Lovelight Farms – Lichterglanz - B.K. Borison - E-Book
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Lovelight Farms – Lichterglanz E-Book

B.K. Borison

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Beschreibung

Meet me in Winter – Wo Träume wahr werden Stella begreift schnell, dass es mehr braucht als heiße Schokolade und funkelnde Lichter, um die Finanzen ihrer kleinen Weihnachtsbaumfarm zu sichern. Kurzerhand nimmt sie am Wettbewerb einer berühmten Influencerin teil, um Lovelight Farms mit dem Preisgeld von 100.000 Dollar zu retten. Es gibt nur ein Problem: Um ihre Gewinnchancen zu maximieren, hat Stella bei der Bewerbung angegeben, dass sie die romantische Farm zusammen mit ihrem festen Freund führt – doch den gibt es nicht. Als Stella in die Endrunde kommt, liegt ihre letzte Hoffnung auf ihrem besten Kumpel Luka. Der macht sofort mit – und zwar viel zu gut. Und auf einmal steht nicht nur die Zukunft der Weihnachtsbaumfarm auf dem Spiel. Eine Small-Town-Romance mit Weihnachts- und Winter-Flair. Zum Mitfühlen, Schwärmen und Genießen! »Borisons Worte haben eine besondere Magie« Elena Armas »Die aufregendste neue Romance-Autorin« Hannah Grace Der erste Band der Lovelight-Farms-Reihe von B.K. Borison. Alle Bände der Reihe bei dtv:  - Lovelight Farms – Lichterglanz (Band 1) - Lovelight Farms – Blütenzauber (Band 2) - Lovelight Farms – Sommerleuchten (Band 3) - Lovelight Farms – Herbstrauschen (Band 4) Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 539

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Über das Buch

Seit ihrer Jugend hat Stella davon geträumt, die Weihnachtsbaumfarm in der kleinen Stadt Inglewild zu führen. Lovelight Farms ist für sie magisch, denn mit ihr sind viele Erinnerungen an ihre tote Mutter verbunden. Doch während die Anfangssaison gut verlaufen ist, gehen nun viele Dinge schief: Auf einem Feld sterben Christbäume, Zäune brechen ein und manche Lieferungen kommen einfach nicht an. Kurzerhand nimmt Stella am Wettbewerb der berühmten Influencerin Evelyn St. James teil, um die Farm mit dem Preisgeld von 100.000 Dollar zu retten. Es gibt nur ein Problem: Um die romantische Atmosphäre des Ortes zu unterstreichen, hat sie bei der Bewerbung angegeben, dass sie Lovelight Farms zusammen mit ihrem festen Freund führt – den es allerdings nicht gibt. Als sie es in die Endrunde des Wettbewerbs schafft, kann ihr nur noch einer helfen: Ihr bester Kumpel Luka Peters. Wird es den beiden gelingen, zusammen zu überzeugen? In Inglewild werden schon Wetten abgeschlossen.

B.K. Borison

Lichterglanz

Lovelight Farms

Roman

Für E, meine schönste Liebesgeschichte

Und für Ro, das beste Happy End aller Zeiten

»Christmas Eve will find me

Where the love-light gleams.

I’ll be home for Christmas

If only in my dreams.«

1

»Luka, hör mal …« Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und taste nach dem Stapel Papiere auf dem Aktenschrank hinter mir. Allerdings bekomme ich ihn nicht richtig zu fassen und fege ihn stattdessen in einem Wirbel weißer Blätter zu Boden. Nach einem leisen Fluch versuche ich noch einmal, zu Luka durchzudringen: »Hör zu, vergiss einfach für eine Sekunde deine Pizza.«

Am anderen Ende der Leitung herrscht kurz Schweigen. »Aber das Beste kommt doch gerade erst.«

Er setzte wohl gerade erst dazu an, ausführlich über selbst gemachten Käse zu referieren. Doch das kann ich gerade vermutlich nicht ertragen. Als Datenanalyst ist Luka in allen Dingen extrem gründlich. Vor allem, wenn es um Käse geht, insbesondere um Mozzarella.

Ich reibe mir die schmerzende Stelle zwischen den Augenbrauen. »Ich weiß, und es tut mir leid, aber ich muss mit dir über etwas anderes sprechen.«

»Ist alles in Ordnung?« Im Hintergrund ertönt ein Hupen, gefolgt von Lukas gedämpftem Fluchen und dem gleichmäßigen Klicken seines Blinkers, während er auf eine andere Fahrspur wechselt.

»Es ist alles … in Ordnung.« Ein Blick auf meine Tabellen mit den Geschäftszahlen, die jetzt über den ganzen Boden verstreut sind, nimmt mir den Mut. »Alles ist gut. Ich meine, na ja, okay … ich habe nur …« Das kurz erwachte Selbstbewusstsein, mit dem ich dieses Gespräch begonnen habe, verlässt mich wieder, und ich sacke auf meinem Stuhl zusammen. Wann immer ich Luka in dieser Woche angerufen habe oder wann immer er mich angerufen hat, habe ich gekniffen. Ich glaube inzwischen, dass es diesmal nicht anders sein wird.

»Überhaupt muss ich jetzt Schluss machen. Einer meiner Lieferanten ruft gerade an.« Stirnrunzelnd betrachte ich mich im spiegelnden Bildschirm meines Computers. Ich habe Ringe unter den Augen, meine volle Unterlippe ist leuchtend rot, weil ich vor lauter Nervosität darauf herumgekaut habe, und mein dichtes dunkles Haar ist zu einem Knoten verdreht, der gut zu einer spukenden viktorianischen Puppe gepasst hätte.

Ich sehe genauso schlimm aus wie die Geschäftszahlen.

»Da ruft keiner deiner Lieferanten an, aber ich werde für den Moment mitspielen.« Luka klingt belustigt. »Melde dich, wenn du mit der Arbeit fertig bist, okay? Wir können später über das reden, womit du schon die ganze Woche herumdruckst, ohne richtig mit der Sprache rauszurücken.«

Mein Spiegelbild zieht die Brauen noch dichter zusammen. »Vielleicht.«

Er lacht. »Lass uns bald wieder telefonieren.«

Ich lege auf und widerstehe dem Drang, das Telefon quer durch den Raum zu schleudern. Luka hat die Gabe, mich wie ein offenes Buch zu lesen, und das will ich im Moment nicht. Ehrlich gesagt will ich das nie, weil ich Angst davor habe, was er finden wird, wenn er erst alle Datenpunkte miteinander verbunden hat.

Das Telefon summt – eine eingehende Textnachricht. Ich lege es mit dem Display nach unten auf einen Stapel Rechnungen. Es summt abermals, und ich kneife mir in die Nase.

Bei meiner derzeitigen Finanzlage bleibt mir fast kein Handlungsspielraum mehr. Ich habe mich wohl von allzu romantischen Vorstellungen leiten lassen, als ich den Entschluss fasste, die Christbaumfarm zu kaufen und zu bewirtschaften. Ich hatte große Träume von einer Weihnachtssaison voller Magie. Von Kindern, die sich zwischen den Bäumen hindurchschlängeln. Von Eltern, die sich bei Bechern mit heißer Schokolade verstohlen küssen. Von all dem, was in Weihnachtssongs so beschrieben wird. Junge Paare, die sich unversehens unter dem Mistelzweig wiederfinden. Tief hängende Lichter und übergroße Strümpfe. Rot und weiß bemalte Holzgeländer. Ingwerplätzchen. Pfefferminzstäbchen.

Und zuerst war es auch toll. Unsere Eröffnungssaison war so magisch, wie man es sich nur wünschen konnte.

Aber seither jagt ein Schrecken den nächsten.

Ich stecke bis zum Hals in Schulden bei einem Düngerlieferanten, der dementsprechend jeden zweiten Monat meine Lieferung vergisst. Ich habe ein Feld voller Bäume, die aussehen wie aus einem Gruselfilm von Tim Burton, und eine Waschbärenfamilie, die sich an einer feindlichen Übernahme meiner Weihnachtsmannscheune versucht. Kurzum, es ist alles andere als ein magisches Wintermärchenland. Eher eine eisige Hölle, aus der es kein Entrinnen gibt, hübsch verpackt mit einer roten Schleife.

Ich fühle mich getäuscht. Nicht nur von jedem Hallmark-Film, den ich je gesehen habe, sondern auch von dem früheren Besitzer dieser Ackerflächen. Hank hat versäumt zu erwähnen, dass er schon vor Monaten aufgehört hat, seine Rechnungen zu bezahlen, und ich als neue Eigentümerin auch seine Schulden erben würde. Anfangs glaubte ich, ich hätte ein super Schnäppchen gemacht. Der Preis für das Ackerland war günstig, und ich hatte innovative Ideen für eine Geschäftserweiterung und umwerfendes Marketing. Mit etwas Herzblut würde ich mit der kleinen Farm einiges erreichen können. Jetzt allerdings komme ich mir einfach nur noch dumm vor. Ich habe das Gefühl, als hätte ich in meinem Wunsch, etwas Besonderes zu erschaffen, mehrere Warnsignale ignoriert.

Ich bin sozusagen christbaumblind gewesen.

Aber es gibt durchaus eine Lösung. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich schon bereit bin, mich mit der obersten E-Mail in meinem Posteingang genauer zu beschäftigen.

Ehrlich gesagt käme es mir im Augenblick weniger Furcht einflößend vor, meine eigenen Organe zum Verkauf anzubieten.

