Lotus House - Stille Sünden - Audrey Carlan - E-Book

Lotus House - Stille Sünden E-Book

Audrey Carlan

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die prickelnde Lotus House-Serie: Liebe, Leidenschaft und Yoga unter der Sonne Kaliforniens! Honor ist eine High-Society-Prinzessin, die ein dickes Konto hat, aber nach der Trennung von ihrem Freund in tiefes Unglück stürzt. Im Lotus House sucht sie nach Trost und Rettung - und findet sie in dem unfassbar attraktiven Nicholas Salerno...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lotus House - Stille Sünden

Die Autorin

Audrey Carlan schreibt mit Leidenschaft heiße Unterhaltung. Ihre Romane veröffentlichte sie zunächst als Selfpublisherin und wurde daraufhin bald zur internationalen Bestseller-Autorin. Ihre Serien »Calendar Girl«, »Trinity« und »Dream Maker« stürmten auch in Deutschland die Charts. Audrey Carlan lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kalifornien.

Das Buch

Von außen betrachtet, lebt Honor den Traum: Sie hat Geld, sie ist schön und zählt zu der High Society San Franciscos. Doch seit ihr Bruder gestorben ist, ist ihr all das nichts mehr wert, und sie stürzt in ein tiefes Loch. Im Lotus House versucht sie, wieder zu sich selbst zu finden und begegnet dabei dem schönen und unglaublich attraktiven Nicolas Salerno. Mit seiner sinnlichen Ausstrahlung und seiner inneren Zuversicht gibt der Yogalehrer ihr die Kraft, wieder an ihre Zukunft zu glauben. Und mehr noch: Er entfacht eine Leidenschaft in Honor, die größer ist als alles, was sie bisher erlebt hat …

Audrey Carlan

Lotus House - Stille Sünden

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Peters-Kania

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage September 2019Copyright © für die deutsche AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Copyright © by Waterhouse Press 2018Published by arrangement with Waterhouse Press LLC Titel der amerikanischen Originalausgabe: Silent Sins. A Lotus House novel, erschienen bei Waterhouse Press LLC Umschlaggestaltung: zero-media. net, München Titelabbildung: © FinePic®, MünchenAutorenfoto: © Melissa McKinley PhotographyE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-2113-4

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. KAPITEL

HONOR

2. KAPITEL

NICHOLAS

3. KAPITEL

HONOR

4. KAPITEL

NICHOLAS

5. KAPITEL

HONOR

6. KAPITEL

HONOR

7. KAPITEL

NICHOLAS

8. KAPITEL

HONOR

9. KAPITEL

NICHOLAS

10. KAPITEL

HONOR

11. KAPITEL

NICHOLAS

12. KAPITEL

HONOR

13. KAPITEL

HONOR

14. KAPITEL

NICHOLAS

15. KAPITEL

HONOR

16. KAPITEL

NICHOLAS

17. KAPITEL

HONOR

18. KAPITEL

HONOR

19. KAPITEL

NICHOLAS

20. KAPITEL

HONOR

NICHOLAS

EPILOG

HONOR

Danke

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. KAPITEL

Widmung

Für meine Herzensschwester Nikki Chiverrell.

Als mir die Idee zu diesem Roman kam, wusste ich gleich, dass ich ihn für dich schreiben würde.

Du bist der Inbegriff einer weiblichen Hals-Chakra-Persönlichkeit.

Das Leben, das du lebst, die Schwierigkeiten, die du bereits ­überwunden hast, zeugen von deiner Schönheit und deiner Stärke.

Ich habe meine Heldin »Honor« genannt, nach dem englischen Wort für »Ehre«, weil es eine Ehre für mich ist, dich als Schwester meines Herzens zu haben.

Obwohl deine Geschichte nicht dieselbe ist wie ihre, wirst du wohl enge Parallelen zu ihrem Lebensweg entdecken.

In schwesterlicher Liebe, Audrey

2. KAPITEL

Schwerelos im Lotussitz(Sanskrit: Padmasana)

Dies ist eine Lotussitz-Stellung aus dem Aerial Yoga beziehungsweise dem »Luft-Yoga« oder »Yoga im Tuch«, wie es auch genannt wird. Normalerweise beginnt man als Anfängerin oder Anfänger mit dieser Übung, indem man sich komplett in das elastische Tuch aus Seidenlycra hineinsetzt, im Prinzip genau wie in eine Schaukel. Danach winkelt man die Beine so an, dass sich die Fußsohlen berühren. Fortgeschrittene können das Tuch auch locker unter die Schulterblätter ziehen und sich mit den Oberarmen festhalten. Der Stoff wird dann so um die Füße gerafft, dass ein leichter Zug in die Gegenrichtung entsteht, der Ober- und Unterkörper stabilisiert und in Balance hält.

NICHOLAS

»Ma! Ich bin da. Was riecht denn hier so verdammt geil?«, brülle ich, während ich meine Sporttasche abstelle, meine Schlüssel hinlege und meine Sneakers ausziehe.

»Hüte deine Zunge, Junge!«, ruft meine Mutter zurück.

Ich kämpfe mich durch den Flur meines Elternhauses, der bis unter die Decke vollhängt mit Familienfotos von mir und meinen fünf Schwestern, meiner Mutter und meinem Vater und unserer ganzen weltweit verstreuten italienischen Sippe. Ich stamme nämlich aus einer Großfamilie. Nicht nur meine Eltern hatten sechs Kinder, sie selbst hatten auch schon jeweils sechs Geschwister. Da ist echt was los, wenn der ganze Clan mal zusammenkommt. Zum Glück haben meine Eltern ihr Haus schon vor Jahren gebaut. Als die Grundstückspreise draußen in der Bay Area von Berkeley noch erschwinglich waren. Okay, das Haus ist vielleicht nicht riesig – meine Schwestern mussten ihr Leben lang in Etagenbetten schlafen –, aber hinten hat es einen Riesengarten an einem Bachlauf. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft wir dort schon gemütlich zusammengesessen, Geburtstage und andere Feste gefeiert haben.

So wie heute Abend. Sonntagabends ist Familienessen angesagt – immer, es sei denn, einer von uns ist verreist. Meine Mutter würde mich umbringen, wenn ich nicht kommen würde. Und wenn ich sagen würde, dass ich krank bin, würde entweder sie an meine Tür hämmern, nach mir sehen, mir Nudelhühnersuppe »alla mamma« bringen, oder eine meiner Schwestern würde es tun. Wir sind echt dicke miteinander in der Familie. Total dicke. So sind wir nun mal. Das kann manchmal auch nervig sein, aber meistens ist es das schönste Gefühl auf der Welt. Ich habe mich noch nie allein gefühlt oder verloren, weil einfach immer jemand zur Stelle ist, der mir Händchen halten und mich aufrichten kann, mich in meinen Zielen und Träumen unterstützt. Und ich mache das Gleiche für sie. Familie bedeutet uns Salernos alles.

Ich gehe in die Küche und finde meine süße Mutter konzentriert an mehreren Töpfen werkelnd, die brodelnd auf dem Herd stehen. Duftschwaden von köstlicher Tomatensauce »Marinara alla mamma« wabern durch den Raum. Wenn ich die rieche, fühle ich mich immer schon gleich glücklich und zu Hause. Es gibt nichts Besseres. Deswegen muss ich auch näher ran, lege nun meiner Mutter von hinten einen Arm um die Schultern und küsse sie auf die Schläfe.

Sie hebt die freie Hand – die ohne den allgegenwärtigen Holzlöffel – und umfasst ihrerseits meinen Arm. »Ach, mein Nicky.«

»Na, wie geht’s dir so, Ma?«

»Es würde mir besser gehen, wenn mein Junge wie ein Gentleman sprechen würde«, antwortet sie und tippt mir auf den Unterarm.

Ich grinse, denn ich kenne ja meine Mutter: Schimpfwörter, Flüche oder vulgäre Ausdrücke hasst sie wie die Pest. Schon ein simples »verdammt« regt sie auf. Ich drücke sie fest an mich und küsse sie wieder auf die Schläfe. »Sorry, Mamma. Kommt nicht wieder vor«, lüge ich und spiele unser altbewährtes Spiel.

