Mädchenschuld - B.C. Schiller - E-Book
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Mädchenschuld E-Book

B. C. Schiller

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Beschreibung

Für einen kurzen Augenblick lässt Lena Mayer ihre kleine Tochter Jenny auf einem Rummelplatz in Palma de Mallorca aus den Augen und das Kind verschwindet spurlos. Die Mutter erinnert sich an einen Clown, doch niemand sonst hat ihn gesehen. Als die Inspectora Ana Ortega den Fall übernimmt, stößt sie bald auf merkwürdige Ereignisse. Gemeinsam mit dem Europol-Ermittler Lars Brückner und der deutschen Journalistin Svenja Haverkamp verfolgt Ana eine Spur, die tief bis in ihre eigene Familie führt. Als das Team hinter das Geheimnis des Clowns kommt, ist es beinahe zu spät, denn die kleine Jenny hat nicht mehr lange zu leben...

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INHALT

Impressum

Anmerkung

Über die Autoren B.C. Schiller

Bücher von B.C. Schiller

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Danksagung

Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Blue Velvet Management GmbH urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Copyright Blue Velvet Management e.U., Derfflingerstrasse 14, Linz,

Oktober 2019, März 2021, Februar 2023, Dezember 2023

Lektorat: Wolma Krefting, bueropia.de

Korrektorat: Sabine Dreyer, Tat-Worte.de

Titelgestaltung: www.afp.at

Foto credits:

Mädchen: Woman standing at beach: pstyyyFmoh8, Tamara Bellis, copyright unsplash. Strand:Beautiful sunrise over an old wooden fishing boat on a pebble beach: 219924283, Helen Hotson, copyright shutterstock. Himmel: scenery of dramatic sunset with rocks at foreground: 741203506, abamjiwa al-hadi, copyright shutterstock

 

Wir haben uns erlaubt, einige Namen und Örtlichkeiten aus Spannungsgründen neu zu erfinden, anders zu benennen und auch zu verlegen. Sie als Leser werden uns diese Freiheiten sicher nachsehen.

ÜBER DIE AUTOREN B.C. SCHILLER

Barbara und Christian Schiller leben und arbeiten in Wien und auf Mallorca mit ihren beiden Ridgebacks Calisto & Emilio. Gemeinsam waren sie über 20 Jahren in der Marketing- und Werbebranche tätig und haben ein totales Faible für spannende Krimis und packende Thriller.

B.C. Schiller gehören zu den erfolgreichsten Spannungs-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bisher haben sie mit ihren Krimis über drei Millionen Leser begeistert.

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BÜCHER VON B.C. SCHILLER

ANA ORTEGA Küstenkrimi:

MÄDCHENSCHULD – ist der erste Band der neuen spannenden Inselkrimi-Reihe mit der Inspectora Ana Ortega und dem Europol-Ermittler Lars Brückner. Die Krimi sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

SCHÖNE TOTE – der zweite Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.

FAMILIENBLUT – der dritte Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.

Die Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

* * *

TONY-BRAUN-THRILLER:

TOTES SOMMERMÄDCHEN – der erste Tony-Braun–Thriller –

»Wie alles begann«

TÖTEN IST GANZ EINFACH – der zweite Tony-Braun-Thriller

FREUNDE MÜSSEN TÖTEN – der dritte Tony-Braun-Thriller

ALLE MÜSSEN STERBEN – der vierte Tony-Braun-Thriller

DER STILLE DUFT DES TODES – der fünfte Tony-Braun-Thriller

RATTENKINDER – der sechste Tony-Braun-Thriller

RABENSCHWESTER – der siebte Tony-Braun-Thriller

STILLER BEOBACHTER – der achte Tony-Braun-Thriller

STRANDMÄDCHENTOD – der neunte Tony-Braun-Thriller

STILLES GRABESKIND – der zehnte Tony-Braun-Thriller

Alle Tony-Braun-Thriller waren monatelang Bestseller in den Charts. Die Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

* * *

DUNKELSTEIG – Trilogie - Krimi:

DUNKELSTEIG: der erste Band mit Felicitas Laudon

DUNKELSTEIG – SCHULD –der zweite Band mit Felicitas Laudon

DUNKELSTEIG – BÖSE: der dritte und letzte Band mit Felicitas Laudon

* * *

Psychothriller:

DIE FOTOGRAFIN

DIE SCHWESTER

DIE EINSAME BRAUT

* * *

Die TARGA-HENDRICKS-Thriller:

DER MOMENT, BEVOR DU STIRBST – der erste Fall mit Targa Hendricks

IMMER WENN DU TÖTEST – der zweite Fall mit Targa Hendricks

DUNKELTOT, WIE DEINE SEELE – der dritte Fall mit Targa Hendricks

* * *

Die DAVID-STEIN-Thriller:

DER HUNDEFLÜSTERER – David Steins erster Auftrag

SCHWARZER SKOPRION – David Steins zweiter Auftrag

ROTE WÜSTENBLUME – David Steins dritter Auftrag

RUSSISCHES MÄDCHEN – David Steins vierter Auftrag

FREMDE GELIEBTE – David Steins fünfter Auftrag

EISIGE GEDANKEN – David Steins sechster Auftrag

TODESFALTER – David Steins siebter Auftrag

* * *

Die LEVI-KANT-Wien-Krimi:

BÖSES GEHEIMNIS – der erste Cold Case

BÖSE TRÄNEN – der zweite Cold Case

BÖSES SCHWEIGEN – der dritte Cold Case

Tauchen Sie ein in die B.C. Schiller Krimi & Thriller-Welt.