»Estelle.«

Ich fahre zusammen, als Beckett – wie es seine Art ist – überfallartig mein Büro betritt, und stoße mit dem Arm meine Kaffeetasse um, außerdem eine halb tote Farnpflanze und einen Stapel Lufterfrischer mit Kiefernduft. Das Ganze landet auf dem Boden, genauer gesagt auf den Überbleibseln meiner Buchführung. Stirnrunzelnd sehe ich über das ganze Chaos hinweg meinen Vorarbeiter an.

»Beckett«, erwidere ich seinen Gruß, und die Kopfschmerzen hinter meinen Augen breiten sich aus und wandern bis zur Schädelbasis. Der Mann ist physisch nicht in der Lage, einen Raum auf normale Art und Weise zu betreten. Seine schlammverkrusteten Knie verheißen nichts Gutes. Er muss auf unserer Problemfläche gewesen sein. »Was ist es diesmal?«

Er steigt über das Durcheinander auf dem Boden hinweg und verfrachtet seine riesige Gestalt in den Sessel meinem Schreibtisch gegenüber – ein hässliches, zu kleines Lederding, das ich am Straßenrand gefunden habe. Ich wollte den Sessel neu polstern lassen, in einem kräftigen samtenen Waldgrün – aber die Sache mit den Waschbären ist dazwischengekommen. Und dann die Sache mit dem Zaun, der an der Straße unerklärlicherweise zweimal umgekippt ist.

Also sieht der Sessel noch fast so aus, wie ich ihn gefunden habe. Grässliches, rissiges braunes Leder, aus dem Teile der Polsterung hervorquellen. Eine Art Sinnbild für mein ganzes Unternehmen.

Beckett betrachtet mit schmalen Augen die verblassten Duftbäume auf dem Teppich und den Pappkarton, der sich an den Rändern wellt. Eine Braue zuckt auf seiner Stirn nach oben. »Willst du mir verraten, wozu du fünfundsiebzig Tankstellen-Duftbäume in deinem Büro hast?«

Typisch Beckett. Statt sich zu entschuldigen, stellt er zu persönliche Fragen. Wieder summt mein Handy. Drei abgesetzte Töne in kurzer Folge. Das ist entweder Lukas Doktorarbeit über die Konsistenz von Pizzakruste oder ein weiterer Lieferant, der sich nach seiner noch ausstehenden Bezahlung erkundigt.

Becketts Braue kriecht noch höher hinauf. »Oder vielleicht – Frage Nummer zwei –, warum du Luka ignorierst?«

Ich kann es nicht leiden, wenn Beckett sich besonders schlau vorkommt. Denn ich stehe danach meist wie ein Trottel da. Er ist schlauer, als ihm selbst guttut, obwohl er meist den unbedarften Landarbeiter mimt. Ich bücke mich, hebe einen Duftbaum auf und werfe ihn zu all den anderen in die untere Schublade meines Schreibtisches. Ein riesiges Chaos aus verhedderten Schnüren, schalem Tannenduft und unerwiderten Gefühlen. Ein Tannenbaum für jedes Mal, wenn Luka wieder zu Hause war – seit wir beide einundzwanzig und unbedarft waren. Normalerweise finde ich den Baum ein oder zwei Wochen nachdem Luka wieder verschwunden ist – eingeklemmt an irgendeiner versteckten Stelle. Unter meiner Schneekugel, unter meiner Tastatur.

Hineingeschoben in meinen Kaffeefilter.

»Kein Kommentar«, murmele ich. »Willst du mir sagen, was du heute Morgen draußen entdeckt hast?«

Beckett nimmt seine Mütze ab und fährt sich mit den Fingern durch das dunkelblonde Haar. Seine Haut ist gebräunt von der Sonne; er arbeitet meist auf dem Feld, die Ärmel seines Flanellhemdes bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt, und stellt das krude Sammelsurium von Tattoos auf seinen Unterarmen zur Schau. Alle Frauen in der Gegend sind verrückt nach ihm. Wohl deswegen vermeidet er jeden Gang in die Stadt, denn dort ist es am schlimmsten.

Und vermutlich hat er mich genau deshalb nur stirnrunzelnd angesehen, als ich vorgeschlagen habe, mit einem Sexy-Farmer-Kalender unsere Einnahmen etwas aufzubessern.

Ich schwöre, ich hätte keine finanziellen Sorgen mehr, wenn er sich damit einverstanden erklärt hätte.

»Ich verstehe das nicht«, murmelt er und reibt sich mit dem Daumen das Kinn. Wenn Cindy Croswell in diesem Moment hier wäre, würde sie auf der Stelle tot umfallen. Sie arbeitet in der Apotheke und tut manchmal so, als wäre sie schwerhörig, wenn Beck hereinkommt, nur damit er sich zu ihr vorbeugen und ihr direkt ins Ohr brüllen muss. Ich habe sogar einmal gesehen, wie die alte Schachtel so getan hat, als stolperte sie gegen ein Regal, damit Beckett ihr half, wieder aufzustehen. Hoffnungslos.

»Die Bäume dort sind wahrscheinlich die Pflanzen mit dem niedrigsten Pflegebedarf, um die ich mich je kümmern musste.« Irgendwas daran soll wohl witzig sein, aber mir fehlt die Energie, dahinterzukommen. Meine Mundwinkel ziehen sich nach unten, bis meine Miene genauso finster ist wie seine. Zwei traurige Clowns. »Und ich habe auch nicht die leiseste Ahnung, wieso die Bäume auf dem Südfeld so aussehen wie … wie …«

Ich denke darüber nach, wie krumm und bogenförmig die Tannen am Fuß des Hügels wachsen und wie spröde ihre Borke ist. Die schlaffen, traurigen Nadeln. »Wie eine düsterere Version von Charlie Browns Weihnachtsbaum?«

»Könnte man so sagen, ja.«

Seltsamerweise gibt es durchaus einen Markt für Christbäume, die einsam und verloren wirken. Aber die von meinem Südfeld fallen nicht in diese Kategorie. Sie sind nicht zu retten. Ich bin neulich dort gewesen, und ich schwöre, dass einer dieser Bäume vor meinen Augen zerbröselt ist. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand einen davon ins Haus stellt – nicht einmal ein Weihnachtsmuffel, der sich ironisch vom Weihnachtsgedanken distanzieren will. Ich knibbele mit dem Daumen an meiner Unterlippe und stelle im Kopf einige Überschlagsrechnungen an. Auf dieser Parzelle wächst ein nicht unerheblicher Teil unserer Bäume.

»Sind wir auf diese Bäume angewiesen?« Beckett wirkt besorgt, und das aus gutem Grund. Der Verlust dieser Bäume ist ein weiterer Rückschlag, den wir uns nicht leisten können. Ihm als Verantwortlichen für unsere Pflanzungen schulde ich die Wahrheit: Unser Geschäft hängt am seidenen Faden. Aber ich bringe die Worte nicht heraus. Er hat sehr viel Vertrauen in mich gesetzt, als er seinen Job auf einer konventionellen Farm gekündigt hat, um hier bei mir zu arbeiten. Er verlässt sich darauf, dass dieses Unternehmen ein Erfolg wird, das weiß ich. Er verlässt sich darauf, dass all die Versprechen, die ich ihm gegeben habe, umgesetzt werden.

Und bisher ist das dank meiner Ersparnisse auch passiert. Ich musste mich einschränken und sparen und meine Ernährung mehr und mehr auf Ramen-Nudeln umstellen, aber niemandem, der hier arbeitet, wurde sein Lohn gekürzt. Und das wird auch so bleiben.

Aber es kann nicht ewig so weitergehen. Irgendetwas muss passieren, und zwar bald.

Ich schaue wieder auf meinen Computerbildschirm, auf die E-Mail ganz oben in meinem Posteingang. »Tja.« Ich kaue auf meiner Unterlippe. Mitgehangen, mitgefangen. Wenn Beckett will, dass wir mit heiler Haut die nächste Saison überstehen, gibt es etwas, das er tun kann. Ich atme tief ein und nehme den spärlichen Rest von Mut zusammen, der mich während des Gesprächs mit Luka noch nicht verlassen hat. »Willst du mein fester Freund sein?«

Ich hätte normalerweise über den Ausdruck auf seinem Gesicht gelacht, wenn es mir nicht so ernst gewesen wäre. Er schaut mich an, als hätte ich ihn gebeten, auf dem Feld eine Leiche zu vergraben.

»Ist das …« Er rutscht im Sessel nach vorn, und das Leder quietscht unter seinen Beinen. »Stella, ich bin nicht … ich sehe dich nicht wirklich … du bist wie meine …«

Wann habe ich diesen Mann das letzte Mal stottern hören? Ich kann mich nicht genau entsinnen. Vielleicht, als Betsy Johnson während seiner Präsentation zum Arbor Day in der Mittelschule vor einer ganzen Gruppe von Schulkindern versucht hat, ihn zu betatschen?

»Entspann dich.« Ich drücke die Spitze eines meiner Stiefel in einen weiteren Duftbaum und ziehe ihn heran. »Ich meine nicht, dass du mein echter fester Freund sein sollst.«

Es ist nicht so einfach, das Stück Pappe zu mir zu lotsen, aber dadurch muss ich nicht mitansehen, wie Beckett auf seinem Sessel erstarrt. Bis auf ein Bein in meinem Sichtfeld, mit dem er im Maschinengewehrtempo auf und ab wippt. Als ich schnaubend hochblicke, sind seine Augen groß, und er wirkt, als hätte ich ihm eine geladene Waffe an den Kopf gehalten. Es ist die gleiche dünn verschleierte Furcht und Scham, die sich jedes Mal auf seinem Gesicht zeigt, wenn er einen Fuß in die Stadt setzt.

