Lynchmord - Christopher Walther - E-Book

Lynchmord E-Book

Christopher Walther

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Beschreibung

Seinen Einstieg hatte sich Thomas Marquardt sicher anders vorgestellt. Gerade erst wurde er von Hamburg nach Berlin versetzt und schon hat er seinen ersten Fall. Dort geht es für ihn ungewohnt grausam und blutig zu. Schnell wird er ihm und seiner Partnerin Charlotte Ackermann zudem klar, dass sie es hier mit einer ganz besonderen Art Täter zu tun haben. Die Opfer des Serientäters scheint untereinander überhaupt nichts zu verbinden. Als dann auch noch die Presse davon Wind bekommt, entbrennt für die Ermittler ein Spiel gegen die Zeit. Jedoch nicht nur für sie.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel

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1.

»Bitte... Bitte...« Die Hände des Mannes hingen in Handschellen an einem Fleischerhaken, welcher in der Decke befestigt war. Mit letzter Kraft konnte er aufrecht stehen. Aber er wusste nicht, wie lange er das noch durchstehen konnte. Der Haken war so hoch angebracht, dass es ihn Mühe kostete die

Arme über den Kopf zu halten.

»Jetzt lassen Sie mich doch-«, setzte er an.

»Du sollst still sein! Du hast genug angerichtet! Es ist Zeit, dass das ein Ende findet!«

Die scharfe Stimme wurde von einem peitschenden Geräusch durchschnitten. Der Aufprall von Leder auf nackter und massiger Haut erfüllte den Raum.

Gellende Schmerzensschreie entfuhren das Opfer.

»Aber was kann ich denn...bitte sagen Sie mir...endlich was sie wollen?«

Die Anstrengung war ihm deutlich anzuhören. Für einen Mann seines Gewichts war es eine kaum zu bewältigende Anstrengung derart lange in derart unkomfortablen Position zu stehen. Schweiß lief ihm über die Stirn; Blut über den Rücken.

Er hatte bereits vor einigen Stunden das Gefühl dafür verloren, was an seinem Rücken schmerzte und was nicht. Die einzelnen Einschläge hatten sich immer mehr zu einem großen Ball an Schmerzen zusammengefügt und wurden zu einem minütlich anwachsenden Meer aus heißen und gnadenlos brennenden Flammen.

»WAS-« bellte sein Peiniger und ließ sichtlich emotionslos die Gerte auf sein Opfer niederprasseln, »HAST-« ein weiterer Schlag, »DU« und wieder »NICHT; AN; STILL; SEIN; VERSTANDEN?« Eine rhetorische Frage, auf die er keine wirkliche Antwort erwartete. Es gab nichts, was sein Gegenüber ihm sagen konnte, was ihn von seinem Plan abbrachte. Er war sicher, sein Gegenüber sorgsam ausgesucht zu haben. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht.

»Gewalt ist etwas Furchtbares. Ich will das selbst nicht tun.« Er zögerte. »Aber ich bin mir sicher, das weißt du besser als ich.«

»Bitte..!«, begann sein Opfer erneut. Ein Flehen, halb erstickt, halb hoffnungslos. Das Leben wich langsam aus ihm.

Der Peiniger war sich der vollständigen Kontrolle der Lage bewusst. Er genoss den Moment voll aus. Ein wohliges Gefühl breitete sich in seiner Brust aus.

Gerechtigkeit, dachte er.

Er ging um sein Opfer herum und blickte ihm ins Gesicht. Direkt in die Augen.

»Die nächste Stufe.« sagte er kühl aber mit einer gewissen Freude in den Augen.

»Bitte nicht! Nein! Ich kann nicht mehr!« Seine Lebensgeister waren zurückgekehrt, aber nur um irgendwie neuen Schaden von ihm zu wenden. »Bitte! Bringen Sie es einfach zu Ende! Aber bitte nichts Neues mehr! Ich kann nicht..«

Als er realisierte, dass es keinen Ausweg gab erlosch in den Augen des beleibten Mannes jegliche Hoffnung.

Der Überlebenswille war gewichen.

Er machte Platz.

Für Angst.

Vor dem was dort kam.

Dieses Monster stand vor ihm, in seinem Gesicht war kaum Regung zu erkennen. Einzig ein Hauch von etwas, was entfernt nach Freude aussah, war dort zu erkennen.

Dunkle und böse Freude.

Er nahm eine kleine schwarze Schale von dem in der Ecke stehenden Metalltisch. Als sein Opfer erkannte, was sich in dieser Schale befand, durchschoss ihn eine Welle der Energie. Flucht oder Kampf.

In diesem Moment waren alle Schalter umgelegt.

Es war eindeutig Flucht.

Alles was er in diesem Moment fühlte war das Verlangen wegzukommen. Von diesem Ort. Von diesen Schmerzen. Von diesem Monster.

Die Schmerzen waren vergessen, die Kraftlosigkeit, alle Emotionen waren einem Gefühl gewichen. Angst, pure und reine Angst.

»Oh Gott..« war das letzte was er von sich geben konnte.

Bevor sich vor ihm eine Tür in ein Reich voll Schmerzen und Grausamkeit öffnete, die sich hinter ihm schließen würde und ihn nie wieder freigeben würde.

Solange er noch leben würde.

2.

»Also zu diesem Einstand kann man ja echt nur gratulieren, Marquardt!« sagte der Rechtsmediziner.