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MÄDCHENSCHULD

Küstenkrimi

B.C. SCHILLER

„Alle Schuld rächt sich auf Erden.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

PROLOG

In einer Gewitternacht wurde ein Kind mit großer Schuld geboren.

Der Rettungswagen fuhr mit heulender Sirene auf den Parkplatz des Krankenhauses. Die Hecktüren wurden aufgerissen, und der Notarzt sprang heraus.

»Herzstillstand. Ich habe sie reanimiert, aber wieder verloren. Starker Blutverlust«, informierte er stakkatoartig das wartende Ärzteteam.

Ein greller Blitz zerriss die Dunkelheit, gefolgt von einem lauten Donnerschlag. Der Regen prasselte auf den Beton, als die Trage mit der bewusstlosen Frau auf der Rampe nach oben geschoben wurde.

In diesem Moment fuhr eine dunkle Limousine mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz. Ein Mann sprang heraus, lief um den Wagen herum und riss die Fondtür auf.

»Komm, wir müssen deiner Mutter beistehen, ehe es zu spät ist.« Er zerrte einen kleinen Jungen aus dem Wagen. Mit dem Kind an der Hand lief er durch den strömenden Regen zur Rampe. »Wo ist sie? Wo ist meine Frau?«, rief der Mann gegen den Donner an.

»Die Patientin ist bereits im Operationssaal«, sagte der Arzt und knöpfte hektisch seinen grünen Kittel zu. Dann drehte er sich um und lief einen hell erleuchteten Korridor entlang.

»Ich will sofort zu meiner Frau!«, rief ihm der Mann hinterher.

»Das geht jetzt nicht. Sie wird gleich operiert.«

Eine große Glasschiebetür öffnete sich lautlos, und der Arzt rannte weiter. Hinter ihm schloss sich die Tür, ehe der Mann mit dem kleinen Jungen sie erreicht hatte.

»Meine Frau muss aber leben!« Mit der Faust schlug er gegen die Scheibe.

Das Kind, das er an der Hand hielt, starrte ihn erschrocken an und begann zu schluchzen. »Mama muss sterben, sterben, sterben!«, krächzte es in kindlichem Tonfall.

»Hör sofort auf damit!« Der Vater kniete sich neben den kleinen Jungen, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Hast du verstanden? Du sollst sofort aufhören!«

»Sterben, sterben«, stammelte der Junge monoton weiter und immer weiter, bis ihm der Mann den Mund zuhielt.

»Noch ein Wort und …« Er holte mit der Hand aus, besann sich aber im letzten Moment und strich sich stattdessen die klatschnassen Haare zurück. »Alles wird gut. Beide werden überleben«, flüsterte er und presste die Stirn an die Glastür. »Beide.«

Mit hängenden Schultern ging der Vater zu einem Stuhl und setzte sich. Der kleine Junge kam mit weinerlichem Gesicht auf ihn zu, zögerte, kuschelte sich dann auf den Schoß seines Vaters.

»Papa«, fragte er leise. »Was ist tot?«

»Pst. Du sollst nicht solche Worte gebrauchen.« Wieder hielt ihm sein Vater den Mund zu, aber diesmal war es eine liebevolle Geste, so als wollte er die Macht des bösen Wortes aufheben.

Die Zeiger der Uhr an der Wand bewegten sich quälend langsam, und das grelle Neonlicht schmerzte den Mann in den Augen. Plötzlich öffnete sich die Glastür und der Arzt betrat den Korridor. Mit einer fahrigen Bewegung nahm er die grüne Kappe vom Kopf und schob sich den Mundschutz nach unten.

»Wie geht es ihr und dem Baby?« Der Mann stellte den kleinen Jungen auf den Boden und sprang auf. »Haben beide überlebt?«

»Nein. Leider haben wir nur das Baby retten können.« Der Arzt machte eine bedauernde Miene, wollte noch etwas sagen, aber der Mann schob ihn einfach zur Seite.

»Wo ist meine Frau jetzt?«

»Sie liegt noch auf dem OP-Tisch, aber da dürfen Sie nicht hinein«, sagte der Arzt.

»Sie können mir gar nichts verbieten!«, antwortete der Mann unwirsch. Er packte den kleinen Jungen und ging mit schnellen Schritten in den Korridor hinter der Glastür. Links und rechts befanden sich die Räume der allgemeinen Intensivstation. Er hastete weiter zu den Operationssälen.

»Papa, was tun wir hier?«, piepste der Junge, der mit großen Augen umherblickte.

»Wir suchen deine Mama«, flüsterte sein Vater. Plötzlich blieb er stehen. Er zerrte den Kleinen in einen dunklen OP, in dem nur ein langer Metalltisch stand. Darauf lag eine Frau, die bis zum Hals mit einem grünen Leintuch bedeckt war. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Züge wirkten entspannt. Rötliches Haar umrahmte ihr blasses Gesicht. Sie schien zu schlafen.

»Verlassen Sie bitte sofort diesen Raum!« Der Arzt trat hinter den Mann und packte ihn am Arm. Doch der schüttelte die Hand ab.