Sie kichert. »Lügner. Sei ein guter Junge, und hole deiner Mutter ein Gläschen Vino.«

»Bring ich dir.« Noch mal bekommt sie eine Umarmung von mir, und dann spurte ich in den kleinen Keller neben der Küche, in dem wir den schier unerschöpflichen Vorrat an familieneigenen Weinen lagern. Mein Vater stammt aus einer großen Winzerdynastie, weshalb wir uns auch dieses Haus leisten und meine Mamma zu Hause bleiben und ihre Kinder großziehen konnte. Als Ehefrau und Mutter. Wofür sie berühmt war, wie sie es nannte.

Ohne auf die Rebsorte oder den Jahrgang zu achten, nehme ich einfach eine Flasche aus dem Regal. Ich finde die sowieso alle super. Schon allein deswegen, weil sie von meinem Vater und meinen Onkeln gemacht wurden. Wie gesagt, mit Liebe zubereitetes Essen oder Trinken ist schließlich das Beste, was es gibt.

Ich stürme die Treppe hoch, zwei Stufen auf einmal nehmend, und wieder zurück in die Küche, wo ich nun auch meine Schwester Dawn vorfinde. Ihr langes dunkles Haar hat sie stramm zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der ihre hohen Wangenknochen und ihre rosigen Wangen betont. Ich schnappe sie mir von hinten, hebe sie hoch und wirbele sie herum, wobei sie vor Vergnügen quiekt.

Nachdem ich sie einmal im Kreis gedreht habe, lasse ich sie wieder runter, und sie dreht sich sofort um und zieht mich an sich. »Na, Bruderherz, wie steht’s bei dir so?«

»Alles senkrecht«, scherze ich, und sie rümpft die Nase und schlägt mir auf die Brust.

»Wie ekelhaft«

Irgendwie so begrüßen wir uns immer, und dabei wird uns nie langweilig. Dawn und ich waren schon immer dicke miteinander, sind auch nur ein Jahr auseinander, aber im Grunde stehe ich allen meinen Schwestern nah. Von hinten klopft mir Dawns Ehemann Lorenzo, kurz »Lo« genannt, auf den Rücken.

»Nick, Mann. Was macht das Geschäft?« Er hebt die Hände, ballt sie zu Fäusten und tänzelt von einer Seite zur anderen, während ich mich spielerisch wegducke und gegen ihn boxe.

»Das Fitness-Boxstudio läuft. Kann nicht klagen. Wir brauchen natürlich neue Geräte, einen neuen Boxring, eigentlich eine Generalüberholung von allem, aber zum Rechnungen Bezahlen reicht es. Das und die Kurse, die ich im Lotus House gebe.«

»Ey, dieser Aerial-Scheiß, den du da machst, ist total verrückt, Mann.«

Ich grinse. »Was? Traust du dich etwa nicht, es mal auszuprobieren?«

Er schüttelt den Kopf. »Bloß nicht! An einem glänzenden Lycratuch über einem harten Holzboden baumeln. Na, schönen Dank aber auch. Ich würde meine voll funktionstüchtigen Eier und Knochen schon gern behalten!«

Ich knuffe ihm kumpelhaft in die Schulter. Als meine Schwester und Lo heirateten, ging meine Mutter auf die Knie und dankte dem da oben für das Wunder. Lo ist aber auch der perfekte Schwiegersohn. Groß, dunkelhaarig, gut aussehend, ein Familienmensch, er liebt meine Schwester bis zum Wahnsinn, und vor allem … ist er Italiener. Kommt aus einer guten Familie und interessiert sich seit Kurzem auch für die Weinherstellung. Sal, mein Vater, ist überglücklich. Ich auch. Denn Los Interesse am Unternehmen, gemeinsam mit dem meiner zweiten Schwester Angela, nimmt mir, Sals einzigem Sohn, den Druck, in die Firma einsteigen zu müssen – gegen meinen Willen.

Es gab schon endlose Diskussionen deswegen, aber in letzter Zeit habe ich immer gewonnen. Seit ich Sal’s Fitness-Boxstudio eröffnet habe, hat mein Vater es sich tatsächlich abgewöhnt, mir ständig Vorträge über die Kunst der Weinherstellung zu halten. Ich schätze mal, dass mein Dad an dem Tag, als ich das Fitness-Boxstudio nach ihm benannte – na ja, genau genommen nach uns beiden, da ich Nicholas Salvatore Salerno junior bin –, kapiert hat, warum ich es tun musste. Weil ich mir damit nämlich meinen ganz persönlichen Traum erfüllt habe und mein eigener Herr sein kann. Ob ich Wein liebe? Aber klar. Du bist kein Italiener, wenn du keinen Wein liebst. Ich glaube, die mischen uns das im Mutterleib heimlich ins Erbgut. Ob mir gefällt, was wir Salernos aufgebaut haben? Himmel, ja. Ich bin mächtig stolz auf meine Familie. Reich sind wir nicht, aber wir sind verdammt noch mal auch nicht arm. Wir alle leben das Leben, das wir leben wollen, und mehr kann man nicht verlangen. Ich auch nicht.

Mein Dad kommt von der Terrasse herein, eine Platte mit duftenden Grillwürsten in der Hand. Ma mag ja vielleicht Pasta mit Marinara-Tomatensoße gemacht haben, aber mein Vater mag lieber eine schön gegrillte Bratwurst dazu. »Nicky! Come stai?«, fragt er mich auf Italienisch, wie es mir geht.

»Gut, Dad. Kann nicht klagen.« Ich greife mir ein paar Weingläser, als der Rest der Bande in die Küche drängt.

Angela erscheint mit ihrem Freund im Schlepptau. Ma ist noch nicht richtig warm mit ihm geworden, weil er so ein ganz Ruhiger ist und noch dazu Latino. Was nicht heißen soll, dass sie rassistisch denkt. Nein, sie ist einfach nur von Herzen und durch und durch Italienerin und möchte, dass ihre Kinder eine ganze Rasselbande italienischer Babys machen. Aber Javier hält sie nach wie vor hin. Ein ganzes Jahr lebt er bereits mit Angela zusammen, und ich frage mich deshalb fast auch schon jeden Tag: Wann steckt er ihr endlich einen Ring an den Finger? Denn sobald er seine ernsten Absichten deutlich gemacht hat, wird Ma auch sofort den Schalter umlegen und ganz die vernarrte zukünftige Schwiegermama sein. Ma wünscht sich ja wirklich nichts anderes von ihren Töchtern, als dass sie gute, vorzugsweise italienische Männer heiraten und viele Bambini bekommen. Wenn Javier also Angela heiratet, wird sie ihn auch mit offenen Armen aufnehmen. Aber bis dahin ist niemand gut genug für ihre Kinder.

Cara, meine dritte kleine Schwester, platzt mit einem wahren Schönling von neuem Freund in die Küche und mit einem – Überraschungsschock! – kleinen Mädchen, höchstens drei oder vier Jahre alt. Oh, shit. Gleich geht es hier ab, aber so richtig ab. Das Einzige, was meine Mutter noch mehr liebt als ihr Italienischsein, sind Kinder.

Ich gehe zu meiner Schwester und ziehe sie in die Arme. Der Schönling neben ihr verspannt sich sichtlich, wird schmallippig, fast verbissen, und verengt die Augen. Scheint der Beschützertyp zu sein und/oder eifersüchtig. Ersteres kann ich nachempfinden; das Zweite wird ihm eine Runde in meinem Boxring bescheren, wo er dann mal meine Fäuste kennenlernen kann.

»Hey, Glücksbärchi, gut siehst du aus. Wer hält denn da deine Hand?«

Sie lächelt mich unsicher an, aber ihre braunen Augen strahlen, als sie nach unten blickt. »Das ist Kaylee, und das ist Scott, mein Freund.« Scott ist kein italienischer Name. Und der blonde, grünäugige Schönling legt auch keinen Arm um meine Schwester. Könnte lustig werden.

