Lügenprinzessin - Nora Miedler - E-Book

Lügenprinzessin E-Book

Nora Miedler

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Beschreibung

Mia ist verliebt. In David. Sehnsüchtig wartet sie auf den Tag, an dem er ihre Liebe erwidert. Die gemeinsame Projektwoche in den Bergen kommt da gerade recht. Als sie und ihre Freundinnen nach der ersten Nacht mit dem Wort BITCH auf der Stirn aufwachen, glauben sie noch an einen blöden Scherz. Bis weitere Attacken und ein mysteriöser Unfall folgen und der Liebestrip unverhofft zum Horrortrip wird.

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Seitenzahl: 274

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Titel

Nora Miedler

Lügenprinzessin

Impressum

Erste Veröffentlichung als E-Book 2013© 2013 Arena Verlag GmbH, WürzburgAlle Rechte vorbehaltenCovergestaltung: Frauke SchneiderISBN 978-3-401-80207-7www.arena-verlag.de Mitreden unter forum.arena-verlag.de

1

Ich duckte mich hinter die Fliederbüsche und hielt den Atem an, als er auf der anderen Straßenseite aus dem Haustor trat. Mein Herz klopfte fordernd gegen meine Rippen, fast als wollte es sich mit aller Kraft nach draußen boxen. Mit den Fingerspitzen bog ich vorsichtig die Zweige auseinander und saugte jede kleinste Bewegung, die er machte, in mich auf. Wie jeden Morgen würde ich warten, bis er um die erste Ecke gebogen war, um ihm dann vorsichtig zu folgen. Ich liebte diese halbe Minute, die er für die fünfzig Meter vom Haus bis zur Ecke brauchte. Da gehörte er ganz mir, keine andere sah, was ich sah. Meistens steckte er sich seine Stöpsel in die Ohren, manchmal blätterte er auch in einem Heft herum, mit den Lippen lautlos Worte formend, Geschichtszahlen, Vokabeln, mathematische Formeln, Flussnamen, was auch immer. Unter Garantie aber etwas, wovon ich viel zu wenig gelernt hatte – derzeit verhaute ich einen Test nach dem anderen.

In Hockstellung wanderte ich parallel zu ihm mit, so weit, wie die Büsche mir Schutz boten. Nicht zum ersten Mal hatte ich das absurde Bild vor Augen, wie ich als Busch verkleidet den ganzen Schulweg hinter ihm herhusche.

In der Nacht hatte es so stark geregnet, dass die Erde unter meinen Converse immer noch schlammig war. Bis zu den Knöcheln sank ich an manchen Stellen ein. Verdammt, warum hatte ich nicht auf meine Mutter gehört und Stiefel angezogen! Jetzt bog er um die Ecke, im selben Moment rief eine empörte Stimme hinter mir: »So ein perverses Gör! Was machst denn da immer hinterm Busch? Na wart, diesmal kommst mir nicht davon!« Ich starrte den alten Mann an, der etwa zehn Meter hinter mir vor einem Hauseingang stand und sich soeben seine Brille auf die Nase schob. Im nächsten Moment zückte er ein Monstrum von Handy. Hastig sprang ich in die Höhe, das heißt, ich wollte in die Höhe springen, der rutschige Untergrund arbeitete aber gegen mich. Zwei Anläufe brauchte es, bis ich mich in der Vertikalen befand. Dann rannte ich, was das Zeug hielt, Schlamm spritzte hoch und beim Überqueren der Straße rammte ich beinahe einen Radfahrer. Super! Jetzt ließ ich bereits zwei fluchende Männer hinter mir! Als ich um die Ecke bog, erblickte ich David, der etwa dreißig Meter vor mir lässig die Straße runterschlenderte und – den Stöpseln sei Dank – nichts von der Schreierei mitbekommen hatte.

In der Grundschule hatte ich ständig Detektiv gespielt und war auf der Straße wildfremden Leuten nachgeschlichen, viel anders war das jetzt auch nicht. Nur dass ich damals anscheinend noch geschickter im Verstecken war und mich nicht fürs Hinterherspionieren schämen musste. Jawohl, ich schämte mich. Der Opa mit dem Handy hätte sich seinen Kommentar sparen können – ich war sowieso überzeugt davon, dass ich einen Knall hatte.

Niemand wusste, dass ich in David verliebt war, nicht einmal meine besten Freundinnen. David und ich, wir wären ein Pärchen wie… die Schöne und das Biest. Also der Schöne und das Biest natürlich. Viel zu peinlich, um es zuzugeben. Die Hoffnung hatte ich natürlich trotzdem nicht aufgegeben. Ich sah ja auch nicht direkt aus wie ein Monster, nur hübsch war ich halt auch nicht. Mein Haar war das Einzige, was mir hie und da bewundernde Blicke einbrachte. Vielleicht aber auch nur verwunderte Blicke, weil es so lang war, dass ich mich draufsetzen konnte. Allerdings war es viel zu dunkel für meinen blassen Teint – ein unglückliches Zusammenspiel aus väterlichen und mütterlichen Genen –, was mir die aufregende Aura einer Wasserleiche einbrachte. Das allein wäre aber gar nicht so schlimm gewesen, immerhin schminkten und färbten sich manche sogar extra auf den Look. Das wirkliche Problem saß in der Mitte meines Gesichts und hatte mir früher immer wieder hochoriginelle Spitznamen wie Pinocchio oder Cleopatra eingebracht. Haha. Aber diese Zeiten waren Gott sei Dank vorbei. In zwei Monaten würde ich endlich sechzehn werden und meine Klassenkameraden wurden ebenfalls älter, auch wenn man es nicht allen anmerkte. Die meisten zumindest waren endlich der gröbsten Spottphase entwachsen, trotzdem war ich unendlich froh, dass ich diese Phase nicht alleine hatte durchstehen müssen, sondern immer Freunde hatte, die mich und meinen Zinken mochten.