»Sie haben doch gesagt, dass sie lebt«, sagte er mit heiserer Stimme. »Aber sie ist tot!«

»Ich habe gesagt, dass wir das Baby retten konnten. Sie haben eine Tochter.« Wieder fasste der Arzt den Mann am Arm und wollte ihn aus dem dunklen Raum ziehen. »Möchten Sie nicht Ihr neugeborenes Kind sehen?«

»Nicht jetzt. Ich bleibe hier.«

»Aber das verstört Ihren kleinen Sohn«, gab der Arzt zu bedenken.

»Er bleibt bei mir und seiner Mutter.«

»Ich kann das nicht gestatten«, ließ der Arzt nicht locker.

Doch der Vater reagierte nicht auf den Einwand. »Bitte gönnen Sie uns ein paar Minuten. Wir müssen uns doch von ihr verabschieden.«

»Na gut. Aber nicht länger als fünf Minuten«, meinte der Arzt. Dann drehte er sich um und verschwand.

»Liebling«, flüsterte der Mann und strich sanft über die Wange seiner toten Frau. »Du bist so kalt.« Er packte seinen Sohn fester an der Hand und schob ihn zu dem Tisch. »Du kannst deine Mutter ruhig berühren.«

»Mama?« Die Stimme des Jungen klang zögerlich, er schniefte lautstark. »Mama, was hast du?«, fragte er.

»Deiner Mutter geht es gut – da, wo sie jetzt ist«, beruhigte der Vater seinen Sohn und hob ihn hoch. »Leg dich zu ihr. Du musst sie wärmen.«

»Nein, ich will nicht!« Der Kleine begann zu quietschen und strampelte mit den Beinen.

»Du sollst dich zu deiner Mutter legen! Ihr ist kalt. Du musst sie wärmen.«

Der Junge schrie und wehrte sich, aber der Vater drückte ihn unerbittlich neben den Leichnam. »Du musst sie wärmen! Hast du mich verstanden?«, zischte er. »Das ist ein Befehl!«

Die Minuten vergingen. Der kleine Junge lag ganz steif neben seiner toten Mutter und nuckelte am Daumen. Der Vater stand mit hängenden Schultern vor der Leiche und küsste immer und immer wieder die wächserne Stirn.

»Warum hast du mich verlassen?«, sagte er und beugte sich nach unten. Er spürte die kalten Lippen, als er einen Kuss auf ihren Mund drückte.

»Was haben Sie hier zu suchen?«

Der Vater schreckte hoch und blickte in das verärgerte Gesicht eines Oberarztes. »Ich will mich nur von meiner Frau verabschieden«, sagte er leise.

»Oh, tut mir leid.« Der Oberarzt senkte den Kopf. »Es war eine schwierige Notoperation. Der Blutverlust war zu groß, wir konnten sie nicht mehr retten. Aber dem Baby geht es gut«, meinte er und trat näher. Erst jetzt bemerkte er den Jungen auf dem Stahltisch. »Nehmen Sie sofort das Kind weg!« Er deutete auf den Kleinen, der unter das grüne Leintuch gekrochen war, um sich zu verstecken. »Das ist doch komplett krank.«

»Er hat seine Mutter geliebt«, erwiderte der Vater.

»Mag schon sein.« Der Oberarzt schüttelte den Kopf. »Aber damit ist nun Schluss. Bitte verlassen Sie diesen Raum.«

»Jetzt will ich meine Tochter sehen«, sagte der Mann, als sie wieder hinaus auf den Korridor traten.

»Die Kleine liegt bereits auf der Intensivstation der Kinder-Abteilung. Das ist im ersten Stock.« Die Miene des Oberarztes hellte sich auf. »Sie ist ein wunderschönes Baby«, sagte er sanft.

»Das ist nur eine leere Phrase«, erwiderte der Mann. Er packte den Jungen an der Hand und zog ihn zum Aufzug.

In der Kinderabteilung ging er zielstrebig zur Intensivstation. Dort erblickte er den Glaskasten. Vorsichtig traten Vater und Sohn näher heran. Auf einem weißen Kissen lag ein winziges Baby mit geschlossenen Augen. Es bewegte langsam die kleinen Hände und strampelte ein wenig mit den Beinen. Der Mann betrachtete das Neugeborene mit einem kühlen Blick.

»Schau genau hin. Das ist deine Schwester«, sagte er zu dem Jungen. »Sie ist schuld daran, dass deine Mutter jetzt tot ist. Das darfst du nie vergessen. Deine Schwester hat deine Mutter getötet!«

KAPITELEINS

Fünfundzwanzig Jahre später

Am Ende dieses schönen Tages lauerte eine Katastrophe. Doch davon ahnte Lena Mayer nichts, als sie am frühen Abend mit ihrer vierjährigen Tochter den Rummelplatz in einem Vorort von Palma de Mallorca besuchte. Im Augenblick stand Lena am Rand des Karussells und beobachtete die kleine Jenny, die mit strahlenden Augen auf einem Schaukelpferd saß, das sich mit vielen anderen im Kreis drehte.

»Ist sie nicht ein süßes Mädchen, meine kleine Prinzessin?«, fragte Lena ihre Freundin Katja, die sie begleitete.

»Ja, Jenny ist etwas ganz Besonderes«, gab ihr Katja recht. »Sie ist schon so selbstständig für ihr Alter.«

»Das stimmt. Manchmal ist sie ein wenig zu aufgeweckt. Man muss ständig aufpassen, dass sie keinen Unsinn macht.«

»So sind kleine Kinder eben.«

Mittlerweile war es dämmrig geworden, und der Rummelplatz wirkte auf dem staubigen Feld wie eine strahlende Insel mit glücklichen Kindern. Doch außerhalb der Lichtkegel war das Gelände von Müll übersät, und neben dem Parkplatz schlichen herrenlose Hunde und Katzen auf der Suche nach Beute durch die Nacht.