Ich reiche ihm die Hand, und als Scott sie schüttelt, drücke ich sie schön kräftig, damit er gleich weiß, dass ich ihn fertigmache, wenn er Cara auch nur ein Haar krümmt. »Ich bin Nicholas, Caras Bruder. Der Boxer.« Ich recke das Kinn und lasse die Muskeln spielen. Ist so meine Art, böse Typen zu verschrecken. »Komm am besten mal zu mir ins Boxstudio. Wäre doch gut, um dich näher kennenzulernen, meinst du nicht auch?« Grinsend drücke ich seine Hand noch fester.

Er zuckt kurz zusammen, zieht sie dann weg und schüttelt sie aus wie nach einem Kampf. »Äh, ich denke aber nicht, dass es gut für meine Gesundheit wäre.«

Ich feixe ihn an. Wenigstens ist er schlagfertig.

Cara stupst mir leicht gegen die Schulter. »Nicky, sei nett.«

Meine Mutter, die Caras mahnende Worte auch hört, dreht sich vom Herd zu ihr um, aber dann sieht sie Malibu-Ken, alias Scott, und das Lächeln in ihren blauen Augen erlischt. Ich verkneife mir ein Kichern. Wenn meine Mutter etwas verachtet, dann Bonzensprösslinge à la Richie Rich, dieses Milliardärssöhnchen aus einer amerikanischen Kinderabenteuerkomödie. Tja, und unser Malibu-Ken hier stinkt genauso vor Geld – angefangen bei seinen luxuriösen Ferragamo-Schuhen bis rauf zu seiner Anzughose und seinem Poloshirt von Ralph Lauren.

Unsere Ma glaubt nämlich, wer nicht eigenhändig seinen Boden beackert und jeden Dollar seines Vermögens selbst verdient hat, kann ja wohl kein guter Mensch sein. Ich schätze, meine Mutter ist da ein wenig voreingenommen. Aber natürlich nur bis zu dem Moment, in dem sie das blond gelockte kleine Mädchen entdeckt, das sich hinter dem Bein seines Vaters versteckt.

Da beugt sie sich sofort zu ihr hinunter, geht in die tiefe Hocke und balanciert mit ihrem rundlichen Körper perfekt auf den Fersen. »Na, wen haben wir denn da? Wer ist denn dieser kleine Engel?«

Scott zupft seine Tochter an der Hand. »Komm, und stell dich vor, Schätzchen«, sagt er und zieht sie hinter sich hervor. Ich sehe zu meiner Schwester, die sich auf die Lippe beißt, als hätte sie Angst, man könnte ihr sonst die Gefühle für das Kind gleich anmerken.

»Ich Kaylee«, murmelt die Kleine und stolziert rockschwingend zu meiner Mutter.

Noch so was, was Ma gut beschreibt: Alle Kinder lieben sie. Wie viele von diesen Jungs um die zwanzig meine Schwestern auch schon mit nach Hause gebracht haben, Typen, die sich dann aus Angst vor meiner Ma und ihrem berüchtigten Holzlöffel versteckten – Kinder haben diese Angst nicht.

»Sag mal, ich glaub, du bist das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen habe, was? Magst du Spaghetti?«, wendet sich Ma fragend an Kaylee.

»Das ist ihr Lieblingsessen«, platzt Scott heraus.

Ich grinse. Gut. Punkt für Scott.

Wohlwollend schweift der Blick meiner Mutter zu Scott, wandert wieder zu Kaylee. »Möchtest du mir vielleicht beim Kochen helfen, Engelchen?«

Die Kleine bekommt ein Leuchten in den Augen. »Ohh! Toll!« Sie kichert, und meine Mutter hebt sie gleich hoch, setzt sie sich auf die runde Hüfte, als würde sie es täglich machen, und gibt ihr einen eigenen Holzlöffel. Na, das ging ja einfach.

Ich drehe mich wieder meiner Schwester zu, die ihre Hände vor dem Herzen verschränkt hat, mit einem mächtigen Lächeln im Gesicht.

»Gerade noch mal so davongekommen, Glücksbärchi.« Ich tippe ihr auf die Nase, wie ich es bei meinen Schwestern immer schon getan habe.

»Das kann man wohl sagen.« Sie atmet einmal tief aus, und Scott legt einen Arm um sie, wobei mir wieder bewusst wird, dass es jetzt einen neuen Mann an der Seite meiner Schwester gibt. Einen Mann mit Kind.

»Du und ich«, wende ich mich an Scott und tippe erst ihm, dann mir auf die Brust. »Wir müssen reden. Demnächst. Ist dir schon klar, hm?«

Scott schluckt, doch er gibt sich einen Ruck, strafft die Schultern und zieht meine Schwester näher an sich. Punkt zwei für ihn. Ängstlich ist er zwar, aber Einsatz zeigt er. Allerdings reicht mir das nicht, wenn es nur auf Druck von mir als großem Bruder geschieht, weil ich es ihm einmal gezeigt und ihn das Fürchten gelehrt habe.

»Kein Problem, ähm, Nick.« Er versucht, selbstbewusst zu klingen, versagt jedoch kläglich.

»Nicholas«, korrigiere ich ihn. Das Recht, die Kurzform meines Namens zu nehmen, muss er sich schon erst verdienen.

»Nicholas. Okay.« Er räuspert sich. »Du wirst mich ab jetzt öfter sehen.«

»Wiiirkliiich?«, frage ich gedehnt. »Dann solltest du Wein trinken. Die Familie kennenlernen. Bei unseren gemeinsamen Abendessen …«

»Jeden Sonntag. Weiß schon«, unterbricht mich Scott. »Fühle mich geehrt, dass ich endlich eingeladen wurde.«

Ich runzele die Stirn über das Wort »endlich«.

»Glücksbärchi, wie lange versteckst du Malibu-Ken schon?«

Cara verdreht die Augen. »Nicht nett, Nicky. Und auch nicht so lange.« Sie schaut ausweichend weg. Ha, damit verrät sie sich. Eine Pokerspielerin ist sie ja nicht. Ihr ausweichender Blick heißt für mich: Die lügt wie gedruckt.

»Carrie, sag die Wahrheit«, mahnt Scott.

Carrie? Er hat einen Kosenamen für sie. Fuck.Die Sache ist ernst.

»Ähm, in gewisser Weise leben wir vielleicht wohl schon irgendwie zusammen.« Sie zwirbelt an ihren Haaren herum und scharrt mit den Füßen.

Hundertpro, dass mir bei der Neuigkeit fast die Augen aus dem Kopf fallen. Cara hat einen Mann versteckt. »Da hast du aber jetzt ein Problem. Aber hallo. Wenn ich mir ausmale, wenn Ma und Dad das erfahren … Wird bestimmt spaßig.« Ich grinse. Ich kenne doch meine Eltern.

Cara packt mich am Oberarm und hält mich fest. »Sag denen nichts. Ich möchte, dass sie alle beide ihn so lieb gewinnen, wie ich es von Anfang an …«, sprudelt sie hastig hervor.

»Lieb gewinnen? Fuck, Cara. Du liebst diesen Kerl und sein Kind, bist bei ihm eingezogen und hast das vor deiner Familie verheimlicht? Wie lange schon?«, knurre ich im Flüsterton und ganz nah an ihrem Gesicht, voll in der Rolle des großen Bruders.

Beschützerisch zieht Scott meine Schwester zurück. Ein weiterer Punkt für ihn. Aber durch diese Hammer-Überraschung werden sie sich wohl erst einmal jede Hoffnung abschminken müssen, ihn mal eben so locker in die Familie einzuführen.

Apropos Familie. Gracie und Faith, die als Einzige noch hier bei den Eltern wohnen, schlendern jetzt auch in die Küche, Arm in Arm untergehakt. Unsere beiden Jüngsten, gerade mal zwanzig, standen sich auch schon immer sehr nah.

