Lovecraft Letters - II - Christian Gailus - E-Book

Lovecraft Letters - II E-Book

Christian Gailus

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Beschreibung

FOLGE 2:
Nachdem Ray der Coleman-Fall entzogen wurde, recherchiert er auf eigene Faust weiter. Denn er hat Hinweise gefunden, dass Coleman das Opfer einer Intrige ist. In dem geheimen Lager des Geschichtsprofessors findet Ray eine unveröffentlichte Geschichte Lovecrafts. In dieser erzählt der Schriftsteller von einem mächtigen Wesen, das die Welt ins Chaos stürzen wird. Als Ray einen Anruf erhält, wird ihm bewusst, dass der Schrecken bereits begonnen hat ...

Zur gleichen Zeit in Mexiko: In Tijuana werden mehrere Menschen auf grausame Weise getötet. Alle Morde scheinen mit einem geheimnisvollen Medikament im Zusammenhang zu stehen, das angeblich im Kampf gegen Krebs wahre Wunder bewirkt.

LOVECRAFT LETTERS - DIE SERIE:
Ray Berkeley führt ein zufriedenes Leben. Er ist ein angesehener Psychologe und lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem großen Haus im Grünen. Doch vom einen auf den anderen Tag gerät Ray in einen Sog aus brutalen Morden, schockierenden Geständnissen und mysteriösen Ereignissen. Rätselhafte Spuren führen zu dem Schriftsteller H. P. Lovecraft - und Ray erkennt, dass die Welt weit furchterregender ist, als der berühmte Horror-Autor sie in seinen Geschichten jemals hätte schildern können ...

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Inhalt

Cover

Die Serie

Lovecraft Letters – Folge II

Über den Autor

Titel

Impressum

Prolog

Anaheim. Studentenwohnheim.

Rückblende.

Gegenwart. Megachurch.

Washington D. C. Bezirksgericht. Richterzimmer.

Tijuana.

Henderson & Remington.

Henderson & Remington.

Burke. Haus der Berkeleys.

Tijuana. Büro Rodriguez.

Burke. Haus der Berkeleys.

Tijuana. Gonzales’ Haus.

Burke. Haus der Berkeleys.

Tijuana. Wüste.

Burke. Haus der Berkeleys.

Tijuana. Büro Rodriguez.

Burke. Haus der Berkeleys.

Wüste.

Arlington. Kens Wohnung.

Tijuana. Wüste.

Arlington. Kens Wohnung.

Tijuana. Wüste.

Salem. Hafen. Lagerhalle.

Tijuana. Büro Rodriguez.

Salem. Hafen. Lagerhalle.

Burke. Haus der Berkeleys.

Salem. Hafen. Lagerhalle.

Burke. Haus der Berkeleys.

Salem. Hafen. Lagerhalle.

Providence. Angell Street.

Salem. Hafen. Lagerhalle.

Burke. Haus der Berkeleys.

Salem. Hafen. Lagerhalle.

Burke. Haus der Berkeleys.

Tijuana. Büro Rodriguez.

Burke. Haus der Berkeleys.

Burke. Haus der Berkeleys.

Burke. Haus der Berkeleys.

Anaheim. Megachurch.

In der nächsten Folge

Fußnoten

Die Serie

Ray Berkeley führt ein zufriedenes Leben. Er ist ein angesehener Psychologe und lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem großen Haus im Grünen. Doch vom einen auf den anderen Tag gerät Ray in einen Sog aus brutalen Morden, schockierenden Geständnissen und mysteriösen Ereignissen. Rätselhafte Spuren führen zu dem Schriftsteller H. P. Lovecraft – und Ray erkennt, dass die Welt weit furchterregender ist, als der berühmte Horror-Autor sie in seinen Geschichten jemals hätte schildern können …

Lovecraft Letters – Folge II

Nachdem Ray der Coleman-Fall entzogen wurde, recherchiert er auf eigene Faust weiter. Denn er hat Hinweise gefunden, dass Coleman das Opfer einer Intrige ist. In dem geheimen Lager des Geschichtsprofessors findet Ray eine unveröffentlichte Geschichte Lovecrafts. In dieser erzählt der Schriftsteller von einem mächtigen Wesen, das die Welt ins Chaos stürzen wird. Als Ray einen Anruf erhält, wird ihm bewusst, dass der Schrecken bereits begonnen hat …

Zur gleichen Zeit in Mexiko: In Tijuana werden mehrere Menschen auf grausame Weise getötet. Alle Morde scheinen mit einem geheimnisvollen Medikament im Zusammenhang zu stehen, das angeblich im Kampf gegen Krebs wahre Wunder bewirkt.