Runde um Runde drehte sich die Plattform mit den bunten Pferden und Lichtern, und das Kreischen der Kinder wollte kein Ende nehmen. Als Lena vom Zusehen schon ganz schwindelig war, ertönte ein Gong, und das Karussell wurde endlich langsamer, bis es schließlich ganz zum Stillstand kam. Jenny hüpfte von ihrem Pferd und lief auf ihre Mutter zu.

»Ich will noch einmal drehen«, rief sie und patschte mit den Händen.

»Das reicht jetzt. Sonst wird dir noch übel«, entschied Lena.

»Nein, nein, nein! Mir wird nicht übel. Nicht wahr, Katja?« Hilfesuchend blickte Jenny zu Katja hoch.

»Du hast gehört, was deine Mama gesagt hat.«

»Ich will! Ich will! Ich will!« Wie eine kleine Furie stürzte sich Jenny auf Lena und versuchte, ihr in den Arm zu beißen. »Ich mag dich nicht mehr!«, kreischte sie so laut, dass sogar der Karussellbetreiber den Kopf aus dem Kassenhäuschen steckte.

»Beruhige dich.« Katja umfasste Jenny mit beiden Armen und zog sie von Lena weg. Noch immer kreischte das Mädchen und strampelte mit den Beinen. »Deine Mama hat recht, Kleines. Du kannst dich nicht ewig im Kreis drehen.«

»Aber ich will noch mal reiten! Lass mich los!« Wütend versuchte Jenny, sich aus der Umklammerung zu lösen.

»Schau mal dort drüben. Da ist ein Clown mit Luftballons«, rief Lena, um ihre Tochter abzulenken.

»Wo?« Jenny hörte schlagartig mit dem Toben auf und blickte aufgeregt umher.

»Na gleich neben dem Parkplatz.« Lena deutete zum Rand des Rummelplatzes, wo undeutlich eine Gestalt zu sehen war, die mit ihrem weißen Gesicht und den roten Lockenhaaren einem Clown ähnelte. In der Hand hielt die Person ein paar bunte Luftballons.

»Krieg ich einen Ballon?« Sofort war Jenny Feuer und Flamme und das Karussell vergessen. Nur der Clown war jetzt wichtig, und ungeduldig zerrte sie an der Hand von Lena. »Mama, ich will einen Ballon!«, quengelte sie in einem fort und begann zu zappeln.

»Na dann los.« Lena drehte sich zu Katja. »Was ist? Kommst du nicht mit?«

»Nein. Mir ist so heiß. Es ist Hochsommer, und ich habe jetzt Lust auf ein Eis. Wollt ihr beide auch eines?« Katja blickte Lena und Jenny fragend an.

»Ja gerne. Aber bei dem Eisstand sind eine Menge Leute. Da wird Jenny immer ganz maulig. Außerdem möchte sie jetzt zu dem Clown.«

»Genau. Ich will jetzt dorthin«, insistierte Jenny. »Das Eis esse ich später.«

»Weißt du was? Du kaufst Jenny einen Luftballon, dann ist sie abgelenkt, und wir können danach alle in Ruhe ein Eis essen«, schlug Katja vor. »Was meinst du, Jenny?«

»Au ja, super. Mister Braun möchte auch einen Ballon.« Aufgekratzt zerrte Jenny ihre Mutter zu dem Clown und hielt dabei ihren Stoffbären fest mit der rechten Hand umklammert.

Die Gestalt war tatsächlich ein Clown. Er trug eine Latexmaske mit großer Nase und roten Kringelhaaren. Sein Mund war mit dick aufgemaltem rotem Lippenstift beinahe auf das Doppelte vergrößert. Noch beleuchteten ihn die gleißenden Lichter des Rummelplatzes, aber als Lena mit Jenny näherkam, trat er einen Schritt zurück, und sein Gesicht lag plötzlich im Schatten. Unbewusst blieb Lena stehen, doch Jenny zerrte sie weiter.

»Welchen möchtest du denn, kleines Fräulein?«, fragte der Clown auf Spanisch, als sie vor ihm standen und die bunten Luftballons betrachteten.

»Einen Blauen. Der gefällt mir am besten«, krähte das kleine Mädchen vor Vergnügen. Jedes Mal, wenn Jenny spanisch redete, beneidete Lena sie insgeheim. Ihre Tochter hatte letztes Jahr auf Ibiza die Sprache mühelos erlernt. Sie selbst konnte außer ein paar Phrasen so gut wie nichts. Als der Clown ihr etwas zuflüsterte, war Lena durch Jennys Gezappel abgelenkt und verstand nicht, was er sagte. Außerdem rief Katja gerade: »Ich stelle mich schon mal beim Eisstand an«, und ging auf die Menschenschlange zu, die geduldig dort wartete.

»Einen Moment, wir kommen gleich nach«, erwiderte Lena. »Was kostet der Ballon?« Sie machte eine entsprechende Handbewegung, um sich verständlich zu machen.

»Nicht so hastig, junge Frau. Das kleine Mädchen möchte doch noch ein Abenteuer erleben. Nicht wahr?« Der Clown beugte sich zu Jenny hinab.

