Lurlei (Rheinsage) - Julius Wolff - E-Book

Lurlei (Rheinsage) E-Book

Julius Wolff

0,0

Beschreibung

Dieses eBook: "Lurlei (Rheinsage)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Julius Wolff (1834-1910) war ein deutscher Dichter und Schriftsteller. Wolff gehört zu den sogenannten Butzenscheibendichtern. Dieser Begriff wurde zuerst 1884 von Paul Heyse verwendet, um damit zeitgenössische Dichter zu charakterisieren, die altertümelnde Verserzählungen in gefälliger Art über historische Stoffe und Sagen schrieben und ihren Lebensunterhalt damit bestritten. Neben Reimerzählungen umfasst Wolffs literarisches Schaffen, wie an den Untertiteln seiner Werke erkenntlich, auch romanhafte Prosa. Inhalt: Den Kranz auf! Die Milchbrüder Am Ufer Im Nachen Salvetes Rat Am Angelplatz Unter dem Monde Im Fischerhause Treuschwur Mondnacht Auf Burg Katz Das Mädchenlehn Der Lehnstag Am Königsstuhl zu Rhense In der Tiefe Lothar Gerücht und Gerede Heinrich Im Burschband

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 258

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Julius Wolff

Lurlei (Rheinsage)

Ein Romanze des Autors von Der Rattenfänger von Hameln, Till Eulenspiegel redivivus und Der fliegende Holländer

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4449-5

Inhaltsverzeichnis

Den Kranz auf!
I. Die Milchbrüder
II. Am Ufer
III. Im Nachen
IV. Salvetes Rat
V. Am Angelplatz
VI. Unter dem Monde
VII. Im Fischerhause
VIII. Treuschwur
IX. Mondnacht
X. Auf Burg Katz
XI. Das Mädchenlehen
XII. Der Lehnstag
XIII. Am Königsstuhl zu Rhense
XIV. In der Tiefe
XV. Lothar
XVI. Gerücht und Gerede
XVII. Heinrich
Im Burschenband

Den Kranz auf!

Inhaltsverzeichnis

Den Kranz auf! daß mit breitem Ringe Der Rebe grünes Laub euch rund Das sorgenfreie Haupt umschlinge Zu Zier und Zeichen unserm Bund! Wenn sein Geflecht sich kühl und bauschig Beschattend um die Stirne biegt Und an die Schläfen leicht und lauschig Die schöngezackten Blätter schmiegt, Da schauen gleich noch eins so helle Die Augen drunter vor, da kommt Das rechte Wort noch mal so schnelle, Das einer guten Stunde frommt. Denn wisset, volle grüne Ranken, Weinlaub zumal, ums Hirn gelegt, Macht frisch und freudig die Gedanken Und Sinn und Seele froh bewegt. Drum Kranz auf! daß zu Gunst geneigter Ihr meinem Sang die Ohren spitzt, Zu glauben dünket angezeigter Dem, der bekränzt beim Weine sitzt. Und kann auf Erden wohl zum Dichten Ein bessrer Ort als dieser sein Und zum Erzählen von Geschichten? Bedenkt, Gesell'n, – wir sind am Rhein! Romantik ist ja hier zu Hause, Treibt ihren Zauber aus und ein, Durchglänzet tags Palast und Klause, Geht nächtens um im Mondenschein. Im Kreuzgang spuken Mönchsgespenster, Auf Türmen Ritter ohne Ruh, Aus jedem alten Bogenfenster Winkt eine Geisterhand euch zu. Nie kommt ihr aus dem Kreis der Sage, Fahrt ihr den Rhein zu Berg, zu Tal, Euch mahnt bei jedem Ruderschlage Am Ufer ein bedeutsam Mal. Da schauen in des Stromes Spiegel Die Zeugen der Vergangenheit, Und alles hat mit Brief und Siegel Schicksal und Urkund alter Zeit. Efeubewachsne Steine reden, Des Ritterschlosses zäher Rest Und unter ihm, ergraut in Fehden, Das kleine, trotz'ge Bürgernest. Hoch jenes über steilem Pfade Mit Turm und Zinnen aufgereckt, Und dies behäbig am Gestade Mit seinem Bollwerk hingestreckt. Die Burgen aber und die Städte, Fast zahllos an des Rheines Lauf, Sind sein Geschmeid und Ziergeräte, Wie Perlen reihen sie sich auf. Schaut nur von dieses Hügels Runde, Wie ruhig dort der Strom sich wiegt, Wie freundlich hier im Vordergrunde Uns Sankt Goar zu Füßen liegt! Hier hüben dehnt sich an der Halde Das stolze Rheinfels mächtig aus, Und drüben ob der Schlucht am Walde Da sitzt die Katz und dort die Maus.

