Love Charms - Die gestohlene Braut - Jane Feather - E-Book
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Love Charms - Die gestohlene Braut E-Book

Jane Feather

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Beschreibung

Im Sturm der Liebe: Der historische Liebesroman »Love Charms – Die gestohlene Braut« von Jane Feather jetzt als eBook bei venusbooks. Frankreich im 18. Jahrhundert. Endlich kann die junge Cordelia den strengen Regeln des österreichischen Hofes entfliehen – dafür nimmt sie sogar die arrangierte Ehe mit einem Mann in Kauf, den sie noch nie getroffen hat: Schließlich wird sie so nach Versailles kommen, mitten hinein ins glanzvolle Herz Frankreichs! Aber bereits die Hinreise verläuft anders als geplant, denn ihr Begleiter ist ausgerechnet ein gutaussehender Viscount, dessen rätselhafte goldene Augen sie wie magisch anziehen. Leo scheint nichts als ein verwöhntes Kind in Cordelia zu sehen – und seine überhebliche Art treibt sie schon bald zur Weißglut. Doch je öfter die beiden in Streit geraten, desto mehr beginnt Cordelia zu ahnen, dass es keineswegs Blicke der Verachtung ist, die der Viscount ihr in unbeobachteten Momenten zuwirft … »Köstlich! Sprudelnd vor überraschenden Ideen und voll packender Leidenschaft – einfach wundervoll zu lesen.« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der aufregende historische Liebesroman »Love Charms – Die gestohlene Braut« von Jane Feather ist Buch 1 der »Love Charms«-Trilogie, deren Einzelbände unabhängig voneinander gelesen werden können. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 770

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Über dieses Buch:

Frankreich im 18. Jahrhundert. Endlich kann die junge Cordelia den strengen Regeln des österreichischen Hofes entfliehen – dafür nimmt sie sogar die arrangierte Ehe mit einem Mann in Kauf, den sie noch nie getroffen hat: Schließlich wird sie so nach Versailles kommen, mitten hinein ins glanzvolle Herz Frankreichs! Aber bereits die Hinreise verläuft anders als geplant, denn ihr Begleiter ist ausgerechnet ein gutaussehender Viscount, dessen rätselhafte goldene Augen sie wie magisch anziehen. Leo scheint nichts als ein verwöhntes Kind in Cordelia zu sehen – und seine überhebliche Art treibt sie schon bald zur Weißglut. Doch je öfter die beiden in Streit geraten, desto mehr beginnt Cordelia zu ahnen, dass es keineswegs Blicke der Verachtung ist, die der Viscount ihr in unbeobachteten Momenten zuwirft …

Über die Autorin:

Jane Feather ist in Kairo geboren, wuchs in Südengland auf und lebt derzeit mit ihrer Familie in Washington D.C. Sie studierte angewandte Sozialkunde und war als Psychologin tätig, bevor sie ihrer Leidenschaft für Bücher nachgab und zu schreiben begann. Ihre Bestseller verkaufen sich weltweit in Millionenhöhe.

Bei venusbooks erscheinen als weitere Bände der Reihe »Love Charms«:

»Die geliebte Feindin – Band 2«

»Die falsche Lady – Band 3«

In der Reihe »Regency Nobles« erschienen:

»Das Geheimnis des Earls – Band 1«

»Das Begehren des Lords – Band 2«

»Der Kuss des Lords – Band 3«

In der Reihe »Die Ladys vom Cavendish Square« erschienen:

»Das Verlangen des Viscounts – Band 1«

»Die Leidenschaft des Prinzen – Band 2«

»Das Begehren des Spions – Band 3«

Die Reihe »Regency Angels« umfasst die Bücher:

»Die unwiderstehliche Spionin – Band 1«

»Die verführerische Diebin – Band 2«

»Die verlockende Betrügerin – Band 3«

***

eBook-Neuausgabe Mai 2022

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1997 unter dem Originaltitel »The Diamond Slippers« bei Bantam Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Diamantfeuer« bei Goldmann, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1997 by Jane Feather

Published by Arrangement with Shelagh Jane Feather

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1998 by Wilhelm Goldmann Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2022 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-96898-171-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

***

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Jane Feather

Love Charms – Die gestohlene Braut

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elke Bartels

venusbooks

Prolog

Paris, 1765

»Nein ... bitte, nicht noch mehr.« Die Worte kamen lediglich als ein tonloses Flüstern über die trockenen, aufgesprungenen Lippen der Frau. Mit einer kraftlosen Handbewegung versuchte sie, den silbernen Kelch wegzuschieben, der an ihren Mund gehalten wurde.

»Du muß alles trinken, meine Liebe. Es wird dich wieder gesund machen.« Der Mann hielt ihren Kopf in der Beuge seines Ellenbogens, um sie zu stützen. Ihre Augen waren geschlossen, und sie war zu schwach, um Widerstand zu leisten, als er ihr den restlichen Inhalt des Kelches einflößte. Als sie den vertrauten, bittersüßen Geschmack auf der Zunge spürte, stöhnte die Frau leise. Ihr Kopf fiel ermattet gegen seinen Arm zurück, und er ließ sie vorsichtig wieder in die Kissen zurücksinken. Er beugte sich über sie, während er in ihr schönes, totenbleiches Gesicht starrte. Ihre Haut war so durchscheinend, daß er beinahe die Knochen ihres Schädels darunter erkennen konnte. Dann schlug sie die Augen auf, und für einen Moment waren sie wieder so klar und leuchtend wie eh und je.

Einen langen, angespannten Augenblick hielt die Sterbende den Blick des Mannes gefangen. Gleich darauf schlossen sich ihre Lider wieder, und ihrer Kehle entrang sich ein gebrochenes Schluchzen von einem Atemzug.

Der Mann wich zurück in die Schatten der Bettvorhänge. Er griff nach einem Glas Wein, das auf dem Nachttisch stand, und nippte daran, während sein Blick aus kalten grauen Augen weiterhin unverwandt auf dem Gesicht der Frau ruhte. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern.

Von irgendwo hinter den Bettvorhängen ertönte ein gedämpftes Wimmern. Er schob die Vorhänge beiseite und trat in die warme, vom Schein des Kaminfeuers erhellte Kammer. Eine Amme saß neben dem Feuer und schaukelte mit einem Fuß eine Zwillingswiege.

»Soll ich Eurer Gemahlin jetzt die Kleinen bringen, Eure Hoheit?«

Der Mann ging zu der Wiege hinüber und betrachtete schweigend die beiden hellblauen Augenpaare, die beiden identischen rosigen Gesichtchen, die vier winzigen Fäuste mit Grübchen, die sich über dem Rand der blaßrosa Decke ballten.

Ob es meine Kinder sind? Er würde es wohl niemals mit Sicherheit wissen. Und es spielte im Moment auch keine Rolle. »Ja«, erwiderte er. »Sie werden der Prinzessin Trost spenden, aber sorgt dafür, daß sie sie nicht ermüden.«

»Selbstverständlich, Sir.« Die Amme bückte sich, um die beiden wimmernden Bündel aufzunehmen. Lächelnd drückte sie einen Kuß auf die kleinen Stirnen. »So, ihr zwei Hübschen. Eure Mama wartet darauf, euch zu sehen.« Dann lief sie mit ihrer Last leisen Schrittes in Richtung Bett.

Der Prinz trank in kleinen Schlucken von seinem Wein und starrte blicklos in die Flammen. Nur wenige Augenblicke später legte die Frau die Babys wieder in ihre Wiege. »Ihre Hoheit ist so schrecklich schwach. Ich befürchte, sie wird die Nacht nicht überleben«, sagte sie bedrückt.

Der Prinz gab keine Antwort. Wortlos kehrte er zu seiner Totenwache in der Dunkelheit der Bettvorhänge zurück, um auf die mühsamen, rasselnden Atemzüge seiner Ehefrau zu horchen. Er saß noch immer dort, als das Geräusch schließlich verstummte.

Er trat dicht an das Bett, beugte sich hinunter und preßte seine Lippen auf ihre, fühlte ihre tödliche Kälte, fühlte die vollkommene Leblosigkeit des schmächtigen, ausgezehrten Körpers. Langsam richtete er sich wieder auf und hob das zerbrechliche rechte Handgelenk der Toten. Er öffnete den Verschluß des Armbands, das sie trug, und hielt es einen Moment lang in das matte Licht der Lampe, die neben dem Bett brannte. Die zierlichen Anhänger an der feinen goldenen Kette glitzerten und schimmerten schockierend frivol in dieser dunklen Kammer des Todes. Er ließ das Armband in seine Tasche gleiten und rief nach der Amme.

Kapitel 1

Die prunkvolle Kolonne vergoldeter Kutschen, festlich mit Federbüschen und farbenfrohen Satteldecken herausgeputzter Pferdegespanne und berittener Offiziere in der prächtigen blaugoldenen Uniform von Versailles wand sich langsam durch die hohen goldenen Tore, um schließlich in der Mitte des weitläufigen Platzes vor dem Palast zum Halten zu kommen.