Ich betrachtete Davids Kehrseite. Letzte Woche hatte ich ihn nach seiner Körperlänge gefragt. Knallrot war ich dabei geworden und heilfroh gewesen, dass er sich nicht nach dem Grund meiner Frage erkundigt hatte. (Den Grund wusste ich ja selbst nicht so genau.) Eins sechsundachtzig, hatte er geantwortet und sich nicht weiter um mich gekümmert.

Er war breiter geworden, fand ich. Muskulöser. Die Sonnenbrille, die er neuerdings trug – nicht auf der Nase, sondern im dunkelblonden Haar –, ließ ihn noch erwachsener erscheinen. Ganz ehrlich, wer brauchte schon Robert Pattinson oder einen der Gossip-Girl-Kerle, wenn man mit David in eine Klasse ging?

Ich war so in seinen Anblick vertieft, dass ich beinahe vergessen hätte, rechtzeitig abzubiegen. Mein Fahrrad wartete nämlich in einer Quergasse hinter einer Tranche Mülltonnen auf mich. Ich sprintete dorthin, zog meinen heiß geliebten Drahtesel hervor, schwang mich auf den Sattel, bog nach rechts ab und sauste die Parallelstraße hinunter, schwenkte erneut nach rechts und bog schließlich wieder in die Gasse zur Schule ein. Ich beugte mich nach vorne und radelte bergauf, während David, mittlerweile in Begleitung seiner Kumpels, dieselbe Gasse von oben runterkam. Vor dem Schulgelände wartete meine Clique auf mich. Vero, Diana, Felix und Chris. Als ich ihre Blicke sah, wurde mir siedend heiß bewusst, dass ich vergessen hatte, mich vom Schlamm zu befreien. Der Matsch an meiner Jeans hatte sich auf Kniehöhe derart durch den Stoff gefressen, dass ich plötzlich zu frösteln begann. Meine Hände waren verklebt und Vero fing gleich an, an meiner rechten Wange herumzufummeln. Matsch, nahm ich an.

»Autsch«, machte Chris.

»Hast du dir wehgetan?«, fragte Vero.

»Nein«, ich winkte ab, »ich hab die Abkürzung durch die Wiese genommen. Ein Fehler, wie man sieht.«

Diana runzelte die Stirn. Scheiße, ich wusste, was jetzt kommen würde, Diana war nämlich akribisch pingelig in solchen Dingen. »Wo, auf deinem Schulweg, kommst du denn an einer Wiese vorbei?«

»Na ja, dann war’s halt keine Abkürzung, sondern ein Umweg. Ich bin ein bisschen herumgeradelt.«

»In aller Herrgottsfrühe?«

»Darum warst du schon weg!« In Veros Stimme schwang ein Hauch von Vorwurf mit. »Um halb acht hab ich bei dir geklingelt, da hat dein Vater mir gesagt, dass du schon eine Viertelstunde außer Haus bist.«

»Und deswegen wirst du jetzt der Inquisition vorgeführt«, erklärte Felix und legte den Arm um mich. Zu den anderen Mädels sagte er: »Macht doch nicht so einen Stress zu so früher Morgenstunde.«

»Ich hab mir nur Sorgen gemacht.« Jetzt klang Vero eingeschnappt.

Diana fügte hinzu: »Du machst einfach verdächtig viele Extratouren in letzter Zeit, Mia.«

»Buhuu«, machte Felix. »Wir glauben, dass du uns betrügst und dass du auf einmal andere Kinder viel lieber hast als uns. Buhuuuu.«

»Vollidiot!« Diana boxte ihn in die Rippen, wirkte aber nicht ernsthaft sauer.

Letzte Stunde, Englisch. Mr Bean stellte Fragen zu der CD, die er uns grade vorgespielt hatte. Ich hingegen stellte mir die Frage, warum ich mich immer in Typen verlieben musste, die mich nicht wollten.

Gleichzeitig schielte ich nach links, um einen Blick auf David zu erhaschen, dessen Pult nur durch den Mittelgang von meinem getrennt war.

Plötzlich wandte er den Kopf in meine Richtung. Ich zuckte zusammen und senkte den Blick blitzschnell auf mein geöffnetes Englischbuch. Ich starrte die Seiten dermaßen konzentriert an, dass die Buchstaben vor meinen Augen verschwammen. Was jetzt? Sollte ich es wagen, noch mal zu ihm hinzuschauen? Ja! Ich musste einfach wissen, ob er mich immer noch ansah.