Frank Püschel strahlte seinem Kollegen entgegen. Er war – wie immer – ein Quell guter Laune. Das war angesichts seines Jobs, als Teil des Spurensicherungsteams des Berliner LKAs umso verwunderlicher. Marquardt konnte sich nur schwer vorstellen, dass man diese Arbeit nicht in Gedanken mit nach Hause nehmen konnte, sondern einfach so, wie die weißen Anzüge, die quasi seine Dienstkleidung waren, einfach abstreifen konnte.

»Wieso denn? Schlimm drinnen?«, gab er an Frank zurück.

Die beiden standen im Berliner Osten, im Stadtteil Lichtenberg, in etwas was früher wohl mal ein Industriegebiet gewesen war. Die Zeit hatte unverkennbar an dem zweigeschossigen Gebäude genagt. Lustlose Graffitis und blanke Zerstörungswut zahlloser und betrunkener Jugendlicher taten ihr Übriges. Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit bis ein halbseidener Investor das Grundstück kaufte und darauf Eigentumswohnungen oder eine ironische 90er-Jahre-Bar eröffnete.

»In einer Top 10 des Unappetitlichen dürfte das definitiv einen der oberen Plätze einnehmen.«

Und das sollte wohl etwas heißen. Frank Püschel war bereits seit über 30 Jahren bei der Polizei. Wenn für ihn noch etwas nennenswert war, will ich es gar nicht erst sehen, dachte Marquardt.

Marquardt, der eigentlich Thomas Marquardt hieß, aber den alle nur bei seinem Nachnamen nannten, kannte Frank noch aus seiner Zeit aus Hamburg. Damals hatte Frank noch bei der Hamburger Polizei gearbeitet, ist dann jedoch durch „schicksalhafte Fügungen“ wie er es nannte zur Berliner Polizei gekommen. Bei den schicksalshaften Fügungen handelt es sich, glaubte man den Polizei-Flurfunk, um eine recht attraktive 25-jährige Studentin der Polizeihochschule.

Jetzt nach knapp 15 Jahren trafen sich Marquardt und Frank also wieder. Beide in Berlin. Beide waren sie aus unterschiedlichen Gründen hier. Aber irgendwie doch auch aus den selbigen.

Die Krux der Polizeiarbeit besteht natürlich darin, dass sie selten einen Feierabend kennt. Wenn die Arbeit Spaß macht, ist das auch kein Problem. Nicht für einen selbst. Aber für die Familie. Das hatte Marquardt schmerzhaft festgestellt, als er früher als gedacht nach Hause kam. Chris und Katja waren bei Freunden untergebracht und er hatte sich auf einen romantischen Abend mit seiner Vera gefreut. Romantisch war es auch, nur nicht für ihn. Wohl aber für Vera und seinen Arbeitskollegen Bernd.

Marquardt hatte den Anstand besessen die beiden nicht in flagranti zu erwischen. Er wartete bis Bernd eine halbe Stunde aus seinem Haus kam. Dann stellte er Vera zu Rede. Keine sechs Monate wurde seinem Versetzungsgesuch von Hamburg nach Berlin entsprochen.

Deutlicher hätte er die von ihm initiierte Trennung nicht unterstreichen können als mit diesem räumlichen Wechsel. Wenn da nicht Chris und Katja wären. Sie banden ihn nach wie vor an Vera, aber auch an seine Heimatstadt Hamburg.

Doch nun musste er nach vorne blicken und sich bei seinem Einstand nicht die Blöße geben.

Als er unter dem Flatterband hindurch schlüpfte, rutschte ihm seine etwas altmodische Clubmaster-Brille fast von der Nase. Er schob sie mit dem Finger wieder zur Nasenwurzel hoch. Bereits vor Wochen wollte er deswegen zum Optiker. Auch hierzu hatte ihm die Zeit gefehlt.

Durch die notdürftig zugenagelten Fenster drang kein natürliches Licht in den Raum, der sich vor ihm auftat. Die Spurensicherung hatte überall tragbare Flutlichter aufgestellt. Aber um das Hauptaugenmerk hätte es keines Lichts bedurft. Marquardt stieg unweigerlich ein schwerer Geruch von Metall in die Nase. Das fand seinen Grund in den Unmengen an menschlichem Blut mit denen der Boden gewissermaßen verziert war.

»Was wissen wir schon?«, fragte Marquardt während er von hinten an seine Kollegin herangetreten war, die vor dem Opfer kniete und es inspizierte.

»Das Opfer heißt Frederik Huckele. Ausweis im Geldbeutel. Ende 30. Deutlich übergewichtig. Offensichtlich.«

Charlotte Ackermann – sie sah mit ihren rötlichen und stark nach hinten frisierten Haaren ziemlich streng aus – und sie sprach auch so. Hinter ihren beinahe maskenhaften Gesichtszügen und dem stakkatoartigen Herunterrasseln kühler kalter Fakten, verbarg sich eine herzensgute Person. So hatte er gehört. Er hatte sie bisher nur kurz kennengelernt, aber sie wirkte als wäre ihr nichts fremder als Emotionen oder gar Empathie. Vielleicht war das ihre Art mit diesem Job fertig zu werden, dachte Marquardt während er seine Kollegin kurz musterte.

»Wie wurde er gefunden?«, fragte er.