»Sieh dir nur diese beiden Kutschen an!« rief ein blondes Mädchen, das sich gefährlich weit aus einem der oberen Fenster hinausbeugte, seiner neben ihm lehnenden Gefährtin zu. »Beide sind dafür bestimmt, mich nach Frankreich zu bringen. Welche würdest du vorziehen, Cordelia? Die weinrote oder die blaue?«

»Ich wüßte wirklich nicht, welchen Unterschied das machen sollte«, erwiderte Lady Cordelia Brandenburg. »Was für ein lächerliches Theater! Der Marquis de Durfort reitet mit Pomp und Trara in die Stadt ein, als ob er den ganzen weiten Weg von Frankreich hergekommen wäre, obwohl er in Wirklichkeit erst vor einer knappen Stunde aus Wien aufgebrochen ist.«

»Aber so schreibt es das Protokoll nun einmal vor«, erklärte Erzherzogin Maria Antonia, von ihren engsten Vertrauten auch Marie-Antoinette genannt, in entrüstet tadelndem Tonfall. »Es gehört sich ganz einfach so. Der französische Botschafter muß in Wien Einzug halten, als ob er gerade aus Versailles angereist wäre. Er muß bei meiner Mutter im Auftrag des Dauphins von Frankreich formell um meine Hand anhalten. Und dann werde ich mit dem Thronfolger ferngetraut, bevor ich nach Frankreich gehe.«

»Man könnte beinahe glauben, du wärst dem Dauphin nicht schon seit drei Jahren fest versprochen«, bemerkte Cordelia. »Stell dir nur mal vor, was für einen Aufruhr es erzeugen würde, wenn die Kaiserin das Ersuchen des Botschafters plötzlich ablehnte!« Sie kicherte ausgelassen, aber ihre Freundin verstand beim besten Willen nicht, was an der Vorstellung so amüsant sein sollte.

»Sei nicht albern, Cordelia. Wenn ich Königin von Frankreich bin, werde ich dir nicht mehr erlauben, derart impertinent zu sein.« Maria Antonia rümpfte ihre zierliche Stupsnase.

»In Anbetracht der Tatsache, daß dein Bräutigam erst sechzehn ist, wirst du dich wohl noch eine Weile gedulden müssen, bis du Königin wirst«, gab Cordelia seelenruhig zurück, nicht im geringsten berührt von der Rüge ihrer fürstlichen Freundin.

»Pfui, Cordelia! Du bist eine richtige Spaßverderberin! Wenn ich Dauphine bin, werde ich die beliebteste und bedeutendste Dame in ganz Versailles sein.« Toinette drehte sich in einem Wirbel von purpurroter Seide, als ihr weiter Reifrock um sie herumschwang. Mit einer übermütigen Geste begann sie im Raum umherzutanzen, wobei ihre in zierlichen Schuhen steckenden Füße perfekt die Schrittfolge eines Menuetts vollführten.

Cordelia warf einen flüchtigen Blick über ihre Schulter zurück und wandte sich dann wieder der weitaus interessanteren Szene zu, die sich in dem Hof unterhalb des Fensters abspielte. Toinette war eine begabte Tänzerin und nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um mit ihrem Talent anzugeben.

»Also, ich wüßte zu gerne, wer das wohl ist«, sagte Cordelia laut, ihre Stimme mit einem Mal aufgeregt vor Interesse.

»Wer? Wo?« Neugierig eilte Toinette zum Fenster zurück und schob Cordelia ein Stück zur Seite, um sich neben ihr über die Brüstung zu beugen. Ihr blonder Kopf bildete einen starken Kontrast zu den rabenschwarzen Locken ihrer Freundin.

»Dort unten. Er sitzt gerade von dem weißen Hengst ab. Ein Lipizzaner, glaube ich.«

»Ja, es muß ein Lipizzaner sein. Man braucht sich ja nur die wundervollen Linien anzusehen.« Beide Mädchen waren passionierte Reiterinnen, und einen Moment lang fesselte das Pferd ihre ganze Aufmerksamkeit.

Der Mann streifte seine Reithandschuhe ab und sah sich im Hof um. Er war hochgewachsen und schlank und trug dunkle Reitkleidung und einen kurzen, mit scharlachrotem Stoff gefütterten Umhang um die Schultern. Plötzlich hob er den Kopf und blickte an der ockerfarbenen Fassade des Palasts hinauf, als ob er sich der beiden Beobachterinnen bewußt wäre. Er trat einen Schritt zurück, beschattete seine Augen mit der Hand und blickte erneut zu dem Fenster hoch.

»Komm, laß uns wieder hineingehen«, drängte die Erzherzogin. »Er hat uns gesehen.«

»Na und?« erwiderte Lady Cordelia gelassen. »Wir schauen doch nur. Findest du nicht auch, daß er attraktiv ist?«

»Ich weiß nicht«, meinte Toinette mit einer Spur von Gereiztheit. »Nun komm endlich vom Fenster weg. Es zeugt von schockierend schlechten Umgangsformen, jemanden so anzustarren. Was würde Mama wohl dazu sagen?«

Es fiel Cordelia nicht sonderlich schwer, sich vorzustellen, was Kaiserin Maria Theresia sagen würde, wenn sie ihre Tochter und deren Freundin dabei ertappte, wie sie den Reiter angafften, als ob sie in der Oper säßen und mit einem der Darsteller liebäugelten. Dennoch hielt sie irgend etwas am Fenster fest, selbst als Toinette ungeduldig an ihrem Arm zog.

Der Mann schaute immer noch zu ihr hinauf. Aus einem übermütigen Impuls heraus winkte Cordelia lächelnd und warf ihm eine Kußhand zu. Einen Moment lang sah der Fremde gründlich verdutzt drein, dann lachte er und hob seine Finger an die Lippen.

»Cordelia!« Die Erzherzogin war zutiefst empört. »Ich bleibe keine Sekunde länger hier, wenn du dich weiterhin so skandalös benimmst. Du weißt ja noch nicht einmal, wer er ist.«

»Ach, wahrscheinlich irgendein königlicher Stallmeister oder etwas Ähnliches«, gab Cordelia lässig zurück. »Ich bezweifle, daß wir ihm in all diesem Trubel noch einmal begegnen werden.« Sie pflückte ein halbes Dutzend gelber Rosen aus einer Schale auf dem breiten Fensterbrett, beugte sich so weit hinaus, wie sie konnte, und warf sie in den Hof hinunter. Die duftenden Blumen regneten auf den Reiter herab, wobei eine von ihnen auf seiner Schulter landete und sich in den Falten seines Umhangs verfing. Behutsam löste er den dornenbewehrten Stengel aus dem Stoff und schob die Rose in das Knopfloch seines Umhangs. Dann zog er seinen federgeschmückten Hut und verbeugte sich mit schwungvoller Eleganz, bevor er aus Cordelias Blickfeld verschwand, indem er den Palast durch den Eingang unterhalb des Fensters betrat.

Cordelia lachte und wich vom Fenster zurück. »Das war lustig«, sagte sie. »Es macht Spaß, wenn jemand ein bißchen Sinn für Humor hat und bei dem kleinen Spiel mitmacht.«

Auf einmal zog ein nachdenkliches kleines Stirnrunzeln ihre schmalen, feingeschwungenen Brauen zusammen. »Ein gewöhnlicher Stallmeister würde doch vermutlich keinen Lipizzaner reiten, oder?«

»Nein, natürlich nicht.« Die Erzherzogin war noch immer verärgert. »Du hast wahrscheinlich mit einem höheren Beamten aus Versailles geflirtet. Er muß dich für eine Küchenmagd oder dergleichen gehalten haben.«

Cordelia zuckte unbekümmert die Achseln. »Ich glaube nicht, daß er eine wichtige Stellung bekleidet. Außerdem bin ich mir sicher, daß er mich nicht wiedererkennen wird, wenn er mich aus der Nähe sieht.«

»Aber selbstverständlich wird er das«, gab Toinette verächtlich zurück. »Du bist die einzige hier, die solch schwarzes Haar hat.«

»Na schön, dann werde ich es eben einfach pudern«, erklärte Cordelia, während sie eine Weintraube aus einer Ranke in einer Kristallschale auswählte und sie sich in den Mund schob. Eine silberne Uhr auf dem Kaminsims schlug melodisch die Stunde. »Du meine Güte, ist das wirklich die Uhrzeit?« rief sie erschrocken. »Ich muß fliegen, sonst komme ich zu spät.«

»Zu spät? Wofür?«

Cordelias heiterer Ausdruck wich sekundenlang einer ungewöhnlich ernsten Miene. »Das erzähle ich dir, bevor du nach Frankreich abreist, Toinette.« Und schon war sie in einer duftigen Wolke von blaßgelbem Musselin aus dem Raum gewirbelt.

Die Erzherzogin zog einen beleidigten Flunsch. Anscheinend kümmerte es Cordelia nicht im geringsten, daß ihre Freundschaft in Kürze ein Ende haben würde. Versailles hatte verfügt, daß Maria Antonia alles hinter sich lassen mußte, was sie mit dem österreichischen Hof verband, wenn sie den Dauphin ehelichte und nach Frankreich übersiedelte. Sie durfte keine ihrer Hofdamen mitnehmen, nichts von ihrem Hab und Gut, noch nicht einmal ihre Kleider.

Traurig zupfte sie Trauben aus der Schale, während sie sich fragte, welches Geheimnis Cordelia neuerdings vor ihr verbarg. Sie war zwar so lustig und schalkhaft wie immer, aber sie verschwand häufig auf mysteriöse Weise, um erst Stunden später wieder auf der Bildfläche zu erscheinen, und manchmal hatte sie die Miene und das Gebaren eines Menschen an sich, der sich mit einem schwerwiegenden Problem beschäftigt. Was ganz und gar untypisch für sie war.