Ich blicke zu ihnen rüber und treffe mit meinen grün-blauen Augen auf Gracies graublaue. Verglichen mit allen, sehen Grace und ich uns am ähnlichsten. Wir haben beide fast schwarzes Haar und die superhellen Augen unserer Mutter. Doch während meine eher grünlich sind, schimmern ihre in so einer Blau-Grün-Grau-Kombi. Der Rest der Familie hat dunkle, cappuccinofarbene Haare und braune Augen. Grace ist außerdem das Nesthäkchen, und ich bin der Älteste, also haben wir da so eine Der-Älteste-und-die-Jüngste-Geschwisterbindung.

»Mädels.« Ich lasse Cara fürs Erste ungeschoren davonkommen und breite die Arme aus. Gracie und Faith stürzen auf mich zu. Der Duft ihres Erdbeershampoos steigt mir in die Nase und erinnert mich an früher und zu Hause. Ich umarme sie, sauge all ihre Gerüche ein. Hach, es ist einfach so ein tief befriedigendes Gefühl, von der ganzen Familie umgeben zu sein. »Wie geht’s denn meinen Ladys so?«

»Super!« Faith lacht, drückt mich noch mal und düst davon, um mit unseren anderen Schwestern zu reden.

»Alles gut, Nicky«, antwortet Gracie und legt mir einen Arm um die Taille. »Ich hab den Job im Lotus House als Lehrerin für Vinyasa Flow Yoga bekommen, und ich mache mein Praktikum bei Küchenchef Jean Luc zu Ende.«

Ich grinse. »Na, siehst du, ich wusste doch, dass Crystal und Jewel da was für dich arrangieren würden. Du bist eine Salerno, und alles, was du wissen musst, hab ich dir beigebracht.«

»Hat allerdings auch nicht geschadet, dass ich bereits mein Zertifikat als registrierte Yogalehrerin hatte.« Sie lacht, doch da geh ich nicht weiter drauf ein, sondern streiche ihr über die Nase.

»Sag mal, wie lange willst du denn eigentlich noch die rechte Hand dieses unfassbar genialen … Meisterkochs Jean Luc sein?«, frage ich sie neckend, strubbele ihr durchs Haar und toupiere es hoch.

Sie klopft es wieder runter und streicht sich die losen Strähnchen hinters Ohr. Wie immer läuft sie leicht rot an, wenn der Name des Küchenchefs fällt. Ich glaube, sie ist in den Typen verknallt, und das wäre nicht gut. Nicht nur, weil er Franzose ist – er ist auch noch zehn Jahre älter als sie. Ma dürfte ausflippen, wenn sie es mitkriegt.

»Er ist perfekt«, seufzt sie träumerisch.

Ich verdrehe die Augen, lege ihr einen Arm um die Schulter und flüstere ihr ins Ohr: »Erzählst du es Mutter?«

Sie zuckt zusammen. »Auf keinen Fall. Er spricht so fließend Französisch wie sie Italienisch, und beide werden sich nie begegnen.«

»Hm. Und wenn er merkt, dass du auf ihn stehst? Was dann?«

Sie erstarrt regelrecht und dreht sich zu mir. »Wird er nicht. Jean Luc weiß nicht mal, dass ich existiere.«

Meine Schwester ist süß, unschuldig und einfach wunderschön, weshalb sie schon an der Highschool dermaßen viele schleimige Verehrer hatte, dass ich ständig mit blutigen Fingern rumlief, weil ich die, als großer Bruder, natürlich immer alle vermöbeln musste. Echt, die Mädels haben meinen Vater und mich ganz schön auf die Probe gestellt … mit diesen Jungs, die hinter ihnen her waren wie geile Hunde. Jetzt, wo sie über zwanzig sind, kann ich nicht viel mehr machen als ihren Partnern oder Lovern Respekt eintrichtern. Davon abgesehen tue ich, was ich kann, um die Typen ins Boxstudio zu bringen, wo ich sie dann mit einem Paar Boxhandschuhen in den Ring stecke. Sie das Fürchten lehre. Hundertpro gibt es auf dem gesamten Planeten keinen einzigen leidenschaftlichen Kerl, der nicht erkennt, was für eine umwerfende Schönheit unsere Grace ist.

»Tja, wenn Mr Frenchman dich und deine Schönheit nicht wahrnimmt, Pech für ihn. Außerdem ist er ohnehin zu alt für dich.«

»Alter ist nur eine Zahl.« Sie zieht eine Schnute.

Lachend werfe ich den Kopf in den Nacken. »Erzähl das Mutter, und schau mal, was dann passiert.«

»Nicht nötig. Und was ist mit dir? Du hast schon ewig keine Freundin mehr mitgebracht.« Sie stupst mich mit dem Ellbogen an.

Ich sage prost, erhebe das Glas Wein, das ich mir eingegossen habe, und nehme genüsslich einen schönen Schluck. Behalte ihn lange im Mund, so wie mein Vater es mir beigebracht hat, damit ich auch alle Aromen in ihrer Vielfalt schmecke. »Keine, die es wert gewesen wäre, sie mit nach Hause zu bringen und euch allen vorzustellen«, beantworte ich dann achselzuckend die Frage meiner Schwester.

»Was höre ich da? Mein Junge hat endlich eine süße, junge Italienerin zum Vorzeigen gefunden, die auch noch kochen kann?«, platzt Ma dazwischen und setzt das kleine Mädchen ab, das gleich mit dem soßetriefenden Holzlöffel zu seinem Vater flitzt.

»Nein, Ma, keine Frau.« Stöhnend und finster blicke ich meine Schwester an, weil sie das Thema auf den Plan gerufen hat.

Meine Mutter schlägt mir mit ihrem Topflappen auf die Schulter. »Warum nicht? Du bist doch ein hübscher Kerl. Hör auf, dich immer nur überall auszutoben, und eine gute Italienerin wird dich verzaubern!«

Prustend schüttele ich den Kopf. »Ma …« Ich gehe zu ihr hinüber und lege ihr, die mir gerade mal bis zur Brust reicht, einen Arm um die Schulter. »Keine Frau kann bis jetzt mit dir mithalten. Aber ich verspreche, wenn ich eine finde, wirst du sie als Erste kennenlernen, okay?«

Diesmal schlägt sie mir auf den Bauch. »Ernsthaft, Junge. Wird Zeit, dass du solide wirst. Ich werde nicht jünger. Ich will, dass hier wieder kleine Bambini durchs Haus toben. Ich will Lachen hören, wenn ich koche, sonst bin ich unglücklich. Also, wann schenkst du mir Enkelkinder, die ich verwöhnen kann, hm?«

Seufzend lasse ich den Kopf hängen. »Ma, wir sprechen ständig darüber. Wenn ich die richtige Frau finde.«

»Wenn du dein italienisches Würstchen nicht in der Hose behältst und die Augen nicht aufmachst, wirst du sie nie finden.«

Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.

1. KAPITEL

Hals-Chakra

Das Hals-Chakra, im Sanskrit » Vishuddha« genannt, ­befindet sich im Hals, ungefähr auf Höhe des Kehlkopfes. Zwischen Kopf und Herz gelegen, ist es das Chakra, das die Integrität zwischen dem, was gedacht und gefühlt wird, aufrechterhält.

HONOR

Heiß glühender Schmerz und unmittelbar darauf einsetzende berauschende Euphorie und Erleichterung befrieden den Krieg, der in mir tobt. Ich will den Schmerz nicht … Ich brauche ihn. Für einen langen Moment sitze ich still und genieße die Sekunden der inneren Ruhe und der Gelassenheit nach dem ersten Durchstechen der Haut. Jedes Ritzen lindert die Angst, die Unruhe, den puren Abscheu, den ich gegenüber mir selbst und der Welt um mich herum empfinde. Einer Welt, der er nicht länger angehört.

Ich bohre die Klinge tiefer hinein und verlange mehr … auf der Suche nach etwas, das ich nie finden kann. Es funktioniert eine Weile. Kurze Augenblicke lang. Die einzige Schönheit, auf die ich mich noch freuen kann. Erinnerungen an glücklichere Zeiten rauschen mir durch den Kopf wie ein sich in einer Bö drehendes Windrad.

Wir laufen durch den Wald – er folgt mir dicht auf den Fersen, und ich quietsche vor Freude.

Noch tiefer drücke ich die Rasierklinge hinein. Mehr Schmerz.