Jetzt kommt auf schmalen Eisensträngen Das Dampfroß schnaubend angesaust, Daß es auf beiden Uferhängen Dumpf donnernd aus der Ferne braust. Die Eisenglieder rolln und klirren, Es krümmt sich der geschuppte Schweif, Es stöhnt und faucht, und Funken schwirren Im langgezognen Wolkenstreif. Da gähnt am Berg mit offnem Rachen Entgegen ihm ein finstrer Schlund, Es ist die Höhle wohl des Drachen In des Gesteines tiefem Grund. Der schwarze Lindwurm kreischt, und knatternd Stürzt er sich in der Erde Bauch, Taucht unter, und den Fels umflatternd Verliert sich seines Atems Hauch. Da klingt vom Rhein her eine Glocke, Das Schiff; das Schiff! es kommt zu Land, Und lustig weht am Flaggenstocke Vom Topp des Wimpels rotes Band. Die Räder schaufeln, daß am Buge Die scharf durchschnittne Flut sich bäumt Und hinterher im Doppelzuge Langhin noch Well' auf Welle schäumt. Ins Sprachrohr ruft auf seinem Stege Der Kapitän, daß sich genau Der Dampfer an die Brücke lege, Und weit hinüber fliegt das Tau. Die einen gehn, die andern kommen, Laut zischt der Dampf aus dem Ventil, Bis Sack und Pack an Bord genommen, Und wieder vorwärts rauscht der Kiel. Es quirlt und brodelt in den Wellen, Und aller Blicke schau'n zurück. Die Tücher wehn, die Herzen schwellen Von Wanderlust und Reiseglück.

Gesprengt im Rheine sind die Riffe, Daß nicht wie sonst er brausend geht, Und sicher fahrt ihr, wenn zu Schiffe Der Lotse hoch am Ruder steht, Wo einst im Tiefen Bänke ragten Bis hin zum Binger Mäuseturm, Stromschnellen über Klippen jagten Mit Wirbelsturz und Wogensturm. Der Wald, wie's früher war, erstrecket Sich nicht mehr bis zum Uferwall, Von andern Tönen wird erwecket, Als ehemals, der Widerhall. So weit jedoch die Blicke reichen, Habt ihr von hier aus, Zoll um Zoll, Ein Bild vor Augen ohnegleichen, Hochherrlich, heiter, anmutvoll. Weit müßt ihr gehn und lange suchen, Bis wieder ihr des Himmels Blau, Das Grün der Reben und der Buchen, Des Wassers Glanz, der Felsen Grau Noch einmal so beisammen findet, Wie's hier in farbenreicher Pracht Zum vollen Einklang sich verbindet Und lockend euch entgegen lacht.

Doch wie auch Werb und Wellen blinken, Die Berge sonnen ihren Schatz, Wie Städtlein auch und Burgen winken Und manch ein trunkgerechter Platz Gleich diesem hier, – ich seh' euch spähen Nach jener schauerlichen Wand, Die von dem First, dem schwindlicht jähen, Schroff abfällt zu des Stromes Rand. Man spricht seit vielen hundert Jahren Von diesem Berg, ein altes Wort Nennt ihn den ›Lurlenberg‹, bewahren Soll er den Nibelungenhort. Wüst ist die Wand und kahl der Gipfel, Der Fels gefurcht von Spalt und Kluft, Da grünt kein Strauch, da rauscht kein Wipfel, Und keine Blume spendet Duft. Nichts rührt und regt sich hoch dort oben Tagsüber auf dem nackten Stein, Und alles Leben scheint verstoben, Der Wind weht über Gras und Grein. Doch glänzt vom Abendrote wider Der Berg im letzten Sonnenstrahl, So tönen oftmals süße Lieder Vom Felsenjoch herab ins Tal. Es ist ein zauberstarkes Klingen, Das einsam durch die Lüfte schallt, Und wer es hört, das holde Singen, Dem greift's ans Herz mit Wunschgewalt. Er strebt hinauf mit allen Sinnen, Von Sehnsucht höllenheiß erfaßt, Die Sängerin sich zu gewinnen, Hat nirgend Ruhe mehr und Rast. Doch wehe, weh, wenn er sie schauet, Wenn ihn umfängt die schöne Fei! Sie herzt und küßt ihn, daß ihm grauet, Die liebeslist'ge Lorelei!