Cordelia, die sich der Verärgerung und Verwirrung ihrer Freundin nur zu deutlich bewußt war, sauste den Korridor hinunter zum östlichen Flügel des Palasts. Sie konnte es nicht riskieren, sich irgend jemandem anzuvertrauen. Nicht nur aus dem Grund, weil das Geheimnis zu gefährlich war, sondern auch deshalb, weil sie nicht das Recht hatte, die Sache weiterzuverbreiten. Schließlich stand Christians Lebensunterhalt auf dem Spiel. Er war von dem Wohlwollen seines Lehrmeisters Poligny abhängig, seines Zeichens Hofmusiker der Kaiserin; und dieses Wohlwollen zu verlieren würde zwangsläufig bedeuten, auf die Gönnerschaft und Unterstützung der Kaiserin verzichten zu müssen. Und Christian würde ganz sicherlich in Ungnade fallen, wenn er Poligny erst einmal öffentlich beschuldigte, die Kompositionen seines Schülers zu plagiieren. Die Anschuldigung müßte von einer unanfechtbaren Position aus erfolgen.

Cordelia eilte einen wenig benutzten Seitengang entlang und trat durch eine massive Holztür am anderen Ende. Sie war jetzt im Ostflügel des Schlosses, in einer langen Galerie, die mit schweren Gobelins geschmückt und von Wandschirmen aus gewirkter Tapete gesäumt war. Sie schlüpfte hinter den dritten Schirm.

»Wo hast du die ganze Zeit gesteckt? Warum kannst du niemals pünktlich sein, Cordelia?« Christians große braune Augen waren von Furcht erfüllt, sein Mund schmal und angespannt vor Besorgnis, sein Gesicht bleich.

»Tut mir leid. Ich habe die Ankunft der französischen Hochzeitsgesellschaft im Palasthof beobachtet«, erklärte sie. »Bitte sei mir nicht böse, Christian. Mir ist vorhin eine phantastische Idee gekommen.«

»Du weißt überhaupt nicht, wie schrecklich es ist, sich hier verstecken zu müssen und jedesmal zu erzittern, wenn eine Maus vorbeihuscht«, flüsterte er grimmig. »Was für eine Idee?«

»Angenommen, wir produzieren eine anonyme Flugschrift, auf der steht, daß Polignys neueste Oper in Wirklichkeit von seinem Meisterschüler, Christian Percossi, komponiert wurde?«

»Aber wie sollten wir das beweisen? Wer würde einer anonymen Beschuldigung schon Glauben schenken?«

»Du veröffentlichst einfach deine Originalpartitur in der Flugschrift. Unterzeichne den Vorwurf mit ›ein Freund der Wahrheit‹ oder so ähnlich. Und füge ein Muster von Polignys Kompositionen bei, um den Unterschied der beiden Handschriften zu verdeutlichen. Das sollte genügen, um die Leute aufhorchen zu lassen und für allgemeines Gerede zu sorgen.«

»Aber er wird mich aus dem Palast hinauswerfen lassen, bevor überhaupt irgend etwas geschehen kann«, hielt Christian mit düsterer Miene dagegen.

»Sei doch nicht immer so gräßlich pessimistisch!« rief Cordelia ärgerlich, wobei sie unabsichtlich die Stimme erhob. Dann biß sie sich auf die Lippen und fiel wieder in den verschwörerischen Flüsterton zurück, den sie beide benutzt hatten. »Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich mir eigentlich Gedanken um dich mache, Christian.«

Sein Lächeln war ein wenig verlegen. »Weil wir Freunde sind?«

Sie stöhnte in gespielter Frustration. Sie und Christian Percossi waren seit fünf Jahren miteinander befreundet. Doch sie mußten ihre Freundschaft notgedrungen geheimhalten, weil innerhalb der starren, festverankerten Hierarchie am Hofe Kaiserin Maria Theresias eine enge Freundschaft zwischen einem bescheidenen Schüler des Hofmusikers und einer Lady Cordelia Brandenburg – Patentochter der Kaiserin und Busenfreundin ihrer Tochter Maria Antonia – schlichtweg undenkbar war.

»Hör zu«, sagte sie eindringlich, während sie Christians lange, schlanke Musikerhände in ihre nahm. »Die Kaiserin ist für ihre Fairneß und ihren Gerechtigkeitssinn bekannt. Sie mag vielleicht schrecklich steif und förmlich sein, aber sie würde Poligny nicht gestatten, dich hinauszuwerfen, ohne dir Gelegenheit zu geben, dich zu der Sache zu äußern. Wir müssen eben einfach dafür sorgen, daß sie die Flugschrift und den Beweis zu sehen bekommt, bevor Poligny etwas gegen dich unternehmen kann. Und wir müssen sichergehen, daß Poligny von der Aktion überrumpelt wird. Er darf keine Zeit haben, Schutzmaßnahmen zu ergreifen und sich zu rechtfertigen, indem er dich angreift.«

Sie drückte tröstend seine Hände und erhob sich auf die Zehenspitzen, um ihn leicht auf die Wange zu küssen. »Verlier nicht den Mut, Christian. Wir werden uns durchsetzen, das garantiere ich dir.«

Christian schlang die Arme um Cordelia und drückte sie an sich. Früher einmal hatten sie geglaubt, mehr füreinander zu empfinden als lediglich freundschaftliche Gefühle, aber ihre naiven Experimente hatten beide ziemlich schnell davon überzeugt, daß sie nicht dazu bestimmt waren, Liebende zu sein. Dennoch genoß er es, die schlanke Geschmeidigkeit ihres Körpers unter der Hoftracht zu fühlen, den zarten Duft ihrer Haut und ihres Haares einzuatmen.

Cordelia legte den Kopf zurück und blickte lächelnd in die hungrigen braunen Augen des Musikers, während sie die kantige Schönheit seines Gesichts bewunderte. Ihre Hände zerzausten liebevoll seine dicken blonden Locken. »Ich liebe dich wirklich, Christian. Sogar noch mehr als Toinette, glaube ich.« Sie runzelte die Stirn, verwirrt über diesen völlig neuartigen Gedanken. Sie hatte bisher noch nie versucht, ihre Gefühle für ihre beiden besten Freunde zu sortieren und einzustufen. Dann schüttelte sie den Kopf und tat die Frage mit charakteristischer Entschiedenheit als irrelevant und unsinnig ab. Tatsache war, daß sie keinen von beiden im Stich lassen würde, wenn sie sie brauchten. »Versuch die Beweise zusammenzubekommen, und anschließend werden wir weitersehen. Aber jetzt muß ich gehen.«

Widerstrebend löste sich Christian von ihr. Er ließ die Hände sinken und bedachte sie mit einem hilflosen Blick. »Ich wünschte, wir müßten uns nicht immer heimlich treffen und uns in irgendwelchen Ecken und Winkeln verstecken, um ein paar Minuten miteinander zu reden. Als wir noch Kinder waren, war alles soviel einfacher.«

»Aber wir sind jetzt keine Kinder mehr«, stellte Cordelia fest. »Und mein Tun und Lassen wird jetzt sehr viel aufmerksamer beobachtet. Übrigens, wenn du Poligny mit deiner Überraschung konfrontierst, darf niemand argwöhnen, daß ich in die Angelegenheit verwickelt bin. Dann kann ich zu deinen Gunsten auf die Kaiserin einwirken ... oder zumindest«, korrigierte sie sich, »könnte ich Toinette bearbeiten, solange sie noch hier ist.« Sie ergriff abermals seine Hände und drückte sie tröstend in dem Versuch, ihm etwas von ihrer eigenen optimistischen Entschlossenheit einzuflößen. Christian war so ungeheuer sensibel, so leicht zu entmutigen. Es lag natürlich daran, daß er ein unbestreitbares Genie war, aber es konnte bisweilen schon etwas irritierend sein.

»Ich gehe jetzt. Warte noch fünf Minuten, bevor du aus deinem Versteck herauskommst.« Sie erhob sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn noch einmal, dann war sie um den Wandschirm herum verschwunden, um Christian mit dem schwachen Duft von Orangenblütenessenz zurückzulassen, mit der sie ihr Haar parfümierte, und dem nachhaltigen Eindruck ihrer quecksilbrigen Persönlichkeit – ein Eindruck, der so langsam verblaßte wie ein sich auflösender Regenbogen.

Verstohlen schlüpfte Cordelia in die lange Galerie zurück. Sie strich glättend über ihre Röcke, drehte sich um, um gemächlichen Schrittes zu der Tür am Ende des Ganges zu schlendern ... und fand sich plötzlich von Angesicht zu Angesicht dem Mann gegenüber, der den Lipizzaner geritten hatte.

Der Fremde wandte sich von seiner Betrachtung einer besonders blutigen Jagdszene auf einem Gobelin an der gegenüberliegenden Wand ab. Er trug noch immer sein scharlachrot gefüttertes Reitcape, ein verblüffender Kontrast zu dem makellosen Weiß seines rüschenbesetzten Hemds.

»Na so was«, sagte er verblüfft. »Wenn das nicht das Blumenmädchen ist! Wo kommt Ihr denn plötzlich her?«

Cordelia war ausnahmsweise einmal um Worte verlegen, als sie den prüfenden Blick ihres Gegenübers auf sich spürte und in ein Paar fröhliche, mit leuchtenden Flecken von Haselnußbraun und Grün gesprenkelte goldene Augen blickte. Ihr Herz klopfte auf einmal rasend schnell. Sie redete sich ein, es wäre Furcht, daß jemand ihren heimlichen Wortwechsel mit Christian belauscht haben könnte, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund fand sie diese Vorstellung nicht sonderlich beunruhigend. Es war etwas anderes, was diese tumultartige Verwirrung in ihrem Inneren erzeugte und ihre Handflächen feucht werden ließ.

»Hat es Euch plötzlich die Sprache verschlagen?« erkundigte sich der Fremde, wobei er fragend eine schmale dunkle Braue hochzog.