Er meidet die gemeinen, ach so beliebten Mädchen, die mich in der Schule schikaniert haben.

Jeder neue, verflixt wohltuende Ritzer lässt alle meine Nerven vibrieren.

Filme. So viele Filme. Jeden Sonntag sitzen wir gemeinsam vor dem Bildschirm, mit einer Schüssel Popcorn zwischen uns, und wir lachen immer an denselben Stellen.

Nachdem es mich erst gelockt hat, stößt es mir nun sauer auf. Säure wogt und brennt in meinem Magen.

So lange ist es her, dass wir uns aneinandergekuschelt haben, als ob die ganze Welt verschwunden wäre und es nur uns beide gäbe.

Ich sinke mit dem Kopf an die Wand, schließe die Augen und lasse die Hitze meine Haut durchdringen und das Adrenalin durch meine Adern schießen, während ich mein Handgelenk drehe, bis ich etwas spüre … irgendwas.

Schmerz ist für mich das einzige Gefühl, das mir die Liebe und den Verlust ersetzen kann.

Sobald das warme Blut tropft, kleine Lachen auf meinem Unterarm bildet und zu rotbraunen Klümpchen gerinnt, schaue ich mich um und blinzle das Bedauern und die Tränen weg. Ich habe diese »Session« beendet und kauere mich in die Ecke, in der Wanne und Wand aufeinandertreffen. Meine Zehen sind eiskalt, eingerollt, auf den kalten Fliesenboden gepresst, auf dem ich sitze. Ich seufze, vor Übelkeit dreht sich mir der Magen um, während sich Selbstablehnung und Ekel in mein Denken schleichen.

Hannon würde es nicht gutheißen.

Er hatte es nicht gutgeheißen, als wir sechzehnjährige Jugendliche waren und er mich dabei erwischte. Jetzt, wo ich Mitte zwanzig bin, würde er es erst recht ablehnen. Aber es spielt auch keine Rolle, denn er ist nicht hier, um mich zu schelten.

Um mich festzuhalten.

Mich zu lieben.

Um mich zu retten.

Ein trockenes Auflachen entfährt mir, als ich aufstehe und mich zitternd und Halt suchend auf den Waschtisch stütze. Mein frischer Schnitt puckert und schmerzt, die zwei Zentimeter lange Linie ist mit langsam trocknendem Blut verschmiert. Diesmal bin ich nicht so tief hineingegangen. Nicht so tief, wie ich wollte.

Angsthäsin.

Allein das Wort schon versetzt meiner Psyche einen Knacks, und stichelt höhnisch gegen die Loserin in mir. Ich lege die Finger um die Rasierklinge und frage mich, ob ich es einfach tun könnte. Das alles beenden. Niemand würde mich vermissen. Schon gar nicht meine Eltern oder die verzogenen High-Society-Töchterchen, die mich ihre Freundin nennen, wo ich doch weiß, dass es kein bisschen stimmt. Diese Goldgräberinnen nutzen nur alles und jeden aus, bis nichts mehr übrig ist. Denen geht es bloß um den Status, nicht um echte Freundschaft.

Ein Schluchzer schüttelt mich, während ich, wieder einmal, darüber nachdenke, wie abgrundtief Hannon alles verabscheuen würde, was ich getan habe. Was in seiner Abwesenheit aus mir geworden ist. Pah! Wütend starre ich mein Spiegelbild an.

»Du willst, dass ich aufhöre, Han? Komm zurück, und zwing mich dazu!« Ich schlage mit der flachen Hand auf die Konsole, und die Rasierklinge fällt mir aus den Fingern. Landet klirrend im Waschbecken, wo sie blutige Schlieren auf der weißen Keramikoberfläche zieht.

Keine Antwort. Nicht mal ein Anzeichen. Nur mein Abbild ist da im Spiegel, und das bietet wirklich einen traurigen Anblick. Blondes Haar, so hell, dass es fast weiß scheint. Lange und widerspenstige Beach Waves, mit denen ich gerade nichts gemacht habe. Meine Augen sind zwei hohle Ovale, grau und leblos. Passen zu meiner Stimmung. Aufgesprungene, trockene Lippen, die ich mal für hübsch hielt, wölben sich in zwei Bögen, die sich in der Mitte treffen. Früher war ich hübsch. Jetzt bin ich einfach nur da. Bringe jeden Tag hinter mich und wünsche mir, ich wäre dort, wo er ist.

Die Sehnsucht, bei Hannon zu sein, hämmert, wie immer, in meinem Herzen, ein drückender »Beat«, dem ich nicht entkommen kann. Ich drehe den Wasserhahn auf, wasche das Blut ab und spüle die frische Schnittwunde aus, wobei mir auffällt, dass die anderen daneben schon schön verblasst sind. Die kunstvollen Henna-Tattoos decken sie gut ab, sehr zum Missfallen meiner Eltern. Ein Grund mehr, meine Sünden weiterhin mit dem erdigen Färbemittel zu verdecken. Ich muss es ohnehin auch wieder auftragen, damit dieses ganz frische Zeichen verschwindet, aber das geht ganz leicht. Dennoch nimmt mir das neue Zeichen nicht den Drang, zu fliehen, zu rennen, um ihm nahe zu sein.

Mit einer Geschwindigkeit, wie ich sie nach meinen »Sessions« nun schon gewohnt bin, flitze ich in mein Zimmer, ziehe einen Kapuzenpulli aus meinem Schrank, werfe ihn über. Schnell, schnell, die Verzweiflung treibt mich zur Eile an, lässt mich nicht los. Ich schlüpfe in meine Tennisschuhe, die Schnürsenkel sind bereits gebunden, und bin schon aus der Tür. In der Diele angekommen, gehe ich auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, die zum herrschaftlichen Haupteingang der Villa meiner Eltern führt. Die schwarz-weißen Marmorböden wurden bis zur Perfektion poliert, nicht das kleinste Schmutzfleckchen ist zu entdecken. Mit weniger würde sich Mrs Judith Gannon-Carichael auch niemals zufriedengeben.

Ich höre laute Stimmen, dröhnend und aufgeblasen vor Rechtschaffenheit hallen sie durch den Empfangsraum neben dem Eingang. Die Tür steht auf, also versuche ich, so gut es geht, versteckt im Dunkeln auf der anderen Seite vorbeizuschlüpfen, und baue darauf, dass ich so in die Küche und in die Garage komme, ohne entdeckt zu werden. Meine Mutter würde nur abfällig meinen »legeren« Freizeitlook mustern und sich ganz schockiert zeigen vor ihren Freundinnen und Freunden, mit denen sie und mein Vater gerade im Gespräch sind.

Arrogantes Gelächter und Gläsergeklirr schallen aus der offen stehenden Tür, als ich mich an der geselligen Abendrunde vorbeimogele. Einfach so. Aber, na, Gott sei Dank. Ich bin ja schon glücklich, dass ich jetzt wenigstens das zustande bringe. Nun kann ich ja hoffen, dass es weiter so gut läuft und Sean heute Abend vielleicht auch noch für mich da ist. Die letzten Male, als ich mich zu ihm nach Hause flüchtete, hatte er mich nicht gerade einladend empfangen. Liebevoll, ja. Einladend, nein. Er wirkte leicht frustriert, als er kürzlich mit mir sprach, und war insgesamt irgendwie komisch drauf, als ich ihn besuchte, wobei ich gar nicht genau sagen kann, wieso. Egal, jetzt muss ich dorthin. Jetzt sofort. Nirgendwo sonst ginge das jetzt. Nicht heute Abend, wo ich innerlich so wund und nervös bin.

Ich schaffe es in die gigantische Garage, die von den Dimensionen her auch gut und gerne als Fußballfeld dienen könnte, und komme an der endlosen Ansammlung der schon zwanghaften Leidenschaft meines Vaters vorbei: Autos. Von klassischen amerikanischen Modellen bis hin zu europäischen Sportwagen, mein Vater besitzt sie einfach alle. Mit genug Geld, um Queen Elizabeth aus dem Buckingham Palace herauszukaufen, kann er sich auch das Beste leisten, und er beweist es mit jedem chromblitzenden Neuerwerb.