Ihr wollt nicht an die Hexe glauben Und lächelt spöttisch, wenn ihr trinkt? Nein, Brüder! bei dem Blut der Trauben, Das hier in unsern Römern blinkt! Die Lurlei lebte, lebt noch immer, Saß auf dem Felsen schon und sang, Bevor des Mondes Glanz und Flimmer In die gebrochnen Burgen drang. Geschichte waltet, Sage webet, Und jede wird zur Dichterin, Doch was durch Mit- und Nachwelt schwebet, Das hat auch einen Grund und Sinn. Und wie und wo in Volkes Munde Nun Mären kommen oder gehn, Von der Verführerin die Kunde, Die konnte nur am Rhein erstehn, Am Rhein, wo allezeit der Glaube An seltsam Abenteuer siegt Und überall zu Rausch und Raube Versuchung auf der Lauer liegt. Denn eingewurzelt mit den Reben Ist, was ein hurtig Herz beglückt, Ein unverwüstlich flottes Leben, Das wie der Lurlei Sang berückt. Es lockt mit Wein und Lied und Liebe, Und wer nicht fest sich weiß und frei, Tät besser, wenn er ferne bliebe Ihm und der Zaubrin auf der Lei. Schwer wird es jedem zu entrinnen, Den einmal traf ihr Minnegruß, Und schwer bringt wiederum von hinnen Der Wandrer den bestaubten Fuß, Weil, was er manchmal sieht und höret, So dicht ans blaue Wunder grenzt, Daß jeder Trunk ihn hold betöret,

I. Die Milchbrüder

Inhaltsverzeichnis

Eines heißen Nachmittages Um die Zeit der Rosenblüte Stand der Oberwes'ler Ratsherr Henne Frei von Paffenau In der steingewölbten Laube, Mit der Aussicht nach dem Rheine Breit gebaut im Oberstocke Seines Hauses, Schweres wägend. Der Hochedle, Ehrenfeste War ein Mann von mehr als fünfzig, Starkem Wuchs und hellen Augen, Der in stolz gemessner Haltung Durch die Gassen schritt zum Rathaus. Seine Linke in die Hüfte Eingestemmt und mit der Rechten Auf der weiten Bogenöffnung Festgefugten Bord sich stützend, Blickt' er auf den Rhein hinunter. In der edlen Zechgesellschaft, Deren Mitglied er seit Jahren, Hatt' er eine ›ew'ge Zeche‹, Doch geteilt mit einem Freunde, So daß jeder von den beiden Einen Tag nur um den andern In die Herrenstube kommen Und am Wein sich laben durfte. An den Tagen, wo der Sozius Seine Hälfte nahm in Anspruch, Pflegte Henne gegen Abend Vor das Tor hinaus zu wandeln, Um durch nötige Bewegung Das Geblüt sich zu erleichtern, Das vom Sitzen und vom Trinken Sich bedenklich ihm verdickte. Heute war der Tag des andern, Und er selber mußte fasten. Aber bei dem staub'gen Wetter War's ihm trocken in der Kehle, Und so sann und überlegt' er, Ob er etwan ausnahmsweise Hier zu Haus ein schmales Kännlein Von dem wackern Vierundneunz'ger, So er selbst im Keller hatte, Seinem Durst verwill'gen sollte. Ja, das wollt' er! aber wie nun? Sollt' er erst den Gang vollbringen Und sich dann den Trunk gewähren? Oder sollt' er vorher trinken Und nachher spazieren wandeln? Oder aber – tertium datur – Sollt' er erst ein Kännlein leeren, Danach sich Bewegung machen Und dann, wenn er wiederkäme, Zur Belohnung noch ein Kännlein?