»Ein Obdachloser. Kam hier lang, stellte fest, dass das Tor zur Straße unverschlossen war. Dachte es gäbe hier eine warme Übernachtungsmöglichkeit«

Es war Oktober. Mancherorts war das Anlass für einen goldenen Herbst. Berlin sah das irgendwie anders. Oktober war dort Vor-Winter. Zumindest temperaturlich. Der ohnehin permanent vorhandene Wind pfiff jetzt, aufgrund der Eiseskälte besonders unerbittlich.

Marquardt schloss nun auch den obersten Knopf seines dunkelblauen Trenchcoats.

»Verstehe. Details zum Tatherrgang?«

»Unschön. Er wurde an der Decke hängend gefunden. Die Händen waren in den Handschellen. Diese über einen Haken in der Decke festgemacht. Das Opfer war bis auf die Unterhose ausgezogen. Er wurde wiederholt auf den Rücken geschlagen. Vermutlich ein Schlagwerkzeug oder eine Peitsche. Eine immense Kraftentfaltung.«

Wiederholt auf den Rücken geschlagen war eine sehr wertfreie Beschreibung, dessen was er vor sich sah. Der Mann musste unvorstellbare Schmerzen durchlitten haben. Marquardt erschauderte bei dem Gedanken daran, wie viel Kraftanstrengung nötig war um einen Menschen derart zu verunstalten.

»Bei der Menge an Blut, die sich auf dem Boden befindet, wurde der Mann hier verhältnismäßig lange festgehalten bevor er gestorben ist.« stellte Marquardt fest.

»Korrekt. Anhand der Druckmarken an den Handgelenken ist von mindestens 24 Stunden auszugehen. Die Menge und die Tiefe der Verletzungen am Rücken des Opfers lassen auf einen Overkill schließen.«

»Einen Overkill?«

»Wenn der Täter weit mehr als das zur Tötung erforderliche Maß an Kraft, Brutalität oder Grausamkeit verwendet.«

Es lief ihm kalt den Rücken herunter. Er hatte sich den Einstieg im neuen Dezernat zwar schwer vorgestellt. Was ihm hier jedoch begegnete ließ seine Befürchtungen jedoch geradezu naiv wirken. Marquardt kam von der Hamburgischen Dezernat für sogenannte White-Collar-Kriminalität. Dort ging es selten körperlich brutal zu. Sein Klientel war deshalb nicht weniger außerhalb der rechtschaffenen Gesellschaft stehend, aber es war deutlich weniger blutig. Er erschauderte während er seine nächste Frage stellte. »Und das heißt konkret?«

»Bereits wenige Schläge hätten wohl aufgrund der Schmerzen zur Ohnmacht geführt. Wenn Schmerzen für das Gehirn zu stark werden, ist der Schutzmechanismus des Gehirn, dass es den Betrieb herunterfährt« erklärte seine Partnerin.

»Und warum war das hier nicht der Fall?«

»Der Täter hat aktiv dagegen gearbeitet. Wir haben in der Ecke eine zerbrochene Ampulle Riechsalz gefunden. Wir vermuten, dass der Täter das Opfer damit wach hielt.«

»Das ist grausam.« Eine inhaltlich unnötige, aber kathartische Feststellung.

Marquardt mustertet das Opfer. Ihm fielen vereinzelte weiße Rückstände in mitten des blutigen Rückens auf.

»Was ist das?«, fragte er und zeigte in eine besonders tiefe Wunde am Oberarm des Opfers. Er traute sich nicht zu fragen, hatte jedoch das ungute Gefühl, dass die Wunde bis auf den Knochen reichte. In ihr waren Rückstände eines weißen Pulvers zu sehen. »Drogen? Hat der Täter bei der Tat Drogen genommen?«

»Das war nicht für den Täter. Sondern für das Opfer.«, gab Charlotte zurück.

»Wie..-«

»Natriumchlorid.«

»Noch mehr Riechsalz? Wozu?«

»Vermutlich handelsübliches Speisesalz. Anhand der Wischmuster in der Wunde« war Frank Püschel eingesprungen »gehen wir davon aus, dass der Täter dem Opfer sprichwörtlich Salz in die Wunden gerieben hat.«

3.

Wenn die Stühle so bequem wären, wie sie vermutlich teuer waren, würde Katrin hier nicht mehr aufstehen wollen. Leider war das Gegenteil der Fall und sie war höchst erfreut als ihr der großgewachsene und schlanke Mann im Maßanzug die gut manikürte Hand darbot.

»Frau von Eigen, es freut mich sehr Sie kennenzulernen. Bitte, folgen Sie mir in mein Büro.«, sagte mit einem wohlklingenden Ton in seiner Stimme.

Er hielt vor der Bürotür an und hielt seine Linke einladend in den Raum. Seine Umgangsformen waren exzellent, höflich und nicht zu sehr gestellt. Sie mochte das. Auch wenn es hier ohnehin nicht um persönliche Vorlieben ging.

Sein Büro war ein gewisser Gegensatz zu den eher exzentrischen Möbeln im Rest der Kanzlei. Sein schwerer dunkler Schreibtisch war eingerahmt von 3 deckenhohen Bücherregalen in gleichem Farbton. Es wirkte alles sehr stimmig, sehr geordnet. Katrin fühlte sich auf Anhieb wohl.

»Bitte haben Sie vielen Dank Herr Dr. Frank, dass sie sich so kurzfristig der Sache annehmen konnten.«

Es lag eine ehrliche Dankbarkeit in ihrer Stimme. Nachdem sie diese Zeitschrift im Arbeitszimmer ihres Mannes gefunden hatte, musste sie diese Angelegenheit klären lassen. Sie hatte kein gutes Gefühl gehabt und würde gleich erfahren, ob sie damit richtig lag.

