Lotus House - Endlose Liebe - Audrey Carlan - E-Book

Lotus House - Endlose Liebe E-Book

Audrey Carlan

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Beschreibung

Die prickelnde Lotus House-Serie: Liebe, Leidenschaft und Yoga unter der Sonne Kaliforniens! Als Moe von ihrem Ehemann verlassen wird, ist sie am Boden zerstört. Von einem Yogakurs im Lotus House erhofft sie sich Ablenkung und Trost. Als sie dort den attraktiven Yogalehrer Clayton Hart trifft, eröffnen sich ihr jedoch noch in vielerlei anderer Hinsicht ganz neue Welten ...

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Lotus House - Endlose Liebe

Die Autorin

Audrey Carlan schreibt mit Leidenschaft heiße Unterhaltung. Ihre Romane veröffentlichte sie zunächst als Selfpublisherin und wurde daraufhin bald zur internationalen Bestseller-Autorin. Ihre Serien »Calendar Girl«, »Trinity« und »Dream Maker« stürmten auch in Deutschland die Charts. Audrey Carlan lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kalifornien.

Das Buch

Als Moe von ihrem Ehemann verlassen wird, ist sie am Boden zerstört. Stück für Stück kämpft sie sich mit Hilfe ihrer Freunde zurück in ihr Leben – bis ihr ein zweites Mal der Boden unter den Füßen weggerissen wird und sie droht, diesmal endgültig unterzugehen. Das ist der Moment, in dem Clayton Hart auftaucht und ihr die Hand reicht. Sie kann dem Mann mit den tiefblauen Augen und dem muskulösen Körper nicht widerstehen. Doch kann sie ihm auch einen Platz in ihrer kleinen Welt schaffen – und in ihrem Herzen?

Audrey Carlan

Lotus House - Endlose Liebe

Aus dem Amerikanischen von Christiane Sipeer

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage August 2019Copyright © für die deutsche AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Copyright © by Waterhouse Press 2018Published by arrangement with Waterhouse Press LLCTitel der amerikanischen Originalausgabe:Limitless Love. A Lotus House novel, erschienen bei Waterhouse Press LLCUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, MünchenAutorenfoto: © Melissa McKinley PhotographyE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-2110-3

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser,

1. KAPITEL

MONET

2. KAPITEL

CLAYTON

3. KAPITEL

MONET

4. KAPITEL

CLAYTON

5. KAPITEL

MONET

6. KAPITEL

CLAYTON

7. KAPITEL

MONET

8. KAPITEL

CLAYTON

MONET

9. KAPITEL

CLAYTON

MONET

10. KAPITEL

CLAYTON

11. KAPITEL

MONET

12. KAPITEL

CLAYTON

13. KAPITEL

MONET

14. KAPITEL

MONET

15. KAPITEL

CLAYTON

16. KAPITEL

MONET

17. KAPITEL

CLAYTON

18. KAPITEL

MONET

19. KAPITEL

MONET

20. KAPITEL

CLAYTON

MONET

CLAYTON

EPILOG

MONET

DANKSAGUNG

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Liebe Leserin, lieber Leser,

Widmung

Für meine Schwester Denise Pasion.

Die Frau, die mir beigebracht hat,

ein gutes Buch zu lieben.

Dass es okay ist, bei Filmen zu weinen.

Dass Schwestern von Gott geschenkte beste Freundinnen sind.

Dass man immer seinem Herzen folgen sollte.

Und so viel mehr.

Meine Liebe zu Dir ist unendlich groß.

1. KAPITEL

Das Herzchakra ist das vierte der sieben Hauptchakren des Körpers. Es steht für die Fähigkeit zu lieben, die Art und Weise der Liebe sowie vergangene und zukünftige Liebe.

MONET

»Es gibt keine Liebe ohne Schmerz, weil wir die Schönheit des einen ohne das andere gar nicht erkennen würden.« Ich saß auf meinem Sessel aus gestepptem Leder, schlug die Beine übereinander und schaute über den Rand meiner Brille hinweg den Mann an, der vor mir saß.

Er seufzte, lehnte die breiten Schultern an die Couch und streckte die Arme aus. Eine ziemlich offene Geste für jemanden, der so sarkastisch war.

»Sehr tiefsinnig, Doc.«

Ich lächelte knapp, legte den Notizblock auf meinen Schoß und beugte mich nach vorn. »Alles im Leben folgt dem Prinzip von Yin und Yang. Liebe und Schmerz, Freude und Leid. Das Universum scheint diese Dinge ganz natürlich im Gleichgewicht zu halten.«

Er schnaubte. »Ach ja, und was sagt das Universum zu meiner fremdgehenden Frau?«

»Was sagt es Ihnen denn?« Ich biss mir von innen in die Wange, um meine instinktive Reaktion zu unterdrücken. Die gleiche Situation hatte ich auch schon erlebt. Das hatte höllisch wehgetan. Als Therapeutin dieses Mannes sollte ich allerdings mit ihm mitfühlen und nicht mitleiden, sonst würden wir beide in ein tiefes schwarzes und schmerzhaftes Loch fallen.

Er machte ein mürrisches Gesicht. »Dass sie ihre Strafe verdient hat?«

»Meinen Sie nicht, dass es ihr wehgetan hat, dass Sie einfach so verschwunden sind, ohne mit ihr zu reden?«

»Nicht im Geringsten. Sie hat es mit meinem besten Freund getrieben.«

Seine Worte fühlten sich auf meinen nackten Unterarmen an wie tausend winzige Eiszapfen. Ich versuchte zu schlucken, aber meine Kehle war ganz trocken.

Es ist nicht dein Leben, Moe. Lass dich nicht zu sehr von deinen eigenen Erfahrungen beeinflussen.

»Das ist bestimmt schwer zu verkraften«, sagte ich voller Mitgefühl.

»Das können Sie laut sagen!« Dave spannte den Kiefer an und warf einen Blick über die Schulter. »Ich weiß gar nicht, was ich hier soll.«

Da wurde ich hellhörig. »Oh doch, das wissen Sie.«

Er schüttelte den Kopf und legte die Hände auf seine Knie. »Wie soll ich ihr je wieder vertrauen können? Mit meinem besten Freund …« Dave rieb sich das Kinn. Das Geräusch, als er mit den rauen Händen über sein stoppeliges Kinn fuhr, rief eine unerwünschte Erinnerung in mir wach. Genauso hatte sich Kyle immer den Kiefer gerieben, wenn er was zu verbergen hatte. Und das war eine Menge gewesen, wie sich herausgestellt hatte – am verstörendsten war seine lange Affäre mit meiner kleinen Schwester gewesen.

Moe, hier geht es nicht um dich. Lass gut sein …

Ich atmete langsam ein und wieder aus, damit Dave und ich Zeit hatten, uns zu beruhigen.

»Ich dachte, wenn ich alles rauslasse und, Sie wissen schon, einer Expertin die ganzen schmutzigen Details erzähle, dann geht es mir vielleicht besser.« Er grinste spöttisch und pulte an seinem Fingernagel herum.

»Und, ist es so?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Ich bin immer noch sauer. Stinksauer. Ich weiß nicht, ob ich ihr den Betrug je verzeihen kann.« Als er fortfuhr, spannte er wieder den Kiefer an. »Glauben Sie, das ist möglich? Also darüber hinwegzukommen?«

Nein, das glaubte ich nicht. Aber ich wollte es. Ich wünschte mir krampfhaft, in einer anderen Situation zu sein. Selbst anders zu sein. Irgendwie besser. Eine bessere Ehefrau und Mutter. Meinem Mann eine bessere Freundin. Dann hätte er mich vielleicht nicht einfach sitzen lassen. Vielleicht wäre ihm meine Schwester dann auch nicht wie der perfekte Ausweg aus dem Leben vorgekommen, das er nicht wollte. Von der Frau, die er nicht wollte. Und dem Kind, das er nicht einmal ansehen konnte.