Über den Autor

Christian Gailus studierte Germanistik in Hamburg und Drehbuch in Köln. Er arbeitete in einer Werbeagentur und verfasst Kriminalromane, Thriller und Hörspiele. Bereits in seiner Jugend wurde er von Lovecrafts Geschichten gepackt. Seitdem lassen ihn Horrorstorys nicht mehr los. Mit der Serie »Lovecraft Letters« hat er ein Ventil gefunden, seine Albträume zu verarbeiten.

CHRISTIAN GAILUS

II

beBEYOND

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Uwe Voehl

Lektorat/Projektmanagement: Stephan Trinius

Cover-Motiv: © Timo Wuerz

Covergestaltung: Thomas Krämer

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5253-5

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Mit der Berührung der spiegelnden Fläche endete sein Traum. Die Sehnsucht, die ihn bis an diesen Punkt gebracht hatte, war mit dem Ausstrecken der Hand verflogen, und es blieb nichts zurück als die Erkenntnis, dass er allein war, ein Fremder unter Fremden, ohne Hoffnung, dass es jemals anders sein würde. Der Hauch von Liebe, der ihn in der Dunkelheit umweht hatte und den beschwerlichen Weg aus den Eingeweiden der Erde ans Licht der Welt antreten ließ, war nur noch eine blasse Erinnerung. Er würde niemals zu ihnen gehören, und er würde es auch nie wieder versuchen.

Was folgte, nahm er wie durch einen Schleier wahr: das Schreien und Rennen, das Flehen und Betteln, das Blut, das fontänengleich aus abgerissenen Gliedmaßen schoss und die Wände bespritzte, das Fleisch, von zuckenden Leibern gerissen und gierig verschlungen.

Er nahm es wahr, als sei nicht er derjenige, der diese Schrecken verursachte, sondern als handele es sich bloß um eine Luftspiegelung, die ein entferntes Geschehen nahbar machte und das Seufzen des Windes in eine Symphonie der Melancholie verwandelte.

Es war das Ende vom Traum einer Welt, die niemals existieren würde, weil sie mit der bestehenden Realität nicht vereinbar war; weil ihre Bewohner die Vereinigung nicht wünschten. Sie betrachteten die Anderen als niedere Wesen, die es nicht wert waren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Er spürte ihre tief sitzende Verachtung wie einen vergifteten Dorn in seinem Herzen. Deshalb verhielt er sich so, wie sie es von ihm erwarteten – und riss ihnen die Eingeweide heraus.

Als Ruhe ins Schlachthaus einkehrte und die Fliegen die toten Körper als Brutstätte für ihren Nachwuchs zu besiedeln begannen, blickte er mit irritierenden Gefühlen auf das Chaos. Es war keine Trauer, sondern eher Mitleid mit der Arroganz, die dieser Spezies den irren Wahn anheimfielen ließ, sie wäre etwas Besonderes.

Was für Narren! Ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was sich unter ihren Füßen in den Katakomben der Welt abspielte, frönten sie einen Lebensstil der Ignoranz und Hemmungslosigkeit, der sie direkt in den Abgrund trieb.

Es hatte einen Augenblick der Einheit gegeben, einen kurzen Moment, in dem sich Hoffnung und Liebe gepaart hatten, um eine neue Perspektive zu eröffnen. Aber es war nur der schüchterne Versuch seiner Sehnsucht gewesen, einen Ausweg aus dem unvermeidlich scheinenden Kampf zwischen oben und unten zu suchen; eine Sehnsucht, die sich nie bewahrheiten würde, denn in dem Augenblick, da sich seine zitternden Finger ausstreckten und die spiegelnde Fläche berührten, wusste er, dass er immer ein Außenseiter bleiben würde.