»Nun es ist so Frau von Eigen, leider muss ich sagen, hatten Sie hier in der Tat ein gutes Bauchgefühl.«

Er rückte kurz auf dem Stuhl. Es war nur ein Hauch, aber in diesem Moment las sie, dass er sich zumindest nicht gänzlich wohl fühlte ihr das folgende zu sagen. Womit sie wiederum wusste, was er ihr gleich sagen würde, noch bevor er es eigentlich gesagt hatte. »Aber der Reihe nach. Ich habe mir Ihren Ehevertrag angesehen. Der von Ihnen genannte Abschnitt stellt sich tatsächlich als sogenannte 'Heidelberger-Eheklausel' darstellt. Diese Klauseln sind in der Erb- und Familienrechtspraxis ein Fluch und Segen zugleich. Wenn sie angewendet werden oder angewendet werden können, führt das im Falle einer Erbschaft einer Ehepartei dazu, dass der anderen Partei die Hälfte des Vermögenswertes bereits zu Lebzeiten zuwächst. Spätestens natürlich jedoch mit deren eigenem Versterben.«

»Was bedeutet das konkret?« Katrin hatte bereits eine Ahnung, aber sie wollte es unmissverständlich hören. Sie musste wissen, ob ihr Mann wirklich dazu fähig gewesen war. »Das bedeutet konkret, wenn Sie das Ihnen angetragene Erbe Ihrer Tante annehmen, hat Ihr Mann ab dem Zeitpunkt der Annahme des Erbes Anspruch auf die Auszahlung der Hälfte des Vermögenswertes.«

Es fiel ihr schwer bei diesen Worten und den dadurch hervorgerufenen Emotionen ihre Fassung zu bewahren. »Ist das nicht...« Stotterte sie. »Unfair.. wie sagen Juristen noch gleich? Sittenwidrig?«

»In der Tat, Sittenwidrigkeit ist zumindest ein Argument, das immer wieder in der Diskussion angeführt wird. Das neuerliche erschiene Urteil des Bundesgerichtshof, doch immerhin das höchste deutsche Gericht in Familien- und Erbangelegenheiten, urteilte, dass obwohl die Klausel ein erhebliches Übergewicht zu Lasten einer Partei birgt, diese dennoch zulässig sein kann. Es komme dabei immer auf den Einzelfall an. Das Urteil zitiert die gegenständliche Klausel, die es für gerade noch wirksam erachtet hat. Die Klausel in Ihrem Ehevertrag deckt sich mit dieser wortgleich. Wer auch immer das verfasst hatte, wollte kein Risiko eingehen.«

»Aber.. Wie konnte das passieren? Ich meine, ich hatte doch seinerzeit selbst einen Anwalt. Hätte er das nicht kommen sehen müssen? Ist er dafür nicht haftbar?«, fragte sie in bereits leicht gereiztem Ton. Sie tat schwer daran ihren aufkeimenden Zorn zu kontrollieren. Mit jedem weiteren Wort, mit jedem weiteren Gedanken an diese Situation, an ihren Mann, an die Folgen. Es kochte in ihr.

»Nun, grundsätzlich ist das denkbar. Wenn der Anwalt falsch berät, muss er dafür gerade stehen, insbesondere natürlich finanziell. Allerdings führt das Urteil auch aus, dass dazu dem Anwalt auch zumindest Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können muss. Also er muss einen Fehler gemacht haben. Da diese Klauseln jedoch stets ausgelegt, also an den jeweiligen Lebenssachverhalt angelegt werden müssen, sah das Gericht perspektivisch bereits die Notwendigkeit klarzustellen, dass es einen Rückgriff zum Nachteil des beratenden Rechtsanwalts zwar nicht ausschließt, aber an ausgesprochen hohe Hürden knüpft.«

»Das ist unglaublich. Was hätte ich denn dann tun können, um mich vor dieser Situation schützen zu können?«

Es war nicht so, dass sie bereits den Abschluss eines zweiten Ehevertrags plante und für die Zukunft vorsorgen wollte. Aber das, was ihr ihr Rechtsanwalt da sagte, machte sie fassungslos. Zwar erklärte ihr der Rechtsanwalt noch, was sie hätte tun können. Im Grunde hörte sie jedoch bereits nicht mehr zu. In ihr ratterten bereits die Rädchen. Sie brauchte eine Lösung.

»Und gibt es hier keinen Weg für mich heraus? Durch eine Scheidung? Oder kann ich den Ehevertrag nicht aufkündigen?«, fragte Katrin.

Dr. Frank lehnte sich zurück. Seine Körpersprache legte nahe, er wolle sich von seinen folgenden Ausführungen innerlich distanzieren.

»Das dürfte schwer werden.«, sagte er nach einer kurzen Bedenkzeit. »Wenn sie sich scheiden lassen hat zum Zeitpunkt des Erbanfalls ein Ehevertrag bestanden, sodass dieser auch Anwendung findet. Eine einseitige Kündigung des Vertrags ist indes nicht möglich, es gilt der allgemeine noch aus dem römischen Recht entspringende Grundsatz pacta sunt servanda oder zu Deutsch Verträge sind einzuhalten. Das gilt auch beim Ehevertrag. Es wäre zwar grundsätzlich denkbar den Vertrag anzufechten, aber der Erfolg dessen, dürfte gegen Null gehen.« Er machte eine Pause, die sich wie ein Schleier über das Gespräch legte, bevor er hinzufügte: »Es tut mir leid.«

Sein Tonfall ließ sie zweifelsfrei erkennen, damit war es endgültig. Der Hammer war gefallen, sein Urteil war gesprochen.