Ich schob meine geheimen Sehnsüchte beiseite und setzte ein Lächeln auf. Ich sah Dave so großzügig und mitfühlend an, wie ich konnte, und log. Ich log, weil mein Job in diesem Augenblick darin bestand, objektiv zu sein. »Ich glaube, alles ist möglich.«

Was für eine Lüge!

Nach Jahren in diesem Metier hatte ich schon viele Betrugsfälle erzählt bekommen. Weil ich es selbst erlebt hatte, fühlte ich mich als Expertin auf dem Gebiet. Meiner Erfahrung nach können manche den Fehltritt vergeben, weil sie den anderen lieben, aber sie vergessen es niemals. Ich hatte es mit Sicherheit nicht vergessen. Die Art und Weise, wie Kyle mich verlassen hat, bereitete mir immer noch Albträume. Manchmal dachte ich, er hätte einen Teil meines Herzens mitgenommen und für immer zerstört. Wenn das stimmte, trug ich ein Loch im Herzen mit mir herum, das es mir vielleicht nie wieder gestatten würde, wirklich zu lieben. Mein Handyalarm ertönte und erinnerte mich daran, dass unsere Stunde vorbei war. Statt eines lauten Signaltons hatte ich ein leises Glockenklingeln eingestellt. Das war weniger schrill und schreckte den Klienten nicht so auf.

»Unsere Zeit ist um, Dave. Ich weiß, das war Ihre erste Sitzung, aber wenn Sie weitermachen wollen, nehme ich Sie gern als Klienten an.«

»Meinen Sie, Sie können mir helfen?« Er stand auf und verschränkte die Hände vor sich.

Ich streckte ihm die Hand entgegen. Er schüttelte sie.

Ehrlich und pflichtbewusst antwortete ich: »Ja, das glaube ich.«

Dave nickte, seufzte und strich sich durch das braune Haar. »Okay, was passiert jetzt?«

Immerhin wollte er sich unbedingt helfen lassen. Wer weiß, wenn wir erst einmal hinter die Gründe gekommen waren, warum seine Frau fremdgegangen war und was er deswegen fühlte, vielleicht war dann ja sogar eine Versöhnung möglich. Die ersten sechs Monate, nachdem Kyle mich verlassen hatte, hatte ich mich noch an die Hoffnung geklammert. Jede Situation ist anders. Ich glaubte immer noch an die Liebe, ich war mir nur nicht sicher, ob ich sie je wieder erleben würde.

»Vereinbaren Sie einfach bei meiner Rezeptionistin draußen einen neuen Termin. Sie kümmert sich schon darum. Ach ja, Dave?«

Er blieb mit der Hand an der Türklinke stehen.

»Mit der Zeit wird es leichter. Das verspreche ich.« Das stimmte auch. Jeden Tag entdeckte ich neue Gründe, glücklich zu sein. Meine Tochter. Mila, meine beste Freundin und Vertraute, war ein weiterer Grund. Und natürlich Yoga, zu dem sie mich gebracht hatte. Mein Hobby. In meinem Leben gab es Dinge, die mir Freude machten.

Er schloss offenbar erleichtert die Augen. »Danke, Doc! Dann bis in ein oder zwei Wochen?«

Ich nickte. »Wenn Sie mich brauchen, bin ich da.«

Dave ging, und ich suchte meine Sachen zusammen. Da klingelte mein Handy, das auf meinem Kalender lag.

»Na, du Verrückte, steht das Abendessen noch?«, fragte ich.

»Natürlich, in meiner Welt kocht sich das Essen nicht von selber«, spöttelte Mila übertrieben.

Ich lachte und presste mir das Handy ans Ohr, während ich meinen Notizblock und den Laptop in der Tasche verstaute. »Kommt Atlas auch? Lily will PowPow wiedersehen.« Ich benutzte den süßen Spitznamen, den meine Tochter sich für den Freund meiner besten Freundin ausgedacht hatte. Beim Gedanken an meinen Spatz musste ich lächeln.

»Klar. Lily meint, wenn PowPow nicht kommt, kann er auch nicht mehr der Prinz ihres Geheimen Gartenreiches sein. Als ich das Atlas erzählt habe, sind ihm echt die Tränen gekommen. Weichei.« Ihre Stimme klang vergnügt, und das gefiel mir.

Seit Mila letztes Jahr mit Atlas zusammengekommen war, war meine beste Freundin glücklicher, als ich sie je erlebt hatte. Die beiden zankten sich zwar wie ein altes Ehepaar, aber es lief gut zwischen ihnen. Wenn sie einander lieben und respektieren, kommen auch zwei temperamentvolle Persönlichkeiten miteinander aus. Das hatte ich mir auch einmal für mich selbst gewünscht. Natürlich hätte ich dann noch mehr zu tun, als zu arbeiten, mich um Lily zu kümmern und zum Yoga zu gehen. Ich seufzte, weil mir klar war, dass ich es wohl so schnell nicht noch einmal wagen würde.

Ohne mich ablenken zu lassen, konzentrierte ich mich sofort wieder auf meine Freundin. »Ich muss Lily mal erklären, was leere Drohungen sind.«

Mila kicherte. »Ich weiß nicht. Sie scheint es ziemlich ernst zu meinen. Nicht wahr, mein Schatz?«

Da brüllte meine Kleine durch die Leitung: »Hi, Mommy!«

Ich grinste, als ich mir das fröhliche Gesicht meiner Tochter vorstellte.

»Hat deine Tante dich heute aus der Kita abgeholt?«

»Mmh-hm, und sie hat eine Überraschung für mich!«

»Eine Überraschung?«

»Ja, sag ich doch!«

Ich lachte und winkte meiner Rezeptionistin und Dave zu, der immer noch dabei war, seinen nächsten Termin zu vereinbaren. Der Fahrstuhl machte »Bing«, und ich stieg ein. Heute Abend hatte ich Glück. Wenn man im zwanzigsten Stock mitten in San Francisco arbeitet, muss man normalerweise eine Weile auf den Fahrstuhl warten.

»Äh, na ja, die Überraschung gibt es aber erst nach dem Essen«, bestätigte Mila.

»Ach, dann hat deine Tante dir bestimmt was Süßes gekauft.«

»Juhu!« Ich hörte Lily aufgeregt klatschen.

»Dann sehen wir uns zu Hause. Du hast doch immer noch deinen Schlüssel, oder?«

Mila gluckste am anderen Ende der Leitung. »Bin doch letzten Monat erst ausgezogen, Moe. Den Schlüssel gebe ich dir sicher nicht zurück. Aber ich hab einen für dich für unsere Bude«, sagte Mila und hörte sich dabei so glücklich an wie schon lange nicht mehr. Es hatte fast ein Jahr gedauert, bis Atlas sie nach ihrem Riesenkrach letztes Jahr dazu überreden konnte, bei ihm einzuziehen. Seitdem ihr die Hälfte der Galerie Second Chances gehörte, die vorher sein Vater und Großvater besessen hatten, und er bei der Plattenfirma arbeitete, herrschte bei den beiden Künstlern eitel Sonnenschein.

»Ach so, na gut, dann fühl dich einfach wie zu Hause. Ich habe Weißwein kaltgestellt. Der passt super zu dem Hähnchen, das ich machen will.«

»Oh, für dich habe ich auch noch eine ziemlich große Überraschung!«, neckte mich Mila.

»Ach, wirklich?«, fragte ich und trat aus dem Aufzug in die Tiefgarage.

»Ja, und die wird dich aus den Ringelsocken hauen!«

»Bitte sag mir, dass Atlas dir einen Antrag gemacht hat!«, quietschte ich und wünschte mir, meine Freundin würde es endlich wagen und den Mann von seinem Elend erlösen.