So in einem harten Kampfe Lag Herr Henne, konnt' und konnte Mit sich selbst nicht einig werden, Und auch aus des Rheines Rauschen Ward ihm weder Rat noch Meinung. Wie er noch darüber nachsann, Kam Besuch herein zur Laube, – »Peter, du! Gottlob! nun weiß ich's!« Rief er überfrohen Mutes Und dann aus der Bogenöffnung In den Garten: »Trude! Trude! Rasch ein Kännlein Engehöller Und zwei Becher! aber sput' dich!« Dann erst drückt' er seinem Gaste Warm die Hand. »Willkommen, Peter! Hab dich ja in Ewigkeiten Nicht gesehen, lieber Bruder!« »War schon unten bei Frau Heilwig, Ein paar Äschen in die Pfanne Euch zu liefern, die heut morgen Ich im Gründelbach erwischte,« Sprach der andre. »Äschen? Äschen?« Lächelte verschmitzt der Ratsherr, »Danke, Peter! aber darum Kommst du doch bei dieser Hitze Nicht von Sankt Goar nach Wesel? Trägst gewiß dich noch mit anderm, Was ich dir wie schon so manches Auch noch abzunehmen habe.« »Nun, ein starker Aal ist auch noch In dem Korbe,« sagte Peter, Der die Anspielung des Freundes Wohl verstand, jedoch mit Absicht So verdrehte. »Ist ein fetter,« Fuhr er fort, »und Aalfett, weißt du –« »– heilt Kahlköpfigkeit, versteht sich!« Fiel der Ratsherr ein, den Schädel, Blank und glänzend wie ein Kürbiß, Mit den Fingern sich betupfend. »Freilich! und daß Äschenleber Gut ist gegen Schlaganfälle, Karpfengalle gegen Fieber, Krebssaft gegens Zipperlein, Ja, das weiß ich alles, Peter, Dank' es alles deiner Weisheit. Lieber Gott! von wieviel Aalen Hab' ich's Fett schon auf die Glatze Mir geschmiert in starker Hoffnung, Daß die Haare wachsen sollten! Und sie kommen doch nicht wieder. Willst mit deinen Fisch-Latwergen Von Gebresten und Beschwerden Mich befrei'n, und dabei werd' ich Immer fetter, immer runder, Immer röter im Gesichte.«

»Fleißig Wasser trinken, Bruder!« »Wasser!« – vorwurfsvoll und schaudernd Sprach das eine Wort der Ratsherr, Aber dann mit hellen Äuglein: »Hast wohl Durst? nach solchem Gange Und bei dieser Bratenhitze Ist, weiß Gott! ein Trunk vonnöten, Hatte mir schon selber einen Zugedacht, – da kommt er! hierher! Hierher, Trude! auf die Brüstung!« –

Peter Sandrog war ein Fischer, Dem in Sankt Goar sein Handwerk Gute Nahrung gab und Wohlstand. Eins der ersten kleinen Häuser An des Städtchens oberm Ende Nannt' er sein; mit einem Garten Stand es, grün berankt und freundlich, Grad Burg Katz dort gegenüber. Just in Hennes Alter war er, Stämmig, von gedrungnem Körper, Wetterharten, braunen Zügen Und schon stark ergrauten Haaren. Nicht nur Freunde seit der Kindheit, Auch Milchbrüder waren beide; Peters Mutter, Frau Salvete, War vor Zeiten Hennes Amme In der Freien Haus gewesen. Sahen auch im Lauf des Jahres Selten sich die zwei, die wenig Über eine Stunde Weges Einer von dem andern wohnten, War doch fest und unverbrüchlich Ihre Freundschaft, und wenn Peter Etwas auf dem Herzen hatte, War es stets in Oberwesel Sein geliebter Bruder Ratsherr, Dem er seine Sorgen sagte, Und der stets mit offnen Armen Hoch willkommen hieß den Treuen.

