Luna incognita - Axel Kruse - E-Book

Luna incognita E-Book

Axel Kruse

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Beschreibung

Die Schatzinsel von Robert Louis Stevenson, wer kennt sie nicht? Hier kommt sie in neuem Gewand. Die faschistische Erdregierung wurde von den Aliens in die Knie gezwungen. In der Ideologie der Verlierer fühlt sich Jim Hawkins sichtlich wohl. Für ihn sind die Aliens an allem schuld: Am verlorenen Krieg sowieso, an der Arbeitslosigkeit, der wirtschaftlichen Misere und überhaupt … Er ist zwar noch nie einem Alien persönlich begegnet, aber seine Meinung steht unverrückbar – oder doch nicht? Denn dann er erlebt ein Abenteuer, das seine Einstellung hart auf die Probe stellt, und nach und nach kommen die Selbstzweifel, die sein Weltbild infrage stellen.

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Inhalt

Geleitwort

Kapitel 1 Der »Admiral Benbow«

Kapitel 2 Der schwarze Hund

Kapitel 3 Der schwarze Fleck

Kapitel 4 Der Koffer des Kapitäns

Kapitel 5 Die Papiere des Kapitäns

Kapitel 6 Die Wirtschaft »Zum Fernrohr«

Kapitel 7 Ausrüstung und Waffen

Kapitel 8 Die Reise

Kapitel 9 Die Erzählung des Regolianers

Kapitel 10 Redaqua

Kapitel 11 Kriegsrat

Kapitel 12 Landgang

Kapitel 13 Ahmed ben Gunn

Kapitel 14 Wie ich wieder in See stach

Kapitel 15 Im Lager des Feindes

Kapitel 16 Die Schatzsuche

Kapitel 17 Heimkehr

Ein persönliches Nachwort von einem treuen Verehrer

Anhang Die Welten des Axel Kruse

Axel Kruse

Luna incognita

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg März 2017 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Lothar Bauer Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-483-2 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-484-9 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Für meine Enkelin Luna-Marie

Geleitwort

Als Axel mich fragte, ob ich für sein neues Buch das Geleitwort schreiben würde, habe ich nur sehr zögerlich zugestimmt. Was schreibt man in einem Wort vor dem eigentlichen Text? Er gab mir mit dem Manuskript noch eine kurze Zusammenfassung mit auf den Weg. Die hat mich überzeugt. Das Konzept klang sehr spannend und tatsächlich ist diese Version der Schatzinsel, die zwischen den Sternen spielt, sehr gelungen.

Wer wollte nicht auch schon mal auf die Suche nach einem Schatz gehen? Das X markiert den Punkt. Im Stil einer klassischen Abenteuergeschichte geht es auf eine Reise zu den Sternen. Das Ziel ist eine Insel auf einem fernen Planeten. Um aber dorthin zu kommen, muss sich der junge Jim gefährlichen Piraten stellen. Er verliert sein Zuhause und stellt fest, dass Aliens doch nicht so böse sind, wie die faschistische Erdregierung behauptet. Seine Welt wird auf den Kopf gestellt und er lernt auf die harte Art, dass eigene Erfahrungen mehr wert sind als blindes Vertrauen.

Während ich diese Geschichte las, habe ich immer wieder versucht mich zu erinnern. Wie war das damals, als ich vor langer Zeit den Film gesehen habe? Sind beide sich sehr ähnlich? Was ist anders außer der Reise zwischen den Sternen? Es geht hier nicht nur um die Suche nach einem materiellen Schatz und den Gefahren auf unbekannten Planeten, sondern auch darum, dass die fremdenfeindliche Erde einen Krieg gegen Aliens verloren hat.

Aber lest selbst. Das Abenteuer erwartet euch.

24.11.2016, Dr. Sylvana Freyberg

Kapitel 1 Der »Admiral Benbow«

Es würde ein anstrengender Tag werden, das war mir klar, als ich den Gastraum reinigte. Scheuern nannte meine Mutter das, ich nannte es Sklavenarbeit. Aber was blieb mir anderes übrig? Außer meiner Mutter war da nur noch die Aushilfe in der Küche, sonst niemand.

Mein Aufgabengebiet war der Gastraum und dazu gehörte nun mal nicht nur die sogenannte angenehme Arbeit des Kellnerns, sondern eben auch die des Reinigens. Jeden Morgen dasselbe, tagein und tagaus. Wie jeden Tag verfluchte ich meinen Vater, der uns so jämmerlich im Stich gelassen hatte, aber was half’s? Sauber machen musste ich trotzdem und es war beileibe nicht einfach, es meiner Mutter recht zu machen.