Betont gelangweilt – wobei ich versuchte, möglichst attraktiv dabei auszusehen – ließ ich meinen Rücken gegen die Lehne plumpsen und drehte den Kopf erst uninteressiert nach rechts und anschließend noch viel uninteressierter nach links.

Das Adrenalin schoss mir in die Adern, als ich sein Lächeln sah. Das galt mir! Und jetzt zwinkerte er mir auch noch zu. Ich konnte nicht anders, als ganz doof zu grinsen. Ich war sicher knallrot im Gesicht, aber was machte das schon? Er mochte mich also doch. Das war das Einzige, was zählte.

Als er sich nun auch noch quer über den Gang zu mir lehnte und mir einen zusammengefalteten Zettel in die Hand drückte, konnte ich mein Glück gar nicht mehr fassen.

»Für Joe«, flüsterte er.

Ich spürte, wie mir sämtliche Gesichtszüge entgleisten. Shit, verdammter! Hätte mir doch klar sein müssen, dass er nicht mit mir flirtet, sondern natürlich mit der Neuen, die neben mir saß, und mit ihren High Heels und ihrem Riesenbusen aussah wie zwanzig.

»Klar«, murmelte ich und hoffte, dass es nicht beleidigt klang. Ich nahm ihm das Zettelchen ab und reichte es unter der Bank an die Neue weiter.

»Mia!«

Ich zuckte heftig zusammen, auf Mr Beans Gesicht machte sich ein sadistisches Lächeln breit. Er genoss sichtlich jedes Wort, als er in seinem enervierend bemühten British English sagte: »Could you please give us a short summary of the listening comprehension we’ve just heard?«

Ich starrte Herrn Bieninger, der bei uns allen nur Mr ­Bean hieß, an. »Äh, what please?«

Die Klasse lachte. Mr Bean nicht.

Als Strafe für unerlaubtes Briefchenzuschieben und fehlende Aufmerksamkeit in der Schulstunde wurde ich dazu verdonnert, ein Referat über Tirol vorzubereiten, wohin wir morgen früh aufbrechen würden – Projekttage in den Bergen, Abenteuercamp nannte sich das Ganze. Mr Bean war nämlich nicht nur unser Englisch-, sondern auch unser Erdkundelehrer und begeisterter Naturliebhaber. Das Referat sollte ich dann in Tirol und auf Englisch vortragen, natürlich.

Na echt wonderful!

Als ich nach der Stunde meine Sachen zusammenpackte, berührte Joe mich kurz am Ellbogen. »Sorry, okay?«

David, der an ihre Seite trat und anscheinend auf sie wartete, warf ihr einen erstaunten Blick zu. Dann sah er mich an und sagte: »Ach so, ja. Tut mir auch leid.«

Sofort spürte ich, dass ich wieder rot anlief. Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, das macht doch nichts. Ich bin echt nicht nachtragend.«

Doch er hörte mir gar nicht mehr zu. Lachend legte er Joe den Arm um die Schultern und dampfte mit ihr ab.

»Was war denn los?«

Ich drehte mich um. Der weibliche Teil meiner Clique stand hinter mir. Ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich nicht bald von der Neuen wegkomme, flippe ich noch aus.«

»Kann ich verstehen«, nickte Diana und strich sich mit der Hand über ihre blonden Igelstacheln – ein Tick von ihr, seit sie kurze Haare hatte. »Hält jedem ihre Eiskugeln unter die Nase und blökt wie ein Schaf.«

»Wieso Eiskugeln?«, fragte Vero.

Diana grinste. »Das erklären wir dir, wenn du so alt bist wie wir.«

Was besonders fies war, denn Vero war die Älteste von uns dreien.

»Höre ich Eiskugeln?« Felix kam lässig auf uns zu, mit seinem typisch wiegenden Gang und einem breiten Grinsen im Gesicht. »Auf zu Capone’s, würde ich sagen.«

Die anderen stimmten begeistert zu, auch Chris, der sich als Letzter an meinen Platz gesellte. »Wusstet ihr, dass Carboxymethylcellulose ursprünglich als Tapetenkleister verwendet wurde?« Es war eine rein rhetorische Frage, denn natürlich war ihm klar, dass wir das nicht wussten. Dass wir nicht mal wussten, was dieses Caroxymycelldingsda überhaupt war beziehungsweise was es mit Speiseeis zu tun hatte.

»Ich kann leider nicht mitkommen«, hörte ich mich selbst murmeln.

»Schon wieder nicht?« Diana klang misstrauisch. »Bist du jetzt neuerdings magersüchtig oder so? Oder ist dir Eis essen gehen mit deinen Freunden zu kindisch geworden?«, schob sie lauernd hinterher.

