Lykandras Krieger 2 - Blutsklavin - Kerstin Dirks - E-Book

Lykandras Krieger 2 - Blutsklavin E-Book

Kerstin Dirks

4,6

Beschreibung

Die Blutsklavin Theresa Straub ist der Vampirgesellschaft bedingungslos ausgeliefert. Als sie jedoch von den Plänen der Vampire erfährt, die Welt zu unterwerfen, weiß sie, dass sie das verhindern muss. Der charismatische Privatdetektiv und Werwolf Correy Blackdoom spürt in ihr seine Wolfsängerin und kommt ihr zur Hilfe. Correy muss erkennen, dass durch Theresas Verbindung zu den Vampiren weder eine Chance auf eine Verschmelzung mit dem Wolfsauge besteht, noch der Vampirbann gebrochen werden kann. Werden die beiden die Bedrohung abwenden können und wird Correys Liebe stark genug sein, seine Wolfsängerin zu erlösen?

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Blutsklavin

Blutsklavin

Lykandras Krieger 02

Kerstin Dirks

Sieben Verlag © 2009Covergestaltung: Nordstern DesignISBN Printausgabe: 978-3-940235-84-8ISBN E-Book: 978-3-941547-65-0

www.sieben-verlag.de

Prolog

Frankreich 1377

Die Leute in den kleinen Dörfern nahe der Küste zahlten gut, um einige zirkusreife Kunststücke zu sehen. Keith konnte auf den Händen gehen und sich überschlagen, während Killian auf der Flöte spielte. Er kannte nur wenige Stücke. Doch die, welche er beherrschte, spielte er ohne jeden Fehler. Correy ging unterdessen mit einem Hut durch die Zuschauer und sammelte die Münzen, die man ihm zuwarf. Manchmal hatten sie Glück und durften auf einem Jahrmarkt auftreten, der viele Besucher mit gefüllten Geldbeuteln anlockte. Sie zogen von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Immer dort, wo es etwas zu feiern gab, ließen sie sich nieder, in der Hoffnung, sich etwas dazuverdienen zu können. Seit dem Tod ihrer Eltern waren die drei Brüder auf sich allein gestellt. Keith übernahm als Ältester die Führung und sorgte dafür, dass zumindest Killian und Correy etwas in den Magen bekamen. Wenn das Geld knapp wurde, nahm er kleinere Dienste an und verrichtete Botengänge. Selten kam es vor, dass er auch mal etwas stahl. Ein Brot oder eine Forelle vom Markt. Die Brüder schliefen unter Brücken oder heimlich in den Kuhställen der Bauern, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Es waren schwere Zeiten. Doch sie gewöhnten sich an die Umstände und daran, immer auf Wanderschaft zu sein. Keith ließ nicht zu, dass jemand ihnen etwas antat. Er beschützte sie. Doch mit der Zeit veränderte er sich.

Die Brüder beobachteten sein Verhalten mit Argwohn. So kannten sie ihn nicht. So kannte er sich selbst nicht. Er wurde strenger, kälter, doch es war mehr als das. Weder er, noch seine Brüder konnten es in Worte fassen. Es war mehr ein Gefühl oder Gespür, als sei da etwas Dunkles in seinem Inneren. Etwas, das ausbrechen wollte. Immer leichter wurde er aggressiv. Zuvor hatte er seine jüngeren Brüder nie geschlagen. Sagte Killian ein falsches Wort, rutschte ihm die Hand aus. Später tat es Keith leid. Doch selbst vor dem kleinen Correy machten seine Wutausbrüche nicht Halt. Sie verunsicherten ihn und es kam der Punkt, an dem er sich schlichtweg vor Keith fürchtete. Wenn dieser seine finsteren Phasen hatte, sprach man ihn besser nicht an. Keith starrte dann nur mit heruntergezogenen Brauen vor sich hin, die Arme um seine angewinkelten Beine gelegt und den Kopf im Nacken, so dass seine Haare nach hinten glitten und die spitzen Ohren frei ließen. In Vollmondnächten war es am schlimmsten. Dann war Keith kaum zu beruhigen. Schlaf fand er keinen. Er musste sich immerzu bewegen, war übel gelaunt und klagte über Kopfschmerzen. Correy traute sich nicht, mit Killian darüber zu sprechen, denn auch dieser wurde zusehends ärgerlicher und ließ alles, was Keith ihm antat, an Correy aus.

Die Veränderungen verunsicherten die Brüder, doch wie sollten sie ahnen, dass ein Fluch auf ihrer Familie lag.

Weder Vater noch Mutter hatten je ein Wort darüber verloren. Die Menschen in ihrer Heimatstadt Westminster hatten es wohl geahnt und ihre Familie immer gemieden, solange sie denken konnten. Ihr Vater Ronald Blacksmith war ein guter Schmied, der hart für sein Geld gearbeitet hatte. Dennoch waren die Geschäfte schlecht gelaufen und lediglich Durchreisende hatten seine Hilfe in Anspruch genommen. Der junge Correy hatte zu diesem Zeitpunkt nicht verstanden, warum die Leute ihnen gegenüber so feindselig waren. Die Stadtbewohner wechselten die Straße, wenn sie einen von ihnen sahen, und keines der anderen Kinder durfte mit ihnen spielen. Die Nachbarn verrammelten ihre Türen und auch an den Gottesdiensten durften sie nicht teilnehmen. Eine Antwort darauf hatte er nie bekommen.