»Das macht er beinahe täglich, seitdem ich bei ihm wohne. Aber jetzt, angesichts der jüngsten Ereignisse, werde ich vielleicht nicht mehr lange widerstehen können.«

»Nein! Im Ernst?« Mein Herz fing an zu rasen. Soweit ich wusste, wollte Mila Atlas erst heiraten, wenn er sie geschwängert hatte. Meines Wissens legten sie es zwar nicht direkt darauf an, aber sie unternahmen auch nichts dagegen. Oh mein Gott! Innerlich hüpfte ich vor Vorfreude und Aufregung auf und ab. Ich drückte die Daumen.

»Wirklich?« Mir kamen die Tränen. »Mila …« Ich schnappte nach Luft und schluckte den Kloß aus Emotionen in meinem Hals runter.

»Komm einfach nach Hause. Wir wollen es dir zusammen sagen.« Ihre Stimme war laut und heiter, also lag ich wahrscheinlich richtig.

Mir lief ein Schauer über den Rücken, und mich erfasste eine aufgeregte Leichtigkeit, sodass ich kaum Luft bekam. Genau das wollte ich für meine Freundin. »Okay. Nach Hause. Bin in einer halben Stunde da, wenn nicht zu viel Verkehr ist.«

»Bis dann! Und Moe, pass auf dich auf!«

»Mach ich doch immer.« Ich legte auf und ging wie betäubt auf mein Auto zu.

Wenn meine Vermutung stimmte, würde mir Mila gleich eröffnen, dass sie ein Baby von Atlas erwartete und ihn heiraten wollte. Alles, was ich mir je für meine beste Freundin hätte wünschen können, war zum Greifen nah. Besser konnte das Leben nicht werden. Für sie.

»Scheiß eingebildete Schlampe«, knurrte eine Stimme aus einer dunklen Ecke hinter meinem Auto.

Ich wirbelte herum und stand einem maskierten Mann gegenüber. Ich sah nur die beiden Löcher für seine Augen und das eine für den Mund. Meine Hände zitterten, ich ließ den Schlüssel fallen und bewegte mich rückwärts zur Mitte der Tiefgarage, wo es heller war. Da sah ich das Messer. Eine kleine Klinge, um die zwölf Zentimeter. Der Mann kam auf mich zu, während ich auf meinen zu hohen Absätzen rückwärtsstolperte. Jeder Schritt kam mir lauter vor als der davor.

»Was wollen Sie?« Ich zeigte auf meine Handtasche, die ich ebenfalls hatte fallen lassen, als ich den Mann erblickte. »Ich habe Geld und Kreditkarten in der Tasche. Zweihundert Dollar. Und meine Schlüssel. Nehmen Sie mein Auto. Lassen Sie mich einfach in Ruhe.« Ich hielt die Hände hoch, um ihm zu zeigen, dass ich nichts Dummes vorhatte.

»Du hältst dich für so schlau. Reich und mächtig. Dabei bist du nichts als eine dreckige, gierige Schlampe.«

»W-w-was wollen Sie?« Ich wich zurück, und er kam näher. Die Lampen waren direkt über mir, und wenn irgendjemand runterkam oder vorbeifuhr, musste er mich sehen. Irgendwer musste doch vorbeikommen. Bitte.

Ich blieb so ruhig, wie ich konnte. »Bitte, nehmen Sie einfach, was Sie wollen.«

»Oh ja, das werde ich auch. Ich werde dir das Leben nehmen. Dann kriegt das ganze Geld nämlich die Richtige und nicht du und das verdammte Reagenzglasbaby.«

Mir rollten die Tränen über die Wangen, und der Mann kam immer näher. Seine Stimme kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich konnte sie vor lauter Angst nicht zuordnen. Er knurrte nur, statt zu sprechen, als wollte er seine Worte genauso maskieren wie sein Gesicht.

Der Mann hob das Messer in seiner ganzen fürchterlichen Pracht. »Jetzt stirbst du, Schlampe!«

Da schrie ich auf, drehte mich um und rannte los, so schnell ich konnte. Mein Bleistiftrock lag an den Beinen eng an. Ich zog ihn ein paar Zentimeter hoch, um schneller laufen zu können, aber das nützte nichts.

Er kam mit jedem Schritt näher. »Renn um dein Leben! So ist’s gut. Renn, Schlampe, renn! Du kannst mir eh nicht entkommen!«, brüllte er und war mir jetzt so nahe, dass ich sein lautes Keuchen hörte.

Ich versuchte, einen Haken zu schlagen, aber es war zu spät. Ein stechender Schmerz durchfuhr mich, als das Messer mich knapp über der Hüfte erwischte. Er riss es hoch, und die Klinge glitt durch meinen Rücken und prallte gegen das Schulterblatt. Sie hatte meine gesamte rechte Seite aufgeschlitzt, und ich brach vor Schmerzen brüllend zusammen. Die Wunde fühlte sich an wie ein mächtiges Feuer, das seitlich an meinem Rücken brannte. Bevor ich reagieren konnte, war mein Angreifer auch schon über mir, setzte sich auf mich und drückte meine Hüfte gegen den Asphalt.

Er griff mir brutal ins Haar und riss meinen Kopf nach hinten. Als ich mich hochzudrücken versuchte, lief mir das Blut vom Rücken über den Arm. Ich schrie, trat zu und stieß mich vom Boden ab, aber ich konnte ihn nicht abschütteln.

Da hörte ich es. Gelächter. Er lachte, während er mich festhielt. »Bist wohl doch nicht so mächtig, was, Monet …?«

Als er meinen Namen aussprach, wusste ich, wer mir da wehtat.

Mein Gott, nein! Warum?

»Kyle! Wieso tust du mir das an?« Ich versuchte, ihn wegzuschieben und Blickkontakt mit ihm aufzunehmen, aber mir wurde immer wieder schwarz vor Augen. Um mich wurde es immer dunkler.

Er hielt mir das Messer an den Hals und bohrte die Spitze hinein. Ich schrie auf, als ich spürte, wie mir das Blut über den Hals lief.

Meine Gedanken überschlugen sich. Lily. Kyle. Er musste runter von mir. »Kyle, bitte, wir haben doch eine Tochter, Lily …«

»Das Reagenzglasbaby ist nicht meine Tochter. Daran wird sich auch nichts ändern.« Seine Stimme triefte bei jedem Wort vor Wut und Gewalttätigkeit.

»Du stehst als Vater in der Geburtsurkunde!«, versuchte ich, ihn vor Schmerzen stöhnend zu erinnern. Die Entscheidung hatten wir gemeinsam getroffen. Wir beide. Ich hatte gedacht, wir wollten dasselbe, aber nein. Ich hatte mich geirrt. Er wollte ein eigenes Kind. Das ich ihm nicht schenken konnte. Dabei lag es gar nicht an mir, sondern an seinen nutzlosen Spermien, die nicht gut genug waren. Da dachte ich, eine Samenspende würde das Problem lösen und uns einander näherbringen. So sehr hatte ich mich noch nie getäuscht. Es hat uns unwiderruflich auseinandergebracht.

Kyles Spucke traf meine Wange, als er höhnisch erwiderte: »Das macht es nur noch leichter, an dein Geld zu kommen, wenn du tot bist und sie zur Adoption freigegeben wird.«

»Nein!«

»Doch!«, knurrte er und zerrte meinen Kopf so gewaltsam nach hinten, dass mein Rücken sich unnatürlich krümmte und ich dachte, er würde mir die Wirbelsäule brechen. »Deine letzten Worte?«

»Fahr zur Hölle!« Ich wusste, dass Lily, was auch immer mit mir passierte, bei Mila und Atlas landen würde. Als Kyle und ich uns scheiden ließen, hatte sie mir versprochen, notfalls ihr Vormund zu sein, und ich hatte alles dafür in die Wege geleitet. Ich wusste, dass Atlas und Mila sie adoptieren würden, wenn es zum Schlimmsten käme.

Baby, es tut mir so leid, dass ich dich verlassen muss.

»Da bin ich doch längst«, spottete er und schnitt mir mit dem Messer in den Hals.

Der Schmerz durchfuhr mich wie ein Blitz.