Die Tür nach draußen knarzte. Unsere Tür, wir waren stolz darauf, dass sie aus Holz gefertigt war. Holz, das, von Terra importiert, bereits vor über hundert Jahren hier als Tür seine Verwendung fand. Die Tür war ein Aushängeschild für unsere Gastwirtschaft, wenn auch so ziemlich das einzige.

»Wir haben noch geschlossen«, rief ich, ohne mit meiner Tätigkeit aufzuhören. »Kommen Sie später wieder, ungefähr in zwei Stunden.«

Ich hörte schlurfende Schritte, dann wurde ein Stuhl, den ich umgedreht auf einen Tisch platziert hatte, um besser wischen zu können, mit einem lauten Krachen auf den Boden gestellt. Ein Seufzer war zu hören, dann noch ein Ächzen. Ich blickte auf.

Da saß ein Mann, direkt an dem Tisch, der am Eingang neben der Tür stand. Er hatte den Stuhl so gestellt, dass er Fenster und Tür im Blick hatte. So saß er da, starrte vor sich hin, ächzte noch einmal. »Was habt ihr zu trinken?«, rief er mit tiefer Stimme. »Ein Zimmer brauche ich auch«, fügte er noch an.

Ich besah ihn mir genauer. Groß, er war groß, sicherlich so an die zwei Meter. Sein Haupthaar war voll und schwarz, pechschwarz. In seinem Bart zeigten sich erste graue Strähnen, das bisschen Haut, das in seinem Gesicht nicht von Haaren bedeckt war, war faltig. Seine kleinen, grauen Augen waren blutunterlaufen und zuckten stetig schnell hin und her. Sein Körper wurde durch einen extremen Bauch dominiert, der jetzt, wo er saß, auf seinen Oberschenkeln ruhte. Trotz der verminderten Schwerkraft, die Gravitationsgeneratoren hier in Lunapolis waren auf 0,8 $g$ eingestellt, hatte ihm das Gehen Schwierigkeiten bereitet. Schweißperlen auf der Stirn zeigten dies eindrucksvoll.

Ein Raumfahrer, das war mir klar geworden, als ich ihn sah. Seine Kleidung war etwas schäbig, aber funktionell, die Stiefel an seinen Beinen würde man hier nicht tragen, nicht in Lunapolis. Drüben an den Werften oder am Raumhafen schon eher, aber hierhin, da verirrten sich selten Leute in derartiger Kluft. Vor allem sein Körperumfang und die offensichtlichen Schwierigkeiten, die er mit der Gravitation hatte, machten mich sicher. Er musste Raumfahrer sein, und zwar einer, der viel Zeit auf einem der alten Eimer zugebracht hatte, die entweder über kein eigenes Aggregat zur Gravitationserzeugung verfügten oder ebendieses aus Gründen der Schonung der Energiereserven nur selten einschalteten.

Ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte. So, wie er dasaß, so machte er einen friedlichen Eindruck. Ich entschied mich seinen Wünschen nachzukommen, wir brauchten das Geld.

»Was möchten Sie trinken?«, fragte ich. »Zimmer haben wir unterschiedliche. Mit eigener Nasszelle oder mit Benutzung der Gemeinschaftseinrichtungen am Ende des Ganges.« Im Stillen hoffte ich, dass er die eigene Nasszelle wählte. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er dieselbe Dusche und Toilette benutzte, die auch meine Mutter und ich benutzen mussten, war doch die Gemeinschaftseinrichtung eigentlich unsere Nasszelle.

Mein Wunsch wurde erhört. »Ich nehme das Zimmer mit eigener Nasszelle«, sagte er. »Lässt sich da die Schwerkraft regeln?«

»Gegen Aufpreis schon«, entgegnete ich. Wir hatten ein Aggregat, das die allgemein seitens der Stadtverwaltung gesteuerte Gravitation verstärken oder abmildern konnte, je nach Vorliebe der Gäste. Wir hatten es allerdings seit Längerem nicht mehr in Betrieb genommen, einerseits, weil uns die Gäste von Außenwelten fehlten, die die Schwerkraft an die Verhältnisse ihres Heimatplaneten anzupassen wünschten, andererseits aber vor allem, weil uns das Geld fehlte, das Aggregat überhaupt zu betreiben.

