Lupins letzte Liebe - Leblanc Maurice - E-Book

Lupins letzte Liebe E-Book

Leblanc Maurice

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Beschreibung

Er ist wieder da: Arsène Lupin, galanter Gentleman und gerechter Dieb, der sich selbst aus den gefährlichsten Situationen mit Bravour und Leichtigkeit zu retten vermag. Er ist ein Meister der Verkleidungskunst und betört mit seinem unwiderstehlichen Charme die Damenwelt.

1921. Arsène Lupin hat sich zur Ruhe gesetzt und widmet sich wohltätigen Zwecken. Bei einem Diner lernt er Cora de Lerme kennen, eine reiche Erbin, die sich von einer Bande Diebe bedroht wird. Lupin beschließt, der reizenden jungen Frau beizustehen. Gleichzeitig verschwindet ein mysteriöses Buch, das einst im Besitz von Lupins Familie war und brisante Informationen über die französische Krone enthält … Lupin und Cora finden sich plötzlich in Katz-und-Maus-Spiel über Ländergrenzen hinweg wieder, bei dem Lupins Kunstfertigkeiten einmal mehr gefragt sind.

Intrigen, falsche Fährten, Täuschungen und Verrat an jeder Ecke – all die Zutaten eines typischen Lupins sind in dieser Geschichte voller überraschender Wendungen vereint.

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Seitenzahl: 194

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Titel

Maurice Leblanc

Arsène Lupin

Lupins letzte Liebe

Kriminalroman

Aus dem Französischen von Nadine Lipp

Insel Verlag

Übersicht

Cover

Titel

Inhalt

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

Inhalt

Cover

Titel

Inhalt

Prolog Ein Vorfahr von Arsène Lupin

Die Grotte der Calypso

1 Das Testament

2 700 Millionen in Gefahr

3 Enthüllungen

4 Die Zône

5 Cocorico

6 Ein sonderbarer Mann

7 Rettung

8 Eine unmögliche Liebe

9 Der Feind offenbart sich

10 Lupins Vermögen

11 Beschattung

12 Erklärungen

13 Vereitelter Angriff

14 In der Falle

15 Von Angesicht zu Angesicht

16 Was Frau will

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

PrologEin Vorfahr von Arsène Lupin

»Hotelier, ist General Lupin da?«

»Jawohl, Herr Oberst. Er schläft, er war hundemüde, als er vorhin angekommen ist.«

Oberst Barabas steht keuchend im Flur, nachdem er die Treppen zum Gasthof in der Marne, in dem die Truppen Quartier bezogen haben, hochgestürmt ist.

»Er schläft? Weck ihn auf.«

»Unmöglich, Herr Oberst. Das wird ihm nicht recht sein.«

»Weck ihn auf, sag ich.«

»Ich traue mich nicht …«

»Es muss sein, es ist eilig.«

»Aber, Herr Oberst …«

»Kaiserliche Anordnung.«

»Anwesend!«, ruft eine entfernte Stimme.

Eine Tür wird mit Wucht geöffnet und ein hochgewachsener Mann im Nachthemd tritt auf die Schwelle. Er wiederholt: »Anwesend!«

Als er den Oberst erkennt, fügt er in einem herzlichen Ton hinzu: »Ach, du bist es, Barabas, was gibt es? Komm herein.«

Die beiden Männer betreten das Zimmer, in dem überall Militärkleidung herumliegt.

»Hast du geschlafen?«, fragt der Oberst. »Hast du gegessen?«

»Ich habe keinen Hunger.«

»Zieh dich an. Der Kaiser braucht dich.«

Bei diesen Worten fängt General Lupin sogleich an, seine Uniform anzuziehen, als würde ihm ein Ruck durch die Glieder fahren, während er den Besucher fragt: »Worum geht es?«

»Eine Mission, die nur du erfüllen kannst.«

»Sie kann bereits als erfüllt gelten.« Er öffnet die Tür und ruft: »Brichanteau!«

Die Ordonnanz tritt ein: »Herr General …?«

»Lass Kleopatra satteln. Es ist dringend! Und benachrichtige meinen Adjutanten Darnier, er soll sich fertig machen, er begleitet mich. Und er soll ein paar Männer aussuchen, die ebenfalls mitkommen. Ich bin auf dem Weg zum Kaiser, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Brichanteau läuft im Sturmschritt los.