»Hey! Sie! Runter von ihr!«, hörte ich eine Stimme wie den Ruf eines Engels.

Das Messer löste sich von meiner Kehle, und Kyles Gewicht glitt von meinem Rücken. Mein Kopf fühlte sich so schwer an, dass ich ihn nicht oben halten konnte. Ich legte ihn auf den Asphalt. Mein Rücken und mein Hals brannten wie Feuer.

Zwei starke Arme zogen mich hoch und drehten mich um. »Dr. Holland. Dr. Holland. Hilfe ist unterwegs.« Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor.

Ich öffnete die Augen so weit ich konnte und erkannte Dave, meinen Klienten. »Rufen Sie Mila an …«, flüsterte ich. »Rufen Sie Mila an.«

»Ist ja gut. Bleiben Sie einfach bei mir. Die Sanitäter sind sicher gleich da. Mein Gott, ist das viel Blut. Wo kommt das alles her?« Seine Stimme zitterte, und ich schloss die Augen. »Nein, nein, nein. Im Fernsehen sagen sie immer, dass man den Verletzten wach halten muss. Dr. Holland. Bleiben Sie wach! Dr. Holland!« Er tätschelte mir die Wange. »Bitte nicht sterben.«

Ich blinzelte ein paarmal und umklammerte sein Handgelenk, so gut ich konnte. »Rufen Sie Mila an.«

»Das mache ich. Versprochen.« Er sprach schnell und laut.

»Hat meine Tochter«, flüsterte ich.

Er nickte. »Ach so, ja.«

Da hob er plötzlich den Kopf, und einen Moment lang befürchtete ich, Kyle wäre zurückgekommen, um mir den Rest zu geben.

»Gott sei Dank! Die Polizei und der Krankenwagen sind da. Sie sind da«, sagte er voller unverhohlenem Enthusiasmus.

Er hob einen Arm und winkte, was ich schmerzhaft an der Seite spürte. »Hier drüben!«, rief er.

Die Sanitäter kamen zu mir, und ich merkte, wie ich auf die Seite gelegt wurde, dann machte sich jemand an meinem Rücken zu schaffen.

»Oh mein Gott! Was hat der Wichser mit ihr gemacht?«, fragte Dave irgendwo hinter mir.

»Ma’am, wo sind Sie noch verletzt?«, hörte ich eine unbekannte Stimme fragen.

»Rücken und Hals. Messer«, murmelte ich, dann wurde alles schwarz.

»Wildkatze, du kannst doch nicht die ganze Nacht hierbleiben«, hörte ich Atlas wie im Traum brummeln.

»Natürlich. Bring du Lily nach Hause. Nimm sie mit zu dir ins Bett, damit sie nicht so viel Angst hat. Ich bleibe hier, bis Moe wach ist.« Milas Stimme klang streng und direkt.

Ich blinzelte ein paarmal, bekam die Augen aber nicht ganz auf. Ein Stöhnen drang aus meiner Kehle, als der Schmerz sich bis in alle Nervenenden ausbreitete.

»Moe.« Ich spürte Milas kleine Hand an meinem Oberarm. »Moe, wach auf!«

Wieder das verdammte Blinzeln. Mann, meine Lider fühlten sich an, als würden tonnenschwere Gewichte daran ziehen. Als ich sie endlich öffnete, erblickte ich die schokoladenbraunen Augen meiner besten Freundin.

»So müde«, murmelte ich.

Mila griff nach einem Becher Wasser mit Strohhalm und hielt ihn mir an die Lippen.

Ich trank, bis die Trockenheit in meiner Kehle sich legte. Himmlisch. »Danke!«

Mila legte mir die Hand an die Wange und strich mir sanft über Haar und Schläfe. »Du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt, Moe. Was ist passiert? Wir wissen nur, dass dich jemand nach der Arbeit in der Tiefgarage überfallen hat.« Eine Träne rollte ihr über die Wange, und Atlas legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Das war Kyle«, krächzte ich.

Mila presste die Lippen fest zusammen. »Kyle?«, fragte sie mit wütend verzogenem Mund.

Ich hustete. Mein Rücken schmerzte, als ich mich in eine angenehmere Seitenlage brachte. »Ja, er hatte zwar eine Maske auf, aber ich habe ihn an der Stimme erkannt.«

Sie schüttelte den Kopf. »Warum? Ich äh …«

»Er sagte, er wolle mich wegen des Geldes umbringen.«

»Geld? Wegen Geld wollte er dich töten?«

Ich schluckte, als mir endlich bewusst wurde, was gerade passiert war. Ich zitterte am ganzen Körper und brach in Tränen aus.

»Was habe ich ihm denn bloß getan?« Ich sah meine beste Freundin an.

»Nichts. Du hast absolut gar nichts getan, außer ihm alles zu geben, was eine Frau ihrem Mann geben kann. Er ist ein Arschloch und ein Irrer, jetzt auch noch ein Krimineller. Moe, er hat dich echt schwer verletzt.«

»Wie schwer?« Ich zuckte zusammen, und dabei tat mir alles weh. Wahrscheinlich musste ich eine Weile hierbleiben und Schmerzmittel nehmen. Ich wusste, dass er mich ordentlich mit dem Messer erwischt hatte, aber ich hatte es überlebt. Ich würde weiterleben, und das war in dem Moment alles, was zählte.

»Mach dir jetzt keinen Kopf deswegen. Das wird schon wieder. Sie konnten die Blutung sehr schnell stillen. Du warst nur gut zwei Stunden im OP.« Sie strich mir mit dem Daumen über die Wange und wischte die Tränen ab, die immer wieder nachkamen. Ich konnte nicht aufhören.

»Mila, bitte erzähl mir jetzt alles. Bitte.«

Mila seufzte tief.

»Der Arzt wird dir alles erklären, wenn er zurückkommt. Du musstest innerlich genäht werden, die Fäden lösen sich von alleine auf, aber, ähm, du hast auch noch um die achtzig Stiche am Rücken und zwölf in der Wunde am Hals. Organe hat er keine getroffen, aber die Wunde am Rücken ist ziemlich heftig. Wenn dich dein Klient nicht zufällig gefunden hätte …« Ein Schluchzen schnürte ihr die Kehle zu. »Moe, du und Atlas seid die einzige Familie, die ich habe. Ich kann dich nicht verlieren.«

Mila legte ihre Stirn an meine, und wir weinten gemeinsam. Die Ereignisse des Abends kehrten als Erinnerungsbruchstücke zurück.

Kyle, wie er mit Maske auf mich zukommt.

Das Licht, wie es von der Klinge des Messers reflektiert wird.

Kyles widerliche Worte.

»Dabei bist du nichts als eine dreckige, gierige Schlampe.«

»Das Reagenzglasbaby ist nicht meine Tochter. Daran wird sich auch nichts ändern.«

»… an dein Geld zu kommen, wenn du tot bist und sie zur Adoption freigegeben wird.«

»Und was passiert jetzt?«, fragte ich Mila. Atlas legte mir die Hand auf den Unterschenkel und streichelte ihn vom Knöchel bis zum Knie. »Wir kümmern uns um dich und Lily. Solange ich da bin, wird der Mistkerl dir nie wieder zu nahe kommen.«

Wir wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen, dann betraten zwei Männer in Anzügen den Raum. Atlas drehte sich um, stellte sich vor mich und verschränkte die Arme, wobei er seine Muskeln zur Schau stellte. Sein Beschützerinstinkt hätte mich eigentlich zum Lächeln gebracht, aber die pulsierenden Schmerzen überall in meinem Körper verhinderten es. Mir taten sogar die Füße weh, dabei war denen gar nichts passiert.

»Wer sind Sie, und was wollen Sie?«, fragte Atlas.

»Wir müssen mit dem Opfer sprechen.« Einer der Männer schaute auf seinen Notizblock. »Sind Sie Ms Holland?«

»Das hier ist Dr. Monet Holland, und ich glaube, sie hat für heute genug durchgemacht. Meinen Sie nicht?« Mila stellte sich neben Atlas, und zusammen bildeten die beiden eine Mauer vor den beiden Männern.