In letzter Zeit wurde es immer schlimmer mit ihr. Jede Kleinigkeit ließ sie in die Luft gehen. Doch irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, dass wir uns derzeit alle nicht zum Besten veränderten. Es war vielmehr so, als würden sich unsere hervorstechendsten Charaktereigenschaften zur Potenz verstärken. Vero hatte ihre Naivität perfektioniert, konnte Äuglein und Schnäbelchen aufreißen wie das entzückendste Disney-Tierchen, sodass alle in ihrer Nähe das Bedürfnis hatten, den Arm um sie zu legen und sie zu beschützen. Außer Diana natürlich, die sich von unserer dominanten aber auch toleranten Anführerin in eine jähzornige Emanze verwandelt hatte und anscheinend den Anspruch für sich erhob, als größtes und gröbstes weibliches Raubein in die Geschichte einzugehen. Und Felix war jetzt noch kindischer als bei unserem Kennenlernen vor knapp sechs Jahren, obwohl er von Beginn an die Rolle des Klassenclowns für sich beansprucht hatte, während Chris sich nur noch hinter seinem altklugen Professorengehabe verschanzte und man kein Wort mehr aus ihm herausbekam, das nicht wissenschaftlich fundiert war.

Und über mich selbst könnte ich noch weit schlimmere Sachen sagen.

Zum Beispiel, dass ich eine Lügnerin war.

Wie es dazu gekommen war, wusste ich selbst nicht mehr. Ganz klein hatte es angefangen, mit harmlosen Schwindeleien wie »Die Hausaufgabe hab ich zu Hause liegen lassen«. Doch wie oft konnte man das schon als Ausrede bringen? Und so kam der Tag, an dem ich meine Schultasche bei der Polizei als gestohlen melden musste, da ich es vorgezogen hatte, tagelang von David zu träumen, statt das Referat über Kabale und Liebe vorzubereiten. Das brauchte ich echt nicht zu lesen – ich hatte mein ganz eigenes Liebesdrama am Laufen. Und wenn die Notlügen und die ganzen Schummeleien einmal zum Alltag gehörten, dann war man sie irgendwann so gewohnt, dass die Grenzen zwischen wahr und unwahr plötzlich verschwammen. Es gab Geschichten, die ich so oft erzählt hatte, dass ich schon beinahe selbst dran glaubte.

»Ich muss zum Arzt«, erklärte ich und schnappte mir meinen Rucksack.

Doch Diana stellte sich mir in den Weg. »Zu was für einem Arzt?«

Was war denn mit der los? Felix hatte recht. Inquisition! Das traf es ganz gut. Ich zögerte, was alle vier anscheinend zu der Auffassung brachte, dass es sich um einen Besuch beim Gynäkologen handeln musste. Sollte mir recht sein.

»Werde ich Onkel, Mia-Mieze?«, neckte mich Felix. »Och, wie niedlich, ich kann es kaum erwarten, die kleine Mini-Mia zu sehen.«

Hab ich’s schon erwähnt? Er war kindisch.

»Tschau Leute, bis morgen!«

»Tschau, Mia!«

»He, nicht so schnell –!« Diana wollte mich einfach nicht gehen lassen. Langsam ging sie mir wirklich auf die Nerven. »Ich kann jetzt echt nicht. Wir sehen uns morgen.«

Ich joggte aus dem Schulgebäude, sperrte das Sicherheitsschloss meines Fahrrads auf und schwang mich auf den Sattel.

Als ich zur Straße kam, sah ich gerade noch Davids beige Schultertasche um die Ecke verschwinden. Ich beugte mich nach vorne und strampelte den Gehsteig hinauf.

Seit zwei Jahren war ich jetzt schon in David verliebt. Gut gefunden hatte ich ihn von Anfang an, aber in den ersten Jahren auf dem Gymnasium war ein Junge aus der Parallelklasse meine heimliche Liebe gewesen. Der hatte jedoch mit vierzehn die Schule gewechselt. Seither gab es nur noch David für mich. Meinen Spähposten hinter den Fliederbüschen hatte ich aber erst vor zwei Monaten bezogen, eigentlich seit es Frühling geworden war und warm genug, um mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Bis letzte Woche hatte ich ihn nur in der Früh beobachtet. Doch mittlerweile folgte ich ihm sogar nach der Schule. Eigentlich verfolgte ich ihn regelrecht. Wie eine bescheuerte Stalkerin, dabei wusste ich selbst nicht, warum ich das tat. Es brachte mir nichts. Nada. Niente. Niets. Nothing. Noll. Absolument rien! Bis auf eine Heidenangst vor dem Erwischtwerden und neuerdings ständigem Stress mit meinen Freunden, weil ich mich nach der Schule immer gleich absentierte (wie Chris es ausdrückte).

Ich zog um die Ecke – und legte eine Vollbremsung ein. Keine fünf Meter von mir entfernt standen David und die Neue. Die gute Nachricht: Sie bemerkten mich nicht. Die schlechte Nachricht: Sie bemerkten mich nicht, weil sie vollkommen ineinander vertieft waren. Joe lachte laut. Allein um dieses Lachen beneidete ich sie schon. Es war tief und voll und schien direkt aus ihrem Vorbau zu kommen.

Geschockt schob ich mein Fahrrad rückwärts um die Ecke. Ich hechtete auf den Sattel und raste die Straße hi­nunter. Dass mich ein Stück weiter unten eine viel befahrene Kreuzung erwartete, war mir in dem Moment durchaus recht. Ich war so wütend, frustriert und traurig, ein Auto konnte mir auch nichts Ärgeres mehr anhaben.

Trotzdem bremste ich ganz knapp vor der Kreuzung. Liebeskranke Stalkerin okay, unverantwortliche Selbstmörderin nicht okay.