Im Handumdrehen ist General Lupin vollständig angekleidet. Beim Hinabsteigen der Treppe bleibt er stehen und wendet sich besorgt an seinen Begleiter: »Barabas, die zuletzt gewonnene Schlacht, die ist doch nicht verloren?«

»Nein, Herr General. Ein vom Kaiser errungener Sieg verfestigt sich erst mit der Zeit.«

Vor dem Gasthaus scharren die angeschirrten Pferde mit den Hufen, die ausgewählten Offiziere treffen ein. General Lupin steigt in den Sattel und befiehlt: »Galopp!«

In einer Staubwolke galoppiert das Kommando zum Hauptquartier. Oberst Barabas führt sie in die kleine Stadt, in der der Kaiser logiert. General Lupin ist ihm zu Diensten.

Es ist Abend geworden und die beiden Männer reiten schweigend nebeneinanderher. Lupin beschäftigen noch die Gedanken von vorhin, er fragt: »Der Sieg ist also sicher?«

»Das weißt du doch! Du hast maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen! Der Kaiser hat es vorhin wiederholt: ›Ohne General Lupins Einsatz wäre Montmirail verloren gewesen … es würde jetzt nicht mehr zu Frankreich gehören.‹«

»So, so! Die Schlacht von Montmirail wurde also von einem Brigadegeneral gewonnen?«

»Nein! Du bist jetzt Generalmajor, das wirst du morgen offiziell erfahren.«

General Lupin nickt und kann eine gewisse Überraschung nicht verbergen: »Eine Wahrsagerin hat es mir kürzlich prophezeit. Sie hat auch gesagt, dass ich bald heiraten werde. Und dass einer meiner Nachkommen Arsène heißen und weltberühmt werden wird. Nun muss ich ihr wohl Glauben schenken.«

Oberst Barabas lächelt schweigend. Sie ziehen die Zügel an. Man hört nur noch das muntere, rhythmische Stampfen der Pferdehufe und einige friedliche Geräusche aus der Abendlandschaft.

Eine Dreiviertelstunde später erreicht das Kommando ein Provinzhotel, wo ein ungewöhnlich reges Treiben der Truppen herrscht. Viele Schaulustige haben sich auf dem Platz vor dem Hotel versammelt und blicken zu einem beleuchteten Fenster; dann werden lange Vorhänge zugezogen: Dort ist er, der Mann von Rang und Namen, der über das Schicksal des bedrohten Frankreichs entscheidet. Alle Hoffnungen sind auf ihn gerichtet.

Nach ein paar kurzen Unterweisungen steigt der Trupp ab. Barabas und Lupin begrüßen den Wachposten und eilen in den ersten Stock. Hier wird Lupin in ein Zimmer geführt, das zu einem Büro umfunktioniert wurde.

Der Kaiser ist allein. Er sitzt an einem Tisch im hinteren Teil des Raumes und arbeitet; vor ihm liegen ausgebreitete Karten. An diesem Abend Mitte Februar ist es noch recht kühl, im Kamin lodern Holzscheite. Auf einem Sessel liegen der legendäre Zweispitz und der berühmte graue Gehrock.

»Ah, Lupin, bist du es?«

»Zu Befehl, Sire. Bin ich zu spät?«

»Nein, nein … ich habe dich erst in einer Viertelstunde erwartet.«

Der General, der strammgestanden hatte, lockert seine Haltung. Napoleon ist aufgestanden und auf den Kamin zugegangen: Der Schein des Feuers trifft sein aufgedunsenes Gesicht. Er trägt Landbekleidung, eine grüne Jacke mit weißem Revers, weiße Reithosen; seine Stiefel klappern auf dem Boden, während er zu einer Anrichte geht.