»Das verstehen wir ja, aber bei solchen Vorfällen ist es besser, so schnell wie möglich die Aussage des Opfers aufzunehmen.«

Opfer.

Das war ich jetzt also. Ein Opfer.

»Ist schon gut, Leute. Ich krieg das hin.« Ich wollte es lieber gleich hinter mich bringen. »Geben Sie mir bitte ein paar Minuten, Gentlemen.« Ich gestikulierte in Richtung der Detectives. Die beiden Männer nickten und verließen den Raum.

Ich griff nach Milas Handgelenk. »Bei wem ist Lily?«

»Äh, wir brauchten schnell eine Lösung, und ich war gerade bei einem Freund, als Mila angerufen hat«, antwortete Atlas und rieb sich den Nacken.

»Einem Freund?«, fragte ich nach.

»Ja, Clay.«

»Meine Tochter ist bei Clayton Hart?« Ich konnte den Schock in meiner Stimme nicht verbergen.

Atlas senkte verlegen den Blick. »Er ist ein anständiger Kerl.«

»Kann ja sein, aber sie kennt ihn nicht. Hatte sie keine Angst?« Meine Güte, mein armes Baby musste bei einem fremden Mann bleiben, weil ihre Tante und ihr Onkel bei ihrer Mutter im Krankenhaus waren. Was für eine schreckliche Situation.

»Nein. Es war total erstaunlich. Ich habe sie einander vorgestellt, dann haben sie sich belauert, bis sie seine Hand genommen und ihn gefragt hat, ob er geheime Gärten mag.«

Ich schloss die Augen.

»Was soll ich sagen? Lily muss man einfach mögen.« Atlas zuckte die Schultern.

»Das stimmt. Kannst du ihn jetzt bitte erlösen und ihm meinen Dank ausrichten?«, fragte ich Atlas.

Atlas nickte. »Na los, Baby.«

Mila entzog ihm ihre Hand. »Auf keinen Fall. Ich verlasse das Krankenhaus erst, wenn Moe auch raus kann.«

»Wildkatze«, knurrte er, und sein Tonfall klang wie eine Warnung. Der Mann wollte nicht von seiner Frau getrennt werden. Schön mit anzusehen.

»Liebling, lass gut sein. Moe ist meine Schwester, die im Krankenhaus liegt und wie ein Fisch am Haken hängt, während sie von Detectives angestarrt wird. Außerdem wäre sie fast gestorben. Gestorben! Ich bleibe hier.« Sie lief rot an und ballte die Hände zu Fäusten.

Atlas griff danach, löste ihre Finger und küsste beide Hände. »Ich komme morgen früh mit Lily wieder und bringe euch beiden Frühstück mit. Versucht zu schlafen.« Dann beugte er sich vor, gab ihr einen Kuss auf die Lippen, küsste seine Fingerspitzen und legte sie auf ihren Bauch.

Ich wusste es.

Als Atlas ging, betraten die beiden Männer wieder das Zimmer. »Dr. Holland, können wir Ihnen ein paar Fragen stellen? Dann lassen wir Sie auch schon in Ruhe, damit Sie sich ausruhen können.«

Ich seufzte und ließ mich gegen das Kissen sinken. »Ich bin bereit. Bringen wir es hinter uns.«

2. KAPITEL

Anahata ist Sanskrit und der Name des vierten Chakras in der Chakrenlehre. Das Wort bedeutet »unverletzt«. Der Name legt nahe, dass sich hinter all dem Schmerz und Kummer der Vergangenheit ein reiner, spiritueller Ort befindet, der völlig frei von Schmerzen ist.

CLAYTON

In meinen dreißig Jahren auf dieser Erde hatte ich noch nie so viel Angst wie in dem Augenblick, als ich auf dem Boden eines Kinderzimmers saß, während das kleine Mädchen in einer Mischung aus Ballerina- und Barbie-Herzköniginnen-Kostüm herumstolzierte.

»Clay, du bist der König und ich die Königin, ja?« Lily setzte mir eine Plastikkrone auf. Ich blinzelte und blieb stumm sitzen, da drehte sie sich um, stemmte die Hände in die Hüfte und runzelte die Stirn. »Du musst Ja sagen.«

»Äh, ja.« Was für ein kranker Scheiß. Wie konnte ich mich nur so reinlegen lassen, dass ich auf Monets Tochter aufpassen musste, der ich auf gar keinen Fall jemals begegnen wollte, nachdem ich letztes Jahr von ihrer Existenz erfahren hatte. Damals wollte ich was von Monet. Ich hatte mich auf den ersten Blick in ihren sexy Körper, ihre langen schwarzen Haare und das einzigartige Gesicht verliebt. Und wir verstanden uns auf Anhieb. Bis ich von dem Kind erfuhr. Damit war die Sache für mich gelaufen. Ich wollte bestimmt nicht wieder in der gleichen Situation festhängen wie mit Stacey. Nie und nimmer. Die Schlampe hatte mich echt fertiggemacht. Daran hatte ich noch jahrelang zu knabbern gehabt.

Wollte ich Kinder? Klar doch. Schon immer. Aber ich wusste nicht, wie ich den Teil von mir reparieren sollte, den Stacey mit ihren Lügen und Betrügereien gekillt hatte. Und jetzt saß ich hier und kümmerte mich um das Kind der Frau, die ich hatte abblitzen lassen, hatte eine Plastikkrone auf dem Kopf und spielte König.

Lily musterte mich mit strahlendem Lächeln. Wie zum Teufel sollte ich den Pfeil loswerden, der sich direkt in meine Eingeweide bohrte? Ich rieb über die Stelle und wunderte mich über das ungewohnte Gefühl.

Lily summte und tanzte durch ihr Zimmer. Sie hielt einen Zauberstab in der Hand, mit dem sie hin und wieder in der Luft herumfuchtelte. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was sie da machte, aber sie schien ihren Tanz sehr ernst zu nehmen, deshalb fragte ich nicht nach.

»King Clay …«, setzte sie an.

»Ich heiße Clayton, Kleines.« Mist, schon hatte ich ihr einen Kosenamen verpasst. Ich biss die Zähne fest zusammen und sah das Kind an. Verdammt, sie war echt süß. Genau wie ihre Mutter.

»Na, sag ich doch. Clay.« Sie sah mich an und verpasste mir einen Hieb auf die linke und dann auf die rechte Schulter. Da war ich wieder wach.

»Aua!« Lachend griff ich nach ihrer Waffe.

»Meins! Ich muss dich doch verzaubern und beschützen.« Ihre Stimme hob sich vor Aufregung.

Da musste ich lachen und nickte. »Na gut, aber nicht so doll.« Ich sprach mit leiser Stimme. Ich musste sie bei Laune halten, während ihre Mutter sich erholte. Ich wusste nur, dass Monet im Krankenhaus lag und Atlas mich gebeten hatte, auf Lily aufzupassen, während sie sie besuchten.

Sie lächelte und wiederholte den Vorgang, diesmal mit weniger Kraft. »Jetzt beschützt dich die Macht vom Geheimen Gartenreich!«

»Wovor muss ich denn beschützt werden?«, fragte ich und ließ mich auf das Spiel ein.

»Monster.«

Ich riss übertrieben die Augen auf, was ihr zu gefallen schien. »Im Garten gibt es Monster?«

Sie schnaubte und grunzte gleichzeitig. »Nein, du Dummerchen. Das Geheime Gartenreich habe ich doch auch verzaubert. Aber jetzt bist du sicher, sogar wenn du aus meinem Zimmer gehst!« Ihr Lächeln und die stolzgeschwellte Brust waren ein Anblick für die Götter.

»Und wieso willst du mich beschützen?«, fragte ich leise, und meine Beunruhigung wuchs mit jedem fröhlichen Lächeln, das sie mir schenkte.