»Hinter dem Wandschirm ... ich war hinter dem Wandschirm«, brachte Cordelia schließlich stotternd hervor. »Ich ... ich habe etwas an meinem Kleid in Ordnung gebracht ... ein Haken hatte sich gelöst.« Sie riß sich zusammen und fand endlich ihre Fassung wieder, während sie ihm einen warnenden Blick aus trotzig funkelnden Augen zuwarf, daß er sich nur ja nicht erdreisten sollte, ihre Lüge zu hinterfragen.

»Ich verstehe.« Leo Beaumont betrachtete sie mit amüsierter Neugier. Was immer hinter dem Wandschirm vorgegangen war, hatte wohl kaum etwas mit Ausbesserungen an einem Kleid zu tun gehabt. Häkchen und Ösen erzeugten kein solch bezauberndes Erröten oder ein derart deutlich erkennbares Schuldbewußtsein. Er blickte vielsagend zu dem fraglichen Wandschirm hinüber, und seine Augen füllten sich mit Lachen, als er glaubte, den wahren Grund ihrer Verlegenheit erkannt zu haben. Ein heimliches Rendezvous.

»Ich verstehe«, wiederholte er, wobei unverhohlene Belustigung in seiner Stimme mitschwang. »Und ich muß sagen, ich bin gekränkt. Ich dachte, Eure Küsse wären ausschließlich für mich reserviert.«

Cordelia schluckte hart und fuhr sich unwillkürlich mit der Zungenspitze über die Lippen. Was geschah nur mit ihr? Warum sagte sie ihm nicht klipp und klar, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern? Sie redete sich ein, daß sie noch bleiben müßte, um zu verhindern, daß er hinter den Schirm spähte und Christian identifizierte. »Wer seid Ihr?« verlangte sie mit einer Unverschämtheit zu wissen, von der sie hoffte, daß sie ihn ablenken würde.

»Vicomte Kierston, zu Euren Diensten.« Er verbeugte sich höflich, anscheinend nicht im geringsten verärgert über ihren Mangel an Finesse.

Ein englischer Vicomte. Hmmm. Also doch kein schlichter Stallmeister. Cordelia kaute auf ihrer Unterlippe, als er fortfuhr, sie auf höchst entnervende Weise anzustarren und ihren Blick aus blaugrauen Augen festzuhalten. Aus der Nähe betrachtet wirkte er sogar noch attraktiver als von ihrem fernen Beobachtungsposten am Fenster aus. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn musterte und eine Bestandsaufnahme machte. Groß, schlank, mit einer hohen Stirn und einem spitzen Haaransatz; sein Haar, fast so schwarz wie ihres, unter einer Perücke mit Haarbeutel im Nacken zusammengefaßt. Sein Mund hatte etwas beunruhigend Sinnliches an sich, eine lange, feingeschwungene Oberlippe über einem energischen Kinn mit einer tiefen Kerbe.

Großer Gott im Himmel! Was dachte sie sich eigentlich? Ihre Gedanken schweiften zu Christian zurück, der noch immer hinter dem Wandschirm kauerte, aber sein Bild schien zu verblassen unter dem ruhigen, unverwandten Blick des englischen Vicomte und ihrer eigenen atemlosen Verwirrung.

»Leider kenne ich Euren werten Namen nicht«, hakte er behutsam nach, während er die Eleganz ihres Kleides registrierte, das silberne Medaillon an ihrem schlanken Hals, das perlenbestickte Band in ihrem Haar. »Ich habe nicht den Eindruck, daß Ihr ein Blumenmädchen oder eine Kammerzofe seid ... trotz Eurer Vorliebe für Küsse.«

Cordelia errötete und erwiderte verlegen: »Ich hoffe doch, Ihr werdet Stillschweigen über diesen kleinen Vorfall bewahren, Mylord.«

Um seine Mundwinkel zuckte es belustigt. »Aber ich fand Eure Begrüßung bei meiner Ankunft ausgesprochen reizend.«

»Es war töricht von mir, die Blumen zu werfen, Sir«, sagte sie steif. »Ich gebe zu, ich bin manchmal töricht, aber es war ja nur ein Spiel, und ich hatte gewiß nicht die Absicht, unhöflich zu sein, oder ... oder ...«

»Übertrieben vertraulich«, schlug Leo hilfreich vor. »Ich versichere Euch, daß ich die Sache nicht im geringsten übelgenommen habe, und um es Euch zu beweisen, gestattet mir, mein Versprechen von vorhin gutzumachen.« Und noch bevor sie vollkommen begreifen konnte, was er meinte, hatte er ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger genommen und seinen Mund auf ihren gepreßt. Seine Lippen fühlten sich kühl und geschmeidig an und dennoch fest.

Statt schockiert und voller Empörung zurückzuweichen, ertappte sich Cordelia dabei, wie sie auf den Kuß reagierte und ihre Lippen unter dem hungrigen Vorstoß seiner Zunge öffnete, während sie beinahe gierig den Duft seiner Haut inhalierte. Seine Hände glitten über ihren Rücken und umfaßten ihre Pobacken, um sie näher an sich zu ziehen. Verlangend drückte sie sich an ihn. Ihr Atem ging hastig und unregelmäßig, als heiße Wogen wilder Leidenschaft über ihr zusammenschlugen. Verwegen biß sie ihn in die Unterlippe und zerwühlte mit beiden Händen sein Haar, überwältigt und wie von Sinnen von dem verzweifelten Verlangen ihres Körpers.

Nach einem Moment löste sich Leo von ihr und wich zurück. Er starrte hinunter in ihr Gesicht, während seine eigene Leidenschaft langsam aus seinen Augen verblaßte. »Lieber Gott«, murmelte er. »Lieber Gott im Himmel. Wer seid Ihr?«

Cordelia fühlte, wie alle Farbe aus ihren Wangen wich, als ihre heftige, unkontrollierte Leidenschaft allmählich verebbte und ihr bewußt wurde, wozu sie sich gerade hatte hinreißen lassen. Ihr war zwar klar, was sie getan hatte, aber nicht, warum. Ihr Körper fühlte sich noch immer an, als stünde er in Flammen, ihre Knie waren schwach und zittrig. Mit einem unartikulierten Murmeln wirbelte sie herum, raffte mit einer Hand ihre Röcke und floh die Galerie hinunter, während ihr Reifrock wild um sie herumschwang und ihre juwelenbesetzten Absätze auf dem Marmorfußboden klapperten.

Leo starrte der davoneilenden Gestalt nach und schüttelte verwirrt den Kopf. Was als eine spielerische kleine Tändelei mit einer ausnehmend reizvollen und übermütigen jungen Frau begonnen hatte, hatte eine erstaunliche Wende genommen. Er war es nicht gewöhnt, sich in den Küssen eines naiven jungen Mädchens zu verlieren. Aber wer auch immer sie war, sie spann wahrlich einen mächtigen Zauber mit jener ungezügelten Leidenschaft. Nachdenklich hob er die Hand und berührte seine Lippe, wo sie ihn gebissen hatte. Dann wandte er sich mit einem erneuten Kopfschütteln ab, um die Galerie zu verlassen.

Im Gehen warf er einen Seitenblick auf den Wandschirm, hinter dem die stürmische Unbekannte hervorgeschlüpft war. Vermutlich verbarg der Schirm irgendeinen jungen Mann, der jener mitreißenden Woge von Verlangen zum Opfer gefallen war. Er klopfte leicht mit den Fingern an den Holzrahmen. »Ihr könnt jetzt gefahrlos wieder herauskommen.«

Leo ließ den verborgenen Liebhaber zurück, damit er unerkannt seiner Wege gehen konnte, und schlenderte in Richtung der Gästezimmer, seine hohe, glatte Stirn in nachdenkliche Falten gelegt.

Christian schlüpfte hinter dem Wandschirm hervor, als das Geräusch der Schritte schließlich in der Ferne verhallt war. Verwundert blickte er die Galerie hinauf und hinunter. Von Cordelia war keine Spur zu sehen. Was war hier vorgegangen? Er hatte die beiden miteinander sprechen hören, aber sie waren zu weit von ihm entfernt gewesen, als daß er den Wortlaut der Unterhaltung hätte verstehen können. Und dann hatte eine Zeitlang Stille geherrscht, eine verdächtige Stille, die nur von dem Scharren von Füßen auf Marmor und dem Rascheln von Stoff unterbrochen worden war. Und gleich darauf hatte er Cordelia wie gehetzt die Galerie entlanglaufen hören. Was war dort draußen geschehen? Wer war der Mann? Und was hatte er mit Cordelia gemacht?

Tief in Gedanken versunken, strebte der junge Musiker seiner eigenen bescheidenen Kammer über den Küchenräumen zu.

Ein Lakai erwartete Leo im Salon der Gästezimmerflucht. »Lord Kierston, Ihre Kaiserliche Hoheit bittet um Euer Erscheinen«, erklärte er mit einiger Hast. »Sie ist gerade in Audienz mit Herzog Brandenburg. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet.«

Leo folgte dem Lakaien durch die langen, vielverzweigten Korridore des Palasts. Nach seinem ersten Besuch vor sechs Jahren war er inzwischen einigermaßen mit den komplizierten Örtlichkeiten vertraut. Damals hatte er im Auftrag seiner eigenen Familie, die durch einen entfernten Cousin mit dem Hause Habsburg verwandt war, eine private Unterhaltung mit der österreichischen Kaiserin geführt. Wie die meisten englischen Adelsfamilien hatten auch die Beaumonts überall auf dem Kontinent einflußreiche Verwandte und nützliche Verbindungen, und an allen königlichen Höfen war ihnen jederzeit ein gastfreundlicher Empfang und eine komfortable Unterkunft sicher.

Während der letzten drei Jahre hatte Leo jedoch den größten Teil seiner Zeit am Hof von Versailles verbracht, um die Freundschaft mit dem Ehemann seiner verstorbenen Schwester, Prinz Michael von Sachsen, zu pflegen, weil er nur auf diese Weise ein wachsames Auge auf Elviras Kinder behalten konnte.