»Wie viel?«, frage er kurz.

Ich nannte ihm den Preis. Er akzeptierte, ohne zu murren. Innerlich schalt ich mich einen Idioten, ich hätte mehr verlangen können. Ich ging zur Theke, nahm den ID-Scanner aus der Schublade und begab mich zu dem Raumfahrer.

»Ich benötige Ihren Fingerabdruck und einen Retinascan«, sagte ich. »Für die Codierung der Tür Ihres Zimmers und der Eingangstür hier unten.« Mit einem Kopfnicken deutete ich zur Tür, durch die er vorhin eingetreten war.

Er lachte. »Dieses morsche Ding da erfasst meine ID?«, fragte er immer noch schmunzelnd.

Ich nickte. Das hielten fast alle unsere Gäste für unmöglich, aber im Schloss war tatsächlich ein ID-Scanner eingebaut. »Sie müssen lediglich Ihren Daumen gegen die Schaltfläche an der Tür drücken, dann öffnet sie sich automatisch, solange ich die Programmierung nicht ändere.« Und sofern er bezahlte. Doch das behielt ich für mich. Er verstand mich auch so.

Mit einer Hand griff er in seine Jackentasche, zog ein Stück Metall heraus. »Reicht das als Anzahlung, Junge?«, fragte er und warf es auf den Tisch.

Ich besah mir das Stück genauer. Keine terranische Währung, das war schon mal gut. Andererseits kannte ich das Geld nicht, die eingeprägten Schriftzeichen waren nichtmenschlich, widerwillig nahm ich es auf.

»Akzeptiert Ihr hier kein komoranisches Geld?«, fragte er. »Ich könnte auch …« Er kramte in seiner Jackentasche.

Zwischenzeitlich hatte ich das Geldstück mit zur Theke genommen und mit unserem dortigen Scanner abgetastet. Ich beschloss meine Gefühle in den Hintergrund zu stellen. Das hier war mehr als genug für eine Woche Miete bei voller Kost. Der Wechselkurs stand gut, sehr gut. – Aber das tat er bei fast allen nichtterranischen Währungen, natürlich, was hatte ich denn erwartet, das waren immer noch die Nachwirkungen des verlorenen Krieges.

»Geht in Ordnung, Herr …« Ich starrte auf den ID-Scanner. »Bones«, las ich vom Display ab. »Billy Bones.« Heute Morgen auf dem Raumhafen abgefertigt worden. Kam von Deneb, mit einem Raumer, der eine Ladung Grundnahrungsmittel geladen hatte und nebenbei wohl noch etwas Geld damit verdiente, den einen oder anderen Passagier zu befördern. Ich lobte mir die terranische Gründlichkeit. Mochten die anderen sagen, was sie wollten. Wir Terraner hatten zwar den Krieg verloren, unsere Ideale aber nicht. Hier konnte sich keiner so schnell einschleichen und uns ausnehmen. Die wesentlichen Daten wurden bei jeder Einreise erfasst und ins öffentliche Netz gestellt, so konnte sich jedermann schnell informieren. Als Gastronom war man geradezu darauf angewiesen. Zechpreller konnte man so bereits im Vorfeld schnell erkennen.

In diesem Fall war meine Sorge unbegründet gewesen, der Mann konnte bezahlen. »Ihr Zimmer ist codiert«, sagte ich. »Das Schwerkraftaggregat ist geschaltet, soll ich es auf einen bestimmten Wert einstellen?«, fragte ich.

»0,1 $g$«, antwortete er. »Wo bleibt mein Drink?«, fuhr er mich an.

»Sie haben noch nicht geäußert, was Sie denn möchten«, sagte ich förmlich, um ihn sofort in seine Schranken zu weisen.

»Was Scharfes«, entgegnete er. »Whiskey, Rum, was habt ihr denn? Nur terranische Sachen, vermute ich.«

Natürlich, was dachte er denn? Wir waren stolz auf unsere Tradition. Solange ich hier etwas zu sagen hatte, würde es keine nichtterranischen Speisen oder Getränke im Admiral Benbow geben. Mutter hatte des Öfteren überlegt auch exotische Sachen anzubieten, um so Gäste zu akquirieren, aber ich hatte mich durchsetzen können.

»Ich kann Ihnen einen Benbow-Spezial anbieten«, schlug ich vor.