Die letzten paar Quergassen bis zu unserer Wohnung schob ich das Fahrrad. Ein Schweißtropfen lief mir an der Wange hinab. Oder war es eine Träne? Nein, auf keinen Fall. Du heulst nicht, trichterte ich mir ein. Und Schweiß wäre bei den Temperaturen durchaus angebracht gewesen. Ende Mai hatten wir bereits ein Klima wie im Juli, sogar die Nächte waren schon sommerlich warm. Was zumindest unseren Projekttagen zugutekommen würde, wo wir im See schwimmen konnten und im Zelt übernachten sollten. Unsere Klasse fuhr in zwei Gruppen dahin, weil das Abenteuercamp für höchstens fünfzehn Teilnehmer ausgelegt war. Wir waren fünfundzwanzig Schüler in der Klasse und hatten die Aufteilung zum Glück untereinander ausmachen dürfen. Morgen früh ging es für die erste Gruppe, inklusive mir und meiner Clique, los.

Ich hatte mich total darauf gefreut, weil ich eine Gelegenheit gewittert hatte, David näherzukommen. Doch jetzt durfte ich wohl hautnah miterleben, wie er und die Neue sich näherkamen. Mein Leben war im Eimer, schlimmer ging es gar nicht.

Schlimmer geht es immer. Als ich die Wohnungstür aufschloss, erwartete mich mein Vater bereits im Vorzimmer. Das war an sich nichts Neues, das machte er immer so, seit er vor fünf Monaten seinen Job hingeschmissen hatte, um seiner Berufung zu folgen und Fantasy-Autor zu werden. Was im Klartext bedeutete, dass wir plötzlich knapp bei Kasse waren und er außerdem permanent zu Hause hockte.

»Hey«, begrüßte er mich. »Wie du weißt, kannst du mit mir über alles reden.«

Ich überlegte blitzschnell. Hatte ich was angestellt? Irgendetwas, das ich am besten jetzt gleich beichtete, weil er von dem Vergehen ja ohnehin schon wusste?

Doch mir fiel nichts Aktuelles ein. Dass seine Tochter zu einer psychopathischen Stalkerin mutiert war, konnte er ja kaum wissen. Ich wartete also erst mal ab.

Er seufzte tief. So tief, glaube ich, können überhaupt nur Eltern seufzen. Oder Lehrer. Und jetzt setzte er auch noch seinen hyperverständnisvollen Blick auf. »Mia, schau, ich war auch mal fünfzehn. Und das ist noch gar nicht lange her.«

Ich verdrehte innerlich die Augen und machte mich auf einen langen Monolog gefasst.

»– du ja wirklich gesegnet bist, weil du einen Vater hast, der nicht zu diesen bornierten alten Spießern gehört. Also sag es rundheraus: Bist du schwanger?«

Ich riss die Augen auf, verzog das Gesicht. »Nein!« Redete mein Vater grade wirklich über Sex? Was sollte das?

»Bist du sicher?«

Ich war knapp dran, meinem Vater zu verklickern, dass ich ja gar nicht schwanger sein konnte, weil man dafür ja Sex haben musste und ich noch nie welchen hatte. Doch ich wollte dieses Thema wirklich nicht vertiefen und nickte nur heftig. Danach ließ er mich in Frieden ziehen, nicht ohne sich lautstark darüber zu wundern, warum Mama ihm denn nicht gesagt hatte, dass ich heute einen Termin beim Gynäkologen hatte.

Ich schloss die Tür zu meinem Zimmer und rief Diana an.

»Schon fertig beim Gyn?«

»Du hast meinen Vater angerufen, stimmt’s?«

»Ja, ich wollte dich nur fragen, ob du mir deinen alten iPod für die paar Zelttage leihen kannst, und kaum hat dein Vater abgehoben, ist mir eingefallen, dass du ja noch gar nicht zu Hause sein kannst. Aber jetzt bist du ja doch schon da.«

Ich fragte mich, was das Ganze sollte. Vor nicht einmal zwanzig Minuten hatte sie mich noch gesehen und kurz darauf rief sie bei mir zu Hause an. Warum nicht auf meinem Handy? Doch eigentlich kannte ich den Grund. Sie hatte meine Lüge durchschaut und wollte mich auffliegen lassen. Darum hatte sie meinem Vater verklickert, dass ich auf dem Weg zum Frauenarzt war. Der das natürlich leichtgläubig hingenommen hatte und sich nicht einmal darüber wunderte, dass ich schon wieder zu Hause war. Ich seufzte tief und presste die Augenlider zusammen, bis es schmerzte. Ich wusste, dass ich in Wahrheit auf mich selbst wütend sein sollte, auf meine ständigen Lügereien, aber momentan war es viel einfacher, sauer auf Diana zu sein.