»Ah, Vicomte Kierston, wie erfreulich, daß Ihr bei diesem historischen Anlaß zugegen sein könnt.« Die Kaiserin begrüßte ihn herzlich. Mit dreiundfünfzig Jahren und nach der Geburt von sechzehn Kindern war ihre einstige Schönheit jetzt nur noch ein Schattenbild. Sie reichte ihm ihre Hand zum Handkuß, dann bedeutete sie ihm mit einer flüchtigen Geste, in einem Sessel Platz zu nehmen. »Wir sind heute nachmittag sehr zwanglos«, erklärte sie mit einem Lächeln. »Wir besprechen gerade die Einzelheiten von Cordelia Brandenburgs Eheschließung mit Prinz Michael von Sachsen.«

Leo verbeugte sich mit dem verbindlichen Ausdruck eines erfahrenen Diplomaten vor dem Herzog Brandenburg. »Mein Schwager wünscht, daß ich bei der Trauung als sein Stellvertreter fungiere, Herzog. Ich hoffe, Ihr seid mit dieser Regelung einverstanden.«

»Oh, aber gewiß doch, gewiß doch.« Herzog Franz Brandenburgs fleischige Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das eine Reihe gelblich verfärbter Zähne enthüllte, so spitz wie Fangzähne. »Ich habe die Eheverträge geprüft, und alles scheint in Ordnung zu sein.« Er rieb sich die Hände in einer Geste der Befriedigung. Cordelias Preis war hoch, doch Prinz Michael von Sachsen, der preußische Gesandte am Hof von Versailles, hatte noch nicht einmal zu handeln versucht.

Leo begnügte sich mit einem knappen Kopfnicken. Michael hatte ziemlich überraschend entschieden, sich eine neue Ehefrau zuzulegen, und zwar ein junges, unberührtes Mädchen, das ihm den ersehnten männlichen Erben gebären würde. Zwillingstöchter konnten auf dem Heiratsmarkt verkauft werden, wenn die Zeit gekommen war, aber sie waren nicht erbberechtigt, und sie konnten nicht den Fortbestand des Namens von Sachsen sichern. Cordelia Brandenburg, die Patentochter der Kaiserin, war eine höchst geeignete Partie für einen Prinzen aus dem Hause von Sachsen. Mit ihren sechzehn Jahren würde sie über die gesellschaftlichen Anforderungen und Verpflichtungen, die ihre Stellung mit sich brachte, bestens Bescheid wissen, im übrigen jedoch noch ziemlich naiv und unerfahren sein und natürlich jungfräulich.

Leos einziges Interesse an der angehenden Braut seines Schwagers galt dem Umstand, daß sie die Stiefmutter seiner beiden kleinen Nichten werden würde. Sie waren jetzt in einem Alter, wo sie dringend den begütigenden Einfluß einer Mutter brauchten. Ihr Vater war ein kühler, reservierter Autokrat, der ihre ständige Pflege und Betreuung einer ältlichen, bedürftigen Verwandten überließ, für die Leo nur Verachtung übrig hatte. Louise de Nevry war viel zu engstirnig und borniert, um die Erziehung und das Wohlergehen von Elviras temperamentvollen Kindern zu überwachen.

Mit einem Mal wurde er sich bewußt, daß seine Hände zu Fäusten geballt waren und sein Kiefer derart verkrampft, daß Schmerz an der Seite seines Kopfes hinaufschoß. Er zwang sich, sich zu entspannen. Wann immer er an den plötzlichen Tod seiner Zwillingsschwester dachte, erfüllten ihn ohnmächtiger Zorn und eine fast unerträgliche innere Anspannung. Ihr Tod war so absolut sinnlos gewesen. So abrupt. Zugegeben, ihre Ehe mit Michael hatte sie verändert und ihre herzerfrischende Lebhaftigkeit gedämpft; aber als Leo seine Schwester in jenem Februar 1765 verlassen hatte, um nach Rom zu gehen, war sie so voller Leben, so schön und strahlend wie eh und je gewesen. Im Geist konnte er noch immer ihre tiefblauen Augen – die Augen ihrer Mutter – vor sich sehen, als sie ihm Lebewohl gesagt hatte. In der Tiefe ihres Blickes hatte ein Schatten gelauert, den er damals allerdings der Traurigkeit über ihre Trennung zugeschrieben hatte. Sie hatten es immer gehaßt, allzuweit von einander entfernt zu sein.

Eine Woche später war Elvira tot gewesen. Und als Leo jetzt ihr Bild in seiner Erinnerung heraufbeschwor, sah er nichts weiter als jenen düsteren Schatten in ihren Augen, und dann fiel ihm auch wieder ein, daß ihr Blick schon eine ganze Reihe von Monaten von einer kaum wahrnehmbaren Melancholie erfüllt gewesen war und daß ihr Lachen manchmal gezwungen geklungen hatte und daß er einmal mit großer Bestürzung einen Ausdruck auf ihrem Gesicht wahrgenommen hatte, den er noch nie zuvor an ihr beobachtet hatte. Einen Ausdruck fast panischer Angst. Aber Elvira hatte nur gelacht, als Leo versucht hatte, der Sache auf den Grund zu gehen, und er hatte nicht weiter darüber nachgedacht ... bis nach ihrem Tod. Jetzt konnte er kaum an etwas anderes denken.

»Lord Kierston?«

Leo kehrte mit einem Ruck in die Gegenwart zurück und zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Umgebung zu konzentrieren. Die Kaiserin sprach mit ihm. »Wie ich gehört habe, habt Ihr die Zusicherung des französischen Königs, daß Cordelia meine Tochter nach Versailles begleiten darf, wenn sie mit Prinz Michael vermählt ist?« erkundigte sich Maria Theresia.

Tatsächlich stammte die Zusicherung von Madame Dubarry, der Mätresse des französischen Königs, aber wie sie alle wußten, war das Wort der Dubarry so gut wie das des Königs. »Ja, in der Tat, Eure Majestät«, beeilte sich Leo zu erklären. »Seine Majestät hat volles Verständnis dafür, daß es schwer für die Erzherzogin sein wird, anläßlich ihrer Eheschließung mit dem Dauphin alles und jeden, den sie kennt, in der Heimat zurückzulassen.«

»Meine Tochter wird Frankreich bereitwillig als ihr Land annehmen«, stellte die Kaiserin fest. »Sie kennt ihre Pflicht. Sie weiß, daß sie geboren wurde, um zu gehorchen.« Sie nickte entschieden. »Und Cordelia wird natürlich entzückt sein, Marie-Antoinette zu begleiten – und eine solch vorteilhafte Heirat zu akzeptieren. Ihr habt die Angelegenheit mit ihr besprochen, Herzog?« Sie wandte sich mit einem fragenden Lächeln an Franz.

Der Herzog zuckte die Achseln. »Ich habe bisher keine Notwendigkeit dafür gesehen, Madame. Cordelia weiß ebenfalls, daß sie geboren wurde, um zu gehorchen und ihre Pflicht zu erfüllen. Ich denke, jetzt ist noch Zeit genug, um ihr von ihrem Glück zu erzählen.«

Glück? Leos Gesicht war völlig ausdruckslos. Michael war ein vertrockneter preußischer Prinz von strenger, unbeugsamer Wesensart; es konnte durchaus sein, daß eine Sechzehnjährige einem solchen Glück eine Spur skeptisch gegenüberstünde. Als er Elvira geheiratet hatte, war Michael nicht derart starr gewesen, aber ihr Tod hatte ihn in gewisser Weise verschlossen und unzugänglich gemacht.

»Meine Nichte wird also mit Prinz Michael ferngetraut werden und die Dauphine nach Versailles begleiten. Ihr, Vicomte, werdet als ihre Eskorte fungieren, wie ich gehört habe.«

»Ja, Herzog. Es wird mir eine Ehre und ein Vergnügen sein.« Leo neigte bestätigend den Kopf, während er müde dachte, wie anstrengend es sein würde, eine gezierte kleine Debütantin auf einer solch langen und strapaziösen Reise zu begleiten.

»Cordelia sollte unverzüglich informiert werden. Laßt nach Lady Cordelia schicken.« Die Kaiserin winkte ihren Sekretär herbei, der sich verbeugte und eiligen Schrittes den Raum verließ. »Ich möchte, daß diese Angelegenheit geregelt ist, bevor die Hochzeitsfeierlichkeiten beginnen. Wir werden alle geschäftlichen Dinge erledigt haben, damit wir uns bei diesem frohen Ereignis auch wirklich unbeschwerten Herzens amüsieren können.« Maria Theresia lächelte milde.

Cordelia starrte unkonzentriert auf den lateinischen Text vor ihr. Die Worte ergaben einfach keinen Sinn, die grammatikalische Konstruktion war ihr ein Rätsel. Als sie sich mit der Übersetzung abmühte und sich dabei ständig verhaspelte, konnte sie die verwirrte Ungeduld von Abbé Vermond spüren, des Erzbischofs von Toulouse, der sowohl sie als auch Marie-Antoinette unterrichtete. Cordelia stotterte sonst nie. Sie fand großes Vergnügen daran, die Feinheiten der lateinischen Sprache zu erforschen und sich intensiv mit Philosophie, Geschichte und Mathematik zu beschäftigen. Im Gegensatz zu Toinette, deren Aufmerksamkeitsspanne gleich Null war, war Cordelia im allgemeinen eine intelligente, lernbegierige Schülerin mit schneller Auffassungsgabe. Aber nicht heute.