»Au ja!« Die nickte begeistert.

»Was hat er gesagt?«, fragte Lena ihre Tochter. Plötzlich fühlte sie sich ausgeschlossen, als sich ihre Tochter mit dem Clown unterhielt.

»Er zeigt mir Kunststücke.«

»Schau einmal auf meine linke Hand«, sagte der Clown und streckte die leere Handfläche aus. »Und jetzt zähle bis drei.«

»Eins, zwei, drei«, sagte Jenny atemlos.

Der Clown schloss die Finger und öffnete sie gleich wieder. Auf seiner Handfläche lag ein herzförmiges Stück Schokolade.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte Jenny verblüfft.

»Ich kann zaubern.«

»Bitte noch ein Kunststück!« Jenny sprang auf und ab und klatschte dabei in die Hände.

»Va bien. Pass auf!« Der Clown band die Luftballons an einem Strauch fest und trat noch weiter in den Schatten zurück. Seine weißen Handschuhe leuchteten im Dunkel, als seine Hände durch die Luft wirbelten.

»Jenny, komm, wir gehen jetzt«, sagte Lena leise und zog ihre Tochter sanft zu sich. Sie hatte kein Wort von dem Gespräch der beiden verstanden.

»Lass mich!« Jenny machte sich los und stellte sich direkt vor den Clown.

»Nimm deinen Ballon und sei ein braves Mädchen«, sagte Lena.

Im selben Moment hörte sie Katja von hinten laut rufen: »Kannst du mir schnell helfen?«

Lena drehte sich zu ihr.

»Ich kann die drei Eistüten nicht mehr alleine halten.«

»Bin gleich bei dir.« Lena wandte sich zu Jenny. »Komm, wir helfen Katja.«

»Nein, ich will noch ein Kunststück sehen«, maulte Jenny und blieb stehen.

»Konzentriere dich auf meine Finger«, sagte der Clown. »Lass dich nicht ablenken.«

»Lena, wo bleibst du? Es zerrinnt gleich alles.« Katja klang leicht gestresst.

»Ja, sofort. Jenny, beeil dich!«, befahl sie ihrer Tochter. Doch das Kind rührte sich nicht vom Fleck. »Na gut. Dann bleib hier stehen. Ich bin gleich zurück.« Wie so oft kapitulierte Lena vor dem Dickschädel ihrer Tochter. Sie drehte sich um und ging schnell zu dem Eisstand, wo Katja mit den drei Eiswaffeln wartete. Das schmelzende Eis tropfte bereits über ihre Finger.

»Gib her.« Sie nahm ihrer Freundin eine Tüte aus der Hand.

»Wo ist denn Jenny?«, fragte Katja und blickte umher.

»Die ist bei dem Clown geblieben.«

»Ich kann sie aber nicht entdecken.«

»Was?« Der Rand des Rummelplatzes lag bereits völlig im Dunkel, und Jenny war nirgends zu sehen. Vor Schreck ließ Lena das Eis fallen und eilte schnell über den staubigen Platz. Sie spähte in die Dunkelheit, konnte aber weder Jenny noch den Clown finden. Aufgeregt lief sie das Feld entlang.

»Jenny!«, rief sie laut in die Dunkelheit. »Wo bist du?«

»Da ist niemand!« Suchend ging Katja ebenfalls am Rand des Rummelplatzes auf und ab.

»Jenny ist verschwunden! Der Clown ist auch weg.« Hektisch blickte Lena über den Parkplatz.

»Was war das für eine merkwürdige Figur? War das überhaupt ein richtiger Clown? Wieso hast du sie nicht einfach mitgenommen?«, fragte Katja.

»Jenny wollte bei dem Clown bleiben. Er zeigte ihr gerade Kunststücke. Sie ist manchmal so stur. Und du hast wegen dem blöden Eis Hektik verursacht.«

»Jetzt bin ich also schuld, weil dein Kind verschwunden ist?«, meinte Katja gekränkt.

»Entschuldige, so habe ich das nicht gemeint. Ich mach mir nur große Sorgen«, lenkte Lena sofort ein.

»Das verstehe ich doch. Auf dem Rummelplatz kann sie jedenfalls nicht sein, sonst wäre sie ja an uns vorbeigekommen. Los, wir suchen erst mal den Parkplatz ab.«

Lichtspuren huschten über die geparkten Autos und schreckten Katzen auf, die schleunigst das Weite suchten, als die beiden Frauen mit ihren Handys unter jeden Wagen leuchteten. Immer wieder krochen sie auf allen vieren zwischen den Fahrzeugen umher, und der Name Jenny hallte durch die Dunkelheit.

»Das bringt doch nichts.« Nervös blickte Lena umher. »Gibt es hier keine Security, die uns helfen kann?«

»Ich erinnere mich nur an den Kassierer beim Eingang«, sagte Katja. »Den kann ich fragen.«

»Bleib hier. Wir rufen jetzt die Polizei.« Lenas Hand zitterte so stark, dass sie ihr Handy beinahe fallen ließ. »Mach du das. Ich kann nicht mehr.«

Während Katja mit der Polizei telefonierte, musste sich Lena der entsetzlichen Wahrheit stellen: Ihre Tochter Jenny war verschwunden.