»Stella.« Er schluckt. »Soll das … machst du mir etwa einen Antrag?«

»Was? Oh mein Gott, Beck …« Ich kann mich des Schauderns nicht erwehren, das meinen ganzen Körper erfasst. Ich liebe Beckett, aber … Gott. »Nein! Jesus, das denkst du von mir?!«

»Was denke ich denn?! Was denkst du?« Seine Stimme hat eine Tonlage erreicht, wie ich sie nicht von ihm kenne. Er gestikuliert wild und weiß offensichtlich nicht, was er mit sich anfangen soll. »Das kommt jetzt alles etwas plötzlich, Stella!«

»Ich meinte eine vorgetäuschte Beziehung!«, kreische ich, als wäre das offensichtlich. Als wäre das eine ganz normale Sache, um die ganz normale Leute ihre sehr platonischen Freunde bitten. Als hätten mich nicht meine überaktive Fantasie und eine halbe Flasche Sauvignon Blanc in diesen Schlamassel hineinkatapultiert. Ich klicke auf die E-Mail, um sie zu öffnen, und starre bekümmert auf den Text, während ich die tanzenden Konfetti ignoriere, die auf meinem Bildschirm explodieren. Ich betrachte das Ganze dreimal hintereinander und tue so, als würde Beckett mir mit seinem Blick nicht gerade ein Loch in den Kopf bohren.

»Ich habe da etwas gemacht«, informiere ich ihn und belasse es dabei.

»Etwas gemacht«, äfft er mich nach.

Ich stoße zur Antwort nur ein Brummen aus.

»Vielleicht sagst du mir, was du gemacht hast?«

Nein.

»Ich …«

Wie durch pure Willenskraft beschworen, kommt Layla auf Zehenspitzen in mein Büro. Mit einem Tablett. Ich rieche Zimt, getrocknete Cranberrys und einen Hauch Vanille.

Zucchinibrot.

Wie ein Engel, der vom Himmel herabsteigt, hat sie Zucchinibrot mitgebracht. Die eine Sache, die Beckett immer, immer ablenkt.

Beckett gibt einen Laut von sich, der beinahe obszön ist, und ich ziehe kurz in Betracht, eine Tonaufnahme davon auf OnlyFans hochzuladen. Das würde mir vielleicht ein paar Dollar einbringen: Sexy Landwirt isst Zucchini. Er grabscht gierig nach dem Tablett, aber Layla gibt ihm mit einem Holzlöffel eins auf die Finger. Den Löffel hat sie wohl aus ihrer Gesäßtasche gezogen, so genau habe ich es nicht gesehen. Sie stellt das Tablett auf den Schreibtisch. Ich sehe es mir genauer an und breche beinahe in Tränen aus. Sie hat sogar an die Schokosplitter gedacht.

»Ich hab etwas für dich, Boss.«

Sie schiebt mir das Tablett mit dem Kochlöffel hin und sieht mich, das Kinn anmutig auf eine Hand gestützt, erwartungsvoll an.

Während Beckett einem schroffen Einsiedler mit dem Charme einer Papiertüte ähnelt, erhellt Layla Dupree mit ihrer liebenswerten Südstaatengastfreundschaft und ihrem unvergleichlichen Scharfsinn jeden Raum, den sie betritt. Sie sieht atemberaubend aus – kristallklare haselnussbraune Augen und kurz geschnittenes dunkles Haar –, ihre Freundlichkeit ist unerschöpflich, und niemand im Großraum New York bereitet eine bessere heiße Schokolade zu als sie. Als ich beim Backwarenverkauf der Feuerwehr einen ihrer Kekse mit Schokoladensplitter probiert hatte, habe ich sie vom Fleck weg engagiert, um für das kulinarische Angebot auf meiner kleinen Christbaumfarm zu sorgen. Sie komplettiert unser bescheidenes Trio, und wenn sie mir etwas Süßes bringt, will sie etwas.

Etwas, das ich mir wahrscheinlich nicht leisten kann.

Ich schiebe mir eine Scheibe Zucchinibrot in den Mund, bevor sie etwas sagen kann, fest entschlossen, zumindest das zu genießen, bevor ich ihre Bitte abschlagen muss.

Mein Telefon nutzt die Gunst der Stunde ebenfalls und summt am anderen Ende meines Schreibtisches fröhlich vor sich hin. Layla betrachtet es blinzelnd, tauscht einen Blick mit Beckett und sieht dann wieder mich an.

»Warum ignorierst du Luka?«

»Das tue ich nicht …«

Goldene, knusprige, köstliche Krümel fallen mir beim Sprechen aus dem Mund. »Ich ignoriere Luka nicht.«

Es klingt mehr wie ish inoie Lukanish.

Layla brummt etwas und wirbelt herum. »Also, ich habe nachgedacht«, beginnt sie. Bingo. »Wenn ich in der hinteren Ecke der Küche noch einen weiteren Herd hätte, könnten wir unseren Output fast verdoppeln. Vielleicht könnten wir sogar fertig zusammengestellte Snacktüten oder kleine Körbe mit Leckereien anbieten, falls jemand so was mit zu den Baumbeständen nehmen will.«

Beckett verschränkt die Arme vor der Brust, während ich weiter auf meinem gewaltigen Bissen herumkaue. Fürs Erste ignoriere ich Layla und sehe ihm fest in die Augen.

»Das Brot ist noch warm«, eröffne ich ihm.

Er stöhnt.

Layla lässt sich erweichen, verdreht die Augen und reicht ihm ein Endstück.

»Wenn die Leute anfangen, Müll auf den Feldern zu hinterlassen, wäre das für mich ein Problem«, murrt Beckett. Er steckt sich die ganze Scheibe Brot in den Mund und lehnt sich dann verzückt in seinen Sessel zurück. Das Leder der Rückenlehne gibt einmal mehr mit einem Unheil verkündenden Quietschen nach. Genau wie auch ich es gleich tun muss.

»Ich finde die Idee toll, aber wir müssen vielleicht ab sofort jede größere Ausgabe vermeiden.« Ich denke an die traurige kleine Zahl auf meinem Sparkonto. Und daran, dass ich im letzten Quartal kaum noch in der Lage war, die laufenden Kosten zu begleichen.

Laylas Gesicht wird ernst, und sie drückt mir einmal kurz die Hand. Diese freundliche Geste habe ich eigentlich nicht verdient, denn ich sage nicht ganz offen, wie schlimm es momentan wirklich steht. »Kommen wir zurecht?«

»Wir kommen …«, ich suche nach einem Ausdruck, um ›wir stehen am Abgrund‹ irgendwie schonend zu vermitteln, »… einigermaßen zurecht.«

Beckett schluckt endlich seinen lächerlich großen Bissen Zucchinibrot hinunter und lässt ein Bein vorschnellen. »Genau darüber haben wir tatsächlich gerade geredet. Stella hat mir einen Antrag gemacht.«

»Ach ja? Interessant! Aber ich verstehe nicht ganz, was das jetzt mit unserer finanziellen Lage zu tun hat.«

»Geht mir genauso. Doch das habe ich zu hören bekommen, als ich nach dem Stand der Farm gefragt habe.«

»Kriege ich nun auch einen Antrag?«

Ich rolle mit den Augen und beschließe, dass diese Frage keine Antwort verdient hat. Stattdessen drehe ich meinen Computerbildschirm so, dass die beiden die tanzenden Konfetti in ihrer ganzen Pracht sehen können. Beckett zuckt mit keiner Wimper, aber Layla wirft beide Arme hoch und stößt ein schrilles Kreischen aus, das mich zusammenzucken lässt.

»Ist das wahr?« Sie umklammert die Kante meiner Schreibtischplatte, beugt sich tiefer herunter und presst ihre Nase praktisch gegen den Bildschirm. »Du bist Finalistin für diese Evelyn-St.-James-Sache?«

Beckett beäugt das Tablett mit dem Zucchinibrot, das jetzt gefährlich weit über den Rand meines Schreibtisches ragt. Seine Augen sind glasig, als stünde er unter Drogen. »Aspirin Saint was?«

Layla klatscht ihm erneut auf die Hand, ohne ihn auch nur anzusehen. »Sie ist eine Influencerin.«

Beckett verzieht das Gesicht. »Ist das etwas Politisches?«

»Wie kannst du in diesem Jahrhundert überhaupt existieren? Sie ist in den sozialen Medien eine ganz große Nummer. Berichtet über die neuesten Reisetrends, führt quasi ein Reisejournal.«

Mit einem Mal überkommt mich großer Stolz. Sie ist DIE Influencerin für Reiseziele. Ein Feature auf ihrem Account hat den gleichen Effekt wie eine Anzeigenwerbung für einen vier- oder fünfstelligen Betrag. Sie kann unsere Christbaumfarm zu einem Hotspot machen, einem Ort, den Menschen gezielt besuchen wollen. Bisher sind wir lediglich ein Zwischenstopp für Einheimische. Und das Preisgeld von einhunderttausend Dollar, das sie in ihrem Gewinnspiel für kleine Unternehmen ausgeschrieben hat, würde uns ein weiteres Jahr über die Runden bringen, wenn nicht sogar länger.

Ein Jammer, dass ich bei meiner Bewerbung gelogen habe.

»Wie passt da nun aber der Antrag hinein?«

»Ich habe nicht … ich habe dir keinen Antrag gemacht, Beckett.« Ich drehe meinen Computerbildschirm wieder um und verkleinere die E-Mail. Dann trommele ich mit den Fingern auf meine Lippen und denke an den Abend, der mich in diesen Schlamassel überhaupt erst hineingebracht hat. Ich hatte mit Luka telefoniert und war ein klein wenig beschwipst von einem Weißwein und der Art, wie die Haut sich in Lukas Augenwinkeln kräuselte. Er hatte irgendeinen dummen Witz über Schinkensandwiches gemacht und musste dabei selbst so lachen, dass er den Witz nicht zu Ende erzählen konnte. Ich kenne die Pointe immer noch nicht.