Heute überliefen sie heiße und kalte Schauer, und sie fühlte abwechselnd verwirrte Verlegenheit und hilflose Wut in sich aufsteigen, wenn sie an ihre Begegnung mit dem Engländer dachte. Und dann – wenn sich ihr Körper wieder an das Gefühl erinnerte, wie sich seine festen, muskulösen Glieder durch den dünnen Musselin ihres Kleides an sie gepreßt hatten, wenn sich ihre Lippen an die kühle Geschmeidigkeit seines Mundes erinnerten, wenn sich ihre Zunge des sinnlichen Geschmacks seiner Lippen entsann – wurde sie erneut von einem pulsierenden Verlangen überwältigt, von dem sie wußte, daß sie es als unanständig und schamlos betrachten sollte. Und dennoch konnte sie nicht ein Jota Schuldbewußtsein oder Scham in sich entdecken. Alles, was sie fühlte, war pures, prickelndes Vergnügen.

Sie warf einen verstohlenen Seitenblick auf Toinettes blonden Kopf, der über die Bücher gebeugt war. Die Erzherzogin beschäftigte sich damit, müßig an den Rand ihres Textes zu kritzeln und kleine Zeichnungen von Blumen und Vögeln zu fabrizieren. Sie gähnte, wobei sie sich vornehm ihre feine weiße Hand vor den Mund hielt, ihre Langeweile fast greifbar in dem warmen, von Frühlingssonnenschein erfüllten Raum.

Ob Toinette schon jemals diese seltsame Erregung gespürt hatte, dieses berauschende Bewußtsein einer unbekannten Verheißung? Cordelia war überzeugt, daß ihr diese Gefühle fremd waren. Hätte Toinette solch geheimnisvolle Sehnsüchte gekannt, dann hätte sie sie mit Sicherheit ihrer Freundin anvertraut.

In dem Moment ertönte ein Klopfen an der Tür. Toinette setzte sich auf und blinzelte, um die schläfrige Benommenheit aus ihren Augen zu vertreiben. Cordelia drehte sich nur mit milder Neugier nach dem Lakaien um, der in der Tür stand. »Lady Cordelia wird gebeten, augenblicklich vor der Kaiserin zu erscheinen.«

»Was könnte meine Mutter von dir wollen?« fragte Toinette stirnrunzelnd. »Warum will sie dich sprechen, ohne daß ich dabei bin?«

»Ich habe keine Ahnung.« Cordelia wischte ihren Federkiel sorgfältig an einem Lappen ab und legte ihn auf das Löschblatt neben dem Tintenfaß. Es war ein bisher einmaliges Ereignis, derart herbeizitiert zu werden, aber es gehörte sich nicht, die Kaiserin warten zu lassen. »Wenn Ihr mich bitte entschuldigen würdet, mon père.« Sie knickste vor dem Erzbischof und eilte zur Tür. Der Lakai geleitete sie mit einer Verbeugung hinaus und führte sie zum Audienzzimmer der Kaiserin, obwohl sie den Weg problemlos allein gefunden hätte.

Sie betrat den Raum, während sie mit raschem Blick die Anwesenden registrierte. Beim Anblick des englischen Vicomte, der hinter dem Stuhl der Kaiserin stand, durchfuhr sie ein solcher Schreck, daß sie vor Bestürzung und Überraschung zusammenzuckte. Hastig senkte sie die Augen und versank in einen tiefen Hofknicks vor der Kaiserin. Auf diese Weise entging ihr der Ausdruck in den Augen des jungen Engländers.

Ihr Onkel, der sein gichtkrankes Bein auf einen Schemel gelegt hatte und mit einer Hand den Silberknauf seines Spazierstocks umfaßt hielt, begrüßte sie mit einem knappen Nicken.

Leo wandte sich ab, während er sich angestrengt bemühte, seine Fassung wiederzugewinnen. Dies also war Cordelia Brandenburg! Keine albern kichernde Debütantin, sondern eine schelmische, herausfordernde und sinnliche junge Frau. Genau wie Elvira vor ihrer Ehe gewesen war.

»Cordelia, meine Liebe, dein Onkel hat eine höchst vorteilhafte Partie für dich arrangiert«, begann die Kaiserin ohne Umschweife. »Prinz Michael von Sachsen ist der preußische Gesandte am Hof von Versailles. Als seine Ehefrau wirst du deinen Platz an jenem Hofe einnehmen, und du wirst in der Lage sein, Marie-Antoinette weiterhin als Freundin und Gefährtin zur Seite zu stehen.«

Cordelias Gedanken überschlugen sich. Sie konnte die Neuigkeit noch nicht richtig fassen. Sie sollte ebenso wie Toinette verheiratet werden? Und sie würden gemeinsam nach Frankreich gehen? Die Vorstellung war fast zu schön, um wahr zu sein – daß es ihr tatsächlich vergönnt sei sollte, der tyrannischen Herrschaft ihres Onkels und den strikten Beschränkungen des österreichischen Hofes zu entrinnen, um statt dessen in jenem glitzernden Palast von Versailles zu leben, in der Märchenwelt des französischen Hofes.

»Vicomte Kierston, der Schwager des Prinzen, wird als Stellvertreter bei deiner Trauung fungieren, die am Tag nach der Ferntrauung der Erzherzogin mit dem Dauphin stattfinden wird.« Ihr Onkel sprach jetzt in dem bestimmten, herrischen Tonfall, den sie nur zu gut kannte.

Leo wandte sich langsam wieder zu den Anwesenden um. Cordelia starrte ihn wie hypnotisiert an. »Ihr ... Ihr sollt mein Ehemann werden.« Sie war sich überhaupt nicht bewußt, was sie sagte; die Worte kamen wie von selbst über ihre Lippen.

»Er fungiert nur als Stellvertreter deines Bräutigams, Kind ... nur als Stellvertreter«, korrigierte die Kaiserin sie scharf. »Prinz Michael von Sachsen wird dein Ehemann sein.«

»Ja ... ja, natürlich.« Aber Cordelia hörte die Worte der Kaiserin kaum. Sie blickte den Vicomte an, und wieder duchzuckte es sie heiß, als Erregung wie ein Glutstrahl durch ihre Adern schoß. Sie hätte nicht sagen können, was die Ursache war; das elektrisierende Prickeln schien irgendeiner sprudelnden Quelle zu entspringen, die sowohl in ihrem Bewußtsein als auch in ihren Lenden existierte. Es war ein ganz sonderbares Gefühl, erschreckend und wundervoll zugleich.

Sie schenkte Leo ein Lächeln, und der Ausdruck in ihren Augen war so unverhüllt sinnlich, daß er befürchtete, die anderen im Raum würden ihn sehen und ihn ohne Zweifel richtig interpretieren. Rasch trat er einen Schritt vor und zog etwas aus seiner Tasche.

»Prinz Michael hat mir ein Verlobungsgeschenk für Euch mitgegeben, Lady Cordelia.« Er achtete sorgfältig darauf, seine Stimme ausdruckslos klingen zu lassen, und vermied es, ihr in die Augen zu sehen, als er ihr ein kleines Päckchen überreichte. »Ihr werdet auch eine Miniatur des Prinzen darin finden.« Er trat zurück, entzog sich ihrem prüfenden Blick.

Cordelia öffnete die flache Samtschachtel und entfernte eine Schicht Seidenpapier. Vorsichtig zog sie ein goldenes, perlenbesetztes Armband mit Anhängern heraus und hielt es in das Licht, das zum offenen Fenster hereinströmte. Die mit Juwelen geschmückten Anhänger schwangen leicht hin und her in der milden Brise.

»Sehr hübsch«, bemerkte die Kaiserin anerkennend.

Leo runzelte die Stirn. Er war gar nicht auf die Idee gekommen, sich Gedanken um das Verlobungsgeschenk des Prinzen zu machen. Es war ihm unwichtig erschienen. Aber jetzt sah er, daß es das Armband war, das Elvira gehört hatte, ein Geschenk von ihrem Ehemann anläßlich der Geburt der Zwillinge. Seine Lippen wurden schmal. Michael war zwar ein äußerst sparsamer Mann, doch einer neuen Ehefrau ein Schmuckstück von einer Toten zu schenken schien im höchsten Maße gefühllos, um es milde auszudrücken.

»Oh, seht doch, hier ist ja noch ein Anhänger!« Cordelia war für einen Moment von dem emotionalen Tumult in ihrem Inneren abgelenkt. Sie hob einen winzigen, mit Diamanten besetzten Goldpantoffel auf. »Wie fein er gearbeitet ist!« Das zierliche Schühchen aus Gold lag auf ihrer Handfläche, während die kostbaren Steine im Licht glitzerten. »Prinz Michael will mir damit wohl zu verstehen geben, daß dies mein ganz spezieller persönlicher Glücksbringer sein soll.«

»Wir werden das Armband und den Anhänger zum Juwelier schicken, Cordelia, damit er den kleinen Pantoffel an der Kette befestigt«, sagte Maria Theresia energisch und wandte sich wieder dem geschäftlichen Teil der Sache zu. »Leg die Teile auf den Tisch dort drüben. Und nun wirf einen Blick auf die Miniatur von Prinz Michael.«

Widerstrebend legte Cordelia das Armband nieder und wickelte das kleine runde Päckchen aus, das zuunterst in der Schachtel gelegen hatte. Das Porträt ihres zukünftigen Ehemannes blickte ihr aus einem schmalen lackierten Rahmen entgegen. Es war schwierig, irgendeine Vorstellung von dem Menschen hinter dem matten, glanzlosen Bild zu bekommen. Sie sah blasse Augen unter dichten, buschigen Brauen, einen geraden, schmallippigen Mund, ein vorspringendes Kinn. Sein Haar war unter einer gelockten und gepuderten Perücke verborgen. Er sah ziemlich humorlos aus, sogar streng, aber da sie beide Eigenschaften von ihrem Onkel her kannte und es gewöhnt war, damit umzugehen, beunruhigte sie der Gedanke nicht weiter. Der Prinz hatte keine offensichtlichen körperlichen Defekte, soweit sie es erkennen konnte, abgesehen von seinem Alter. Er war eindeutig nicht mehr in der Blüte seiner Jugend. Aber wenn das alles war, was es an ihrem zukünftigen Ehemann auszusetzen gab, konnte sie sich immer noch glücklicher als viele ihrer adligen Geschlechtsgenossinnen schätzen, die ohne Rücksicht auf Zuneigung an jeden verkauft wurden, der den Bedürfnissen und Anforderungen ihrer Familie gerecht wurde.