Unglücklich ist der, dessen Erinnerung an die Kindheit nichts als Angst und Traurigkeit birgt. Bedauernswert ist der, der nur zurückblicken kann auf einsame Stunden in riesigen, elenden, braun verhangenen Gemächern mit irrsinnigen Reihen uralter Bücher, endlos wachend inmitten dämmerbeschienener Haine voller grotesker, gigantischer, von Ranken umschlungener Bäume, deren Zweige sich weit oben krümmten und lautlos winkten. Solch ein Los haben die Götter mir beschieden – mir, dem Verwirrten und Enttäuschten, dem Unfruchtbaren, dem Gebrochenen. Und doch bin ich sonderbar zufrieden und klammere mich wie verzweifelt an jene welken Erinnerungen, wenn mein Verstand für einen Augenblick droht, sich darüber hinaus des Anderen zu entsinnen.1

Das ist nicht tot, was ewig liegt,und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt.2

Anaheim.Studentenwohnheim.

Molly wollte sich vermählen. Mit dem Mann, der sie gerettet hatte. Sie kannte zwar weder seinen Namen noch wusste sie, wer er war. Aber er hatte ihr ein zweites Leben geschenkt. Und war vielleicht sogar der Vater ihres Kindes. Deshalb würde sie ihm das Ja-Wort geben, auch wenn es nur mit einer symbolischen Geste war. Molly wollte ihm danken und ewige Treue schwören. Vor Gott.

Sie zog sich das bodenlange weiße Kleid an, das sie in vielen Stunden selbst genäht hatte, und betrachtete sich im Spiegel. Und während sie hier und da noch zupfte, um den Stoff an die richtige Stelle zu bringen, wurde ihr noch einmal bewusst, wie viel Glück sie gehabt hatte; und wie knapp sie dem sicheren Tod entgangen war.

Molly hatte es noch nie leicht gehabt. Ihre Eltern starben früh, und sie wuchs bei ihrem Onkel auf, der von ihren Studienträumen nicht viel hielt. Molly hatte vor, Biologin zu werden. Sie liebte die Natur und war fasziniert von allem, was lebte. Dabei ging ihr Interesse über den reinen Kuschelfaktor weit hinaus. Mollys Wunsch war, hinter die Kulissen schauen, zu verstehen, was Leben in seinem Kern bedeutete und wie sich aus einer unbelebten Materieanhäufung ein Individuum mit Charakter entwickelte.

Doch statt Biologie zu studieren, musste Molly im Diner ihres Onkels schuften, um die Kohle wieder reinzuholen, die ich für dich rausgeschmissen hab.

Molly fügte sich. Auch, weil sie keinen Ausweg sah. Sie sparte jeden Cent Trinkgeld und verdiente sich in ihrer Freizeit mit Nähen etwas dazu. Molly war geschickt mit ihren Händen. Und die Kreativität, die sie beim Kellnern nicht einsetzen konnte, kam ihr beim Nähen zugute.

Mit achtzehn packte sie ihre wenige Habe, nahm ihr Geld und legte einen Zettel auf den Küchentisch: Danke für alles.

Es war ehrlich gemeint. Molly war eine gute Seele, die anderen Menschen nicht böse sein konnte, selbst wenn sie sich ihr gegenüber schäbig verhielten. Molly sah in allem und jeden stets das Gute. Sie konnte nichts dafür, so war sie einfach.

Sie fuhr nach Norden und fand in Providence eine billige Bleibe. Mit ihren Nähkünsten ließ der Erfolg nicht lange auf sich warten. Mollys originelle Art, den Dingen einen eigenen Charakter zu verleihen, kam bei den Studenten an der Universität gut an. Hätte Molly es darauf angelegt, hätte sie es vermutlich bis zur Modedesignerin gebracht.

