Herzen der Stadt hatte sich die Revolte wie eine Pandemie über das ganze Land ausgebreitet. Die Union, die Europa für beinahe einhundert Jahre zusammengehalten hatte, brach zusammen und hinterließ ein Machtvakuum, in dem sich Kriegsgewinnler wie Maden im Speck breitmachten.

All das hatte mit donnernden Gewehrsalven begonnen. Seitdem war jener erste Tag der Revolution in das kollektive Gedächtnis der Überlebenden gebrannt.

Ich konnte mich noch gut an die Schüsse erinnern, die wie ein wütendes Fauchen durch die Straßenschluchten hallten und die ganze Welt zu erfüllen schienen. Nur die Stille, die ihnen nachfolgte, war noch erschreckender gewesen.