Eines Tages stand die Schmiede in Flammen. Ronald und Mary Blacksmith waren darin umgekommen. Niemand wusste, ob es ein Unglück gewesen war oder ein Attentat. Eines war jedoch sicher. Die Brüder wurden nicht länger in Westminster geduldet. Also zogen sie nach Süden und schmuggelten sich als blinde Passagiere im Frachtraum eines Handelsschiffes nach Frankreich, dem Land, von dem ihre Großmutter Francoise bis zu ihrem Tode geschwärmt hatte. Sie hofften, dort Familie zu finden, aber Francoises Spuren waren unwiederbringlich verwischt.

Ein Jahr später schlossen sie sich einer Gruppe von Schaustellern und Artisten an, die mit ihnen den Lohn gerecht teilten. Der Anführer der Gruppe, er nannte sich Ornello, hatte eine Tochter namens Isida, die in Keiths Alter war und die dunkelsten Augen hatte, die Correy jemals gesehen hatte. Wann immer sie Keith ansah, und niemand sonst außer Correy es bemerkte, klimperte sie verführerisch mit den Wimpern und spitzte die Lippen. Correy wusste, dass auch Keith eine Schwäche für das Mädchen hatte. Man sah es in seinen Augen. Sie leuchteten förmlich, wenn er die üppigen Brüste des Mädchens betrachtete, die an zwei reife Äpfel erinnerten. Wenn sie das Publikum mit ihrem Tanz erheiterte, stellte sich Keith in die erste Reihe, um sie aus der Nähe betrachten zu können. Er applaudierte am lautesten und bekam zum Dank die meisten Handküsse von ihr zugeworfen.

Eines Abends saßen die Schausteller am Lagerfeuer vor den Toren der Stadt. Es wurde gelacht, musiziert und Wein getrunken, weil man am Nachmittag viele Einnahmen erzielt hatte, die in Alkohol umgesetzt worden waren. Auch Isida trank viel und lachte unentwegt. Es war ein heiseres Lachen, mit dem sie Keith becircte. Außer Correy schien niemand zu bemerken, dass sie einander zugetan waren. Correy hatte trotz seines jungen Alters andere Männer schon oft um die Gunst von Frauen werben sehen. Er sorgte sich um Isida. Dem früheren Keith hätte er keine Gewalttätigkeiten zugetraut. Doch bei diesem neuen, dunklen und unberechenbaren Keith war er nicht mehr so sicher. Etwas Wildes schlummerte tief in seinen Augen, das nur manchmal aufleuchtete. Doch wenn Correy es aufflackern sah, stellten sich ihm alle Haare auf. Panik ergriff ihn, ohne dass er benennen konnte, was diese konkret auslöste. Keith sagte dann nichts. Aber die Unruhe merkte man ihm an. Es war etwas Finsteres, das ihn umgab wie eine zweite Haut. Das Besitz von ihm ergriff. Doch niemand außer ihm und Killian konnte es sehen. Correy behielt die junge Frau im Blick, die am Feuer näher an Keith heranrückte. Die anderen Männer und Frauen waren mit sich selbst beschäftigt. Sie schienen blind. Killian schlief längst im Zelt, so dass Correy der Einzige war, der etwas bemerkte. Keith hatte wieder diesen merkwürdigen Gesichtsausdruck, der Correy Angst einjagte. So sah er immer dann aus, wenn er Killian oder ihm Prügel androhte. Und nun, da er Isida mit demselben leeren und dennoch wilden Blick musterte, wurde Correy plötzlich klar, was es war, dass ihn ängstigte.

Keith sah aus wie ein Raubtier, das eine lohnende Beute gewittert hatte. Als Isida aufstand und mit Keith zwischen den Büschen verschwand, versuchte Correy einen der Männer zu animieren, ihnen zu folgen. Aber der war längst mit einem anderen Mädchen beschäftigt und niemand sonst wollte ihn beachten.

Etwas Schreckliches würde heute Nacht passieren. Er wusste es, er musste es verhindern. Er durfte nicht zulassen, dass Keith dem Mädchen etwas antat.

Rasch folgte er ihren Spuren, doch hielt sich hinter Büschen und Bäumen verborgen. Isida rannte tiefer in den Wald hinein. Es war leicht, ihr zu folgen. Die Brüder waren von Natur aus gute Fährtenleser.

Der Vollmond schien sanft durch das Blätterdach. Im Schutz eines Strauches beobachtete Correy, wie sich Isida auf einem umgekippten Baumstamm niederließ. Sie hatte ein Bein über das andere geschwungen und streckte die Brüste vor, die fast aus den schillernden Körbchen, die zu ihrem Tanzkleid gehörten, zu springen drohten. Keith blieb nur wenige Schritte von ihr entfernt stehen und beobachtete sie. Alles an ihm erinnerte an ein lauerndes Raubtier. Seine Muskeln waren angespannt, die Körperhaltung in Lauerstellung und seine Bewegungen merkwürdig geschmeidig und gefährlich zugleich.

„Komm doch zu mir“, lockte Isida leise.

Keith schlich um den umgekippten Baumstamm und löste das Oberteil, das ihre Brüste zusammengehalten hatte. Achtlos ließ er es neben ihr fallen. Ihr Busen kam zum Vorschein, wippte leicht im Abendwind. Correy war noch zu jung, um die Vorzüge eines Weibes zu sehen. Doch er ahnte, dass der Anblick etwas in seinem Bruder auslöste.

„Keine Scheu, ich tue dir nichts“, sagte Isida und lächelte ihn an.