»Ich habe in der Bewerbung für das Feature behauptet, dass mir die Christbaumfarm zusammen mit meinem Freund gehört«, murmele ich. Blut schießt mir in die Wangen. Ich wette, ich bin mindestens so rot wie eins der Scheunentore. »Ich dachte, das klingt romantischer als traurige, einsame Frau, die seit siebzehn Monaten kein Date mehr hatte.«

»Ich hoffe bei Gott, dass du mit irgendjemandem wenigstens bedeutungslosen Sex hast.«

»Warum brauchst du einen festen Freund, um erfolgreich zu sein?«

Layla und Beckett sprechen beide durcheinander, obwohl Layla, um fair zu bleiben, eine viel entschlossenere Anstrengung auf sich nimmt, als sie mit einem Schreibtischstuhl durch mein Büro rollt und ihre Feststellung bezüglich meines Sexlebens regelrecht herausbrüllt. Dann sackt sie in sich zusammen, den Mund weit geöffnet, eine Hand dramatisch auf die Brust gedrückt.

»Heiliges Kanonenrohr, kein Wunder, dass du …« Sie deutet mit ihrer löffelschwingenden Hand auf mich, und ich gebe mein Bestes, um nicht einen noch tieferen Rotton anzunehmen. Wahrscheinlich nähere ich mich gerade Purpur-Terrain. »… bist, wie du bist.«

Ich zappele auf meinem Stuhl herum, lasse mich aber nicht beirren. Dass Dates in einer Kleinstadt kompliziert sind, erst recht, wenn man keine festen Bindungen eingehen will, weiß Layla selbst.

»Evelyn kommt für fünf Tage zu einem persönlichen Interview her und wird uns auf ihren Social-Media-Accounts featuren. Warum ich dafür einen festen Freund erfunden habe, weiß ich nicht. Ich dachte, das würde die Christbaumfarm irgendwie romantischer wirken lassen. Evelyn liebt romantische Sachen.«

Beckett nutzt Laylas noch andauernden Schockzustand und ihre Ehrfurcht angesichts meines Zölibats aus und stibitzt sich noch ein Stück Zucchinibrot. »Tja, das ist total bescheuert.«

Ich werfe ihm einen Blick zu. »Danke, Beckett. Dein Beitrag ist äußerst hilfreich.«

»Aber mal im Ernst.« Er bricht seine Scheibe Zucchinibrot entzwei. »Du hast diese Farm zu etwas Wunderbarem gemacht. Du. Ganz allein. Darauf solltest du stolz sein. Wenn du einen Typen hinzufügst, wird deine Geschichte dadurch nicht besser oder schlechter.«

Ich blinzele ihn an. »Manchmal vergesse ich, dass du drei Schwestern hast.«

Er zuckt die Achseln. »Ich gebe nur meinen Senf dazu.«

»Bist du dir sicher, dass du nicht doch eine Woche lang so tun willst, als würdest du mich unwiderstehlich finden?«

Layla schüttelt den Kopf, während sie endlich aus ihrem tranceähnlichen Zustand auftaucht. »Das ist keine gute Idee. Hast du mal erlebt, wie er versucht, jemanden zu belügen? Es ist grauenhaft. Jedes Mal, wenn er in die Stadt fahren muss, um einzukaufen, wird er einfältig und stumm.«

Das stimmte. Mehr als einmal musste ich seine Bestellung vom Metzger für ihn abholen, und ich bin überzeugt, dass er sich nur für die Landwirtschaft entschieden hat, um nicht mehr so oft in den Supermarkt gehen zu müssen. Beckett mag die Gesellschaft anderer Menschen nicht, und er mag es erst recht nicht, wenn ihn die weibliche Hälfte der Stadt in unverhohlene Flirtversuche verwickelt, sobald er auftaucht. Manchmal habe ich das Gefühl, als wären Layla und ich die Einzigen, die gegen seinen beträchtlichen Mangel an Charme immun sind. Wer – außer uns – erlebt schon hautnah mit, wie er die Bäume den halben Tag derbe beschimpft, und das tagtäglich?

Und wessen Herz – außer meinem – verzehrt sich schon seit fast zehn Jahren insgeheim und hoffnungslos nach ein und derselben Person?

Ich schnappe mir noch eine Scheibe Zucchinibrot und knabbere daran herum, während ich über meine Optionen nachdenke. Meine Nicht-Luka-Optionen. Ich könnte Jesse fragen, der die einzige Bar in unserer Stadt besitzt. Aber er würde wahrscheinlich denken, es stecke mehr dahinter, und ich habe weder die Zeit noch die Energie für eine vorgetäuschte Trennung nach einer vorgetäuschten Beziehung. Ich könnte auch Kontakt zu einem Escort-Service aufnehmen. So etwas gibt es doch, oder? Ich meine, wofür sind Escort-Services überhaupt da? Für Leute, die … keine Ahnung, Begleitung suchen?

Ich drücke mir die Finger unter die Augen und vergesse, dass ich in einer Hand immer noch ein Stück Zucchinibrot halte. Die Lage ist also eindeutig. Es gibt nur eine einzige Lösung. Doch die – die jagt mir eine höllische Angst ein.

»Jetzt ist der Groschen gefallen«, murmelt Beckett, und es kostet mich jede Faser meines Seins, ihm nicht das komplette Brot ins Gesicht zu reiben. »Sie hat es endlich kapiert.«

»Ich weiß nicht, warum du so ausflippst? Das ist doch alles ganz einfach. Er würde es sofort machen.«

Ich werfe Layla zwischen meinen Fingern hindurch einen Blick zu. Sie lächelt selbstgefällig und sollte dabei ein Monokel tragen und eine Nacktkatze streicheln wie einer der Bösewichte in einem James Bond-Film. Wie konnte ich jemals denken, sie wäre liebenswert? Sie ist ein nervtötendes kleines Ding.

»Frag Luka.«

2

Es gibt eine Bar in der Stadt, in die Luka und ich gerne gehen. Das Bier ist billig, der Boden klebrig, und wenn ich der Jukebox einen Tritt unten rechts verpasse, spielt sie genau dreizehn Mal Ella Fitzgerald. Die Bar ist perfekt.

Aber an einem Samstagabend, wenn es voll wird und die Menschen sich aneinanderpressen, fällt es mir manchmal schwer, meinen persönlichen Raum um mich herum zu verteidigen. Ermutigt vom Whiskey, ist es immer unausweichlich, dass eine Hand auf meinem Hintern landet, oder irgendein hübscher, dummer Kerl, der sich für ein Geschenk Gottes hält, lüstern in den Ausschnitt meiner Bluse glotzt. Dann legt Luka mir immer eine Hand auf die Schulter, unter mein Haar, das er mir dabei in den Nacken streicht. Danach zieht er mich eng an sich und bettet sein Kinn auf meinen Kopf. Ich passe perfekt dorthin, dicht an seinen Körper geschmiegt, finde ich meinen Raum.

In der Stille der Nacht habe ich schon ein- oder zweimal darüber nachgedacht: Wie seine Hand sich auf meiner Haut anfühlt, wie sie behutsam meinen Hinterkopf umfasst, eine Bewegung, die gleichzeitig besitzergreifend und respektvoll ist. Ich habe darüber nachgedacht, wie es sich anfühlen würde, wenn er fester zulangt, wenn er seine Finger in meinem Haar vergräbt, um mich in die richtige Position zu bringen, bis sein Mund den meinen findet.

Ich habe viel über Luka nachgedacht. Über Dinge, die man von seinem besten Freund nicht denken sollte.

Kennengelernt haben wir uns, als ich einundzwanzig Jahre alt war. Ich bin frontal mit ihm zusammengeprallt, als ich aus dem Baumarkt kam, verloren in einem Meer von Trauer, die ich nicht abschütteln konnte. Seit dem Tod meiner Mom nur drei Monate zuvor klebte sie gnadenlos an mir wie eine verschwitzte Decke. Ich erinnere mich noch, wie ich im Baumarkt in einem der Gänge gestanden und in den Händen ein Set aus nicht zusammenpassenden Muttern und Bolzen gehalten habe, fest entschlossen, mit meiner ganzen destruktiven Energie etwas anzufangen. Ich wollte ein Vogelhaus bauen, ein neues Regal für den Flur, irgendwas. Dann bin ich beim Hinausgehen auf der vorderen Treppe Luka in die Arme gestolpert. Schnell hat er die Hände um meine Ellenbogen gelegt, um mich festzuhalten. Ich erinnere mich noch daran, wie sein karamellbraunes Haar unter seiner Baseballkappe hervorschaute und er, wenn er lächelte, einen Mundwinkel vor dem anderen hochzog. Es kam mir vor, als würde ich zum ersten Mal seit langer Zeit überhaupt etwas wahrnehmen. Luka hatte sich geräuspert, weiter meine Arme festgehalten und gefragt, ob ich gegrillten Käse wolle. Kein Hallo. Kein Wie geht es dir. Nur: Willst du einen gegrillten Käse?

Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat, Ja zu sagen. Ich war damals an einem Punkt angelangt, an dem ich kaum noch mit jemandem redete, selbst wenn ich die Person seit Jahren kannte. Ich existierte, bestenfalls. Taumelte, schlimmstenfalls. Aber ich bin mit Luka mitgegangen und habe in dem kleinen Café der Stadt gegrillten Käse gegessen. Es stellte sich heraus, dass seine Mom gerade nach Inglewild gezogen war, und er ihr dabei half, sich häuslich einzurichten. Ich habe ihm meine Einkäufe aus dem Baumarkt angeboten, und er hat ein überraschtes Lachen ausgestoßen. Ich erinnere mich noch immer an die raue Haut seiner Finger auf meiner Handfläche, als er nach diesem blöden Drehknopf griff, den ich planlos gekauft hatte.