Ihr Blick schweifte zurück zu Vicomte Kierston. War er verheiratet? Sie spürte wieder dieses seltsame Prickeln der Erregung in ihrem Blut. Ihre Augen weiteten sich, und sie war drauf und dran, einen Schritt auf ihn zu zu machen. Aber er wich ihr aus, und in seinen Augen war eine solch deutliche, unmißverständliche Warnung zu lesen, daß sie sich hastig wieder faßte.

»Ist das Porträt neueren Datums?« fragte sie pflichtbewußt.

»Es wurde im letzten Monat gemalt«, erklärte der Vicomte.

»Ich verstehe. Und hat der Prinz auch eine Miniatur von mir?«

»Selbstverständlich«, warf ihr Onkel mit einer Spur von Ungeduld ein. »Man könnte wohl kaum von Prinz Michael erwarten, daß er um deine Hand anhält, ohne vorher zumindest ein Bild von dir gesehen zu haben.«

»Nein, natürlich nicht«, murmelte Cordelia.

»Der Vicomte wird dich auf deiner Reise nach Versailles begleiten«, stellte der Herzog fest, wobei er mit seinem Spazierstock auf den Boden hämmerte, als wollte er seinen Worten besonderen Nachdruck verleihen.

»Ich bin äußerst dankbar für die Begleitung Seiner Lordschaft.« Cordelia knickste sittsam vor dem Vicomte. »Ich füge mich den Wünschen meiner Kaiserin und meines Onkels in allen Punkten.« Sie hob den Kopf, um dem Blick des Vicomte zu begegnen, und wieder war Leo verblüfft über das Feuer der Leidenschaft, das in den blaugrauen Tiefen ihrer Augen loderte. Wer zum Teufel ist sie? dachte er irritiert. Eine Unschuld kurz vor dem sinnlichen Erwachen? Oder eine Frau, der die Geheimnisse jenes Territoriums bereits von Geburt an im Blut lagen?

Die feinen Härchen in seinem Nacken prickelten, als die beunruhigende Gewißheit in ihm aufstieg, daß er es bald herausfinden würde.

Kapitel 2

Christian lag im Korridor vor dem Audienzzimmer der Kaiserin auf der Lauer. Er wußte, daß Cordelia zu einer Unterredung mit der Kaiserin und ihrem Onkel gerufen worden war. Ihm summten förmlich die Ohren von den Gerüchten, die im Palast kursierten. Wenn es darum ging, Klatsch zu verbreiten, waren Bedienstete schneller als ein Panther bei der Verfolgung seiner Beute, und Lady Cordelias Name war in aller Munde. Bisher war zwar nichts Spezielles gesagt worden, aber man war sich allgemein darüber einig, daß die Ankunft der französischen Delegation nicht nur für die Zukunft der Erzherzogin, sondern auch für Lady Cordelias weiteres Schicksal bedeutsam war.

Nervös zupfte Christian an einem losen Nagelhäutchen, während er sich in einer Fensternische verbarg. Er wußte, er würde auf dem öffentlichen Korridor nicht freiheraus sprechen können, aber er war zu neugierig und beunruhigt, um sich in Geduld zu fassen und darauf zu warten, daß Cordelia ihn aufsuchte. Etwas Merkwürdiges war vorhin in der Galerie zwischen ihr und dem Mann vorgegangen, soviel stand fest. Er brannte darauf zu erfahren, was zwischen den beiden passiert war und ob es in irgendeinem Zusammenhang mit dem stand, was im Moment geschah – was immer das auch sein mochte.

Die Tür zum Audienzzimmer öffnete sich, und ein großer Mann in dunkler Reitkleidung kam heraus. Er blieb einen Augenblick im Korridor stehen, und seine Miene, die eine Sekunde zuvor noch von ruhiger Neutralität geprägt gewesen war, wurde plötzlich überraschend lebhaft. Christian wußte nicht, wer der Mann war, aber das amüsierte Glitzern in seinen haselnußbraunen Augen war so einladend, daß er beinahe aus der Nische hervorgekommen wäre, um auf ihn zuzugehen. Ein Stirnrunzeln zog die Brauen des Fremden zusammen, und die Belustigung in seinen Augen wich abrupt einem grüblerischen Ausdruck. Dann verschwand der angespannte Zug um seinen Mund wieder, und ein Lächeln spielte um seine Lippen. Noch immer still vor sich hin lächelnd, schlenderte er den Korridor hinunter und ging an Christian vorbei, ohne auch nur mit einem Blick Notiz von ihm zu nehmen, während sein kurzes Reitcape bei jedem seiner langen, federnden Schritte um ihn herumschwang.

Christian blickte ihm nach und fragte sich, was der Fremde nur an sich hatte, daß er derart charismatisch wirkte. Der Mann schien eine fast magnetische Ausstrahlung zu besitzen. Dann tat Christian die Frage mit einem Achselzucken ab und konzentrierte sich wieder auf seine Wache. Die Kaiserin hielt Cordelia über Gebühr lange auf. Herzog Franz Brandenburg verließ als nächster den Raum, schwer auf seinen Stock gestützt, sein feistes Gesicht wie gewohnt zu einer finster-verdrießlichen Miene verzogen. Er ignorierte den Musiker und stapfte den Gang hinunter. Einen Augenblick später hastete ein Lakai im Laufschritt an ihm vorbei, aber Cordelia ließ sich noch immer nicht blicken.

Christian wandte sich zum Fenster um und blickte gelangweilt in den Hof hinunter. Gepäckwagen, Kutschen und Pferde drängten sich dicht an dicht auf dem gepflasterten Platz, während der Palast mit den Vorbereitungen beschäftigt war, diejenigen unterzubringen und zu bewirten, die gekommen waren, um die Erzherzogin in ihr künftiges Leben zu entführen.

Das Geräusch flinker, leichtfüßiger Schritte hinter ihm ließ Christian wieder zum Korridor herumfahren. Marie-Antoinette hüpfte den Gang entlang zur Tür ihrer Mutter. Toinette bewegte sich kaum jemals in normalem Schrittempo irgendwohin.

Christian runzelte verwirrt die Stirn, als die Erzherzogin in das Audienzzimmer vorgelassen wurde. Ob es irgendwelchen Ärger gegeben hatte? War das vielleicht der Grund, warum beide Mädchen vor der Kaiserin erscheinen sollten? Waren er und Cordelia irgendwo gesehen worden, wie sie in einem Winkel der Gärten verstohlen miteinander flüsterten? Von fieberhafter Besorgnis und Unruhe erfaßt, begann er, im Korridor auf und ab zu wandern, ohne sich der neugierigen Blicke vorbeieilender Bediensteter bewußt zu sein.

In dem privaten Raum der Kaiserin, der an das Audienzzimmer angrenzte, umarmte Marie-Antoinette ihre Freundin unter Freudentränen. »Ich kann es immer noch nicht glauben, Cordelia. Du wirst mit mir kommen! Ich werde nicht allein sein!«

»Seine Majestät hat sehr viel Rücksichtnahme bewiesen, Kind.« Maria Theresia betrachtete die beiden einander umschlungen haltenden Gestalten mit wohlwollendem Lächeln. Die Freundschaft zwischen ihrer Tochter und Cordelia erfüllte sie mit Zufriedenheit, vor allem deshalb, weil ihre Patentochter – ein Jahr älter als die Erzherzogin und weitaus verständiger – oft einen ernüchternden Einfluß hatte. Zugegeben, Cordelias lebhaftes Temperament führte gelegentlich dazu, daß beide auf Abwege gerieten; dennoch war Maria Theresia zuversichtlich, daß die Ehe und die schwere Bürde gesellschaftlicher Verpflichtungen, die ihre Position am Hof von Versailles mit sich brächte – von der Mutterschaft ganz zu schweigen –, jeden unerwünschten Übermut in beiden Mädchen im Keim ersticken würden.

»Ist das sein Porträt? Laß mich mal sehen!« Toinette griff nach der Miniatur und begutachtete sie kritisch. »Er ist ziemlich alt.«

»Was für ein Unsinn!« schalt die Kaiserin. »Der Prinz ist in der Blüte seiner Jahre. Ein Mann von großem Reichtum und Einfluß am französischen Hof.«

»Wie kommt es, daß der Vicomte Prinz Michaels Schwager ist, Madame? Ist er mit der Schwester des Prinzen verheiratet?« Cordelia sagte sich, daß es eine durchaus gerechtfertigte Frage war und daß sie die Antwort nur peripher interessierte.

»Prinz Michael war mit der Schwester des Vicomte verheiratet«, erklärte die Kaiserin. »Unglücklicherweise verstarb sie vor einigen Jahren und hinterließ zwei kleine Töchter – Zwillinge, soweit ich weiß.«

Aber er könnte mit jemand anderem verheiratet sein. Warum konnte sie sich Vicomte Kierston nicht endlich aus dem Kopf schlagen? Was kümmerte es sie, ob er verheiratet war oder nicht? Cordelia nahm sich ins Gebet, aber ihren Selbstvorwürfen schien es an Überzeugungskraft zu fehlen.