Lily schürzte die Lippen. »Na, weil ich dich mag, und du magst meine Mom.«

Ich zuckte zurück. Bitte was? »Wie kommst du denn darauf, Kleines?« Ich kitzelte sie an der Seite, weil mir nichts anderes einfiel. Ablenken. Ablenken. Ablenken. Was hatte Trent noch über Kinder gesagt, dass sie immer wissen, was mit einem los ist? Sie waren die geborenen Mini-Privatdetektive.

Lily lachte lauthals los und machte einen Satz.

»Du hast dir die Fotos von ihr an der Wand so lange angeguckt und gelächelt. Du magst sie.« Lilys Tonfall war sachlich und viel selbstbewusster, als ich es von einem kleinen Kind erwartet hätte.

Aufmerksames kleines Aas. Das hatte ich wirklich gemacht, als ich durchs Haus gegangen war. Bevor Atlas losgefahren war, hatte er mich gebeten, Lily nach Hause zu bringen und mich um sie zu kümmern, weil sie nicht wussten, wie lange sie weg sein würden. Die Zeit hatte ich genutzt, um einen Blick auf die schöne Frau zu riskieren, auf die ich letztes Jahr gestanden hatte.

»Na ja, deine Mommy ist ja auch sehr hübsch.«

Sie nickte energisch. »Die hübscheste Prinzessin der ganzen Welt.«

»Und was bist du dann?« Ich strich ihr über das schwarze Haar und war erstaunt, wie weich es sich anfühlte. Lily war wahrscheinlich das niedlichste kleine Mädchen, das ich je gesehen hatte. Auch wenn ich nicht oft mit Kindern zu tun hatte. Eigentlich nur mit William, dem Sohn meines Kumpels Trent. Die Kleine hier würde sich gut auf dem Cover eines Elternmagazins machen, könnte ich wetten. Sie hatte viel vom asiatischen Aussehen ihrer Mutter, aber die einzigartigen blauen Augen und die hellere Haut hatte sie wahrscheinlich von ihrem Vater. Ich tippte auf einen Weißen mit blauen Augen. Wahrscheinlich der Drecksack von Ex-Mann.

Ihre hübschen Augen bohrten den Blick so angestrengt in mich, dass ich hätte schwören können, er würde bis auf den Grund meiner wohlbehüteten, angeschlagenen Seele reichen. Meine Frage beantwortete sie ehrlich und unverblümt.

»Na, ich bin die Queen, weißt du doch.« Das sagte sie so todernst, dass ich lachen musste.

Ich konnte nicht mehr an mich halten und brach in so heftiges Gelächter aus, dass ich nach hinten kippte und mir den Bauch hielt, bis der Anfall vorüber war. Mann, die Kleine war echt ein Brüller.

»Tut dir was weh?« Sie legte mir die Hand auf die Stirn. »Nicht heiß.«

»Guckst du, ob ich Fieber habe, Lily?«

Sie nickte, streckte die Zunge heraus und schob sie in den Mundwinkel, während sie eingehend mein Gesicht betrachtete. »Ja. Ich werd mal Arzt, und dann mach ich alle Leute auf der Welt wieder gesund. Und Tiere auch.«

Ich lächelte. »Na, da hast du dir ja ganz schön was vorgenommen. Aber wenn es eine schafft, dann du.« Ich stupste gegen ihre Nase.

Was war nur los mit mir? Die Kleine brachte völlig neue Seiten an mir zum Vorschein, von denen ich gar nichts gewusst hatte. Na ja, gehofft hatte ich es schon. Bevor der Scheiß mit Stacey passiert war, hatte ich vorgehabt, mir mit Kindern alle Mühe zu geben. Trents Sohn mochte mich. Aber bei diesem Kind hier war es irgendwie anders. Ich wollte mehr von ihr. Akzeptanz. Aufmerksamkeit.

Ich fuhr mir durchs Haar und ließ das merkwürdige Gefühl auf mich wirken.

Lily stand auf und hüpfte auf der Stelle. »Ich hab so Hunger. Mommy wollte Hähnchen machen. Kann ich Froot Loops haben?« Sie wechselte schneller das Thema, als ich gucken konnte.

Ich schüttelte den Kopf und sprang auf. Als sie meine viel größere Hand mit ihrer winzigen ergriff, bekam ich einen elektrischen Schlag. Überraschenderweise verspürte ich den Reflex, ihre Hand noch fester zu halten. Irgendwie fühlte es sich gut an, als könnte ich Hoffnung und Freude an der Hand halten. Ich schüttelte das merkwürdige Gefühl ab. Meine männlichen Freunde erzählten mir immer wieder, dass Kinder eine komische Wirkung auf einen hatten, dass sie dein Herz schneller erobern können als jede sexy Frau. Langsam glaubte ich, dass sie recht hatten.

»Na komm, Kleines. Dann schauen wir mal, was deine Mom in der Küche hat. Aber ich glaube nicht, dass Froot Loops ein gutes Abendessen sind.«

»Doch. Sehr gut. Und lecker!«

»Ach, dass es lecker ist, bezweifle ich gar nicht. Aber es ist keine ausgewogene Mahlzeit. Du musst was Gesundes essen, bevor du ins Bett gehst. Du musst doch morgen in die Schule. Das stimmt doch, oder?«

Sie schwenkte meinen Arm vor und zurück und führte mich in die Küche. »Ja, ich geh in die Vorschule.«

»Wow, dann bist du ja schon ein großes Mädchen. Wie alt bist du denn?« Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter. Klappte doch ganz gut mit dem Kind, vielleicht war ich sogar gut darin. Sie hatte noch nicht geweint und schien sich wohlzufühlen in meiner Gegenwart. Ja, ich hatte es voll drauf.

»Sechs«, sagte sie ganz trocken.

Ich wich zurück und musterte ihr Gesicht. Ihre kleine Lippe zuckte, und ihre Augen funkelten fröhlich.

»Du schwindelst! Bist du nicht. Außerdem ist man in der Vorschule noch nicht so alt.« Dachte ich wenigstens. Musste ich mal googeln, den Kram.

Sie haute mir auf den Oberschenkel und quietschte. »Ich bin fünf. Hatte letzte Woche Geburstag. Aber eigentlich bin ich sechs.«

»Geburtstag?«, verbesserte ich sie.

»Sag ich doch. Geburstag. Du hörst nicht zu.«

Mann, die Kleine war zum Schießen. In der Küche kletterte sie auf einen Barhocker, stützte das Kinn in die Hände und sah mir zu.

»Und, was gibt es jetzt?«

Sie hatte ja keine Ahnung, dass ich rein zufällig kochen konnte. Weil ich gut in Form war, mich gesund ernährte und mein Geld als Personal Trainer der Stars verdiente, die in der Gegend um San Francisco lebten, musste ich wissen, wie man den Körper am besten mit Nährstoffen versorgte. Hier hatte ich es allerdings mit einem Kind zu tun, das lieber Froot Loops als Hähnchen essen wollte, also musste ich mir was Gesundes einfallen lassen, das mit dem süßen Frühstück mithalten konnte.

Ich öffnete den Kühlschrank und checkte den Inhalt ab. Monet hatte viel Essen für gerade mal zwei Leute. Massenhaft frisches Obst und Gemüse. Die letzte Frau, mit der ich mich getroffen hatte, hatte kaum Interesse am Einkaufen gehabt. Wahrscheinlich, weil ich mich immer darum gekümmert habe. Und um alles andere auch. Die unerwünschten Erinnerungen an diese Zeit meines Lebens stellten sich mit aller Gewalt wieder ein. Das war Jahre her. Ich dachte, ich wäre drüber weg, aber in dem häuslichen Umfeld fiel mir alles wieder ein. Alles, was ich hinter mir lassen wollte. All die längst begrabenen Träume kamen wieder zum Vorschein, als ich in der fremden Küche stand und die Tochter einer Frau beobachtete, die ich letztes Jahr angegraben und dann stehen lassen hatte.