Ich springe in mein schwarzes, vergleichsweise bescheidenes Mercedes S‑Klasse Coupé, wahrscheinlich das günstigste Auto des gesamten Fuhrparks, aber immer noch ein Luxusteil. Eine volle Minute lang sitze ich da und atme einfach nur ein, versuche, gegen die tiefe Niedergeschlagenheit anzukämpfen, die mich völlig zu erdrücken droht.

Bald wirst du ihm näher sein, sage ich mir, bis ich seine Stimme vernehme. Wie in einem Traum oder einer Erinnerung, die einfach zu schwer zu fassen ist.

Halte durch, Honeybunny. Sei ruhig … finde deinen Frieden.

Im Flüsterton dringt Hannons Stimme in meine Sinne ein. Als ich die Worte höre – und es sind die letzten, die er zu mir gesagt hat –, zieht sich mein Herz zusammen, als würde er es mit seinen starken Händen halten.

Für dich werde ich das tun, Han. Versprochen.

Ich drücke die Taste »Ausfahrt sechs«. Sobald das massive Metalltor hoch genug geöffnet ist, dass ich drunter durchfahren kann, schieße ich hinaus in die düstere Dunkelheit der Nacht. Die Tour habe ich in den letzten zwei Jahren schon mehrmals unternommen, und jedes Mal ist es ein Gefühl, als würde ich auf den Himmel zusteuern. Gleichzeitig wird mir dabei immer wieder klar, in was für einer absoluten Hölle ich hier lebe.

Die Kilometer rauschen vorbei, in meinen Gedanken ver­mischen sich Erinnerungen und die schleichende, schmerzhafte Verzweiflung in mir.

Zwei Stufen auf einmal nehmend, laufe ich die Vordertreppe des strahlend blau-weißen, mitten in San Francisco gelegenen Stadthauses hinauf. Den beißend kalten Wind von der Seeseite der Bay Area im Rücken, läute ich mehrmals hintereinander die Glocke. Im Wohnzimmer brennt Licht, also weiß ich, dass er da ist. Er muss einfach da sein. Wenn nicht, werde ich den Notfall-Schlüssel benutzen, den Hannon mir vor Jahren gegeben hat. In letzter Zeit musste ich ihn nicht verwenden. Ich habe versucht, mich fernzuhalten, weil ich weiß, dass es jedes Mal schwerer wird. Für uns beide.

Die Tür geht auf, und ein großer Typ, den ich nicht kenne, steht im Eingang. Das warme Licht der Lampen von drinnen wirft Schatten auf sein Gesicht, dennoch kann ich sehen, dass er attraktiv ist, schlank und – zumindest seiner schicken Hose und dem Kaschmirpulli nach zu urteilen, den er anhat – so ein Sich-gut-Anzieher. Auf der Nase trägt er eine trendig quadratische Schildpattbrille.

»Hallo? Kann ich dir helfen?« Seine Stimme passt zu seinem Lächeln – aufrichtig und nett.

Meine Kehle wird plötzlich trocken wie die Mojave-Wüste, und ich muss schlucken. Tränen brennen mir in den Augen. Was ist hier los? Wer ist der Typ? Warum ist der hier – um diese Zeit?

»Wer ist denn da, my Love?«, ruft Sean von irgendwo drinnen im Haus.

My Love.

Ein beliebter englischer Kosename für Männer. Ein Name, den Sean benutzt und mit dem er den gut aussehenden Endzwanziger oder Anfangdreißiger vor mir anredet, der jetzt gerade seinen Taxierer-Blick aufsetzt.

»Eine süße Blondine mit großen Rehaugen und traurigem Lächeln«, ruft er nach hinten und legt den Kopf schräg. »Hast du dich verlaufen, Süße? Brauchst du Hilfe?«, fragt der Typ, als ich ihn nur stumm anstarre.

Unfähig zu sprechen, stehe ich da wie das verlorene, kleine Rehmädchen, für das er mich hält. Ich bin auch nah dran, verdammt nah dran, mich so zu fühlen, bis plötzlich Sean dem Typ einen Arm um die Taille legt und ihn beiseitestupst, um endlich zu sehen, wer denn da nun an der Tür steht. Als sich unsere Blicke treffen, geht sein breites Lächeln in ein Stirnrunzeln über. Das ich sofort hasse. Früher sah er mich lachend an, er freute sich richtig.

»Honor.« Er sagt meinen Namen so leise und düster-tief, als wäre eine Plage über ihn und sein Haus gekommen. Der Mann, der da vor mir steht, ist nicht derselbe, der mich immer so schön lange umarmt und in intensive Gespräche über die Welt verwickelt hat. Vor allem aber nicht der, der meinen Bruder genauso geliebt hat wie ich.

Kopfschüttelnd halte ich mir eine Hand vor den Mund, ein fieses Unbehagen packt mich gerade wieder. »Nein«, flüstere ich.

Er atmet sichtlich tief ein, hebt und senkt den Brustkorb, als bereite er sich darauf vor, einem Patienten eine schlechte Nachricht zu überbringen.

Sean drängt sich seitlich an dem Typen vorbei, umarmt mich und zieht mich nach drinnen. Der Typ, der jetzt hinter uns steht, schließt die Tür, damit die Kälte nicht hereinkommt. Urplötzlich ist mir viel zu heiß in meinen Jeans und dem Kapuzenpulli – geradezu siedend heiß.

Sean nimmt mein Gesicht in beide Hände und schaut mir in die Augen. »Honor, schön, dich zu sehen. Aber, Honey, es ist schon sehr spät, und du hast nicht vorher angerufen.« Mich beschleicht ein ganz schauriges Gefühl, und er lässt die Arme langsam wieder sinken. »Es tut mir leid, wenn es dich überrascht, was du siehst. Ich wollte es dir zuerst sagen, aber …«

Ich unterdrücke ein Aufschluchzen. »Wann? Wie lange geht das schon?«, kommt es gequält aus meinem Mund.

Sean beißt so heftig die Zähne zusammen, dass die Kiefermuskeln hervortreten und sein Gesicht noch kantiger und härter wirkt. »Ein paar Monate. Ich konnte und wollte ihn nicht mehr länger aus meinem Haus fernhalten. Es wäre nicht fair gewesen, weder ihm noch mir gegenüber. Hannon hätte es auch nicht gewollt.«

Die bloße Erwähnung von Hannon macht mich fertig. Verglichen mit dem Schmerz, der mich durchzuckt, sich explo­sionsartig ausbreiten will, als Sean die Arme um mich legt, war die »Session« von vorhin gar nichts.

Ich kann das innerliche Zittern nicht stoppen, das in meinem Mund beginnt und mich durchströmt, als würde ein Eimer voller Schlangen in ein kleines Gewässer gekippt.

Die Worte kommen mir über die Lippen, bevor ich es verhindern kann. »Wie konntest du nur?«

Er lässt die um mich gelegten Arme sinken und fasst mich am Oberarm. »Er ist seit zwei Jahren tot, Honor. Du musst drüber wegkommen. Wir beide müssen das. So, wie du dich an diese Liebe festklammerst und mich auch dazu zwingst … das ist krank.«

»Weiß er es?«, frage ich mühsam beherrscht und deute mit dem Kopf auf den Typen, der immer noch neben uns steht und zuhört. »Weiß er, dass du meinem Bruder deine ewige Liebe versprochen hast?« Anklagend und verletzend spucke ich fast jede Silbe einzeln aus.

Seans Gesichtszüge verhärten sich, und er runzelt die Stirn. »Aber unserer ewigen Liebe wurde ein vorzeitiges Ende gesetzt! Niemand weiß das besser als ich.« Empört verzieht er die Lippen. »Und das war Hannons Entscheidung. Nicht meine. Nur seine. Ich war lange genug allein und ein Jahr in der Therapie, um mit seinem Verrat klarzukommen. Jetzt bist du dran.«

Ich ignoriere sein Schwarzer-Peter-Spiel. »Du warst doch alles für ihn.« Weil mich die Gefühle übermannen und mir die Kehle zuschnüren, kann ich kaum sprechen.