»Oh, dann wirst du ja sofort Mama sein!« rief Toinette und vollführte eine kleine Pirouette. »Wird dir das gefallen, Cordelia?«

Noch eine Sache, die offenbar niemand für nötig gehalten hat, mir mitzuteilen, dachte Cordelia, bestürzt über diese Information. Woher sollte sie wissen, ob sie fähig sein würde, zwei unbekannte kleine Mädchen zu bemuttern? Sie war noch nicht bereit, Mutter zu werden und Kinder großzuziehen, ganz gleich, ob leibliche oder fremde; sie fing ja gerade erst an zu versuchen, auf eigenen Beinen zu stehen. »Das hoffe ich doch sehr«, erklärte sie, wohl wissend, daß es die einzig akzeptable Antwort für die Kaiserin war.

»Du mußt die Miniatur an dein Kleid stecken«, sagte Toinette eifrig. »So wie ich, siehst du?« Sie zeigte auf das Porträt des Dauphin, das sie jetzt trug. Geschickt befestigte sie die Miniatur des Prinzen an Cordelias Musselinoberteil. Sie trat einen Schritt zurück, begutachtete ihr Werk und nickte dann zufrieden. »Jetzt bist du richtig verlobt, genau wie ich.«

»Na schön, dann lauft, ihr zwei. Ihr müßt euch für den Ball heute abend umkleiden«, wies Maria Theresia die Mädchen mit einem liebevollen Lächeln an. »Ihr werdet beide wunderschön aussehen ... zwei entzückende Bräute.« Sie tätschelte den blonden Kopf und den dunklen, dann drückte sie einen Kuß auf jeden Scheitel. »Seid so gut und laßt mich jetzt allein. Ich muß vor dem Essen noch einige Dokumente durchsehen.«

Toinette hakte Cordelia unter und tanzte mit ihr zum Zimmer hinaus. »Gott, ist das alles aufregend«, plapperte sie aufgekratzt. »Ich bin ja so glücklich. Ich hatte große Angst, obwohl ich mich nicht getraut habe, es zuzugeben, aber jetzt fürchte ich mich überhaupt nicht mehr davor, nach Frankreich zu gehen. Wir werden Versailles im Sturm erobern, und alle werden den beiden atemberaubenden Bräuten aus Wien zu Füßen liegen, wart’s nur ab.« Lachend ließ sie Cordelias Arm los und rannte wie der Wirbelwind den Korridor hinunter. Cordelia war zu intensiv damit beschäftigt, ihre tumultartigen Gedanken und Gefühle zu ordnen, um in der Lage zu sein, in Toinettes Jubel einzustimmen, und sie folgte sehr viel langsamer.

»Cordelia!« Christian griff nach ihrem Arm, als sie an der Nische vorbeiging, und zog sie mit einem unsanften Ruck hinter den Vorhang. »Was geht hier vor? Was ist passiert? Wer war dieser Mann, mit dem du in der Galerie zusammen warst?«

Cordelia blickte nervös über ihre Schulter zurück. Ein Majordomus war gerade um die Ecke des Korridors gebogen und strebte mit wichtigtuerischem Gebaren zur Tür der Kaiserin. »Ich soll verheiratet werden«, flüsterte sie. »Und der Mann in der Galerie war Vicomte Kierston. Er soll bei der Trauung als Stellvertreter meines Bräutigams fungieren. Aber wir können hier nicht reden. Wir treffen uns in der Orangerie an der gewohnten Stelle – um Mitternacht. Dann kann ich mich für eine Weile vom Ball wegschleichen. Mir ist vorhin eine absolut brillante Idee gekommen, die alle deine Probleme lösen wird.«

Hastig legte sie Christian einen Finger auf die Lippen, als es so aussah, als ob er lautstark protestieren wollte. Erneut warf sie einen Blick auf den sich nähernden Majordomus, bevor sie sich rasch auf die Zehenspitzen erhob und Christian auf die Wange küßte. Eine Sekunde später war sie aus der Nische geschlüpft und ging ruhig den Korridor entlang. Christian hörte, wie sie den Haushofmeister höflich grüßte, während er darauf wartete, daß der Mann vorbeiging, bevor er ebenfalls hinter dem Vorhang hervorkam.

Cordelia steckte immer voller brillanter Ideen, aber wie konnte der Umstand, daß sie heiraten und Wien aller Voraussicht nach verlassen würde, irgendeines seiner Probleme lösen? Es würde schlicht und einfach bedeuten, daß er seine beste Freundin und Vertraute verlor.

Der Galaempfang, der die Woche voller Festlichkeiten einleitete, um die Vermählung der Erzherzogin mit dem Dauphin von Frankreich zu feiern, fand in der Großen Galerie statt. Die hohen Fenster standen zu den ausgedehnten, von Fackeln beleuchteten Gärten hin offen, wo bunte Springbrunnen plätscherten, deren schäumende Fontänen von den goldgerahmten Kristallspiegeln der Galerie reflektiert wurden.

Cordelia schielte unablässig mit einem Auge nach der Uhr, selbst wenn sie von schwitzenden jungen Männern in gepuderten Perücken über das Parkett gewirbelt wurde, ihre Gesichter hochrot von den Anstrengungen des Tanzes und der Hitze von viertausend Kerzen. Normalerweise tanzte sie für ihr Leben gern, aber an diesem Abend war sie nicht so recht mit dem Herzen bei der Sache. Christian hatte zu Beginn des Empfangs ein Konzert gegeben und das Publikum mit seiner wundervollen Musik in seinen Bann gezogen. Poligny hatte während des gesamten Vortrags beifällig genickt und das Verdienst sowohl für die Komposition als auch für die glänzende Leistung seines Schülers mit dreister Unverfrorenheit für sich in Anspruch genommen. Am Ende des Konzerts hatte die Kaiserin, hocherfreut über den Eindruck, den ihre Musiker auf ihre ausländischen Gäste gemacht hatten, Poligny eine schwere Geldbörse überreicht. Die Förderung genialer Talente war zwar eine fürstliche Verpflichtung, aber es war doch sehr befriedigend, einen solch greifbaren Beweis der Anerkennung in der Hand zu halten, wie Poligny fand. Die Kaiserin würde von ihm erwarten, daß er den Inhalt der Börse mit seinem Meisterschüler teilte, doch Cordelia wußte ebensogut wie Christian, daß er von Glück reden konnte, wenn er auch nur eine Guinee davon zu sehen bekam.

Jetzt machte Christian die Runde in der Galerie, um zu tanzen, um Komplimente entgegenzunehmen, höfliche Konversation zu betreiben und sich verbindlich lächelnd unter die Gäste zu mischen – wie es ein Mann, der auf das Wohlwollen und die Unterstützung einflußreicher Mäzene angewiesen war, tun mußte. Bis auf Cordelia ahnte keiner der Anwesenden etwas von seinem zornigen Verdruß über Polignys Behandlung.

Inzwischen wußte der ganze Palast, daß Lady Cordelia Brandenburg mit einem preußischen Prinzen und Gesandten am Hof von Versailles vermählt werden sollte und daß Erzherzogin Marie-Antoinette die Reise in ihr neues Leben nicht allein würde antreten müssen. Aber Christian war untröstlich. Zwischen Paris und Wien lagen Welten! Seit jenem Augenblick vor fünf Jahren, als er in der Orangerie auf ein zornig schluchzendes kleines Mädchen getroffen war, war Cordelia seine beste Freundin gewesen. Er hatte sie damals getröstet und ihr seitdem noch bei vielen anderen Gelegenheiten Trost gespendet, so wie sie ihn all die Jahre über unterstützt und ihm Mut und Selbstvertrauen eingeflößt hatte, immer von dem unbeirrbaren Glauben an sein Können erfüllt, ganz gleich, wie viele Male Poligny ihn niedermachte, ihn verspottete und ausnutzte. Nur wenn er mit Cordelia zusammen war, glaubte Christian wirklich an seine eigene Genialität.

Cordelia vermied jede Begegnung mit Christian, so wie sie es immer in der Öffentlichkeit tat; aber wenn es um Vicomte Kierston ging, war sie offenbar nicht zu solcher Diskretion fähig. Ihr Blick schweifte beständig durch den Raum auf der Suche nach ihm. Er war nie auf der Tanzfläche anzutreffen, sondern zog es vor, am Rande des Geschehens zu stehen und sich mit einem hochrangigen französischen oder österreichischen Höfling zu unterhalten. Cordelia fiel auf, daß er kein sonderlich großes Interesse für die anwesenden Frauen aufzubringen schien, die ihn ihrerseits mit bewundernden Blicken verschlangen – eine so elegante und distinguierte Erscheinung in hellgrauem Seidenanzug, schwarzsilbern gestreifter Weste und gerüschtem Halstuch, sein ungepudertes schwarzes Haar mit einem grauen Samtband im Nacken zusammengefaßt.

Ob er verheiratet war? Ob er eine Mätresse hatte? Sie konnte nicht aufhören, an ihn zu denken ... konnte einfach nicht aufhören, ihn anzustarren. Sein Bild quälte und verfolgte sie, die drängenden Fragen ließen ihr keine Ruhe. Sie fühlte sich, als ob sie von hohem Fieber befallen wäre, ihr war abwechselnd heiß und kalt, und sie schien unfähig, sich auf irgend etwas zu konzentrieren. Ihre Tanzpartner fanden sie abgelenkt und fast brüsk und baten sie nur selten um einen zweiten Tanz.