KAPITELZWEI

Ana Ortega schwitzte unter der schusssicheren Weste, während sie gebückt in dem engen Treppenhaus nach oben schlich. Hinter sich hörte sie das knackende Geräusch, als ihr Kollege Diego Garcia gerade seine Waffe entsicherte. Anas Handfläche war feucht, und der Griff der Pistole rutschte ihr beinahe aus den Fingern. Immer wieder schob sie eine widerspenstige Strähne ihres dicken schwarzen Haares hinter das Ohr.

Mit ihren dreißig Jahren war Ana bereits Inspector Jefe, Chefinspektor der spanischen Policia Nacional, der Kriminalpolizei. Sie hatte sich mit viel Ehrgeiz in der männerdominierten Polizeiorganisation nach oben gearbeitet und konnte bereits eine sehr beachtliche Aufklärungsbilanz vorweisen.

An diesem Abend hatte sie einen Tipp von einem ihrer Informanten erhalten, dass in La Soledad, einem Viertel von Palma de Mallorca, ein groß angelegter Drogendeal über die Bühne gehen sollte. Normalerweise war das ein Fall für die Guardia Civil, aber die Zeit war zu knapp gewesen. Deshalb hatte Ana von ihrem Chef grünes Licht für die Operation erhalten. Jetzt wollten sie und ihr Partner Garcia die Dealer bei der Übergabe auf frischer Tat ertappen, um ein längeres Ermittlungsverfahren abzukürzen.

Das Treppenhaus war schmal, und im zweiten Stockwerk gingen zwei Türen direkt von den Stufen links und rechts ab. Gebückt schlich Ana weiter und blieb auf Höhe der rechten Tür stehen. Mit einem kurzen Nicken signalisierte sie Garcia, dass sie bereit war.

»Dann los«, flüsterte ihr Kollege und deutete mit dem Lauf seiner Waffe auf eine braune Holztür mit mehreren Schlössern.

»Ich klopfe, du sagst das Codewort«, antwortete Ana, die das verabredete Zugangsprozedere von ihrem Informanten erhalten hatte.

Dreimal klopfte sie an die Tür. Nichts rührte sich. Ana presste sich an die Wand und hielt den Atem an. Hatte ihr Informant sie angelogen? Wollte er sich nur wichtigmachen? Doch dann hörte sie leise zögernde Schritte.

»Was gibt’s?«, fragte eine junge Männerstimme, gefolgt von einem Hustenanfall.

»Die Tapas-Lieferung ist hier«, antwortete Garcia und nickte Ana zu. Sie spürte, wie das Adrenalin durch ihren Körper zischte. Jetzt waren die Hitze und der Gestank verschwunden. Sie war konzentriert wie eine Jägerin, die ein Raubtier aufgespürt hatte.

»Okay, ich hole das Geld«, sagte der junge Mann.

Das war der zweite Teil der Parole. Doch hinter der Tür rührte sich nichts. Was hatte das zu bedeuten? Fragend blickte sie zu Garcia. Dieser zuckte bloß mit den Schultern. Wieder klopfte Ana nach dem vereinbarten Rhythmus. Plötzlich wurde die Tür auf der anderen Seite geöffnet, und ein hünenhafter Schwarzer tauchte auf. In der Hand hielt er eine kleine funkelnde Pistole, die in seiner riesigen Pranke wie ein Spielzeug aussah.

Noch ehe Ana und Garcia den kurzen Moment der Überraschung überwunden hatten, schoss der Schwarze. Garcia wurde getroffen, taumelte zurück und stürzte die Treppe hinunter. Ana erwiderte sofort das Feuer, doch der Schwarze hatte bereits die Tür zugeschlagen, und die Kugel jaulte durch das Holz.

»Garcia? Alles in Ordnung?«, rief Ana, während sie mit dem Fuß die Tür eintrat.

»Keine Sorge, mir ist nichts passiert«, hörte sie ihren Kollegen. »Pass auf! Das ist zu gefährlich für dich alleine. Ich rufe das Einsatzkommando der Guardia Civil.«

»Ja, mach das!« Aber ich lasse meine Beute nicht entkommen, dachte Ana, während sie geduckt in die Wohnung huschte. Der Dealer hatte es nicht auf ein Feuergefecht abgesehen, sondern wollte einfach nur abhauen. Und er hatte seinen Schlupfwinkel geschickt gewählt. Verdammt, daran hätte sie denken müssen. Es war eine große Wohnung, die aus zwei kleineren zusammengelegten Apartments bestand. Deshalb hatte sie zwei Ausgangstüren.

»Polizei!«, rief sie, als sie mit der Waffe im Anschlag in das Wohnzimmer stürzte. Unter einem Tisch kauerte ein junger Kerl, der sie ängstlich anstarrte.

»Ich bin unschuldig!«

»Rauskommen!«, befahl Ana und zog ein Paar Handschellen aus ihrer Gürtelhalterung. Blitzschnell fesselte sie dem Mann die Hände auf den Rücken, zog ihn hoch und tastete ihn nach Waffen oder Drogen ab. Aber er hatte nichts bei sich, auch keinen Ausweis.

»Hinsetzen!« Ana drückte ihn wieder auf den Boden und fixierte die Handschellen am Tischbein. »Wie heißt du?«

»Ruben.«

Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Glas klirrte, gefolgt von leisem Gepolter. Sofort lief sie hinaus auf den Gang. Das Geräusch kam aus der Küche. War das eine Falle? Erwartete sie der Dealer bereits? Ana schob sich mit schussbereiter Waffe an der Wand entlang. Spähte um die Ecke. Die Küche war leer. Die Tür hinaus auf den winzigen Balkon stand offen. Das Mondlicht beleuchtete eine kaputte Waschmaschine und das rostige Skelett eines Fahrrads. Unten im Innenhof turnte der Schwarze gerade über einen Müllberg.