Doch ihr Herz schlug für die Biologie. Sie begann ein Studium, bekam ein Stipendium und schließlich sogar die Aussicht auf einen Job im Labor. Mit zweiundzwanzig Jahren hatte Molly es geschafft. Sie hatte sich aus eigener Kraft aus dem Nichts in ein Leben mit Perspektive gearbeitet.

Dann kam der 13. August. Und änderte alles.

Rückblende.

Es war ein Sonntag, und Molly hatte von einem See in den Bergen gehört – einsam und schön. Also fuhr sie mit dem Wagen frühmorgens los und erreichte den See ein paar Stunden später. Er lag auf einem Felsplateau und wirkte wie ein Geheimnis, das gelüftet werden wollte. Molly zog sich aus und stieg ins Wasser. Es war kalt und klar, und selbst als sie die Mitte des Sees erreichte, konnte sie den Grund noch sehen.

Plötzlich spürte sie einen Schmerz. Er kam blitzartig und schnürte ihr Bein zusammen. Ein Krampf. Und was für einer! Noch nie in ihrem Leben hatte Molly solche Schmerzen verspürt. Sie schrie auf, und ihre Stimme hallte durch die menschenleere Ödnis.

Sie biss die Zähne zusammen und begann mit den Armen zu paddeln. Instinktiv spürte sie, dass es keinen Zweck hatte, auf das Ende des Krampfs zu warten. Sie musste es so schaffen. Niemand würde ihr zu Hilfe kommen.

Molly paddelte wie besessen. Das Ufer kam langsam näher. Doch ihre Kräfte schwanden mit jedem verzweifelten Schwimmzug. Panik machte sich in ihr breit. Sie starrte nach unten und sah den Grund. Er war höchstens drei oder vier Meter entfernt. Doch diese Tiefe würde reichen, um zu ertrinken. Molly musste näher ans Ufer, sonst war sie verloren.

Sie paddelte mit allen Kräften. Die Ahnung, dass es nicht reichen würde, trieb ihr die Tränen in die Augen. Wasser drang in ihre Lungen und brachte sie zum Husten. Noch einmal schrie sie, so laut sie konnte. Es klang wie das letzte Aufbäumen einer dem Tod geweihten Seele. In dem Augenblick begriff Molly, dass sie sterben würde. Und sie ergab sich diesem Schicksal.

Kraftlos ließ sie sich sinken. Es dauerte nicht lange, und sie erreichte den steinigen, mit Moos bewachsenen Grund. Sie richtete den Blick nach oben, wo sich die Strahlen der höher steigenden Sonne an der Wasseroberfläche brachen und in die Farben des Regenbogens auffächerten. Molly empfand den Anblick als wunderschön, und sie hätte gerne jemandem davon erzählt. Aber es war zu spät. Sie hatte keine Kraft mehr. Und auch keine Lust. Ihr Leben lang hatte sie gekämpft, und wenn es jetzt und hier zu Ende sein sollte, war es auch okay. Ein innerer Frieden füllte sie aus. Und mit einem letzten langen Atemzug entließ sie die Luft aus ihren Lungen und beobachtete die Blasen, wie sie an die Oberfläche trieben und zerplatzten.

Dann schloss Molly die Augen.

Und spürte den Kuss. Zuerst glaubte sie an einen Traum – eine schöne Erinnerung, die ihr den Weg in den Tod erleichtern sollte. Dann saugte sich etwas an ihrem Mund fest und presste Luft in ihre Lungen. Gleichzeitig packten mehrere glitschige Arme ihren Körper. Die unsanften Berührungen erinnerten sie an Tintenfischarme. Aber das war unmöglich! Oder etwa doch? Irgendetwas hielt sie am Leben, aber es fühlte sich nicht menschlich an.

Molly öffnete die Augen und erschrak. Eine Art Schlauch führte von ihrem Mund weg und mündete in einem dunklen Korpus, der sich schlangengleich durchs Wasser bewegte. Der Anblick erinnerte Molly an einen Oktopus, aber der konnte sie mit seinen Tentakeln ja nicht mit Sauerstoff versorgen.