Er lachte erneut. »Da mixt du sicher alles Mögliche zusammen und meinst, du hast was Besonderes geschaffen, was?«, feixte er. »Egal, gib her, Junge. Wie heißt du eigentlich?«, fragte er dann.

»Jim«, antwortete ich. »Jim Hawkins. Meiner Mutter und mir gehört der Benbow.«

»Hab ich nicht infrage gestellt, Jim«, antwortete er. »Du gefällst mir, Jim. Erinnerst mich an ein Mitglied meiner alten Mannschaft.« Er ergriff das Glas, das ich vor ihm auf dem Tisch abgestellt hatte, und leerte es in einem Zug. »Mach es noch mal voll und lass die Flasche da«, sagte er.

»Sie sind Raumfahrer?«, erkundigte ich mich, um meine Neugier zu stillen.

»Sieht man das?«, fragte er, keine Antwort erwartend. »Ich bin Kapitän, Jim. Kapitän«, sagte er dann.

»Ohne Schiff?«, entfuhr es mir, wusste ich doch, dass er als Passagier hier auf Luna angekommen war.

Verärgert sah er mich an. »Mein Schiff … Ach ist auch egal. Ja, du hast recht. Kapitän ohne Schiff, derzeit. Aber ich hatte eins.« Er blickte sich um, so als ob er feststellen wollte, ob jemand zuhörte, für dessen Ohren seine Ausführungen nicht bestimmt waren. Irgendwie surreal, waren wir beide doch allein im Schankraum. »Ich war Kaperfahrer, Jim. Kaperfahrer für Terra«, fügte er an.

Damit hatte er mich. Ob ihm das klar gewesen war oder nicht, wusste ich nicht. Aber in diesem Augenblick hatte er meine gesamte Aufmerksamkeit gewonnen. Ich nahm einen weiteren Stuhl vom Tisch und setzte mich zu ihm. »Welches Schiff?«, fragte ich atemlos.

»Die Walross, Jim. Die Walross. Ich habe sie nach Kapitän Flints Tod übernommen.« Er lehnte sich genüsslich im Stuhl zurück und beobachtete die Reaktion in meinem Gesicht. Er wurde nicht enttäuscht. »Du kennst die Walross, Jim?«

Ich nickte, wer kannte sie nicht? Welcher Terraner hatte nicht von ihren grandiosen Siegen auf den Kaperfahrten gegen die Nichtmenschen und die abtrünnigen Kolonien gehört? Innerlich zitterte ich richtiggehend. Konnte es sein, dass hier einer von Flints Leuten vor mir saß? Hier, im Admiral Benbow? – Anderseits, ich hatte noch nie von einem Kapitän Billy Bones gehört.

»Du zweifelst?«, fragte er. Dann besann er sich eines Besseren. »Klar, du kennst nur die Walross und Kapitän Flint, nicht wahr? Die Wahrheit hinter dem Ganzen, die kennst du nicht.« Er griff erneut zu seinem Glas, diesmal leerte er es allerdings nur zur Hälfte; er konnte einiges vertragen, das wurde mir klar.

»Die Walross ist verschollen«, entfuhr es mir. Sollte ich sagen, dass hier auf Terra den kleinen Kindern erzählt wurde, dass sie immer noch da draußen war? Draußen, irgendwo im Rim, in den Randwelten, darauf wartete, dass sich eine Gelegenheit ergab, es diesen Nichtmenschen zu zeigen? Zurückzukommen und Terra Genugtuung zu verschaffen? – Ich machte mich nicht zum Idioten. Ich war kein kleines Kind mehr, auch wenn alleine die Nennung des Namens des Schiffes genügte, um meine Nackenhaare aufzustellen und einen wohligen Schauer durch meinen Körper zu jagen. – Aber, was sollte ein einzelnes Schiff schon ausrichten gegen eine solche Übermacht an Material? Letztendlich hatte die terranische Flotte, trotz aller technischen Überlegenheit, gegen die schiere Übermacht an Material kapitulieren müssen.

»Verschollen, schön gesagt, Jim«, dröhnte seine Stimme. Er schlug sich mit der Hand auf seinen fetten Oberschenkel. »Verschollen.« Er lachte in sich hinein. »Nein, das ist leider nicht wahr. Peters hat uns gestellt. Es war draußen, bei Fomalhaut, weißt du? Quasi im Hinterhof Terras, gerade mal fünfundzwanzig Lichtjahre entfernt. Mitten im Territorium des Erdprotektorats. Aber, das war einmal«, sagte er dann und leerte sein Glas aus. Mit einem festen Griff nahm er die Flasche und füllte es erneut. Ich nahm mir vor den Preis für die Kost anzuheben, sollte er in dem Tempo weitermachen.