So auch heut. Gemächlich saßen An der breiten Fenstermauer, Drauf der Wein stand mit den Bechern, Sich die beiden gegenüber Wie in einem großen Rahmen, Wo sie freien Umblick hatten Und ein kühles Fächellüftchen Sie vom Wasser her umhauchte. Gleich erkundigte sich Henne Nach Salvete, Peters Mutter, Nach Frau Dankmod, seiner Hausfrau, Nach dem Sohn und den drei Töchtern, Deren ältre zwei im Orte Brave Männer schon gefunden, Und die Auskunft klang erfreulich. »Ganz besonders noch erzähle Von der Jüngsten mir, der Blonden,« Sprach er dann; »weist sie noch immer Alle Freier ab, die Spröde?« Peter schwieg darauf und leerte Tief bedächtig seinen Becher, Und der Ratsherr fuhr im Reden Ohne weitres fort und sagte. »Daß dein strammer Erstgeborner, Heinrich, fast zum Mann geworden, Ja, das kann ich mir wohl denken. Aber was mich wundert, Peter, Ist und bleibt, daß nach dem Vierten Euch der Storch nicht mehr der Kindlein In die Wiege noch gelegt hat, Denn ihr wart doch beide jung noch, Du und deine schmucke Dankmod.« »Hast wohl recht,« versetzte Peter Langsam vor sich nieder nickend, »Mit dem lieben Kindersegen War's nun aus, doch – bei dem Mädchen Ist noch andres Wunderbares, Als daß leider unser jüngstes Sie geblieben.« Danach stockt' er, Sah den Ratsherrn an und seufzte. »Nun, was weiter?« sagte Henne, »Was denn sonst noch Wunderbares? Tust befremdlich ja und heimlich.« »Ist auch heimlich,« sprach der Fischer, Sich verlegen seitwärts drehend; Und die Faust am Herzen, murrt' er: »Hier! hier sitzt's und wurmt und quält mich, Daß ich keine Ruhe habe! Bruder, – Hand drauf, daß du schweigest! Aber endlich von der Seele Muß mir's runter! – also höre. Nicht der Storch ist es gewesen, Der das Kindlein uns gebracht hat!« »Nicht der Storch? ei, was du sagest!« Mußte trotz dem Ernst des Freundes Unwillkürlich Henne lachen. Doch dem Fischer war's nicht spaßhaft, Und wie Kampf und Überwindung Zuckt' es über das Gesicht ihm. Zweimal setzt' er an und brachte Doch das Wort nicht aus dem Munde, Noch nicht schlüssig, ob er reden, Oder ob er schweigen sollte, Bis er endlich, sich bezwingend, Barsch hervorstieß: »Aus dem Rheine Fischten wir das arme Würmlein Splitternackt und neugeboren.« Da ward auch des Ratsherrn Miene Hochgespannt, mit großen Augen Blickt' er auf den Gast und sagte: »Peter, hast noch nie im Leben Mir ein Märlein aufgebunden, Nichts für ungut um mein Lachen! Aber nun – nun sag auch alles, Wie's in Wahrheit sich begeben!« Als er noch mit einem Trunke Sich gestärkt, begann der Fischer:

»Zwanzig Jahr ist's her, doch alles Seh ich noch so klar und deutlich, Als wär's gestern erst gewesen. Eines Nachts, bei Vollmond war es, Daß wir auf dem Rheine fischten, Ganz allein wir, ich und Dankmod. Doch es kam nichts, ich ward mürrisch, Und die Mitternacht war nahe. Einen Zug noch, denk' ich, tust du, Und dann heim, mit oder ohne! Nun, wir hatten niedrig Wasser, Wirbel und Gefährt so ruhig, Wie ich's selten noch gesehen. Da ich einziehn will und hebe, Sackt das Netz sich, festgehalten In der Tiefe, daß ich meine, Nimmer kriegt' ich's unzerrissen Aus dem Wasser in den Nachen. Zwischen Bank und Ufer war es An der Lei des Lurlenberges, Wo's von Klippen starrt im Grunde. Endlich gibt es nach, und Henne, – Einen Fang find ich im Garne, Fast zu schwer für das Gestricke, Fast zu groß, um ihn zu bergen. Wie wir nun vor Freude zitternd Diese Menge Fische eintun, Fass' ich mit der Hand ein Etwas, Das nicht Schuppen hat noch Flossen, Sondern weich und zart sich anfühlt, Und – den Schrecken kannst du denken! – Und es war ein Menschenkindlein! – Mitten unter all den Fischen Lag es nackt und still, das Würmchen, Tot natürlich, wie wir glaubten. ›Sicher ist's ein Kind der Sünde,‹ Sprach ich, ›das die Rabenmutter Heimlich in den Rhein geworfen; Leg' es hin! in aller Stille Wollen morgen wir's begraben.‹ Dankmod nimmt es sanft und hüllt es Sorglich in ein Tuch, und siehe, Sieh, da fängt es an zu atmen, Wird lebendig, regt sich leise, Schlägt die Äuglein auf und lächelt, Lächelt, Henne! mußt mir's glauben. Uns ward's wirbelig im Kopfe, Wie es möglich, daß ein Kindchen, Aus dem Rhein gefischt, noch Leben In dem kleinen Körper hatte. Auf der Heimfahrt in dem Nachen Redeten wir mit einander, Was zu tun sei, und beschlossen, Still zu schweigen und das Mägdlein Flugs für unsern eignen Sprößling Bei den Nachbarn auszugeben. Mitleid mit der armen Mutter, Die betrogen und verlassen Sich vielleicht vor Schimpf und Schande Anders nicht zu retten wußte, Riet uns, unbedingt zu schweigen. Mitleid mit dem Kinde selber Und die Dankbarkeit geboten, Es zu pflegen, weil's im Netze Uns so überreiche Beute Mitgebracht, als wollt' es gerne Für die Kosten uns entschäd'gen, Die sein bißchen Nahrung heischte. Uns ging's knapp mit unsern dreien, Ella war noch kaum ein Jahr alt, Doch wir dachten, hätt' der Himmel Noch ein Viertes uns beschieden, Wie's ja wirklich nun der Fall war, Würd' es auch noch satt mit werden. Dankmod hielt sich eine Woche Still zu Hause, und im Städtchen Hieß es bald: bei Fischer Sandrogs Ist der Storch schier unerwartet Wieder einmal eingetroffen. Mit dem Fläschchen – anders ging's nicht – Ward das Kindlein aufgezogen Und gedieh und wuchs und blühte. Bald auch ließen wir es taufen, Und dem Ort nach, wo wir's fischten, An der Lei des Lurlenberges, Nannten wir das Mädchen Lurlei. Bruder, solltest jetzt sie sehen! Rank und schlank und schön und kräftig, Ist sie unser Stolz und Freude, Ach! und unsre schwere Sorge.«