Sean schließt seine schönen braunen Augen, als würde er alles erst mal eine Minute sacken lassen wollen. Sein dunkles Haar ist zerzaust. Ein paar Schritte weiter steht der Typ, der mir die Tür geöffnet hat. Wenn er nicht mit Sean zusammen wäre, würde ich ihn vielleicht mögen. Er sieht nicht nach Bad Boy aus. Er sieht nett und ehrlich aus, allerdings ganz anders als mein Bruder. Der Typ hier ist ein schicker Nerd und leicht reserviert. Hannon war blond und blauäugig, voller Lebensfreude, die ihm förmlich aus den Poren quoll und sich auf jeden übertrug, der seine Umlaufbahn kreuzte.

Ich schließe die Augen, und langsam dämmert mir die tragische Wahrheit. Seelenschmerzen. Wie ich litt Hannon unter emotionalen Verletzungen. Nur dass er sich dafür entschied, es vor den beiden Menschen zu verstecken, die ihm am meisten bedeuteten. Und anstatt irgendjemandem sein Herz auszuschütten, trug er seine Last allein, bis er keinen anderen Ausweg mehr sah, als den letzten, ultimativen Schritt zu gehen.

Tränen laufen mir übers Gesicht, und meine Lippen zittern, während ich mir wünsche, er hätte sich an mich gewandt. Einmal hätte gereicht, um ihn davon abzubringen. Jeden Tag liebe und hasse ich ihn dafür, dass er mir nicht diese eine Chance gegeben hat, seine Meinung zu ändern. Für ihn da zu sein, so wie er immer für mich da war.

»Honor, kein Mann hat Hannon mehr geliebt als ich. Fünf Jahre waren wir glücklich. Er verbarg seine Homosexualität, weil er außerstande war, unsere Liebe öffentlich zu zeigen, aber es war mir egal, weil er zu mir gehörte, und etwas anderes wollte und brauchte ich nie. Bis er mir diese Entscheidung abnahm. Ich hätte mir das gefallen lassen, was deine Eltern uns aufgetischt hätten. Alles hätte ich getan, um ihn glücklich zu machen, die Vergangenheit zu ändern, ihn davon zu überzeugen, dass wir alles ertragen könnten, solange wir einander hätten.« Tränen steigen Sean in die Augen, und der Typ neben ihm legt ihm eine Hand auf die Schulter.

Ich kneife fest die Augen zu. Weil ich das nicht sehen will, weil ich nicht sehen will, wie ein anderer Mann ihn tröstet.

»Hannon traf seine Entscheidung ganz allein. Wir haben nichts von seinen Plänen geahnt. Darunter haben wir in den letzten zwei Jahren auch wirklich schwer gelitten, und wir beide, du und ich, werden es wohl auch nie vergessen. Aber das Leben geht für mich weiter, auch ohne ihn.«

Ich umarme Sean und halte und drücke ihn so fest an mich, als wäre es ein Abschied für immer. Er knuddelt mich zurück, zieht mich auch ganz fest an sich, während er den Kopf dreht und mir ins Ohr flüstert: »Du bist die einzige andere Person auf der Welt, die ihn so geliebt hat und den Verlust so schmerzhaft spürt wie ich. Du als seine Zwillingsschwester müsstest das besser wissen als jeder andere.«

Das weiß ich ja auch. Und wie ich das weiß. An dem Tag, an dem ich meinen Bruder begraben habe, da begrub ich auch die andere Hälfte meiner Seele.

Minutenlang drücke ich Sean ganz fest an mich, denn ich weiß, dass dies das letzte Mal sein muss. »Dass ich hier bin, tut dir weh.«

Er antwortet ohne Worte, verstärkt stattdessen seinen Griff um mich.

»Ich werde nicht mehr kommen.«

»Sag das nicht, Honor. Ich könnte nicht mit dem Wissen leben, dich auch noch verloren zu haben.« Er reibt mir mit dem Kinn über den Hals und küsst mich dort. »Ich lieb dich, aber du erinnerst mich an Hannon, und ich muss ihn gehen lassen. Ihn freilassen. Du musst das auch tun.«

Ich schüttele den Kopf. »Ich kann nicht.«

»Du kannst, und du wirst es auch schaffen. Irgendwann werden sich deine Gedanken an Hannon nicht mehr traurig anfühlen, sondern warm. An diesem Punkt bin ich jetzt. Ich rede gern über ihn, denke über ihn nach, erzähle Geschichten von ihm. Und das hilft. Versprich mir, dass du das auch so machst. Bring deine Heilung in Gang.«

Heilung. Was ist das denn?

Anstatt zu lügen, nicke ich unverbindlich. »Tut mir leid, ich war gemein zu dir.«

»Honor, Baby Girl, du gehörst zur Familie. Wird immer so bleiben. Ich will dich in meinem Leben. Ich will nur, dass es dir psychisch gut geht. Verdammt, ich will mich auch psychisch gut fühlen.«

So weit sind wir uns einig. Zumindest, soweit es Sean betrifft. Als Lebenspartner meines Bruders ist er auch meine Familie geworden. Und er zählt zu den wenigen Menschen, denen ich noch vertraue. Ich bin ihm wichtig, nicht mein Geld oder welchen Status ich ihm bieten kann.

»Willst du meinen Freund näher kennenlernen? Es würde mir sehr viel bedeuten, wenn du ihn akzeptieren könntest. Ich mag mir kein neues eigenes Leben aufbauen, wenn ich nicht dein Okay habe.«

Mir graut richtig davor, aber für Sean, einen der besten Kerle auf der ganzen Welt, muss ich jetzt mal meine egoistischen Motive zurückstellen und ihm eine echte Freundin sein, die ihn sein neues Leben beginnen lässt. Ohne ihren Bruder. Ich nicke, wische mir die feuchten Augen und trete einen Schritt von ihm zurück.

Sean holt tief Luft, schaut mich an und nickt mir dann kurz zu. Er dreht uns herum und gestikuliert zu dem hochgewachsenen Typen, dessen Augen hinter der Brille mittlerweile auch ganz wässrig sind.

»Honor Carmichael, das ist mein Freund, Chad Schilling. Chad, das ist Honor, meine beste Freundin, Hannons Zwillingsschwester.«

Lächelnd zeigt Chad seine schönen weißen, ebenmäßigen Zähne und schiebt sich erst mal bedeutsam seine Brille die Nase hoch, ehe er mir die Hand entgegenstreckt. Ich greife zu, um sie zu schütteln, doch dann legt er auch noch seine andere Hand darüber und hält meine mit seinen beiden fest. »Schön, dich hierzuhaben, Honey. Sean hat mir schon so unendlich viel von dir und Hannon erzählt, und du sollst einfach nur wissen: Ich liebe Sean, und es tut mir sehr leid, dass ihr beide diesen schmerzlichen Verlust erleben musstet. Aber ich freue mich nun auch darauf, dich ab jetzt öfter zu sehen und endlich näher kennenzulernen.«

Ich unterdrücke die Tränen, die rauswollen, als ich höre, dass er Sean liebt. Das ist eine echt bittere Pille für mich, denn ich hatte ja immer geglaubt, dass Sean und Hannon die Langstrecke schaffen, zusammen alt werden würden und wir drei eine Familie sind. Jetzt fühle ich mich außenstehend und wie das dritte Rad am Wagen – trotz der bittersüßen Traurigkeit in Seans Augen.

Selbstverständlich ändert diese kleine Vorstellungsrunde nun alles. Ich kann mich nicht länger in das Haus flüchten, das einmal Hannons und Seans war, und außerdem erwarten, dass Sean mit mir über die Riesentrauer redet, die mich manchmal regelrecht auffrisst.