»Peters«, sagte ich. »Der Renegat?« Die Carpe Diem war ursprünglich ein Schiff Terras gewesen. Kapitän Johan Peters hatte sich gegen uns entschieden, hatte sich einer der abtrünnigen Kolonien angedient und durchaus erfolgreich Kaperfahrten gegen uns unternommen.

»Ja, ebender«, sagte er. »Er hat uns eine Falle gestellt, mitten im Territorium des Erdprotektorats, zusammen mit der Sentenza hat er uns zusammengeschossen. Ich habe es nicht geschafft, uns da rauszubringen, das trägt mir die Mannschaft heute noch nach.«

»Die Sentenza und die Carpe Diem?«, entfuhr es mir. Die zwei Kaperfahrer, die beide Terra den Rücken gekehrt hatten, als wir sie am meisten hätten brauchen können! Die Verräter an der terranischen Sache, ich konnte es nicht fassen. Sie hatten die Walross auf dem Gewissen?

»Ich sehe, du hast von ihnen gehört«, meinte Bones. »Anständige Kerle, die zwei. Jedenfalls besser als Flint. Sie haben zumindest für ihre Überzeugung gekämpft und nicht nur für den Profit.« Er schüttelte sich. »Kapitän Piggot hat uns die Wahl gelassen: mit dem Schiff untergehen oder die Boote benutzen. Wir sind in die Boote gegangen. Anständiger Kerl, dieser Simon Piggot. – Jim, lass uns einen Toast ausbringen, auf Simon Piggot und Johan Peters, die besten Kapitäne, die ich kenne!« Er hob sein Glas und bedeutete mir, dass auch ich mir eines holen solle.

Ich sprang auf. Wütend schrie ich ihn an: »Im Admiral Benbow wird nicht auf das Wohl von Verrätern getrunken!« Ich ließ ihn verdutzt alleine am Tisch sitzen und wandte mich wieder meiner Arbeit zu, der Boden putzte sich nicht von alleine.

Irgendwann war meine Wut dann verraucht. Vermutlich durch die körperliche Arbeit hatte ich mich abreagiert. Bones saß die ganze Zeit am Tisch und beschäftigte sich mit der Flasche. Als ich mit dem Boden fertig war, hatte er sie geleert.

Er stand auf und schwankte kein bisschen. Mit der einen Hand seinen Koffer ergreifend, wandte er sich der Treppe ins Obergeschoss zu. »Welche Zimmernummer?«, fuhr er mich an.

»Drei«, antwortete ich kurz.

Er ächzte und stöhnte, als er die Treppe erklomm. Ich widmete mich nun der Theke. Meine Mutter würde bald mit den Einkäufen erscheinen, dann würden wir das Essen für den Abend vorbereiten. Der Arbeitsablauf war tagein, tagaus derselbe.

Der Abend bescherte uns ein volles Haus. Alle Tische waren besetzt, auch an der Theke saßen Menschen auf den Hockern. Mutter hatte in der Küche alle Hände voll zu tun. Zu allem Überfluss hatte sich unsere Aushilfe krankgemeldet. Ich rannte im Schankraum nur hin und her. Das hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt, wenn ich auch den Umsatz zu schätzen wusste, den uns dieser Abend einbringen würde. Trotzdem hatte ich auf einen ruhigeren Abend gehofft, hätte mich ein solcher doch in die Lage versetzt, zumindest ein wenig am Tisch von Dr. Livesey sitzen zu können und ihr zu lauschen. Sie kam regelmäßig jeden Abend her, um zu speisen. Oft leistete ihr Mr. Trelawny Gesellschaft, so auch an diesem Abend.