Keith schien ihren Reizen nicht länger widerstehen zu können. Er machte einen Schritt auf sie zu und senkte seine Lippen an ihren Hals. Sie stöhnte auf und erschrocken fuhr Correy zusammen. Der Laut war schmerzerfüllt und es dauerte einen Moment, ehe ihm gewahr wurde, dass es gar nicht Isida war, die aufschrie.

Sein Bruder krümmte sich und stieß Schreie aus wie ein Wahnsinniger, der den letzten Funken Verstand verloren hat. Isida wurde blass und wich zurück. Das Dunkle schien nun mit aller Gewalt aus ihm herauszubrechen.

Correy hatte den Schutz des Gebüschs verlassen und wollte seinem Bruder helfen. Doch Isida packte ihn am Arm und hielt ihn davon ab, während Keith erst auf die Knie und dann der Länge nach auf den Boden sank und sich wie ein Irrer im Sand wälzte. Auf Zurufe reagierte er nicht. Das Zerbersten von Knochen hallte durch den Wald. Correy und Isida beobachteten entsetzt, wie sich Keiths Arme und Beine in unnatürliche Winkel verbogen, sich neu formierten und sein Körper sich gewaltig aufblähte. Er rief um Hilfe und krallte seine Finger in den weichen Waldboden, als wolle er sich festhalten. Aber wo eben noch seine Finger waren, ragten nun Klauen hervor. Gewaltige Klauen. Haare schossen aus allen Poren und seine Kleidung zerriss. Muskelberge türmten sich auf seinen Armen, weiteten seine Brust und seine Stimme klang wie das Grollen des Donners.

Isida hielt es nicht länger aus. Sie zog an Correys Arm und floh. Doch Correy riss sich von ihr los und blieb stehen. Ungläubig beobachtete er seinen Bruder, aus dessen riesigem Maul nur ein Grunzen und Knurren, aber kein verständliches Wort mehr drang. Mit einem Satz stand er vor ihm. Correy war wie gelähmt, unfähig sich zu rühren oder etwas zu sagen. Erst als Keith sein riesiges Maul aufriss und eine Reihe gewaltiger Reißzähne entblößte, ergriff Correy ebenfalls die Flucht.

War dieses Monster wirklich sein Bruder? Oder ein Hirngespinst? Er wollte es nicht darauf ankommen lassen, das herauszufinden. Zu groß war seine Angst es würde ihn verschlingen. So schnell er konnte rannte er durch den Wald, duckte sich unter niedrigen Zweigen hindurch und sprang über knöcherne Wurzeln hinweg. Hinter ihm vibrierte der Boden unter schweren Schritten.

Er hörte die aufgebrachten Stimmen der Männer, die ihm bereits entgegen eilten. Hinter einer Weggabelung konnte er sie sehen. Sie hatten ihre Dolche gezückt und griffen nach dicken Ästen, die sie als Schlagstöcke verwenden konnten.

„Schnell Correy, hier her!“, rief ihm Isidas Bruder zu.

Die anderen stellten sich dem Untier mutig in den Weg, das mit nur wenigen Sätzen durch das Dickicht preschte. Der Anblick ließ die Männer verstummen.

„Ein Monster!“, rief jemand von weiter hinten, der als erstes die Sprache wiedergefunden hatte.

„Holt die Stadtwache!“

„Mein Gott, was ist das nur?“

„Ein Werwolf! Rasch, wir brauchen etwas aus Silber!“

Correy schluchzte und folgte den anderen zu den Zelten. Sie würden Keith töten. Ganz bestimmt würden sie ihn umbringen.

Er wandte den Kopf, während er in Richtung Lager stolperte und sah, wie jemand mit einem silbernen Armreif an ihnen vorbei zu der Kreatur rannte. Als das Monster den Armreif sah, wich es grollend zurück und wandte sich um. Die Männer folgten ihm in den Wald. Immer mehr schlossen sich der Jagd an. Er hörte in der Ferne, wie sich die Stadttore öffneten, wie Männer miteinander sprachen und Pferde bestiegen wurden. Die ganze Stadt war aufgewacht. Alle jagten das Monster. Correy wurde in das Zelt gebracht und sank neben Killian, der durch den Lärm geweckt wurde, auf die Knie, und betete für seinen Bruder.

Hamburg, heute ...

Lykandra hatte ihn verlassen.

Correy Blackdoom, der seit über 600 Jahren im Körper eines dreißig Jahre alten Mannes steckte, fühlte sich nutzlos. In jeder Vollmondnacht sandte er ein Gebet an die Urmutter der Werwölfe, auf dass sie ihn erhören möge, doch sie reagierte nicht. Als ein Krieger Lykandras war es seine Aufgabe, Vampire zu jagen, die Tod und Vernichtung über seine Art und über die Menschen brachten.

Es war ein Jahrtausende alter Krieg, der in einer Zeit begonnen hatte, die den Menschen heute unbekannt war und über alle Epochen hinweg sein blutiges Gesicht gezeigt hatte. Auf beiden Seiten war viel Blut geflossen. Immer wieder hatte es Zeiten gegeben, in denen es ruhiger geworden war. Doch der Kampf dauerte bis heute an. Correy fühlte sich schuldig, seinen Gefährten nicht beistehen zu können. Aber ohne Lykandras Führung war er von seinem Volk abgeschnitten und auf sich allein gestellt. Nach einem vernichtenden Schlag der Vampire gegen sein Rudel hatte es sich stark dezimiert und wenig später aufgelöst. Die Werwölfe waren in alle Himmelsrichtungen verstreut. Immer auf der Suche nach einer Aufgabe war er durch die Lande gereist. Doch anstatt seine Bestimmung zu finden, führte er ein Schattendasein und drohte, sich selbst aus den Augen zu verlieren. Seine Instinkte verkümmerten, seine Sinne ließen nach. Es gab keine Gemeinschaft mehr und seine leiblichen Brüder waren fort. Der eine tot, der andere von Hass und Zorn zerfressen.