Darauf steht eine offene Kiste mit Tassen und Tellern aus Silbergold, daneben eine Zwischenmahlzeit aus verschiedenen kalten Fleischsorten. Der Kaiser dreht sich um und fragt Lupin: »Hast du geschlafen?«

»Nein, Sire, das muss ich nicht.«

»Hast du Hunger?«

»Ich weiß nicht.«

Er deutet auf einen Stuhl und befiehlt ihm, sich an den kleinen Sockeltisch zu setzen: »Nimm Platz und iss, ich werde dir etwas auftun.«

Der General macht eine ablehnende Geste, aber der Kaiser stellt ihm bereits einen Teller hin. Er hat ihn aus seiner Feldausrüstung genommen und vier oder fünf Scheiben Fleisch darauf gehäuft.

»Iss«, wiederholt der Kaiser und reicht ihm Besteck, etwas Brot und ein Glas Rosé.

Lupin gehorcht. Um keine Zeit zu verlieren, fragt er nach seiner Mission: »Worum geht es, Sire?«

»Kennst du das Château d'Alsace, an der Grenze?«

»Führt mich meine Mission dorthin? Ja, ich kenne es und sogar den Gouverneur Lampathi.«

»Nun, in diesem Schloss wird ein Komplott geschmiedet.«

»Ich soll also die Komplottisten festnehmen?«

Napoleon gestikuliert Zustimmung und schreitet dann nervös im Zimmer auf und ab, während sein Gesprächspartner sein Essen hinunterschlingt. Als er aufgegessen hat, wischt sich Letzterer, der nachgedacht hat, mit dem Handrücken über seinen herabfallenden Schnurrbart. Dann steht er auf, stellt sich vor seinen obersten Befehlshaber und hält ihm schonungslos entgegen: »Verzeihen Sie, Sire, das wird aber nicht so eine Affäre wie beim Duc d'Enghien? Denn auf so etwas lasse ich mich nicht ein! Ich bin ein Soldat und kein Polizist. Und das Ganze würde für Sie genauso schlecht ausgehen wie für mich, das sage ich Ihnen ganz offen.«

»Keine Sorge, ich weiß, was ich tue!«, schreit Napoleon ihn an und tritt wütend gegen ein Holzscheit, aus dem ein Funkenregen fliegt.

Der Wutausbruch hält nur kurz an, denn die direkte Offenheit seines treuen Waffengefährten gefällt ihm. Er legt eine Hand auf seine Schulter und versichert ihm: »Nein, das wird nicht wie beim Duc d'Enghien, sei unbesorgt … Du wirst in dem Schloss auf die Comtesse de Montcalmet stoßen und ihr ein Buch entwenden, das sie immer bei sich trägt. Du wirst es mir bringen. Es ist die englische Ausgabe des französischen Buches, das du in deinem Besitz hattest, du weißt schon, das Buch der Vernunft der Montcalmets. Eine Art Erinnerungsbuch französischer Familien, in dem Ereignisse, Erfahrungen und intime Geheimnisse festgehalten und über Generationen weitergegeben werden. Ich brauche genau diese englische Ausgabe, weil sie Passagen enthält, die in der französischen fehlen – und zwar die Berichte der Jeanne d'Arc. Sie enthüllen die hohen Direktiven der englischen Politik, die Jeanne hier und da aufgeschnappt hat, während sie innerhalb der Truppen die Stellung gewechselt hat. Darin stehen Informationen wie etwa diese:

Wer die ganze Erde hat, hat alles Gold.

Wer das ganze Gold hat, hat die ganze Erde.

Wir müssen England zum Kap führen.