So langsam sickerte es in ihr Bewusstsein. Dieser Mann, mit dem sie mittlerweile seit über zehn Jahren Haus und Hof teilte, hatte sie über den Tisch gezogen. 'Drum prüfe, wer sich ewig bindet' fiel ihr unpassenderweise dieses Schiller-Teilzitat ein. Wie konnte er ihr das nur antun? Wo war dabei seine eigene Berufsehre als Anwalt? Sie hatten sich alles was sie hatten gemeinsam aufgebaut. Die Wohnung in bester Lage im Herzen Berlins, den gesellschaftlichen Status, die Ehe, alles..

Sie hatte gedacht, sie beide sind durch etwas Einzigartiges verbunden. Hatten sie doch beide ihre Eltern viel zu früh verloren. Beide auf so unglückliche und wirklich unnötige Art. Sie dachte, das würde immer Bestand haben. Wie ein Seelenverwandter sah sie ihn damals dort sitzen, abseits und doch war er direkt das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Sie hatte nur auf Anraten ihrer Freundin überhaupt an diesem Selbsthilfetreffen für Vollwaisen teilgenommen. Sie wollte eher ihr den Gefallen tun als sich selbst und war doch sofort hin und weg.

»Haben Sie und Ihr Mann Kinder?«, fragte Dr. Frank in die eingetretene Stille hinein.

»Was?«, schreckte Katrin hoch. »Kinder? Oh Gott – Nein!«

Die Augen ihres Gegenüber weiteten sich ein Stück. Wenig, fast unmerklich. Jedoch genug, damit sie es registrierte. Die Frage hatte sie aus ihren Gedanken gerissen.

»Wir haben keine Kinder. Bisher waren wir beide sehr auf unseren Beruf konzentriert und da..«

Sie machte eine Pause. Das war einer der Gründe.

»Ich dachte nur,« setzte der Anwalt an, um seiner Mandantin die hörbare Peinlichkeit der Situation zu nehmen. »wenn Sie Kinder gehabt hätten, hätte es vielleicht noch einen Ausweg..« Ein Traum zerbrach in ihrem Kopf wie ein Glas, welches auf den harten Boden der Realität knallte. Sie hörte ihrem Anwalt nicht länger zu. Sie hatte alle Informationen die sie benötigte. Sie wünschte sich gerade nichts mehr, als dass sie diese Zeitschrift nie gefunden hätte. Sie hatte ihm einfach nur von der freudigen Nachricht erzählen wollten, hatte gehofft, nun doch noch den ganz großen Sprung zu schaffen. Die Erbschaft ihrer bis dato unbekannten Tante war so verheißungsvoll. Und nun...

Sie sammelte sich, bedankte sich und verließ anschließend erhobenen Hauptes die Kanzlei.

Ihr Mann würde sich noch wundern.

Monate später

4.

Durch die warmen Temperaturen im Wageninnern begann er zu schwitzen. Er hatte die Heizung angeschaltet, für einen Tag im Januar war es zwar erfrischend mild, aber immer noch kühl genug, sodass es in den Abendstunden ungemütlich wurde.

Außerdem war er aufgeregt. Zumindest glaubte er das. Nicht freudig aufgeregt, auf eine andere Art. Immer wenn er seinen Plan ausführte, überkam ihn dieses Gefühl. Er wusste, dass es nicht richtig war. Aber er wusste, dass es nötig war. Anfangs konnte er das alles nicht einordnen. Diese geballte Explosion an tiefen und intensiven Gefühlen.

Eigentlich verabscheute er Gewalt. Er hatte gesehen, wohin diese führen kann. Er spürte es. Jeden einzelnen Tag. Auch am eigenen Leib.

Und doch, er kam nicht davon los. Es war, wie wenn man die bereits brennende Zündschnur austrat und die Bombe nicht detonierte. Dort würde doch auch niemand demjenigen der auf die Zündschnur trat Gewalt vorwerfen. Vielmehr war es eine Heldentat, weil man bevorstehendes Leid und Trauer verhindert hatte.

Er rückte sich seine Brille wieder zurecht. Das kleine Model, bei dem die Gläser gerade groß genug waren um seine Augen zu bedecken, rutschte.

Er saß in seinem beige-farbigen Mazda und beobachtete jetzt schon seit einiger Zeit den Seiteneingang des Supermarktes. Es standen nur noch einige wenige Fahrzeuge auf dem Parkplatz. Der Supermarkt hatte seit nunmehr 45 Minuten bereits geschlossen. Es war dunkel. Einzig die spärliche gesetzten Laternen erhellten das Gelände.

Er blickte auf den Beifahrersitz. Dort lag seine Umhängetasche. Er hatte alles was er benötigte fein säuberlich geordnet. Er ging seinen Plan im Kopf immer und immer wieder durch. Er wusste, dass er nahezu perfekt war und er wusste, dass er auf sich vertrauen konnte. Und doch, wurde er eine gewisse Restanspannung und auch ein Fünkchen Erregung nicht los.