Den halben Nachmittag konnte ich mich nicht dazu überwinden, meinen Rucksack für das Lager zu packen. Am liebsten wäre ich überhaupt nicht mitgefahren. Sollte ich einen auf krank machen? Aber was, wenn ich doch was verpasste? Vielleicht war Joe ja morgen krank und fuhr nicht mit. Vielleicht waren die drei Tage Zelten ja doch der Beginn einer wunderbaren ewig andauernden Beziehung zwischen David und mir. Drei denkwürdige Tage, von denen wir noch unseren Enkelkindern erzählen würden. Ich fing zu packen an. Außerdem nahm ich mir vor, in den drei Tagen zu üben, wie eine vollbusige Blondine zu lachen. So schwer konnte das ja nicht sein!

Am nächsten Morgen trichterte meine Mutter mir beim Frühstück ein, mich jede Stunde mit Sonnencreme einzusprühen. Und mit Mückenschutz. Und mein Notfallset mit Cortison und Antihistaminikum bei jedem, auch noch so winzigen, Ausflug einzustecken, für den Fall, dass eine Wespe mich erwischte.

»Das hab ich sowieso immer mit«, erwiderte ich verwundert. Schließlich hatte ich eine Allergie und war sicher nicht scharf darauf draufzugehen. In den letzten Monaten war meine Mutter eher mit sich selbst und den Tücken ihres fortschreitenden Alters beschäftigt gewesen als mit mir, daher überraschte mich ihre Sorge etwas. Sie schien meine Gedanken erraten zu haben, denn plötzlich nahm sie mein Gesicht in beide Hände und hauchte: »Ach Mialein, weißt du, letztendlich bin ich ja doch vor allem Mutter.«

»Mhm«, machte ich mit vollem Mund und hatte unter dem festen, mutterlieben Griff Mühe, meine Cornflakes weiter zu kauen.

Sie gab mir einen Abschiedskuss auf die Wange und verließ laut seufzend das Zimmer. Gleich darauf kam sie in High Heels wieder zurück. »Lass dich von Papa zum Bus bringen!«

Ich nickte mampfend und hob zum Abschied noch einmal die Hand. Als ob wir das nicht längst besprochen hätten.

Im Auto musterte ich meinen Vater von der Seite. Der graue Schimmer in seinem Dreitagebart ließ sich nun wirklich nicht mehr leugnen und die Fältchen um die Augen herum waren zu Kerben geworden. Richtig alt sah er aus. Das dachte ich öfter in letzter Zeit. Als ich klein war, waren meine Eltern für mich die schönsten Menschen der Welt gewesen. Meine Mutter war mir wie eine Prinzessin vorgekommen, mit dem langen blonden Haar und ihrer weißen Haut. Auch mein Vater hatte langes Haar, seit ich denken konnte. Schwarze dichte Locken, die er meistens zu einem Zopf gebunden hatte. Ich wandte den Blick nach vorne und hob mitleidig die Augenbrauen. Bei Männern mit Kerben um die Augen verliert ein Zopf jede Coolness. Er sah aus wie ein Möchtegern-Althippie. Oder wie dieser alte Schauspieler aus den komischen Filmen, die Dianas Vater sich immer reinzog, Steven Seagal.

Und meine Mutter sollte endlich aufhören, kurze Röcke zu tragen. Orangenhaut ist ja was Normales, aber man muss sie doch nicht der ganzen Welt präsentieren, oder? Doch ich hütete mich davor, auch nur irgendeinen Kommentar in der Richtung abzulassen, denn meine Mutter war in den letzten Monaten sowieso ständig auf hundert­achtzig. Midlife-Crisis. Garantiert. Soll ja nicht nur bei Männern vorkommen, wie ich zumindest neulich in einer Frauenzeitschrift beim Friseur gelesen hatte. Deshalb auch ständig ihre kurzen Röcke. Typisches Symptom. Dabei müsste mein Vater ihr nur hie und da sagen, wie attraktiv er sie fand. Nachdem er das aber nicht machte, musste sie sich die Bestätigung mithilfe der kurzen Röcke von anderen Männern holen. Was aber nicht klappte. Wegen der Orangenhaut.

Als wir vor der Schule ankamen, standen schon kleine Grüppchen von Schülern beisammen. Meine Leute hockten auf der Mauer und winkten mir zu.

Mein Vater winkte zurück.

»Papa…«, knurrte ich.

»Was denn?« Er schulterte meinen Rucksack und ging auf die Mauer zu.

»Was machst du da?«, rief ich.

»Na, ich helfe dir tragen. Dazu hast du doch deinen großen, starken Papa mitgenommen.« Mittlerweile war er bei meinen Freunden angekommen und zwinkerte ihnen euphorisch zu. Es sah aus, als hätte er einen nervösen Tick. Oder ein paar Mücken in den Augen. »Papa, bitte, der Rucksack muss in den Bus.«

»Lass mich doch deine Freunde begrüßen, Mia. Oder habt ihr was dagegen? Ich bin mir sicher, ihr behandelt eure Eltern nicht so stiefmütterlich wie mein Augäpfelchen hier.«

Aufs Stichwort verdrehte ich die Augäpfelchen, während Diana, Vero, Felix und Chris die Begrüßung über sich ergehen ließen und brav murmelten: »Tag, Johannes, schön, dich zu sehen.«

Mein Vater war ja sooo cool. Niemand aus meinem Freundeskreis durfte ihn siezen oder gar mit dem Nachnamen ansprechen.

»Hat Mia euch erzählt, dass ich jetzt einen Verlag für mein Buch habe?«, wollte er jetzt wissen.