So erzählte Peter Sandrog. Frei von Paffenau, der staunend Zugehört bis an das Ende, Reicht' ihm seine Hand und sagte: »Was ihr an dem Kinde tatet, Wird euch Gott einst segnen, Peter, Und euch auch der Sorg entled'gen, Wenn erst mal der Rechte anklopft Und der Jungfrau Herz gewinnet.« Peter sprach. »Der Segen ließ nicht Auf sich warten, denn von Stund an Mehrte sich mein Gut, die Salme Drängten förmlich sich zu Scharen Mir ins Netz, ja tun's noch immer, Und ich weiß, bei den Genossen Regt der Neid sich, in der Gilde Nennen sie mich schon den Reichen. Dazu schweig ich; aber Henne, Eine Furcht hab ich im Herzen: Dieses Glück, dies ganze Wesen Geht nicht zu mit rechten Dingen, Da ist Teufelswerk im Spiele.« »– sagt der Pfaffe! nicht? dem habt ihr's Wohl gebeichtet,« höhnte Henne, »Daß ein Kind vom Wassertode Ihr gerettet und es aufzogt?« »Nicht ein Wort! nicht eine Seele Außer mir, Salvet' und Dankmod Ahnt etwas davon,« sprach Peter; »Lurlei selber denkt, sie wäre Unsre leiblich rechte Tochter, Und du kannst mir's glauben, Henne, Uns ans Herz gewachsen ist sie Mehr fast, als die eignen Kinder. Aber manchmal graut uns vor ihr, Ja! und daß ich es nur sage, Was ich denke: Nixenbrut ist's!« »Geht der Leib ihr von den Hüften Stracks in einen Fischschwanz über? Oder schleppt sie am Gewande Einen nassen Saum, der niemals, Auch nicht an der Sonne trocknet?« Frug mit scharfem Spott der Ratsherr. »Nicht das eine noch das andre,« Sprach der Fischer, »sonder Tadel Ist ihr Wuchs, doch auf dem Herzen Hat ein hellergroßes Mal sie, Eine Schuppe, die in Farben Wie Perlmutter glänzt und schillert.« »Das ist alles?« lachte Henne, »Darum soll sie Nixenbrut sein? Bringe stärkere Beweise, Wenn es dir darum zu tun ist, Daß ich das Mirakel glaube!« Peter, den des andern Lachen Offenbar verdroß, erhob sich, Ging mit steifen, schweren Schritten Im Gemache auf und nieder, Blieb dann bei der Bogenöffnung Vorne stehen, beide Hände Hinterrücks verschränkt, und blickte Finster auf den Strom da unten. »Du willst stärkere Beweise?« Frug er noch in halbem Ärger, »Wohl! so höre denn ein weitres Von dem Mädchen und dann sage, Ob ich recht hab' oder unrecht.« »Darauf wart' ich,« sprach der Ratsherr.