Das Schepperchen, die Spritze, das kleine Fläschchen, der Sender – was man heutzutage nicht alles über das Internet herausfinden und dank Online-Apotheke beschaffen konnte, dachte er zufrieden.

Er hatte sich jede Einzelheit über dieses Monster eingeprägt. Gleichwohl konnte er nicht davon lassen. Wie ein Trainer in der Kabine einer Fußballmannschaft, hielt er innerlich eine Motivationsrede, die ihn zu Höchstleistungen motivieren sollte.

Der Mann war ein Schwein. Verabscheuungswürdig – demütigte seine Frau und zumindest mittelbar auch seine Tochter. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es eskaliert. Es war bereits kurz davor. Die Zündschnur brannte. Weiter und immer weiter. Aber er würde ihnen helfen. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich tief in ihm aus.

Die Seitentür des Supermarktes ging auf. Sein Blick ruhte auf ihm. Auf dem Mann, der selbst nach Feierabend noch die firmentypische Kleidung der Filialleitung trug. Die Einheitsgrößen waren für seinen groß gewachsenen und schlanken Körper nicht gemacht. Er sah lächerlich damit aus. Die Sachen hingen an ihm, wie an einer Schaufensterpuppe. Zu groß, unpassend. So wenig Respekt hatte er für sich selbst, dachte sein Beobachter.

Diese dämliche Grinsen mit dem er seinen Angestellten in den Feierabend verabschiedete. Es lag etwas subtil feindseliges darin. Er zog die Spritze in dem kleinen Fläschchen auf. Dabei ließ er sein Ziel nicht eine Sekunde länger als nötig aus den Augen.

»Bis morgen in aller Frische, Frau Lankwitz«, rief er offenbar seiner Mitarbeiterin zu.

Diese abgegriffenen Sprüche, dachte er sich in seinem Auto. Er konnte es kaum abwarten.

»Ebenfalls Herr Gedeon, bis morgen.«, gab diese weit weniger amüsiert zurück.

Es ging los.

Er drehte am Rädchen des kleinen schwarzen Kastens, den er aus der Umhängetasche gezogen hatte.

Das Signal war aktiviert.

Herrn Gedeons Kollegin stieg ins Auto. Die Scheinwerfer leuchteten auf. Thomas Gedeon stand vor seinem Wagen und winkte ihr zum Abschied nach. Mit einem Griff in seine Aktentasche, die er unnötigerweise mit sich führte, fingerte er die Autoschlüssel heraus. Der Filialleiter betätigte die Taste zum Entsperren des Autos.

Der Mann in dem Auto konnte den Unglauben seines Opfers sehen und genoss die Verwirrung. Immer wieder betätigte dieser die Fernbedienung. Da das Auto auch keine Türschlösser hatte, war damit der einzige Weg ins Innere seines Autos verwehrt.

Das verschaffte ihm Zeit.

Das Auto der Kollegin war bereits vom Parkplatz gefahren. Mit schnellen Schritten und exakt entlang des Weges, den er sich zuvor erdacht hatte, bewegte er sich. Geschmeidig und flink. Ungewöhnlich wenn man seine Körpermaße bedachte. In seiner Brust pochte das Adrenalin. Aber er wurde nicht unruhig.

Das Gegenteil.

Fokussiert.

Sein Ziel.

Nichts würde sich dazwischen drängen.

Ein verhaltenes Fluchen war zu hören, das Signal war noch aktiv. Er hatte es auf 30 Sekunden gestellt. Sein Opfer sollte nicht aus Sorge, die Fernbedienung habe den Geist aufgegeben, den Pannendienst oder schlimmer noch die Polizei rufen. Oder überhaupt das Handy benutzen.

Er war hinter dem Auto seines Opfers angekommen – es stand nur wenige Meter auf der anderen Seite des unnötig großen Geländewagens. Er griff in seine Tasche. Die Metallbecken des Schepperchens segelten über den SUV.

Die eingetretene Stille auf dem Parkplatz wurde schlagartig durchbrochen. Die Becken des Schepperchens knallten einige Meter hinter seinem Opfer zu Boden. Er hatte sich bewusst hierfür entschieden. Nicht nur, dass es eigentlich für die Hundeerziehung gedacht war und deshalb schrecklich einfach und unauffällig zu besorgen war. Der Klang, wenn es auf dem Boden aufschlug, war derart sonderbar. Nicht ohne Grund wurde es dazu genutzt, Hunde aus ihrer Konzentration zu reißen und wieder abrufbar zu machen. Bei Menschen hatte das einen ähnlichen Effekt. Der blecherne Klang. Der Moment bis man das Geräusch und den Ursprung lokalisieren und einordnen kann. Das war mehr als er brauchte.

»Ach du meine-«, gab Thomas Gedeon noch von sich, da hatte die Spritze ihr Ziel in seinem Hals schon gefunden.

Das Medikament wirkte binnen Sekunden.

Der Schreck war seiner Stimme deutlich anzuhören. Dann war bereits nichts mehr von ihm zu hören. Und das würde auch für alle Zeit so bleiben.

5.

Wenn sie etwas beherzter geworfen hätte, hätte die Vase ihr Ziel nicht verfehlt. So aber zerschellte die Vase nur knapp neben dem Kopf ihres Ehemannes. Sie wollte ihn nicht wirklich treffen. Sie wollte ein Zeichen setzen.

So konnte es nicht weiter gehen.