»Jim«, Mr. Trelawny ergriff meinen Arm, als ich, das Essen zu einem anderen Tisch bringend, bei ihm vorbeikam, »ich hätte gern noch ein Bier.«

Ich nickte. »Bringe ich Ihnen gleich, Mr. Trelawny. – Haben Sie auch noch einen Wunsch, Dr.?«, fragte ich. Ich sah sie an, wahrscheinlich wieder einmal zu lang. Es wollte mir nicht einleuchten, dass sie das Studium der Medizin bereits abgeschlossen haben konnte. Sie war höchstens sieben Jahre älter als ich, also maximal fünfundzwanzig. Älter konnte sie nicht sein. Sie kam von einer der abtrünnigen Kolonialwelten und war nach dem Ende des Krieges hierher nach Luna gekommen, um zu helfen. Sie war gekommen, wo andere gegangen waren. Das imponierte mir. Noch mehr imponierte mir jedoch ihre Erscheinung. Nicht groß, aber schlank. Sie trug ihr langes, blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und brachte mich fast jeden Abend dazu, wie ein sabbernder Idiot vor ihrem Tisch zu stehen, um ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Heute fiel das ob der ganzen Arbeit, die ich hatte, nicht ganz so sehr auf.

»Danke, Jim. Ich habe noch«, sagte sie mit ihrer unnachahmlich sanften Stimme.

Ich beeilte mich das Essen auszuliefern und das Bier für Mr. Trelawny zu zapfen. Je schneller ich das schaffte, desto eher hatte ich einen erneuten Grund, an ihren Tisch zu treten.

Der Kapitän hielt mich auf. »Eine Flasche, Jim. Von deinem Benbow-Spezial oder wie auch immer du diesen Mix nennen magst«, sagte er, als er die Treppe herunterkam und seinen Tisch im Eingangsbereich ansteuerte. Den Tisch, auf dem ich auf sein Geheiß hin das Schild Reserviert aufgestellt hatte. Ich beeilte mich seinem Wunsch nachzukommen. Mutter hatte mir schon früh eingepredigt, dass jener Gast zuerst bedient werden müsse, der noch überhaupt nichts erhalten habe. Danach erst durfte ich die anderen Gäste zufriedenstellen, die nachbestellten.

Ich brachte ihm Flasche nebst Glas und schenkte ein. Er ergriff das Glas und leerte es in einem Zug. Dann bedeutete er mir es aufzufüllen. »Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste, yo-ho-ho und ’ne Buddel voll Rum!«, schrie er dann in voller Lautstärke in den Schankraum hinein. Alle Gespräche verstummten. Die Menschen drehten sich zu uns um. Er prostete ihnen zu und stierte dann nur noch vor sich hin.

»Wer ist der Mann?«, fragte mich Mr. Trelawny, als ich ihm das Bier brachte.

»Kapitän Bones«, antwortete ich. »Er hat sich heute bei uns einquartiert. Er war Kaperfahrer unter Flint«, fügte ich noch stolz an.

»Ein Verbrecher«, sagte Dr. Livesey. »Ich verstehe nicht, warum die Siegermächte nicht größeren Druck auf Terra ausüben, um die Vergangenheit aufzuarbeiten.«

»Wen wollen Sie denn alles einsperren, Ira?«, fragte Trelawny. »Mitgemacht hat doch fast jeder. Man kann nicht die Bevölkerung eines ganzen Planeten zur Rechenschaft ziehen, auch wenn das gefordert wurde.«

»Gefordert wurde die absolute Isolation«, wandte Livesey ein. »Aus Terra quasi ein einziges Gefängnis machen, das wurde gefordert. Das konnte nicht sein. Alle ausnahmslos zu Gefangenen machen, die Kinder für die Taten ihrer Eltern und Großeltern verantwortlich machen, das wurde gefordert. – Glücklicherweise ist es nicht dazu gekommen. Aber trotzdem, es gehen viel zu viele straflos aus. Das wird Folgen haben in der Gesellschaft.«

»Sie sind Idealistin, Ira. Absolute Idealistin. Recht der Jugend, ich weiß. Schminken Sie es sich ab, die Terraner umerziehen zu wollen, das wird nicht gelingen. Sie sind verbohrt, halten sich für etwas Besseres. Auch jetzt noch, nach der totalen Niederlage. Sie sehen in all dem Übel, das jetzt hier abläuft, die Schuld bei den Siegermächten und nicht bei dem Regime, das sie dahin geführt hat.« Trelawny ergriff sein Bierglas. »Bei Einzelnen ist noch nicht Hopfen und Malz verloren, die wachen auf oder werden es tun. Viele von denen wandern ja auch aus, in Richtung Rim. Aber wie soll die Masse denn merken, wo es langgeht, wenn die Indoktrination weiterhin wirkt?«

»Ich weiß, Sie haben ja recht, aber ich bin deswegen hergekommen. Ich wollte helfen, Aufbauarbeit leisten. Mithelfen, Terra auf den rechten Weg bringen. Aussichtslos! Selbst die Nahrungsmittel reichen nicht. Die Kindersterblichkeit liegt bei dreißig Prozent. Fünfzig Prozent der Menschen hier erreichen nicht einmal das zwanzigste Lebensjahr. Früher war Terra autark, jetzt ist es abhängig von der Lieferung von Grundnahrungsmitteln, entsetzlich. – Jim, ich hätte doch gerne noch ein Bier«, sagte sie plötzlich, in meine Richtung gewandt.