Peter setzte sich und knüpfte Ruhig wieder an den Faden. »Unter Dankmods Hut und Pflege Wuchs im Haus die kleine Lurlei Munter auf mit unsern dreien, Und wir lebten in dem Glauben, Daß sie uns von Gott gesandt sei, Uns zur Prüfung und zum Heile. Aber manche Eigenschaften, Manche wunderlichen Züge Im Gebahren unsres Findlings Weckten endlich den Verdacht uns, Daß in ihm sich was Besondres, Übermenschliches verberge, Das mit seinem Stamm der Hölle Näher als dem Himmel stünde. Schwer hab' ich mit mir gerungen, Wie ich mich in solcher Lage Nun als Christ verhalten sollte. Doch das Kind, so hold und fröhlich, Das mit seinen großen Augen Mich so lieb und traulich ansah, Wenn mein Blick argwöhnisch prüfend, Finster in dem seinen ruhte, Und das doch an seinem Ursprung Keine Schuld trug, fortzujagen Und dem Elend preiszugeben, Bracht ich übers Herz nicht. Henne, Hättest du's getan? gewiß nicht!« Henne schüttelte. »Nun, siehst du! So behielt ich's denn trotz allem Und gewöhnte mich allmählich An des Mädchens Art und Weise, Ließ mir auch, wohl oder übel, Jeden Streich von ihr gefallen, Wenn sie damit auch zuweilen Uns in Angst und Schrecken setzte. Laß aus ihren reifern Jahren Dir ein solches Stück erzählen.

Sommer und ein heißer Tag war's, Und wir waren auf dem Fischfang, Heinrich, Lurlei, ich und Dankmod. Heinrich hielt den Kahn mit Rudern Ziemlich in des Stromes Mitte, Ich und Dankmod hatten beide Hinten mit dem Netz zu schaffen, Das wir bald zu werfen dachten. Lurlei, damals funfzehn Jahr alt, Lag mit Hemd und kurzem Röckchen Nur bekleidet, vorn im Nachen Übern Bord gelehnt und spielte Plätschernd mit der Hand im Wasser. ›Beuge nicht so weit dich über!‹ Rief ihr Dankmod zu. Sie hört' es, Wandte sich und lachte schelmisch, Ohne sich vom Bord zu rühren Und ihr Spielwerk aufzugeben. Als wir unser Netz geworfen Und nun beide wartend saßen, Blickte Lurlei noch einmal um, Und in ihren Augen – später Hab ich dessen mich entsonnen – Blitzt' es neckisch auf und listig. Dann nach einer kleinen Weile Schallt' ein Schrei, ein Sturz ins Wasser, Und ich sah noch in die Tiefe Lurleis nackten Fuß verschwinden. Bebend und gelähmt vor Schrecken Standen wir nun da und starrten Auf die Stelle hin, wo Lurlei Uns vor Augen war versunken, Und ich sagte mir: nun ist sie Wiederum dahin gegangen, Wo sie einstens hergekommen. Plötzlich aber uns im Rücken Auf des Kahnes andrer Seite Tönt ein gellend, jauchzend Lachen, – Und da ist sie! nickt und winkt uns, Lacht in einem fort und schüttelt Heftig ihre goldne Mähne, Daß im Kreis die Tropfen fliegen. Grenzenlos war unsre Freude, Sie zu sehn, und eh ich ahne, Welchen Schelmenstreich die Dirne Uns im Übermut gespielt hat, Streck ich ihr die Hand entgegen, Ihr zu helfen, sie zu retten; Doch sie lacht und schwimmt und prudelt Schnell und tummelt sich im Wasser Wie ein Fisch und fühlt sich lustig Recht in ihrem Elemente. Nun ging mir sofort ein Licht auf, Und doch konnt ich ihr nicht zürnen Über ihren Schwank, mit Schlauheit Ausgeführt, um uns zu foppen, Denn daß Lurlei schwimmen konnte, Wußten wir ja nicht bis dahin. Heinrich wußt' es und gestand nun, Daß er oft mit ihr geschwommen, Und daß er sich nicht geängstigt Bei dem kecken Taucherstückchen. – Nun, was sagst du zu dem Streiche?« Henne zuckte mit den Achseln Und erwiderte gelassen: »Daß sie schwimmen kann und tauchen Und zugleich ein loser Schalk ist.« »Weiter nichts?« versetzte Peter. »Hättst du sie dabei gesehen, Würdest du wohl anders denken. Überhaupt, es läßt sich gar nicht Alles sagen und beschreiben, Was in diesem Mädchen drin steckt. Ihren eignen Kopf und Willen Hat sie schon seit frühster Kindheit Und versteht's, ihn durchzusetzen, Sei's mit Schmeicheln, sei's mit Trotzen; Aber nie sah ich sie weinen. Betteln kann sie, flehn und drängen, Hat in ihren blauen Augen Eine Bittgewalt, um einem Schier das Herz im Leib zu schmelzen. Wonnig sind dann anzuschauen Und holdselig ihre Züge, Und ein recht spitzbübisch Lächeln Spielt um ihre Schelmenlippen. Damit körnt sie Alt und Junge Wie mit Reiherschmalz und Honig Wir die Fische, und wer anbeißt, Der wird angehau'n wie'n Grashecht. Denn ein loser Schalk daneben Ist nun allerdings erst recht sie. Nichts tut lieber sie, als necken Und ist dabei so erfindrisch Und so drollig ausgelassen, Daß mit ihren Narreteien Sie zu Lustigkeit und Lachen Oft uns wider Willen hinreißt. Aber nun sieh sie im Zorne, Und du kennst sie gar nicht wieder! Ganz ein ander Wesen ist sie, Ganz verwandelt und verwechselt. Stolz und hart ist dann ihr Antlitz, Blutlos wie ein Bild von Marmor. Um den bleichen Mund da zuckt es, Und die Nasenflügel zittern; Ihre Augen schießen Blitze