Das konnte sie sich nicht länger bieten lassen. Wenn Sie nicht Acht gab, ließ sie sich noch gänzlich die Butter vom Brot nehmen, wie ihr Mann in seiner ach so lustig-bourgeoisen Art zu sagen pflegte. Vermutlich ein weiterer Versuch jedem zu signalisieren, wie sehr er doch am Boden geblieben war und das trotz seines nicht zu leugnenden beruflichen Erfolgs.

Katrin von Eigen war Antiquarin. Von Kindesbeinen an hatte sie einen Faible für „altes Zeug“, wie Christian es manchmal verächtlich nannte. „Vergangene Erinnerungen“ würde Katrin sagen. Noch in der Schule machte sie ein Praktikum in einem Antiquariat. Sie sah sich in ihrer Leidenschaft bestätigt. Schon der Geruch erfüllte sie, auch heute noch, mit einem wohligen und heimeligen Gefühl. Aber viel mehr noch, wenn sie beim in den Händen halten der Stücke darüber nachdachte, wer alles diese Dinge schon berührt und mit ihnen gelebt und aus ihnen gelehrt hatte. Wie viel Arbeitsstunden in die Fertigung geflossen sind. Wo überall auf der Welt dieses Stück schon gewesen war. Und welches Glück es bedeutete, dass sie es in ihren Händen halten konnte. So kam dann irgendwann eines zum anderen und sie entschied sich mit Mitte 20 an ihre abgeschlossene Ausbildung zur Buchhändlerin noch ein Studium der Kunstgeschichte zu hängen. Sie bereute es nicht einen Tag. Im Gegenteil. Sie blühte in ihrem Beruf noch mehr auf. Wurde selbstständiger, versierter. Kollegen sowie ihr Chef sagten ihr einen ausgezeichneten Sachverstand nach.

»Katrin, bist du noch bei Sinnen?! Es ist das eine, wenn du mir so einen Blödsinn unterstellst. Aber es ist etwas anderes, wenn du jetzt handgreiflich wirst.«

Christian rückte sich seine blaue Seidenkrawatte unnötigerweise zurecht – sie war keinen Millimeter verrutscht. Katrin hatte ihm diese geschenkt, sie hatte so schön zu seinem grauen Anzug gepasst – damals. Das schien heute wie aus einer anderen Zeit. Oder aus einer anderen Beziehung. »Handgreiflich? Ich habe doch nur die Vase versehentlich fallen lassen. Außerdem war es meine Vase. Ich denke also, dir ist kein Schaden entstehen, oder?«, funkelte sie ihn mit einem bös-feixenden Blick an.

Katrin war eine Frau für die das Wort adrett erfunden worden zu sein schien. Ihr Äußeres war stets von einer Makellosigkeit, dass es beinahe unwirklich wirkte. Gleichwohl war es nie zu steif, sondern hatte immer auch eine Prise Lockerheit. Die gleiche Lockerheit mit der sie ihre halblange Lockenpracht trug, zwar stets gebändigt aber doch auch einen Hauch verspielt. Kontrollierter Kontrollverlust. Ebenso gebändigt war ihr Temperament – meistens. Christian wusste, dass es zwar manchmal unter der Oberfläche brodelte, aber zumeist blieb Katrin betont ruhig.

Außer jetzt gerade.

Mehr noch überschlug sich ihre Stimme selbst bei diesen wenigen Worten hörbar. Sie spürte wie ihr Kopf unter Druck stand, wie das Blut ihr heiß in den Kopf und in die Wangen schoss.

»Das ist vollkommener Quatsch und das weißt du. Was hat dich denn so sehr daran gestört, dass ich mit einer Arbeitskollegin Mittagessen gegangen bin? Du kennst Natascha doch. Wir haben über ein gemeinsames Mandat gesprochen. Mehr nicht.«

Er war bei den Worten von seinem Schreibtischstuhl aufgestanden und hatte sich sein Jackett gegriffen. Er fuhr sich in einer Übersprungshandlung durch die seitengescheitelten blonden Haare.

Ruhig atmen, dachte sich Katrin. Und im nächsten Moment: Ach was solls?

»Ja, ich kenne sie und ich kenne Frauen-«

»Du hast mir doch gesagt, dass du einverstanden bist, und dass es für dich kein Problem ist-«

»Darum geht es doch nicht!«

Christian blickte sie fassungslos an. Er schüttelte den Kopf, wie um aus einem Traum zu erwachen.

»WORUM DENN DANN?« brüllte er schlagartig.

Er war als Anwalt schon von Berufswegen schwer aus der Ruhe zu bringen. Jahrelanges praktisches Training nicht sein Temperament zu verlieren oder es überhaupt zu zeigen, hatten ihm bei seiner Karriere geholfen. Aber diese Frau schaffte es dennoch, dass Innerste in ihm zum Vorschein zu bringen. Was nicht nur zu seinem Vorteil gereichte. Zwar traf es auch auf positive Eigenschaften zu, aber eben auch auf deren Kehrseite. Und so verlor er sich gerade in dem Gedanken seinem mittlerweile seit Wochen, wenn nicht gar Monaten, aufgestauten Frust, Luft durch Lautstärke zu machen.

Er schrie.