Was noch merkwürdiger war: Die unbekannte Kreatur zog Molly immer tiefer, wie sie am abnehmenden Sonnenlicht erkennen konnte. Betrachtete das unbekannte Wesen sie als Beute und hielt sie deshalb am Leben, um sie später frisch geschlachtet zu verzehren? Molly kam kein Tier in den Sinn, das zu so etwas fähig wäre. Jedenfalls nicht in dieser Größenordnung. Und nicht in einem Bergsee in Neuengland.

Es wurde rasch dunkler, und am Druck auf ihren Ohren spürte Molly die zunehmende Tiefe. Dann stieß ihr Kopf gegen einen Felsen. Der Schlag war nicht hart, aber stark genug, um sie vor Schmerzen aufschreien zu lassen. Die Verbindung zu dem Wesen wurde unterbrochen, und für einen Augenblick schwebte Molly wie ein Astronaut im All schwerelos im Wasser.

Das Wesen drehte um und packte sie erneut – und für den Bruchteil einer Sekunde konnte Molly seine leuchtenden, gelben Augen sehen, mit denen es sie böse anfunkelte.

Dann verlor sie das Bewusstsein.

Als sie erwachte, lag sie am Seeufer, nackt und zerschunden – aber am Leben. Ein Mann beugte sich über sie und redete auf sie ein. Aber Molly hörte seine Worte nicht. Sie spürte nur, dass er es gut mit ihr meinte. Kurz darauf hörte sie eine Sirene. Dann verlor sie erneut das Bewusstsein.

Tage später erklärten ihr die Ärzte im Krankenhaus, dass sie nur um Haaresbreite überlebt hatte. Ein Unbekannter hatte sie am Ufer des Sees gefunden und die Rettungskräfte alarmiert. Als sie eintrafen, war der Mann fort. Genauso wie Mollys Sachen und ihr Wagen. Die Schlussfolgerungen, die die Polizei daraus zog, interessierten Molly nicht. Sie dachte nur an das Leben, das ihr geschenkt worden war. Und an den Schrecken, den sie in der Tiefe erlebt hatte.

Hatte sie ihn wirklich erlebt? Oder hatte sie nur geträumt? Aber wie waren dann die merkwürdigen Blutergüsse um ihren Mund herum zu erklären?

Molly wusste nicht mehr, was Traum und was Wirklichkeit gewesen war. Realität hingegen war die Schwangerschaft, die der Frauenarzt ein paar Wochen später bei ihr feststellte. Molly hatte dafür keine Erklärung, denn nach der Vergewaltigung durch einen Kommilitonen zwei Jahre zuvor hatte sie keinen Sex mehr gehabt. Wie konnte sie da schwanger sein? Und wieso weigerte sich der Arzt, ihr das Ultraschallbild zu zeigen, nachdem er Molly untersucht hatte? Stattdessen sprach er von einigen Untersuchungen, die er machen wollte?

Molly musste eine Entscheidung fällen. Sie bekam ein Kind und wusste nicht, von wem. Sollte sie es abtreiben? Niemand würde ihr deswegen einen Vorwurf machen, schließlich wusste ja niemand außer ihren Ärzten davon. Aber konnte sie es dem Leben gegenüber rechtfertigen? Molly liebte das Leben. Und nun wuchs es in ihrem Bauch heran. Sie konnte es spüren, wie es mit seinen kleinen Ärmchen und Beinchen boxte und trat. Das Wesen in ihrem Bauch war ohne Zweifel lebendig – aber war es auch beseelt? Was, wenn Molly das Kind abtrieb und später herausfand, dass sich im Mutterleib der Wechsel von Materie zu Leben vollzog? Sie würde sich das nie verzeihen können. Und je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass sie das Kind bekommen würde. Auch wenn der Arzt zu einem Abbruch riet; auch wenn die Träume von stinkenden Fischwesen immer intensiver wurden; auch wenn sich ihre Kommilitonen von ihr abwandten.

Schließlich fand sich Molly wieder allein. Aber das machte ihr nichts aus, sie kannte diesen Zustand ja und wusste, dass er nicht ewig anhalten würde. In wenigen Wochen wäre sie nie wieder alleine. Nie mehr in ihrem Leben.

Gegenwart.Megachurch.