Das ganze südliche Afrika, wir müssen es haben.«

»Ja«, bemerkte Lupin, »und während die Engländer damit beschäftigt waren, kämpfte meine Familie darum, dass Kanada an Frankreich geht, nachdem es die Engländer übernommen hatten … und vor allem Montcalm.«

»Das ist richtig«, fuhr der Kaiser fort, »aber ich möchte dieses Buch ganz lesen, es wird mir von Nutzen sein.«

»Ihr sollt es bekommen, Sire.«

»Nimm fünfzig Männer mit: Die Ehemänner meiner Schwestern, Talleyrand … all diese kleingeistigen Leute komplottieren, sie werden alle dort sein.«

»Das Schloss gehört Marmont?«

»Er ist der Anführer der Komplottisten!«

»Gibt es keinen weiteren Anführer?«

»Doch, Madame de Montcalmet, sie ist Marmonts Mätresse. Du wirst mir all diese Verräter herbringen.«

»Das werde ich, Sire. Aber, sagen Sie, kann ich mit einer Belohnung rechnen?«

»Der Marschallstab – wäre das was?«

»Ein neuer?«

»Nein, der von Marmont. Das ist nicht schlecht. Du sagst gar nichts, wünschst du dir etwas anderes?«

»Vielleicht … die Frau …«

»Oh nein, sie gefällt mir, ich behalte sie für mich, rühr sie nicht an!«

Lupin schweigt kurz und fährt dann fort: »Hören Sie, Sire. Im Norden haben immer nur zwei Familien das Sagen gehabt: die Montcalmets und die Cabot-Lupins. Seit Jahrhunderten sind sie verfeindet. Der Hass, der sie entzweit hat, hat zu einer Reihe von Morden, Entehrungen, Diebstählen und … Schändungen geführt, und, sehen Sie, in Bezug auf Letzteres liegen wir, die Cabot-Lupins, zwei oder drei Züge zurück. Deshalb hätte ich nichts dagegen, die Montcalmet ein wenig zu …«

Ein Lächeln entspannt die Gesichtszüge des Kaisers: »Du bist ja ein Gourmand! Wir werden sehen. Bring mir zuerst das Buch … und die Frau.«

»Sire, die Montcalmet ist meine Cousine und … ich werde sie heiraten.«

»Sie ist auch die Geliebte des Königs von England! Außerdem sollten wir erst im Anschluss über deine Belohnung sprechen!«

Napoleon sieht auf seine Uhr und fährt dann fort: »Du kannst jetzt zehn Minuten schlafen, wenn du willst, ich wecke dich.«

»Ich bin nicht müde, Sire. Ich trommle meine Männer zusammen, und wir brechen auf.«

Der Kaiser bleibt allein zurück, er steht nachdenklich und regungslos da.

Wenige Minuten später ertönt auf dem Kopfsteinpflaster des kleinen Platzes das ihm vertraute Geräusch einer aufbrechenden Reitergruppe.

Langsam kehrt er zu seinem Arbeitstisch zurück, setzt sich schwerfällig hin, nimmt die Lupe in die Hand und das Studium seiner Karten wieder auf – die überragende Gestalt eines Kämpfers, der schon bald darauf die Bühne der Welt verlassen und in die Geschichte eingehen sollte.

Die Grotte der Calypso

Nach einem steten Galopp kommt General Lupins Truppe an einem stattlichen, modernisierten Herrschaftssitz an, der einige Relikte beibehalten hat: der Wassergraben und eine hochgezogene Zugbrücke verhindern den direkten Zugang.

Der General hat seine Männer über den ganzen Park rund um die Schlossmauern verteilt. Nun schreitet er auf die niedrige Tür eines Pavillons zu, der diesseits des Grabens liegt. Kräftig klopft er mit seinem Schwertknauf gegen die Tür. Stimmengewirr ertönt. Nach kurzer Zeit öffnet ein Diener. Lupin herrscht ihn an: »Die sind ja regelrecht abgeriegelt da drin! Ist Gouverneur Lampathi da? Holen Sie ihn her. Für General Lupin.«

Der Lakai verschwindet wortlos und die Zugbrücke wird heruntergelassen.