II. Am Ufer

Inhaltsverzeichnis

Abend war es nun geworden, Heller, heitrer Sommerabend, Der des Tages Glut allmählich Mit ersehnter Kühlung löschte. Die bewachsne Bergeshalde Zu der beiden Wandrer Linken Und der breite Strom zur Rechten Lagen in willkommnem Schatten. Drüben aber auf die Höhen Schien die Sonne noch und wob Um die braunen Felsenzinnen Einen Goldglanz, daß sie leuchtend Wie aus Erz gegossen standen.

Die vieltürm'ge Stadt im Rücken, Wandelten die beiden Alten Nun gemächlich ihre Straße; Doch Gespräch in Gang zu bringen Mühten beide sich vergebens, Weil jedwedem die Gedanken Noch von dem gefesselt waren, Was so lebhaft in der Laube Sie vorher beschäftigt hatte. Endlich drängte eine Frage Sich dem Ratsherrn auf die Lippen, Daß er stehen blieb, die Linke In die Hüfte stemmt' und anhub: »Peter, hast in meinem Hause Manches mir erzählt von Lurlei, Wie sie bitten kann und schmeicheln, Wie sie lachen kann und necken Und mit ihrem schönen Singen Euch bezaubert; aber Peter, Sag mal, – kann sie denn auch beten? Glaubt sie auch in frommer Demut Fest an Gott und an Maria, Unsre benedeite Jungfrau? Dieses scheint mir bei dem Zweifel, Ob sie nicht ein Kind der Hölle, Doch zu wissen sehr vonnöten.« Peter stutzte vor der Frage, Und doch war's ihm lieb, daß Henne Ganz aus sich heraus die Rede Noch einmal auf Lurlei brachte, Über die sich mitzuteilen Weiter noch ihn selbst verlangte. Er erwiderte dem Freunde: »Wir erzogen unsre Kinder Von kleinauf in Gottesfurcht, Frömmigkeit und tiefer Demut, Und seit Lurlei von sich selbst weiß, Ehrt und übt sie unsrer Kirche Heil'ge Bräuche, geht zur Messe, Kniet mit uns in stiller Andacht, Regt die Lippen und bekreuzt sich. Nie das kleinste Widerstreben, Irrsal oder Mißbehagen Merkten wir an ihrem Wesen Bei geweihtem Wort und Werke, Das wir Christenmenschen brauchen Zu der Seele Heil und Notdurft.« »Damit könntest du doch füglich Dich zufrieden geben, Peter,« Sagte Frei. »Ist Lurlei gläubig, So gehört sie nicht dem Bösen Und hat nicht geringre Hoffnung Auf die Seligkeit im Jenseits, Als wir beiden alten Sünder.« »Ja, wer weiß denn,« sprach der Fischer, »Ob sie auch in Geist und Wahrheit Und mit rechter Inbrunst betet,