»Entschuldigung, dass ich so unangemeldet hier aufgekreuzt bin. Kommt nicht mehr vor. Und es freut mich auch, dich kennenzulernen, Chad.« Ich richte den Blick wieder auf Sean. »Ich lieb dich, Sean. Ich will, dass du glücklich bist, und du hast recht. Hannon würde das auch wollen.«

Sean schießt förmlich auf mich zu und umarmt mich. »Ich lieb dich doch auch. Versprich mir bitte, dass du dir Hilfe suchst. Bei jemandem, mit dem du alles aufarbeiten kannst? Versprich es mir bitte.«

Da ich weiß, dass er mich nie und nimmer aus dem Haus lassen wird, bevor ich es nicht versprochen habe, stimme ich zu. »Okay. Mach ich.«

Er holt seine Brieftasche und zieht eine Karte heraus. »Ruf bitte diese Frau an, diese Monet Hart. Die ist unglaublich. Ehrlich, du wirst sie mögen.«

Ich schaue auf die weiße Visitenkarte und nicke.

»Honor, Sie wirken heute etwas verloren. Warum?«

Ich starre aus dem Fenster, beobachte, wie die Wolken vorbeiziehen, und zucke schließlich mit den Achseln.

Dr. Hart antwortet mit sanfter Stimme. »Wissen Sie, ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie nicht mit mir reden. Wir machen das hier jetzt schon seit zwei Monaten. Da sollten Sie allmählich doch etwas gesprächiger sein.«

Tief einatmend drehe ich den Kopf der Frau zu, die in einem Sessel auf der anderen Seite des Raumes sitzt. Sie sieht irgendwie wunderschön aus, könnte ein Double von Lucy Liu als Anwältin Ling in der Fernsehserie Ally McBeal sein. Langes schwarzes Haar, das ihr in Kaskaden über die Schultern fällt, mandelförmige tiefschwarze Augen, hochgewachsene, athletische Gestalt. Zu ihrer weißen Rundhalsbluse trägt sie einen beigen Bleistiftrock und dazu passende Louis Vuittons, die ihre Beine ewig lang erscheinen lassen. Sie wirkt kostspielig – und ist ihren Preis auch wert. Nicht nur, dass sie einen exorbitanten Stundensatz bekommt, die Frau besitzt auch ein ganz besonderes Talent dafür, mir durch scheinbar harmlose Fragen meine tiefsten Geheimnisse zu entlocken, ohne dass ich es auch nur mitbekäme. Die macht ihren Job wirklich hervorragend.

Als ich Sean zusagte, eine Therapie zu machen, da dachte ich mir, warum nicht? Ich hatte ja nichts zu verlieren. Mein Leben besteht nur aus Gehorchen und das zu machen, wozu meine Mutter mich zwingt. Vor allem bin ich bei zig Charity-Events dabei, weil sie mich zu ihrer Nachfolgerin aufbauen will: Mrs Carmichael – die beste Charity-Partyplanerin aller Zeiten. Aber ganz ehrlich, es interessiert mich nicht, da irgendwo mitzumischen. Diese ganzen Events und die Charity-Arbeit … Alles nur Fake, um sie wie eine Heilige aussehen zu lassen und dahinter ihren wahren – schlechten! – Charakter zu kaschieren. Einziger Pluspunkt ist, dass ich gerne Geld für gute Zwecke spende. Ich hänge nämlich null an meiner vielen Kohle. Weil ich nichts davon selbst verdient habe. Keinen einzigen Cent.

Ich bin, wie man so schön sagt, ein »Treuhandfonds-Baby«. Geld ist etwas, das nie aus meiner Welt verschwinden wird. Schon jetzt bin ich mehrere Milliarden Dollar wert und habe dafür nichts getan, außer auf die Welt zu kommen. Meine Eltern, meine Großeltern beiderseits und wiederum deren Großeltern, sie alle waren schon Treuhandfonds-Babys. Das Geld strömt und strömt und strömt … Ich weiß schon gar nicht mehr, wie viel wir genau besitzen.

Ich habe an einer Eliteuni studiert und einen Abschluss in Betriebswirtschaft, mit dem ich allerdings noch nichts angefangen habe, weil mir das alles ohnehin nichts bedeutet. Ich lebe so dahin, ohne dass ich auch nur irgendetwas vorzuweisen hätte. Ohne nennenswerte Ziele, Wünsche, Talente oder Fähigkeiten. Im Grunde genommen … bin ich ein Nichts.

Da ich genau weiß, dass Dr. Hart mir nicht mehr lange Bedenkzeit für meine Antwort lassen wird, rücke ich nun aber doch damit heraus, was mir heute wehtut. »Es ist Hannons Geburtstag.«

Überraschenderweise lacht die Ärztin. Laut. Tief unten aus der Kehle, und es klingt wie Glockengeläut. Schön. Genau wie die Frau selbst, obwohl ich ihr Lachen jetzt verletzend finde, denn sie weiß schließlich genau, dass mich alles traurig macht, was meinen toten Bruder betrifft. Ehrlich gesagt, macht es mich jetzt aber eher wütend, als dass es mich verletzt.

Mit zusammengekniffenen Augen stolziere ich zu ihr hinüber, bleibe neben ihrem Sessel stehen, die Hände in die Hüften gestemmt. Die Wut über ihr Lachen brennt mir auf der geröteten Haut.

»Warum lachen Sie?«, frage ich grollend.

Meine Reaktion bringt sie nur noch heftiger zum Lachen, so heftig, dass sie sich mit dem gelben Notizblock, der auf ihrem Schoß liegt, kühle Luft zufächelt. »Setzen Sie sich, Honor. Lieber Himmel, Sie sind vielleicht lustig.«

Ich stapfe wieder zurück zu der Couch ihr gegenüber, setze mich leise hin, schön manierlich, und verschränke die Arme über der Brust. »Warum?«

Dr. Hart atmet einmal kurz aus und legt sich schützend einen Arm über den Bauch. Ich habe bemerkt, dass sie zugenommen hat, seitdem ich bei ihr angefangen habe, aber ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Jetzt, wo ich sehe, wie sie vorsichtig eine Hand darüberlegt, wird es mir plötzlich klar.

»Sie sind schwanger«, platze ich heraus.

Sie grinst. »Ja, ich bin jetzt Anfang des vierten Monats. Dachten Sie, ich wäre nur etwas weicher und fülliger geworden?«

Trotzig ziehe ich noch mal die Schultern hoch. »Interessiert mich nicht. Was mich interessiert, ist, warum Sie es so lustig finden, wenn ich Ihnen sage, warum ich heute so niedergeschlagen bin? Ehrlich gesagt, Dr. Hart, verletzt das meine Gefühle.«

»Honor, es tut mir leid, dass Sie mein Lachen in den falschen Hals bekommen haben. Aber wissen Sie überhaupt, was Sie gesagt haben?«

Ich schüttele den Kopf.

»Sie sind traurig, weil heute Hannons Geburtstag ist.«

»Ja, ich weiß. Das habe ich Ihnen doch gesagt«, murmele ich grummelnd.

»Und da ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Sie, als sein Zwilling, heute auch Geburtstag haben?« Lächelnd zwinkert sie mir zu. »Happy Birthday, Honor.«

Ihre Worte treffen mich wie ein unvermittelter Schlag ins Gesicht. Ausschließlich darauf fokussiert, dass Hannon heute sechsundzwanzig geworden wäre, hatte ich blöderweise gar nicht daran gedacht, dass es auch mein Geburtstag war. Doch da er nicht hier ist, gibt es ja auch nichts zu feiern. Wir haben nämlich alle unsere Geburtstage immer gemeinsam gefeiert. Wir beide hätten einen ganzen Tag Spaß nur für uns geplant. Ohne Eltern. Denn sie erinnerten sich sowieso nie daran. Sogar Sean ließ uns, wenn er vorbeikam, den Tag für uns genießen und feierte dann eben in der Nacht privat mit Hannon.

Tränen brennen mir in den Augen. Ich blicke auf die Uhr und bemerke, dass es fast fünf ist. Der Arbeitstag ist so gut wie vorbei. Und das macht mich trauriger, als ich es mir eingestehen will. »Sie sind heute die Erste, die mir zum Geburtstag gratuliert.«

Dr. Hart beugt sich vor und legt ihre Hand auf meine, die auf meinem Knie ruht. »Und wie fühlen Sie sich dabei?«

»Allein.«