Kurz darauf erscheint der Gouverneur: »Guten Abend, General. Sie wünschen?«

»Zu Ihren Gästen zu stoßen.«

»Nichts einfacher als das.«

Der Gouverneur führt ihn sicheren Schrittes durch den Schlossgarten. Über die Außentreppe betreten sie das Hauptgebäude und durchqueren mehrere leere Räume, bevor sie eine Steintreppe in einen abseitigen Teil hinabsteigen. Es ist eine natürliche Tropfsteinhöhle, die als Salon eingerichtet wurde; zwischen den Stalaktiten hängen farblich harmonierende Vorhänge. Etwa ein Dutzend Männer sitzen an Spieltischen, sie sind derart in ihr Kartenspiel vertieft, dass sie kaum die Köpfe heben.

Lupin stellt sich vor sie und ruft ihnen zu: »Hier wird also komplottiert? Ihr werdet mir alle folgen. Kaiserlicher Befehl!«

Die Männer stehen auf. Lupin zählt sie freundlich auf: »Sieh mal einer an, guten Tag Bernadotte. Bonjour Marmont. Ist die Montcalmet auch da?«

Mehrere Stimmen beteuern: »Die Montcalmet?! Kennen wir nicht …«

»Na los!«

Allein Marmont leugnet nicht, ironisch sagt er: »Wer sagt denn, dass sie nicht geflohen ist, während du dich genähert hast?«

»Unmöglich, Kamerad«, antwortet Lupin, »alle Ausgänge sind bewacht, ich bin kein Anfänger. Dir bleibt also nichts übrig, als mich zu ihr zu führen.«

Marmont kann dem nichts mehr entgegenstellen, also gehorcht er. Er öffnet eine hinter einem Vorhang versteckte Gittertür. Der General betritt ein kurioses Boudoir. Es ist in einer künstlichen Tropfsteinhöhle eingerichtet worden, die sich in direkter Fortsetzung zur natürlichen Höhle befindet. Dieselben Stalaktiten – diese hier künstlich –, dieselben Vorhänge aus geschmeidiger altrosa Seide; die Einrichtung nüchtern: ein Sockeltisch, ein Sekretär und ein paar Stühle von erlesenem Geschmack.

Auf einer riesigen Ottomane liegt eine Frau und hält ein Buch in der Hand. Sie trägt ein tief ausgeschnittenes Kleid in einem etwas helleren Rosaton als der der Vorhänge; sie ist groß und sehr schön. Ihr rötlich braunes Haar glänzt im Licht einer Fackel.

Beim Eintreten des Besuchers richtet sie sich wenig überrascht auf: »Sieh an, General Lupin!«

»Ich bin es! Bonjour, Cousine.«

»Was machen Sie hier?«

»Stellen Sie sich vor, ich bin gekommen, um Sie zu verhaften!«

»Mich verhaften?«

»Ja, und Sie wissen, warum. Sie werden mir folgen. Kaiserlicher Befehl.«

»Moment mal! Nicht so schnell, mein lieber Cousin! Ihnen zu folgen bin ich wohl verpflichtet, dem werde ich mich nicht widersetzen können, aber ich möchte nicht, dass Sie mich zu Napoleon führen. Ich weigere mich, diesen Mann zu treffen, denn er giert nach mir.«

»Es gäbe da eine Möglichkeit, ihm zu entkommen«, schlägt Lupin vor. »Geben Sie sich mir hin.«

Die Frau lacht verächtlich.

Der General hat sich ihr genähert, nun kniet er neben ihr, streichelt ihre nackten Arme und küsst ihre weißen Schultern. Er flüstert: »Werden Sie die Meine. Ich sehne mich so sehr nach Ihnen …«

Sehr schnell begreift sie, welchen Vorteil sie aus dieser heftigen Leidenschaft ziehen kann: »Wenn ich mich Ihnen hingebe, helfen Sie mir dann, zu fliehen? Unter dieser Bedingung wäre ich einverstanden.«