Luka nannte es Kismet, denn er war genau wegen dieses Teils auf dem Weg in den Baumarkt gewesen.

Von da an haben wir eine gewisse Routine entwickelt. Immer, wenn Luka in die Stadt kam, stöberte er mich auf, um mit mir gegrillten Käse zu essen. Unsere Grillkäse-Treffen verwandelten sich in nachmittägliche Spaziergänge durch den Park und frühe Morgenstunden auf Bauernmärkten, nachmittägliche Happy Hours und Quizabende in Kneipen. Lukas Besuche in Inglewild wurden regelmäßiger, und er lud mich auch ein, mal bei ihm vorbeizukommen, sollte ich jemals in New York sein. Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und aus einer Laune heraus tatsächlich ein Busticket gekauft.

Mit seinem unbefangenen Lächeln und seinen dummen Witzen hat Luka langsam und vorsichtig die leeren Stellen in meinem Leben ausgefüllt. Er hat mich zu mir selbst zurückgebracht.

Und so ist es seitdem immer gewesen.

Frustrierenderweise perfekt platonisch.

Und jetzt würde sich daran nicht das Mindeste verändern, versuche ich mir einzureden. Wenn ich Luka bitte, sich für fünf Tage zu verstellen, wäre das nur ein Gefallen, den ein Freund einem anderen Freund tut. Ich würde das Gleiche auch für ihn oder für Beckett oder für Layla tun. Es muss nicht … es muss ja nicht bedeuten, was auch immer mein Verstand denkt, dass es bedeuten muss.

Über Laylas Vorschlag grübele ich nicht zum ersten Mal nach. Ich habe schon die ganze Woche versucht, Luka zu fragen. Er ist schließlich der Grund, warum ich überhaupt gelogen habe. Man könnte es Wunschdenken oder die Verwirklichung einer Fantasie nennen, aber als ich die Worte für die Bewerbung getippt habe, wusste ich, an wen ich dachte.

Doch es fühlt sich ein wenig an wie das Überschreiten einer Grenze, die wir beide ganz bewusst aufrechterhalten haben, die ich tatsächlich ganz akribisch aufrechtzuerhalten versuche. Denn Luka ist der erste Mensch in meinem Leben, der nicht verschwunden ist. Er ist mehr als mein bester Freund – er steht für Beständigkeit und Vertrautheit. Mit ihm gibt es Pop-Tarts an jedem ersten Samstag im Monat. Mit ihm verbringe ich in der schwülen Sommerhitze spätnächtliche Stunden vor dem Fernseher, in denen wir unsere Handys auf unseren jeweiligen Couchtischen aufstellen und so zusammen Die Hard ansehen. Er isst Pizza mit einer Extraportion Pilze, einer milden Soße und einer Kruste, die perfekt sein muss.

Luka ist gewissermaßen meine Familie. Das kann – und will – ich nicht riskieren, nur um herauszufinden, ob aus uns mehr werden könnte. Auch wenn ich den Gedanken nicht aus dem Kopf bekomme. Auch wenn ich seit siebzehn Monaten mit niemandem zusammen war, weil ich jeden anderen Mann unausweichlich mit Luka vergleiche und jedes Mal enttäuscht bin.

Aber vielleicht ist diese Idee – so zu tun, als wären wir ein Paar – ja doch die Lösung. Nachdem wir eine Woche so getan haben als ob, kann ich mir die Sache endgültig aus dem Kopf schlagen. Kann mir ihn aus dem Kopf schlagen. Kann aufhören mit den Spekulationen und den Vergleichen und einfach weiterziehen. Denn wenn etwas mit Luka hätte passieren sollen, wäre es dann nicht längst schon passiert?

Der Gedanke schmerzt mich wie eine alte Wunde, eine, in die ich von Zeit zu Zeit einen Daumen drücke, nur um das dumpfe Pochen zu spüren. Denn natürlich hat es schon Gelegenheiten gegeben, bei denen ich dachte, Luka wolle vielleicht auch etwas anderes. Nach einer durchzechten Nacht fange ich manchmal auf, wie ein Blick von ihm auf mir verweilt. Auf der Wölbung meiner Schulter oder der Kurve meiner Unterlippe. Seine Berührungen werden freier. Eine Hand auf meiner Hüfte, wenn er mich auf der winzigen Tanzfläche herumwirbelt. Seine Stirn an meiner. Momente, die die Jahre überdauern, doch eigentlich immer nur ein oder zwei Sekunden lang waren. Aber es war jedes Mal lang genug, um mir das Gefühl zu geben, er könne mich vielleicht auch so wollen, wie ich ihn immer gewollt habe. Nicht nur als Freund. Mehr als alles andere.

Aber dann drücke ich auf diese Wunde und sage mir, dass es so besser ist. Denn so kann ich ihn behalten.

»Ich bin mir nicht sicher, ob er diese Woche in der Stadt ist«, antworte ich Layla nach diesem längeren Rückblick auf meine Vergangenheit, und bin mir deutlich bewusst, dass das bestenfalls eine magere Ausrede ist.

Sie sieht mich unbeeindruckt an. »Er wohnt drei Stunden von hier entfernt. Und habe ich ihn nicht schon zweimal in diesem Monat gesehen?«

Beckett kommt zu dem Schluss, dass dies ein guter Zeitpunkt sei, um sich einzubringen. »Und hast du ihn nicht auch zu dem Kochwettbewerb im April eingeladen? Wenn die Teilnehmer Erdbeermarmelade zubereiten?«

Ich sinke weiter auf meinem Stuhl nach unten. »Er liebt Erdbeermarmelade.«

Beckett hievt sich aus dem winzigen Ledersessel und wischt sich die Hände an den Oberschenkeln ab. Damit hat er sich offiziell aus diesem Gespräch ausgeklinkt. Im Geiste ist er schon irgendwo bei den Balsamtannen, wo er eine fröhliche kleine Melodie vor sich hin summt und einen frischen Laib Zucchinibrot in Händen wiegt.

»Ich verschwinde«, verkündet er und dreht sich auf dem Absatz um. Layla springt auf, um sich ihm anzuschließen, und legt ihm kurz eine Hand um den Ellenbogen, bevor er allzu weit gekommen ist. Mit einem Finger zeigt sie drohend in meine Richtung.

»Frag Luka, oder ich werde ihn für dich fragen.«

Ich will gar nicht wissen, wie das aussehen würde. Wahrscheinlich wie eine PowerPoint-Präsentation. Vermutlich wie meine totale und abgrundtiefe Demütigung.

Wie aufs Stichwort kommt mein Handy über den Schreibtisch auf mich zugerutscht. Es stößt ein langes, heftiges Summen aus und kommt dann zum Stillstand. Ich drehe es vorsichtig um, und starre auf die Liste eingegangener Nachrichten, während die blanke Angst an meinen Eingeweiden zerrt und mir über die Schultern kriecht.

7 Nachrichten

Luka Peters

3 Nachrichten

Charlie

1 Nachricht

Charlie, Brian Milford, Elle Milford

Ah, Mist. Nicht viele Menschen führen ihren Dad mit vollem Vor- und Nachnamen in ihrem Adressbuch, aber das beschreibt ziemlich genau meine Beziehung zu ihm. Ich beschließe, mich zuerst um seine Nachricht zu kümmern.

16:32

Brian Milford: Wir werden am ersten Wochenende im November unser Thanksgiving-Dinner veranstalten. Estelle, du kannst einen Kürbiskuchen mitbringen.

Ich kann einen Kürbiskuchen mitbringen. Toll. Ich wette, dass ich, wenn ich zu den Leuten gehören würde, die Textnachrichten abspeichern, genau die gleiche Nachricht an genau dem gleichen Tag und zu genau der gleichen Uhrzeit im vergangenen Jahr finden würde. Ich bin mir tatsächlich nicht sicher, ob mein Vater mir, abgesehen von diesem Zweizeiler, sonst schon einmal eine Nachricht geschickt hat. Damit sind auch die drei Nachrichten von Charlie geklärt. Ich schließe den Gruppenchat mit meinem Dad, seiner Ehefrau und meinem Halbbruder und gehe gleich zur nächsten SMS weiter.

16:37

Charlie: Er kann wirklich mit Worten umgehen, stimmt’s?

16:47

Charlie: Lass dich nicht unterkriegen.

Charlie: Wehe, du bringst Pekannuss mit.

Ich stoße ein schnaubendes Lachen aus und sende ein albernes GIF – etwas mit einem Hund und Flammen, das meine Gefühlslage darüber zusammenfasst, wie ein bockiges Kind nach Hause zitiert zu werden. Mein Dad und seine Familie feiern ihr Thanksgiving nicht am ersten Wochenende im November, aber da findet immer das Dinner statt, zu dem ich eingeladen werde, damit mein Dad seine jährliche Feiertagspflicht abhaken kann. Vielleicht lindert das seine Schuldgefühle darüber, wie er meine Mom und mich auf dem Trockenen hat sitzen lassen, oder vielleicht zwingt Elle ihn dazu. Was auch der Grund sein mag, es ist immer ein schmerzhaft peinliches Dinner, das nur durch Charlies gut gemeinte Konversationsversuche und dem übellaunigen Murmeln meines Dads aufgelockert wird.

Ich werde definitiv Pekannusstorte mitbringen.