Wenigstens war er während seiner Nachforschungen auf einen seiner Artgenossen gestoßen, der in Berlin lebte. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Er würde mit ihm Kontakt aufnehmen. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass sich Lykandra von ihm zurückgezogen hatte. Wie so oft fürchtete er, in ihren Augen unwürdig und nicht gut genug zu sein, um in ihrem Namen für die Werwölfe zu streiten. Er hatte einst ihre heiligen Regeln gebrochen. Kein Werwolf durfte einen anderen verraten oder töten.

Dieser Makel würde ihm ewig anheften und er konnte froh sein, dass niemand außer seinem Bruder Killian davon wusste. Die anderen hätten ihn getötet. Werwölfe betrachteten sich als große Familie. Sie würden einander niemals etwas antun, denn sie alle stammten von derselben Urmutter ab. Lykandra.

Wohl wartete er umsonst auf ein Zeichen von Lykandra. Warum sollte sie sich um jemanden wie ihn kümmern? Statt ihm eine Wolfsängerin zur Seite zu stellen, die ihn im Kampf gegen die Blutsauger unterstützte, war die Einsamkeit sein ständiger Begleiter.

Einzig Killian hatte sich um ihn gesorgt und ihm sein eigenes Wolfsauge gegeben, das von seiner früheren Wolfsängerin stammte, bevor er sich von ihm getrennt hatte. Das Wolfsauge war ein Mondkristall, der die Essenz Lykandras barg und aus dem Körper von Killians Wolfsängerin getreten war, nachdem sie starb. So war es immer. Nach dem Tode eines Wolfsängers kehrte das Wolfsauge in die Hände des Werwolfes zurück, der es zuvor verschenkt hatte. Doch Killian hatte darauf verzichtet und nun trug Correy den Stein als Anhänger mit sich, in der Hoffnung, irgendwo einer neuen Wolfsängerin zu begegnen, auf die das Wolfsauge reagierte.

Doch der Stein blieb leblos. Kein einziges Mal hatte er aufgeleuchtet. Correy wartete nun schon so lange darauf, dass es endlich geschehen möge. Bis dahin blieb ihm nichts anderes übrig, als ein normales Leben unerkannt unter den Menschen zu führen.

Er betrachtete sein Spiegelbild in der gläsernen Fläche einer Boutique. Seine Haare verbargen die spitzen Ohren, die jeder Werwolf besaß, und an denen man seine Art erkennen konnte. Er sah müde aus, weil er keine Ruhe fand. Nur Arbeit konnte ihn ablenken.

In der Welt der Menschen hatte er einen Beruf. Ihm gehörte eine Detektei. Es waren kleine Fälle, für die man ihn engagierte. So wie der, an dem er gerade dran war. Ein Ehepaar ließ die gemeinsame Tochter beschatten, weil sie fürchteten, ihr Kind könne Drogen konsumieren. Correy war der Sechzehnjährigen bis in das Einkaufszentrum gefolgt und beobachtete sie auf ihrem Shoppingrundgang. Bisher hatte sich nichts Verdächtiges ergeben. Sie erschien ihm wie eine ganz normale junge Frau, die sich für Mode, Schmuck und Schuhe interessierte. In einem Musikgeschäft hatte sie fast eine Stunde zugebracht. Obwohl das ermüdend war, blieb Correy trotzdem wachsam. Hochkonzentriert hatte er ihr Umfeld beobachtet und darauf geachtet, ob sich ihr jemand näherte und ihr heimlich etwas zusteckte oder ob sie bei jemandem etwas kaufte, der nicht zum Ladenpersonal gehörte. Aber nichts dergleichen war geschehen.

Wenn sich Correy unter den Menschen bewegte, mit ihnen so viel mehr zu tun hatte als mit Wesen seiner Art, fühlte er sich noch einsamer und ausgeschlossen. Lykandra hatte vielleicht nicht mehr als das für ihn vorgesehen.

Theresa war vom Regen in die Traufe gekommen. Anders konnte sie ihre jetzige Situation nicht beschreiben. Ihre Kindheit war alles andere als rosig gewesen. Ihr Vater hatte ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt verlassen und außer der Tatsache, dass man ihn immer als Schweinehund bezeichnete, darauf pochte, dass sie ja nur so missraten war, weil sie seine Tochter sei, hatte sie nicht die geringste Ahnung wer er war, und auch kein großes Interesse an ihm. Mama hatte wieder geheiratet, doch ihr Stiefvater war auch kein Hauptgewinn gewesen. Jeden Abend trank er sich voll und die Hand war ihm auch mehr als ein Mal ausgerutscht. Einziger Lichtblick war ihre kleine Schwester, die zu ihr hielt und sie gegen die Attacken des Stiefvaters verteidigte, denn Mama scherte das nicht. Sie war immer zu sehr mit sich selbst und ihren eigenen Sorgen beschäftigt. Daher hatte es auch nie jemanden interessiert, wenn Theresa über ihre Vorausahnungen sprach.

Oft hatte sie merkwürdige Träume und sah Dinge, die erst noch geschahen. Einiges davon war erschreckend gewesen. Wenn sie darüber sprechen wollte, wurde sie von ihrer Familie nur belächelt. Doch diese Dinge waren real und machten ihr Angst. Am Anfang war sie erstaunt, dass jeder so merkwürdig reagierte, wenn sie über ihre Visionen sprach. Sie konnte nicht ahnen, dass nicht jeder solche Vorahnungen hatte, denn es sprach niemand mit ihr darüber.