»Ist das ein Geschäft?«

»Ein sehr faires, wie mir scheint …«

Lupin ist aufgestanden: »Einverstanden«, sagt er. »Aber Sie werden mir das Buch geben, das Sie in der Hand halten. Es ist das Buch der Vernunft der Montcalmets, nicht wahr? Die englische Ausgabe?«

»Was haben Sie damit vor?«

»Ich werde es dem Kaiser geben, er wartet darauf.«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Dann werden meine Männer Sie gefangen nehmen und zu den Tuilerien bringen. Sie können nicht entkommen, das Grundstück ist umstellt.«

Die Comtesse de Montcalmet denkt nach und begreift, dass es keinen anderen Ausweg gibt. Sie muss sich der Hilfe dieses stolzen, naiven und verliebten Soldaten versichern, der nun wieder neben ihr kniet. Also schmiegt sie sich in seine Arme und sagt zärtlich: »Ich werde mich dir hingeben … Ich wünsche es mir schon so lange, hast du es denn gar nicht bemerkt? Du gefällst mir … Aber unsere Vereinbarung steht, du verhilfst mir zur Flucht?«

»Ich gebe dir mein Wort«, antwortet Lupin, küsst die Lippen seiner Gefangenen, und sie lassen sich auf die Ottomane fallen.

Als sie später wieder zu sich finden, sind beide erstaunt und erfreut über dieses flinke Abenteuer; Lupin bekommt als Erster wieder einen klaren Kopf.

»Hübsche Cousine«, sagt er, »in dem lang anhaltenden Kampf unserer beiden Familien lagen die Cabot-Lupins um ein paar Schändungen zurück, ich bin nun um ein Feld vorgerückt, vielen Dank.«

Dann steht er auf und bringt seine Kleidung in Ordnung: »Brechen wir auf«, befiehlt er, »wir sollten keine Zeit verlieren. Ich muss meine Mission erfüllen. Aber als Erstes bringe ich Sie hier raus.«

Er schaut sich um: »Dieser Ausgang, wo führt der hin?«

»Zum Feld. Von dort aus könnte ich leicht die Grenze erreichen. Ich habe Freunde, die mir helfen könnten, mich ins Ausland abzusetzen.«

»Gut. Machen Sie sich fertig und kommen Sie. Aber geben Sie mir zuerst das Buch, ich bestehe darauf.«

»Hier ist es«, sagt sie und reicht ihm ein gebundenes Buch, wie das, das er erwartet … nur dass sie es vom Bücherbrett oberhalb der Ottomane genommen hat.

Sogleich kehrt sie in seine Arme zurück, um ihn abzulenken. Aber er hat den Büchertausch registriert.

Er lässt sich nichts anmerken. Während sie sich anzieht und Geld einsteckt, tauscht er geschickt die beiden Bände wieder aus.

»Los! Jetzt aber schnell!«

Ein letzter Kuss, dann öffnet er die kleine Tür, die zum Feld führt, schickt die dort abgestellte Wache weg und holt seine Begleiterin heraus.

Als er in das Boudoir zurückkehrt, kommt Napoleon von der anderen Seite aus herein. »Donnerwetter, das war knapp!«, denkt Lupin, während er auf ihn zugeht, und in einem unsicheren Tonfall verkündet: »Ich habe das Buch.«

»Wo kommst du her?«, fragt der Kaiser misstrauisch.

»Ich habe der Montcalmet zur Flucht verholfen, Sire.«

Napoleon wird nicht wütend, diese Kühnheit entwaffnet ihn. Dann mustert er Lupin ohne Groll und verkündet sanft: »Du hast soeben deinen Marschallstab verloren!«

Einige Monate später heiratete General Lupin die Comtesse de Montcalmet und lebte mit ihr in den Ruinen des Château d'Orsay.

Napoleon studierte vergeblich das Buch der Montcalmets. Obwohl er seine Macht und Genauigkeit erkannte, hatte er nicht mehr die Gelegenheit, die Ratschläge, die er daraus zog, zu nutzen: Die Katastrophe von Waterloo setzte all seinen Träumen und Möglichkeiten ein Ende.