Als Nächstes rufe ich Lukas Nachrichten auf, und dabei holt mich der Stress des Tages richtig ein. Ich glaube, heute wäre ein guter Abend für ein Tetrapak Wein, Sleepless in Seattle und Pizza im Bett.

16:15

Luka: Wie war dein Gespräch mit dem Lieferanten?

Luka: Du bist übrigens süß, wenn du mich anlügst.

Luka: Warum sind eigentlich drei Episoden von Naked and Afraid auf meinem Account runtergeladen worden? Kenne ich dich überhaupt noch?

Ich vergesse manchmal, dass wir uns Streaming-Dienste teilen. Gott sei Dank habe ich mir diese Porno-Netflix-Filme bei Layla angesehen.

16:59

Luka: Charlie schreibt mir irgendetwas über Pekannusskuchen.

Luka: Lieber Gott.

Luka: Backt Layla jetzt auch Kuchen?

Ich sollte wegen eines Pekannusskuchens nicht eifersüchtig werden, aber es hilft nichts. Das passiert, wenn es um Luka geht.

17:02

Luka: Sleepless in Seattle läuft wieder auf HBO.

Ich schließe die Augen und drücke mein Handy gegen meine Stirn. Dann klopfe ich zweimal damit auf meinen Schädel und treffe eine Entscheidung. Ich werde es tun. Ich werde ihn fragen. Ich werde ihn fragen, und alles wird gut werden.

17:31

Stella: Können wir heute Abend FaceTimen? Ich muss dich um einen Gefallen bitten.

Fast im gleichen Augenblick beginnt mein Handy zu klingeln, und ein vor fünf Jahren aufgenommenes Foto von Luka erscheint auf dem Display. Damals habe ich ihn gezwungen, mit mir sieben verschiedene Pizzalokale an einem einzigen Tag zu besuchen, weil ich partout keine Soße finden konnte, die mir geschmeckt hätte. Auf dem Foto trägt er einen albernen Pizzahut. Er sieht lächerlich aus.

Ich liebe das Foto.

Ich lasse das Handy noch einige Male klingeln und versuche, zu einer robusteren Version meiner selbst zu finden. Zu einer Version meiner selbst, die nicht immer noch Ahornsirupflecken von den Stresswaffeln des Morgens auf der Bluse hat.

Ich kann das schaffen. Ich kann Luka um diese einfache Sache bitten, und nichts muss sich ändern.

»Hey!«

Nach meinem Gruß, der selbst in meinen eigenen Ohren übertrieben munter und gezwungen klingt, herrscht erst einmal Schweigen. Dann höre ich ein gedämpftes Schlurfen, eine Tür wird geschlossen, dann ein Schnauben.

»Kannst du mir bitte einfach sagen, was los ist?«

Ich greife nach einem der Duftbäume mit Tannenzapfenduft, den ich nicht in meine untere Schublade geworfen habe, und ziehe den Faden nach vorn über meinen Daumen. »Was meinst du?«

Ich bin offiziell eine pathologische Lügnerin.

»Du hast dich die ganze Woche schon so merkwürdig benommen.«

»Habe ich … nicht.«

»Du benimmst dich auch jetzt gerade merkwürdig«, setzt er nach. Er seufzt abermals, und ich höre ein Klatschen, als hätte er sich gerade auf sein Bett geworfen. Ich stelle mir vor, wie er seine langen Beine ausstreckt, sodass seine Knöchel über die Bettkante baumeln. »Komm schon, Lala. Was ist los mit dir? Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann du mich das letzte Mal um einen Gefallen gebeten hast.«

Ich runzele die Stirn, drehe mich auf meinem Stuhl um und spähe durch das große Erkerfenster mit Blick über unseren Baumbestand. So weit hier draußen sind wir ziemlich isoliert. Aber ein schmaler, kaum befestigter Fahrweg führt von der Farm zu der winzigen Stadt Inglewild. Vor ungefähr zwanzig Jahren hat jemand versucht, Inglewild in Klein Florenz umzubenennen, um uns mit der atemberaubend schönen Stadt in Italien in Verbindung zu bringen. Dadurch sollten wohl mehr Touristen auf der Durchreise nach Washington oder Baltimore angelockt werden. Einzig bedauerlich war für diese Marketingkampagne, dass es keinerlei Ähnlichkeiten zwischen Inglewild und Florenz gibt. Der Name hat sich nicht durchgesetzt.

»Vor ungefähr anderthalb Monaten«, erinnere ich ihn, »habe ich dich dazu gebracht, mir zehn Liter Schokoladeneis von diesem Laden an der Ecke in der Nähe deiner Wohnung mitzubringen. Du musstest auch noch extra eine Kühlbox kaufen.«

Sein Lachen brummt durch die Leitung und setzt sich zwischen meinen Rippen fest. »Okay, das stimmt. Aber du benimmst dich seltsam. Was ist los?«

Mein Magen knurrt, und ich werfe einen Blick auf die Uhr. In der Speisekammer warten Ramen-Nudeln auf mich. Und ich will auf keinen Fall hier über alles sprechen, wo jeder einfach hereinspazieren kann. Viel lieber hätte ich jetzt ein Glas Wein in der Hand.

»Kann ich dich zurückrufen, wenn ich zu Hause bin?«, zögere ich die Sache noch einmal hinaus und werfe den Duftbaum auf meinen Schreibtisch. Die Schnur hat einen leuchtend roten Abdruck auf meinem Daumen hinterlassen. Anscheinend will ich diese Angst noch etwas in die Länge ziehen. »Ich mach mich gerade auf den Weg.«

»Nun, witzige Geschichte«, antwortet er mit gedehnter Stimme. »Ich bin tatsächlich gerade in der Stadt und besuche meine Mom. Soll ich in zwanzig Minuten bei dir sein?«

Mist.

»Ja, na klar«, sage ich schwach, schon von Panik erfüllt. Typisch Luka. Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass er mein bester Kumpel ist und dass ich in unserer langen Beziehung schon viel peinlichere Dinge getan habe, als ihn darum zu bitten, sich als meinen festen Freund auszugeben. Wie damals, als ich auf seine Fußmatte gekotzt habe, nachdem ich mit irgendjemandem gewettet hatte, dass ich eine ganze Karaffe voll rätselhaftem Wein trinken könnte. Oder damals, als ich mir meine Ponyfransen abgeschnitten und achtzehn Wochen lang einen Anglerhut getragen habe, wenn wir zusammen irgendwo unterwegs waren. Ich schlucke meine Nervosität herunter.

»Das klingt gut.«

3

Auch wenn mein Cottage nur wenige Gehminuten von meinem Büro entfernt ist, brauche ich immer noch eine Dreiviertelstunde, um mich von meinen E-Mails loszureißen, meine Sachen einzusammeln und mich dann endlich auf den Heimweg zu machen. Ich nehme mir vor, Hank zu fragen, ob auch er bereits Probleme mit den Bäumen auf dem südlichen Flurstück hatte. Und ob er bemerkt hat, dass eine Waschbärenfamilie die Scheune zerlegt. Oder ob ihm die Schwierigkeiten mit dem Düngerlieferanten bekannt waren.

Und falls ja, warum er mir dann nichts davon gesagt hat?

Weil er wusste, dass diese Farm ein Fass ohne Boden ist und er mit seiner Frau nach Costa Rica auswandern wollte. Mein Verstand erinnert mich glücklicherweise an die Poster, die ich im Büro von den Wänden hatte kratzen müssen. Leuchtend grüner Dschungel und üppige Wasserfälle, nahezu verblichen und weiß, weil sie zu lange dort gehangen hatten.

Ich habe nicht gerade sehr vernünftig gehandelt, als ich diese Farm gekauft habe. Wahrscheinlich war ich von Optimismus geblendet. War zu sehr auf das süße kleine Cottage am Rand des Farmlandes konzentriert und die Vorstellung, wie ich es mir mit einem Becher Tee vor dem steinernen Kamin gemütlich mache. Wie ich im ersten Schnee des Jahres durch die endlosen Reihen meiner Bäume stapfe. Auf meinem eigenen Land. Endlich an einem Ort, an den ich hingehöre.

Während meiner Kindheit und Jugend sind meine Mom und ich ständig umgezogen. Sie war stets auf der Jagd nach der nächstbesten Chance, und ich hatte Mühe, Fuß zu fassen, wenn wir wegen eines Kellnerinnen-Jobs oder einer zeitlich befristeten Aushilfsstelle für eine Saison in einer neuen Stadt aufschlugen. Das lag aber keinesfalls daran, dass meine Mom sich keine Mühe gegeben hätte. Sie tat immer ihr Bestes, um mir meine Eingewöhnung so leicht wie möglich zu machen. Solange es ging, blieb sie mit mir an einem Ort und packte sorgfältig all unsere magere Habe zusammen, wenn wir weiterziehen mussten. An jedem neuen Ort hängte sie dann den kreuzgestickten Willkommensgruß an der gleichen Stelle auf, genauso wie unsere Geschirrtücher mit den aufgestickten Zitronen und Limonen. Trotzdem hatte ich immer Angst, Wurzeln zu schlagen, weil es mir zwecklos erschien. Weil ich mir nie sicher sein konnte, ob ich mich nicht einen Monat später wieder losreißen und an anderer Stelle erneut von vorn beginnen musste.

Ein Windstoß wispert durch die Bäume, fährt mir durchs Haar und streicht mir über die Wangen. Unter meinen Stiefeln knirscht das Laub der mächtigen Ahornbäume, die den Rand meines Farmlandes säumen. Ein Fußweg schlängelt sich über eine kleine Wiese und führt dann an dem Kürbisfeld entlang, das zwischen dem Büro und meinem Haus liegt. Bei gutem Wetter dauert der Spaziergang eigentlich fünf Minuten, aber heute Abend brauche ich länger, beobachte, wie die Sonne am Himmel tiefer hinabsinkt und mit ihren Strahlen die Ahornblätter zum Leuchten bringt. Rot-, Orange- und Gelbtöne tanzen in einem Kaleidoskop der Farben um mich herum.

Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass ich diese Farm im Oktober gekauft habe. Abende wie der heutige haben ihre ganz besondere Magie, eine gewisse Nostalgie, wenn die Vergangenheit sich mit der Gegenwart verbindet und mit der Zukunft flirtet. Der Holzrauch des Feuers, das Beckett in seinem Haus am Fuß der Vorhügel entzündet hat, zieht zu mir herüber, und ich sehe die Rauchfahne aus seinem Schornstein aufsteigen. Über mir rascheln die Zweige, und einige Eulen rufen, während die Sonne untergeht. Einen einzigen wunderschönen Augenblick lang habe ich das Gefühl, als wäre ich Teil des Bildes, das meine Mom in jeder einzelnen Wohnung, die wir jemals unser Zuhause genannt haben, an die Wand geheftet hat.

Eine Farm. Ein einziger roter Trecker. Ein kleines Mädchen mit Dreck an den Knien und einer perfekten Auswahl von Weihnachtsbäumen hinter sich.

Das war schon ein Traum gewesen, bevor ich überhaupt den Mut aufbrachte, Träume zuzulassen.

Ein Licht in der Ferne erregt meine Aufmerksamkeit, ein warmer Schimmer auf meiner gepflasterten Einfahrt. Als ich um den letzten Baum, der die Grenze meines Grundstücks markiert, biege, schwingt die Vordertür auf, und Luka tritt heraus und lehnt sich mit der Schulter ans Geländer. Er sieht auf meiner winzigen Veranda vor meinem winzigen Haus beinah komisch groß aus, noch dazu mit meinem winzigen Geschirrtuch in Händen. Jetzt schwingt er es sich über die Schulter und überkreuzt seine besockten Füße. Mit einem Lächeln stelle ich fest, dass er die Socken trägt, die ich ihm vergangenes Jahr zu Weihnachten geschenkt habe, die mit den winzig kleinen Sriracha-Fläschchen. Sein Mund verzieht sich zu einem kleinen Grinsen, bei dem er seine Unterlippe auf der linken Seite eine Spur nach unten zieht, während der Oktoberwind sein immer wirres Haar noch mehr zerzaust. In seinen warmen braunen Augen spiegelt sich die untergehende Sonne und lässt sie in ihrem verblassenden Licht fast bernsteinfarben erscheinen.

»Sind wir unter die Einbrecher gegangen?« Ich beschleunige meine Schritte, denn ich erschnuppere einen Hauch von Tomate und Basilikum. Wenn er die Fleischbällchen seiner Grandma zubereitet hat, werde ich ihn vielleicht nie wieder gehen lassen.

»Es ist kein Einbruch, wenn man einen Schlüssel hat«, ruft er zurück. Ich lache, und sein Lächeln wird zu etwas Wunderschönem. Es ist ein Moment, den ich für immer in meine Seele einbrennen will, für die Nächte, in denen ich mich ein klein wenig einsam fühle und sehr traurig. Ich hole tief Luft und versuche, alles, was diesen Augenblick ausmacht, bewusst wahrzunehmen und mir einzuprägen. Die Rosa- und Purpurtöne, die sein Gesicht im Halbdunkel umspielen, wie sein Sweatshirt sich über seiner Brust spannt, seine Füße in diesen Socken auf dem knarrenden Holz meiner betagten Veranda. Die Magie liegt in den Details, pflegte meine Mom immer zu sagen. Und die Details hier sind perfekt.

Meine Füße finden die unterste Verandastufe, und er kommt mir auf halbem Weg entgegen und nimmt mich in seine starken Arme. Er riecht nach Marinarasauce und der Vanilleseife, die ich an meiner Küchenspüle liegen habe, und plötzlich verspüre ich den unerklärlichen Drang, in Tränen auszubrechen.

»Hey, Lala.« Er bettet das Kinn auf meinen Kopf und drückt mich fest an sich. »Lange nicht gesehen.«

Ich umarme ihn ebenfalls, meine Hände liegen auf seinen Schulterblättern. Langsam atme ich durch die Nase aus und wiege uns beide hin und her. »Du hast mich vor zwei Wochen gesehen«, murmele ich an seiner Brust. »Wir haben auf dem Sofa gesessen und zweimal hintereinander Independence Day gesehen, weil du einen Jeff-Goldblum-Crush hast.«

»Wegen dieses Fliegeranzugs, habe ich recht?« Er tritt einen Schritt zurück, lässt aber die Hände auf meinen Schultern liegen. Forschend blickt er mir mit seinen braunen Augen ins Gesicht. So aus der Nähe kann ich die Sommersprossen sehen, die sich über seine Nase ziehen und sich unter seinen Augen wie Sternbilder ausbreiten. Ich verkneife mir einen Seufzer, und er runzelt die Stirn.

»Was ist los, Stella?«

Die Panik ist immer noch da. Also zögere ich die Sache hinaus. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihm über die Schulter zu spähen.

»Kriege ich zuerst was zu essen?«

Er runzelt die Stirn, nickt jedoch und lässt die Hände an meinem Armen hinabgleiten und drückt mich dabei mehrfach. Dieses Eins-Zwei-Drei seiner Hände, die an meinem Bizeps, meinen Ellenbogen und meinen eigenen Händen hinabwandern, macht er seit jenem ersten Tag, an dem ich wie eine Dampfwalze über ihn hinweggefahren bin.

Sobald wir im Haus sind, verschwindet er wieder in der Küche, während ich an der Tür meine Stiefel ausziehe und bemerke, dass seine Schuhe bereits ordentlich unter dem Tisch in der Diele stehen. Ich werfe meine Schlüssel zu seinen in die blaue Keramikschale, die ich damals bei einem Kunstprojekt in der Highschool gemacht habe, und hänge meinen Schal neben seiner schwarzen Jeansjacke an den Garderobenhaken.

Ist es nicht albern, die Art und Weise zu lieben, wie die Sachen einer anderen Person neben den eigenen aussehen? Bruchstücke eines parallel gelebten Lebens.

Ich starre eine Minute zu lange auf seine Jacke, da ruft er auch schon aus der Küche und fragt nach einer Flasche Rotwein, die ich in einem Schrank im Flur aufbewahre. Sein Gedächtnis würde mich beeindrucken, wenn er nicht derjenige gewesen wäre, der diesen Rotwein vor einigen Monaten mitgebracht und unter meinen Pullovern versteckt hat.

Mit der Weinflasche in der Hand und einer weiteren unter den Arm geklemmt, gehe ich in die Küche. Dieses Gespräch wird wahrscheinlich besser laufen, wenn ich mir ein wenig Mut antrinke. Er schaut über seine Schulter, als ich beide Flaschen auf die Theke stelle. Eine Locke fällt ihm über ein Auge, und in seiner Gesäßtasche steckt dieses verdammte Geschirrtuch mit den Gartenzwergen. Er sieht absolut lächerlich aus und durch und durch attraktiv, mit seinen abgetragenen Jeans und ausgebleichtem Sweatshirt, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hat.

»So ein Abend?«

»So ein Jahr«, antworte ich und krame in einer Schublade nach dem Korkenzieher. Luka beobachtet meine Mühen schätzungsweise sechsundzwanzig Sekunden lang, bevor er das, was er gerade am Herd gerührt hat, sich selbst überlässt, in meinen persönlichen Raum eindringt und sich an mich drückt, während er gleichzeitig über unsere Köpfe greift. Plötzlich sind wir auf Tuchfühlung und ich neige meinen Kopf zurück, um sein Gesicht zu sehen. Tatsächlich könnte ich ihm jetzt auch in den Bizeps beißen, wenn ich wollte, denn ich habe den dicken Muskel direkt vor mir.

Er sieht mir forschend ins Gesicht, und verzieht seine Mundwinkel zu einem Grinsen. »Woran denkst du gerade bloß?«

»An verbotene Früchte.« Röte steigt mir in die Wangen, und ich kneife ihm in die Seite. Er zuckt zusammen, tastet aber weiter oben auf den Schränken herum. »Was machst du da oben?«

Zur Antwort reicht er mir einen Korkenzieher, und ich recke den Hals, um stirnrunzelnd über meine Schränke zu blicken. »Was versteckst du da sonst noch?«

»Alles, was du nicht in deine kleinen Hände kriegen sollst.«

Auf meine innere Merkliste notiere ich: Später die Trittleiter holen und der Sache auf den Grund gehen.

Aber erst einmal nimmt mir Luka die Weinflasche aus der Hand und entkorkt sie mit einer so lässigen und eleganten Bewegung, die nicht so attraktiv sein sollte, wie sie ist. Dann greift er mir über die Schulter und schenkt jedem von uns ein Glas ein, während ich praktisch an seiner Brust klebe. Ich reiche ihm mit dem Scheitel kaum bis zu den Schultern und habe seine Schlüsselbeine, die unter seinem Sweatshirt hervortreten, direkt vor der Nase. Ich betrachte sie mit Laserblick.

»Das Abendessen ist in ein paar Minuten fertig«, murmelt er, und ich spüre seine Worte wie einen warmen Lufthauch auf der Haut.

Blinzelnd greife ich nach meinem Wein und umklammere das Glas wie einen Rettungsanker. Mir sind diese Dinge natürlich schon früher aufgefallen, aber jetzt fühlt es sich so an, als läge alles an Luka unter einer Lupe. Leben in Technicolor, schätze ich.