Die Visionen waren aber nicht nur erschreckend. So wusste sie beispielsweise im Voraus, wenn ein Fahrrad in der Gegend gestohlen wurde und sie konnte auch den Dieb benennen. Dieses Wissen entpuppte sich allerdings nicht als Segen, sondern als Fluch. Manche glaubten sogar, sie selbst hätte das Fahrrad gestohlen und versuchte, die Tat einem anderen in die Schuhe zu schieben. Anderen Menschen wurde sie immer unheimlicher. Sie entfernten sich von ihr, wenn sie über ihre Fähigkeit sprach. Man sah sie an, als sei sie verrückt, hielt sie für eine Spinnerin. Ihr Stiefvater bläute ihr ein, keine Lügengeschichten mehr zu erfinden, denn damit bringe sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Familie in Schwierigkeiten.

Mit der Zeit hatte sie gelernt, dass es besser war, die Visionen für sich zu behalten. Wie oft hatte sie sich gewünscht, diese Gabe nicht zu haben. Sie wollte doch nur so sein wie alle anderen. Akzeptiert sein, geliebt werden, Freunde haben.

Es kam der Tag, an dem sie erkannte, dass es eine Ursache für ihre Andersartigkeit gab. Obgleich sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, was genau der Grund war, spürte sie immer wieder einen Drang zu dem was die Leute gemeinhin die Dunkle Seite nennen. Ein inneres Vibrieren erfasste sie immer wieder.

Sie interessierte sich für Mythen und Sagen und fühlte, dass sie bestimmt war für eine dunkle, wilde Energie. Sie wusste, hier lag ihre Bestimmung, konnte sie aber nie greifen. Erst Jahre später, nachdem sie sich in eine WG geflüchtet hatte und mit ihrer Freundin auf ein Konzert gegangen war, hatte sich ihr eine Welt offenbart, von der sie tief in ihrem Inneren schon immer gewusst hatte.

Gemeinsam mit der Freundin hatte sie aufregende Nächte durchlebt, in denen sie erfahren und erleben durfte, dass einige Mythen wahr und in den menschlichen Alltag integriert waren, ohne dass die meisten Menschen davon wussten.

Die Welt der Vampire.

Hier fand sie, was sie damals suchte. Anerkennung, gebraucht, ja, begehrt zu werden.

Liebe. Leidenschaft.

Sie gab sich der Sache voll und ganz hin, sie wusste es nicht besser, und nun war sie hier.

Vom lieblosen Elternhaus in die kalte Welt der Vampire. Vom Regen in die Traufe, in der Tat. Sie war, was sie war, sie konnte es nicht mehr ändern.

Eine Blutsklavin.

Eine Frau, die einem Vampir dient. In ihrem Fall war es Levan. Der schöne, unwiderstehliche, silberne Levan. Sie hatte ihn im Anschluss an ein Konzert kennen gelernt und war von seiner dunklen Aura fasziniert gewesen. Es schien, als hätte sie ihr ganzes Leben nur auf ihn gewartet. In seiner Gegenwart hatte sie von Anfang an das Gefühl gehabt, etwas Besonderes zu sein, gebraucht zu werden, eine Aufgabe zu haben. Im Gegensatz zu allen anderen ihr nahe stehenden Personen verstand er sie und was in ihr vorging, er nahm sie an wie sie war und liebte sie dafür.

Eine Zeit lang fühlte sie sich bei ihm gut aufgehoben. Levan war ihr dunkler Beschützer, ihr Liebhaber, ihr Meister. Doch was als Romanze begonnen hatte, hatte sich nach und nach in einen Alptraum verwandelt und das Wort Blutsklavin hatte eine neue Bedeutung bekommen.

Ihr größter Wunsch war immer, ihrer inneren Bestimmung zu folgen, doch das war alles andere als einfach. Es hatte mehr mit Selbstaufgabe als mit Hingabe zu tun. Die eigenen Bedürfnisse standen hinten an. Immer. Sie hatte unzählige schmerzhafte Prüfungen hinter sich gebracht, jedes Mal war sie danach stärker geworden und ihre Loyalität zu Levan war geblieben.

Mittlerweile war er aber nicht mehr ihr einziger Herr. Auch Vampire aus Levans näherem Umfeld durften ihr Anweisungen geben, die sie ausführen musste. Und wenn sie das nicht tat, folgte eine Bestrafung. Sie hatte schlicht zu spät erkannt, wie wenig Wert den Vampiren ein menschliches Leben war. Manche von ihnen töteten Menschen aus reiner Mordlust oder um sich zu erheitern. Wie gut war es da, dass sie unter Levans persönlichem Schutz stand und dass ihr keiner der anderen Blutsauger ein Haar krümmen durfte. Obgleich sie es in den Augen einiger längst gesehen hatte, dass sie ihre Zähne nur zu gern in ihren inzwischen vernarbten Hals geschlagen hätten.

Mit diesen schwermütigen Gedanken verließ Theresa das Haus und atmete die kühle Abendluft ein. Endlich war es Herbst. Sie hatte die Hitze des Sommers nicht vertragen und hatte es vorgezogen drinnen zu bleiben, anstatt sich in luftiger Kleidung unter die Menschen zu mischen. Wie angenehm kühl sich der Abend anfühlte und wie herrlich leer die Straßen nun waren.