Clay, du interpretierst viel zu viel in die Situation rein. Entspann dich, Alter. Entspann dich, und mach der Kleinen was zu essen.

»Magst du Möhren?«, fragte ich sie endlich.

Sie nickte, also holte ich ein paar Babykarotten aus der Tüte, wusch sie in der Spüle ab und legte sie auf eine Serviette. »Die kannst du knabbern, solange ich dir was zu mampfen koche.«

Sie zog die Brauen zusammen. »Mampfen?«

»Ein anderes Wort für essen.«

Lily biss in eine Karotte und kaute geräuschvoll. »Mampf mampf mampf.«

Ich lachte leise und holte das aufgetaute Hähnchen aus dem Kühlschrank. Dann entdeckte ich etwas Käse und hatte eine gute Idee. Als das in Streifen geschnittene Hähnchen in der Pfanne brutzelte, rieb ich den Käse und kippte eine Tüte Nudeln in den Topf.

»Iff wiebe Nudewn!« Lily sprach mit dem Mund voll Möhre.

»Ach ja?« Ich lachte. Irgendwie wusste ich, dass ich die Kleine für mich gewinnen konnte. Atlas hatte mit seinen aufmunternden Worten recht gehabt, als er sie in meine Obhut übergeben hatte. Lily war ein unkompliziertes Kind und lustige Gesellschaft. Mir wurde ganz schwer ums Herz, als ich daran dachte, dass ich das alles auch hätte haben sollen. Vor langer Zeit … wenn meine Ex nicht so ein verlogenes Miststück gewesen wäre.

Ich schüttelte den Kopf. Ich würde mich nie wieder von einer Frau verarschen lassen. Ganz sicher nicht.

»Ist das Käse?«, fragte Lily aufgeregt.

»Ja. Weißt du schon, was das wird?«

Sie schüttelte den Kopf, leckte sich aber die Lippen, als ich ein kleines Stück Cheddar über ihren Mund hielt. Sie machte den Mund auf, verputzte es und klatschte in die Hände.

»Selbst gemachte Makkaroni mit Käse und Hähnchen, damit du auch Eiweiß bekommst.«

Sie klappte den Mund auf, und ihre Wangen färbten sich rosa. Dann klatschte sie erneut. »Makkaroni mit Käse liebe ich auch! Du bist der Beste, Clay!«

»Kleines, ich heiße Clayton. Clay-ton«, betonte ich extra.

»Sag ich doch!« Sie schmollte, was echt süß war. Es erinnerte mich daran, wie ich ihre Mutter zum ersten Mal gesehen hatte, als Mila vor über einem Jahr hier eingezogen war. Damals fand ich sie einfach umwerfend. Das war immer noch so, aber ich war ihr um jeden Preis aus dem Weg gegangen. Sie war genau das, was ich mir zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben gewünscht hätte, aber als ich von dem Kind erfahren hatte, kam ich einfach nicht damit klar. Als ich jetzt so vor Lily stand, brach es mir ein bisschen das Herz. Ich hätte schon viel länger Zeit mit diesem coolen kleinen Mädchen verbringen können. Vielleicht hätten ihre Mutter und ich inzwischen schon …

Nein, aufhören. Schluss mit dem Was wäre, wenn. So konnte ich nicht mehr leben. Wenn ich etwas wollte, würde ich es mir nehmen. Mit Vollgas aufs Ganze gehen. Die Zeit mit Lily brachte mich auf allerhand Ideen für die Zukunft.

Während ich eine kleine Portion für Lily in eine Schale füllte und mir selbst eine große genehmigte, schalt ich mich innerlich, weil ich Angst gehabt hatte, mich mit einer Frau zu treffen, die ein Kind hatte. Lily war toll. Lieb und witzig. Da fragte ich mich, was mit Monets Ex nicht stimmte. Wenn er noch eine Rolle in ihrem Leben spielen würde, hätten Atlas und Mila ihn angerufen, damit er sich um Lily kümmert, statt sich auf mich zu verlassen.

»Sag mal, Lily, wo ist eigentlich dein Daddy?«, fragte ich und spießte eine Nudel und ein Stück Hähnchen auf.

Sie sah mich an und zuckte die Schultern. »Hab keinen mehr.«

Ich runzelte die Stirn und spürte den Ärger in mir aufsteigen. »Wieso das denn?«

Sie antwortete mit dem Mund voller Nudeln. »Er wollte mich nicht.«

Eiskalte Wut kroch mir über die Haut. »Hat er das zu dir gesagt?«, fragte ich und bemerkte, dass ich da mit einer Fünfjährigen ein Thema anschnitt, das mich gar nichts anging.

»Nein. Mommy hat gesagt, dass er sie nicht mehr will, aber Mommy lieben doch alle. Sie ist die Besteste.« Sie schob sich noch mehr Nudeln in den Mund.

Sie sagte es zwar nicht direkt, aber für sie schien die Tatsache, dass alle ihre Mutter liebten, zu bedeuten, dass sie selbst der Grund war, warum ihr Vater abgehauen war.

Was für ein dreckiger Wichser.

Ich spannte den Kiefer an und drehte mich um, da sah ich eine schattenhafte Gestalt im Flur. Instinktiv sprang ich durch die Küche, stellte mich vor Lily und hob die Fäuste. Ich würde jeden Eindringling mit bloßen Händen zusammenschlagen, damit er den kleinen Engel in Ruhe ließ.

»Wer ist da?«, brüllte ich und gab mir Mühe, besonders bedrohlich zu klingen. Lily duckte sich hinter mir und drückte ihre Stirn gegen mein Hemd.

»Alter! Ich bin’s doch.« Atlas kam lachend in die helle Küche und zog seinen Mantel aus. »Mann, bei den Muskeln und wie du dich aufgebaut hast, kann ich ja froh sein, dass du nicht auf mich losgegangen bist wie ein Nilpferd!« Er lachte leise, kam näher und drückte meine Schulter. Meine Anspannung verflog langsam.

Atlas ging um mich herum, wuschelte Lily durchs Haar und küsste sie auf den Scheitel. »Na, Zwerg, was gibt’s denn Schönes?«

»Makkaroni mit Käse!«, antwortete sie, wieder mit vollem Mund.

Okay, Kinder waren nicht immer süß. Sie konnten auch ekelhaft sein.

»Ist noch was da?«, wollte Atlas wissen und rieb sich den Bauch.

Schweigend ging ich um die Bar herum, holte noch eine Schale und füllte sie für meinen Freund, während mein Ärger sich verflüchtigte.

Atlas schaltete einen Cartoon ein. »Hey, Zwerg. Du kannst hier drin beim Essen Fernsehen gucken, okay? Clay und PowPow gehen ins Wohnzimmer.«

»Okay!« Ihre Augen waren bereits auf ein eckiges gelbes Wesen geheftet, das unter Wasser lebt. Ich sah kurz zu, wie das Rechteck einen Seestern mit dem Pfannenwender schlug.

Ich schüttelte den Kopf, um das merkwürdige Bild loszuwerden. Die Cartoons waren auf jeden Fall anders als früher.

Atlas nahm die Schale entgegen, und wir gingen zusammen nach nebenan.

Er nahm einen großen Bissen und aß einen Moment lang.

»Wie geht es Monet? Was ist passiert?«, sprudelten die Fragen nur so aus mir heraus.

Atlas hob die Hand. »Ihr geht’s gut. Na ja, gut nicht. Sie musste operiert werden. Und der Typ, der ihr das angetan hat … Mann, das war ihr Ex Kyle.«

»Willst du mich verarschen? Was hat er ihr angetan? Hat er sie vergewaltigt?« Die Wut, die mich vorhin bei Lilys Worten über ihren Vater erfasst hatte, kehrte mit voller Wucht zurück.