Und nun treten wir in das Leben der Mademoiselle de Camors, Prinzessin de Lerne.

1 Das Testament

Im Dezember 1921 wurde in der italienischen Botschaft ein großer Ball gegeben. Einige kleine Empfänge hatten bereits stattgefunden und das Wiedererwachen des Pariser Lebens markiert, aber dies war die erste offizielle Soirée seit den Ereignissen von 1914-1918.

Am Fuß der Haupttreppe begrüßten der Botschafter und die Botschafterin die eintreffenden Gäste, anschließend ging es im ersten Stock weiter. Eine glanzvolle Menschenmenge bewegte sich durch die prächtigen Räume: Gruppen oder Paare trafen aufeinander, begrüßten sich und tauschten sich aus, ohne dabei die Ankunft der Neuankömmlinge aus den Augen zu verlieren.

Das leise Stimmengewirr und entfernte Musikklänge aus den Salons, in denen getanzt wurde, verwoben sich zu einer leichten, steten Geräuschkulisse.

Plötzlich kehrte Stille ein: Eine große junge Frau betrat den ersten Stock – allein. Ihre Erscheinung und ihr Kleid waren von souveräner Anmut, von ihr ging eine solche Harmonie aus, dass sie die größten Schönheiten um sie herum in den Schatten stellte. Ihre Erscheinung war ganz einfach gehalten, sie trug keinen Schmuck und ihr Kleid war in einem rosigen Teerosengelb kunstvoll drapiert. Sie hatte blondes, lockiges Haar, ein paar lange Locken fielen an ihrem grazilen Hals entlang auf eine unbedeckte, aber keusche Schulter. Ihre großen grünen Augen und die langen Wimpern unterstrichen die wunderbare Frische ihres zarten Teints, der durch keinerlei Kunstgriffe geschönt war.

Nonchalant schritt sie voran und war bald umgeben von Bewunderern, die sich um sie scharten und sie alle gleichzeitig begrüßten: »Mademoiselle de Lerne, wie schön, Sie wiederzusehen! Wie geht es Ihrem Vater?«

»Meine Hochachtung, wunderschöne Cora!«

»Meine liebe Cora, ich freue mich darauf, mit Ihnen zu tanzen. Schenken Sie mir die Freude eines ersten gemeinsamen Walzers? Sind Sie allein? Ist der Prinz de Lerne nicht mitgekommen?«

Nachdem sie alle Fragen beantwortet hatte, nahm sie in einer Ecke auf einem Stuhl Platz und vertröstete ihre Verehrer freundlich auf später: »Lassen Sie mich einen Blick auf das ganze Treiben werfen. Ich liebe das Spektakel einer Soirée: das Licht, die Blumen, die luxuriösen Kostüme, die Uniformen … ich werde nie müde, mich daran zu erfreuen. Außerdem sehe ich dort den Marquis de Sérolles, mit dem ich gerne sprechen möchte. Wir sehen uns später …«

Die jungen Männer entfernten sich, während sich der Marquis de Sérolles näherte, aufrecht und flink, trotz seines fortgeschrittenen Alters.

»Seid gegrüßt, mein Kind. Ich hatte mir schon gedacht, dass ich Sie hier treffen würde. Der Prinz de Lerne begleitet Sie nicht?«

»Mein Vater ist heute Abend nicht ausgegangen, er hat seine eigene Gesellschaft und mag keine formellen Versammlungen.«

»Diese hier bietet eine Ansicht, die einem Kunstwerk gleicht.«

»Nicht wahr? Ich erfreue mich immer wieder daran, diese formvollendeten Zusammenstellungen zu bewundern.«

Er setzte sich neben sie.