»WAS ZUR HÖLLE IST DENN DEIN PROBLEM? DU SAGST MIR ES IST OKAY, DANN MACHE ICH ES GENAU WIE DU ES WOLLTEST UND DANN IST ES DOCH WIEDER NICHT OKAY?«

Er spürte wie sich seine Schultern entspannten und absanken. Der Druck hatte gerade ein Ventil gefunden. Vielleicht kein gesundes, aber ein Ventil war besser als kein Ventil.

»Darum geht es doch nicht!«, gab Katrin zurück.

»Zum Glück haben wir keine Kinder, Katrin«, gab Christian zusammenhangslos zurück.

Wollte er es einfach nicht verstehen, fragte sie sich. Natürlich hatte Sie kein Problem, wenn er mit irgendeiner Kollegin zum Mittagessen ging. Aber sie hatte die beiden erlebt und was sie sich dort in den letzten Wochen entwickeln sah, bereitete ihr Unbehagen. Dabei half es sicher nicht, dass sich ihre eigene Beziehung in den letzten Wochen, wenn nicht gar Monaten, in eine Richtung entwickelte, die mit explosiv wohl noch sehr euphorisch beschrieben war.

Zudem kannte sie Frauen. Für Manche ist ein Ehering dabei kein Hindernis. Vielmehr eine offene Herausforderung.

»Ach du, Christian. Wenn du es nicht verstehen willst, dann belassen wir es dabei.«, moderierte sie dieses sinnlose Gespräch resigniert ab.

»Vielleicht sollte ich doch einfach nach Frankreich gehen-« setzte er noch an, doch er sah bereits nur noch ihren Hinterkopf. Sie ließ ihn einmal mehr mitten im Gespräch stehen.

Im nächsten Augenblick fiel die Haustür ins Schloss.

6.

»Und dann bist du einfach gegangen?« Wie um ihre Ungläubigkeit zu unterstreichen warf Maggy den Kopf mit ihren dicken hellroten Locken nach hinten.

»Was hätte ich denn noch tun sollen?«, fragte Katrin zurück.

Maggy stand immer auf ihrer Seite wenn es Probleme mit Christian gab. Und meistens hatte sie auch wirklich gute Ratschläge auf Lager. Ironischerweise waren es doch meistens die Menschen, denen selbst in der Liebe so viel Pech zuteilwurde, die sich scheinbar am besten damit auskannten.

Doch in dieser Sache war selbst Maggy eine innere Zurückhaltung und Ratlosigkeit anzumerken. Sie stand zwar auf ihrer Seite, aber nicht aus Überzeugung, sondern lediglich aus Loyalität.

»Vielleicht – verrückte Idee – hättest du ihm einfach die Wahrheit sagen sollen?«

»Du meinst ich hätte ihm sagen sollen, dass Natascha ein falsches Biest ist, die ihn nur um den Finger wickeln will und dann fallen lassen wird, nachdem sie unsere Beziehung zerstört hat?«

Katrin schaute Maggy mit großen Augen feixend an.

»Nicht, dass da gerade noch viel zu zerstören wäre.« begann ihre Freundin. »Dennoch: Wohl kaum. Ich meine die Wahrheit-Wahrheit. Und ich glaube, du weißt ziemlich genau was ich meine. Warum zur Hölle das alles? Du erzählst mir fast wöchentlich, wie ihr euch wegen irgendeinem banalen Mist streitet. Und dir kommt nicht die Idee, dass sich eure Beziehung langsam vergiftet und damit dem Ende neigt?«

»Aber du hättest hören sollen, was er neulich-«

»Nein. Du hättest hören sollen. Mir zuhören sollen. Erzähl ihm von deinem Termin beim Anwalt. Konfrontiere ihn mit dem was du weißt. Oder trenn dich. Da letzteres offenbar gerade nicht so richtig in Frage kommt, würde ich vorschlagen du sprichst ihn darauf an.«

Sie hatte immer die besten Tipps, schon immer gehabt. Und dennoch war es ihr selten gelungen, diese selbst umzusetzen. Maggy war trotz ihrer wirklich atemberaubenden Schönheit und das musste Katrin ohne Neid anerkennen – nie wirklich gelungen, einen Mann über einen längeren Zeitraum an sich zu binden. Ihr großes Herz und ihre Fürsorge wurde von ihren Partnern regelmäßig als Schwäche missverstanden und so kam es, dass sie mit einer gewissen traurigen Regelmäßigkeit von ihnen betrogen wurde.

Wie gut konnten ihre Tipps also schon sein, dachte sich Katrin trotzig.

»Ich kann es nicht. Du weißt warum.«

»Immer noch wegen der Geschichte damals an der Uni? Das ist doch ewig her.«

Ihre großen blauen Augen starrten sie von Minute zu Minute ungläubiger an.

Was wusste sie schon, dachte Katrin. Sie hatte keine Ahnung, wie das war, vor der gesamten Universität gedemütigt zu werden. Und das obwohl sie nichts falsch gemacht hatte.

»Du verstehst es nicht, Maggy. Die Demütigung. Der eigene Name in den Schmutz gezogen. Es gibt einfach Situationen im Leben, da ist besser, wenn man einfach die Füße still hält und die Dinge aushält, wenn man sie nicht ändern kann. Bis der Sturm vorbeigezogen ist.«

Es war eine Party einer Burschenschaft an ihrer Uni. Sie war überraschend eingeladen worden. Die Jungs, selbstverständlich waren es ausschließlich Jungs, luden zumeist nur handverlesene Gäste ein. Sie hatte nicht mal im Traum daran gedacht, dass sie zu diesem Kreis gehören