»Stehen bleiben, Polizei!«, rief ihm Ana hinterher und legte die Waffe an, aber auf die Entfernung war es nicht möglich, einen gezielten Schuss abzugeben, um den Mann zu stoppen. »So ein Mist«, ärgerte sie sich, als sie wieder zurück ins Wohnzimmer ging. Ruben hockte noch immer am Boden und starrte ins Leere. Neben ihm stand eine Sporttasche.

Inzwischen war auch Garcia wieder nach oben gehumpelt. »Puh«, murmelte er und strich über das Loch in seiner schusssicheren Weste. »Da steckt noch die Kugel drin. Zum Glück war es ein kleines Kaliber.«

»Ja, du hast Schwein gehabt«, meinte Ana und bückte sich zu der Sporttasche. Als sie den Reißverschluss aufzog, stieß sie einen leisen Pfiff aus. »Wow! Sieh dir das an!« Sie riss eine der Tüten auf und kostete das weiße Pulver. »Koks«, meinte sie dann.

»Das sind mindestens zehn Kilo«, sagte Garcia mit ergriffener Stimme, als wäre er soeben Zeuge eines Wunders geworden. »Was das wohl wert ist?«

»Na, wenn du daran denkst, dass ein Gramm durchschnittlich achtzig Euro kostet … Dann kannst du es dir ja ausrechnen.«

»Das sind rund 800.000 Euro. Damit hat man ausgesorgt«, sagte Garcia.

»So wie Ruben, der Dealer hier«, antwortete Ana und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. »Dafür kriegst du mindestens zehn Jahre.«

»Ich will meinen Anwalt sprechen. Mit dieser Sache habe ich nichts zu tun«, sagte Ruben.

»Natürlich nicht. Du bist ganz zufällig in dieser Wohnung«, ätzte Ana.

»Natürlich, ich sollte nur die Miete kassieren. Fragen Sie meinen Vater. Ihm gehört das ganze Haus.«

»Ach! Und wer ist dein Vater?« Ana stemmte die Fäuste in die Hüften und lehnte sich an den Tisch.

»Jesus Savigni«, antwortete Ruben mit sichtbar entspanntem Gesichtsausdruck.

»Der Jesus Savigni?«, fragte Garcia.

»Genau. Der Jesus Savigni.«

»Jesus Savigni, der Pate der Insel, schickt seinen eigenen Sohn zu einem Drogendeal. Interessant! Sollst du die Geschäfte deines Vaters übernehmen?«, fragte Ana und beugte sich zu Ruben hinunter. Sie kam seinem Gesicht so nahe, dass sie sein Aftershave riechen konnte. Wahrscheinlich ein sauteurer Duft aus den Designerläden in Port Adriano. »Da wird dein Vater aber noch eine Weile auf seinen Nachfolger warten müssen«, flüsterte sie.

Unten auf der Straße war das Heulen von Sirenen zu hören, und kurz darauf trampelten die Männer der Guardia Civil nach oben in die Wohnung.

»Ana, du hast uns wieder einmal die ganze Arbeit abgenommen.« Carlos Puig, der Chef der Guardia, hob grüßend die Hand. »Wen haben wir denn hier?«

»Ruben Savigni, der Sohn von Jesus, wurde mit zehn Kilo Koks erwischt.«

»Da ist dir ja ein toller Fang geglückt«, meinte Carlos anerkennend. »Ich habe gehört, es gab einen Schusswechsel?«

»Ja, Garcia hat eine Kugel abbekommen. Zum Glück war er vorbereitet. Das kommt in die Ballistik«, sagte Ana und deutete auf die bereits eingetütete Schutzweste. »Leider ist uns einer der Typen entkommen. Es ist ein großer Schwarzer. Aber die Fahndung ist schon draußen.«

»Dann ist ja alles so weit perfekt. Ab jetzt übernehmen wir. Ihr könnt nach Hause und euch aufs Ohr legen«, sagte Carlos.

Das Funkgerät von Garcia knackte, und eine verzerrte Stimme war zu hören.

»Nein, das geht jetzt nicht. Wir sind noch mitten in einer Amtshandlung«, hörte sie Garcia antworten.

»Worum geht’s denn?«, fragte Ana ihn.

»Ein vierjähriges Mädchen ist auf einem Rummelplatz verschwunden«, antwortete Garcia. »Aber das soll jemand anderer übernehmen.«

»Ein kleines Mädchen, sagst du? Gib her.« Ana nahm Garcia das Funkgerät aus der Hand. »Wir kümmern uns darum«, sagte sie, nachdem sie eine Weile zugehört hatte, und schaltete das Funkgerät aus. Dann wandte sie sich an Garcia. »Du brauchst nicht mitzukommen. Lass dich krankschreiben. Schließlich hast du eine Kugel abgekriegt.«

»Nein, wo denkst du hin. Ich kann dich doch nicht alleine fahren lassen«, widersprach der.

»Dann los, hier haben wir ja nichts mehr zu tun.«

»Vergiss den Bericht über die Festnahme von Ruben Savigni nicht«, rief ihr Carlos Puig noch hinterher.