Ich beeilte mich ihrem Wunsch nachzukommen. Sicherlich, sie hatte merkwürdige politische Ansichten. Aber das war ja auch nicht verwunderlich, war sie doch in einer der abtrünnigen Kolonien aufgewachsen und dort indoktriniert worden. Sie hatte aber für sich entschieden, dass ihr Platz hier war, hier, an der Wiege der Menschheit. Sie war gekommen, um hier zu helfen. Auch sie würde erkennen, was man uns Menschen angetan hatte, was die unselige Allianz der Nichtmenschen uns angetan hatte. Sie war ja bereits auf dem Weg dorthin, hatte sie nicht eben selber gesagt, dass sie den derzeitigen Zustand nicht gutheißen konnte?

Ich brachte ihr das gewünschte Bier.

»Danke, Jim«, sagte sie. »Jim, halte den Mann im Auge, ja?«, sagte sie dann noch. »Er macht keinen guten Eindruck auf mich.«

Sie hatte keine gute Menschenkenntnis, er war Kaperfahrer, Kaperfahrer für Terra. Das war doch das, was zählte.

Der Abend wurde noch lang. Irgendwann verließ der Kapitän den Schankraum und ging nach oben auf sein Zimmer. Nach und nach hatte ich dann weniger zu tun, später verließen auch die letzten Gäste unsere Wirtschaft. Ich wollte mich gerade nach oben begeben, in mein Zimmer, als Bones erneut auftauchte. Er taumelte regelrecht auf den Ausgang zu.

»Sie wollen noch ausgehen, Kapitän?«, fragte ich.

Er hatte mich nicht bemerkt. Mit einer Schnelligkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut hatte, wirbelte er herum und griff in seine Jackentasche. Dann erkannte er mich. »Jim«, sagte er erleichtert. »Mach so was nie wieder, hörst du? Nie wieder!«, wiederholte er sich.

Ich nickte, irgendwie wollte ich nicht wissen, was er in der Jackentasche hatte.

»Jim, ich muss noch mal raus. Noch mal rüber zum Raumhafen. Das lässt mir keine Ruhe, verstehst du?«

Ich verstand nicht, nickte aber zustimmend. Er war betrunken, das war ja auch kein Wunder. Mit Betrunkenen kannte ich mich aus. Am besten ging man mit ihnen konform, keine Konfrontation, daraus konnte sich nur Ärger entwickeln.

»Jim, wenn jemand kommen sollte, sich nach mir erkundigen sollte …« Er machte eine Pause, es schien so, als ob er nicht mehr wusste, was er eigentlich sagen wollte. Dann fiel es ihm wieder ein. »Wenn so jemand kommen sollte, dann sag ihm nicht, dass ich hier bin. Ja? Komm dann zu mir und berichte mir darüber. Hast du verstanden?«

Ich nickte. »Kapitän, bitte passen Sie auf, draußen meine ich.« Ich war wirklich besorgt. In seinem Zustand konnte leicht ein Unfall passieren, zumal die Straßenbeleuchtung in Lunapolis des Nachts auf absolute Sparflamme geschaltet war. Und die Kavernen, in denen die Metropole des Mondes erbaut worden waren, hatten es in sich. Nicht nur menschliche Banden machten die Straßen nachts unsicher, auch andere Gefahren waren vorhanden, sozusagen natürliche Gefahren.

Sollte ich ihm von den Kanälen erzählen? Den Kanälen, die sich durch die Höhlen zogen, die häufig in der Mitte der Straßen verliefen, sich an manchen Stellen zu großen unterirdischen Seen vereinigt hatten. Seen, in denen so manche Kreatur wohnte, die irgendwer irgendwann einmal aus den Tiefen des Raums hier ausgesetzt hatte. Kreaturen, die nun jegliche anderweitige Nutzung des Wasserreservoirs des Mondes verhinderten, mal abgesehen von der Trinkwassergewinnung.