Zustimmendes Gemurmel. Vero brachte es sogar fertig, Interesse zu heucheln. Ach ja, das hatte ich ganz vergessen. Mein Vater steckte natürlich auch mitten in der Midlife-Crisis, nur dass er im Gegensatz zu meiner Mutter weniger auf die Bestätigung aus seiner Generation versessen war, sondern eher auf die aus meiner. Ich stellte mich hinter ihn und schnitt Gesichter. Felix und Diana grinsten. Mein Vater nahm das als Ausdruck ihrer Freude über seinen Erfolg und taute gleich noch mehr auf. »Und hat sie euch auch erzählt, welcher Autor noch bei diesem Verlag –«

»So, auf, auf, los geht’s! Keine Müdigkeit vorschützen!«, rief in dem Moment Bieninger zum Aufbruch. Ausnahmsweise mal gutes Timing. Danke, Mr Bean!

»Tschüss, Papa!« Ich drückte ihm sogar ein Bussi auf die Wange, damit er sich nicht wieder über zu wenig Zuneigung beklagte.

»Der Verlag ist wirklich ganz großartig! Kein Zuschussverlag oder so was. Ein echter Verlag!« Das waren die letzten Worte, die ich vor der Reise von meinem Vater hören sollte.

Vor der Reise, die ein wahrer Albtraum werden sollte.

2

Ich hatte Glück, dass die Quak-Mädels als Erstes im Bus waren und gleich die ganze letzte Reihe belegten.

»Hey, die Plätze brauchen wir!«, fauchte Diana. «Ihr könnt euch doch überall sonst hinsetzen«

Die drei wechselten einen gelangweilten Blick, hoben die Augenbrauen und stöpselten sich wie auf Kommando die Ohren zu. Die Bezeichnung Quaks hatten wir Quen, Amelie und Kinga nicht nur wegen der Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen gegeben. Sie machten ihrem Namen auch sonst alle Ehre. Trotz angeschalteter iPods fingen sie an, sich kichernd und glucksend zu unterhalten. Quakquakquak. Diesmal lästerten sie über die Neue. »Schmeißt sich an alle ran!«, schnappte ich auf. Ich war schon selbst oft genug ihr Läster-Opfer gewesen und wusste, dass die Quaks richtig fies sein konnten. Jetzt freute ich mich aber fast ein bisschen über ihren gehässigen Kommentar. Dabei war es mir eigentlich total egal, an wen sich Joe ranschmiss, solange sie nur die Finger von David ließ.

»Zu dritt können die sich auch nicht auf zwei Sitze quetschen«, versuchte ich, Diana zu beruhigen, und ließ mich schnell auf die Sitze hinter David, Ben und Tobi plumpsen.

Die Freude hielt jedoch nicht lang an, denn auf dem Platz vor David, den Rücken ans Fenster gelehnt, die Füße lässig auf dem Sitz neben sich geparkt, saß – Joe.

Die ganzen fünf Stunden Fahrt konnte ich ihr kehliges Lachen hören, während David leise auf sie einsprach. Dieses Lachen bringt man sicher nur mit einem Atombusen zustande, dachte ich finster.

Nach der ewig langen Busreise taten uns die Hinterteile weh. Doch auf dem Campinggelände wartete schon die nächste Katastrophe. Es waren nur drei Zelte für uns vorgesehen. Ein großes für uns Mädchen, ein etwas kleineres für die fünf Jungs und ein Zweimannzelt für Mr Bean.

Ich in einem Zelt mit Joe und den Quak-Mädchen. Und David hatte überhaupt noch kein Wort mit mir gewechselt. Warum war ich nur mitgefahren?

Mr Bean klatschte ungeduldig in die Hände. »So, verstaut eure Rucksäcke in den Zelten! Keine Streitereien über Schlafplätze oder Sonstiges, das könnt ihr später diskutieren. In zwei Minuten seid ihr alle wieder da. Dann wird uns Herr Stickstiefl das Areal zeigen.« Er warf Felix einen bösen Blick zu. Klar, dass der bei dem Namen Stickstiefl zu prusten begonnen hatte. Das war genau der Grund, warum ich mich bestimmt nie in Felix verlieben würde, so süß er eigentlich aussah (auch wenn ich das nie laut sagen würde!). Er war lustig, schlagfertig und intelligenter, als er vorgab zu sein. Aber er war auch ein fürchterlicher Kindskopf. Typen wie er sind dafür verantwortlich, dass die sogenannten Erwachsenen uns nicht ernst nehmen und so tun, als hätten wir keine Ahnung vom Leben. Dabei kann ich in meinen Eltern lesen wie in zwei offenen – unter uns gesagt, nicht besonders spannenden – Büchern, während die beiden null Plan von dem haben, was in mir vorgeht.

»Mia, du schläfst hier. Und Vero, du hier«, befahl Diana, als ich meinen Rucksack in die erstbeste Ecke im Zelt schmiss.

Meine schlechte Laune hatte ihren Tiefpunkt erreicht. »Jetzt komm mal runter. Wo ich schlafe, entscheide ich immer noch selbst.«

»Was’n mit der los?«, fragte Diana Vero.