„Beeil dich“, fuhr Maeva sie an und lief zügigen Schrittes an ihr vorbei.

Sie trug einen großen Hut, der sie vor den letzten Strahlen der untergehenden Sonne abschirmte. Außerdem saß eine Sonnenbrille auf ihrer Nase, um die empfindlichen Vampiraugen vor der Austrocknung zu schützen. Vor wenigen Jahren war Maeva noch eine Menschenfrau gewesen. Schnell hatte sie ihre Wurzeln vergessen.

„Jetzt komm schon“, fuhr sie Theresa an und hetzte sie durch die Straßen, bis sie ans Einkaufscenter gelangten. „Die Geschäfte machen bald zu.“

Normalerweise hätte Theresa die Einkäufe für sie erledigen müssen, doch dieses Mal brauchte Maeva ein Kleid, das sie unter allen Umständen selbst aussuchen wollte. In höchster Eile gingen sie durch die verschiedenen Boutiquen, bis Maeva fündig geworden war und Theresa mit ihren Einkaufstüten belud. Theresa kam sich wie ein Packesel vor. Es fehlte nur noch, dass Maeva ihr Zaumzeug umband und sie daran hinter sich her führte. Die wenigen Leute, die jetzt noch ihre Erledigungen machten, warfen ihnen verwunderte Blicke zu. Theresa wäre es an deren Stelle kaum anders gegangen. Aber in ihrer Welt standen Vampire über den Menschen und sie hatte sich ihren Regeln unterworfen. Aus Liebe, aus Dummheit und weil sie immer wieder gehofft hatte, Levan würde sich ändern. Für sie. Doch von der anfänglichen Zärtlichkeit und Leidenschaft, die er ihr entgegen gebracht hatte und nach der sie sich immer noch sehnte, war jetzt nicht mehr viel übrig. Jede Nacht stieß er kaltherzig und ohne jedes Gefühl seine Eckzähne in ihren Hals. Nachdem er mit ihr fertig war, kümmerte er sich nicht weiter um sie. Theresa aber spürte die Auswirkungen von Levans Blutkonsum deutlich. Sie war immerzu müde, sehr blass und sah fast selbst aus wie eine Vampirin.

„Das wird mir stehen“, sagte Maeva und hielt vor einer kleinen Boutique.

Ihr Blick war auf ein rotes, enges Kleid im Schaufenster gerichtet, das sehr knapp war und außerdem einen Ausschnitt bis zum Bauch aufwies. Blutrot war die einzige Farbe, die die Vampirin noch wahrnehmen konnte. Es musste einen besonderen Reiz auf sie ausüben.

„Ich werde es anprobieren.“

Mit diesen Worten verschwand sie in dem Laden. Theresa stellte die Tüten ab und wartete. Wie viele Kleider wollte Maeva eigentlich noch kaufen? Sie hatte bereits drei Stück erworben, über die sie genau das Gleiche gesagt hatte. Vielleicht hatte sie vor, sich öfter umzuziehen, wie es die Berühmtheiten machten, wenn sie auf eine Gala geladen waren. Etwas Ähnliches stand Maeva morgen Nacht bevor. Levan erwartete hohen Besuch aus Amerika. Für diesen Anlass brauchte die Vampirin eine passende Garderobe. Und da sie nicht mit ihren Reizen zu geizen pflegte, war dieses Kleid mit seinem weiten Ausschnitt perfekt.

Theresa seufzte leise und schloss die Augen. Sie fühlte sich unendlich müde. Gestern Nacht hatte Levan zu viel von ihr getrunken. Ihre Beine fühlten sich schwach an. Für einen kurzen Moment nickte sie im Stehen ein.

„Was stehst du hier unnütz herum?“, knurrte Maeva.

Theresa erschrak. In dem Augenblick überkam sie ein wellenartiges Gefühl, das sie beinahe umwarf. Sie musste sich mit dem Rücken an das Schaufenster lehnen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Etwas würde geschehen. Sie spürte es nur undeutlich. Eine Begegnung. Eine Veränderung.

„Tut mir leid, ich ...“ Sie versuchte, sich eilig zu fangen. Zitternd fuhr sie mit der Hand über ihre Stirn. Die Vision war verschwunden.

Maeva drückte ihr eine weitere Tüte in die Hand. Jetzt waren es schon vier. Die Vampirin hatte nicht gegeizt. Neben dem neuen Kleid waren zwei Paar Schuhe hinzu gekommen. In der Beziehung war Maeva ganz Menschenfrau geblieben.

„Brauchen wir noch etwas?“, fragte Theresa benommen und stolperte hinter ihrer Herrin her.

„Wir machen uns auf den Rückweg.“

Diese Worte zu hören erleichterte Theresa ungemein. Ihre Füße schmerzten. Während sie der Vampirin durch das Zentrum folgte, fragte sie sich, was es mit der Vision auf sich hatte. Sie überlegte, ob sie sich Auroras Rat dazu anhören sollte, denn obwohl die Vision nur kurz und sehr uneindeutig gewesen war, war sie doch stärker als die vorherigen. Aurora war eine Empathin. Ihre Begegnung war nicht ganz zufällig gewesen, wie sie später erfahren hatte. Aurora hatte ihr verraten, sie hätte gesehen, dass sie jemanden treffen würde, den sie schulen musste. Jemanden, der eine besondere Gabe besaß. Doch Theresa war zu dem Zeitpunkt davon überzeugt gewesen, ihre Bestimmung bei Levan gefunden zu haben und hatte Auroras Angebot dankend abgelehnt. Die kleine Frau, die immer gänzlich verhüllt durch die Gegend lief, blieb aber hartnäckig und sie trafen sich immer öfter. Erst später, als sich ihre Beziehung zu Levan veränderte, war sie letztendlich auf Auroras Angebot zurück gekommen und hatte sich nach und nach mit der merkwürdigen Frau angefreundet. In letzter Zeit hatte sie Aurora jedoch vernachlässigt und sie nahm sich vor, sie bald zu besuchen. Wie sehr Levan und die Vampire ihr doch die Kraft raubten. Sie schüttelte diesen frustrierenden Gedanken ab, denn Maeva legte ein zügiges Tempo an den Tag und so schnell sie nur konnte hastete sie ihr nach, aber sie hatte Schwierigkeiten Schritt zu halten.