Nein, ich blickte in seine Augen. Nein, er würde jeden Rat von mir als Beleidigung auffassen. Schließlich wusste er von den Kanälen. Direkt vor der Tür des Admiral Benbow verlief ja einer. Niemand hatte sich je die Mühe gemacht, sie einzufassen, ihnen eine Brüstung, eine Mauer oder auch nur einen Zaun zu geben, der verhinderte, dass jemand hineinfiel, der unvorsichtig war.

Bones war vom Raumhafen hierher gekommen, da musste er die Kanäle zwangsläufig wahrgenommen haben. Sollte ich ihm da sagen: »Passen Sie auf, Sie sind betrunken, Sie könnten hineinfallen?«

Er verschwand durch die Tür, ich ging zu Bett.

Kapitel 2 Der schwarze Hund

Der folgende Morgen fand mich wieder bei meiner üblichen Tätigkeit: Ich schrubbte den Boden! Ich war fast fertig, als ich durch den Kapitän unterbrochen wurde. Er stand plötzlich am Fuß der Treppe.

»Wann gibt es Frühstück, Jim?«, fragte er.

»Was hätten Sie gerne, Kapitän?«, fragte ich und begab mich in Richtung Küche.

»Eier mit Speck und deinen Spezialdrink. Ich brauche eine neue Flasche«, rief er mir nach. Dann steuerte er seinen Tisch an und blickte aus dem Fenster. Die Beleuchtung auf der Straße hatte bereits auf Tageslicht geschaltet. Es ging aufwärts, vor ein paar Jahren mussten wir noch den halben Vormittag hindurch mit Notbeleuchtung auskommen. Zumindest die Energie war wieder da. Die riesigen Sonnenkollektoren auf der Oberfläche produzierten wieder. Die Nichtmenschen waren nicht gründlich genug mit ihrer Bombardierung gewesen.

Ich brutzelte ihm sein Frühstück. Als ich es ihm servierte, bemerkte ich, dass er die Flasche, ich hatte sie ihm bereits vorher gebracht, bereits zur Hälfte geleert hatte. Wenn er so weiter konsumierte, musste ich ihn noch vor Ende der Woche ansprechen, dann würde seine Vorauszahlung bereits verbraucht sein.

»Damals, auf der Raumstation bei Alsanzor, da gab es auch so ein Frühstück«, merkte er an, als er die erste Gabel mit Ei und Speck verschlang. Das Brot verschmähte er konsequent. »Wir haben da für ein paar Tage Pause gemacht, bevor wir weiter in den Halcyon-Nebel geflogen sind.«

»Sie waren im Nebel?«, fasste ich nach. Und dann war es geschehen. Er erzählte mir zwei Stunden lang sein Raumfahrergarn. Ich saß da und hörte zu, benahm mich wie ein kleines Kind, dem die Mutter gerade die Ballade Wo noch niemand zuvor gewesen ist vorgetragen hat, schwelgte in Gefühlen, die ich vergessen geglaubt hatte. – Kurz, er wurde zu meinem Idol. Ich betete ihn an. Er hatte all das erlebt, was ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte. Es kam mir so vor, als sei ich ein Mitglied der Mannschaft der Walross, unter dem Kommando von Kapitän Flint, wirklich auf dem Weg dorthin, wo noch niemand zuvor gewesen ist.

Als er eine Pause machte, sagte ich: »Kapitän, kennen Sie die Ballade Wo noch niemand zuvor gewesen ist?« Ohne auf eine Antwort zu warten, begann ich zu rezitieren: »Heut’ Nacht bin ich mit der Hauke Haien gefahren, sie ist verschollen seit gut neunhundert Jahren. Ich träumte, dass an Bord ich sei, erlebte mit die Meuterei …«

»Hör auf mit dem Unfug!«, unterbrach er mich. »Das ist eine Geschichte, die man den kleinen Kindern erzählt hat, um sie auf ihr späteres Dasein als Kanonenfutter vorzubereiten. Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. – Jim!« Er ergriff mit seinen Händen meinen Kopf. Sein mit Alkohol geschwängerter Atem schlug mir ins Gesicht. »Jim, wach auf, das ist nicht die Realität!« Er ließ mich los. Glücklicherweise, ich bin mir nicht sicher, ich hätte mich wohl übergeben müssen, hätte er mich länger so nah an seinem Gesicht festgehalten.