»Der muss warten. Jetzt geht es um ein vermisstes Kind. Für die Mutter ist das sicher eine Tragödie.«

KAPITELDREI

Die Spelunke »Zum Freibeuter« in Hamburg hatte schon bessere Zeiten erlebt. In der niedrigen, mit Fischernetzen dekorierten Gaststube saßen nur wenige Gäste an den Tischen und starrten ihre Biergläser an. Die Einrichtung war schmuddelig und wirkte wie vom Trödelmarkt. Aus der Musikbox ertönte Freddy Quinn, und der Barkeeper putzte schweigend die Gläser.

Lars Brückner fühlte sich in eine frühere Zeit versetzt, als er das Lokal betrat. Kneipen wie diese hatte es vor zehn Jahren noch etliche gegeben. Aber mittlerweile war selbst auf dem Kiez skandinavisches Design und Bio-Wein gefragt. Lars war in den Fünfzigern, hatte kurze blonde Haare und war früher Leiter einer Europol-Einheit gewesen, die sich mit organisierter Kriminalität, Drogen- und Kinderhandel beschäftigte. Die Bar am Kiez hatte Bruno, einer seiner Informanten, als Treffpunkt vorgeschlagen.

»Ich will von der Vergangenheit nichts mehr wissen«, hatte Lars zunächst abgewinkt, doch Bruno ließ einfach nicht locker.

»Du möchtest doch endlich erfahren, wer für deine private Misere verantwortlich ist.«

Das stimmte natürlich. Lars wollte wissen, wer vor Jahren sein Leben zerstört hatte. Aber insgeheim hatte er Angst davor, verstörende Details herauszufinden. Dann würde alles wieder hochkommen und seine mühsam zurechtgezimmerte Normalität ins Wanken bringen.

Lars kniff die Augen zusammen und steckte die Hände in die Taschen seines grauen Parkas. Bruno war nirgends zu sehen.

»Gin und stilles Wasser«, murmelte er dem Barkeeper zu und setzte sich auf einen Barhocker. »Ist Bruno hier?«

Der Mann antwortete nicht, sondern gab ungerührt Eiswürfel in ein Glas.

»Ich habe dich was gefragt.«

»Du fragst zu viel«, antwortete der Barkeeper gelangweilt, während er den Gin einschenkte.

»Verarschen kann ich mich selbst«, knurrte Lars und beugte sich über den Tresen. »Das hier ist seine Stammkneipe. Noch mal von vorne: Ist Bruno schon hier?«

»Zum Mitschreiben: Ich mag keine Typen, die Fragen stellen«, blieb der Kneipenwirt verstockt.

»Du weißt doch, wer ich bin.« Lars stützte die Hände auf der schmierigen Platte auf und fixierte den Barmann mit seinen blauen Augen.

»Natürlich. Du hast vor Jahren jede Kneipe hier auf dem Kiez auseinandergenommen, weil du die Kleine gesucht hast.«

»Und genau das werde ich mit deinem Laden jetzt wieder machen.« Mit einer schnellen Handbewegung packte Lars den Barkeeper am Hemdkragen und zog ihn ganz nahe zu sich heran. »Sag mir sofort, wo Bruno ist, sonst werde ich genauso wütend wie damals.«

»Ist ja schon gut.« Der Barmann versuchte sich aus der Umklammerung von Lars zu lösen. »Ich habe dich nicht gleich erkannt. Er ist hinten im Schachzimmer.«

»Na bitte, warum denn nicht gleich.« Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck ließ Lars den Kerl los und schob sich von seinem Hocker.

Das Zimmer der Schachspieler befand sich am Ende eines düsteren Korridors. Lars musste an den versifften Toiletten vorbei, die schon lange nicht mehr funktionierten. Er blickte kurz in den Waschraum. Eine Frau im knappen Mini stand vor einem zerschlagenen Spiegel und zog sich den Lippenstift nach. Aus dem verstopften Waschbecken tropfte Wasser auf die Bodenfliesen. Ein Mann lag neben der Tür und schlief seinen Rausch aus. Toilettenpapier wickelte sich wie eine weiße Schlange um seine Beine.

Dann erreichte er endlich die mit einer geschnitzten Meerjungfrau verzierte Holztür. Das Licht flackerte, als Lars das Hinterzimmer betrat. Es gab vier Tische mit Schachbrettern und Figuren. Dazu die Schachuhren für die Zeitnahme. Eine einzelne Person saß an einem der Tische. Wieder hatte Lars das Gefühl, als wäre die Zeit stehen geblieben. Wie oft war er in seiner aktiven Jahren hier gewesen, um abzuschalten und seine Partien zu spielen.

»Du hast mich warten lassen.« Die Stimme von Bruno klang heiser und er machte Pausen zwischen den einzelnen Worten. Bruno trug ein Sakko, das um seinen ausgemergelten Körper schlotterte. Sein Gesicht war eingefallen und grau. Der Blick aus trüben Augen erloschen.

»Ach Bruno, du doch hast sicher mehr Zeit, als du verbrauchen kannst«, erwiderte Lars.

»Das stimmt nicht.« Bruno schüttelte den Kopf. »Mein Countdown läuft.«

Früher einmal war Bruno eine große Nummer im Drogenhandel hier auf dem Kiez gewesen, doch dann hatten die Tschetschenen das Revier übernommen und ihn an den Rand gedrängt.

---ENDE DER LESEPROBE---