Kaum hatten sie das Center verlassen, geschah es. Ganz unvermittelt. Theresas Absatz blieb in einer Rille hängen und sie stürzte der Länge nach zu Boden. Die Tüten glitten ihr aus den Händen und flogen durch die Luft. Eine landete mitten auf der Fahrbahn und ein schneller Sportwagen zerfetzte sowohl die Plastiktasche als auch den Inhalt.

Theresa richtete sich erschrocken auf. Ausgerechnet Maevas letzte Errungenschaft hatte es erwischt.

Das war ihr Todesurteil.

Schon stand sie wieder auf den Beinen und rannte zu den Überresten. Einzelne Stofffetzen säumten die Straße. Theresa spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Verflucht, wie hatte sie nur so ungeschickt sein können?

„Du blöde Kuh!“, keifte Maeva, packte sie an den Haaren und zog sie von der Straße.

Theresa spürte die verunsicherten Blicke vorbei eilender Passanten, aber niemand schritt ein. Die Vampirin zog so fest an ihren Haaren, dass sie glaubte, sie würde ihr gleich den ganzen Skalp abreißen.

„Wie kann man nur so unfähig sein?“, kreischte Maeva und zerrte Theresa meterweit hinter sich her.

Genau genommen war es gut, dass ihr niemand half. In ihrer Wut hätte Maeva womöglich noch einen Helfer angegriffen.

„Es tut mir leid! Das war keine Absicht.“

„Du bist sogar zu blöd zum Laufen!“

„Bitte, Maeva. Ich wollte das nicht.“

„Halt den Mund.“

Wütend ließ Maeva von ihr ab. Theresa geriet ins Straucheln und stürzte zu Boden, während die Vampirin die übrigen Tüten aufhob. Ihr Körper bebte vor Zorn und sie hatte das dumpfe Gefühl, dass das längst noch nicht alles war, was sie zu spüren bekommen würde.

„Wirklich, Maeva ...“

„Ich hab gesagt, du sollst den Mund halten.“ Maevas Blick fiel auf die Uhr. Es war kurz vor acht Uhr. „Die Boutique macht in fünf Minuten zu. Ich rate dir, die Beine in die Hand zu nehmen und mir ein neues Kleid derselben Art zu besorgen.“

Theresa atmete auf. „Keine Sorge, Maeva. Du bekommst ein neues Kleid.“

Die Vampirin funkelte sie ungeduldig an. „Quatsch nicht lange herum, mach dich auf den Weg.“

Theresa eilte los. Obwohl ihr Absatz abgebrochen war, gelang es ihr erstaunlich gut, das Gleichgewicht zu halten. Sie stolperte und schlitterte durch die große Halle, bog um eine Ecke und fuhr mit der Rolltreppe ins obere Stockwerk. Eine große Uhr hing von der Decke. Ihr riesiger Zeiger bewegte sich bedrohlich auf die zwölf zu. Gleich war es acht.

Sie rannte weiter, knickte mit dem Fußgelenk um. Verflucht. Es tat höllisch weh. Als wären sämtliche Bänder gerissen. Tapfer biss sie die Zähne zusammen und stolperte weiter. Wenigstens rückte die Boutique in Sichtweite. Aber als Theresa die Tür erreichte, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie verschlossen war. Das Licht war jedoch noch an und eine Frau stand an der Kasse. Offenbar machte sie die Abrechnung.

Hektisch klopfte sie gegen die Scheibe. „Machen Sie bitte auf! Ich muss noch etwas kaufen!“

Die Frau blickte hoch, schüttelte den Kopf. Ganz offensichtlich hatte sie kein Interesse daran, noch einen Gewinn am Abend einzufahren. Wahrscheinlich handelte es sich um eine kleine Angestellte, der es im Grunde egal sein konnte und die jetzt lieber rasch nach Hause wollte.

„Hören Sie, es ist wichtig! Bitte!“

Theresa schlug so heftig mit ihren Fäusten gegen das Glas, dass sie fürchtete, es würde zerbrechen.

Genervt kam die Verkäuferin endlich auf sie zu, schloss die Tür auf und lugte hindurch.

„Ja?“, fragte sie unfreundlich.

„Ich muss dieses Kleid noch einmal kaufen. Das da!“

Theresa deutete auf die lebensgroße Schaufensterpuppe, die Maevas knappen, rotes Dress anhatte.

„Das haben wir nicht mehr.“

„Wie meinen Sie das? Ich sehe es doch hier im Schaufenster!“

„Schon, aber das ist doch nur das Muster.“

„Welche Größe hat es?“

„Normale Puppengröße. Was weiß ich.“

Theresa versuchte, die Figur der Puppe mit Maevas schlanker Taille zu vergleichen und kam zu dem Schluss, dass das Kleid passen würde.