Molly war glücklich. Alles, was sie noch brauchte, war der Segen von oben, der Segen von Gott. Deshalb hatte sie das Kleid genäht, deshalb hatte sie sich schön gemacht, und deshalb ging sie in die Kirche wie die Braut zum Altar.

Die anderen Gottesdienstteilnehmer sahen sie verwundert an und tuschelten hinter ihrem Rücken. Aber Molly wusste genau, was sie tat. Sie wollte sich mit dem unbekannten Vater ihres Kindes vermählen. Auch wenn es bloß symbolisch wäre.

Sie betrat die Megachurch, die sie seit ein paar Monaten besuchte, wählte einen Platz in den vorderen Reihen und wartete auf den Beginn des Gottesdienstes. Der Pfarrer war ein charismatischer Mann. Auch er hatte sich hochgearbeitet, das verband ihn mit ihr. Er würde verstehen, was Molly meinte, wenn sie im Hochzeitskleid in seinem Gottesdienst erschien. Sie bräuchten keine Worte wechseln. Ein Lächeln von ihm würde genügen. Für Molly wäre es wie der Segen zur Trauung.

Als das Saallicht plötzlich erlosch, erschrak sie kurz. So hatte noch nie ein Gottesdienst begonnen. Aber vielleicht hatte sich der Pfarrer etwas Neues ausgedacht, eine Überraschung, das würde an diesem wunderschönen Tag gut passen.

Dann hörte sie die Absätze seiner Schuhe auf den Holzdielen der Bühne klacken. Als er stehen blieb, musste sie lächeln. Der Moment der Vereinigung war da. Molly legte eine Hand auf ihren Bauch und spürte, wie das kleine Wesen in ihr strampelte, als wolle es jetzt sofort aus seinem engen Gefängnis ausbrechen. Es fühlte sich an, als habe es nicht nur zwei Ärmchen und Beinchen, sondern viel, viel mehr.

Das Saallicht leuchtete auf, und für einen Augenblick war Molly geblendet. Dann erscholl ein unglaublicher Lärm, den sie erst nicht mit dem Bild, das sie auf der Bühne sah, in Einklang bringen konnte. Der Pfarrer stand dort und hielt eine Waffe in den Händen, ein Gewehr. Er schoss in die Gemeinde. Menschen schrien, Körper wurden zerfetzt. Es war so surreal, dass Molly einen Moment lang glaubte, es handele sich um einen Traum.

Der Pfarrer fuhr mit dem Gewehr durch die Gemeinde wie mit der Sense durchs Heu. Als er zu Molly kam, zögerte er kurz. Jedenfalls kam es ihr so vor. Aber vielleicht war es auch nur ein frommer Wunsch, denn sie konnte nicht begreifen, dass sie sterben sollte, wo sie doch hier war, um ihr neues Leben zu feiern. Was ergab es für einen Sinn, dass sie aus dem See gerettet worden war, wenn es ihr nun genommen wurde? Die Antwort war simpel: gar keinen.

Mehrere Kugeln durchschlugen ihren Körper und warfen sie zurück. Aus den Augenwinkeln konnte sie beobachten, wie sich das weiße Kleid rot verfärbte. Das Letzte, was sie spürte, war das ungeborene Wesen, das aufgeregt in ihr strampelte.

Dann sah Molly den Oktopus vor sich, der sie in den See gezogen hatte. Es wurde dunkler und dunkler … dann umhüllte sie die Nacht.

Washington D. C. Bezirksgericht.Richterzimmer.

Ray betrat das Arbeitszimmer von Richter Blankenburg und konnte die feindliche Atmosphäre förmlich riechen.

»Guten Tag, Mister Berkeley«, sagte Blankenburg und reichte Ray die Hand. »Danke, dass Sie kommen konnten. Staatsanwältin Hattfield ist Ihnen ja bekannt.«

Ray sah zu ihr hin, aber Hattfield machte keine Anstalten, Ray auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie war ganz in ihr Smartphone vertieft.

»Setzen Sie sich«, bot ihm Blankenburg einen Platz an. »Sie sehen blass aus. Sind das die Nachwehen von gestern?«