Da ich null Bock auf dieses Rumgezicke hatte, hastete ich aus dem Zelt und – krachte gegen David.

»Ups, sorry«, murmelte ich und spürte zu meinem Leidwesen, dass ich wieder mal knallrot anlief.

»Hab schon Schlimmeres erlebt«, antwortete er und lächelte.

Jetzt nur nichts falsch machen, Mia… »Und? Wie findest du’s hier?«, fragte ich mit so einer komischen krächzenden Stimme.

Er hielt den Blick auf mich gerichtet, während er sagte: »Mir gefällt, was ich sehe.«

Was ist die Steigerung von knallrot? Diese Farbe musste mein Gesicht jedenfalls mittlerweile angenommen haben. Hatte er das wirklich so gemeint, wie ich es verstanden hatte? Oh Gott, am liebsten hätte ich ihn danach gefragt. Oder stand Joe schon wieder hinter mir und er meinte eigentlich sie?

»Alles okay mit dir, Mia?«, fragte er jetzt.

»Ja, mir gefällt auch, was ich sehe.« Okay, Krächzen war vorüber, Piepsen war angesagt. Piep, ich bin die graue Mia-Maus.

Plötzlich ertönte eine Stimme, die ganz und gar nicht piepsig war.

»Du siehst aus, als wäre dir grade Bieninger nackt über den Weg gelaufen.«

Na, vielen Dank, Diana. Ich starrte sie an. David lachte. Die ganze romantische, schicksalhafte Stimmung war dahin. Er drehte sich zu Tobi um, ich zischte Diana zu: »Ich bring dich um!«

»Was denn? Stehst du vielleicht auf den?« Schon wieder viel zu laut.

»Natürlich nicht«, entgegnete ich noch viel lauter.

Herr Stickstiefl, ein sympathischer, sehr sportlich aussehender Mann im Alter meiner Eltern, kam in Begleitung seiner beiden Dalmatiner auf uns zu. »Das sind Samson und Delilah. Die beiden werden uns in den nächsten Tagen die meiste Zeit begleiten. Fürchtet sich jemand vor Hunden?«

Keine Antwort.

»Nein? Sehr gut. Ihr könnt alles mit ihnen machen: schwimmen, jagen, spielen, von mir aus auch schmusen. Nur bitte nicht füttern. Und jetzt kurz zu meiner Wenigkeit«, lachend schwenkte er den Zeigefinger. »Wehe, einer von euch nennt mich Herr Stickstiefl oder Stinkstiefel oder sonst was in der Richtung. Ich bin der Norbert.«

Ich schüttelte milde den Kopf. Schon wieder so einer, der darauf aus war, von uns als Kumpel gesehen zu werden. Vielleicht sollte ich in Zukunft weniger streng mit meinem Vater sein, wahrscheinlich waren Männer um die vierzig einfach so. So nett ich Norbert auch fand, den Rest seines Vortrags bekam ich nicht mehr mit, weil ich in Gedanken immer wieder die Szene von vorhin durchging.

»Mir gefällt, was ich sehe.« … So was konnte man doch gar nicht falsch verstehen, oder? Es bedeutete: Du gefällst mir. Auch dass ihm schon Schlimmeres passiert war, als mit mir zusammenzustoßen, hieß doch eigentlich: Ich berühre dich gerne.

Als ich es schaffte, meine Aufmerksamkeit wieder auf Norbert zu richten, gesellte sich gerade dessen Kollege zu uns. Oh-oh. Die Quak-Mädchen richteten sich merkbar auf, stützten die Hände in die Hüften und spitzten die Lippen. Das konnte ja heiter werden. Wobei ich zugeben musste, dass Willi auch auf mich Eindruck machte.

»Können wir dich auch Will nennen?«, fragte Quen, die Anführerin der Quaks, provokant und schenkte Willi-Will ihr aufreizendstes Lächeln.

»So, wenn das Fräulein Quendolin sich bitte zurückhalten könnte«, mahnte Mr Bean und entschuldigte sich bei Willi und Norbert.

»Kein Problem«, versicherte Willi und grinste gut gelaunt. Ich schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Er war groß, muskulös, dunkelhaarig und hatte ein Gesicht wie Taylor Lautner aus den Twilight-Filmen, nur mit größeren Augen.

»Will ist auch o. k.« Er zwinkerte Quen zu, deren Gesicht daraufhin denselben Farbton annahm, den meins vorhin gehabt haben muss, als ich mit David zusammengestoßen war.

Wir gingen los, Norbert wollte uns das Gelände zeigen. Die drei Zelte befanden sich auf einer Anhöhe, auf der auch Norberts Haus stand, das übrigens riesig war und in dessen Anwesenheit man sich kaum vorstellen konnte, dass wir die nächsten vier Tage ohne fließendes Wasser auskommen sollten. Doch genau das war geplant. Vier Tage ohne Komfort des modernen Stadtlebens. Wasser aus dem Brunnen, das Essen über offenem Feuer gegart.

»Und die Toiletten?«, fragte Amelie.

Norbert zeigte auf ein einsames blau gestrichenes Hüttchen, das etwas abseits von den Zelten stand. »Eine Toilette. Das Plumpsklo.«