„Ich nehme es!“

„Das geht nicht. Hören Sie, wir kriegen übermorgen eine neue Lieferung. Dann können Sie zu unseren Öffnungszeiten herkommen und eins kaufen.“

„Nein!“ Sie bekam einen Schweißausbruch. „Ich brauche es jetzt.“

Wenn sie Maeva enttäuschte, würde die sie bestrafen. Und Maeva konnte sehr grausam sein.

„Ich denke, das Kleid würde Ihnen vortrefflich stehen“, sagte plötzlich jemand.

Ein Mann stand neben ihr, die Hände steckten lässig in seinen Hosentaschen und sein Blick glitt prüfend über das rote Kleid.

Theresa hatte keine Ahnung wer das war und was er von ihr wollte. Aber sie war froh, dass noch jemand dazu gekommen war, der ihr vielleicht dabei helfen konnte, die widerspenstige Verkäuferin zu überzeugen.

„Mag ja alles sein, aber das ist nur das Muster. Das verkaufen wir nicht. Außerdem habe ich heute noch mehr vor. Sie entschuldigen mich bitte.“

„Nein!“ Theresa stellte rasch einen Fuß in die Tür.

„He, was fällt Ihnen denn ein?“

„Beruhigen Sie sich“, mischte sich der Fremde ein und zückte seine Brieftasche.

Theresa beobachtete ihn verunsichert und fragte sich, was er vor hatte. Der verwirrte Gesichtsausdruck der Verkäuferin ließ darauf schließen, dass sie sich genau dieselbe Frage stellte.

„Ich zahle Ihnen 250 Euro, wenn Sie uns das Kleid aus dem Schaufenster geben.“

Theresa traute ihren Ohren nicht. Der Kerl musste verrückt sein.

„250 Euro?“, wiederholte die Verkäuferin ungläubig.

„Richtig. Das sind 50 Euro für Sie und 200 Euro für das Kleid. Lassen Sie sich irgendeine Geschichte einfallen und geben Sie es der Dame.“

„Hören Sie, das kann ich gar nicht annehmen“, sagte Theresa, die selbst nur 200 Euro dabei hatte. Die Geste war zwar nett, aber sie mochte den Gedanken nicht, bei jemandem in der Schuld zu stehen. Schon gar nicht, wenn es ein völlig fremder Mann war.

„Na schön, wenn Sie so scharf auf das Kleid sind“, sagte die Verkäuferin plötzlich und ließ die Tür offen.

„Nein, nein. Ich komme übermorgen wieder.“ Vielleicht konnte sie sich ja irgendwie mit Maeva einigen.

„Ich bestehe darauf, Ihnen das Kleid zu kaufen. Ich bin überzeugt, dass Sie großartig darin aussehen werden.“

Er lächelte sie an. Zum ersten Mal nahm sie sich die Zeit, in sein Gesicht zu blicken. Der Typ hatte ein süßes Lächeln und seine Augen lachten mit. Wirklich sympathisch. Dichtes, dunkelblondes Haar umrahmte seine männlichen Züge und seine Augen leuchteten in einem satten Grün, das sie an eine Sommerwiese denken ließ.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar. Aber ich kenne Sie doch gar nicht und kann das Geschenk wirklich nicht annehmen.“

„Sie lernen mich in diesem Moment kennen.“ Sein Lächeln wurde breiter und steckte sie an.

„Lassen Sie mich wenigstens die 200 Euro für das Kleid bezahlen.“

Er schüttelte den Kopf. „Wie Sie schon feststellten, ist es ein Geschenk.“

„Irgendwie muss ich Sie doch entschädigen.“

„Dann gehen Sie mit mir einen Kaffee trinken.“

Theresa lachte. Das war also eine Anmache. Noch dazu eine ziemlich charmante, aber auch sehr teure. Gegen einen Kaffee sprach im Grunde nichts. Levan würde es nicht erfahren, wenn sie sich tagsüber trafen. Sie war neugierig, was diesen Mann dazu bewegte, ein kleines Vermögen für eine fremde Frau auszugeben. Zögerlich nickte sie und wandte ihren Blick zum Schaufenster, hinter das die Verkäuferin geklettert war, um die Puppe zu entkleiden.

Correy betrachtete die junge Frau mit dem hübschen Gesicht und dem langen Haar, das über ihre Schultern fiel. Sie war groß und ihr Profil hatte etwas apartes. Selten fand er ein Mädchen auf Anhieb so attraktiv. Aber das war es nicht, was ihn in erster Linie interessierte. Er hatte nicht gemerkt, wann genau sie seinen Weg gekreuzt hatte. Doch die plötzliche Wärme auf seiner Brust hatte ihn aufmerken lassen und es dauerte einen Moment, ehe ihm bewusst geworden war, dass es sich um seinen Anhänger handelte.

Vor Freude und Unglauben darüber, dass der Kristall an seiner Kette nach all der Zeit endlich reagierte, wäre er fast bis zur Decke gesprungen. Welch Erleichterung, welch Wunder!

So schnell er nur konnte war er der Verursacherin dieser Reaktion gefolgt, bis er im zweiten Stock des Einkaufszentrums angelangt war und das Gespräch zwischen den beiden Frauen mitbekommen hatte.

Lykandra war zu ihm zurückgekehrt. Endlich.

„Also, heißt das ja? Freut mich. Ich hoffe, Sie werden das Kleid dann tragen.“

Sie schüttelte scheu den Kopf. „Es ist ja gar nicht für mich, sondern für eine Freundin.“

Schade. Dieses rote Schmuckstück hätte an ihrem schlanken Körper sicherlich hinreißend ausgesehen.