Er schüttelte den Kopf, und ich spürte eine Welle der Erleichterung. »Nee, hat sie mit dem Messer angegriffen.«

Ich zuckte zurück, und meine Hände zitterten so, dass ich fast die Schale fallen ließ. »Was? Erzähl bitte«, presste ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Wenn ein Mann einer Frau wehtat, sollte ihm das eine Tracht Prügel und Knast einbringen. Aber wenn er sie mit dem Messer angriff … für solche Typen war es nicht mal in der Hölle heiß genug.

»Der Typ war maskiert und hat damit gedroht, sie umzubringen. Als sie weglaufen wollte, hat er sie verfolgt. Er hat sie eingeholt und ihr den ganzen Rücken aufgeschlitzt. Er hat sie quasi filetiert, Mann. Allein am Rücken musste sie mit über achtzig Stichen genäht werden.«

»Ach du Scheiße!«, platzte ich heraus. Vor meinem inneren Auge sah ich Bilder der schönen Frau vorbeiziehen, der ich im Yogastudio begegnet war und deren Fotos ich hier im Haus betrachtet hatte. Dazu gesellte sich die Vorstellung von ihr in einem Krankenhausbett. Dabei bekam ich einen sauren Geschmack auf der Zunge, und mir verging der Appetit.

»Nachdem er sie mit dem Messer verletzt hatte, hat er sie zu Boden gerissen, wobei sie sich die Knie, Ellbogen und Hände aufgeschrammt hat. Dann hat er ihr das Messer in den Hals gebohrt und ihr eine oberflächliche, sieben Zentimeter lange Schnittwunde verpasst, bevor jemand eingegriffen hat.«

Ich setzte mich mit zitternden Knien auf die Armlehne des Stoffsofas. »Scheiße!« Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Das ist echt krass.« Mein Beschützerinstinkt regte sich und trieb mich an, etwas zu unternehmen, ihre Ehre zu verteidigen und irgendwen zu verprügeln.

Atlas nickte. »Ja. Deshalb bleiben wir auch eine Weile hier. Damit sie in Sicherheit ist, bis sie den Mistkerl schnappen. Ich schwöre bei Gott, wenn der mir je über den Weg laufen sollte …«

»Seh ich genauso. Der sollte sich lieber aus der Stadt verpissen.«

»Wie lief es eigentlich mit Lily?« Atlas grinste.

Bei dem Themenwechsel musste ich ganz automatisch lächeln. »Es war lustig. Sie ist ein liebes Kind. Kein Wunder, dass du die Kleine magst.«

»Na ja, ich werd ja bald selber eins haben …« Er kratzte sich den Nacken und sah durch seine wuscheligen braunen Haare zu mir hoch.

»Willst du damit sagen, dass du Mila Mercado geschwängert hast?« Ich schmunzelte.

»Allerdings! Wir haben es heute beim Arzt bestätigt bekommen. Sie ist in der zehnten Woche.«

»Das ist großartig. Ich freu mich für euch.« Ich freute mich wirklich für ihn, weil er eine Frau gefunden hatte, die er liebte, und jetzt eine Familie mit ihr gründen wollte. Außerdem war Mila keine verlogene Schlampe, die ihn abzocken und ihm das Leben versauen wollte.

Ich knirschte kurz mit den Zähnen und erinnerte mich, dass das mit Stacey lange her war und es okay – ja, sogar gesund – war, mich für meinen Freund und seine Frau zu freuen. Das tat ich wirklich. Aber ich wollte auch unbedingt selbst an diesem Punkt meines Lebens ankommen. Ich war dreißig. Die Zeit verging wie im Flug, und ein Jahr ging ins nächste über. Ich arbeitete, traf mich mit den Jungs, boxte mit meinem Kumpel Nick, wenn ich Zeit hatte, und machte Yoga. Frauen kamen und gingen, aber mehr als ein paar Dates oder ein paar Nächte gab es bei mir nicht zu holen. Nach allem, was mir passiert war, fühlte es sich einfach nicht richtig an, mehr zu wollen. Hier bei Lily zu sein und von noch einem meiner Freunde zu hören, dass er die Richtige gefunden hatte, erinnerte mich daran, was ich verpasste.

»Und jetzt muss sie mich heiraten«, sagte Atlas, belud seine Gabel mit Essen und zappelte wie ein verliebter Idiot.

»Meinst du, sie wird dich heiraten, nur weil du sie geschwängert hast? Schon vergessen, wie das bei Trent und Genevieve war? Er hat sie erst nach einem Jahr vor den Altar gekriegt.«

Atlas schüttelte den Kopf. »Quatsch, auf keinen Fall. Mila hat mir versprochen, dass sie mich heiratet, wenn sie schwanger wird. Wahrscheinlich gehen wir diese Woche noch zum Amt.«

»Nee, oder?« Hochzeit und ein Baby unterwegs … und das alles in einer Woche. Manche hatten echt verdammt viel Glück.

Er zuckte die Schultern. »Wir haben ja außer den Leuten vom Lotus House, Moe und Lily niemanden, da ist eine Blitzhochzeit doch genau das Richtige für uns. Ich wäre ja für Vegas, aber Mila reagiert im Moment total empfindlich auf Rauch und wäre sauer, weil sie nichts trinken kann.«

»Das verstehe ich. Na ja, was auch immer ihr machen wollt, sagt Bescheid. So oder so darf man euch wohl gratulieren.« Ich gab ihm einen Klaps auf den Oberarm und drückte ihn, um ihm meine Unterstützung zu signalisieren.

»Und ob.«

»Bist du aufgeregt, oder hast du Schiss?« Ich war neugierig, wie mein langjähriger Freund wohl auf seine baldige Vaterschaft reagierte.

Als ich dachte, ich würde Vater werden, hatte ich mich riesig gefreut. Ich hatte mir schon immer eine große Familie gewünscht. Mein Bruder und ich waren altersmäßig so weit auseinander, dass wir genauso gut Vater und Sohn sein könnten. Meine Eltern hatten ihn mit zwanzig bekommen und waren schon Ende dreißig, als ich geboren wurde. Als meine Mom mich mit nach Hause brachte, war mein Bruder bereits auf dem College, also war ich ziemlich allein. Weil mein Vater beim Militär war, sind wir oft umgezogen, deshalb sah ich meinen Bruder nicht oft und hatte auch keine dauerhaften Freunde. Alle Freunde, die ich jetzt hatte, hatte ich erst als Erwachsener kennengelernt. Von denen, die in der Nähe wohnten, waren Atlas und Trent meine engsten Freunde.

»Sowohl als auch«, gab er zu. »Mila und ich haben beide weder Geschwister noch erwähnenswerte Väter. Aber wir haben uns und wünschen uns eine eigene Familie. Dazu gehören auch Moe und Lily. Sie ist inzwischen wie eine Schwester für mich, und die Kleine da drüben habe ich echt lieb.« Er zeigte in Richtung Küche, von wo ich Lily mit dem Trickfilm mitsingen hörte. Irgendwas mit Piraten.

Ich nickte. »Verstehe ich gut. Eine Familie zu haben ist wichtig.«

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Liebe Leserin, lieber Leser,

in den vorherigen Lotus House-Romanen habe ich mich mit Yoga und den Chakren beschäftigt. Da es bei diesem Paar vor allem um das Herzchakra geht – meiner Meinung nach eins der wichtigsten –, erschien es mir sinnvoller, mich eher auf die Chakrenlehre zu konzentrieren als auf Yogaübungen. Die Chakrenlehre war Teil meiner offiziellen Ausbildung »The Art of Yoga« beim Village Yoga Center in Nordkalifornien. Alle Aussagen über Chakren beruhen auf meinem persönlichen Verständnis der Lehren, nachdem ich mich stundenlang damit beschäftigt habe.

Ich hoffe, durch Endlose Liebe lernt Ihr etwas über Euer Herzchakra, wie Ihr es am besten öffnet, vermeidet, dass es sich schließt und jeden Tag ganz im Zeichen von Liebe und Güte lebt.

Namaste, Audrey