»Danke.« Benommen und verwirrt schaue ich mich in meiner Küche um, als sähe ich sie zum ersten Mal. »Brauchst du vielleicht Hilfe bei irgendetwas?«

Meine Stimme klingt merkwürdig förmlich, als hätte ich den Satz mit einem geehrter Herr enden sollen. Luka sieht mich noch einmal mit zusammengekniffenen Augen an und zeigt nur in Richtung Tisch. Ich folge seiner Anweisung ohne einen weiteren Kommentar und setze mich auf den kippeligen Esszimmerstuhl aus den Fünfzigerjahren, der so gar nicht zum Rest meiner Einrichtung passt. Ich starre stumm auf den Tisch und gebe mein Bestes, um nicht durchzudrehen, was wirklich schwer ist, da die Bitte, die ich gleich aussprechen werde, meinen besten Freund vielleicht dazu bringen wird, mich auszulachen. Oder zur Tür hinauszurennen. Oder beides.

Bis Luka mir einen Teller mit einem Berg Spaghetti und Fleischbällchen hinschiebt, habe ich mein Weinglas geleert und mich selbst in einen Zustand hineingesteigert, der dem einer Feuerwerksrakete kurz vor der Explosion gleichkommt.

»Beck findet, dass deine Bäume gut aussehen.« Luka macht es sich auf dem Stuhl mir gegenüber bequem. »Abgesehen von denen auf dem Südfeld.«

Daran muss er mich nun wirklich nicht erinnern. Mein Blick wandert von meinem vollen Spaghettiteller zu seinen Unterarmen, um die sich der Ärmelbund seines Sweatshirts spannt. Rasch wende ich den Blick wieder auf die Weinflasche auf der Theke und den Parmesankäse, der danebensteht. Hoffentlich ist es nicht der aus meinem Kühlschrank.

Ich deute mit der Gabel auf den Käse, wobei meine Beine nervös unter dem Tisch zucken. »Wo ist der her?«

Luka sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Aus dem Lebensmittelladen.«

»Cool. Cool, cool.«

»Stella.« Luka legt seine Gabel ab und beugt sich zu mir vor, als wollte er meine Hände in seine nehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine echte Hilfe wäre. Er tut es jedoch nicht, seufzt und reibt sich übers Kinn. Dann greift er wieder nach seinem Besteck. »Was ist los mit dir?«

»Wieso?«

Er zieht eine Braue hoch. »Zum einen hast du gerade diesen Tisch durch die halbe Küche geschoben.«

»Ich habe nur … ich muss dich um etwas bitten.«

»Brauchst du eine Niere?«

»Was? Nein.« Obwohl mir eine Organtransplantation im Moment tatsächlich lieber wäre.

»Du benimmst dich so, als würdest du eine Niere brauchen.«

»Du musst mein fester Freund werden«, platzt es aus mir heraus. Meine Hände schwitzen, ich habe einen Kloß im Hals, und mein Magen hat wie vorher meine Beine ein Eigenleben entwickelt. Luka dagegen zuckt nicht mal mit der Wimper. Gelassen dreht er mit seiner Gabel die weltlängste Spaghetti auf.

»Okay.« Er schiebt sich den Bissen in den Mund.

»Es soll nur zum Schein sein.« Ich schreie ihn praktisch an. Ich weiß nicht, warum ich so laut geworden bin, und bemühe mich bewusst, meine Stimme zu senken. »Es wäre nicht … ich wollte dich bitten, so zu tun, als wärst du fest mit mir zusammen. Das ›So zu tun als ob‹ ist wichtig.«

Er zuckt die Achseln. »Klar.«

Klar. Klar. Ich stehe am Rand eines totalen Nervenzusammenbruchs, und Luka sagt: Klar.

Ich beobachte, wie ein weiteres elegant zerteiltes Fleischbällchen in seinem Mund verschwindet. Ich selbst stochere weniger entspannt und eher aggressiv auf mein Essen ein, und meine Gabelattacke führt nur dazu, dass eins meiner Fleischbällchen über den halben Tisch fliegt. Ich ignoriere es, spieße ein weiteres auf und stopfe es mir ganz in den Mund.

»Schindiefon ’ner Grandschma?«

Luka nimmt gelassen einen Schluck Wein und ignoriert völlig, dass ich offenbar immer verrückter werde. »Wie bitte?«

Ich schlucke und tupfe mir behutsam die Mundwinkel mit der Serviette ab, die ich auf meinen Schoß gelegt habe. Ich bin schließlich eine Dame. »Ist das Rezept von deiner Grandma?«

»Ja.«

»Meinst du, sie würde mich adoptieren?«

»Sie würde mich auf der Stelle verstoßen und dich adoptieren, ohne mit der Wimper zu zucken.« Luka stößt ein schnaubendes Lachen aus. »Das wissen wir doch beide. Vielen Dank übrigens, dass du ihr letzte Woche etwas zum Abendessen vorbeigebracht hast. Sie hat mich fünfundsiebzigmal angerufen, um damit aufzutrumpfen und zu fragen, was in deine Zimtplätzchen kommt.«

Ich habe diese Zimtplätzchen gar nicht selbst gebacken. Aber das würde ich Lukas Großmutter, die selbst gemachte Pasta serviert, nie im Leben auf die Nase binden. Sie ist einmal hier gewesen, hat im Kühlschrank ein halb leeres Glas mit einer fertig gekauften Marinarasauce gefunden und mir dann tief in die Augen geschaut, während sie es in den Mülleimer geworfen hat.

Ich wünschte, Luka würde sich nicht bei mir dafür bedanken, dass ich Zeit mit seiner Familie verbringe. Es ist kein Opfer. Besuche bei seiner Grandma, seiner Mom und manchmal bei seiner Tante Gianna, die zwei Städte weiter lebt, sind eine nette Ablenkung von der Tatsache, dass meine eigene Familie Thanksgiving lieber geschlagene drei Wochen vor dem eigentlichen Datum feiert, nur damit niemand von meiner Existenz erfahren muss.

Außerdem ist seine Grandma einfach krass.

»Layla hat die Zimtplätzchen gebacken, daher müsstest du sie fragen.«

»Tatsächlich interessiert mich mehr, warum ich deinen festen Freund spielen soll.«

Er macht eine dramatische Pause und nimmt einen weiteren Schluck Wein. Ich starre jämmerlich in mein leeres Glas. »Bist du nicht mit Wyatt zusammen?«

Jetzt starre ich ihn an. Ich bin fassungslos. Wie kann es sein, dass jemand, der mein Leben in- und auswendig kennt, nicht mitbekommen hat, dass Wyatt und ich seit einer gefühlten Ewigkeit keinen Kontakt mehr haben?

»Luka.« Ich blinzele ihn an. »Wir haben vor über einem Jahr Schluss gemacht.«

Luka scheint einen tragischen Schock zu erleiden. Die Symptome sind eindeutig: gerunzelte Stirn, die Bewegung – Gabel zum Mund – auf halbem Wege erstarrt. Es könnte lustig sein, wenn es nicht so bescheuert wäre. »Was?«

»Ja, letztes Jahr nach dem Erntedankfest. Er hat mir eine SMS geschickt.«

»Er … Moment mal, er hat per SMS mit dir Schluss gemacht?«

Wyatt war liebenswert, wenn auch ein wenig unreif. Irgendwie hat es sich angefühlt, als wäre ich wieder mein Teenager-Ich, das den süßen Kapitän der Footballmannschaft dated. Jede Menge heftiges Petting, ein nutzloses Label für unsere »Beziehung« und null emotionale Bindung. Nach dem Fest im vergangenen Jahr hat er mir eine simple Nachricht geschickt: Du bist supercool, aber ich denke, wir wollen nicht das Gleiche. Freunde? :)

Supercool.

Der Smiley war der absolute Abschuss. Jeder, der Satzzeichen braucht, um Gefühle zu übermitteln, befindet sich irgendwo im Serienkillerspektrum. Ich habe ihm zugestimmt, und das war’s dann.

»Ich habe es dir erzählt.«

Er sieht mich mit großen Augen an. »Nein, hast du nicht.«

Ich lege meine Gabel beiseite und beuge mich nach links, um nach der Weinflasche zu greifen.

»Luka, wie um alles in der Welt hätte ich so viel Zeit mit dir verbringen können, wenn ich mit jemandem zusammen gewesen wäre?«

Er blinzelt, und ein bedrückter Ausdruck tritt in seine Augen, als durchlebte er im Geiste noch einmal das letzte Jahr seines Lebens. Seine Lippen bewegen sich lautlos, dann greift er nach seinem Weinglas und leert es mit einem einzigen Zug.

»Okay, also kein Wyatt.«

»Nope.«

»Dann bin ich deine einzige Option?«

Ich weiß nicht, warum ihn das anscheinend so verärgert. »Wenn du dich dann besser fühlst, ich habe zuerst Beckett gefragt. Er hat Nein gesagt.« Luka legt die Stirn in noch tiefere Falten, wobei diese winzig kleine Kuhle zwischen seinen Brauen auftaucht. »Ich wollte eigentlich Jesse fragen, aber …«

»Du wolltest Jesse noch vor mir fragen? Ernsthaft, Stella!« Jetzt ist er es, der ein Fleischbällchen erdolcht, als hätte es ihn persönlich beleidigt. »Du hättest zuallererst mich fragen sollen. Jetzt habe ich das Gefühl, deine letzte Wahl zu sein.«

Ich erzähle ihm nicht, dass er das tatsächlich war. Vom Escort-Service mal abgesehen.

»Es tut mir leid, Luka.« Ich falte die Hände vor mir auf dem Tisch und bin erleichtert, dass ich nur ein ganz klein