»Ich habe Sie letzte Woche im Wald gesehen«, sagte er, »aber ich konnte Sie nicht erreichen. Lerne war zu Pferd und fast an seiner Seite fuhren Sie mit großer Geschwindigkeit einen dog-cart.«

»Das ist unser allmorgendlicher gemeinsamer Spaziergang.«

»Berichten Sie mir doch«, fuhr er fort, »wie Sie sich in all den Monaten so weit entfernt von Paris beschäftigt haben. Haben Sie gelesen?«

»Ja, alte Bücher: Die Erziehung der Gefühle, Die alten Meister … Ich finde Flauberts Stil bezaubernd, aber es geht eine solche Traurigkeit von seinen Büchern aus … Fromentin hat mich begeistert: Was für eine Studie der belgischen und niederländischen Meister!«

»Das klingt gut … Und was ist mit Ihrer Malerei?«

»Ich habe sie nach meiner Rückkehr wieder aufgenommen.«

»Machen Sie Fortschritte?«

»Ich denke schon. Ich habe nun einige Grundsätze verstanden, ich habe dort die Werke der besten Künstler studiert.«

»Sie haben Sie inspiriert: Dieses Kleid hat einen verblüffenden Stil. Der Gürtel und die Schärpe im Farbton Ihrer Augen bilden einen exquisiten Kontrast zum hellen Bernstein des Kleides.«

Sie freute sich: »Gefällt es Ihnen? Umso besser, Sie sind ein so weiser Kritiker! Es ist die Kopie eines Gemäldes von Gainsborough, das Porträt der Herzogin von Devonshire.«

»Ich kenne es nicht … Aber gerne möchte ich mir als ›Kritiker‹ die Freiheit nehmen, bei all der Zuneigung, die ich für Sie empfinde, Sie in einem anderen Bereich zu ermahnen. Warum bieten Sie eine immer größere Angriffsfläche?«

Sie richtete sich auf: »Ich gebe nichts auf das Urteil der anderen, mein Benehmen ist tadellos.«

»Es fehlt ihm nicht an Noblesse. Leider darf man aber in einer durchstrukturierten Gesellschaft die anderen nicht außen vor lassen, man muss zumindest berücksichtigen, dass es bestimmte vorgefasste Meinungen gibt und bestimmte Äußerlichkeiten, die es zu beachten gilt.«

»Was hält man mir vor?«

»Sie sind heute Abend ohne Anstandsdame hier … Das muss nicht sein … als junge Frau! Warum diese Unabhängigkeitsallüren an den Tag legen? Die Folgen lassen nicht auf sich warten: Ist Ihnen bewusst, wie es gewirkt hat, als sich diese Dandys vorhin mit solch einem Eifer um Sie geschart haben? Sie haben Sie ohne Respekt behandelt, fast schon so, als hätten Sie nicht den Stand, den Sie haben. Das ist irritierend.«

Sie tat das Gesagte unbesorgt ab: »Das kümmert mich nicht, sie sind dumm.«

»Sicher, das ist nicht so schlimm«, fuhr er fort. »Aber es gibt Schlimmeres: Was ist mit diesen ›vier Musketieren‹, von denen es heißt, Sie hätten sie aus London mitgebracht? Ihr Vater soll die Torheit besessen haben, sagt man, sie in Ihrem Haus unterzubringen, in Gebäuden auf Ihrem Grundstück? Sie gehen mit ihnen aus, Sie stellen sich zur Schau! Man spricht nur noch darüber. Was davon ist wahr?«

Sie zog ihre Schärpe, die abgerutscht war, mit einer anmutigen Geste wieder hoch an ihren Hals.

»Alles ist wahr«, antwortete sie. »Alles, außer der giftigen Interpretation ganz normaler Tatsachen. Meine Begleiter sind wohlerzogen und eine angenehme Gesellschaft. Ich habe sie in London kennengelernt. Sie sind nach Paris gekommen und wussten nicht, wo sie wohnen sollten: Mein Vater hat ihnen die verfallenen Gebäude zur Verfügung gestellt, in dem Brachland am Ende unseres Grundstücks … die alte Sakristei, das Wärterzimmer. Sie haben das Angebot angenommen, und ihre Nachbarschaft lenkt mich von meiner Einsamkeit ab.«